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Prolog

   

Das mystisch rote Leuchten der aufgehenden Sonne wurde von unzähligen glasklaren, die Harmonie sowie Unergründlichkeit des Waldes spiegelnden Tautropfen reflektiert und schien die hoch gelegenen Baumwipfel in ein sich am Horizont entlangwindendes, goldenes Band zu verwandeln. Die von verschlungenen Eichen sowie hohen Buchen auf jede freie Fläche geworfenen Schatten, welche sich in einem Spiel rötlicher Lichtflecken formten , tauchten die Geschöpfe des Waldes in ihre tiefe Schwärze. Nur die vertraute, von dem leisen Zirpen der Grillen sowie dem ruhigen Wispern des Windes erzeugte Melodie drang an die Ohren derer, welche sich in den Schatten bargen, bis sich die Silhouette einer dunklen Gestalt von den Schatten abhob, der zwei weitere folgten. Wenig später war ein leises Rascheln zu vernehmen, als die Katze mit ihren Jungen leichtfüßig über den laubbedeckten Waldboden glitt, dann ein kaum hörbares Wispern: "Ich rieche Maus!" Das Katzenjunge kroch mit ausgestreckten Krallen über den Boden und trat hinaus in das gleißende Licht der Sonne; sein Pelz, die Farbe von dunkler, mit einem nur schwer erkennbaren rötlichen Ton durchzogener Erde tragend, erleuchtete in einem silbrigen Glanz, der es aus reinem Mondlicht zu bestehen scheinen ließ. In seinen grünen Augen glomm das lodernde Feuer von Entschlossenheit, als es den Blick auf einen unerkennbaren Punkt vor sich richtete und zum Sprung ansetzte. "Die kriegst du nicht!", ertönte ein lautes Jaulen hinter ihm. Das braune Junge spannte die Muskeln an, kniff die Augen zusammen und sprang- als etwas Weißes seinen Weg kreuzte, gegen ihn prallte und er prompt zu Boden fiel. "Was sollte das?", knurrte er die kleine, weiße Kätzin vor ihm an, die sich verstört mit der Zunge über die Pfote fuhr. "Jetzt ist sie mir entwischt!" "Ich will auch mal etwas fangen!", miaute sie. "Du hast schon so viel, und ich noch gar nichts. Das ist nicht fair!" Der kleine Kater erhob sich leichtfüßig und peitschte erregt mit dem Schwanz. "Du bist halt zu langsam, und da kann ich nichts für! " "Ich bin nicht langsam!", keifte die Kätzin und sprang mit ausgestreckten Krallen auf ihn zu, doch der Kater wich geschickt zur Seite aus, rollte über den Boden und sprang seinerseits auf die Kätzin zu, die den Kopf schüttelte, um nach dem Sturz ihre Gedanken zu sammeln. "Hört sofort auf!", ertönte eine weitere Stimme, als im selben Augenblick die Pfoten des Katers auf das Gesicht der Kätzin trafen und diese seitlich zu Boden taumelte. "Autsch!", miaute sie. "Wenn ihr so weitermacht, fangen wir beide nie eine Maus, Leyka", mahnte die Katze und musterte ihre Jungen knurrend, mit einem Unterton in der Stimme, der keinen Widerspruch zuließ. "Hab ich dir doch gesagt!", flüsterte der Kater an seine Schwester gewandt und hob spielerisch die Pfote, wurde dann jedoch von seiner Mutter zurechtgewiesen: "Das gilt auch für dich, auch wenn du schon reichlich Beute gemacht hast, Brian ." Mit einer etwas weicheren Stimme fügte sie hinzu: "Kommt jetzt. Lasst uns weitergehen. Wir können es uns nicht leisten, so viel Zeit zu vergeuden. " Der kleine Kater zögerte einen Moment und sog die frische, eine süße Brise mit sich tragende Luft ein. Der kühle Wind zauste seinen braunen Pelz und ließ ein leises Schnurren aus seiner schwarzen Kehle dringen. Für einen nicht lange anhaltenden Augenblick drang der wohlriechende Geruch frischer Beute in seine Nase und ihn drängte das Verlangen, so schnell ihn seine Pfoten tragen konnten durch den Wald zu laufen; vorbei an Büschen mit Blättern von sattem Grün, über Bäche, deren kristallklares Wasser sich seinen Weg durch das Unterholz bahnte..."He, Brian, wach auf!", riss seine Schwester ihn aus seinen Gedanken, durch deren Gesicht