Sie saßen am Küchentisch, irgendwo zwischen Frühstück und Mittagessen, und tauschten kurze, bedeutungsschwere Blicke aus. Die Mutter seufzte und Elisabeth schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht verstehen, warum sie und ihre Mutter nie tiefergehende Gespräche führten, so wie sie es mit ihrer Schwester Josi tat. Sie wünschte es sich doch so sehr. Aber außer darüber, was sie heute kochen könnten oder über Kleidung und Urlaubspläne fanden kaum Gespräche zwischen ihnen statt.
Plötzlich durchbrach Elisabeth die Stille. Sie gestand, dass sie sich ganz sicher fühlte, in einem früheren Leben eine Prinzessin gewesen zu sein. Sie wandte sich an ihre Mutter und fragte: “Aber das kann doch nicht sein, oder, Mama? So etwas gibt es doch nicht, oder? Sag doch etwas!” -
"Ja, Elisabeth, das kann ja sein." -
"Wirklich? Meinst du das ernst, kannst du dir vorstellen, dass man früher schon mal gelebt hat? Und schau nur, wie schmal meine Handgelenke sind, viel zu dünn, ich kann mit Daumen und Zeigefinger das Handgelenk komplett umschließen! Und dann auch das: Ich bin auch immer in allem so schrecklich überempfindlich und irgendwie so ete-petete, das muss ich ja zugeben!" Und wenn ich ein Glas oder eine Tasse in der Hand halte, dann spreize ich automatisch, ohne etwa das mit Absicht zu tun, den kleinen Finger zur Seite.
Die Mutter erklärte, dass Tante Maria ja auch immer wieder mal behauptet hatte, ihre Familie stamme aus Schweden und sei dort adlig gewesen, mit dem Namen Wenderoth.
Die Oma sei auch noch eine Adlige gewesen. Hier im Saarland habe sich der Adelstitel vielleicht ja verloren. Aber die Mutter wusste es nicht mit Sicherheit, weil Tante Maria gerne angab mit allem Möglichen.
Elisabeth war für einen Moment überglücklich. Endlich gab es ein gemeinsames Thema und ihr Gefühl, eine Prinzessin gewesen zu sein, schien nicht mehr so weit hergeholt. Bis eben dachte sie noch, sie würde sich das alles sowieso nur einbilden, aber jetzt war es anders geworden, vielleicht spürte sie ja auch nur jene Abstammung recht deutlich.
"Das wäre schön Mama, wenn es so wäre, man kann ja Ahnenforschung machen. Aber es ist so, dass ich wirklich gefühlsmäßig ganz sicher bin, dass ich eine Prinzessin war, aber ich weiß auch, dass man sich alles mögliche einbilden kann. Deshalb nervt es mich ziemlich, so unsicher zu sein und gleichzeitig so sicher." -
"Och jo, Elisabeth, es kann ja sein!"
Jetzt versuchte sie noch mehr sich selbst zu verstehen und auch ihrer Mutter näher zu beschreiben, wie es sich anfühlte. "Mama, es ist so, dass ich mich hundert Prozent so wie eine Adlige fühle, aber ich bin es ja nicht. Wir sind arme Leute. Deshalb bleibt nur die Möglichkeit, dass dieses Gefühl auf eine frühere Person in mir passt, so als würde ich selbst früher mal gelebt haben als Prinzessin oder dass eine meiner Vorfahren eine Prinzessin war und mir dieses Bewusstsein nun zu eigen wie weiter vererbt wurde. Anders kann ich es im Moment nicht beschreiben. Aber es ist ja auch egal, Mama, aber schön, dass ich mit dir einmal über meine eigensten Gefühle sprechen konnte und dass du mich nicht für verrückt hältst."
"Och Elisabeth." Stille kehrte kurz ein. Dann fing die Mutter mit einem Geheimnis, das sie noch nie jemandem erzählt hatte, an, so jedenfalls sagte sie es zu Elisabeth: "Du glaubst es kaum, und ich habe es auch noch nie jemandem erzählt, aber du erinnerst dich doch noch an unseren Tiggi, unseren kleinen schwarzen Hund im Häuschen. Und wenn der mich angeguckt hat, war mir jedes Mal so, als würde es meine Mutter sein. Es kam mir vor, als wäre meine Mutter in ihm wieder geboren und als wollte sie mir auf die Weise nahe sein."
