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Teile 1 bis 5

64

Bernis Erinnerungen

 

 

 

Teil I

 

 

Der Erstgeborene

 

Obwohl ich bei meiner Geburt im wahrsten Sinne des Wortes doch eigentlich dabei war, weiß ich bis heute selbst nichts über diesen für mich doch irgendwie entscheidenden Zeitpunkt.

 

Aus meiner Geburtsurkunde geht jedenfalls hervor, dass ich, der Sohn der Näherin Charlotte Gerda Weiss geborene Bahler und des Spitzendrehers Horst Konrad Weiss, am 28. September 1948 Uhr in Berlin in der Caprivistraße geboren wurde.

 

Da meine drei Geschwister Gela, Herbert und Tina später geboren wurden, bin ich bis zum Beweis des Gegenteils "der Erstgeborene".

 

Diesen Anspruch erhebe ich für die gesamte Weiss‘sche "Nachkriegssippe".

 

Neugierig und aufmerksam verfolgte die oben genannte Sippe meine frühkindliche Entwicklung.

 

Mit der zunehmenden Zahl der Enkelkinder meiner Großeltern sank diese mir gewidmete Aufmerksamkeit der Sippe und verteilte sich zunehmend gerechter auf meine Cousins und Cousinen.

 

Zur Zahl meiner Geschwister kamen die Kinder von Onkel Günther: Manfred und Sieglinde, von Tante Eva: Volkmar und von Tante Ingrid: Martina, Kerstin und Roman hinzu.

 

Da mit der Zeit alle Enkelkinder längst selbst wieder Kinder haben, existiert heute eine recht umfangreiche aber auch zum Teil recht entfernte Verwandtschaft.

 

 

Die Taufe

 

Vom nächsten wichtigsten Ereignis nach meiner Geburt - meiner Taufe - weiß ich aus eigener Erinnerung mal wieder nichts.

 

Aus Berichten anlässlich von Familienfeierlichkeiten gewann ich den Eindruck, dass es eine ganz normale Taufe in der Caprivi-Kirche mit Taufwasser und Taufpaten war.

 

Ich soll nur eins drauf gesetzt haben, da ich beim „Herumgereicht werden“ mit entblößtem Hintern "eigenes Taufwasser" verspritzt habe.

 

Als " Erstgeborener" genoss ich vom Tage meiner Geburt an die nahezu uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Weiss‘schen Großfamilie samt interessierter Nachbarn.

 

Resultat dieser erhöhten Aufmerksamkeit und intensiven Beschäftigung mit meiner kleinen Person war, dass ich einiges früher erlernen durfte, als es altersbedingt vielleicht normal gewesen wäre.

 

Zum Beispiel soll ich mit einem dreiviertel Jahr schon gelaufen sein, sehr früh gesprochen haben, Fußball gespielt, Skat...

 

 

Meine Mutter

 

Es fällt mir schwer, mich auf die ersten eigenen Erinnerungen an meine Mutter zu besinnen.

 

Als erstes fällt mir ihre sanfte Stimme ein, wenn sie meinen Namen rief, als ich noch gar nicht so richtig wusste, dass ich gemeint bin.

 

An viel Kritik kann ich mich in den ersten Lebensjahren nicht erinnern. Die gab es wohl erst später. Doch ich wusste von Anfang an, dass meine Mutter auch schimpfen konnte, wenn sie dazu in der Stimmung war.

 

Zum Glück hatte sie nicht vorwiegend meine kleine Person zum Anlass für Unwillensbekundungen.

Falls es doch schlimmer war, als ich mich heute erinnere, nun, dann habe ich es einfach vergessen.

 

 

Was sie mir zuerst beibrachte

 

Erwähnt wurde im Familienkreise, dass ich die hohe Kunst des gezielten Pullerns durch die Holzgitterstäbe meines Kinderbettchens recht früh beherrscht haben soll.

 

Damit reduzierte sich der Anteil meiner eigenen Nestbeschmutzung wahrscheinlich etwas.

 

Aber ich kann mich noch irgendwie erinnern, dass ich einmal in einem hochmodischen Schlafanzug aus einem Stück, der eigentlich am Hintern zu Knöpfen ging, in meinem Kinderbettchen stand, die Umrandung umklammerte und lautstark weinte.

 

Ich hoffte, dass mich doch jemand aus meiner misslichen Lage befreien möge.

 

Denn ich stand unschlüssig mit einem Fuß in einer selbst gefertigten braunen Wurst, die auch noch stank, und fühlte mich irgendwie schuldig.

 

Während meiner Kindergartenzeit ist mir später ein ähnliches Missgeschick passiert, das sich mir auch eingeprägt hat, da ich dann beim Abholen meinen feuchten Schlüpfer elegant in der Hand getragen habe.

 

Kurz und gut, man sollte nie vergessen, dass man mal als ganz kleiner Hosenscheißer angefangen hat.

 

 

Die Nähkünstlerin

 

Sie hatte es von der Pike auf gelernt und durfte sogar beruflich "im Akkord arbeiten".

 

Ich stellte mir damals etwas Geheimnisvolles darunter vor, dass sie "im Akkord arbeitete".

 

Für mich war ihre Nähkunst eine große Bereicherung meiner kleinen Person, da ich bei knapper Familienkasse und allgemeinem nachkriegsbedingten Stoffmangel sicher einer der am besten angezogenen Jungs der ganzen Umgebung war.

 

Man nannte mich aufgrund meiner tollen Garderobe daher schlicht und einfach: "den kleinen Ami".

 

Und es erfüllte meine Mutter schon mit einigem Stolz, wenn sich die Leute nach uns umsahen: "Seht Ihr! Da geht er wieder. Der kleine Ami!".

 

Meine Sachen waren nicht nur nach eigenen hochmodischen Schnittmustern oder Ideen meiner Mutter genäht, sondern hatten leider auch die Eigenschaften, "sauber und ordentlich aussehen" zu erfüllen.

 

Letzteres bedeutete insbesondere bei langen Hosen, dass da eine sichtbare Bügelfalte drin sein musste, dass die langen Strümpfe ordentlich an den Strumpfbändern befestigt waren, alle Knöpfe zählbar an Jacken und Hemden fest dran sein mussten usw.

 

Über weiße Strümpfe, die nicht nur dem Namen nach weiß sein sondern es auch bleiben sollten, nachdem ich sie angezogen hatte, will ich mich gar nicht erst weiter äußern.

 

In jedem Falle sind ganze und saubere Sachen unvereinbar mit den Begriffen "draußen Spielen und Toben".

 

Wobei "draußen Spielen und Toben" für viele Jahre den eigentlichen Sinn meines jungen Lebens ausmachten, und ich erstaunlicherweise weder beim Spielen noch beim Toben irgendwelche Ermüdungserscheinungen erlebte.

 

Wenn ich mich heute etwas im Garten bewege oder gar sportlich betätige, sieht die Welt schon ganz anders aus.

 

Ja, also an entsprechende Rückfragen meiner Mutter über den merkwürdigen Zustand meiner Kleidung nach den Sinn erfüllenden Tätigkeiten "draußen Spielen und Toben", das war meist ein und dasselbe, kann ich mich auch irgendwie erinnern.

 

Ich machte dann nicht die beste Figur, und es half auch kein Zupfen, Geraderücken und Ausklopfen der Sachen vor der Wohnungstür.

 

Einen Schritt über die Türschwelle und die ganze Wahrheit spiegelte sich im Gesicht meiner Mutter wieder, da sie ja den Unterschied in meinem Aussehen vor dem Spielen und hinterher erkannte.

 

Die erste Hilfe bestand erst einmal im "Hände und Gesicht waschen!", was sowieso vor dem Essen fällig war.

 

 

Die Wäscherin

 

Nähen und Wäschewaschen waren zwei Elemente aus den Tätigkeiten meiner Mutter, die von klein auf mein Leben beeinflussten, da sich für mich davon abgeleitet solche Anforderungen ergaben, wie: "Sieh Dich vor! Sau Dich nicht so ein! Achte auf deine Sachen! Lass sie nicht herumliegen! Hosen legt man ordentlich auf Bügelfalte über den Stuhl! "

 

Negativ formuliert wird die ganze Dramatik der resultierenden Gegensätze, die sich von ordentlicher Kleidung und dem wahren Leben ableiten, sichtbar: "Wo hast Du Dich bloß wieder herumgetrieben? Wie kann man sich so einsauen? Da tut man alles für Dich, und was machst Du? Ich kann mich ja tot waschen, was kümmert es Dich? Wie soll ich das Loch wieder zukriegen?

 

Aber alle wertvollen Hinweise, Ratschläge, Vorhaltungen, Strafandrohungen meiner Mutter blieben nur in meinem Kopf bis die Wohnungstür ins Schloss fiel und ich meinen Spielplätzen und Spielkameraden entgegen flog.

 

Schon an der ersten Hausecke schwebte ich auf Flügeln und meiner kleinen Brust entflogen unterdrückte Jauchzer. Solch ein Hochgefühl durchlebte ich, wenn ich meine bescheidenen häuslichen Pflichten, so gut es ging, erfüllt und meiner Mutter die Erlaubnis abgerungen hatte: "So Bernd, nun kannst Du runter ". Oder einfach: "Du kannst rausgehen und spielen."

 

Dieser Satz bedeutete jedes Mal Freiheit, hohes Vergnügen, Spielkameraden, Abenteuer..., eben alles das, was eine Wohnung nicht ausreichend bieten konnte. Auch mein Schwesterchen, das ich später regelmäßig an der Hand mitführen durfte, konnte mir dieses Freudengefühl nicht nehmen. "Ja, Du kannst nun rausgehen spielen. Aber nur, wenn Du Gela mitnimmst!"

 

Doch dies kam erst später in der Revaler Straße.

 

 

Die Großfamilie

 

Es war ein sehr wechselvolles und aufregendes Leben in der Dannecker Straße, das sich wie von selbst einstellt, wenn mehrere Familien zusammen in einer, wenn auch großen Wohnung zusammenleben.

 

So lebten wir gemeinsam mit meinen Großeltern väterlicherseits und den drei Geschwistern meines Vaters Ingrid, Eva und Günther und deren sich entwickelnden Familienangehörigen in dieser für mich riesigen Fünfraumwohnung.

 

Alle versuchten mir die wichtigen Dinge, die man fürs Leben so braucht, rechtzeitig beizubringen.

 

Da es auch noch viele Jahre später bei uns zu Hause keinen Fernsehapparat gab, war ich allen ein begeisterter Schüler, der es aber auch früh lernte allein zu spielen und es in Muße genoss, wenn auch einmal niemand Zeit hatte, sich um mich zu kümmern.

 

Dann saß ich schon mal ganz allein, von einer misstrauischen Katze beobachtet, auf dem Fußboden auf einem alten Teppich und spielte meine Spiele.

 

Eines meiner Erfolgsspiele war Skat mit zwei nichtvorhandenen Mitspielern. Meist gewann ich sogar, da ich ja den Mitspielern in die Karten sehen durfte und für sie ausspielen musste.

Dann hieß es auch schon mal: "Bernd spielt. Nun lasst ihn man schön in Ruhe!“

 

Und es hatte schon ab und zu mal niemand für mich Zeit, da alle doch auch sehr mit sich selbst zu tun hatten.

 

Doch ich verstand die großen wichtigen Geschäftigkeiten der Erwachsenen noch nicht und lebte in meiner kleinen heilen Welt.

 

Ich saß gern auf den Knien des Großvaters oder "half" der Großmutter bei ihrer umfangreichen Hausarbeit, indem ich sie intensiv beobachtete und über ihre Tätigkeiten befragte.

 

 

Erwachsene feiern, Kinder spielen

 

Bei den Familienfeiern in der großelterlichen Wohnung in der Danneker Straße war ich einige Jahre der Chef einer beständig anwachsenden Gruppe von Cousinen und Cousins, die mir bereitwillig folgte bei unseren wüsten Tobereien, während die Erwachsenen gehörig feierten.

 

Ein lautstarkes begeisterndes Spiel war das Fußballspielen auf dem etwa 11 Meter langen Korridor. Zum Glück befand sich keine Wohnung unter unserem "Fußballplatz", sondern ein Friseurgeschäft.

 

Für viel Aufregung sorgte auch unser großes Versteckspiel in allen Räumen, ausgenommen das Wohnzimmer, in welchem die Erwachsenen feierten. Natürlich wurde das Licht ausgedreht beim Versteckspiel. Es gab tolle Verstecke. Mein Lieblingsversteck war unter einem Haufen Wäsche in der Wäschekammer.

 

Ich weiß nicht mehr, wer lauter war: wir oder die Erwachsenen?

 

 

Ab in den Betriebskindergarten

 

Da meine Mutter arbeitete, durfte ich mit Vati mit in den Betriebskindergarten des VEB Vergaser Werke.

 

Er arbeitete nicht nur dort, sondern bastelte auch die tollsten Spielsachen für mich. Ich denke da schon an mein elegantes Dreirad, an einen Holzroller mit Kugellagern als Räder, Rennautos, kleine "Schusswaffen", ...

 

Beeindruckend war es dann, als ich vor ihm auf einem Kindersitz den Kilometerzähler seines Fahrrades beobachten konnte und ihn anfeuerte, wenn er auf dem Weg zur Arbeit auf Kopfsteinpflaster die S-Bahnbrücke überfuhr und es bergab ging: "Schneller! Fahr doch schneller, Vati!"

 

Aber ich war nicht nur im Kindergarten sondern zeitweise auch bei der Großmutter mütterlicherseits, bei Oma Bertko zur Betreuung.

 

 

Oma Bertko

 

Das Temperament von Oma Bertko war eher ruhig als aufregend. Für ihre Aufregung war ich mitverantwortlich, wenn Mutti mich dort "in Pflege" gab und später wieder abholte.

 

Mit zu Oma Bertko gehörte Onkel Paul, der ein gewaltiger Raucher war und ansonsten wie alle Erwachsenen auch mit mir spielen wollte. Einmal brachte er sogar eine lebende weiße Maus mit, die er in der Küche laufen ließ. Das war schon was.

 

Er oder Oma Bertko soll einmal vor vielen Jahren im Erregungszustand einmal ein Kissen nach meinem Mütterchen geworfen haben, als diese noch ein junges Mädchen war. Das Kissen flog jedoch aus dem geöffneten Fenster und landete nach freiem Fall aus der vierten Etage auf einer Straßenlaterne vor der Haustür.

 

Auch ich verstand es zeitweilig, den Blutdruck der Oma auf 180 zu bringen.

 

Ich erinnere mich, dass sie mich bestrafen wollte und wir ein Wettrennen um den Tisch veranstalteten, welches sie gewann. Ich hatte im Kindergarten neue Worte gelernt, von denen ich wohl gerade bei ihr deren Wirkung ausprobieren wollte. Jedenfalls hatte ich sie "Olle Sau!" genannt und musste dann laufen.

 

Dieses und andere Erlebnisse, die doch auf Mängel meiner Erziehung schließen ließen, wurden dann auch noch mit meinem Mütterchen ausgewertet.

 

Ansonsten war es eher eine langweilige Zeit, wenn die Oma mich zur Beaufsichtigung hatte.

 

Interessant waren dann schon mal Zeitschriften von Westberliner Seite wie die "Hör Zu". Hier interessierten mich besonders die Karikaturen und die Comic-Serien. Ich erinnere mich noch an "Mäckys Abenteuer", an "Reinhold, das Nashorn" und an den Mann mit dem großen Sombrero, der auf einem aufgeblasenen Gummipferd ritt und mehr ein Cowboy war.

 

Das groß verkündete Ziel von Oma Bertko war, dass ich es einmal besser haben sollte. Dies war in erster Hinsicht materiell gedacht, denn sie sparte für mich Geld. Jeden Tag, das führte sie mir demonstrativ vor, wenn ich bei ihr war, steckte sie ein 10 Pfennigstück für mich in ein Glas.

Ein 10 Pfennigstück echtes Westgeld. Das war schon was! Ja, was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich zu meinem 18. Geburtstag das angesparte Westgeld von Oma Bertko bekommen hätte. Aber sie hat es wohl später selbst dringender gebraucht als ich.

 

Nach dem Tode von Onkel Paul, verzog sie von der Straße Am Wrietzener Bahnhof nach Westberlin.

 

 

Jacky

 

In Erinnerung ist mir ihre Liebe zu ihrem Wellensittich.

 

Da sie doch öfter allein war, denn Onkel Paul arbeitete in Westberlin als Heizer, gab sie sich viel Mühe bei der Sprecherziehung ihres kleinen Lieblings, der natürlich auch Sprechfutter aus dem Westen bekam. In der Regel hießen ihre Wellensittiche Jacky. Wichtige Sprechleistungen von Jacky, die Oma dann auch gern vorführte wie ein kleines Zirkusprogramm, waren zum Beispiel: "Drecksack! Drecksack! oder der aussagefähige, komplizierte und sicher nicht leicht beizubringende Satz: "Vati hat auf den Tisch gekackt!" Aber es gab auch mildere Äußerungen aus dem Schnabel ihres Wellensittichs, wie: "Süßer!" und "Schenk Küsschen!", "Ddzz, ddzz, ddzzö!" oder "Wo ist denn die Mutti?"

 

Jedenfalls durfte ich später aufgrund meiner bei Oma Bertko erworbenen Kenntnisse im Umgang mit Wellensittichen selbst einen haben. Letzterer war jedoch später in der Jungstraße dem Brüderchen im Wege.

 

 

Meine kleinen Unfälle

 

Bei Weissens wurde in den fünfziger Jahren, wie zu dieser Zeit weit verbreitet und üblich, jedes Fest ausgiebig gefeiert.

 

Jedenfalls muss ich an diesem Tage anlässlich einer größeren Familienfeier unter dem Tisch, an welchem es sich die lärmende Gästeschar gut gehen ließ, noch auf allen Vieren herumgekrochen sein. Kurz und gut, ich war noch recht klein. Sicher war dies ein kleiner Rückfall von meinen vorzeitigen "Laufkünsten" her. Es spricht auch für die ausgelassene Stimmung bei unseren familiären alkoholisierten Feierlichkeiten, dass sich sogar ein "ausgewachsener Kleiderbügel" in meiner Krabbelrichtung unter der Festtafel befand. Irgendwie brachte ich es fertig, mir besagten Kleiderbügel in mein linkes Auge einzuhängen. Sicher, ohne es wirklich gewollt zu haben.

 

Als ich so weit gekommen war, lenkte ich durch Schmerzensschreie die Aufmerksamkeit der über mir sitzenden Erwachsenen auf mich. Die Situation wirkte sicher ernüchternd. Jedenfalls nahm mein Vater den Bügel wieder heraus, was zweifelsfrei eine bemerkenswerte Leistung war. Ein kleiner brauner Fleck in meiner linken Iris zeugt noch heute von diesem kleinen Unfall. Selbstverständlich war dies nicht der erste und der letzte Unfall.

 

Nachfolgend erinnere ich mich noch an meine Auseinandersetzung mit der Hauskatze, der ich gelegentlich am Schwanze zog, was sie eigentlich nie so recht mochte. Sie revanchierte sich mit einer noch heute deutlich sichtbaren Narbe an meiner linken Schläfe, dicht neben dem braunen Fleck der Iris.

 

Glück hatte ich trotz alledem, als ich ein anderes Mal an der Zierstange des großmütterlichen Gaskochers wie an einem Reck schaukelte und das kochende Kartoffelwasser über den rechten Arm abbekam. Mein Vater "rettete" mich diesmal mit einer intensiven Mehlbestäubung, die so schnell nicht wieder abging. Erstaunlicherweise verheilte alles rückstandslos.

 

Eine meiner Spezialitäten waren die Kopfverletzungen, die ich mir zuzog, wenn ich im Laufschritt scharf an der Hauswand unter Briefkästen hindurch eilte. Es dauerte einige Male, bis ich mitbekam, dass ich nun so groß geworden war, dass ich nicht mehr so ohne weiteres unter einen Briefkasten hindurch passte.

 

 

Frühe Einkaufskünste

 

Besonders erwähnt wurden im Familienkreise meine "frühen Einkaufskünste". Da ich frühzeitig Laufen und Sprechen gelernt hatte, hielt es meine Mutter offensichtlich für angebracht, mir kaufmännische Erfahrungen angedeihen zu lassen. Als ich groß genug war, unsere Aluminiummilchkanne zu tragen, ohne dass sie beim Laufen auf den Boden stieß, hielt sie die rechte Zeit für gekommen, mich regelmäßig zum Milch holen zu schicken. Ich trank ja sowieso die meiste Milch davon.

 

Im Lebensmittelladen ganz in der Nähe war es gewöhnlich gerammelt voll. Eine Menschenschlange stand geduldig wartend und dabei gewaltig tratschend im Geschäft. Mit meinem Eintreten erklang die Ladenglocke und meine piepsige, aber laute Stimme: " Ein Liter Milch bitte!" Den ganzen langen Weg hatte ich mir diesen wichtigen Satz eingeprägt, indem ich ihn beim Hüpfen und Laufen vor mir hergesagt hatte.

 

Nun konnte nichts mehr schief gehen. Ich war am richtigen Ort, hatte den Satz gesagt, zwängte mich an den vielen Beinen vorbei bis ganz nach vorn und wurde auch prompt bedient. Aus einem großen Glas gab es meist noch einen Bonbon als Belohnung für meine piepsige Mitteilung und dafür, dass ich das in Papier eingewickelte Milchgeld so hoch wie möglich hielt. Heute habe ich den leisen Verdacht, dass auf dem Papier zur Sicherheit immer gestanden hatte: Bitte einen Liter Milch.

 

Nach und nach lernte ich längere Einkaufslisten auf die bereits erwähnte Art auswendig. Jedoch werde ich eines Tages wohl auch gelernt haben, dass man sich anstellen muss und wartet bis man dran ist, was ich dann meiner Mutter auch noch ausgiebig beweisen konnte.

 

Als wir längst in der Revaler Straße wohnten, durfte ich bereits mehr als Milch einkaufen. Wichtig war die Einkaufsliste, die ich langsam selbst entziffern konnte. Hüpfend und springend lernte ich unterwegs meine kleine Liste auswendig: 1 halbes Brot, 2 Zuckerschnecken, 250 Gramm Butter vom Fass, 150 Gramm Leberwurst, 1 Tüte Mehl, 6 Eier...

Ich zog von Laden zu Laden, bis ich alles beisammen hatte. „Immer auf das Einkaufsgeld achten! Lass Dich nicht beschummeln!“

 

Obwohl alles relativ billig war, hatten wir nie zu viel Geld.

 

Manches Mal schickte mich die Mutter zum "Tick Tack Opa", wie der Urgroßvater mir zuliebe umbenannt wurde, als ich noch beim Sprechen lernen war. Dann durfte ich kurz vor Ultimo etwas Geld leihen, damit es bis zum Zahltag reichte.

 

Manchmal blieb am Ende einer Einkaufstour noch ein wenig Geld übrig. Für fünf Pfennige gab es bereits eine Zuckerstange, für zehn eine Zuckerwaffel...

 

Für Süßigkeiten war ich sogar zum Betrug bereit.

 

Einer älteren Verkäuferin in einem Geschäft für Süßigkeiten drehte ich einen bereits ungültig gewordenen Fünfmarkschein an. Leider bemerkte sie später meinen Betrug und forderte mich auf, meiner Mutter zu sagen, dass sie mir fünf Mark mitgeben soll, um meinen Fehler wieder gut zu machen. Ich jedoch zog es vor, künftig das Geschäft der alten Frau zu meiden.

 

Ein Nebeneffekt meiner häufigen Einkaufsgänge war, dass sich meine Handschrift wesentlich verbesserte. Die einfache Erklärung dieses Zusammenhanges ist, dass meine Mutter als Gegenleistung für meine Einkaufsbemühungen häufig meine Schulaufgaben machte.

 

Mein Problem war nur, im Unterricht ähnlich gut zu schreiben wie meine Mutter. Sonst wäre Frau Behschnitt, meiner Lehrerin, noch aufgefallen, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Eine Eins in Schönschrift krönte die Schreib-Einkauf-Symbiose mit meiner Mutter. Wenn auch meine Schrift bis in die heutige Zeit noch einigermaßen lesbar ist, so haben sich meine kaufmännischen Fähigkeiten nicht besonders entwickelt.

 

Es widerspricht meiner Mentalität, irgendetwas mit Gewinn verkaufen zu können.

Beim Einkaufen bin ich auch kein guter Geschäftsmann geworden.

 

 

5 Jahre alt

 

Es war für mich eine meiner größten Leistungen, die ich bisher vollbracht hatte. Aber dies war auch nicht weiter verwunderlich, denn ich hatte heute meinen fünften Geburtstag und war nun ja schon fast erwachsen. Es kostete mich ungemeine Mühe und noch nie war es mir allein gelungen, mir mein Laibchen selbst anzuziehen und alle Knöpfe auf meinem Rücken in die zugehörigen Knopflöcher zu fummeln.

 

Doch nun hatte ich es geschafft. Stolz und leise, um die Eltern nicht zu wecken, "befestigte" ich nun die Strümpfe an den Spangen meines Laibchens, zog meine kurzen Hosen an, und schlich aus dem, Wohnraum meiner Eltern hinaus auf den Korridor und schloss dann immer noch leise und vorsichtig die Wohnungstür. Draußen war es schon hell und die Haustür war unverschlossen. Mich zog es auf den Rudolfplatz und dort in meinen geliebten Sandkasten.

 

So früh wie heute war ich noch nie aufgestanden, und ich freute mich besonders darüber, dass ich noch ganz allein im Sandkasten buddeln konnte, bevor die anderen Kinder kamen.

 

 

Oma Lotte

 

Oma Lotte war eine unerhört fleißige Frau, die ständig zu tun hatte den riesigen Haushalt zu führen.

 

Besonders eingeprägt hat sich mir, dass sie viel Aufwand trieb, um auf den Knien rutschend die Dielen mit dem Scheuerlappen zu wischen.