ein kurzer Anflug von Wut huschte. "Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit! Und ich habe Hunger!" "Schon gut, ich komme ja schon", murmelte Brian mit einem skeptischen Seitenblick auf seine Schwester, welche mit hoch erhobenem Kopf neben ihrer Mutter herstakste. "Nur...", begann er dann, "Was willst du denn essen? Du hast erbärmlichere Beute gejagt als jedes neugeborene Junge." Er lächelte höhnisch."Das ist überhaupt nicht wahr!", fauchte Leyka, ohne ihren Bruder eines Blickes zu würdigen. "Ich habe eine Maus gefangen und sie getötet.""Du hast sie nicht getötet", murmelte Brian und holte seine Schwester schnellen Schrittes ein; das modernde Laub knirschte geräuschvoll unter seinen schwarzen Pfoten. "Sie ist weggelaufen. Und muss nun dauernd daran denken, wie du sie in deinem Maul hattest..." Er senkte mit einem angeekelten Ausdruck in den smaragdgrünen Augen den Kopf und blickte zu Boden, in der Hoffnung, seine Schwester würde ihm in Bezug auf ihre Inkompetenz, was das Jagen betraf, zustimmen, doch diese blickte ihn mit einem leisen Lächeln, das um ihren Mund spielte, an und sagte: "Wenn ich als erstes beim grünen Teich bin, dann kriege ich alle Mäuse!" Ihre Stimme war von einem herausfordernden Ton, und Brian war sich seiner Überlegenheit, was das Laufen betraf, ohnehin deutlich bewusst. "Wie du willst", stimmte er zu und tat einen gewaltigen Satz nach vorne, bevor er in einem großen Abstand zu seiner Schwester lostrabte."Seid blos vorsichtig! Und wartet vor dem grauen Todesstreifen auf mich", rief ihre Mutter mit lauter Stimme hinter ihren Jungen her, doch das geräuschvolle Zwitschern der Vögel sowie das Rauschen des Windes schienen ihre Warnung zu übertönen."Wenn du so lahm bist, kriege ich dich auf jeden Fall", quiekte Leyka an ihren Bruder gewandt und holte diesen wenig später ein, doch Brian wusste, dass er sein Tempo nicht sonderlich beschleunigen durfte, wenn er gewinnen wollte. Er durfte seine gesamte Energie nicht sofort verbrauchen; erst nach unzähligen Pfotenschritten, als Leyka einige Fuchslängen von ihm entfernt war, ließ er seine Pfoten schneller laufen und kam der weißen Kätzin allmählich näher. Kühler Wind streifte seinen glatten Pelz und ließ den harmonischen Klang seines leisen Wisperns an die flach an den Kopf gelegten Ohren des jungen Katers dringen, ab und an ertönte auch ein eher fremdartiges, die vertraute Atmosphäre des Waldes störendes Geräusch hinter einem dichten Wall aus miteinandere verschlungenen Dornen und jungen Bäumen. "Da müssen wir jetzt durch!", rief er, preschte an seiner Schwester vorbei und suchte den Funken von Angst, der bei jenem fremdartigen Geräusch in ihm aufgestiegen war, zu unterdrücken. So fest, wie es in seiner Macht stand kniff er die Augen zusammen und beschleunigte abermals, wenig später spürte er, wie die spitzen Dornen sowie winzigen Äste an seinem Pelz zerrten, doch er bemühte sich, diese zu ignorieren. Mit den kräftigen Pfoten schob er jedes Hindernis so gut es ging bei Seite, bis er spürte, dass die sich vor ihm auftuende Strecke wieder frei war. Er öffnete die Augen, doch ehe er sich nach seiner Schwester umsehen konnte, grub er instinktiv die Krallen in den weichen Boden und kam mühsam zum Stehen. "Der Todesstreifen!", wisperte er an sich selbst gewandt mit einem unüberhörbaren Ausdruck von Angst in der Stimme. Seine weit aufgerissenen Augen erinnerten an einen grell leuchtenden Vollmond, in dessen gleißendem Licht sich die Panik des jungen Katers spiegelte, als ein riesenhaftes Wesen an ihm vorbeirauschte und einen bitteren, scharfen Geruch hinterließ. Brian zuckte zusammen und schüttelte den Kopf, um seine verwirrten Gedanken zu sortieren. "Ley... Leyka?", stammelte er und tat schließlich einen Schritt nach hinten, als er seine Schwester