Die Mutter schaute nun Elisabeth fragend an, schmunzelte und fragte dann: "Siehst du, auch du könntest mich jetzt glatt für verrückt geworden halten. Es gibt halt manchmal Dinge oder Gefühle zwischen Himmel und Erde..., ich glaube, dass es da irgendwas gibt, aber keiner weiß ja genau was." -
"Mama, ich sage dir dann jetzt auch den Namen von der Person, die ich glaube, früher einmal gewesen zu sein, aber wie gesagt, ich bilde mir das bestimmt nur ein, es war Sisi. Sie war später zwar eine Kaiserin geworden, aber zuerst war sie ja als Prinzessin geboren worden und mir ist es so, als sei ganz sicher ich sie damals gewesen." Das Gefühl in mir fühlt sich sooo vertraut an!"
Elisabeth wartete keine Antwort mehr ab und entfernte sich schnell aus der Küche. Sie wollte nichts dazwischen kommen lassen, zu sehr gut fühlte es sich an, wenn auch nur kurz, derart vertraut mit ihrer Mutter geworden zu sein.
Jahre waren vergangen und sie hatte es geschafft, solche dummen Gedanken aus ihrem Bewusstsein zu vertreiben. Vor allem verbot ihr ihre neue Religion, an Reinkarnation zu glauben. Mit 29 Jahren ließ sie sich taufen, und war vorher aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Zusammen mit ihrem damals 3-jährigen Sohn.
10 Jahre später heiratete sie einen Schreinermeister mit Auszeichnung als Landesbester. Dieser Mann sollte später nochmal eine besondere Rolle spielen! Und 7 Jahre danach war die befreiende Scheidung. Freunde sind sie dennoch einander weiterhin geblieben. Am Tag ihrer Scheidung gingen sie kurzerhand entschlossen zusammen noch einmal gefüllte Knödel mit Sauerkraut zu essen; mit Leberwurst gefüllte Knödel, lecker ohne Ende!
30 Jahre waren vergangen seit der Unterhaltung mit ihrer Mutter in der Küche über Reinkarnation und kein Gedanke mehr an ein früheres Prinzessinnenleben oder überhaupt an Reinkarnation war seitdem aufgekommen.
Sie tickte inzwischen auch recht wissenschaftlich und hatte 2007 damit begonnen, eine Hypothese über die Funktionsweise des Universums zu entwickeln. Es war ihr wichtig, ausschließlich verifizierte Fakten zu verwenden und keine Teilchen oder Funktionen zu erfinden, wie dies aber im Standardmodell gang und gäbe ist. Auch befasste sie sich mit der Kreiszahl Pi und fand weitere neue Konvergenzen, wie schon zuvor es auch ihr mathematisch hochbegabter Vater erreicht hatte. Als mathematisch hochbegabt wurde auch sie laut einem IQ-Test-Ergebnis befunden. Doch nicht nur in Mathematik!
Sie publizierte viel im Internet und tauschte sich mit sowohl Gleichgläubigen Usern in Youtube aus, als auch mit Gegnern ihrer Religion. Sie überzeugte einerseits mit wirklich sehr guten Argumenten, doch lernte andererseits auch nicht wenige neue Argumente kennen, die sie zuvor so noch nicht gekannt hatte. Sie schrieb hin und wieder auch Briefe an Politik und Fernsehsender und achtete aber stets darauf, keine Behauptungen und schon gar nicht politisch unkorrekte Äußerungen zu wahren. Es war ihr wichtig, sozial kompetent zu sein und ihr Anregungen und Vorschläge in diesem Sinn zu formulieren. Nicht selten bekam sie sogar persöniche Antworten, worüber sie sich jedes Mal sehr freute.
In dieser Zeit, 2010, lernte sie ebenfalls in Youtube ihren zweiten Mann kennen. Ca. ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters, im Januar 2009.