 

Wir hatten auch gemeinsame Erlebnisse.

 

So "verlor" sie mich einmal, als sie wohl längere Zeit in einer Warteschlange nach Lebensmittelkarten anstehen musste.

Jedoch fand man mich wieder und holte mich vom Polizeirevier wieder ab, wo ich mit den Beamten auf dem Flur gerade beim Fußballspielen war.

 

Wenn sie auch immer viel im Haushalt zu tun hatte, war sie doch immer freundlich zu mir und neigte dazu, mich etwas zu verwöhnen.

 

Die Großmutter hatte als Trümmerfrau gelegentlich interessante Funde, wie zum Beispiel ein Stück Kupferrohr, welches sie dann in Westberlin für gutes Geld beim Schrotthändler verkaufen konnte. Es war für mich schon eine beeindruckende Sache, an ihrer Hand den Grenzübergang Oberbaumbrücke zu passieren und an ihrem Schmuggelerfolg in Form von Storck Riesen Sahnebonbons teilzuhaben.

 

Allerdings haben ihre abendlichen Betthupferl in Form der "Westbonbons" sich nicht günstig für meine Zähne ausgewirkt.

 

 

Opa Konrad

 

Vom Großvater weiß ich nicht sehr viel. Jedenfalls soll er meinem Vater ebenfalls Maulschellen gegeben haben, wenn dieser mir vorher welche verabreicht hatte. Soviel "ausgleichende Gerechtigkeit" fand ich schon enorm. Ansonsten hatte er einen Krückstock, soll aber trotzdem noch über einen Tisch springen gekonnt haben.

 

Bei ihm saß ich beim regelmäßigen sonntäglichen Skatspiel in der Gaststätte Jocks am liebsten auf einem seiner Knie, wenn er versuchte seinen beiden Söhnen ein paar von ihren sauer verdienten Pfennigen abzuluchsen.

 

 

Wir ziehen um

 

Wir ziehen um. "Bernd, Du bist so lieb und gehst herunter in den Park. Spiel dort schön im Sandkasten!" Bernd ist so lieb. Er sitzt im Sandkasten und baut eine "Murmelburg". Schnell findet sich ein Spielkamerad und im Nu vergeht die Zeit beim Murmelrollen. Sorgfältig muss die Murmelbahn fingertief immer wieder repariert werden. Eine besondere Attraktion ist der kleine Tunnel, durch den die Murmeln hindurch rollen müssen, ohne stecken zu bleiben. Schließlich einigt man sich auf ein neues Spiel. Eine "Schiffsschlacht" beginnt. Etwa schuhgroße Sandboote werden mit einem Stein immer abwechselnd beworfen, bis das letzte Boot nicht mehr zu erkennen ist. Eine Schiffsschlacht folgt der anderen.

 

Die Eltern haben längst alles Hab und Gut auf einem Hänger verstaut, der von einem Pferd gezogen wird. Auf halbem Weg zur neuen Wohnung in der Schreiner Straße stellen sie doch noch fest, dass sie etwas vergessen haben.

 

Ich werde aus dem Sandkasten geholt und ziehe auch mit um.

 

 

Wohnungsträume

 

Der größte Wunsch meiner Mutter schien dann bald nach der Ankunft meines Schwesterchens die Gründung eines eigenen Haushaltes fern von der Dannecker Straße zu sein.

 

So zogen wir dann 1954 in die Schreiner Straße um.

 

Doch währte dieser Aufenthalt nur ein Jahr, und wir zogen in die Revaler Straße.

 

Von dort verschlug es uns nach fünf Jahren in die Modersohn Straße.

 

Aber schon 1963 zogen wir in die Jungstraße, wo wir bald einen 6-Personenhaushalt bildeten.

 

1973 verabschiedete ich mich dann von der elterlichen Wohnung, und ein Jahr später bekamen meine Eltern dann schließlich ihre erste Traumwohnung in der Neustrelitzer Straße und später in der Mehrower Allee.

 

Da sieht man, wie oft sich ein starker Wunsch nach einem eigenen und ausreichenden Haushalt für meine Mutter stets neu erfüllte.

 

Ich denke schon, dass sie es sich durch ein arbeitsreiches Leben verdient hatten, in einer schönen Wohnung in der Mehrower Allee und in einer ansprechenden Umgebung ihren Lebensabend zu verbringen, was sie auch viele Jahre miteinander taten.

 

Teil II

 

 

Schreiner Straße

 

Nun wohnten wir in der Schreiner Straße irgendwie auf dem Hinterhof.

 

Es war wohl die erste eigene Wohnung meiner Eltern und meine Mutter schien besonders froh darüber zu sein, dass meines Vaters Schwester Ingrid nicht mehr heimlich die guten Pullover aus ihrem Schrank "ausleihen" konnte.

 

Kurz und gut, sie konnte nun ihre eigene Ordnung entwickeln.

 

In Erinnerung ist mir, dass mein Vater versuchte, mir einiges beizubringen.

 

So durfte ich an einer Hauswand vor einem aufgemalten Tor stehen und seine Bälle abwehren.

 

Im Winter lernte ich, vor ihm auf einem abenteuerlichen Schlitten "Marke Eis-Ente" zu sitzen und eine "bergige" Nebenstraße herunter zu rodeln.

 

Über diese Zeit weiß ich recht wenig.

 

Das Spannende an unserer neuen Wohngegend waren die Ruinen, von denen eine sogar richtig weggesprengt wurde und in deren Umfeld sich tolle Abenteuerspielplätze befanden.

 

Ständig wurden irgendwelche Trümmer in der Umgebung weggeräumt, Loren mit Bauschutt geschoben, Ziegelsteine sauber geklopft. Die Trümmerfrauen hatten damals noch einiges zu tun, und wir spielten gern in Nähe der Loren, mit denen die abgeklopften Ziegel und der Bauschutt auf kleinen Schienen hin- und hergefahren wurden. Ein älterer Junge verletzte sich dabei einmal schwer am Fuß, als wir eine Lore bewegten. Ich konnte damals schon kein Blut sehen und schon gar nicht mein eigenes. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

 

Meine Spielkameraden waren alle etwas älter als ich und wie meine Mutter meinte, wohl auch nicht der richtige Umgang für mich.

 

Dies verbesserte sich dann mit unserem Umzug 1955 in die Revaler Straße. Dort bekam ich sogar ein eigenes kleines Zimmer und kam auch bald in die Schule.

 

 

Meine Schwester Gela

 

Mein Schwesterchen kam zur Welt. Sie hieß "Zumpel", obwohl ich mir eigentlich eine Gela gewünscht hatte, so eine, wie ich sie aus dem Betriebskindergarten kannte.

 

Ich erinnere mich, dass Gela in ihrem modischen Kinderwagen saß und gern etwas in der Hand hielt, das man in den Mund stecken konnte. Sie hatte wohl zu dieser Zeit einen gesunden Appetit und war ein besonders liebes Schwesterchen, wenn sie einen Kanten Brot belutschen und beknabbern konnte. Bei solcher Lieblingsbeschäftigung wurde sie dann wohl etwas füllig, nicht nur im Gesicht.

 

Dies brachte ihr dann auch bald den Kosenamen "Zumpel" ein, der in späteren Jahren durch "Eule" abgelöst wurde, da sie in ihrem großen Bewegungsdrang sich ihren Babyspeck schnell ablief. Für den Kosenamen "Eule" trägt wahrscheinlich das Väterchen die Verantwortung, der mich auch gern "Jumbo" oder "Hacky" betitelte.

 

Nun wurde es wieder Zeit für uns umzuziehen.

 

Scheinbar zogen wir jedes Mal um, wenn wir einer mehr wurden und die Wohnung zu klein wurde, beziehungsweise meine Eltern einen triftigen Grund hatten ,das Wohnungsamt von der Dringlichkeit ihres Wohnungsantrages zu überzeugen. Dass ich in der Schreiner Straße scheinbar "schlechten" Umgang mit Nachbarskindern hatte und über Doktorspiele fast von meinen Spielkameraden, unter denen natürlich auch Mädchen waren, vorzeitig aufgeklärt worden wäre, könnte den Umzugswillen meiner Eltern noch bekräftigt haben.

 

Dieses Mal wurde niemand beim Umzug vergessen, und ich bekam in der "neuen" Wohnung in der Revaler Straße sogar ein kleines Zimmer für mich.

 

 

Die Revaler Straße

 

Wir hatten nun eine Wohnung Parterre wie in der Schreiner Straße aber nun zum Vorderhaus und nicht mehr auf dem Hinterhof. Sie hatte auch mehr Platz, denn das Wohnzimmer war gewaltig groß und wir hatten kaum genug Möbel. um es auszufüllen. Rechts vor unserem Haus in der Revaler Straße war ein großer freier Platz, den man auch nach Überklettern der Hofmauer erreichen konnte.

 

Später standen auf diesem Platz LKW-Anhänger eines Fuhrunternehmens, auf denen man herrlich herum klettern und herumtoben konnte. Besonderen Spaß machte das Toben natürlich oben auf den Planen der Pritschenwagen. Verstecken spielen und Fangen waren echte Spielhits für Peter, Ralf, Jürgen, die ganze Meute und mich. Wir kannten keine Gefahr. Wie gefährlich unsere Spiele waren, merkte ich dann doch noch, als ich beim herunter springen mit dem Fuß an der Ladeklappe eines LKW-Anhängers hängen blieb und, wie früh gelernt, die Arme beim Fallen nach hinten hielt.

 

Aber ich war leicht, und außer dem erschütternden Anblick meines eigenen Blutes, einer dicken Lippe und lockeren Vorderzähnen war es noch einmal glimpflich abgelaufen. Leider konnte ich den Vorfall nicht vor meiner Mutter verheimlichen. Es folgte eine intensive Auswertung und nachfolgend ein strenges Verbot für mich, bloß nicht noch einmal auf diese LKW-Hänger zu klettern. Was tut man nicht alles, als folgsamer Sohn? Doch dieser Abenteuerspielplatz war zu dicht bei unserer Wohnung, so dass mein Treiben kontrollierbar war.

 

Zum Glück gab es noch mehr interessante Abenteuerspielplätze, zu denen vor allem die Hinterhöfe der umliegenden Häuser und riesige Trümmerberge gehörten. Auch die S-Bahnanlagen an der Warschauer Brücke waren nicht weit entfernt.

 

 

Ein eigenes Zimmer

 

Es begann eine große Zeit des Spielens für mich in diesem für mich "riesigen" Zimmer.

 

Rings herum gab es auch die tollsten Abenteuerspielplätze zu entdecken: Gewaltige Trümmerberge zwischen der Marchlewski und der Helsingforser Straße, an deren Ende sich auch meine spätere Schule befand, viele freie, schon von Trümmern geräumte Plätze, Ruinen,...

 

Aber es gab auch noch erhalten gebliebene Straßenzüge mit interessanten Hinterhöfen. Und es gab jede Menge Spielkameraden. Bei uns im Haus wohnten Ralf und Peter. Bald hatte ich auch noch das Schwesterchen "mitzuschleppen", wenn es zum Spielen raus ging. Ja, sie wuchs heran, lernte laufen, sprechen und wollte unbedingt immer öfter mit kommen, wenn ich mit meinen Freunden draußen spielen wollte.

 

Meine Freunde waren von meiner "Begleitung" nicht immer begeistert. Aber ohne sie hätte mich meine Mutter dann auch nicht nach draußen zum Spielen gelassen. Sie hatte einen ausgeprägten eigenen Willen, der sich insbesondere dann zeigte, wenn sie wieder herein sollte. Dann konnte ich sie öfter ziehen oder fast tragen. Dieser meiner Schwester eigene Wille übertrug sich auch auf mir zugeteilte Süßigkeiten, besonders in der Weihnachtszeit. Aber sie verstand es auch gut, sich mit anderen Kindern anzulegen. Nach dem Motto: "Das sage ich meinem großen Bruder! Der verkloppt Dich dann!"

 

Ich hatte dann auch meist mehr Angst als Vaterlandsliebe, wenn ich die von ihr angezettelten Streitigkeiten austragen sollte, denn ernsthafte Prügeleien waren eine Seltenheit für mich.

 

 

Rauchen macht den Mann

 

Es war alles irgendwie recht aufregend. Wir waren mehrere. Auf jeden Fall waren Peter mit dabei und vielleicht noch Ralf. Alle hockten wir in der kleinen Baugrube an der Revaler Straße. Endlich brannte "Sie", die Zigarette, eine "richtige" Zigarette Marke Puck. Viel Getuschel: "Nun mach schon! Gib doch weiter! Ich will auch ziehen!" Ja, ich zog auch an dem "herumwandernden" Kippen, ungeschickt, hustete. Bitter war der Qualm. Ich bewunderte die anderen, die schon "erwachsen" den Rauch in die Backen sogen, ihn dort auffällig verweilen ließen und dann geschickt ausbliesen. Peter sogar durch die Nasenlöcher.

Stark!

 

Plötzlich Unruhe, Entsetzen auf den Gesichtern der anderen. "Wir sind entdeckt!" durchfuhr es mich. Schnell spürte ich, dass diese Entdeckung besonders mir persönlich galt. Irgendwie fühlte ich mich unerwartet von hinten an meinen Kleidungsstücken hochgehoben und zwar etwas unsanft. Ich spürte und erkannte schnell die väterliche Hand und wurde ziemlich arg beschimpft. Mein "Verbrechen" musste ungeheuerlich sein, erkannte ich zunehmend.

Denn meine Züchtigung blieb nicht bei Worten allein.

 

Eine mehr als einen Zoll starke herumliegende "Bau-Latte" musste herhalten, um die Worte meines Vaters eindringlich zu unterstreichen. Zu meinem Glück und zum väterlichen Ärger erwies sich das Bauholz nicht als sonderlich stabil. Es zerbrach nach kurzem Gebrauch an meinem sechsjährigen Allerwertesten. Dennoch erreichte die kurze Erziehungsmaßnahme ihre beabsichtigte Wirkung.

 

Ich brauchte ganze sieben Jahre, um mit neuen Freunden einen erneuten Rauchversuch zu unternehmen.

 

 

Zarter Körperbau

 

Von klein auf hatte ich - im Gegensatz zu heute - einen recht zarten Körperbau.

Dies lag insbesondere in unserer damaligen Ernährungssituation begründet. Wer wusste damals schon etwas von Babynahrung, Vitamine usw.? Das Essen war wohl insgesamt nicht so üppig, und ich war wahrscheinlich auch etwas mäklig. Zum Beispiel was Pudding und Haferflockensuppe anbelangte.

 

Jedenfalls war es zu jener Zeit in einer Stadt nichts Ungewöhnliches, wenn der Arzt feststellte:

"Dieser Junge braucht Lebertran, Bio-Malz und Kalktabletten, und außerdem werden wir ihn verschicken, in ein Kinderferienlager." Jeder, der schon einmal das Vergnügen hatte, Lebertran trinken zu dürfen, weiß, wie sich ein kleiner zarter Jungenkörper dabei schütteln muss vor Ekel.

Aber die Sache mit der Verschickung hörte sich bedeutend besser an.

 

Leider stolperte ich bei dieser Gelegenheit oder einer späteren mit der vollen Milchkanne, als ich gerade vom "Kuhstall" aus der Libauer Straße nach Hause hopste. Mit der einen Hand hielt ich die Kanne hoch. Die andere Hand hielt ich wie üblich beim Fallen nach hinten. Als ich wieder aufstand, rollten die Tränen - obwohl ein richtiger Junge nie weint - und meine Stirn wurde von einer prächtigen Beule verziert, die später alle erdenklichen Färbungen annahm.

Jedenfalls war ich "Der mit der Beule" im Ferienlager. Es kann sein, dass ich etwas leicht durcheinander bringe, denn ich wurde öfter verschickt oder durfte ins Betriebskinderferienlager an die Ostsee nach Wieck auf Rügen oder nach Dierhagen.

 

Diese Verschickung war jedenfalls noch vor meiner Schulzeit, und es waren zwei abenteuerliche Wochen an einem See, ich vermute, in der Nähe von Berlin. Unser Lagerleiter war auf jeden Fall ein ganzer Kerl. Nach seiner ersten Ansprache an sein Volk, das waren wir, alles Jungs etwas älter und größer als ich, wollte er uns zeigen, wie man sich einen Löffel aus Holz schnitzt, damit wir zum Mittagessen Besteck hätten. Nun, ganz so schlimm wurde es dann doch nicht.

 

Es gab sogar jede Menge "Mensch-Ärgere-Dich-Nicht!" - und Damespiele für Schlechtwetterzeiten. Natürlich musste ich alle Spiele erst lernen, ausgenommen Kartenspiele, da hatte ich etwas Vorlauf.

 

Meine größte Entdeckung bestand darin, dass es gar nicht so leicht ist, einen Liegestuhl zu öffnen. Es gelang mir meinen linken Daumen beim Auseinanderklappen des Liegestuhls so geschickt zu halten, dass der Lagerleiter mir helfen musste, ihn wieder vom Liegestuhl zu trennen. Mein Daumen klemmte zwischen den Hölzern fest und blutete fantastisch.

 

Nun war ich nicht nur "Der mit der Beule", sondern auch "Der mit dem Daumen". Die Narbe am rechen Daumen habe ich heute noch, und geblieben ist auch meine Ehrfurcht beim Auseinanderklappen eines Liegestuhls.

 

Die viele Bewegung an der frischen Luft und ausgiebiges Toben sollten meiner Gesundheit förderlich sein. In Wahrheit schwebte ich und mancher andere zart gebaute Junge eher in der Gefahr, gesundheitlichen Schaden zu nehmen.

 

So machten sich die größeren Jungs öfter einen Spaß daraus uns kleinere "ohnmächtig zu machen".

Dies geschah meist im Waschraum, ohne dass ein Erzieher etwas bemerkte. Ein Junge hielt mich fest, so dass ich nicht fallen konnte, und ein zweiter, der hinter mir stand, fasste unter meinen Achseln hindurch und drückte mir den Brustkorb mit aufgelegten Händen kräftig zusammen. Dabei zählten alle herumstehenden Jungs laut, bis ich weggetreten war. Niemand von uns Kleinen hatte sich je über derartige oder ähnliche "Behandlungen" beschwert.

 

Von uns wurde auch erwartet, dass wir keine "Spielverderber" sind und dass wir nicht petzen. Aber wir haben alles heil überstanden und freuten uns schon auf das nächste Ferienlager. Denn insgesamt hatte alles einen mörderischen Spaß gemacht, und es überwogen die positiven Erlebnisse.

 

So erlebte ich in einem späteren Ferienlager in Wieck auf Rügen das Mädchen "Engelchen", den Schwarm aller sechs - bis achtjährigen Jungs.

 

 

Das Streichholz-Spiel

 

Es waren viele Streichhölzer. Ich bewahrte sie in einem ausgedienten Schuhkarton auf. Meine Mutter war wahrscheinlich froh, dass ich ein solches "ruhiges" Spiel bevorzugte. Für mich war es lange Zeit das Aufregendste, was ich überhaupt kannte.

 

Meine Streichhölzer bestanden in der Regel aus mindestens einem "Helden" und zwei recht zahlreichen, feindlichen und sich bekriegenden Parteien, die ich logischerweise in "gut" und "böse" einteilte. Natürlich siegten trotz zahlreicher Verluste bei jedem Spiel die Guten. Zum Spiel brauchte ich viel Platz: den Fußboden, die Couch, alle Schrank-, Tisch- und Stuhlflächen meines kleinen Zimmers.

 

Die Streichhölzer waren Soldaten, Krieger, Indianer, Seeräuber ..., je nachdem, wie es mir gerade so gefiel. Ein Spiel dauerte oft mehrere Stunden. Die "Gefallenen" kamen zurück in den Schuhkarton, bis er fast wieder voll war. Es war ein großes Kämpfen und Sterben, bis nur noch mein Held und einige seiner verwegenen Hauptleute übrig waren. "Sie" bestanden aus Gruppen, die alle gut zu erkennen und zu sortieren waren. Einige waren "Abgebrannte", andere noch "mit Kopf" in verschiedenen Farben, "Unverbrauchte", "Neue". Andere waren sorgfältig mit Tusche angemalt oder trugen kleine bunte Bändchen als "Arme". Sie hatten kleine Papierschiffchen, um den "Ozean" zu überqueren.

 

Zwei gewaltige Heere zogen auf in mittelalterlicher Pracht. Kanonen wurden in Stellung gebracht.

Die einzelnen Mannschaften stellten sich in Schlachtordnung auf, in prächtigen Uniformen die einen, "abgebrannt" und abenteuerlich anzusehen die anderen. Die Guten suchten Deckung hinter den gebirgsartigen Falten der Couchdecke. Mein Held, der natürlich ich selbst war, reitet auf einem "tollen" Pferd durch das Gebirge. Da stürmen sie aus dem Gebüsch hervor: Verwegene "abgebrannte" Gestalten. "Wohin des Weges?" fragt der Anführer der Bande.

 

Mein Held, ich meine: ich, antwortet kühn: "Von hier", und ich zeige zurück, "nach dort!". Diese Antwort gefällt mir besonders gut. Ich habe sie aus dem Film "Feuer in den Bergen", den ich im Kino gesehen hatte. Dem Anführer der "Abgebrannten" gefällt diese Antwort nicht. Das weiß ich natürlich schon vorher.

 

Kurz und gut, ich fordere ihn zum Zweikampf, besiege ihn in einem schwierigen Kampf, werde der neue Anführer der Bande, sammele um mich weitere Kämpfer, Heerscharen, eine riesige Befreiungs-Armee, bekämpfe, natürlich erfolgreich, mit List und Hinterhalten die Bösen, die "ungebrauchten" Streichhölzer. Wer tot ist, wandert sofort in den sich langsam wieder füllenden Schuhkarton. Ich werde zum Mittagessen in die Küche gerufen.

 

Sorgfältig sammele ich die "Überlebenden" in den Schuhkarton.

 

 

Das erste Schuljahr

 

Da war dieser irgendwie aus Wollresten "handgestrickte" Bettvorleger. Von weitem sah er aus, als bestünde er aus hundert kleinen Flicken. Beim Spielen hatte mir dieser Vorleger schon gute Dienste geleistet, und meine Streichholzsoldaten konnten sich in seinen Falten hervorragend verstecken.

 

Dieser Vorleger erschien mir daher hervorragend geeignet zur Anfertigung meiner ersten Hausaufgaben, die ich stolz am Tage meiner Einschulung entgegennahm und nun auch erledigen wollte. So lag ich also friedlich auf dem Bauche auf besagtem Bettvorleger und zeichnete als erste schwierige Hausaufgabe ein Haus mit meinen Buntstiften. Dies war jedoch ein leichter Schock für mein eintretendes Mütterchen, das es lange nicht fassen wollte, dass jemand seine Schulaufgaben "Im Liegen auf dem Fußboden!" macht. Künftig wurden mir Tisch und Stuhl und eine bestimmte Körperhaltung bei der Anfertigung meiner Hausaufgaben vorgeschrieben.

 

Erst Jahre später, als wir bereits in der Jungstraße wohnten, und ich die Erweiterte Oberschule besuchte, fand es niemand mehr anstößig, wenn ich im Liegen Hausaufgaben machte.

 

Irgendwie scheint diese Lerngrundhaltung auf meine Mädchen abgefärbt zu haben.

 

 

Der Tick Tack Opa

 

Man hielt mich irgendwie für überfordert, wenn ich das Wort Urgroßvater aussprechen sollte.

Jedenfalls wurde mir der Wortteil "Ur", was für mich zweifelsfrei nach Uhr klang, mit der Eselsbrücke: Uhr = Ur = Tick-Tack und "Großvater" = Opa, beigebracht. Ich sagte also zum Urgroßvater immer Tick-Tack-Opa und mir zu Liebe taten es alle anderen in meiner Gegenwart Auch.

 

Die große Liebe des Tick-Tack-Opas waren die Pferde und zwar nicht irgendwelche Pferde, sondern die Pferde, die mit bunten Federn geschmückt, mit schillerndem Zaumzeug und mit glänzenden, klingenden Glöckchen am Sattel im Manegen-Rund mit großer Kraft und Eleganz und Schönheit hohe Dressurkunst boten. Kurz: Er liebte die Zirkuspferde. Die ganze Zirkusvorstellung wartete er eigentlich nur auf die große Pferdedressurnummer. Bei jedem Peitschenknall glänzten seine Augen und begierig verfolgte er jedes Kunststück. Seinen Krückstock zwischen den Beinen eingeklemmt, applaudierte er immer und immer wieder. Er kannte fast jede Dressurnummer in jedem großen Zirkus.

 

Da die Berliner Westsektoren für uns noch zugänglich waren und der liebe Tick-Tack-Opa einen Rentenanteil in Westgeld bezog, war sein Interesse für Zirkuspferde gesamtdeutsch.

Das Gute am Tick-Tack-Opa war, das ich als sein Urenkel teilhaben sollte an seiner Begeisterung.

Wiederholt wurde ich von ihm abgeholt und durfte ihn begleiten. Die Mutter hatte mich jedes Mal herausgeputzt. Weiße Kniestrümpfe, Bügelfalte, saubere Fingernägel,...Dann ging es endlich los.

 

Wir besuchten wohl jeden Zirkus, der in Berlin gastierte: "Barley", "Krone", "Sarasani", Mich interessierten eigentlich mehr die Clowns und das Eis am Stiel, das es im Zirkus gab, als die große Pferdenummer. Doch war es schon ganz toll, dass ich mit dem Tick-Tack-Opa mit durfte. Dumm war nur, dass ich mich mit den weißen Kniestrümpfen so ungemein vorsehen musste, damit sie nicht schmutzig wurden.

 

Vom Tick-Tack-Opa bekam ich, als ich 14 Jahre alt war, ein "6-Transistor-Kofferradio" geschenkt. Es war sogar ein West-Radio. Ich hütete es wie meinen Augapfel. Das war damals schon was Großartiges: Ein "6-Transistorradio".

