Endlich, der letzte Tag vor dem Beginn der Semesterferien war angebrochen. Der alte Hörsaal war schlecht klimatisiert, trotzdem war unsere Stimmung ausgelassen. Den ganzen Tag schon hatte keiner mehr richtig der Vorlesung gelauscht. Wir schmiedeten Ferienpläne. Morgen sollten mein Freund Hannes und ich ein Praktikum in der Marienapotheke antreten. Wir waren beide Pharmaziestudenten im vorletzten Semester und unser Professor Schmiedinger hatte uns die Stelle besorgt. Der alte Pharmazierat Marek, der Besitzer der Marienapotheke, war ein Studienkollege vom Schmiedinger. Endlich beendete Schmiedinger sein Referat und verabschiedete uns in die Semesterferien, nicht ohne uns noch einmal zu ermahnen, uns ja gut auf das nächste Semester vorzubereiten.
Ich verabschiedete mich kurz von Hannes und lief zum Supermarkt um für heute abend ein paar Lebensmittel und Wein einzukaufen. Und natürlich ein paar Rosen, um bei Carola um gut Wetter zu bitten. Wir hatten uns gestern abend heftig gezankt, und ich war im Streit in die nächste Kneipe gelaufen, sehr spät nach Hause gekommen und wortlos auf dem Sofa im Wohnzimmer eingeschlafen. Heute früh hatte ich mich in aller Hergottsfrühe aus dem Hause geschlichen, ohne mit Carola noch ein Wort zu wechseln.
Jetzt schleppte ich meinen Einkauf zur Rossauer Lände, dort hatte ich meine Ente heute früh geparkt. Um das Institut herum war es kaum möglich einen Platz zu finden, also lief ich jeden Tag die wenigen hundert Meter.
Beschwingt und vollgepackt mit Tüten voller guter Sachen stürmte ich das Stiegenhaus hinauf. Vor der Tür stoppte ich abrupt.
Auf dem Treppenabsatz standen zwei Koffer und ein paar Tüten, offensichtlich meine Habseligkeiten, ich war sprachlos. Mit dem Ellenbogen drückte ich den Klingelknopf.
Frau Havratil, unsere, d.h. Carolas Wirtin, öffnete und empfing mich gleich mit einem Wortschwall. Sie hatte mich noch nie leiden können. Ihr rundliches Gesicht bebte, und ihr Mund grinste triumphierend:
„Endlich hat das Fräulein Carola sie vor die Tür gesetzt, sie Windhund. Ich habe ihr immer wieder gesagt, dass sie kein Umgang für das Fräulein sind. Sie lässt ihnen ausrichten, sie sollten sie endgültig in Ruhe lassen. Fräulein Carola will nichts mehr von ihnen wissen. Nehmen sie ihre Sachen und verschwinden.“
Dann schlug sie mir die Tür vor der Nase zu. Jetzt war guter Rat teuer, wo sollte ich heute Nacht bleiben. Aber hatte nicht Hannes Wirtin noch ein Zimmer frei?
Ich könnte sie leicht mit einer Flasche Wein bestechen, einem solchen Angebot würde sie nicht widerstehen.
Irgendwie verstaute ich mein Gepäck in der Ente und fuhr zur Klosterneuburger Gasse. Ich klingelte Sturm, Hannes schlurfte den Flur entlang und öffnete. Er grinste mich an,
„Hat sie dir endlich den Laufpass gegeben?“, fragte er mit einem anzüglichen Grinsen.
„Red nicht so dumm und lass mich rein. Das kleine Zimmer ist doch noch frei? Außerdem habe ich einen guten Roten dabei, den können wir heute abend niedermachen. Die eine Flasche ist für deine Wirtin, lass die Finger davon. Die Frau Vacek mag doch gerne einen Roten?“
Damit drückte ich mich an ihm vorbei und schleppte meine Sachen in das kleine Eckzimmer.