ebenfalls durch den Dornenwall brechen horte. "Der Todesstreifen!", schrie diese auf und presste sich an ihren Bruder. Dieser spürte, wie sich ihre Muskeln anspannten und zu zittern begannen. "Ich wäre beinah von so einem Ding umgerannt worden!", miaute er und fuhr ihr tröstend mit der Pfote über die Wange. "Solange wir hier sitzen bleiben und keine Pfote auf diesen stinkenden, grauen Boden setzen, können sie uns garnichts anhaben", fuhr er fort, doch seine Gedanken schienen nicht vollständig mit seinen Worten übereinzustimmen. Hoffe ich jedenfalls! "Aber es dauert sicher noch lange, bis Mama hier auftaucht", sagte er schließlich und musterte den Weg genauer. "Ich glaube, hier kommt gerade keins von diesen Dingern!" Kurz prüfte er die Luft, bevor er eine Pfote auf jenen grauen Untergrund setzte und schnellen Schrittes hinüberlief. Der karge Boden war kalt und jedesmal, wenn seine langen Krallen darauf aufschlugen zuckte der junge Kater zusammen."Brian!!! Hast du ein Fellknäuel in deinem Kopf?! Du könntest tot sein!", schrie Leyka, als ihr Bruder auf der anderen Seite angelangt war und sich in dem weichen Gras niederließ. "Ich will ja nur als erster drüben sein. Meinst du, ich gebe dir auch nur ein Stück Beute ab?", jaulte er, sich unüberhörbar über seinen Triumph amüsierend. "Ich... Kann das auch", murmelte Leyka, doch Brian konnte sowohl die Skepsis in ihrem Blick als auch die Furcht in ihrer Stimme ausmachen. "Lass es lieber", schlug er vor und knetete mit den Pfoten die weiche Erde, "Schließlich bist du eine Kätzin." Leyka kniff die Augen zusammen, jaulte auf und preschte los, ohne sich einmal umzublicken, doch kaum hatten ihre weichen Pfoten den Asphalt berührt, ertönte das unverkennbare Geräusch eines herannahenden Fahrzeugs; wenig später tauchte es hinter einer schmalen Kurve auf. "Leyka, lauf schneller!", schrie Brian und hüpfte aufgeregt von einer Pfote auf die andere, doch seine Schwester war so in Panik, dass sie unmittelbar auf dem Todesstreifen zum Stehen kam. "Was machst du denn?", miaute der junge Kater und versuchte vergeblich, seine Schwester auf die Gefahr, in der sie sich befand, aufmerksam zu machen. "Leyka? Brian? Was tut ihr da?", ertönte die verzweifelte Stimme der Mutter, die ihre Jungen nun erreicht hatte und sich ihren Weg durch den Dornenwall zu bahnen suchte, doch zu Brians Entsetzen war die winzige Öffnung, die seine Schwester und er geschaffen hatten, zu klein, sodass es ihrer Mutter nicht möglich war, den Wall zu durchdringen. "Pass auf! Das Ding kommt!", schrie Brian, als das Fahrzeug ungebremst auf seine Schwester zuraste. Ihn drängte das Verlangen, loszulaufen und Leyka zu helfen, doch zwischen ihm sowie dieser schien sich eine gewaltige Schlucht der Angst aufzutun, und jede Brücke des Mutes, die einst stets darübergeführt hatte, war zerstört. "Aber sie ist meine Schwester", murmelte er, kniff entschlossen die Augen zusammen und rannte schließlich los. "Nein!", ertönte der verzweifelte Schrei der im Dornenwall gefangenen Kätzin, als die ausgestreckten Vorderpfoten des jungen Katers auf dessen Schwester trafen und diese zur Seite geschleudert wurde, nur einen Herzschlag bevor das Fahrzeug sie erreichen konnte. Es raste vorbei, ohne die Katzen zu beachten, und verschwand schließlich aus deren Blickfeld. Leyka blieb zunächst reglos auf der Seite liegen, in dem Glauben, das riesige Monster habe sie getroffen, doch als sie die vertraute Stimme der Mutter vernahm, schien die Angst langsam zu weichen. "Danke, Brian! Du hast mir das Leben gerettet", seufzte sie erleichtert auf, doch als sie keine Antwort ihres Bruders vernahm, begann ihr Herz erneut zu rasen. Ihr Blick glitt über den Weg sowie die Stelle, an der sie das Fahrzeug beinahe erfasst hätte, und blieb schließlich an einer auf dem