 

Fest verbunden mit der Person des Urgroßvaters waren auch Tante Hilde und Onkel Ewald. Dass es auch traurige Ereignisse gibt, erfuhr ich mit dem Tod des Urgroßvaters. Als ich mein Abitur in den Händen hielt, brachten Tante Hilde und Onkel Ewald die traurige Botschaft. Im Gegensatz zu anderen "Erbberechtigten" hatte der Tick-Tack-Opa mir mein Erbe, eine kleine Briefmarkensammlung vor seinem Ableben übergeben.

 

Ich habe ihn stets in guter Erinnerung behalten.

 

 

Räuber und Gendarm

 

"Puck, Puck, Puck, wer soll das sein? Räuber oder Gendarm?" " Räuber!" Ich spürte das Pochen seines Fingers auf meinem gebeugten Rücken. Sehen konnte ich nicht viel, da er meinen Kopf zwischen seinen Beinen eingeklemmt hielt. "Räuber oder Gendarm?" fragte er unter dem Johlen der anderen.

 

Ich wusste, dass er nun mit dem Finger auf einen anderen zeigen würde. Schließlich waren alle eingeteilt. Nur ich wusste noch immer nicht, zu welcher Partei ich gehörte. Endlich ließ er meinen Kopf frei. "Du bist bei uns", sagte Jürgen und strahlte mich mit seiner oberen Zahnreihe an: "Du bist Räuber!" Ich war immer lieber Räuber als Gendarm, den wir unter uns "Pupe" nannten.

 

Der "Pupe"-Trupp fing lauthals an, bis 50 zu zählen. Wir fingen an zu laufen, als ginge es um unser junges Leben. Es ging die Straße hoch, hinein in den Hausflur. Die kleine Hintertür war verschlossen. Doch dies wussten wir natürlich. Aber wir wussten auch, dass eine Glasscheibe fehlte. Wir zwängten uns hindurch. Jürgen keuchte hinter mir: "Ich glaube, sie kommen schon!"

 

Klar, sie hatten schnell gezählt, und nun jagten sie uns. Wir waren endlich auf dem Hinterhof, rannten zur hohen Mauer, sprangen hoch, erfassten nacheinander die Teppichstange, hangelten uns schnaufend hinauf, ließen uns vorsichtig an der anderen Seite der Mauer herunter und rannten über den zweiten Hinterhof. Nun ging es in einen dunklen Gang hinein. Wir waren beide am Ziel unserer Hatz. Schnaufend, das Herz schlug uns bis zum Hals hoch, hielten wir uns am Außengitter des Fahrstuhlschachtes der Pension "Meteor" fest.

Hier fühlten wir uns sicher.

 

Wo die anderen "Räuber" abgeblieben waren, wussten wir nicht. Es gab ja noch etliche Verstecke in den umliegenden alten Mietshäusern mit ihren abenteuerlichen Hinterhöfen. Langsam atmeten wir ruhiger. Nun hatten wir Zeit, uns in Ruhe über alles Mögliche zu unterhalten. Dies taten wir ausgiebig flüsternd, in gehockter Haltung, dicht nebeneinander, bis es uns in unserem "sicheren" Versteck zu langweilig wurde, und wir wieder vom "Pupe"-Trupp gejagt werden wollten.

 

Als wir auf der Straße auftauchten, wurden wir natürlich sofort von den anderen entdeckt.

Wir liefen los. Doch wie jedes Mal gab es kein Entrinnen vor der johlenden Meute. Ein leichter Schlag auf den Rücken und wir waren "gefangen". Jürgen war genauso stolz wie ich, dass wir als letzte von unserer Mannschaft "gefangen" wurden.

 

Alle waren abgehetzt und außer Atem. Doch schon wurde für eine neue "Jagdrunde" gewählt. Diesmal wurde der Kopf eines anderen zwischen zwei Beinen eingeklemmt und auf dessen Rücken gepocht: "Puck, Puck, Puck, wer soll das sein?"

 

 

Vati als Spielgefährte

 

Es musste ein ausgesprochener Bastel- und Spieltrieb sein, der das Verhalten meines Vaters mir gegenüber bestimmte.

 

Eine heilige Handlung war zum Beispiel das Drachenbauen. Frühzeitig lernte ich, dem Vater beim Bau seiner Drachen zuzuschauen, und beim Drachensteigenlassen dufte ich auch schon mal vorsichtig die Schnur berühren. Es war schon eine Kunst die Hölzer auszuwählen, zuzuschneiden, einzukerben, die Schnur und das Papier anzubringen, die Spannung und den Schwanz zu basteln, und schließlich, den Drachen zum Fliegen zu bringen. Bald lernte ich, meinen eigenen kleinen Drachen zu bauen, und ich brachte ihm auch das Fliegen bei.

 

Nun wuchs das Väterchen über sich selbst hinaus und fertigte stoffbespannte Holzkonstruktionen mit komplizierten Schnüren-Systemen an, die er dann gemeinschaftlich mit mir als "Tauben" oder "Flugzeuge" hoch in den Himmel steigen ließ. Für diesen Zweck war sogar die obere Plattform des "Mont Klamott" geeignet. Es war schon eine kleine Attraktion, wenn Vati seine "Vögel" fliegen ließ.

 

Aber auch jedes andere Thema reizte ihn zum Basteln und Spielen, wobei er sogar seine betrieblichen Möglichkeiten als Dreher mit einsetzte. Eine "große Sache" waren die Autorennen auf der Bordsteinkante, die eine Lieblingsbeschäftigung aller Kinder waren.

 

Der Spielverlauf war etwa so, dass ab Startlinie die Reihe herum jeder sein Rennauto anschieben konnte, und das Auto dann frei rollte bis es stehen blieb. Es durfte dabei jedoch nicht von der Bordsteinkante herunterfahren oder gar herunterfallen. Dann musste das Auto zurück an den Abstoßpunkt. Die Bordsteinkanten gab es überall, und sie waren lang, so dass wir oft und lange spielen konnten. Spannend war es besonders, wenn das Auto nur fast herunterfiel und gerade so noch an der Bordsteinkante hängen blieb.

 

Diesen "Hängeeffekt" der Rennautos verstärkte Vati durch kleine konstruktive Verbesserungen. So baute er Metallautos im Rennwagenprofil und schraubte zugeschnittenen Vollgummi drunter. Damit waren unsere Rennautos den herkömmlich käuflichen, die innen hohl waren und mit Knete gefüllt werden mussten, damit sie weiter fuhren, natürlich technisch überlegen, so dass wir beide häufig Sieger bei diesen Autorennen wurden.

 

Ähnliche Rennen veranstaltete ich auch mit meiner Schwester Gela auf dem ovalen Wohnzimmertisch, wobei wir mit Bausteinen eine künstliche Bordsteinkante imitierten.

 

Interessant waren auch die Geschoßvorrichtungen, die Vati baute. Man konnte diese mit verschiedener Art von Munition laden, wie zum Beispiel mit kleinen Steinchen oder mit Streichhölzern und mit ihnen feststehende Ziele wie Reihen von Plastikindianern und Cowboys umschießen, bis von der gegnerischen Partei keiner mehr stand.

 

Sein Spieltrieb ging so weit, dass Vati sogar mit mir Rollschuhe lief, rodeln ging, selbst gebastelten Minigolf und Federball mit mir spielte.

 

Fast leidenschaftlich wurde er, wenn es um Skat oder Schach ging. Hierbei geriet er manches Mal mit seinem eigenen Vater, mit meinem Opa Konrad, in Konflikt, da Opa ein schlechter Verlierer war. Dabei soll es schon mal vorgekommen sein, dass mein Väterchen von seinem das Schachbrett auf den Kopf geschlagen bekam. Zu mir war Opa Konrad etwas netter beim Schachspiel. Dies kann aber auch daran gelegen haben, dass es mit meinen Spielkünsten noch nicht weit her war.

 

Ob ein väterlicher Spieltrieb vererbbar ist, weiß ich nicht. Jedoch etwas ansteckend scheint es schon zu sein.

 

 

Fernsehen bei Onkel Günter

 

Es fand sich immer ein geeigneter Vorwand Onkel Günter, Tante Ingeborg und nicht zu vergessen: Cousine Sieglinde und Cousin Manfred zu besuchen. Denn sie hatten von all unseren Verwandten weit und breit das erste Fernsehgerät. So verbrachten wir manchen Abend bis Programmschluss im "trauten" Kreise unserer Großfamilie, dicht gedrängt in Onkel Günthers Wohnzimmer, und linsten in den flimmernden Holzkasten. Uns begeisterte jede Sendung. Ob es sich dabei um Nachrichten, Musiksendungen, die Übertragung aus dem Millowitsch-Theater handelte ..., wir fanden alles toll und einmalig. Im Nu verging der Abend. Bis das Programm versiegte, und der Nachhauseweg bevorstand.

 

Während wir Kinder mit dem Konsum des Fernsehprogramms zufrieden waren, konsumierten Onkel Günther und mein Vater offensichtlich zusätzlich Alkohol. Jedenfalls traten wir den Heimweg meist in recht ausgelassener Stimmung an.

 

Eines Abends führte der Vater meiner Mutter, meiner Schwester und mir insbesondere vor, dass er über enorme physische Kräfte verfügte. Trotz der schwach mahnenden Worte unserer Mutter ließ er sich nicht davon abbringen, von einer am Wege liegenden Baustelle ein überlanges Kantholz anzuheben. Es gelang ihm, den Balken auf seine Schulter zu lancieren und ständig das wechselnde Gleichgewicht suchend, im torkelnden Gang und unter aufmunternden Worten der lieben Kinderchen mit dem Monstrum unsere Haustür zu erreichen. Wir Kinder waren noch mehr beeindruckt, als er ihn sogar in den Hausflur hinein bugsierte und gleich auch, was meine Mutter an Einwänden vorbrachte, ihn schließlich in der großen Stube absetzte.

 

Unser gemeinschaftliches geschwisterliches Staunen hielt auch am nächsten Morgen, welcher ein Sonntag war, noch an und der ernüchterte Vater wollte endlich den Worten der Mutter folgen, die da lauteten: "Schaff das Ding wieder raus!" Doch da lag gerade der Hase im Pfeffer. Im nunmehr nüchternen Zustand vermochte er den Balken beim besten Willen nicht mehr heraus zu tragen. Kaum konnte er ihn anheben, und umso weniger ihn um die Ecken bewegen, ohne Schaden zu verursachen. Nach einer Reihe unfruchtbarer Versuche das Kantholz hinauszubefördern, blieb dem schwitzenden Väterchen schließlich nur noch der Griff zur Säge.

 

Etwas Gutes kam bei der ganzen Geschichte doch noch heraus, da sich der riesige Balken in passgerechter Form gut zum Heizen eignete.

 

 

Bei Weissens wird gefeiert

 

Schnaps und Bier waren zu damaliger Zeit relativ billig, so dass bei jeder Familienfeier ein Flaschenwald auf dem Tisch stand. Ein besonderes Ereignis war jedes Jahr der Silvesterabend, da Vati Geburtstag hatte. Zum Abendbrot gab es dann meist Kartoffelsalat. Eine größere Schüssel voller Kartoffelsalat reichte kaum aus, um alle zufrieden zu stellen. Ich durfte der Mutter öfter helfen, das alljährliche Schlemmermahl zuzubereiten. Meine Hilfstätigkeiten bestanden aus den Vorgängen: Zerkleinern, Hinzugeben und Umrühren. Wichtige Zutaten waren: Mayonnaise, Gurken, Äpfel, italienischer oder Fleischsalat, Salz und natürlich: Unmengen gekochter Kartoffeln. Noch heute bilde ich mir ein, am Geschmack zu erkennen, ob es sich um Kartoffelsalat handelt, den meine Mutter zubereitet hat oder nicht. Damals bestand die Hauptaufgabe des Kartoffelsalates jedenfalls darin, alle so satt wie möglich zu machen, und der auf dem Tisch versammelte Alkohol hatte eine analoge Aufgabe.

 

So wurde in meiner Erinnerung oft gefeiert, als wenn es der letzte Tag wäre und es am nächsten Tag nichts mehr zu trinken geben würde. Wir Kinder tranken zu dieser Zeit 21-Pfennig-Brause.

Das erste Mal betrunken war ich zarten im Alter von 14 Jahren. Zur Anschauung gibt es ein Foto, auf welchem ich mit dümmlichem Gesicht und abwesendem Blick neben einem Weihnachtsbaum stehe. Vermutlich an einem Silvesterabend. Es soll sogar vorgekommen sein, dass wir Männer: Opa Konrad, Vati und ich, die Kugeln vom Weihnachtsbaum mit einem Luftdruckgewehr abgeschossen haben.

 

 

Schüler kämpfen

 

Als ich 1955 in die Schule kam, wurde die Zahl meiner Freunde auf einen Schlag riesengroß. Überall, wo ich hinkam, traf ich unerwartet bekannte Leute: Schulkameraden! Es gab dort sogar richtige feste neue Freunde wie Jürgen und Mario usw., aber man hatte sich auch mit einigen Schulkameraden auseinanderzusetzen. Doch diese Auseinandersetzungen waren ohne tiefe Bedeutung.

 

Einmal stand ich dem Kleinsten aus meiner Klasse gegenüber. Ich hatte ihn mir nicht ausgesucht und hatte nie etwas gegen ihn. Doch, wir mussten uns prügeln. Die ganze Klasse stand um uns herum und johlte und schubste uns aufeinander zu. "Schlag doch endlich zu!" Ich fühlte mich unwohl, schlug und traf ihn so ungeschickt, dass er ohnmächtig wurde. Es war Horst Berg, der trotz seines Namens der Klassenkleinste war. Da hatte ich ja was angerichtet. Sein Bruder Klaus ging eine Klasse höher. Ich entschuldigte mich bei den zwei Bergen: "Das habe ich nicht gewollt!" Es erwuchs aus meinem Schlag keine Feindschaft. Später hatte ich bis zur vierten Klasse beide Berge in meiner Klasse und wir kamen gut miteinander aus.

 

Bei einer ähnlichen späteren Auseinandersetzung in der Schule an der Modersohnstraße zog ich den Kürzeren und hatte bis zur achten Klasse unter der Bösartigkeit des "Siegers" zu leiden.

 

Die eigentlichen Auseinandersetzungen dieser Zeit waren jedoch keine Zweikämpfe sondern „Massenkämpfe“, die eigentlich Klassenschlachten waren. Es gab ständig Auseinandersetzungen mit den Jungs der Parallelklassen. Dies war Tradition, und Traditionen soll man pflegen.

 

Die Auseinandersetzungen waren nie ernsthafter Natur, sondern bestanden vorwiegend aus verbalen Beschimpfungen, die unser bescheidener Wortschatz zuließ, und aus Drohgebärden von johlenden Affenrudeln, die aus kleinen Jungs bestanden. Es wurde aufgerüstet: in den Schal gehörte ein Knoten, damit man mit demselben auf die Rübe des Gegners hauen und man ihn besser sichtbar und elegant über dem eigenen Kopf kreisen lassen oder schwingen konnte. Aber auch unsere kleinen Brottaschen konnten für diesen Zweck herhalten, wenn man es geschickt anstellte. Die Schulranzen konnten nicht nur auf dem Rücken getragen werden.

 

Wir verwandelten uns in kleine Ritter, indem wir den Ranzen, mit grimmigem Blick vorn vor der Brust gegürtet hatten. So konnte man viel besser geschützt auf das gegnerische Affenrudel zulaufen und ordentlich drohen. Das Lineal wurde dann schnell zum Schwert und selbst ein Metallzirkel mit scharfer Spitze konnte drohend gezeigt werden.

 

Übers gegenseitige Schubsen, Ringen, Anrempeln und Weglaufen sind wir in diesen Auseinandersetzungen nie hinweggekommen. Wichtig waren vor allem die intensiven Vorbereitungen unserer Kämpfe und die umfangreiche Auswertung unserer Siege.

Wir gewannen immer und die anderen wohl auch. Oft blieb auch nur die Flucht auf dem Nachhauseweg, wenn der Gegner in großer Überzahl auftrat.

 

Es gab auch schon mal kleinere Unfälle, Kratzer und Schrammen, wenn in der Schulpause der Nachbarklassenraum im Sturm genommen werden sollte und wir vor den Mädchen angaben. Denn hier war die Fluchtgefahr doch etwas eingeschränkt.

Doch meist wurden Freiluftveranstaltungen für unsere "Schlachten" bevorzugt.

 

 

Mario

 

Mario war der große Charmeur unserer Klasse. Er hatte fast alle Mädchen schon mal gehabt, wie er behauptete. Darunter waren auf jeden Fall alle hübschen. Wobei sich über Geschmack sicher streiten lässt. Denn wie sonst konnte mir Christa mit ihrer Stupsnase und ihren struppigen schlecht geschnittenen Haaren damals gefallen?

 

Mario war uns Jungs weit voraus. Er sprach fast nur von Mädchen und jedes Mädchen, das er traf, sofort kühn an. Ich bewunderte ihn, wenn er in der Aula eine vor uns sitzende Schönheit auf die Schulter tippte und sie fragte: "Na, hast Du schon mal?" Mein Gott! Was für ein verwegener Bursche war er doch. Und gut sah er auch noch aus.

 

Er war italienischer Abstammung und hieß vollständig Mario Pioneiro Cherestino Reboredo, was er ganz schnell hintereinander sagen konnte. Gern erzählte er mir von seinen Abenteuern, nicht nur von denen mit Mädchen.

 

Einmal, erzählte er mir, hatte er einen dünnen Draht über die Straße gespannt und damit einen Mann aus der Nachbarschaft, den er nicht leiden konnte, vom Fahrrad geholt, als dieser dagegen fuhr. Als ein Polizist ihn dann anhielt und nach seinem Namen fragte, hatte er so schnell seinen Namen gesagt, dass dieser ihn sofort wieder laufen ließ.

 

So ein Kerl war Mario, und er war mein Freund. Aber ich hatte dann doch andere Interessen als er, weil ich in meinem Inneren noch jünger war und eigentlich etwas schüchtern, was Mädchen anbelangte.

 

 

Religionsunterricht

 

Mario war auch weltanschaulich bereits viel weiter als Ich. Er "überzeugte" mich in der dritten Klasse, meinen eigentlich lieb gewonnenen Religionsunterricht, in einer damals modernen evangelischen Bildungseinrichtung, auf längere Zeit abzubrechen. Hinter einer Hausecke standen wir beide und beobachteten heimlich die armen Trottel (meine Klassenkameraden), die nach Schulschluss ihren gewohnten Gang zum Religionsunterricht antraten.

 

"Das ist doch alles was für Kinder!" argumentierte Mario überzeugend. Und wir zwei "Erwachsenen" widmeten uns wichtigeren Dingen und gingen erst einmal zur Eisdiele in die Warschauer Straße.

 

So lernte ich den großen Unterschied zwischen Pflicht und Freiwilligkeit überzeugend kennen.

Es gab auch keine Bestrafung für meine Trennung von religiöser Ausbildung.

 

Meine Eltern verloren genau so wenige Worte darüber wie zu dem Zeitpunkt, als ich Ihnen mitteilte, dass ich zum Religionsunterricht gehen werde. Dabei waren sie über meine Lernergebnisse im Religionsunterricht genauso stolz gewesen wie über meine Schulnoten. Auch mir selbst hatte es bei den Schwestern Spaß gemacht zu lernen und zu spielen.

 

Der Religionsunterricht fand wöchentlich in einer neuapostolischen evangelischen Einrichtung in der Nähe der Feuerwache statt. Die Schwestern unterrichteten uns in ihrer Schwarzweißen Tracht in Kellerräumen. Ich war dort recht brav, hatte gute Noten und gefiel durch meine kleinen Zeichenkünste. Ich erinnere mich noch an meine Bleistiftzeichnung von Adam und Eva im Paradies. Beide waren nackt am Apfelbaum und zwei Engel hielten eine Spruchbanderole über sie, deren Inhalt ich leider vergessen habe. Oder hatte die Schwester etwas hineingeschrieben?

 

Jedenfalls interpretierten die Erwachsenen etwas in meine Zeichnung hinein, was ich damals nicht verstanden habe, da ich Adam und Eva mit ganz normalem Bauchnabel gezeichnet hatte.

 

Später, in der achten Klasse, nahm ich noch einmal am Religionsunterricht teil. Vielleicht wollten meine Eltern, dass ich doch noch eingesegnet werde. Aber es wurde nichts daraus. Ich war schon zu weit entfernt vom Glauben und es gab ja nun die Jugendweihe als Ausgleich, so dass die Verwandtschaft nicht um die Gelegenheit einer entsprechenden Feierlichkeit betrogen wurde.

 

Gern erinnerte sich meine Mutter an meinem ersten und einzigen großen Auftritt im weihnachtlichen Krippenspiel. Damals besuchte ich die zweite Klasse und die Mutter half mir, die Rolle des Erzengels auszufüllen, indem sie mir ein schniekes langes Nachthemd nähte und irgendwie Pappflügel bastelte, die an meinem Rücken befestigt wurden. So ausgestattet stand ich dann mit auf der abendlichen Bühne zwischen Hirten Schafen, Christkind, Maria und Josef, und sang aus vollem Hals, dass ich hoch von Himmel her käme und frohe freudige Mär brächte oder so ähnlich. Diese war jedoch der dirigierenden Schwester wohl etwas zu laut gesungen.

 

Das gleiche Problem hatte ich später im Kinderchor. Dort wurde ich bei Rundfunkaufnahmen aus Gründen meiner "Lauterkeit" immer etwas weiter vom Mikrophon entfernt aufgestellt. Jedoch ist auch dem weltlichen Chor das christliche Gesangsgut nicht gänzlich verschlossen gewesen.

 

So durfte ich später unter Leitung von Ehm Kurzweg im Maxim Gorki Theater mit einer Gruppe des Eisenbahner Kinderchors wieder als Engelein auftreten und von der Empore singen: "Oh Lamm Gottes!" Leider weiß ich nicht mehr, in welchem Stück wir vorkamen. Jedenfalls war unser Erfolg beim Krippenspiel bestimmt überwältigender gewesen. Alle waren zu Tränen gerührt. Wir fanden es eher lustig, aber wir taten alles sehr ehrfurchtsvoll.

 

 

Ich als Schüler

 

Da mein Freund Mario in seiner Entwicklung schon so viel weiter war als ich, konnte er eben so wenig verstehen, dass ich mich nur für ein einziges Mädchen interessierte und erst recht meine "politische Entwicklung" nicht gut finden. Ich war nämlich mit meiner guten Schrift, meinen Zeichen- und Lesekünsten als guter Schüler von meiner Klassenlehrerin, Fräulein Behschnitt zum Vorbild für meine Klassenkameraden auserkoren worden.

 

Als Vorbild genügte es jedoch nicht, nur eben einfach gut in der Schule zu sein. Man musste hierzu auch Mitglied der Jungen Pioniere sein. So wurde ich übereilt Gruppenratsvorsitzender in meiner Klasse und war noch gar nicht Mitglied bei den Jungen Pionieren.

 

So ging es mir später noch öfter. Denn ich hatte einen kleinen Sprachfehler. Ich konnte schlecht "Nein!" sagen, wenn man mich um etwas bat. Aber mit einem solchen Sprachfehler kann man es nicht allen recht machen. So war eigentlich mein Sprachfehler Ursache dafür, dass Mario und ich uns auseinander lebten.

 

Noch heute kann ich nur die Weitsicht Marios bewundern, der schon damals vorausgesehen hatte, dass es nicht lohnt, sich für den Sozialismus zu engagieren. Doch damals wusste ich noch nicht, was Sozialismus sein sollte. Ich kannte nur Ost und West in Berlin, und die offensichtlichen Unterschiede in den Schaufenstern, und wusste, dass es zwei Währungen gab und wir unser Geld 5 zu 1 eintauschen konnten. Ich jedoch hatte diese Weitsicht nicht und vertraute meiner Lehrerin mehr als Mario.

 

Denn eigentlich war meine Lehrerin meine einzige große Liebe zu dieser Zeit. Für Christa interessierte ich mich eigentlich nur, weil sich dies für einen Jungen so schickte, auch einem Mädchen nachzustellen, das man schubsen, anfassen und dessen Händchen man im Unterricht heimlich unter der Bank halten konnte. Meine großen Gefühle für meine Lehrerin legte ich in die einfachen Worte meines ersten Liebesbriefes: "Liebes Fräulein Behschnitt, ...Ich liebe Sie!"

Nun gut. Sie war halt ganz toll und sehr nett und schließlich: Irgendwie musste sie mich, ihren kleinen Verehrer, ja auch gemocht haben. Denn wie sind sonst all die guten Zensuren zu verstehen, die sie mir gegeben hat?

 

 

Der Jungpionier

 

Nun nahm ich mein neues Pioniersein natürlich sehr ernst und wichtig. Es gab da ganz tolle Zeremonien, zum Beispiel den Fahnenappell, bei dem ich vor die Klasse auf den Schulhof treten musste, "Achtung! Die Augen links!" rief und dann Meldung an den Schuldirektor machte. "Klasse 2 b zum Fahnenappell angetreten!", die Hand dabei zum Pioniergruß erhoben. Das heißt, den rechten Daumen auf dem Kopf gehalten und alle vier Finger zusammengepresst hoch gestreckt. Dann ließ ich die Klasse noch "rühren".

 

Da alles doch etwas militärisch zuging, brauchte man natürlich auch etwas Uniform. Diese bestand neben dem blauen Halstuch aus einer weißen Pionierbluse, auf meiner waren zum Zeichen meiner hohen Position als Gruppenratsvorsitzender von meiner lieben Mutter zwei kleine rote Balken aus Stoff auf meinem linken Ärmel aufgenäht. Na, das war doch schon was!