Ihr Mann, H.-W., veröffentlichte interessante Videos über die Supernova 1987 A und ihren Einfluss auf die Erde einschließlich auf die Hirnphysiologie der Menschen, was zu Likes führte unter seinen Videos, aber auch zu dummen provozierenden Sprüchen. Sie schrieb einen Kommentar unter einen solchen negativen Kommentar, womit sie den Videomacher, ihren künftigen Mann, quasi verteidigte, was er gut fand und bald bot er ihr an, zu telefonieren. Sie unterhielten sich Stunden lang am Telefon und sie kannte sein Gesicht nicht und wollte auch kein Foto sehen. Seine Stimme gefiel ihr so gut, dass sie sich fürchtete, sobald sie ein Foto von ihm sehen würde, könnte es ja so kommen, dass es ihr nicht gefallen könnte. Sie legte nämlich Wert auch aufs Aussehen und sie wollte sich nicht selbst einen Strich durch die Rechnung machen.
Bald kamen sie auf das Thema Heiraten zu sprechen. Es war eher zufällig, als er vorschlug, dass sie zusammenziehen könnten. Sie erinnerte ihn jedoch daran, dass ihre Religion dies ohne Ehe nicht gestatten würde. Dafür müsste sie verheiratet sein. Er antwortete sofort: "Dann heiraten wir!" - "Wie bitte? Das ist doch Spaß, gell?" - "Nein, das meine ich ganz Ernst! Ich habe mich in dich verliebt und fertig, jetzt ist es raus!"
Elisabeth gefiel seine forsche Art, frei raus und sie war schließlich auch in ihn verliebt, so dass sie kurzerhand "ja" sagte. Er lebte 500 km entfernt in Bielefeld. Sie schickte ihm eine Vollmacht für das Standesamt und bald darauf befand sie sich im Zug zu ihm. Am nächsten Tag sollte bereits die standesamtliche Trauung stattfinden. All das, ohne je ein Foto von ihm im Vorfeld gesehen zu haben. Sie hatten vorher schon miteinander vereinbart, dass sie, falls sie ihn bei der ersten Begegnung nicht sympathisch finden würde, sofort umkehren und nach Hause fahren könnte. Wenn aber okay, dann sollte am nächsten Tag der Termin auf dem Standesamt wahr genommen werden.
Am 11. Mai 2010 um 11:15 Uhr wurde geheiratet.
Zwei Jahre später, im Sommer 2012, kehrte das, was jahrzehntelang verschüttet und vergessen schien, mit voller Wucht zurück: Beim Aufräumen einer Küchen-Schublade fand sie eine messingfarbene Münzmanschette, auf der ein Kopf von der Seite abgebildet war. Sie schaute ihn sich näher an, sah eine Aufschrift mithilfe einer Lupe sich näher an, die daneben gelegen hatte und rief ihrem Mann zu: "Ich habe da etwas gefunden, wo Franz-Joseph drauf steht, aber der sieht ja genau aus wie du, was hat es denn damit auf sich?" - Ihr Mann rief zurück, er habe die Münze aus dem einfachen Grund damals mit noch einer zweiten auf dem Flohmarkt gekauft, weil der Name Franz drauf steht. Und Franz hieß für eine Zeitlang der leitende Aufseher der Zeugen Jehovas in Brooklyn, erklärte er ihr weiter.
"Achso!" antwortete sie und wiederholte noch immer äußerst erstaunt geblieben, dass dieser Mann ihm doch genau ähneln würde, ob ihr Mann das auch so sehe, wollte sie noch wissen. Ihr Mann aber, eher nebenbei und für ihren Geschmack etwas zu distanziert, meinte nur: "ja, kann schon sein!"
In diesem Moment fühlte sie sich ein ganzes Stück einsamer geworden und wusste nicht warum. So gerne hätte sie von ihrem Mann so etwas wie geteilte Begeisterung erfahren oder ein Nachfragen oder ein: "Zeig mal nochmal!"
Doch ihr Mann zeigte sich meist nüchtern und sehr freundlich, tolerant und geduldig! Was wollte sie also mehr? Oder was will man mehr, ging es ihr durch den Sinn. Von ihrer Einsamkeit, die aber nur kurz währte und die sie auch sonst nicht kannte, begab sie sich an den PC, dann ins Internet und dann auf die Suche nach dieser Münze. Sie fand sehr viele unter Google-Bilder und konnte sie sich nun genauer und in groß anschauen. Wieder wunderte sie sich über alle Maßen über die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Kaiser Franz Joseph und ihrem Ehemann.