„In einer halben Stunde komm ich zu dir rüber. Zu essen hab ich genug dabei.“
Erschöpft warf ich mich aufs Bett. So wie es aussah, war die Sache mit Carola vorbei. Egal, schau nach vorn, sagte ich mir, Carola war eh zu kostspielig in ihren Ansprüchen.
Anscheinend war ich ein wenig eingeschlafen, denn plötzlich schüttelte mich Hannes an der Schulter und rief
„He, Alter, wach auf. Ich habe Lust auf einen guten Tropfen.“
Ich schüttelte mich kurz, sprang auf und marschierte den Gang entlang zu Hannes` Zimmer, es bot viel mehr Platz. Hier hatten wir schon manche Flasche Wein ausgeleert und uns gegenseitig unseren Kummer mit den Weibern ausgeschüttet. Das war regelmäßig sehr spät geworden, und der Brummschädel am nächsten Tag war garantiert. Die mitgebrachten Köstlichkeiten waren schnell vertilgt.
Gegen elf Uhr kam Frau Vacek von einem Besuch bei ihrer Schwester nach Hause. Sie steckte ihr Gesicht mit ihrer spitzen Nase durch den Türspalt und sagte ganz trocken zu Hannes
„Ein Glas trinke ich mit euch mit, es ist doch noch etwas Wein für eine alte Frau übrig?“
Und schon zwängte sie sich neben Hannes aufs Sofa, legte ihre Hand wie zufällig auf sein Knie, ließ sich von mir einschenken und prostete uns zu.
„Zwei so attraktive junge Männer im Hause, das lass ich mir gefallen. Was ist eigentlich mit ihnen Herr Peter, sind das ihre Koffer im Eckzimmer? Hat ihre Freundin sie wohl rausgeworfen?“ Sie kicherte und verschluckte sich bald dabei.
„Sie können gerne bei mir einziehen. Legen sie mir den Mietzins morgen auf den Küchentisch. Zweitausend Schilling, weil sie es sind. Und baden nur samstags, duschen können sie jeden Tag, aber nicht nach zwanzig Uhr. Und räumen sie ihre Sachen hinterher wieder weg. Keine Damenbesuche über Nacht", kicherte sie.
Endlich räumte die Alte mit ziemlicher Schlagseite das Feld, nicht ohne noch eine Flasche Rotwein mitgehen zu lassen.
Um zwölf Uhr gähnt Hannes demonstrativ.
„Morgen müssen wir früh raus, der alte Marek achtet sehr auf Pünktlichkeit. So hau ab, leg dich aufs Ohr und träum schön von Carola.“
Ich mühte mich aus dem Ohrensessel, warf ihm noch ein Kissen an den Kopf, murmelte etwas wie Dämlack und verschwand auf mein Zimmer. Ich angelte mir unterwegs noch eine Dose Bier aus dem Kühlschrank in der Küche, riss den Nippel auf und stürzte die kalte Brühe in einem Zug durch meine Kehle.
Dann pellte ich mich aus meiner Jeans, zog das T-Shirt über den Kopf und haute mich in meiner Unterwäsche aufs Bett. Schnell schlief ich tief und traumlos ein.
Am anderen früh sprang ich auf, und schlurfte nur mit meinen, zugegeben etwas knappem Slip bekleidet ins Bad. Unterwegs prallte ich ausgerechnet mit der alten Vacek zusammen. Sie klammerte sich haltsuchend an mir fest, musterte mich unverschämt von oben bis unten und kicherte, während sie mit ihrer Hand scheinbar unbeabsichtigt kurz über meine Hüften streifte.
„Aber sie brauchen doch nicht gleich rot zu werden. Sie könnten mir auch noch einmal gefährlich werden, Herr Peter. Ein so knackiges Mannsbild würde ich nicht von der Bettkante schubsen.“
Ich machte mich entgeistert los, stotterte kurz
„Ich muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät“ und eilte fluchtartig ins Bad.
Nachdem ich die Badtür verschlossen hatte, schüttelte ich mich ganz perplex und atmete tief durch. Dann warf ich meinen Slip ab und duschte ausgiebig heiß und kalt. Plötzlich klopfte es energisch an die Tür.