 

Das konnte der zivile Charmeur Mario längst nicht aufweisen. Ich wurde ein eifriger Jungpionier und lebte nach den zehn Geboten der Jungen Pioniere, bis auf gewisse kleine Abweichungen, die ebenso in mir steckten oder sich aus der Situation ergaben.

 

 

Das Lesen

 

Meine damalige Tugend war das Lesen. Sehr früh war ich Mitglied der Kinderbibliothek und las in den ersten Schuljahren alles durch, was es dort gab. So erfuhr ich von "Timur und sein Trupp" und "Die rote Zora und ihre Bande", aber auch von den "Abenteuern des Burattino" und von "Zwiebelchen". Doch ich begann natürlich ganz von vorn mit "Micha Kugelrund im Märchenland" und allen Märchen, besonders natürlich den russischen.

Die deutschen kannte man ja schon vom Erzählen und Vorlesen.

 

Hier muss ich unbedingt die Bemühungen meines Väterchens erwähnen, der mich, als ich des Lesens noch unkundig war, des Öfteren abends auf der Bettkante vor dem Einschlafen mit seinen Vorlesungen aus "Robinson Crusoe" beglückte. Dies war vor allem möglich, da wir erst 1961 einen Fernseher bekamen, der heute vielfach das abendliche elterliche Vorlesen der Eltern für ihre Kinder verdrängt hat.

 

Ja, mein Sandmännchen war eben das Väterchen.

 

 

Die Trommel

 

Also Lesen, Lesen, Zeichnen und viel Spielen das war es, was ich damals so brauchte. Daher ist es wohl nicht weiter verwunderlich, dass ich sofort die Bedeutung des Zentralorgans der Jungen Pioniere, der Zeitschrift aller Jungen Pioniere "Die Trommel" erkannte. Sicher war die Trommel nicht ganz so erquicklich wie die Frösi, Atze oder das Mosaik mit den Digedags oder gar ein Comic-Heft aus dem Westen. Aber als "Mann des Lesens" wurde mir nach einer kurzen Einweisung beim Pionierleiter klar, dass die Trommel nicht nur zum Lesen da war, sondern auch Geld kostet. Ein paar Pfennige zwar nur, aber vom Erlös sollten auch so tolle Dinge wie Pionierferienlager bezahlt werden. Mir war sofort alles klar: die Trommel musste an den Mann gebracht werden. Also versuchte ich meine Klassenkameraden davon zu überzeugen, dass wir so viele Exemplare wie möglich verkaufen müssten.

 

Ich machte mich sofort mit Jürgen ans Werk. Wir schnappten uns einen Stapel "Trommel", liefen los, sprachen Leute auf der Straße an und riefen: "Kauft die Trommel"! Auf der Straße verkaufte sie sich nicht so gut, obwohl die Erwachsenen doch Geld haben mussten und viele von ihnen auch Kinder, die bestimmt gern "Die Trommel" hätten lesen wollen. Wir änderten unsere Taktik und gingen von Haus zu Haus und klingelten an den Wohnungstüren.

 

Das war mal was anderes für die Mieter. Sie kannten uns ja schon vom Altstoffe sammeln.

Doch heute waren wir Zeitungsverkäufer und es gab auch für Erwachsene ohne Kinder nichts Wichtigeres als ständiger Leser unserer Pionierzeitschrift zu werden. Ja, wir hatten eben gute Argumente.

 

Jedenfalls hatte man als Jungpionier ständig irgendwelche derartigen interessanten Aufgaben zu erledigen und dann gab es sogar noch Versammlungen, in denen wir uns mit unseren schulischen Leistungen und Politik (egal, was das war), befassten. Hierbei halfen natürlich die Lehrerin und der Pionierleiter. Als ich später zur Erweiterten Oberschule nach Adlershof zugelassen wurde, sagte meine Mutter zu mir: "Und, Bernd, wenn es dort, (in der Schule) um Politik geht, dann halte am besten den Mund!" Nun, das war dann wohl doch etwas spät.

 

Aber sie hatte es sicher gut mit mir gemeint.

 

 

Ferienlager

 

Das Beste am Pionierleben waren jedoch die Pionierferienlager, die wir ja so uneigennützig durch Zeitungsverkauf mitfinanziert hatten. Es waren in der Regel Zeltlager. An eines kann ich mich noch recht gut erinnern, da mir Christa dort den Laufpass gab. Fast meine ganze Klasse war mit im Pionierferienlager, und wir amüsierten uns genauso gut wie in den jährlichen Betriebskinderferienlagern. Es gab Wettessen bei Marmelade-Schnitten, Geländespiele, Wanderungen und natürlich tägliche Fahnenappelle, an denen ich in meiner schmucken Pioniermontur Meldung machen durfte.

 

Ich weiß nicht genau, was Christa eigentlich bewog, mir ausgerechnet im Ferienlager den Laufpass zu geben. Hatte ich das hübsche blonde Mädchen, das neben mir allmorgendlich zum Lagerleiter marschierte und ebenfalls für seine Klasse meldete, dass sie vollständig zum Fahnenappell angetreten sei, zu sehr angehimmelt? Hatte ich ein anderes Mädchen mehr geschubst und geneckt als Christa? Ich weiß es nicht und war auch zu stolz und zu ungeschickt, um sie zu fragen. Jedenfalls stellte sie mich bei passender Gelegenheit zusammen mit der großen dicken Britta und teilte mir verbindlich mit, dass es nun aus wäre mit uns, und ich wüsste schon warum. Obwohl ich es nicht wusste, war es trotzdem aus. Ich nahm es nicht so schwer, da es ja kein besonders wichtiges Verhältnis für mich war, aber es ärgerte mich trotzdem, dass sie mit mir Schluss gemacht hatte und nicht ich mit ihr.

 

Am meisten Spaß machte mir im Ferienlager die Freizeit. Dann spielte ich wie ein Besengter Volleyball. Ich hatte zuvor noch nie Volleyball gespielt, kannte nur Völkerball, den wir auf der Straße spielen konnten, und "Hase und Jäger". Aber da war nun das Netz und die Regeln waren schnell gelernt und ich merkte, dass ich immer geschickter und raffinierter spielen konnte.

 

Das entdeckte auch die Lagerleitung und schwuppdiwupp war ich Mitglied einer Lagerauswahl, die gegen andere Mannschaften ein großes Turnier bestreiten sollte. Doch hierbei erlebte ich eine unangenehme, große Überraschung: den richtigen Volleyball. Dieser war aus Leder und so hart, dass mir bei der ersten Berührung sofort die Finger wehtaten. Damit war es sofort aus mit meinen Volleyballkünsten, denn wir hatten nur immer mit einem weichen Gummiball gespielt. Ja, so war die Blamage auf meiner Seite und ich wurde bald ausgewechselt. Kein Mensch verstand, wie ich in diese Auswahlmannschaft gekommen war. Doch selbst später, als ich zeitweise aktiv jede Woche Volleyball spielte, brauchte ich immer die ersten zehn Trainingsminuten, um mich an die Härte des Balls zu gewöhnen.

 

Ich wurde meiner schulischen Vorbild-Rolle, wie von den Lehrern gewünscht, gerecht und verließ mit den besten Noten nach Abschluss der vierten Klasse die Schule in der Helsingforser Straße, da wir nun in die Modersohnstraße umzogen, und der Schulweg zu weit gewesen wäre. An der "neuen" Schule wurde ich dann jedoch nicht als Vorbild benötigt, da es dort schon einige etablierte Vorbilder gab, und ich bekam plötzlich, zur Verwunderung meiner lieben Eltern Noten, die sie von mir vier Jahre nicht gewohnt gewesen waren.

 

Hier endete zunächst meine Rolle als vorbildlicher Schüler.

 

 

Der Held der Straße

 

Doch ich lebte in der Revaler Straße nicht als offizielles Vorbild meiner Altersklasse. So wie ich das Schulgebäude verlassen hatte, vollzog sich in mir eine innere Verwandlung. Ich wurde zum "Helden der Straße". Natürlich wurde diese Rolle durch gewisse häusliche Pflichten etwas eingeschränkt.

 

Hierzu gehörten bescheidene Hilfeleistungen im Haushalt der Mutter, wie zum Beispiel Geschirr abtrocknen, Aufräumen, Einkaufen gehen, die Teigschüssel auf einem nassen Tuch festhalten, wenn Mutti den Kuchen einrührte, das Ausstechen von Teigtaschen mit einem kleinen Glas ( wenn Mutti "Gefüllte Taschen" kochte ), ...

 

Aber irgendwann war es dann doch soweit, und es hieß: "So, nun kannst Du rausgehen und spielen. Und später gab es noch den Nachsatz: "Aber nimm das Schwesterchen mit! Und pass ja auf sie auf!" Mein Schwesterchen behinderte mein Heldentum natürlich erheblich, da ich immer ein Auge auf sie haben musste, wenn wir "Großen" uns wichtigeren Tätigkeiten widmeten. Später, als sie richtig sprechen konnte, kam noch die Gefahr hinzu, dass sie zu Hause alles verpetzte, was wir so getrieben haben.

 

Unser Spiel war meist das der Meute, weil einfach alle im spielfähigen Alter da waren. Meist spielten wir Verstecken, Fangen, Räuber und Gendarm, Krieg oder tobten einfach so herum. Laut waren wir auch. Aber so wussten unsere Eltern, dass wir noch alle in der Nähe und am Leben waren.

 

Die riesigen Trümmerberge zwischen Marchlewski und Helsingforser Straße luden direkt als Abenteuerspielplatz ein. Die Größeren unter uns konnten ein paar Brocken Russisch. So riefen wir "Stoi!" an Stelle von "Stopp!" Hände hoch!" rief sich leichter in Deutsch. Es wurde auf jeden Fall kräftig geschossen aus Maschinengewehren: "Peng, peng, peng" und "Ratta, ratta". Manchmal zum Ärger und Unverständnis der Erwachsenen, die meinten, dass wir doch etwas Vernünftigeres spielen sollten. Doch unsere Holzgewehre setzten keinen Rost an und wir kletterten und stürmten über die Trümmerberge.

 

Große Bewunderung zollten wir den Großen, die mit echten Knallplätzchen-Revolvern aus Westberlin umher ballerten und Gangsterkrieg spielten. Das war doch was, wenn abends im Dunkeln die Knallplätzchen blitzten und Funken stieben. Vom Knalleffekt gar nicht erst zu reden.

 

Aber es gab auch friedliche Spiele, wie Autorennen auf der Bordsteinkante, Drachen steigen lassen, Hopse, Trieseln, Hallihallo, "Herr Fischer, Herr Fischer wie tief ist das Wasser?" und "Frau Jule hat ‘n Schwein jeschlachtet, wat wolln'se davon ham?"

 

 

Gela als Spielgefährte

 

Als Gela noch kleiner war und manchmal später, spielten wir auch nur auf dem Hof an der alten Teppichstange. An der Teppichstange konnte man herrlich turnen: Bauchwelle vorwärts und rückwärts, Knieumschwung, oder einfach schaukeln. Im Hof-Sand bauten wir kleine Burgen mit Holzzäunen und Verliesen. Die Burgbesatzung bestand aus frisch gesammelten Mistkäfern, Tausendfüßlern und Spinnen, die Gela unter Steinen und überall auf dem Hof mit wachsender Begeisterung einsammelte. Ich mochte besonders die achtbeinigen Burgbewohner nicht so recht. Doch was tut man nicht alles, um Ruhe zu haben.

 

Wenn das Schwesterchen auch noch etwas klein war und fünf Jahre jünger als ich, bestimmte sie doch zunehmend auch meinen Lebenswandel. Grundsätzlich bekam sie von Mutti immer Recht, egal, was sie angestellt hatte. Ich war ja der größere und ältere Bruder und hatte vernünftiger zu sein als sie. Selbst wenn sie mir Weihnachtssüßigkeiten vom Bunten Teller mopste und heimlich aufaß, war ich natürlich selbst schuld daran. "Hättest ja besser aufpassen können, Bernd!"

 

Später, als ich sie zum Spielen immer mitschleppen durfte, verstand sie es oft, ihren Willen durchzusetzen, und wir "Großen" waren froh, wenn sie sich irgendwie beschäftigte, und sie uns nicht störte. Schlimm war nur, dass sie zum Schluss meist nicht wieder mit nach Hause wollte. Oft musste ich sie im wahrsten Sinne nach Hause schleppen oder ziehen, wobei sie Krach für drei machte und ich mir Vorwürfe der Erwachsenen anhören durfte: "Was hat Dir denn die Kleine getan? Geht man so mit einem Mädchen um?"

 

 

Wir helfen der Polizei

 

Die Trümmerberge waren nicht nur für uns Kinder interessant. Eines Tages entdeckten wir beim Spielen in einer dichten Meldekultur und Brennnesseln irgendwelche Kupferplatten. Das waren einige Mengen, die nicht der Zufall dort hingebracht haben konnte. Von meiner Großmutter wusste ich aus ihrer Zeit als Trümmerfrau, dass man in Westberlin für ein Stück Kupferrohr gutes Westgeld bekam.

 

Was mochten dann diese Unmengen Kupferblech erst für einen Wert haben. Aber aus dem großen Geschäft wurde nichts. Einer sagte: "Bestimmt geklaut." Dann fiel das Wort "Polizei", und ehe wir uns versahen, war sie auch schon da und stellte den wertvollen Fund sicher. Wir durften im Polizeiauto und auf den Trittbrettern der EAW-Polizeiautos ein kleines Stück mitfahren. Wir waren voll begeistert. Man redete von einer Belohnung für uns. Später soll in der Zeitung gestanden haben, dass "findige Berliner Jungs einem groß angelegten Kupferdiebstahl aus Anlagen der Deutschen Reichsbahn auf die Spur gekommen waren", aber von einer Belohnung war nichts mehr zu lesen.

 

 

 

Teil III

 

 

Die neue Wohnung in der Modersohnstraße

 

Als erstes muss ich feststellen, dass mir jegliche Erinnerung daran fehlt, wie wir von der Revaler Straße in die Modersohnstraße gezogen sind. Dies kann damit zusammenhängen, dass ich keinen Anteil an diesem Umzug hatte und mein zarter Körper von den Umzugstätigkeiten verschont blieb.

 

Jedenfalls besuchte ich bis zum Abschluss der 4. Klasse noch meine geliebte Schule in der Helsingforser Straße und bekam ein ganz tolles Abgangszeugnis. Fast alles Einsen. Doch das sollte sich bald schlagartig ändern.

 

Die neue Wohngegend war mir nicht ganz unbekannt, da uns nun nur noch eine Querstraße von der Dannecker Straße und damit von den Großeltern trennte. Was natürlich eine wesentliche Verbesserung unserer Wohnbedingungen war, war die Tatsache, dass es sich um eine Neubauwohnung mit Bad handelte. Eine Badewanne kannte ich zwar schon aus der großelterlichen Wohnung, doch hatten wir in der Schreiner und der Revaler Straße auf einen solchen Luxus verzichten müssen.

 

Diese Wohnung hatte zwar nur zwei Zimmer und war im Hochparterre gelegen, doch kamen wir schon irgendwie zurecht.

 

Als wir später 1960 einen Fernseher bekamen, hatte ich natürlich einen Vorzugsschlafplatz auf der Couch neben dem Fernseher und durfte solange schauen, bis ich eingeschlafen war.

 

 

Die Hausmeisterstelle

 

In meiner Erinnerung hatte meine Mutter eine Tätigkeit in der Wohnungsverwaltung hinter der Warschauer Brücke aufgenommen. Aus dieser Tätigkeit her fand sie wohl eine elegante Möglichkeit, um besagte Neubauwohnung in der Modersohnstraße für unsere Familie zu bekommen. Diese Neubauwohnung war nämlich mit einer Hausmeisterstelle verbunden. So dass meine Mutter nunmehr hauptamtlich 6 Neubauaufgänge zu betreuen hatte. Dies bedeutete vor allem fegen, mobben, wischen usw.

 

Ich hoffe, dass ich ihr hierbei doch eine kleine Hilfe gewesen bin. Z. B. beim Außentür-Licht an- und ausknipsen und beim Fegen. Jedenfalls habe ich seit dieser Zeit große Achtung vor der Tätigkeit einer Reinigungsfrau, die mir bis heute erhalten geblieben ist und mir jederzeit ein besonders herzliches Verhältnis zu unseren Reinigungsfrauen meiner jeweiligen Arbeitsstätten einbrachte.

 

In dieser Wohnung bekamen wir im Juli 1961 sogar noch ein Brüderchen dazu, so dass wir wieder einmal das Recht hatten, dem Wohnungsamt zwingend begreiflich zu machen, dass wir eine größere Wohnung brauchen. Doch bis zu unserem Umzug in die Jungstraße vergingen doch noch fast 2 Jahre.

 

 

Eine andere Schule

 

Was hatte sich nun eigentlich so richtig verändert mit unserem Umzug in die Modersohnstraße.

Das Bad und bessere Wohnbedingungen hatte ich schon erwähnt. Doch die größte Veränderung für mich war wohl der Schulwechsel in die 17. Oberschule Berlin-Friedrichhains in der Corinthstraße.

 

Mit dem Besuch der 5. Klasse veränderte sich vieles. Ich bekam nicht nur neue Klassenkameraden sondern auch einen Geschmack des aufregenden Lebens eines elfjährigen Knabens unter seinesgleichen.

 

 

Wolfgang und Oscar

 

Besonderes Unbehagen bereitete mir ein Mitschüler namens Wolfgang Seidt, dem ich in einem Boxduell vor versammelter Klasse unterlag, und der mich seitdem wiederholt mit Drohungen und Einschüchterungen verfolgte. Wenn ich auch begann Boxen und Judo im Sportverein zu lernen, konnte ich mich doch während meiner ganzen Schulzeit in der Corinthstraße nicht aus dieser Misere befreien.

 

Mein späterer Freund Oscar stand mir zwar später bei, doch war auch er Wolfgang unterlegen. So dass wir dann beide unser Tun hatten, um immer mit heiler Haut davon zu kommen, wenn Wolfgang einfiel, uns bedrohen zu müssen.

 

Aber dies war das einzige richtige Ärgernis, denn mit allen anderen Situationen wurden wir gut fertig. Wenn auch manchmal, nachdem wir einem körperlich Überlegenen vor das Schienbein getreten hatten, auch nur noch die Flucht übrig blieb.

 

Lucie

 

Groß verliebt hatte ich mich in diesem Zeitraum nicht. Irgendwie waren Jungs hier nur unter Jungs und gehörten die Mädchen nicht so recht zum Heldenmut eines Jungen dazu. Natürlich hatte auch ich meinen pferdeschwanzgezierten heimlichen blonden Schwarm namens Lucie. Aber das wird nicht einmal das Objekt meiner Schwärmerei bemerkt haben, da ich mich Mädchen gegenüber bald doch als eher schüchtern erwies, wenn es mehr als ein Spielkamerad werden könnte.

 

 

Neue Spielkameraden

 

Auf jeden Fall stellte ich fest, dass gute Zensuren nicht alles waren, was zu Anerkennung verhalf, sondern, dass man vor allem ein ganzer Kerl sein musste. Außerdem waren die Vorbildrollen in meiner neuen Schulklasse offensichtlich sowieso schon vergeben und keiner der Lehrer kam auf die Idee, dass ich mich für eine solche Rolle eignen würde. Eher ließ ich mich von meinen Klassenkameraden verleiten, etwas so zu werden wie sie bereits waren.

 

Freundschaften nach Schulschluss entstanden vorwiegend in Form von Spielgemeinschaften in Wohnungsnähe. Hinter unserem Neubaublock und in und um die Modersohnstraße trafen wir uns meist im Rudel in der Altersklasse 6 bis 13 und das war schon eine ganze Menge. Diesmal gehörte das Schwesterchen richtig dazu, wenn unsere Standardspiele liefen: Verstecken, Halleluja, Abwerfen, Völkerball, "Herr Fischer, Herr Fischer, wie tief ist das Wasser?", Frau Jule hat ein Schwein geschlachtet, "Ziege durch, Ziege durch, durch die goldene Brücke!", Buddelkasten-Spiele, später auch Rollschuhlaufen mit echten Metallkugellagerrädern, "Straßenschlachten mit Sandklumpen und Holzleisten, Bohnengewehren...

Ich hatte sogar ein Katapult mit Vierkantgummi und Lederlasche zum Schutz des Daumens, das ich aber nie ernsthaft benutzte.

 

Es war in dieser Zeit schon erstaunlich und sicher einmalig, dass sich Vati auch an unseren Spielen beteiligte. Zum Beispiel ist er mit den verstellbaren Rollschuhen mitgelaufen oder war der "Große Mann" zwischen uns Kindern beim Drachensteigen.

 

 

Wir gründen eine Bande

 

Trotz meiner Unterlegenheit bezüglich Wolfgang, hatte ich einige Freunde wie Peter Frider, Andreas und andere, die meinten das der "Neue" doch würdig wäre in ihre neu zu gründende Bande aufgenommen zu werden.

 

So trafen wir uns eines Nachmittags auf einer Baustelle, nach Arbeitsschluss der Bauarbeiter natürlich, auf derselben und machten verschwörerische Mienen. Peter hatte sogar ein kleines Oktavheft mit, in welchem wir alle unsere Namen schrieben. Es wurde erst diskutiert, ob wir mit Blut unterschreiben müssten, damit es auch galt. Doch wir einigten uns dann auf Kopierstift, der beim Schreiben mit Spucke nass gemacht werden musste.

 

Wir waren gerade beim Schwören unserer Bandenmitgliedschaft, als wir von einer anderen herumstromernden Jungengruppe entdeckt wurden. Diese sahen uns als "gefundenes Fressen" für ihre aggressiven Gelüste an und stürmten schreiend unser Häuflein, das sich plötzlich als recht anfällig, schwach und fluchtbereit zeigte. Ich erreichte gerade noch mit „heiler Haut“ und schnellen Füßen unsere Haustür, hinter der ich verschwand und für meine Verfolger unerreichbar und uninteressant wurde. Jedenfalls hat mich später nie wieder jemand von den Jungs gefragt, ob wir unsere Bande noch einmal gründen wollen oder ob unsere Gründung noch Bestand hatte.

 

Ich getraute mich auch nicht mehr nachzufragen.

 

 

Abenteuer Einkaufen

 

Aber auch ohne Bande hatten wir genügend Aufregung und Abenteuer zu bestehen. Es war schon ein kleines Abenteuer, wenn ich die heimische Modersohnstraße zum Einkaufen in eine andere Straße verlassen musste. Schnell wurde man von den dort wohnenden Jungs als "Fremder" oder "Nicht hierher Gehörender" erkannt und als solcher angepöbelt und mit Drohgebärden bedacht. Wenn mich Gela bei einem solchen "Abenteuereinkaufen" in fremde Bereiche begleitete machte ich es für sie noch spannender und erfand abenteuerliche Geschichten über imaginäre Gefahren, die unseren Gang begleiteten.

 

Inspiriert von unserer eigenen misslungenen Bandengründung erzählte ich ihr, dass in der Dannecker Straße zum Beispiel die Pioneiro-Bande ihr Unwesen treiben würde und wir beide mächtig aufpassen mussten, damit wir ihr nicht in die Fänge gerieten.

 

Woher ich bloß diesen Namen her hatte?

 

 

Inspiration durch Lesen

 

Je weiter wir uns von unserer Wohnung entfernten, zum Beispiel, wenn wir Manfred und Sieglinde besuchten, umso abenteuerlicher wurden die Geschichten über Bedrohungen, denen wir uns ausgesetzt sahen. Ja, da ging schon manchmal meine Phantasie mit mir durch.

 

Dazu gab es auch genügend Inspiration. Da wir unseren Fernseher noch nicht hatten, las ich nach wie vor recht viel. Doch hatte sich mein Lesestoff nun doch etwas verändert. Denn noch war die Grenze nach Westberlin offen und gerade wir Kinder konnten fast unbehelligt an unseren Grenzposten vorbei nach WB und wieder zurück. Mit uns und auf anderen Wegen strömten Unmengen an Comics und Groschenromanen nach Ostberlin und weiter.

 

Für mich erschloss sich eine neue Welt des Lesens, die mich echt begeisterte: Micky Maus, Donald Duck, der kleine böse Wolf, Klein Adlerauge, Lupo, Fix und Foxi, Tarzan, Akim, Sigurd, „Der heitere Fridolin“ und vieles mehr, um nur einige zu nennen, wurden Bestandteile meiner Phantasie und verdrängten zum Teil die Trommel, die Frösi, das Mosaik...

 

Doch dem Mosaik bin ich nach einigen Pausen bis heute treu geblieben, genauso wie meinem Freund Donald Duck, besonders dem von Carl Barks gezeichneten. Aber nicht nur die Comics eroberten meine Gedankenwelt, sondern auch die Wild-West-, Kriminal-, Landser- und Abenteuerromane, selbst Heimat- und Liebesromane z. B. vom Bastei-Verlag. So wurde ich innerlich auch ein guter Cowboy, der für die Gerechtigkeit eintrat und hatte bald auch die Spürnase von Jerry Cotton.

 

Meine Eltern hatten nichts gegen meinen thematisch veränderten Leseeifer. Hauptsache, der Junge liest.

 

Das bildet. Und wenn er liest, kann er wenigstens keinen Unsinn machen.

 

 

Getauscht wurde alles

 

Mangels Geld in meinen Taschen, und in den Taschen meiner Freunde sah es ähnlich aus, stillte ich meinen Lesehunger vorwiegend durch Tauschgeschäfte. Getauscht wurde alles. Comicheft gegen Comicheft. Möglichst gleichwertig von der Qualität her. Z.B. mit und ohne Umschlag waren eindeutige Qualitätskriterien. Aber ich tauschte auch Spielsachen gegen Comics. Doch wie gesagt, war und bin ich kein guter Geschäftsmann.