gegenüberliegenden Grünstreifen liegenden, dunkelbraunen Gestalt hängen. Der junge Kater regte sich nicht und Leyka konnte erkennen, dass seine Augen aufgerissen waren; sie schrie: "Das Monster hat ihn getötet!"Taumelnd bewegte sich auf ihre Mutter zu, welche verstört und mit einem verzweifelten Blick um sich schlug. "Kannst du mich losmachen?", bat sie, doch ihre Stimme drohte unter der gewaltigen Angst, die sich in ihr auftat, zu versagen. Leyka biss die Zähne zusammen und unterdrückte einen lauten Aufschrei. Brian konnte nicht tot sein, das war unmöglich! Einen Dornenzweig nach dem anderen entfernte sie vorsichtig aus dem zerzausten Fell ihrer Mutter, bis diese sich selbst zu befreien in der Lage war. "Wo ist er?", fragte sie und suchte ihrerseits mit den Blicken den grauen Untergrund des Todesstreifen ab. Mit einem Nicken des Kopfes wies Leyka in die Richtung, wo sie ihren Bruder hatte liegen sehen; sie würde keines Falls imstande sein, ihre Mutter auf die andere Seite zu begleiten.Nervös grub sie ihre Krallen in den Boden und durch ihren Kopf schossen die schrecklichen Bilder, wie sie starr vor Angst auf der Straße gefangen hatte, wie ihr Bruder sie im letzten Augenblick zur Seite gestoßen und sie so vor dem Tode bewahrt hatte, wie ihre Mutter, unfähig, etwas zu tun, verzweifelt jene Horrorszene beobachtet hatte.Das Letzte, was Leyka vernahm, war deren schriller Schrei, bevor ihre Pfoten unter ihrem Gewicht nachgaben und sie sowohl vor Trauer als auch Angst zusammenbrach. Es ist meine Schuld.

Brian spürte, dass kühles Wasser seine erschöpften Pfoten umspülte und ein kühler, den süßen Duft frischen Grases sowie blühender Blumen mit sich tragender Wind sein Fell zauste. Seine Sinne waren geschwächt und er vermochte sich zunächst nicht zu rühren, doch als er mühsam die Augen öffnete und die Silhouetten einer ihm unbekannten, die leicht bläuliche Färbung klaren Wassers tragenden Umgebung sich vor ihm auftaten, erinnerte er sich, was geschehen war. "Leyka? Mama?", rief er und suchte vergeblich, sich auf die Pfoten zu erheben, doch diese gaben zitternd unter ihm nach und er sackte zu Boden. "Leyka! Wo bist du?", rief er noch einmal, erhielt jedoch keine Antwort. Einige Augenblicke lang hielt er die Augen geschlossen und versuchte verzweifelt, mehr Erinnerungen an sein Eintreffen bei jenem unbekannten Ort und das Verschwinden seiner Schwester in sein Gedächtnis zu rufen, doch das Einzige, woran er sich erinnern konnte, war die Rettung seiner Schwester vor dem herannahenden Monster. Hatte Leyka überlebt?"Sie ist sicher tot!", murmelte er an sich selsbt gewandt, doch selbst das Sprechen viel ihm schwer. "Deiner Schwester geht es gut", ertönte eine sanfte, rauchige Stimme hinter ihm, doch aufgrund seiner schmerzenden, erschöpften Glieder war Brian nicht in der Lage, sich umzusehen. "Wer bist du?", miaute er nud hob mit einem langen Stöhnen den Kopf, "Wo bin ich? Wo ist meine Schwester? Und meine Mutter?" Ihn durchströmte ein mystischer Geruch, den er noch nie zuvor wahrgenommen hatte, doch zu seinem eigenen Erstaunen wurde ihm plötzlich klar, dass er keinerlei Angst verspürte, obgleich er sich um seine Schwester und seine Mutter sorgte."Das werde ich dir gleich erklären. Bleibe einen Moment ruhig liegen. Ich heiße Delilah, und ich werde dir helfen", flüsterte die Kätzin und berührte sanft die Flanke des jungen Katers mit ihrer Nase. Dieser spürte, wie eine von der Kätzin ausgehende Wärme seinen Körper durchströmte und es ihm nun leichter fiel, sich zu erheben. Langsam drehte er den Kopf und musterte die Kätzin genau. Sie war dunkel, doch ihre schmale Schnauze war von vereinzelten weißen Haaren gesäumt und die Spitze ihres Schwanzes ging ebenfalls in ein glänzendes Weiß über. Sie lächelte sanft und tat einen Schritt