„Schau zu das du fertig wirst, es ist schon sieben. Andere Leute wollen auch ins Bad.“
hörte ich Hannes rufen. Ich trocknete mich ab, öffnete die Tür einen Spalt und rannte in mein Zimmer, ohne der Alten zu begegnen.
Schnell hatte ich mich in meine verwaschenen Jeans gezwängt und mein T-Shirt übergestreift, als mir einfiel, dass in der Apotheke möglicherweise Anzug gefragt ist.
Also, runter mit T-Shirt und Jeans, rein in den Anzug, Krawatte um, kurz gekämmt und schon war ich fertig.
Hannes hockte in der Küche, schlürfte seinen Kaffee, biss in eine Semmel und sagte mit vollem Mund
„Du darfst die alte Vacek nicht ernst nehmen, das ist so ihre Art. Sie zieht dich nur auf. So jetzt aber los, wir fahren mit deiner Ente, ich bin noch nicht zum Tanken gekommen.“
Während ich meinen Kaffee herunterstürzte und mich beinahe an meinem Hörnchen verschluckte, schlurfte Frau Vacek in die Küche und gab uns noch mit auf den Weg
„Seid liebe Jungs und bringt mir heute Abend eine Flasche Rotwein vom Krämer mit, den Blaufränkisch trinke ich am liebsten. Vergessen sie den Mietzins nicht, Herr Peter.“
Bis ich einen Parkplatz in der Nähe der Apotheke gefunden hatte, war es bereits kurz vor acht. In letzter Minute traten wir durch die Tür. Der Anblick, der sich uns bot, ließ uns andächtig stehen bleiben. Vor der raumhohen dunklen Regalwand mit den unzähligen Schüben lehnte eine Leiter. Und auf der Leiter stand eine junge Frau, stand fast auf den Zehenspitzen und reckte sich, um an die obere Schubreihe zu gelangen.
Sie trug einen kurzen weißen Kittel und blaue enge Jeans, Jeans, die ein paar Beine umschmeichelten, Beine, endlos lang, schlank und sich dann um einen reizenden Po spannten, ein Anblick, der auf mich so viel Erotik ausstrahlte, dass ich nur wortlos und gebannt schaute.
Wir brauchten ein paar Minuten um wieder zu Verstand zu kommen. Dann eilte ich um den Tresen herum, kletterte hinter ihr auf die Leiter, legte meinen Arm um ihre Hüften und fragte
„Kann ich ihnen behilflich sein, Fräulein?“
Sie erstarrte förmlich, holte tief Luft, rief laut um Hilfe und versetzte mir bei dem Versuch sich loszumachen einen Nasenstüber, der mich von der Leiter warf.
Ich konnte mich gerade noch fangen, stützte mich auf den Tresen und wusste nicht, ob ich zuerst meine blutige Nase oder mein blaues Auge bedauern sollte. Empört schimpfend stieg sie die Leiter herunter, drehte sich zu mir um und erschrak doch etwas, als sie mich sah.
„Was fällt ihnen ein, mich so zu überfallen. Wer sind sie überhaupt?“ Ihre Augen blitzten. „Warten sie, ich hole Taschentücher und etwas zum Blut stillen. Sie sehen ja schlimm aus. Setzen sie sich da hin.“
Ein älterer grauhaariger Herr mit buschigen schwarzen Augenbrauen betrat den Verkaufsraum durch einen Vorhang.
„Was ist denn los, Fräulein Doktor, haben sie um Hilfe gerufen, und wer sind diese Männer?“
wollte er mit seiner tiefen dunklen Stimme wissen.
Hannes erschrak und murmelte verlegen
„Wir sind die Praktikanten, Herr Pharmazierat, einen schönen Gruß von Professor Schmiedinger sollen wir ausrichten. Ich bin Johannes Hertling und der lädierte Bursche da heißt Peter Steinhartinger.“
„Was, Fräulein Doktor? Das ist ja eine schöne Ärztin, die ihre Patienten verprügelt, um sie dann wieder zusammenzuflicken!“, brachte ich hervor.