 

Manchmal, mehrfach am Tage und manchmal zum Leidwesen meiner Eltern auch sonntags, klingelte es an unserer Wohnungstür, die ja nun, da wir ja in einem Neubau wohnten, Außenklingel und elektrischen Türöffner hatte. Dann kam meist einer meiner Freunde zum Schmöker-Tausche. Zuerst wurde der Stapel an Heften des potenziellen Tauschpartners gesichtet und sortiert nach: „Kenn ich, kenn ich nicht, kenn ich….“ Die noch unbekannten tauschwürdigen Hefte wurden dann möglichst gegen nach Qualität und Anzahl gleichwertige getauscht.

 

Jedenfalls las ich zu Hause und überall wo es ging meine Comics und Romanhefte: stehend, sitzend, liegend, auf der Toilette im Bett, in der S-Bahn in einer Zeitung eingeschlagen oder in einem Schnellhefter getarnt, sogar im Schulunterricht unter der Bank….

 

 

Schundliteratur

 

Wenn auch meine Eltern sich tolerant zu meiner Literaturauswahl verhielten, war dies in der Schule seitens der Lehrer nicht so. Alles, was ich in dieser Richtung so gerne las, wurde offiziell als Schmutz- und Schundliteratur verpönt und verketzert. Aber bis auf die offizielle Verurteilung hatte mein damaliger Lesestoff wohl keine negativen Auswirkungen auf meine Persönlichkeitsentwicklung. Ich selbst konnte jedenfalls nichts erkennen. Einmal wurde ich sogar vom Russischlehrer erwischt, als ich im Unterricht unter der Schulbank verborgen im Unterricht las. Meine drei Akim-Hefte kassierte er prompt ein. Ich trauerte diesem Verlust hinterher.

 

Aber hier bestand nicht meine einzige Divergenz zu den Auffassungen der Lehrer. Auch über Disziplin hatte ich eigene Vorstellungen entwickelt. Doch dazu später.

 

 

Lesen bildet doch

 

Irgendwie bildet Lesen wohl doch. Jedenfalls habe ich einige Comic-Geschichten erfolgreich als Basisstorys für meine Schulaufsätze genutzt.

 

Z.B. für das Aufsatzthema: „Ein Unterrichtstag im Jahre 2000“ (das war im Jahre 1961 noch ein utopisches Datum) verwendete ich eine Geschichte mit Daniel Düsentrieb, der den Schulunterricht für die Schulklasse von Tick, Trick und Track revolutionierte.

Der Unterrichtsstoff wurde den Schülern als Film an der Klassenzimmerdecke vermittelt, welchen die Schüler in klappbaren Liegesesseln auf dem Rücken liegend verfolgten.

Kopfhörer, Fernsehgeräte, Tonbandgeräte waren selbstverständliche Unterrichtsmittel.

Die Unterrichtsstunde im Fach Erkunde zum Thema Afrika fand mit Raketenbesuch selbstverständlich in Afrika direkt statt.

 

Ansonsten folgte ich bei Aufsatzthemen dem klugen Hinweis meiner Mutter: „Wenn es in der Schule um Politik geht, halte dich heraus.“

 

 

Es gibt noch andere Dinge als die Schule

 

Insgesamt gesehen, bekam ich nun schlechtere Zensuren als in meiner alten Schule.

Nach wie vor waren Spielen und Toben meine Welt und Schulaufgaben und Lernen arteten langsam in Arbeit aus. Mit meinen Spielkameraden, die alle wie ich etwa 11 bis 12 Jahre alt waren, lebte ich in einer Zeit, in welcher wir die gesamte Entwicklung der Menschheit im Zeitraffer-Tempo spielend nach erlebten. Wir liefen mit Knüppeln, Flitzbogen, Bohnengewehren, Schleudern herum, bewarfen uns mit Erdklumpen, Steinen und Grasbüscheln, balgten uns, waren Urmenschen, Indianer, Cowboys, Ritter, Seeräuber, Banditen, Schmuggler, Soldaten oder ganz einfach Helden und Rächer der Armen.

 

Wir kletterten auf Bäume, aßen wilde Früchte, rauchten getrocknete Blätter, bauten Höhlen aus Strauchwerk und Abrisssteinen, spielten in Trümmerresten und Ruinen. Den Weltraum wollten wir damals noch nicht erobern. Fernsehen konnten nur wenige von uns.

 

Doch dann mit 13 Jahren erlebte ich das Fernsehen fast als Sucht, da ich sowieso neben dem Fernseher auf einer Couch schlafen musste. In der großen Schulpause lief öfter schnell nach Hause, um noch etwas vom Vormittagsprogramm des Westfernsehens zu erhaschen. Abends endete das Fernsehprogramm dann meist erst nach der Spätausgabe der Tagesschau.

 

So stand dann 1962 in meinem Schulzeugnis der Hinweis meines Klassenlehrers: „Oft macht Bernd auf mich einen müden Eindruck“.

 

 

Ein Spätentwickler

 

Mein Interesse am anderen Geschlecht war für mich zu dieser Zeit eher mystisch. Es beschränkte sich nach wie vor auf wenige Doktorspiel und ehrfürchtige Berührungen des anderen Geschlechts und zarte hilflose Umarmungen.

 

Das Küssen hielt ich, nach wertvollen Hinweisen meiner Mutter, für unhygienisch, allein schon wegen der Bakterienübertragung durch Speichel. Über den Geschlechtsakt hatten wir, trotz vieler Begriffe und Witze, die wir Jungens untereinander austauschten, nur ungenaue Vorstellungen.

 

Von Liebe war noch lange keine Rede für mich. Ich war mehr noch ein kleiner Schwärmer, obwohl einige meiner Freunde schon wesentlich weiter schienen.

 

Bei passender Gelegenheit erklärte Peter Frider, der damals männlichste Typ in meiner Klasse, mir und meinen Freunden in wichtigtuerischer Pose und beginnend männlicher Stimme, wen er von den Mädchen schon alle „gehabt“ hatte und dass er jede weitere kriegen könnte, die er wollte. Wir bewunderten ihn dafür. Ich war offensichtlich ein glatter Spätentwickler auf diesem Gebiet.

 

Selbst als 14-jähriger dachte ich mir noch nichts dabei, wenn ein Mädchen aus meiner Klasse beim Federballtraining mit ihrem Knie auf der Auswechselbank das meine berührte und geheimnisvoll lächelnd zu mir sagte, dass sie gerade ihre Tage hätte.

 

 

Ich lerne doch noch was für die Schule

 

Trotz allen Schmökerns, Spielen und Tobens fand ich doch noch einige Zeit zum Lernen. Meinen Eltern und meiner Klassenlehrerin, Fräulein Hall, zu Liebe, strengte ich mich in der siebenten und achten Klasse doch wieder etwas mehr an und bekam auch glatt bessere Noten.

 

Die Noten waren so gut, dass mich die Lehrer unbedingt zur Erweiterten Oberschule schicken wollten. Nur mein Englisch-Lehrer, hatte damals bereits Zweifel, ob ich mir auch richtig Mühe geben würde beim Lernen. Noch fleißiger sein kann man immer, dachte ich.

 

Vielleicht war er auch nur sauer, weil ich ihm nicht alle meine vom Tick-Tack-Opa „geerbten“ Briefmarken gegen neue DDR-Marken in seinem Briefmarken-Klub eintauschen wollte.

 

Viele Lehrer hielten mich jedoch eher für fleißig und freuten sich, dass ich nicht mehr einer der ganz wilden Jungs war. So sah mich Fräulein Hall schon mal mit rührendem Blich an, wenn ich den Taucher fehlerlos aufsagte. Ich war wohl auch einer ihrer Lieblingsschüler in Deutsch, Biologie und Zeichnen geworden.

 

Meine Aufsätze las sie gern vor, obwohl es in der Klasse noch begnadetere Künstler als mich gab, wie Undine Hai, die Klassenbeste und mein Kumpel Dieter Kranz, das verkrachte Genie. Ich erinnere mich noch gern an einige Formulierungen aus den Aufsätzen von Dieter Kranz, bei denen auch Fräulein Hall beim Vorlesen hinschmolz, wie z. B. zum Thema Urwald: „ und die Sonne schickte ihre wärmenden Strahlen zur Erde:“

 

So etwas beeindruckte mich schon sehr.

 

Fräulein Hall gründete sogar eine Zeichen-Arbeitsgruppe und wir durften dann bei ihr zu Hause an zwei Wandteppichen mit ägyptischen Motiven malen, was echt toll war, und es gab sogar noch was zu Naschen für uns beim Malen.

 

 

Kannst Du singen, Junge?

 

Meine Musiklehrerin, Frau Rosner, sagte mir eines Tages in der Musikstunde, dass ich doch mal zum Vorsingen bei Herrn Kurzweg gehen sollte.

 

Da saß ich nun in der Aula unserer Schule und lauschte den 80 Stimmen des Eisenbahner Kinderchores während der gesamten Chorprobe. Sofort dachte ich, dass ich hier verkehrt bin, da alle Kinder so toll sangen und dieses sogar fünf stimmig u. a.: „Hausmann Friederich ist liederlich…“. Als dann noch ein etwa gleichaltriger Junge Solo sang, wäre ich am liebsten in einem Mauseloch verschwunden.

 

Ich bezweifelte, ob ich überhaupt noch „Alle meine Entchen“ singen könnte.

 

Zum Glück schickte der Chorlehrer nach der Probe erst alle Chorkinder nach Hause. So stand ich dann neben dem Flügel und versuchte die Töne nachzusingen, die Herr Kurzweg mir vorspielte. Zu meiner Überraschung wurde ich doch in den Chor aufgenommen.

 

Mit dem Chorleben tat sich mir eine neue Welt auf.

 

Der Eisenbahner Kinderchor gehörte mit zu einem großen Ensemble mit Tanzgruppe und Erwachsenen Chor. Und Ehm Kurzweg dirigierte ein Rundfunkorchester. Doch das erfuhr ich alles erst später.

 

Es gab monatliche Rundfunkaufnahmen im Studio und zwei Fernsehauftritte, Chorreisen z.B. nach Leipzig, wo wir u. a. im Völkerschlachtdenkmal wegen der guten Akustik sangen. Ein großes Erlebnis war auch der Auftritt des ganzen Ensembles in der Berliner Stalin Halle, wo wir beim Säbeltanz sogar die Funken fliegen sahen, da wir mit auf der Bühne standen.

 

Ich wurde der „2. Stimme zugeordnet, da diese zahlenmäßig schwach besetzt war, wobei ich lieber in der ersten Stimme gesungen hätte, da mir hier die Melodien bekannter waren. Zum Tag des Eisenbahners traten wir im Fernsehen mit dem „Hit“ „Mit der Puff-Bahn fahren ist so wunderschön“ auf und bei Heinz Quermann sangen wir in seiner Weihnachtssendung „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“: „Wenn die Schlittenglocken hell erklingen“.

 

Hier nahm mir der Schlagersänger, der mit uns auftrat, meinen neuen weißen Pudel mit, da er selbst keinen bei hatte. Mutti schimpfte natürlich mit mir, da der Pudel 10,-Mark gekostet hatte. Zum Glück überstieg meine ständige kleine Gage für unsere Auftritte und Rundfunkaufnahmen, die ich sowieso zu Hause ablieferte, den finanziellen Verlust.

 

Bei Rundfunkaufnahmen ging es mir wie in der Kindergruppe beim weihnachtlichen Krippenspiel:

„Bernd sing nicht so laut!“ Doch insgesamt überwog der Spaß und ich lernte hier auch meinen späteren Freund Achim kennen.

 

 

Sport ist Mord

 

Um die Serie meiner Fernsehauftritte abzurunden, muss ich noch unseren Auftritt des Judovereins in der Sendung von Fritz Spurtefix erwähnen. Das Beste an dieser Geschichte war für mich allerdings das hervorragende Mittagessen in der Kantine des Fernsehfunks Berlin Adlershof. Es gab für mich unvergesslichen Fleischbraten mit Klößen und Rotkohl, der unser Schulessen mächtig in den Schatten stellte.

 

Ansonsten absolvierten wir eine kleine Übungsstunde im Fernsehstudio, wobei Fritz Spurtefix alles kommentierte, was wir gerade so machten: Fallübungen, Sprungtechniken, kleine Schaukämpfe usw.

 

Neben Judo begann ich noch bei der BEWAG ein Boxtraining, damit ich mich bei künftigen Rangeleien besser wehren konnte.

 

Doch eines Tages nahm ich mit dem Schwesterchen eine „Abkürzung“ auf unserem Weg zur Eisdiele. Als ich ihr mal wieder vorführen wollte, wie sportlich ich war, sprang ich über einen Trümmerhaufen und rutschte ab. Ein ausgekugelter Ellbogen und ein angebrochener Unterarm. Heulend hielt ich meinen rechten Arm mit dem Linken und sah mit Entsetzen, dass der Ellbogen sehr komisch verdreht war. Jedenfalls bekam ich einen Gips-Arm und eine schicke schwarze Schlinge um den Hals, die den Arm ruhig halten sollte.

 

Da es mir links nicht gelang, schrieb ich bald im Unterricht zur Verwunderung aller mit der eingegipsten rechten Hand. Jedenfalls beendete ich vorerst meine Kampfsportkarriere und fing erst mit 50 Jahren wieder an mich mit Karate zu befassen.

 

 

Schule und Lehrer

 

Meine Klasse zählte stets mehr als 30 Schüler und sie war bestimmt nicht die bravste Klasse. Mancher Lehrer wurde zur Verzweiflung gebracht, da die Disziplin zum Teil unmöglich war. Eine Geschichtslehrerin gab es schließlich auf mit uns, nachdem sie mehrfach heulend das Klassenzimmer verlassen hatte.

 

Herr Schreiber, unser Sportlehrer, der häufig mit uns in der Turnhalle exerzieren übte, wurde sogar von einigen kräftigen Sitzenbleibern aus meiner Klasse verprügelt.

 

Unser Physiklehrer hatte einen solch hohen Lärmpegel in seiner Unterrichtsstunde, dass man ihn kaum verstehen konnte. Er tat mir leid und ich lernte gut bei ihm.

 

Herr Schuldt war ein männlicher Riese mit spärlichem Haarwuchs, der uns autoritär beherrschte. Im Chemieunterricht glich er in seinem weißen Kittel einem gottähnlichen Despoten. Mein Freund Oscar war in den Fächern Zeichnen und Chemie ein kleines Genie, dem ich nacheiferte. Besonders beeindruckte mich, dass Oscar schon damals wusste, dass Sauerstoff gegenüber Fluor sechswertig auftritt.

 

Was Herr Schuldt als Despot erreichte, schaffte Fräulein Hall durch Sanftmut, Güte und Konsequenz sowie ihr Engagement als Lehrerin. Ihre Unterrichtsfächer Deutsch, Biologie und Zeichnen wurden bald meine Lieblingsfächer. Im Deutschunterricht ließ sie uns kleine Episoden aus Büchern nachspielen wie zum Beispiel aus „Trini“, die Geschichte eines afrikanischen Jungen, den ich auch einmal spielen durfte.

 

Oscar spielte einmal einen Kaufmann und brachte für seine kleine Rolle sogar einen Sparstrumpf mit, der mit Kronenkorken gefüllt war. Peter Friedrich kam ganz groß bei uns heraus, als er in einer Szene auf die Frage von Andreas: „Was gibt es denn Neues?“ antwortete: „Ja, man baut, man baut.“

Das fanden alle ganz originell. Wir konnten frei improvisieren.

 

Gern las sie uns etwas aus unseren Schulaufsätzen vor und ich staunte dann, was ich überhaupt aufgeschrieben hatte. Denn wenn sie es las, klang es ganz anders. Sie regte uns an für Deutsch, Biologie und später auch für Geschichte selbständig ohne konkrete Vorgabe zum Unterrichtsstoff passende Zeichnungen zu machen.

 

Diese Zeichnungen klebte ich als zusätzliche Seiten zum Aufblättern in meine Hefte ein, so dass sie bald wie kleine Bilderbücher aussahen. Das machte mir Spaß, sah toll aus und gab bei der Heftkontrolle garantiert eine Eins und anerkennende Worte. Biologie interessierte mich besonders, da ich mir alles gut vorstellen konnte und die Natur auch sehr mag.

 

Diese Vorliebe hatte ich später auch an der EOS, wobei ich auch dort eine tolle Biologie-Lehrerin hatte der ich bald im Unterricht assistieren durfte.

 

Dass ich gern zeichnete, konnten meine Eltern auch auf einer Elternversammlung bestätigt finden, da sie auf einer Schulbank mit vielen Tintenzeichnungen saßen, deren Stil ihnen bekannt vorkam. Natürlich war dies zufällig meine Bank.

 

Chemie machte mir zu dieser Zeit eigentlich keinen richtigen Spaß. Aber meinem Freund Oscar zu Liebe und um Herrn Schuldt zu beeindrucken, lernte ich doch einige wichtige Dinge in diesem Fache. Noch wusste ich ja auch nicht, dass ich später einmal Chemie studieren würde.

 

 

UTP

 

Unterrichtstag in der Produktion, kurz UTP genannt, hatten wir im Berliner Glühlampenwerk, ehemals Osram, in der Nähe der Warschauer Brücke. Hier lernten wir den Produktionsablauf kennen, feilen, bohren, löten, kleine Schaltkreise zusammenbauen usw.

 

Viele Monate musste ich im Fuhrpark „arbeiten“. Doch zu lernen gab es dort wenig. So schliff ich mit Schmirgelpapier an Ventilen herum, wusch mal ein Auto und hatte viel Muße. So spielte ich gern mit den Ventilen und einer kleinen Stahlkugel „Fußball“ auf der Werkbank.

 

Mein zuständiger Betreuer, ein echter Arbeiter, hielt die „Drei“ wohl für die beste Zensur für einen Schüler. Meine Eltern fanden diese Note nicht so gut. Doch da sieht man schon, was ein einzelner Arbeiter im Arbeiter- und Bauerstaat für Macht hatte. Er konnte mir glatt das Zeugnis in der 8. Klasse versauen. Denn ansonsten hatte ich nur Einsen und Zweien.

 

 

Noch einmal Sport

 

 

Obwohl die Lieblingsdisziplin unseres Sportlehrers das Exerzieren war, wollte ich schon immer gern sportlich sein. So versuchte ich mich beim Judo, Boxen, Federball, Schach, später noch beim Basketball und Volleyball sowie beim Karate.

 

Bis heute spiele ich noch Schach und bin mit meiner lieben Frau in einem Tanzclub. Dass ich Schach spielen lernte, verdanke ich vor allem dem Väterchen, der mir als ich sechs Jahre alt war, zeigte, wie man die Figuren setzt. Vati hat es wahrscheinlich von seinem Vater, welcher für mich Opa Konrad war, gelernt. Wobei die Jahre, als meine Großeltern mit ihren Kindern in Russland lebten, sicher auch einige Muße zur Pflege des Schachspiels als alte russische Tradition mit sich brachte. Opa Konrad forderte mich dann auch regelmäßig zu kleinen Wettkämpfen heraus und ärgerte sich bald über meine Fortschritte beim Schachspielen. Sonntags durfte ich Vati manchmal auch zu seinen Turnieren begleiten.

 

Beim Schach lernte ich zunächst in Vatis Schachverein von unserem Schachlehrer Herrn Wilke wie man mit den Schachfiguren auch gewinnen kann, so dass ich mit dreizehn Jahren bereits an der Berliner Meisterschaft in meiner Altersgruppe teilnahm. Als ich dann gegen den späteren Berliner Meister, Strobel, antrat, sahen drei hübsche Mädchen zu, was mich wohl doch etwas verwirrte. Später versuchte ich mich nach einer längeren Pause im Fernschach und in Anklam spielte ich dann wieder aktiv in einem Verein. Doch ist das Schachspiel für mich nicht in erster Hinsicht Sport, sondern auch eine gute Art der Unterhaltung mit meinem Vater gewesen, wobei ein/zwei Bierchen und ein oder zwei Kognak dazu gehörten.

 

Da sich meine Eltern wohl einmal beim Tischtennis kennen gelernt hatten, durfte ich sie von klein auf auch schon mal zu dem einen oder anderen ihrer Turniere begleiten. Beim Tischtennis spielte ich später, als wir schon in Kleisthöhe wohnten, einige Jahre in einer Mannschaft. Doch als wir dann nach Anklam verzogen, brachten mich die Turbulenzen des Wendejahres 1989 mit ihren vielen abendlichen politischen Veranstaltungen vom regelmäßigen Training ab.

 

Alle meine sportlichen Bemühungen bewegten sich jedoch stets auf Volkssportniveau.

 

 

Endlich ein Brüderchen

 

Juli 1961. Also das Brüderchen ist da und es wird viel im Kinderwagen von mir und meinem Freund Achim spazieren gefahren, weil das Mütterchen es manchmal so wünscht. Was tut man nicht alles. Spaß machte es, den Kinderwagen abzustoßen, bis er ein paar Meter vor uns rollte. Wir waren wahre Künstler im Kinderwagen fahren.

 

Schlimm war, dass an der Warschauer Brücke plötzlich eine Bordsteinkante mitten auf dem Bürgersteig auftauchte. Sicher war diese Kante schon sehr lange an dieser Stelle. Achim und ich entdeckten dies jedoch zu spät. Der Wagen rollte, stieß gegen die Kante, kippte im Zeitlupentempo hintenüber und stand plötzlich Kopf. Shocking. Wir liefen die paar Meter. Das Brüderchen hing im Kinderwagen mit dem Kopf nach unten, frei federnd ohne das Pflaster zu berühren und sah recht erschrocken aus. Er war so fest in sein Deckbett und Kissen eingepresst, dass er nicht herausfallen konnte. Wir stellten ihn vorsichtig wieder andersherum. Keine Schramme, kein nichts. Wir konnten zu unserer Erleichterung nichts feststellen.

 

Ich glaube, wir haben der Mutter damals nichts gebeichtet.

 

 

Noch mehr Gefahren

 

Ich passte später natürlich umso mehr auf ihn auf.

 

Es war schon eine wahre Dressurleistung, ihm später im lauffähigen Alter beizubringen, an jeder Bordsteinkante am Straßenrand anzuhalten und zu warten, bis ich ihn dann am Händchen haltend hinüberbringen konnte. Ich gestehe, dass er zu diesem Zwecke von mir öffentlich Klapse auf seinen kleinen Hintern bekam, was mir vorbeigehende ältere Damen dann auch schon übel nahmen.

 

Doch Sicherheit zuerst. Noch eine gefährliche Panne konnte ich mir mit ihm nicht mehr erlauben. Einmal half ich ihm aber auch aus der Patsche. Er wollte mir partout nicht glauben, dass man nicht zu dicht an den Karpfenteich in der Nähe unseres Gartens bei Pankow-Heinersdorf herangehen sollte, da man einfach hineinfallen kann.

 

Er wollte wie so oft mal wieder nicht hören. Er fiel mit dem Kopf zuerst, versuchte, sich mit den Händen abzustützen und reckte den kleinen Hintern hoch. Hände und Füße hatten den Grund des Teiches erreicht, denn dieser war nicht tief. Sein kleiner Hintern überragte die Wasseroberfläche, so dass Herbert sichtbar blieb und ich ihn wieder herausholen konnte. Er war ziemlich feucht am ganzen Körper bis auf eine kleine Stelle an seinem Hosenboden. Schuld war natürlich ich, wie so oft bei der Beaufsichtigung meiner jüngeren Geschwister, ohne irgendwelche Namen zu nennen.

 

 

Die Grenze wird geschlossen

 

Nach dem Tod von Onkel Paul war Oma Bertko mit ihrem Wellensittich Jacky nach Westberlin gezogen, wo wir sie auch ab und zu besuchten. Gela war in den Sommerferien wohl einige Tage zu Besuch bei unserer Oma. Jedenfalls muss ich damals noch keine Zeitungen gelesen haben und die Nachrichten im Radio habe ich wohl auch noch nicht bewusst wahrgenommen. Schwupp war die Grenze zu und am Grenzübergang Oberbaumbrücke standen Kampfgruppen.

 

Mutti schickte mich los, das Schwesterchen abzuholen.

 

So stand ich dann am 13. August 1961 mit Herbert zusammen am Grenzübergang Oberbaumbrücke und wartete auf unser liebes Schwesterchen. Herbert saß brav in seinem Kinderwagen und freute sich, als Gela dann endlich angehüpft kam. Zurück konnte jeder, bloß rüber nicht mehr. Fast hätte die Großmutter das Schwesterchen drüben behalten.

 

Verstanden hatte ich natürlich mal wieder nichts. Ich ärgerte mich vor allem, dass es nun auf direktem Wege für mich keine Comics, Romanhefte, Kinobesuche in Westberlin und Süßigkeiten von Drüben mehr gab.

 

Später war ich noch einmal fast in Westberlin, als meine Drachenschnur riss und der Drachen auf der Oberbaumbrücke runter ging. Die Grenzer halfen mir, ihn wieder zu bekommen und setzten mich rüber. Aber was sollte ich drüben?

 

Onkel Günter sah dies ganz anders und schwamm am 13. August noch durch die Spree nach Westberlin rüber. Er ließ Manfred, Sieglinde und seine Frau Ingeborg vorerst hier im Osten zurück und holte sie erst später nach. Erst 13 Jahre später zu Herberts Jugendweihe sah ich Onkel Günter noch einmal wieder.

 

 

Jugendweihe

 

Vati nahm die Türen aus den Angeln, baute die Betten auseinander und schuf Raum zum Feiern in der kleinsten Hütte. Da die Türen entfernt waren, reichte die Festtafel nun vom Schlafzimmer durch den Türrahmen hindurch bis ins Wohnzimmer. Es war schon erstaunlich, wie viele Gäste in unserer kleinen Neubauwohnung Platz fanden. Es wurde gefeiert, dass sich die Wände bogen. Vom eigentlichen Feiern bekam ich nicht viel mit.