Plötzlich wurde ihr etwas klar: Was, wenn ihr Gefühl von einst tatsächlich richtig gewesen wäre? Was, wenn sie selbst tatsächlich die Reinkarnation von Sisi und ihr Ehemann die von Franz Joseph wäre und das Schicksal sie beide wieder zueinander geführt haben würde, wieder als verheiratete Eheleute?
Der Gedanke ließ sie nun nicht mehr los. Sie kam auf die Idee, im Internet mehr über Elisabeth von Österreich zu recherchieren. Sie schrieb sich in ein entsprechendes Forum ein und las ein Buch über sie mit dem Titel "Aus den letzten Jahren der Kaiserin von Österreich. So viele Ähnlichkeiten mit ihr und ihren Eigenarten wie sie da vorfand, ließ sie immer wieder mit dem Kopf schütteln, eine Gänsehaut nach der anderen bekommen, Tränen über Tränen der Rührung und immer wieder sagte sie sich, es könne dennoch auch einfach nur alles Zufall sein, oder geistige oder Seelen-Verwandtschaft und bräuchte mit Reinkarnation gar nichts zu tun haben.
Die Nachricht von der Entdeckung verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Die Medien berichteten ausführlich darüber und die Menschen auf der ganzen Welt diskutierten leidenschaftlich über die Implikationen. Einige waren begeistert von der Möglichkeit, dass sie in einem früheren Leben eine historische Persönlichkeit gewesen sein könnten. Andere waren skeptisch und warnten vor den Gefahren, die mit solch einer bahnbrechenden Entdeckung einhergehen könnten.
In der Zwischenzeit arbeitete das Forscherteam unermüdlich daran, ihre Entdeckung weiter zu erforschen und zu validieren. Sie führten eine Reihe von Tests durch, um die Genauigkeit des Markers zu überprüfen und seine Fähigkeit, falsifizierbare Reinkarnationen zu bestimmen, zu bestätigen.
Elisabeth, die sich ihrer wissenschaftlichen Denkweise bewusst war und wusste, dass ihre Gefühle ihr einen Streich spielen könnten, war dennoch entschlossen, es wissen zu wollen. Sie schrieb sich in einem Sisi-Forum ein und teilte ihre Gedanken und Gefühle. Sie plante, sich als Kandidatin für die Tests zu bewerben. Sie hatte bereits ausgiebige Recherchen über die historische Elisabeth von Österreich durchgeführt und viele Parallelen zu ihrem eigenen Leben gefunden. Sie fühlte eine tiefe Verbindung zu der verstorbenen Kaiserin, konnte aber ihre eigene Unsicherheit nicht ablegen. Sie wollte diese Unsicherheit sogar beibehalten, denn die Wahrheit erachtete sie weitaus mehr wert, als nur schöne und vielleicht nur eingebildete Gefühle. Zudem zog sie, wenn auch nicht gerne, aber dennoch in Erwägung, dass es sich leider nur um eine Seelenverwandtschaft mit der Kaiserin handeln könnte.
Währenddessen begannen die politischen Auswirkungen der Entdeckung, sich zu zeigen. Die globale Gesinnung befand sich im Wandel. Das Phänomen der Eigenverantwortung und des Nachhaltigkeitsdenkens wurde auf ein neues Level gehoben. Doch nicht alle waren begeistert von dieser Entwicklung. Insbesondere in bestimmten Industrie- und Politikbereichen stieß die neue Denkweise auf Widerstand.
Die Geschichte nimmt eine dramatische Wendung, als das Forscherteam auf Elisabeths Beiträge im Forum stößt. Wird das Forscherteam in der Lage sein, ihre Theorie zu bestätigen? Und wie wird die Welt reagieren, wenn die Möglichkeit der Reinkarnation nicht mehr nur eine Theorie, sondern eine wissenschaftlich bestätigte Tatsache ist?
Cover: Lisa Sinnpflug
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2024
Alle Rechte vorbehalten