Mit blitzenden Augen funkelte Sie mir empört zu, zischte ein „Flegel“ und rauschte ab ins Hinterzimmer.
„Fräulein Doktor Brandner ist keine Ärztin. Sie hat letztes Jahr ihren Doktor in Pharmazie gemacht. Eva Brandner ist die Nichte meiner ersten Kraft, Frau Palfner.“
Der Pharmazierat lächelte.
„Aber jetzt an die Arbeit meine Herren. Herr Hertling, sie werden Fräulein Doktor Brandner zur Hand gehen. Sie, Herr Steinhartinger bleiben besser im Offizin, Frau Palfner wird sie einweisen.“
Hannes warf mir einen triumphierenden Blick zu und eilte nach hinten. Während ich mich seufzend in mein Schicksal fügte und auf Kundschaft wartete.
Die ganze Woche würdigte mich Frl. Dr. Brandner keines Blickes, obwohl ich meinen ganzen Charme ausspielte und mich bestimmt tausendmal entschuldigte. Aber alles half nichts. Hannes grinste immer unverschämter, er hatte mich anscheinend ausgestochen.
Heute früh hatte ich bei Blumen Winkler einen großen Strauß dunkelroter Rosen gekauft und war schon viertel vor acht in der Marktapotheke. Ich hatte mich bis über beide Ohren verliebt.
Die Blumen legte ich auf ihren Arbeitsplatz im Labor und schrieb "Von ihrem Verehrer" auf ein Blatt Papier. Den Zettel faltete ich zusammen und schob ihn in das Bukett.
Dann lümmelte ich mich am Tresen und täuschte geschäftiges arbeiten vor.
Fünf Minuten vor acht schwebte sie zur Tür herein, natürlich mal wieder ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich erwartete..., ja was erwartete ich eigentlich? Das sie mir um den Hals fallen würde, oder so ähnlich?
Kurz nach acht hastete Hannes zur Tür herein, er schaute mich kaum an und verschwand im Labor. Seit wir in der Apotheke waren, redeten wir kaum noch miteinander. Ehrlich gesagt, ich war stinksauer auf ihn, ich war eifersüchtig wie Othello.
Kurze Zeit später kam Frl. Brandner auf mich zu, zeigte mir die Blumen, meine Blumen und sagte zu mir
„Sind die Rosen nicht wunderschön. Die sind von Herrn Hertel. Ja, es gibt noch Kavaliere, nicht alle Männer sind solche Flegel.“
Dabei schaute sie mich an, wie man ein lästiges Insekt mustert.
Ich war sprachlos, jetzt hatte sich dieser hinterhältige Kerl auch noch mit meinen Rosen gebrüstet. Und so etwas nannte sich Freund. Wütend knallte ich das Arzneibuch auf den Tresen. Das war ja zum heulen.
„Was haben sie denn, Peter? Fühlen sie sich nicht gut, haben sie Kummer?“
Frau Palfner schaute mich mit schräggehaltenem Kopf an, ihre warme anteilvolle Stimme tat mir gut. Am liebsten hätte ich mich bei ihr ausgeheult. Sie war ein sehr mütterlicher, warmherziger Typ, und sie war ihre Tante.
„Ich glaube, ich habe mich hoffnungslos verliebt. Aber ich habe keine Chancen, sie schaut mich noch nicht einmal an“, klagte ich.
„In Eva, nicht wahr? Warum laden sie Eva nicht einmal zum tanzen ein. Eva tanzt leidenschaftlich gern. Ich glaube, sie mag sie auch. Warum sind sie nur so schüchtern?“
„Sie schaut mich ja nicht mal an“ murmelte ich.
„Ach, Unsinn. Sie wartet auf ihre Einladung.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 26.09.2013
ISBN: 978-3-7309-5151-4
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