 

Ich erinnere mich noch, dass ich festlich eingekleidet wurde. Ein Anzug mit Pepita-Muster wurde gekauft, den ich noch lange tragen durfte. Ich bekam eine Fliege um, die sich ab und zu wie von selbst senkrecht stellte. Der besondere Höhepunkt meiner Ausstattung war ein Perlon- oder Nylonmantel von Oma Bertko aus Westberlin, der damals natürlich als todschick galt.

 

Wir Jungs sahen alle ganz toll aus in unseren Anzügen, die Mädchen hatten natürlich umwerfende Klamotten an. Um ihnen zu gefallen, hatten wir unsere Haare mit Wasser nass gemacht und unsere Tolle seitlich nach hinten gekämmt. Fräulein Hall hatte ihre helle Freude an uns, als sie uns im Festsaal des VEB Narva auf der Bühne Bücher und Urkunden überreichte.

 

Von unserem UTB-Betrieb bekam ich als Geschenk ein Tischtennisspiel, so dass wir später am Wohnzimmertisch ordentliche Wettkämpfe austragen konnten. Von den vielen Gästen bekam ich insgesamt 360,- Mark geschenkt, wobei das Geld wohl mehr für meine Eltern gedacht war.

 

Vati machte noch ein paar Fotos zum festlichen Anlass, wobei meine Fliege natürlich gern nach oben stand. Tante Ingeborg, Tante Hilde, der Tick Tack Opa waren wohl auch mit zur betrieblichen Feierstunde.

 

Nun war es nicht mehr weit bis zu meinem Schulwechsel in die EOS und zu unserem nächsten Umzug.

 

 

Berufsberatung

 

In der 8. Klasse begann nun die Vorauswahl für den Besuch der EOS und erstmalig sollte das Abitur mit einem Berufsschulabschluss verbunden werden. Da ich ja ausgewählt war, ging dann Vati eines schönen Tages mit mir zur Berufsberatung. Mein Name beginnt mit „S“ und die Einladungen zur Berufsberatung wurden offensichtlich in alphabetischer Reihenfolge versandt, wodurch die Angebote für mögliche Ausbildungsberufe bereits etwas ausgesucht waren, als ich an der Reihe war.

 

Eigentlich wollte ich etwas mit Zeichnen machen, aber Mutti sagte immer: „Lerne was Vernünftiges. Von Kunst kann man sich nicht ernähren.“ Ja, Feinmechaniker, das war vielleicht Vatis Wunschberuf für mich gewesen. Doch hier waren schon alle Ausbildungsplätze vergeben und die entsprechenden Schulklassen für die jeweilige EOS alle schon voll. Genauso war es beim Chemielaboranten.

 

Für mich blieb eigentlich nur noch die Wahl zwischen Schriftsetzer und Fotochemielaborant.

 

Wir entschieden uns für den Fotochemielaboranten, da ich ja gern fotografierte und bei Herrn Schuldt ja einiges im Chemieunterricht gelernt hatte. Praktisch bedeutete diese Entscheidung für mich, dass ich ab der 9. Klasse in die EOS „Heinrich Hertz“ in Köpenick ging und gleich zeitig eine Lehrausbildung in den Fotochemischen Werken Köpenick begann.

 

Doch zunächst zogen wir wieder einmal um, in die Jungstraße.

 

 

 

Teil 4

 

Die neue Wohnung

 

Der Beginn meiner Zeit als EOS-Schüler und als Lehrling verbindet sich für mich mit unserem Wohnungswechsel in die Jungstraße. Unsere „neue“ Wohnung befand sich Parterre in einem Altbau mit Jalousien an den Fenstern, die sowohl zum Vorderhaus als auch zum Hof hinausgingen.

 

Auf dem kleinen Hinterhof wuchs etwas Grün und Vati spielte mit mir dort auf beengtem Raum sogar manchmal Federball.

 

 

Mein Freund Achim

 

Achim war schon Stammsänger im Eisenbahner Kinderchor als ich dort anfing. Er sang in der ersten Stimme bis er 16 Jahre alt war, da sein Stimmbruch irgendwie anders verlief als bei uns. Ich kannte ihn schon aus unserer Zeit in der Modersohnstraße. Er hatte schon immer ein Einzelzimmer bei seinen Eltern, was ich selbst erst in der Jungstraße bekam. Er besuchte mich noch als wir schon längst in der Jungstraße wohnten oder er fuhr mit uns mit hinaus in unseren Garten bei Pankow-Heinersdorf. Er war ein Einzelkind und für mich „aus vornehmen Hause“.

 

Wie wurden wir Freunde? Wir waren nur acht Jungs im Chor und 10mal so viele Mädchen. Unsere Stimmen als Jungen waren also gefragt, besonders bei Rundfunkaufnahmen im Studio. Nach einer solchen Rundfunkaufnahme standen wir nahe dem Funkhaus Berlin Nalepastraße und warteten auf die Straßenbahn. Es dunkelte bereits. Da wir Jungs ständig irgendwie tobten oder uns irgendwie beweisen mussten, begannen wir an der Haltestelle Grasbüschel mit Wurzelballen herauszureißen und bewarfen uns damit nach allen Regeln der Kunst.

 

Die Zentrifugalkraft ließ unsere Grasbüschel, die wir kühn schwangen, weit fliegen, klatschend trafen sie ihr Ziel, Sand und Dreck flog durch die Gegend. Achim, der größer war als wir, bot ein gutes Ziel und bekam wohl auch am meisten ab, da er sich nicht wehrte. Die Mädchen feuerten uns an.

 

Doch meine Eltern erfuhren von seiner Mutter, dass ich wohl der schlimmste Rüpel an diesem Abend gewesen sein sollte und seine Kleidung verschmutzt hatte. Also sagte meine Mutter: „Du gehst hin und entschuldigst Dich. Das ist das Mindeste.“

 

Es tat mir auch im Nachhinein irgendwie leid, dass ich ihn an der Haltestelle auch fast zum Weinen gebracht hatte. Bei meiner Entschuldigung lernte ich sein „eigenes“ Zimmer kennen und wie das Leben so ist, wurden wir bald richtige Freunde, obwohl er älter war als ich. Zunächst durfte ich ihn in seinem Zimmer besuchen. Er zeigte mir seine Spiele und Bücher.

Aus Sicht meiner Eltern hatte ich ja nun Umgang mit einem „anständigen“ Jungen, der kein Straßenjunge war wie meine meisten anderen Freunde. Zusammen mit Achim passierte mir auch das Malheur mit Herbert, als sein Kinderwagen umkippte und wir alle großes Glück hatten.

 

Wenn er gelegentlich sonntags mit uns zu unserem Garten mitfuhr, spielten wir ausgiebig zusammen und machten mit Roller und Bambi-Rad die Gegend unsicher. Als wir einmal Rhabarber auf einem fremden Gartengrundstück ernteten, überraschte uns der Besitzer, ein älterer ungepflegter Mann stürmte für uns überraschend aus seiner Laube, erschreckte uns und beschlagnahmte unseren Roller, den wir bei unserer überstürzten Flucht zurückließen. So mussten wir unseren Fehlgriff beichten und Vati holte mit uns den Roller wieder zurück. Der Roller tat noch viele wertvolle Dienste und nach Herbert und Tina fuhren ihn sogar noch unsere Mädchen in Kleisthöhe.

 

Je mehr ich EOS-Schüler und Lehrling wurde, umso spärlicher wurden unsere Kontakte. Später traf ich Achim noch einmal an der Humboldt-Universität wieder, als „meinen“ Mathematikassistenten.

 

Er war damals Forschungsstudent am Physikalisch-Chemischen Institut in der Bunsenstraße. Er half mir aus alter Freundschaft, da er auch meine Mathe-Klausuren durchsehen durfte und Aufsicht bei den Klausuren führte.

Er hatte, anders als ich, schon immer das klare Berufsziel gehabt, Chemiker zu werden und half schon als Schüler an der 6. POS seiner Chemielehrerin, Frau Kannenberg, im Chemieraum. Im Chemieclub seiner Schule half er die Reagenzgläser auszuwaschen. Bei ihm war es besonders sein eiserner Wille, der ihn zum Wissenschaftler werden ließ.

 

Dieser Wille fehlte mir jedoch, so dass ich zwar Chemiker wurde, aber dann nicht blieb.

 

 

Ein eigenes Zimmer

 

In der Jungstraße bekam ich das, was wohl jeder junge Mensch für seine Entwicklung braucht: ein eigenes Zimmer. Nun konnte Gela im Wohnzimmer schlafen und Herbert bei den Eltern im Schlafzimmer. Herbert war 1 Jahr, Gela war 9 und ich war 14 Jahre alt.

 

Im September 1963 ging für mich eigentlich erst der Ernst des Lebens los. Nun fuhr ich regelmäßig mit der S-Bahn zur EOS nach Adlershof und einmal in der Woche zur Lehrausbildung nach Köpenick.

 

Morgens bedeutete dies für mich 10 Minuten eiliger Fußweg zum S-Bahnhof Ostkreuz, dann die S-Bahnfahrt bis Adlershof und danach noch einmal 5 Minuten Fußweg. Nach Schulschluss ging es in umgekehrter Reihenfolge zurück. Nach Köpenick ging es analog. Nur dass ich dort noch einen 15-minütigen Fußweg bis zu den Fotochemischen Werken hatte. Ich gewöhnte mich an diesen Trott und nutzte die Zeit in der S-Bahn meist zum Lesen oder Dösen.

 

Meine Klassenkameraden kamen aus ganz Berlin inklusive Randbezirke. Schnell erkannte ich, dass meine bisherigen Zensuren hier nicht der Maßstab waren. In ersten Vergleichsklausuren in Mathe, Physik und Deutsch (Diktat) bekam ich überall Dreien und einige meiner Klassenkameraden sogar Vieren.

Da hieß es also: Ernsthafter lernen und es half mir schon, dass ich ja nun ein eigenes Zimmer hatte und damit bessere Lernbedingungen als zuvor.

 

 

Neue Klassenkameraden

 

Der Umzug in die Jungstraße und die neue Schule brachten es mit sich, dass ich schlagartig von allen meinen alten Spiel- und Klassenkameraden getrennt wurde. Zeitweise fühlte ich mich nun recht allein und musste mich in dieser neuen Welt erst zurechtfinden. Dies spürte ich besonders schmerzlich, als einmal ein Junge aus einer entgegenkommenden Dreier-Jungengruppe mir auf meinem Schulweg überraschend mit einem Fuß meine Schulaktentasche wegstieß und überheblich laut zu mir sagte: „Streber!“ Ich trabte unglücklich weiter zum Bahnhof Ostkreuz und fühlte mich sehr allein.

 

Hinzu kam. Dass ich in eine Mädchenklasse gekommen war. Wir waren 5 Jungs und 19 Mädchen. Das war schon etwas gewöhnungsbedürftig. Da wir Jungs im Unterricht wohl zu viel schwatzten, wurden wir auch noch auseinander gesetzt. Nun war ich nur noch von Mädchen umgeben. Doch uns Jungs blieben ja noch die Pausen und in der Lehrausbildung sah man diese Dinge nicht so verbissen. So dass wir dort wieder zusammen sitzen konnten.

 

 

Die Mädchen

 

Von all den Mädchen war zunächst keines mein Typ und ich wollte auch noch keine Beziehung und war immer noch mächtig schüchtern. So „wahrte“ ich meine Jungfräulichkeit noch bis zum Studium. Meine Liebe war zu dieser Zeit mehr platonischer Natur bis zum Abi-Ball, auf welchem ich scheinbar ein Mädchenherz erobert hatte.

 

Bis auf Tanzen, Klassenfeten, Klassenfahrten mit vorsichtigen Berührungen passierte nichts. Ich hatte auch das Gefühl, dass ich noch Zeit hätte und es irgendwie zu früh gewesen wäre. Wo hätte ich auch mit einer Freundin hingewollt in der Jungstraße? Was hätten meine Eltern dazu gesagt?

 

Als ich später im GST-Lager einem Mädchen etwas näher kam, schrieben wir uns hinterher zwei Jahre lang rosa Liebesbriefe. Doch sahen wir uns nie wieder.

 

So blieb ich während meiner Schulzeit vorwiegend ein heranwachsender Junge und Schüler.

 

 

Lernen

 

Meine Lieblingsfächer waren Zeichnen, Sport und Biologie. Aber alle anderen Fächer mussten auch bearbeitet werden. Vieles hing bei mir vom Lehrer ab. Ob ich wirklich motiviert war, ehrlich in diesem oder jenem Fach etwas zu tun.

 

Doch möchte ich nachträglich nichts auf die Lehrer schieben. Denn lernen musste ich schließlich selbst. Jedenfalls merkte ich, dass ich eigentlich gar keine richtige Methode zum Lernen hatte. Die Bücher „Lernen – aber wie?“ und „Studieren – aber wie“ las ich erst später als Student. Da ich keine richtige Methode hatte, lernte ich recht zeitaufwendig und paukte mir einiges ein, wozu ich meine Mitschriften und die Schulbücher nutzte.

 

Meinen „Ehrgeiz“, einen bestimmten Zensurenstand zu erreichen, passte ich eigentlich immer meinen realen Möglichkeiten an. Insgesamt hielt ich mich für fähig, gute Noten zu erreichen und schätzte meine Intelligenz als durchschnittlich ein. Meine Möglichkeiten sah ich bei einem Zensurenstand zwischen 2 und 3. Überall, wo ich ein besseres Ergebnis erzielte, hatte ich Glück, eine bestimmte Routine erworben, die Sympathie des Lehrers oder musste einen erheblich höheren Aufwand treiben.

 

Auf jeden Fall lernte ich damals mehr zufällig ohne den Blick für wesentliche Dinge zu haben. So lernte ich manchmal auch Dinge, die nicht erforderlich oder überflüssig waren.

 

So las ich freiwillig und zusätzlich verschiedene Chemie-Bücher aus der Bibliothek, auch über die Fotochemie im Voraus, bevor wir im Unterricht oder in der Berufsausbildung so weit waren.

 

Hierbei verstand ich zunächst meist nur wenig und machte mir eigentlich nur das Leben schwerer. Ich las sogar den ganzen dicken „Simplizissimus“ von Grimmelshausen, obwohl wir im Unterricht nur eine kleine Broschüre mit Auszügen aus dem Werk behandelten.

 

Dafür las ich später manche Pflichtliteratur überhaupt nicht, wie z.B. „Der Streit um den Sergeanten Grischa“ oder “Die Buddenbrocks“. Die „Pflicht“ ein Buch zu lesen, das ich mir nicht selbst ausgesucht hatte, störte mich sehr. „Ole Bienkopp“ wiederum las ich gern, obwohl es auch zur Pflichtliteratur gehörte.

 

Vier von uns fünf Jungen hielten gut zusammen und wir mogelten uns dann bei den Kontrollklausuren über die zu lesende Pflichtliteratur irgendwie durch. In der Hofpause tauschten wir uns über die Passagen aus, die jeder von uns gelesen hatte, so dass man im Groben und Ganzen über den Inhalt der Pflichtliteratur Bescheid wusste.

 

 

Ein eingeschworener Haufen

 

Bis auf Milan waren wir Jungs ein eingeschworener Haufen, der sich ja auch gegen eine weibliche Übermacht zu behaupten hatte. Milan war in der neunten Klasse klein von Wuchs. Doch in der 12. Klasse überragte er uns dafür alle. Sein Vater war Fotograph und er hatte immer viel Taschengeld in seiner Geldbörse und in seiner Brotbüchse hatte er stets Schokolade mit, von der er uns jedoch nichts abgab. Das waren Sachen, von denen ich nur träumen konnte. Er war ein Eigenbrötler und fehlte natürlich auf Klassenfahrten und im GST-Lager.

 

Auf unseren jährlichen Klassenfahrten hatten wir die Ehre, von unserem Klassenlehrer, Herrn W. und einer Berufsschullehrerin aus den Fotochemischen Werken begleitet zu werden. Manchmal fuhr Herr W. auch solo als Betreuer mit uns mit.

 

Auf unseren Klassenfahrten ging jedenfalls die Post ab. Wir Jungs hatten meist ein gemeinsames Quartier und spielten dann die halbe Nacht Skat um Bierlachs, die auch als Eisbecher zur Auszahlung kamen. Bier tranken wir selten auf Klassenfahrten. Aber manchmal war es schon ganz lustig, wenn wir alle untergehakt gemeinsam mit den Mädchen aus einer Gartenklause in die Jugendherberge zurück schaukelten.

 

Richtig einen drauf machten wir erst nach dem wir unser Abitur-Zeugnis ausgehändigt bekamen. Danach tranken wir Bier und Wodka in der Mitropa-Gaststätte des Bahnhofs Adlershof.

 

 

Klassenfahrten

 

Richtig Rauchen konnte ich noch immer nicht. Doch pafften wir schon ganz ordentlich, wenn wir Jungs auf unserem Zimmer während einer Klassenfahrt unsere Skatrunden zelebrierten. Wir fühlten uns wie zu Zeiten „El Capones“ und der Prohibition. Ein verrauchtes Zimmer, das Geräusch des Kartenmischens, ein Hut der mit herum ging und uns zeigte, wer mit Kartengeben dran war. Allerdings tranken wir Brause. Wer zuerst 501 Minuspunkte hatte, musste einen ausgeben. Kontra, Re und Schieberramsch waren zugelassen. Ich musste aufpassen, dass ich nicht zu oft verlor, da ich nicht so gut bei Kasse war, wie die anderen.

 

Tagsüber folgten wir Jungs dem offiziellen Programm der Klassenfahrt. Zum Beispiel: Besuch des Goethe-Hauses in Weimar, des KZ Ravensbrück usw. Irgendwo wurde preiswert Mittag gegessen. Abends ging es dann schon mal ins Gartenrestaurant. Danach untergehakt und singend zurück ins Quartier, meist war es eine Jugendherberge. So waren wir auch in der Sächsischen Schweiz, kraxelten durch die Schrammsteine zum Kuhstall hoch, wo die Ausflugsgaststätte natürlich gerade Schließtag haben musste, als wir durstig und hungrig oben ankamen.

 

Einmal kam ich zufällig mit vier Mädchen von der Gruppe ab, bis wir uns richtig verirrt hatten. Per Anhalter nahm uns dann ausgerechnet ein Beerdigungsauto, das gerade keinen Sarg transportierte, mit zurück bis zur Jugendherberge. Herr W. war eigentlich froh, dass wir heil wieder da waren, doch zeigte er sich grimmig und ich sollte an allem auch noch schuld gewesen sein.

 

Ein anders Mal kam ich verspätet im Dunkeln mit einem Mädchen in der Jugendherberge an. Meine kühne Ausrede, dass wir beide noch Glühwürmchen gesucht hätten, ließ Herr W. nicht gelten. Wir so oft, mimte er uns den harten Pauker. Diese Rolle hielt er auch bis zum Abi durch.

 

 

Harter Pauker

 

Erst auf einer Fete nach dem Abitur auf seinem Waldgrundstück im Berliner Randgebiet erfuhren wir nachdem Herr W. einige Gläser Bowle mit uns ausgeleert hatte, dass er ein begeisterter Skatspieler war und mit seinen Kumpels öfter bis zum frühen Morgen Skat gespielt hatte. Dann hatte er sich auf der Hinfahrt zur Schule in der Straßenbahn für uns schnell noch ein paar Fragen in Geschichte, Erdkunde oder Staatsbürgerkunde ausgedacht, die wir dann, in Gruppen a und b getrennt, damit wir nicht abschreiben konnten, beantworten durften. Pro Frage gab es eine Note, so dass man schnell mal vier schlechte Noten fangen konnte, denn die Fragen hatten es in sich. Z.B. wollte er einmal den Unterschied zwischen der Konzentration und der Zentralisation des Kapitals wissen. Wenn er dann nach dem Klingelzeichen mit mürrischem Gesicht in die Klasse gestampft kam, das Klassenbuch auf den Lehrertisch knallte und knurrte: „Hier stinkt es!“ riss er vorn das große Fenster auf und teilte uns grimmig mit: „Kontrollarbeit!“ Mit seiner ausgestreckten Hand teilte er uns in Gruppen a, b, a,… ein. Dann verlas er einmal jede Aufgabe und wir schwitzten, obwohl es durch das geöffnete Fenster meist kühl herein zog.

 

Jedenfalls war es nicht unser „Gestank“, den Herr W. an einem solchen Morgen nach durchzechter Nacht nicht ertragen konnte, sondern er befürchtete, dass jemand seine Alkoholfahne riechen konnte. Doch da er sehr stark rauchte, das Fenster offen war und er sich uns nicht näherte, bekamen wir nichts mit. Erst auf besagter Fete nach dem Abi erfuhren wir die Wahrheit.

 

 

GST-Lager

 

Mit 14 Jahre war ich bald zu alt für das Kinderferienlager. Einmal durfte ich noch mit ins damalige Kinderferienlager Wesendahler Mühle bei Strausberg.

 

Danach gab es für mich aber jährliche Klassenfahrten und auch GST-Lager. Das GST-Lager in Breege auf Rügen war zwar etwas militärisch organisiert, doch gab es auch viel Sport, Spiel und Spaß.

 

Da ich bis heute ein vollkommen unmilitärischer Mensch bin, erkannte ich damals keinen militärischen Sinn in den Ausbildungsmaßnahmen, die wir absolvieren durften. Ich versuchte einfach gut über die Runden zu kommen. Meine sportlichen Leistungen waren überall gut oder besser, bis auf das Langstreckenlaufen. Diese Schwäche begleitete mich bis zum Abitur. Die 100 Meter lief ich zum Abi sogar mit fast 12,0 Sekunden, doch die 1000 Meter keuchte ich nur so ab. Selbst meine rauchenden EOS-Klassenkameraden hatten keine größeren Probleme bei den langen Strecken. Mir fehlte offensichtlich noch die Einsicht, mich beim Laufen längere Zeit so anstrengen zu müssen. Der 3000-Meter-Lauf wurde im GST-Lager als Gruppendisziplin gewertet. Meine Kumpels trugen mich dann schon mal durchs Ziel, da ja die Zeit des Gruppenletzten, für die gesamte Gruppe zählte.

 

Da wir bei Herrn Schreiber ja das Exerzieren schon in der Turnhalle gelernt hatten, gab es in dieser Hinsicht hier für mich kaum etwas Neues zu diesem Thema zu lernen. An eine theoretische Ausbildung kann ich mich gar nicht erinnern. Kleinkaliber-Schießen gab es noch und ich bin bis heute kein guter Schütze geworden.

 

Wir waren jährlich im GST-Lager etwa 1.500 Jungs und Mädchen, die jeweils in getrennten Zeltlagern untergebracht waren. Wir schliefen in 12-Mann-Zelten. Natürlich konnten Mädchen und Jungs nur während der Ausbildungszeit getrennt gehalten werden.

 

In der Freizeit gab es die Ostsee, ein Freilichtkino und Tanzveranstaltungen. Im Freilichtkino rauchte ich mit 16 Jahren meine erste Pfeife. Wir fuhren mit unseren EOS-Schulkameraden ins GST-Lager, aber es nahmen auch andere Lehrlinge aus den Fotochemischen Werken Köpenick und aus anderen Betrieben der DDR teil. Ein erfahrener Lehrling, der schon länger Pfeife rauchte, erklärte mir, wie es funktioniert und stopfte mir seine zweite Pfeife, die ich dann tapfer rauchte. Von der alten Goya-Verfilmung, die wir uns Pfeife rauchend ansahen, bekam ich nicht viel mit. Mit weichen Knien und schwindlig wankte ich zu meinem Zelt zurück.

 

Die Tanzveranstaltungen waren das Beste am ganzen GST-Lager. Schon in den Kinderferienlagern „mussten“ wir Jungs ab und zu schon mal tanzen. Aber richtig konnte ich es nicht. Ich tanzte ein Art Blues: Links, rechts, links, rechts und lauschte der Musik. Die Bands bildeten sich im Lager spontan. In der Regel reichten drei „Künstler“. Ein Schlagzeug, eine oder zwei Gitarren und schon ging es los. „Welche Farbe hat die Welt?“ sang der Sänger und wir tanzten. Wenn man das Glück hatte, mehrmals mit dem gleichen Mädchen tanzen zu dürfen, merkte man schon, ob man auf Gegenliebe bzw. Interesse stieß. Dann konnte man das Mädchen nach dem letzten Tanz noch ein Stückchen Richtung Mädchenlager begleiten und bekam noch einen Abschiedskuss. Doch „Oh Schreck!“ ich konnte mit 16 auch noch nicht richtig küssen und wurde dann von einer fremden Zunge, die sich in meinen Mund schob, überrascht.

 

Am meisten Eindruck machte ich auf eine Rosi aus Bad Gottleuba, die immer „nu“ sagte, wenn sie „ja“ meinte. Ich brauchte einen Tag bis ich herausfand, dass „nu“ eigentlich „ja“ bedeutete.

 

Nun hatte ich ein Geheimnis, das aus rosaroten Briefen bestand, die mich regelmäßig in der Jungstraße erreichten und die meine Eltern mir ungeöffnet übergaben. Nun hatte ich also doch noch etwas Neues im GST-Lager gelernt und konnte mein neu erworbenes Wissen auf Klassenfahrten und -feten etwas festigen. Ansonsten sang ich den Bossanova: „Ich geh noch zur Schule. Ich hab noch viel Zeit. Ich muss noch viel lernen, darum tut es mir leid.“

 

 

Sport an der EOS

 

Den größten Ehrgeiz entwickelte ich trotz meiner Schwächen beim Langlauf im Sportunterricht. Frank Möbes, unser Primus, war der eigentliche Crack und Muskelprotz. Er spielte in Alt Glienicke im Handballverein und beherrschte wie alle anderen Fächer auch das Fach Sport als King. Trotz meines damals noch zarten Körperbaus eiferte ich ihm nach.

 

Zwei schwere Leninbände mit einem Vorwort von Stalin, die ich von meinem Vater „geerbt“ hatte, benutzte ich bei meinem morgendlichen Frühsport als Hanteln. Ich hüpfte, lief auf der Stelle, ruderte mit meinen „Lenin-Hanteln“ durch die Luft bis ich schwitzte. Da wir in der Jungstraße auf den Luxus einer Dusche und auch auf eine Badewanne verzichten mussten, wusch ich mich nach meinem Frühsport an unserem gusseisernen und emaillierten Waschbecken in der Küche von oben bis unten mit kaltem Wasser.

 

Ich glaubte recht lange an den Sinn von Frühsport und dass man sich von oben bis unten waschen muss. Dies hielt ich auch unter extremen Bedingungen bei Wassermangel im kasachischen Sommer 1969 und auch bei von innen vereister Dachschräge in der Studentenwohnung bei.

Aber vor Prüfungen und in meiner Assistentenzeit gab ich meine gesunde Lebensweise zeitweise auf. Ich begann dann zu rauchen und lernte zeitweise die ganze Nacht über durch.

 

Doch noch bin ich der brave Schüler Bernd, der sich bemüht, auf den Pfaden der Tugend zu wandeln. Da die Prüfungsnormen im Sportunterricht recht hoch angesetzt waren und alles nach dem Leistungsprinzip lief, gab es für mich nur einen Weg zum Ziel: Trainieren.

 

Wir Jungs waren so „verrückt“, dass wir sogar in den Ferien freiwillig zur Schule nach Adlershof fuhren und in der Turnhalle an Barren, Pferd, Reck und Pferd übten.

 

Mit 16 begannen einige von uns, nach einer Werbeveranstaltung der DAW-BSG, aktiv Basketball zu spielen. Wir wurden ganz gut und stiegen von der Stadtklasse in die Stadtliga auf.

 

An der Uni entschied ich mich später im Pflichtsport für das Schwimmen und nicht für den Basketball, da ich einerseits immer noch keine Dusche zu Hause hatte und zum anderen mit 19 Jahren feststellen musste, dass ich nicht viel größer geworden war, als ich mit 16 Jahren bereits war.

 

Mit meiner bescheidenen Körpergröße von einem Meter und siebzig war an einem „Fortkommen“ im Basketball für mich nicht mehr zu denken. Ich wollte auch nie Leistungssportler werden, da ich zu dieser Zeit noch an eine allgemein entwickelte Persönlichkeit als Zielvorstellung glaubte. Doch weiß ich heute, dass man, wenn man vieles kann, kaum etwas davon richtig kann. Jedenfalls musste ich mir meine „1“ im Fach Sport auf dem Reifezeugnis schwer erkämpfen.

 

 

Noch mehr Sport

 

Die Schulen und Berufsschulen beteiligten sich regelmäßig an sportlichen Wettkämpfen wie z.B. am „BZ Am Abend – Lauf“, an Leichtathletik-, Turnwettbewerben und Handballturnieren.

 

Beim BZA-Lauf hatte unsere Schule einige Titel zu verteidigen und unser Sportlehrer, Herr Hauthal, wählte seine“ Läufer langfristig und sorgfältig aus. Der Lauf ging durch halb Ost-Berlin und endete in einem Stadion, in welchem die Siegerstaffeln gewaltig angefeuert und bejubelt wurden. Da ich lange Strecken nicht gut lief, durfte ich jeweils 100 oder 200 Meter mitlaufen. Da mich Herr Hauthal für einen wendigen Burschen hielt, wie er sagte, durfte ich durch die Stadioneinfahrt einlaufen, d. h. 100 Meter vor dem und 100 Meter im Stadion laufen, was als unbequeme Laufstrecke galt. Jedenfalls wurschtelte ich mich durch die Stadioneinfahrt und gab dann den Staffelstab im Stadion weiter.

 

Spannend waren auch unsere Basketballturniere. Wir lernten fast alle Sport- und Turnhallen und Sportvereine Ost-Berlins kennen. Langsam wurde unsere Mannschaft auch erfolgreicher. Wir trainierten in einer damals modernen Schulsporthalle in Berlin-Johannisthal, die sogar noch eine kleine Schwimmhalle hatte. Unsere Trainingszeit war einmal die Woche abends von 18.00 bis 20.00 Uhr, was für mich als Schüler relativ spät war, da auch noch je eine Stunde An- und Abfahrtsweg hinzukamen. Wir verausgabten uns beim Training und im Turnier mit unserem TRalf, Herrn Pflöckner, vollkommen. Das Beste war, dass wir hinterher ordentlich warm duschen und manchmal auch in der Schwimmhalle toben konnten.

 

In der Kneipe vor der Turnhalle genehmigten wir uns gern noch eine Fassbrause, die kühl, farblos und nur etwas süß war und von uns gleich am Tresen gekippt wurde. Dann ging es mit dem Bus zum S-Bahnhof Berlin-Schöneweide und weiter nach Ostkreuz und dann noch 10 Minuten Fußweg bis nach Hause. Zu Hause warteten schon die Eltern auf mich und „Richard Kimpel, Der Mann mit dem Koffer“, der fast drei Jahre auf der Flucht war, oder Emma Piel und Butler Parker zeigten, was man „Mit Schirm, Scharm und Melone“ alles anstellen kann. Am nächsten Tag war ich dann meist geschafft und es kam schon mal vor, dass ich dann in der Archenhold-Sternwarte beim Astronomieunterricht, wenn nur der dunkle Sternenhimmel zu sehen war, einfach einnickte und dann auch einmal unsanft zur Leistungskontrolle geweckt wurde. Dann staunte mein Lehrer nicht schlecht, wie wenig ich von seinem Unterricht mitbekommen hatte.

 

Doch insgesamt überwog die Freude am Sport. Im Schulsportunterricht waren wir mit den Jungs aus der Parallelklasse zusammen, die ihre Berufsausbildung im VEB Berlin-Chemie zum Chemielaboranten machten. Hier kamen auch meine anderen Kumpels beim Basketball wie Freddy und Ronny her.

 

 

Herr Hauthal

 

Wenn Herr Hauthal es wollte und das Wetter es zuließ, hatten wir unseren Sportunterricht außerhalb des Schulgeländes auf dem Sportplatz. Wenn wir unser Sportpflichtprogramm gut erfüllt hatten, durften wir zur Belohnung Fuß-, Hand- oder Volleyball spielen. Daher gaben wir uns beim Pflichtteil auch Mühe und nahmen alle Strapazen auf uns, um es Herrn Hauthal Recht zu machen. Er erklärte uns alle technischen Disziplinen z.B. Kugelstoßen Weitsprung, Staffellauf, Bodenturnen usw. ohne uns dieselben zu demonstrieren. Dies ließen seine gewaltige Körperfülle, sein fortgeschrittenes Alter und sein Rheuma wohl nicht zu. Als er einmal bei der heimischen Kirschernte einen Hexenschuss bekam, ließ er den Sportunterricht für uns nicht ausfallen, sondern unterrichtete uns halb liegend halb sitzend weiter. Zu uns Jungs war er recht streng und ehrgeizig und verfolgte mit Freude unsere sportlichen Fortschritte.

 

Zum Sportabitur hatten wir dann u. a. einen Turnvergleichskampf mit einer andern Schule und ein Wettkampfgericht von Dynamo-Berlin bewertete unsere Leistungen mit Punkten für unsere Kür am Boden, Reck, Hochbarren und Pferd. Mein keuchender Atem beim Bodenturnen muss damals die ganze Halle ausgefüllt haben, so mucksmäuschenstill waren alle anderen als ich bei Hechtrolle in die Grätsche, aus dem Handstand in den Kopfstand, abrollen in die Waage, Schritt- und Sprungkombinationen, Kopfstand, Radschlagen usw. gewaltig schnaufte. An jedem Gerät bekam ich von den Kampfrichtern je 9 Punkte. So hatten sich die ganze Mühe vorher und das Üben in den Ferien doch gelohnt.

 

Bei Leichtathletikwettkämpfen in der Halle oder auf Sportplätzen hatte ich immer ein großes erhebendes Gefühl, wenn ich auch nur in den Sprintdisziplinen gut war. Beim Kugelstoßen hatte ich mit 50 Kilogramm Körpermasse nichts zu bestellen und die Langstrecken waren nicht mein Ding. Doch der Wirkung eines Sport-Wettkampfes konnte ich mich nie entziehen. Wenn mein Name aufgerufen wurde, entledigte ich mich innerlich feierlich meiner Trainingsjacke, öffnete behutsam die Reisverschlüsse meiner Trainingshose und dann ging die Post ab. Es war schon eine Auszeichnung, wenn man überhaupt als Vertreter der Schulmannschaft oder der Lehrlingsmannschaft der FCW Köpenick an einem Wettkampf teilnehmen durfte. Ich gab dabei schon mein Bestes, doch kam ich erst zum Abi in Hochform.

 

 

Konopkes Bratwurst

 

Wenn wir uns auf dem Sportplatz abgestrampelt hatten und beim abschließenden Fußballspiel die letzten Kraftreserven gelassen hatten, kamen wir frisch geduscht und mit schweren Schritten endlich zu Konopkes Bratwurstbude vor dem S-Bahnhof Adlershof. Konopkes Bratwürste waren ohne Darm und in Segmente gegliedert. Sie wurden frisch gebraten auf einen kleinen Pappteller mit einer Schnitte Weißbrot und einem unnachahmlichen Ketschup serviert.

 

Wir gaben nach dem Sportunterricht gern 1,60 Mark für 2 Würste aus. Wir bekamen ja ab der 9. Klasse 30 Mark Lehrlingsentgelt pro Monat, welches sich bis zur 12. Klasse dann auf 70 Mark erhöhte, so dass ich sie mir auch leisten konnte. Es war jedes Mal ein hoher Genuss, die Bratwürste zu verputzen. Der Höhepunkt war natürlich noch ein Pappbecher mit farbloser Fassbrause zum Nachspülen, die wir dann auf der Heimfahrt auf einem Bahnhofsbahnsteig nachkauften.

 

Da zwischenzeitlich in den Medien viele Details zum Doping im Sport in der DDR offen gelegt wurden, muss ich hier leider auch diese Bratwürste und den geheimnisvollen Ketschup nennen, dessen Zusammensetzung ein Konopkesches Betriebsgeheimnis war. Auch der häufige Genuss der farblosen Fassbrause kommt mir aus heutiger Sicht verdächtig vor. Wahrscheinlich wurde bereits im Schul- und Breitensport der DDR gedopt.

 

Die Abhängigkeit von der Konopkeschen Bratwurst verfolgte mich durch ganz Berlin, so dass ich bald alle Konopkeschen Bratwurstbuden kennen lernte. Selbst als Student ging ich meiner Sucht nach.

 

Um alles offen zu legen, gebe ich zu, dass auch beim Schachspielen gedopt wurde. Vati und Manfred waren in Pankow-Heinersdorf manchmal meine Gegner in einem familieninternen Schachturnier, welches wir bei schönem Wetter in einem nahen Gartenrestaurant austrugen. Hier gab es eine bierähnlich schäumende nach Apfelsaft schmeckende Fassbrause, die offensichtlich noch stärker wirkte als die farblose, denn wir wurden recht lustig davon.

 

Bei jeder Partie ging es um eine neue Runde Fassbrause für alle drei Turnierteilnehmer, die letztlich Vati doch alle spendierte, obwohl die Verlierer eigentlich zahlen sollten. Als wir älter wurden spielten wir dann sogar um Weiße mit Schuss, die uns bald besser schmeckte als Apfelbrause vom Fass und ebenfalls nur wenige Pfennige kostete.

 

Weitere sportliche Fortschritte machte ich während meiner Wohnzeit in der Jungstraße nicht. Als Student nahm ich später am obligatorischen Schwimmsport teil und hörte mit dem Basketballspielen auf, bis ich episodenhaft noch einmal in der Mannschaft der Humboldt-Universität mitspielte.

 

Doch die kurz erwähnte Gartenzeit in Pankow-Heinersdorf ist auch einige Bemerkungen wert, da sie als Ausgleich für unsere bescheidenen Wohnbedingungen in der Altbauwohnung in der Jungstraße eine Art Entschädigung bot und sich viele angenehme Erinnerungen mit dem Garten verbinden.

 

 

Unser Garten

 

Der Garten war wie eine andere Welt. Mir ist der Garten erst seitdem wir in der Modersohnstraße wohnten bewusst in Erinnerung. Doch wahrscheinlich hatte Vati mit seiner einjährigen Tätigkeit in den Siemens Schuckert Werken in Westberlin den finanziellen Grundstock für diesen kleinen Wohlstandsbonbon gelegt. Fernseher, Bambi-Rad und Roller, letztere luftbereift, waren weitere kleine sichtbare Symbole gewachsenen Wohlstandes für unsere Familie. Doch Vati hatte relativ spät begonnen, in Westberlin zu arbeiten. Er konnte einen Teil seines Westgeldes im Kurs 1:5 umtauschen und auch direkt in seiner Firma den schon erwähnten Fernseher kaufen.

 

Doch nun zum Garten. Dieser lag in Pankow-Heinersdorf Richtung Blankenburg, war mit der S-Bahn erreichbar und man hörte auch die S-Bahn und die Züge, wenn sie ca. zweihundert Meter nahe an der Gartenanlage vorbeifuhren.

Doch es überwog die Ruhe und die traute Eintracht mit den Gartennachbarn ohne dass daraus familiäre Freundschaften oder Bekanntschaften wurden.

 

Dafür schlossen wir Kinder umso mehr Bekanntschaften. Achim Denckel durfte mich auch ab und zu besuchen. Einen Spiel- und Abenteuer-Kameraden in der Gartenanlage fand ich in Kalle.

Wir riefen uns schon von weitem in sehr hoher Stimmlage über den Gartenzaun zu: „ Huu-Huuuh!!!“ Das war unser Erkennungsruf.

 

Wir erkundeten zusammen die Umgebung, kletterten auf hohe Bäume, stromerten in der Gartenanlage umher und im Park oder am Karpfenteich.

 

Ein Baum im Park war schon von anderen Abenteurern durch eingeschlagene stabile große Nägel bekletterbar gemacht worden, so dass man in seine gewaltige Krone hochklettern konnte. Das ging ganz gut, doch dann sah ich nach unten und da ging nichts mehr. Nackte Angst erfasste mich. Mit Müh und Not kam ich wieder heil herunter.

 

Ich war auch sonst etwas ängstlich. Wenn ich in „meinem„ Verschlag in der Laube übernachtete, sah ich erst unter dem Bett nach, ob schon jemand drunter läge.

Ich hatte tatsächlich Angst vor Einbrechern oder Mörder. Wenn ich früh im Morgengrauen wach wurde, hatte ich Angst, dass da noch jemand war, der mich in meinem Bettchen beobachtete. Wenn es heller wurde und alles sichtbar geworden war, war ich froh, dass ich mich umsonst geängstigt hatte. Doch mit der Zeit stellte ich fest, dass es keinen gab, der mich beobachtete, verfolgte, ausrauben oder umbringen wollte und meine Ängste nur in meiner Fantasie bestanden.

 

Tagsüber bestand ich mit Kalle alle möglichen Abenteuer und war etwas mutiger als nachts. Er machte mich auch mit den Mädchen der Gartenanlage bekannt, von denen einige sogar ihren festen Wohnsitz mit ihren Eltern dort hatten.

 

Zwei hübsche Schwestern bei Kalle gegenüber waren schon zu weit entwickelt für uns und hatten auch schon größere Freunde. Dafür freundeten Gela und ich uns mit den 3 Töchtern der Familie „Göhls“ an.

 

Mit der ältesten Tochter durfte ich sogar öfter Federball spielen. Doch auf meine Zurückhaltung zum weiblichen Geschlecht hatte ich ja schon hingewiesen. Außer mal im Dunkeln verstecken spielen und einen Arm umlegen und Abschiedsküsschen, ist nicht viel passiert. Hinzu kam, dass ich ja aus der Stadt Berlin, der Großstadt kam und Pankow-Heinersdorf ja schon außerhalb Berlins lag und für uns Kinder fast als dörflich galt. Auch waren wir nur samstags und sonntags da, wobei am Samstag noch gearbeitet wurde und wir waren in den Ferien da, wenn Vati Urlaub hatte.

 

Dieser garten war ein toller Ausgleich zum Wohnen in der Stadt. Es gab frische Luft, Sonne, Obst und Gemüse. Wir Kinder hatten immer unsere Beschäftigung, die natürlich vorwiegend aus Spielen bestand.

 

Federball spielen hatte ich schon erwähnt. Vati war hier ein fordernder Gegner und ich spielte auch ein halbes Jahr in einem Federball-Sportverein, so dass wir schon einige Tricks drauf hatten: Vorhand, Rückhand, schneiden, schmettern, Bogenlampe, harten Schlagabtausch, so dass der Federball schon mal im Netz des Schlägers stecken blieb. Wir stellten auch Rekorde auf bei der Anzahl der Federballwechselschläge, bis er herunterfiel.

 

Gern spielten wir „ Mini-Golf!“. Da wir keine Anlage hatten und keine Minigolfschläger, benutzen wir unsere Federballschläger, um mit Geschick den Ball von einem Hindernis zum anderen zu stoßen. Der Schläger wurde am Griff nach unter gehalten und mit der unteren Holzkante wurde der Ball gestoßen. Die Hindernisse hatten wir selbst erdacht und gebaut: Bögen und Löcher.

 

Insgesamt war es eine sehr schöne Zeit, die wir in unserem Garten verleben durften.

 

 

Ein zweites Schwesterchen

 

Bereits im März 1966 kommt unser Nesthäkchen zur Welt und da ist unser Tinchen. Ja, groß bekannt wurde ich mit ihr eigentlich nicht mehr so in der Jungstraße, da ich ein Jahr später den heimischen Herd verließ, um es mal so zu umschreiben.

 

An eine Episode erinnere ich mich noch.

 

Wie gehabt, durfte ich auch meine jüngste Schwester beaufsichtigen und ausführen. Im angrenzenden Stadtpark saß ich dann auf einer Bank, etwas lesend, und Tinchen spielte irgendwie im Sand. Da setzte sich eine Mutter, deren Kind ebenfalls im Sandkasten spielte, auf die Bank dazu und wollte sich mit mir über Kindererziehung unterhalten. Ich sagte ihr, dass ich eigentlich nur auf mein Schwesterchen aufpassen würde. Das ist sicher nicht sehr viel, was mir einfiel.

 

Aber mein Erinnerungsvermögen erscheint mir hier etwas einseitig getrübt, da ich mich in dieser Zeit doch intensiv mit den Themen Lernen und später Studieren befassen musste und für Tina wenig Zeit blieb. Diesmal wichen wir vom Schema ab und zogen nicht wieder um, da wir einer mehr geworden waren, sondern ich zog mit 19 Jahren aus. Nun bekam Gela "mein" kleines Zimmerchen mit Blick in Richtung Hinterhof.

 

 

Abitur

 

Eines schönen Tages begann ich regelmäßig mein FDJ-Hemd zum Schulunterricht anzuziehen. Ich wollte meine Eltern nicht groß aufregen, und sagte ihnen erst auf Nachfrage, dass meine Abi-Prüfungen begonnen hatten.

Jedenfalls habe ich alles heil überstanden. In Mathe lief es nicht so gut, da ich ausgerechnet die Kegelschnitte nicht mochte, die sich Herr Beyrich, mein Mathelehrer, dann für die mündliche Prüfung ausgesucht hatte.

Schriftlich hatte ich mehr Glück, so dass ich insgesamt noch eine Drei in Mathematik auf dem Reifezeugnis bekam. Dies war dann aber auch meine schlechteste Note. Beim Facharbeiterbrief war alles gut oder besser.

 

Jedenfalls liefen wir vier Jungs mit dem frischen Abi-Zeugnis unterm Arm, gemeinsam unter einen großen Regenschirm zur Mitropa-Gaststätte am Bahnhof Köpenick und machten echt einen drauf. Meine Mutter sah mich nur wortlos an, als ich später zu Hause klingelte.

 

 

 

Studienbewerbung

 

Herr W. hatte mich sofort überzeugt. Der Staat hatte ja schon so viel Geld für meine bisherige Schul- und Berufsausbildung ausgegeben, dass es wohl eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass ich mich für ein Chemie-Studium entscheide.

 

Dass ich hierzu noch einen Eignungstest absolvieren musste, erfuhr ich erst später. Zu dieser Zeit kamen auf einen Chemie-Studienplatz an der Humboldt-Universität drei Bewerber.

 

Obwohl mein Abi-Zeugnis nicht sehr gut war, bestand ich den Eignungstest und erhielt einen Zulassungsbescheid.

 

Vielleicht spielte es auch eine Rolle, dass so und so viele Studenten im „Arbeiter- und Bauernstaat“ anteilmäßig proletarischer Herkunft sein mussten. Auch meine mir vom Wehrkreiskommando zugeschickte schriftliche Einberufung sollte kein Hinderungsgrund für den Beginn meines Studiums sein.

Walter Ulbricht hatte in dieser Zeit gerade die Chemie zur Schlüsselwissenschaft für die Volkswirtschaft benannt. Sie, die Chemie, bringe Wachstum für die Industrie und die Landwirtschaft und Wohlstand für die Bevölkerung oder so ähnlich hieß es. Sogar Schönheit sollte sie für die Menschen bringen. Doch davon merkte ich bei mir selbst nichts. Jedenfalls wurde meine Einberufung zurückgenommen und auf einen späteren Zeitpunkt vertagt.

 

 

 

 

Meine erste Lohntüte

 

Wenn mir die Facharbeiterausbildung in den Fotochemischen Werken Köpenick (FCW-Köpenick) auch schwer fiel, und ich gerade bei den schriftlichen Hausarbeiten (Belegarbeiten) „Lehrgeld“ bezahlen musste, schloss ich die Lehre doch mit „gut“ ab und durfte vorfristig nach Lehr- und Abi-Abschluss anderthalb Monate im Betrieb arbeiten. Hierfür bekam ich mehr als 1.000,- Mark.

 

Dies war eine gute Grundlage für unsere Abschlussklassenfahrt an die Ostsee nach Breege. Die 14-tägige Abschlussklassenfahrt war schon das erste Vorgefühl aufs Erwachsenwerden und auf ein Gefühl von „Freiheit“.

 

Wir „Männer“ tranken damals noch wenig Bier, aber aßen gern Schwarzwälder Eisbecher mit Eierlikör am Strand im Eis-Café. Es waren nicht alle mit aus unserer Klasse. Dafür waren noch einige Lehrlinge aus anderen Betrieben, die ebenfalls gerade ihren Facharbeiter gemacht hatten mit in unserer Gruppe.

 

Hier fand ich zeitweise einen Kumpel für unsere Eis-Allüren. Er hatte Feinmechaniker gelernt und noch mehr Geld in der Tasche als ich.

Wir stellten auch in aller Bescheidenheit den Mädchen nach. Hatten aber keine größeren Erfolge, da wir zu grün waren. Daher blieben wir beide mehr eine Herrenparty am Strand, beim Eis, bei Sport und Spiel und Disko, die damals noch mit kleinen Amateur-Bands z. B. in Puttgarten stattfanden, wo wir mit dem Fahrrad hin und zurück fuhren.

 

Einmal fuhren wir auch mit tschechischen Jugendlichen, die wir am Ostsee-Strand beim Volleyballspielen kennengelernt hatten, in einem Skoda zu einer Disko. Wir waren insgesamt acht Personen. Zwei von uns lagen dabei auf der Hinfahrt auf dem Dach-Gepäckträger des Skoda. Auf den damaligen Tanzveranstaltungen brauchte man keinen Sitzplatz im Saal und man bekam man auch keinen, da es viel zu voll war. Man bekam aber ein Glas Bier für 51 Pfennige zum Festhalten und konnte die Tanzfläche von außen beäugen.

 

Obwohl ich vor 2 Jahren gemeinsam mit einigen Schülern aus meiner Klasse im „Haus der jungen Talente“ in Berlin einen Tanzkurs absolviert hatte, war ich nach wie vor schüchtern und ich brauchte immer etwas Anlaufzeit um ein Mädchen zum Tanzen aufzufordern. Beim Tanzen kam es dann darauf an, dem braungebrannten Mädchen locker zu sagen, dass es im Saal doch recht heiß sei und man mal kurz ins Freie rausgehen könnte. Wenn man so weit kam, konnte man natürlich ein Küsschen zu versuchen.

 

So vergingen die letzten Ferien und danach begann im September 1963 ein fünfwöchiger Ernteeinsatz in Janow bei Anklam. Das war unser sogenanntes Nulltes Studienjahr.

 

Noch ahnte ich nicht, dass ich Anklam noch einmal wiedersehen sollte, um dort zu wohnen.

 

 

 

Teil 5

 

 

Mignon

 

Wir gingen beide in das gleiche Seminar und lernten uns bereits flüchtig im Vorbereitungszeltlager bei Königswusterhausen als künftige Kommilitonen kennen. Später im Studentensommer bei der Kartoffelernte lernten wir uns noch besser kennen. Sie war Mitglied der SED und ich ohne mein Wissen und Zutun mit der Immatrikulation und der Seminareinteilung kommissarisch eingesetzter FDJ-Sekretär unseres Seminars. Prompt lief ich im Zeltlager sogar im Blauhemd umher. Ich war ja nun FDJ-Sekretär!

 

In den Sommerferien hatte ich gerade meine auf dem Abi-Ball aufgekeimte Liebe zu Britta begraben. Ich küsste sie auf dem Nachhauseweg in der S-Bahn, nachdem wir schon zusammen getanzt hatten und zog mit ihr beim nächsten Haltebahnhof einen S-Bahn-Waggon weiter, fort von ihren Eltern, damit wir „ungestört“ waren.

 

Jedoch machte sie bei unserem nächsten und einzigen Rendezvous in Pankow beim Spaziergang offiziell mit mir Schluss, da ich ihr u.a. zu egoistisch sei. Nun hüpfte sie, Britta, auch noch im Zeltlager herum, ebenfalls eine künftige Kommilitonin, nur in einem anderen Seminar.

 

Unsere erste FDJ-Versammlung im Vorbereitungslager bestand aus einem gemeinsamen Spaziergang der Seminargruppe und der Assistenten in waldreicher Umgebung. Die künftigen Assistenten, Hr. Wittich und Hr. Wetzel versicherten mir genauso wie die SED-Mitglieder meines Seminars, d.h. auch Mignon, ihre Unterstützung für mich als FDJ-Sekretär.

 

Der Leiter des Grundstudiums, Prof. Landsberg, stellte sich dort ebenfalls vor. Als ein Düngerstreuer-Flugzeug aus Versehen auch Flächen des Waldes und seine Mittelhaupt-Glatze mit Düngerkristallen berieselte, strich er über seinen Kopf und sprach die Hoffnung aus, dass nun sein Haar ja wieder wachsen werde.

 

Ich war zu dieser Zeit stark motiviert und wollte ein richtig harter Kerl werden. Daher reiste ich bereits mit dem Fahrrad an und badete früh mit unseren Assistenten im Morgennebel in der Spree. Doch bekam ich davon eine tolle Erkältung. Ich fror nachts noch unter zwei Decken und hatte richtigen Schüttelfrost. Doch zum Beginn des Ernteeinsatzes raffte ich mich wieder auf.

 

 

 

Unser „Nulltes“ Studienjahr

 

Unser sogenanntes „Nulltes Studienjahr“ begann mit einem 5-wöchigen Ernteeinsatz.

Unsere Assistenten sagten „ Wer im Ernteeinsatz gut war, der würde auch ein guter Student“. Und ich wurde ein guter Kartoffelsammler. Da wir Saatkartoffeln sammelten, durften keine Sammelmaschinen eingesetzt werden, da sonst Druckstellen entstehen.

Also durften wir die frisch gegrubberten Kartoffeln sammeln. Das lohnte sich schon. Im Nu war die Kiepe voll. Es war ja kein Nachsammeln, hinter den Kartoffelernte-Kombines.

 

Meine Hände griffen und griffen immer wieder Kartoffeln, Kartoffeln... Noch vor dem Einschlafen und im Traum sah ich meine Hände greifen. Doch es machte alles irgendwie Spaß. Wir waren guter Dinge, lachten und scherzten. 25 Pfennige gab es pro Kiepe in Form einer Alu-Marke, die abends angerechnet wurden. Schnell klimperten viele Alu-Chips in meiner Hosentasche.

 

Lutz, mein Zimmerkumpel, Wasserballer, ein Hüne von Student, war Abträger unserer Gruppe und er schaffte die Kiepen weg, als wären es Kiepchen, lässig. Bald halfen uns einige Schüler aus dem Ort, zuerst für eine Tüte Bonbon pro Tag, später wollten sie jedoch auch Bargeld sehen.

 

Unsere „Chemiker“ belegten sogar einen vorderen Platz im Wettbewerb aller Kartoffel sammelnden Studenten im Norden. Nach der Arbeit waren wir meist geschafft und gammelten herum. Wir waren auch rechtschaffend müde. Die Verpflegung war nicht schlecht. Die LPG- Küche war im Janower Schloss und Klappstullen sowie Buttermilch in Milchkannen wurden uns aufs Kartoffelfeld gebracht.

 

In jeder Pause schlief ich fast ein. Gefeiert wurde selten. Es gab einen Abschluss-Tanz-Abend für uns. Aber wir tanzten nicht, tranken nur Bier und ich sollte als Studentenvertreter eine Dankesrede an die LPG-Bauern halten, worauf ich schlecht vorbereitet war. Ich sprach wie öfter in meinem Leben, etwas zusammenhangslos. Geklatscht wurde trotzdem.

 

 

Mein Geburtstag

 

Gefeiert wurden jedoch Geburtstage, z. B. meiner. Doch zuvor versorgten wir uns in einem Weinkeller, der keinen Eigentümer mehr hatte.

Den Weinkeller zeigten uns die Dorfkinder, die beim Sammeln halfen. Er befand sich in einem verwilderten Gartengrundstück. Nur die Tür und der Kellergang ragten aus dem Boden. Durch die kleine Tür und viele Spinnenweben kroch ich hindurch und reichte einige Flaschen selbst gemachten, mit Siegellack und Korken verschlossene Flaschen Wein an die draußen wartenden Kumpels. Während des Einstiegs dachte ich, wenn das raus kommt: „FDJ- Sekretär bricht in fremden Weinkeller ein und stiehlt diverse Weinflaschen“.

 

Gerade in der Wohnung des Bürgermeisters, wir waren alle privat untergebracht, verkosteten wir unsere Beute. Es war roter Obstwein, der süß und süffig schmeckte und schon einige Jahre dort gelagert war.

Wir waren so blau, dass eine Kommilitonin sogar feststellte, dass ich blaue Augen hätte. Doch ich wusste, dass sie grau waren.

 

Zu meinem Geburtstag hatte ich einige Leute eingeladen. Ca. 1 Dutzend kamen. Jeder hatte eine Flasche mitgebracht- Rotwein, zwei Sorten Wodka, Weinbrand, Bier, ...

Ich hatte Konfekt und Windbeutel mit Schlagsahne im Dorfkonsum gekauft. Lutz und ich hatten unsere Quartiereltern gefragt, ob wir eine kleine Feier machen können. Sie gaben uns sogar Geschirr. Wir feierten in unserem Quartier, das aus Schlafzimmer und Waschküche bestand.

 

Als das Menü verzehrt und die Flaschen fast geleert waren, kam, was jeder vernünftige Mensch vorausgesehen hätte. Mit jedem meiner Gäste mussten Lutz und ich raus an die Pumpe. Es war eine große alte Schwengelpumpe. Fast jedem Gast war ausgiebig schlecht geworden und die Schlagsahne und die Getränke wollten nicht im Magen bleiben.

 

Leider übersahen wir, dass einer hinter die Waschmaschine in der Waschküche erbrochen hatte. Alles andere hatten wir in Ordnung gebracht und das Geschirr abgewaschen. Doch ausgerechnet unsere Quartiereltern entdeckten das Malheur hinter ihrer Waschmaschine. Das machte keinen guten Eindruck.

 

 

Frühstück am Sonntag

 

Trotzdem warteten sie am Sonntag mit dem Frühstück auf uns. Und da wir dies nicht wussten, ließen wir uns Zeit. Nach einer ausgiebigen Kissenschlacht mit Lutz, wuschen wir uns an der Pumpe und wurden nicht wie sonst, werktags in die Küche, zu Margarine und Marmeladenschnitten und Muckefuck gerufen, sondern durften hinten in die gute Stube der Quartiereltern.

 

Dort hatte man wohl schon gefrühstückt, aber es war für uns eingedeckt. Es gab Kaffee und Streuselkuchen vom Blech. Eine der Töchter des Hauses, die zu Besuch war, legte für uns Schallplatten auf, Bill Ramsay. Doch wir waren undankbar, erzählten wenig, ließen uns alles aus der Nase ziehen, und aßen das ganze Küchenblech leer. Wir wurden nie wieder zum Sonntagsfrühstück eingeladen.

 

Ja wir waren „was Besseres“ und hatten keinen Blick für die Landpomeranzen, wollten wie schon gesagt, auch nicht mit ihnen Tanzen, obwohl da wohl Interesse bei ihnen bestand.

 

Doch wir kamen aus der großen Stadt Berlin, standen am Beginn unserer Karriere. Außerdem waren da noch die Bauernlümmel und mit denen hätte es bestimmt Ärger gegeben, wenn wir einer der Dorfschönen zu tief in die Augen geschaut hätten. Wir hatten ja auch genug eigene Mädels mit.

 

 

Lustig ist das Studentenleben

 

Nach einem längeren Mondscheinspaziergang mit meiner Kommilitonin Eva, fragte sie mich, ob ich etwa Absichten hätte. Verlegen verneinte ich dies. Das sah ja sonst fast wie eine Heiratszusage meinerseits aus. Doch sie hatte schon einen Freund. Vielleicht zum Glück für mich.

 

Irgendwie landete ich dann bei Mignon, die mir ja ihre Unterstützung für meine Tätigkeit als kommissarischer FDJ-Sekretär zugesagt hatte. Und auf einem Heuhaufen bei der Betrachtung des Sommerdreiecks küsste ich sie. Viel mehr wusste ich immer noch nicht mit einem Mädchen anzufangen. Außerdem wolle ich mich nicht zu früh binden, da ja noch das ganze Studium vor uns lag.

 

Mein Kommilitone Frank Möbes, unser ehemaliger Primus von der EOS, Sportcrack und Meister aller Klassen, hatte natürlich dank seiner Beziehungen und Durchsicht ein ärztliches Attest wegen eines Scheuermannes, so dass er sich vor dem Ernteeinsatz drücken konnte.

 

Auf das Geld, das wir dort verdienten, für mich immerhin 700,- Mark, konnte Frank als Sohn eines Sargfabrikanten getrost verzichten. Er war praktisch schon reich und bekam auch kein Stipendium, da sein Vater „zu viel“ verdiente.

 

Als lustige Truppe sangen wir schon früh auf dem Hänger hinter dem Traktor, den der Gastwirt, Herr Rost aufs Kartoffelfeld fuhr: “Janows Himmel breitet seine Sterne über die Kartoffelfelder aus und der Morgen leuchtet in der Ferne. Bald geht es zum Sammeln hinaus. Die Felder sind weit. Doch wir sind bereit...“

Oder wir sangen: „Schöne Augen hat mein Schatz, schade, dass sie schielen…“oder auch: „Ras, Dwa, Tri, Towarisch Kompanie…“ Obwohl der Text nicht zum DSF-Kodex gehörte, nahm keiner unserer Assistenten Anstoß an unseren Sangeskünsten.

 

Ich war mir eigentlich nie zu schade für primitive körperliche Arbeit, ja sogar für scheinbar monotone Arbeit.

 

Dies betraf schon meine bescheidene Hilfe bei der Tätigkeit meiner Mutter bei ihrer Hauswartstelle beim Treppenfegen. z.B. bei leichter Gartenarbeit, und eben beim Kartoffeln sammeln, auch auf dem Bau im PCK Schwedt, in Johannistal, in Kasachstan und im Kleisthöher Garten oder beim Kartoffeln verladen, bei der Apfelernte, ob als Handlanger beim Um- und Ausbau in Kleisthöhe usw.

 

Ich mochte und mag monotone Arbeiten, da sie planbar sind, sich in kleine Zeitintervalle einteilen und in absehbarer Zeit erfüllt sind. Außerdem kann man dabei schön mit den Gedanken abschweifen. Noch heute schneide ich gern Zweige mit der Gartenschere in kompostierbare Teile und siebe Kompost. Allerdings bin ich bequemer geworden und weniger leistungsfähig was die körperliche Arbeit anbelangt.

 

Aber der Ernteeinsatz ging vorbei und stolz zeigte ich meiner Mutter das „ selbstverdiente Geld“.

 

Ich weiß nicht mehr, ob ich etwas davon abgab. Jedenfalls kaufte ich mir einen Mono-Schallplattenspieler mit Saphirsystem und einen Umschalter auf Stahlnadel für alte Platten. „Petruschka“, Paul Robeson, „Wer die Rose ehrt“, Rhapsodie in Blue, Konzert in B-Moll waren meine ersten Schallplatten. Ich hörte beim Lernen gern klassische Musik, was ich lange beibehielt und auch später noch, dann allerdings schon mit CD-Player und Kopfhörer nutzte.

 

Zum Lernen musste ich mich leider irgendwie immer zwingen: Die Stunden vorgeben, oder die Seitenzahl zum Konspektieren, später nach der Kasachstanfahrt rauchte ich sogar noch dazu und nahm zeitweise Koffein-Vitamin-C-Pulver zum Aufputschen.

 

Weiter kaufte ich mir vom Erntegeld einen langen grünen dicken Pullover, der mir fast bis an die Kniekehlen ging. Ich trug ihn gern und sehr lange, auch im Labor. Er passte dann auch gut zu meinen Jeans, die es aber erst später gab und die damals für uns echte Mangelware waren.

 

Das Studium beginnt

 

Ein Seminar bestand aus jeweils 10 bis 12 Studenten und man merkte gleich, dass das Studium in Arbeit ausartete. Es gab Vorlesungen, Seminare, Praktika, mündliche Prüfungen und Klausuren. Frank Möbes war nun Seminarsekretär und ich FDJ-Sekretär in unserem Seminar. Er war der Mann fürs fachliche und die Organisation des Studienablaufes für unser Seminar und ich sollte für das politische Leben verantwortlich sein, so u.a. auch für das FDJ-Studienjahr.

 

Als naiver Student nahm ich mein Amt ernst und leitete sogar unser FDJ-Studienjahr. Ich erinnere mich noch an eines meiner von mir geleiteten Seminare zum Militärprogramm der Proletarischen Revolution von Lenin. Ich sprach über das Recht auf Gewalt in der Revolution: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“ Jedoch denke ich heute, dass kaum ein Kommilitone solche Themen so wichtig nahm wie ich.

 

Irgendwie hatte ich sowieso den Tick, dass ich dachte, Chemie wirst Du in Deinem späteren Beruf ohnehin noch genug machen, also kümmere Dich jetzt lieber mehr um die anderen Fächer: Mathe, Physik, Russisch, Englisch, usw..

 

Diese Gedankenkette funktionierte sogar eine Zeitlang, da mir als Facharbeiter für Filmherstellung, das Fach Chemie in seinen Einzeldisziplinen relativ leicht fiel, da ich noch einigen theoretischen und praktischen Vorlauf hatte.

 

Doch schnell war dieser Vorlauf aufgebraucht und ich musste auch hier ernsthaft büffeln. Das erste Studienjahr schloss ich mit guten bis befriedigenden Noten ab und bekam dann im 2. Studienjahr zur Belohnung ein Leistungsstipendium von zusätzlich 40,- Mark im Monat und eine Hilfsassistentenstelle mit 60,- Mark pro Monat. So kam ich auf rund 320,-Mark Stipendium insgesamt. Natürlich konnte man in den Ferien noch etwas dazu verdienen. So fuhr ich mit Mignon als Gruppenbetreuer ins Ferienlager in den Spreewald und auf den Bau ins PCK Schwedt, wo wir zusammen mit Komsomolzen arbeiteten.

 

 

Meine Studiengruppe

 

Ja, als „vorbildlicher“ FDJ-Sekretär nahm ich alle Studienhinweise ernst und hierzu gehörte auch die Empfehlung in Studiengruppen zu arbeiten. Und schon hatte ich eine Studiengruppe, in der wir erworbenes Wissen austauschen und anwenden sollten und wollten. „Zufällig“ gehörten Mignon, Lutz Reinick und Frank Möbes dazu. Irgendwie lösten sich dann Lutz und Frank aus der Studiengruppenarbeit. Lutz war zwar interessiert, aber hatte zu viele private Interessen und Frank war mehr Egoist und auch ohne Studiengruppe fachlich sehr gut. Außerdem störte ihn Mignon als SED-Mitglied und als Mädchen, und sie trennte unsere Interessen, entzog mich seiner Einflusssphäre, bis Frank und ich uns allmählich fremd wurden.

 

Da ich Mädchen und Frauen gegenüber nach wie vor schüchtern gegenüber stand, war es Mignons Mutter, die uns näher zusammenbrachte. Nach einer Studiengruppenberatung bei Mignon, sagte dann die liebe Mutter: „Na, willst Du den jungen Mann nicht noch ein Stück bringen?“ Ja, sie wollte und ich hielt mich noch weiter zurück, denn mein Traum von einem Mädchen war sie nicht. Aber mit den Gelegenheiten und dem Wohlwollen ihrer Mutter kamen wir uns näher und schließlich gingen wir fest miteinander und hatten was miteinander und sie wurde meine „erste Frau“. Neugier, Gelegenheit und gemeinsames Studium schmiedeten uns immer enger aneinander. Wir zogen dann auch bald zusammen in eine kleine gemeinsame Wohnung.

 

 

Eine Studentenwohnung

 

Nach meinem „ Auszug“ aus der Jungstraße wohnte ich mit Mignon in der Schwedter Straße, in der Wohnung, die zuvor von ihrem Bruder Ralf bewohnt war.

 

Ralf arbeitete damals als Rechner für die Regierung, und hatte so Vorteile bei der Beschaffung einer neuen Wohnung. Mignons Vater hatte Vorteile als Verfolgter des Naziregimes (VdN), für die es einen besonderen Wohnungsfonds gab. Letzterer Vorteil half uns später zur Wohnung in der Storkower Allee (Alt-Neubau).

 

Doch noch war es in der Schwedter Straße eine richtige Studentenwohnung unter dem Dach mit Innen-WC und einer Küche, die nicht zu heizen ging. Schräge Dachwände, die im Sommer „glühten“ und im Winter in der Küche sogar von innen vereisten.

 

Dennoch konnte ich froh sein, einerseits zu Hause in der Jungstraße für meine Schwester in dem halben Zimmer Platz gemacht und andererseits bessere Lernbedingungen zu haben.

 

Die Miete lag bei 15.00 Mark pro Monat. Die U-Bahnstation Senefelder Platz lag fast vor der Haustür und Straßenbahnen fuhren auch in der Nähe. Es waren nur wenige Minuten bis zum Zentrum -Warenhaus und zur Uni in die Hessische Straße.

 

Ich bin zu Mignon gezogen oder „ mit ihr dort eingezogen“.

 

Jedenfalls war es ihre Wohnung und die flachen Schränke, die der Dachschräge angepasst standen, stammten noch von ihrem Bruder Ralf.

 

 

Familie Stiegler

 

Familie Stiegler war wohlhabender als mein Elternhaus. Dafür standen Trabbi, Motorroller, Dauercamping am Parsteiner See und ein Badezimmer in der Wohnung.

Nun ja, ich stieg gewissermaßen gesellschaftlich auf, saß bald hinter Mignon auf dem Motorroller und durfte mit zum Dauercamping.

Doch das Eigentliche blieb immer das gemeinsame Studium, das uns beiden nicht leicht fiel.

 

Die beengten Wohnverhältnisse in der Jungstraße bei meinen Eltern motivierten mich auch, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und mit Mignon in die Schwedter Straße zu ziehen. Endlich konnte ich auf „eigenen“ Füßen stehen und für Gela den Weg frei machen in mein kleines Zimmer in der Jungstraße. Sie war immerhin schon 14 Jahre alt und Herbert und Tina waren ja auch noch da.

 

 

Studienjahre vergehen wie im Fluge

 

Jedenfalls hatten sich meine Studien- und Lebensbedingungen nach dem Umzug spürbar verbessert. Und die nächsten Studienjahre mit all ihren Prüfungen, Entbehrungen, Erfolgen und auch Misserfolgen vergingen wie im Fluge. Das 2. Studienjahr bedeutete keine größere Hürde und ich erhielt weiter ein Leistungsstipendium und bekam wieder eine Hilfsassistentenstelle.

 

Nach dem ersten Studienjahr waren Mignon und ich zum Arbeitseinsatz im PCK Schwedt. Als Auszeichnung dafür durften Mignon und ich dafür später nach Kasachstan fahren. Die Komsomolzen mochten uns und luden uns ein. Die FDJ-Kreisleitung die Uni genehmigte uns großzügiger Weise die Reise.

 

Es war schon toll, dass wir in Moskau in unseren schicken Neuland-Fahrer-Uniformen Pascha und Genadi wiedertrafen, die wir schon von der Schwedter Baustelle her kannten.

 

Das dritte Studienjahr wurde im 1. Semester mein schwerstes, da ich nach 3-Stoff und 4-Stofftrennung die 5-Stofftrennung im organischen Analysepraktikum nicht hinbekam.

Ich stand tagelang im Praktikumssaal und bekam die verdammten fünf Stoffe nicht getrennt.

Vielleicht konnte man die beiden organischen Halogensäuren, die mit enthalten waren, auch gar nicht durch Destillation usw. trennen. Ich fand keine Hilfe bei der Assistentin und litt unter diesem Misserfolg, versäumte sogar Mathematik-Vorlesungen und brutzelte und brutzelte bis zur Erschöpfung im Praktikumssaal. Meine Präparate gelangen einigermaßen, waren jedoch recht aufwendig herzustellen.

 

Doch im 2. Halbsemester konnte ich im Forschungspraktikum bei Professor Kreysig alles wieder ausbügeln und bekam eine 2 für meine Forschungsarbeit in der organischen Ausbildung.

Eine Vorliebe für organische Chemie entstand während des Studiums bei mir jedenfalls nicht.

 

 

Semesterferien

 

In den Semesterferien nach dem 3. Studienjahr absolvierte ich zuerst einen Baueinsatz in Johannisthal und flog danach mit Mignon über Jugendtourist nach Bulgarien, nach Albena. Hier lernten wir eine eingeschworene Gemeinschaft kennen, die schon jahrelang zusammen reiste. Diese Leute waren aber etwas snobistisch und lebten in einer nach Vergnügen und Anschaffen ausgerichteten Welt, so dass wir uns bald wieder von dieser Truppe zurückzogen.

 

Es blieb ja noch das Dauercamping mit Faltboot, Angeln, Tauchen, Grillen und abendlichen Umtrünken am Parsteiner See.

 

 

PCK Schwedt

 

Vom Dauercamping war es nur ein Sprung ins nächste 4. Studienjahr ins Industriepraktikum nach Schwedt, ins Petrolchemische Kombinat (PCK).

 

Kurios, dass sich Gundel zu dieser Zeit auch in Schwedt aufhielt. Doch wir sollten uns erst später kennen lernen.

 

Im Industriepraktikum arbeiteten Mignon und ich getrennt. Irgendwie war es meine Idee, getrennt zu arbeiten, da ja ein Thema sich auch als ein Reinfall entpuppen konnte. Doch meine Idee war nicht so gut, da ich nun Leiter einer 3-köpfigen Forschungsgruppe wurde und meine Kommilitonen keine eigenen Ideen hatten. Dafür hatte es Mignon leichter. Sie hatte einen guten Teamleiter und ein gutes Thema.

 

Ich quälte mich mit der großtechnischen Natriumzyanid-Produktion und der zugehörenden Labor-Analytik, fuhr mit einem roten Damenfahrrad im zu großen weißen Kittel mit Schutzmaske über der Schulter und meinem Probeneimer zwischen Produktionshalle und Labor hin und her.

 

 

Diplom

 

Das 8. Semester verbrachte ich in der Akademie der Wissenschaften bei Dr. Stach und Professor Schirmer in der Zeolith-Forschung. Hier war ich wieder getrennt von Mignon, denn wir beide einigten uns wieder darauf, dass es besser sei, wenn wir zwei verschiedene Themen haben.

 

An mein Praktikum an der Akademie erinnere ich mich gern. Ich nahm dort Messungen an Zeolithen vor und bestimmte Stoffaufnahmen von Aliphaten bei Quecksilberhochdruckpumpen-Vakuum und dies bei – 100° C mit flüssiger Luft als Kühlmittel. Einmal war ich echt verzweifelt, als mir 5 Liter flüssige Luft aus dem geplatzten Dewar-Gefäß auf den Laborboden flossen und es schon beängstigend knackte.

Die Forschungsapparaturen bestanden aus feiner Glasbläserhandwerkskunst und elektrischer Regeltechnik. Doch wir löteten einfache Teile auch einfach selbst. Ich war dort recht fleißig, arbeitete oft bis spät abends für die Wissenschaft und war manchmal in der S- Bahn auf der Heimfahrt so müde, dass ich einschlief und bis zur Endstation nach Bernau durchfuhr, obwohl ich Leninallee zur Storkower Straße hätte aussteigen müssen.

 

Ich lernte dort auch interessante Leute kennen. Z. B. einen Forschungsstudenten, der wusste wie das Leben war. Er wollte mit seinem Buch aus dem Westen: „Der Weg zum Erfolg“, welches ein programmiertes Lehrbuch war, animieren und unterhalten.

Interessant waren auch die Feten an der Akademie der Wissenschaften in Adlershof.

 

Einmal waren wir Studenten mit eingeladen zum großen Büfett mit Kulturprogramm. Wir erlebten Willi Schwabe und Gisela Mai im Kulturprogramm. Und dann kam der Sturz ans Büfett nach dessen Eröffnung. Ich hatte hier u. a. zum ersten Mal Hummer gegessen.

 

Aber insgesamt ging alles gut aus und ehe ich mich versah, war ich im Arbeitsteam von Prof. Hass in der Halogenforschung. Inzwischen hatte ich mein Diplom in der Tasche und arbeitete als wissenschaftlicher Assistent für 790,- Mark monatlich im Grundstudium in der Studentenausbildung.

 

Nun verdiente ich wirklich etwas eigenes Geld. Mignon wurde Forschungsstudentin und arbeitete und forschte bei Dr. Michael in der Gaschromatograhie, wo sie nach 3 Jahren promovierte.

 

 

1. Heirat

 

Als junger Assistent fielen mir Forschung und Lehre, genauso wie zuvor das Studium, nicht leicht. Doch stand ich ja nun auf eigenen Füßen.

 

Nach sechs Jahren gemeinsamen Studiums und ein Jahr Wohngemeinschaft in der Schwedter Straße- heirateten Mignon und ich. Das war meine erste Heirat.

 

Die Studenten meines Doppelseminars, welches ich betreute, kamen alle zum Polterabend und feierten in der Buschallee bei Mignons Eltern mit. Die Hochzeitsfeier selbst verlief im kleinen Kreis mit unseren Eltern, die sich noch nicht groß kannten.

 

Bald verbesserte sich unser sozialer Status und wir bekamen mit Unterstützung von Mignons Vater, der als Verfolgter des Naziregimes (VdN) seinen Status für uns nutzte, eine Alt-Neubauwohnung in der Storkower Allee.

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.09.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle meine Freunde!

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