auf Brian zu, der jedoch im selben Moment verstört zurückschreckte: Durch die Kätzin hindurch konnte er die Silhouetten der sich hinter dieser auftuenden Landschaft erkennen und um ihre zierlichen Pfoten herum kreisten winzige, kaum erkennbare Lichter, die weit in der Ferne liegenden Sternen am Horizont glichen."Was bist du?", wisperte er und blickte an sich hinunter: Auch durch seine Pfoten hindurch schimmerte das satte Grün des weichen, den Boden unter ihm bedeckenden Mooses und der junge Kater riss die Augen auf. "Ich... Ich verstehe. Also hat dieses Ding auf dem Todesstreifen nicht meine Schwester erwischt, sondern... Das kann nicht sein!""Ruhig", flüsterte die Kätzin und legte den pelzigen Schwanz tröstend um das verwirrte Junge, "Nur wenige Katzen haben das Glück, nach ihrem Tod hierher zu kommen.""Aber....", begann Brian, "Wieso bin ausgerechnet ich hier gelandet? Mama sagt mir viel zu oft, was für eine schlimme Katze ich bin.""Verstehst du nicht, was du getan hast? Du bist gestorben, um deiner Schwester das Leben zu retten. Wenn eine so junge Katze ihr Leben für eine andere hergibt, dann ist es unsere Pflicht, sie aufzunehmen.""Also werde ich sie nie wieder sehen, bis sie auch sterben!" Mit einem vor Trauer verzerrten Gesicht stand er auf und rannte davon, bis er aus Delilahs Blickfeld verschwunden war.      

1.Kapitel

 

 

 

 Durch das blasse Schimmern einer unsichtbaren Lichtquelle, deren Leuchten aus dem Herzen des geschwärzten Horizonts zu dringen schien, konnte man die Umrisse vieler dunkler Gestalten wahrnehmen, die sich ab nur ab und an kaum merklich regten und das wohlige Stöhnen schlafender Katzen mischte sich mit den Geräuschen der sich im Wind neigenden Bäume. An jenen Stellen, die nicht in die schützenden Schatten der Bäume getaucht waren, spiegelte sich das gleißende Licht in klaren, wie reine Kristalle funkelnden Teichen. Nur hin und wieder wurden diese von einer sanften Brise bewegt, die über die Ebene hinwegrauschte und den dunklen, in reines Licht getauchten Pelz des jungen Katers aufwirbelte, welcher in den schützenden Schatten einer Birke kauerte und mit einem abwesenden Blick in die Nacht hinaus spähte. In seinen Augen spiegelten sich sowohl Bedauern als auch ein Anflug von Misstrauen, als er den Kopf senkte und die auf der Lichtung liegenden Katzen musterte."Hier ist alles so friedlich... Zu friedlich!", murmelte er an sich selbst gewandt und tauchte die Pfote in das kühlende Nass des Teiches, dessen mystische Stille undUnbeweglichkeit in ihm ein Gefühl der Unsicherheit aufsteigen ließen. Schon unzählige Male hatte er in jenes Gewässer hinabgeblickt und die Katzen beobachtet, deren Seelen noch nicht den Fluss des Todes überquert hatten und nun im Jenseits wandelten; meistens hatte er darin seine Schwester oder seine Mutter gesehen. Obwohl Brian sich über sein Glück, hierhergekommen zu sein, im Klaren war, beneidete er diese Katzen, die im Wald hinter kleinen Mäusen sowie flinken Kaninchen herjagen und sich an abenteuerlichen Aufgaben mit gefährlichen Kämpfen beteiligen durften. Hier, inmitten dieser ruhigen, friedliebenden Seelen war es ihm nicht einmal gestatten, einen spielerischen Kampf mit eingezogenen Krallen zu führen, und es gab keinerlei andere Tiere an diesem Ort, der sich so unendlich weit erstreckte. "Wieso war ich als Junges dämlicher als ein ausgekotzter Fellklumpen?", fragte er sich und senkte den Blick. Der Glanz, welcher sich auf der klaren Oberfläche des Teiches spiegelte, schien sich langsam aufzulösen, bis er sich in Form von silbrigem Staub in die Luft erhob und schließlich vom Wind davongetragen wurde. Der entschlossene Blick des jungen Katers haftete an jenem Teich und er ließ sich in eine Kauerhaltung sinken, als sich schließlich die zarten Umrisse einer Katze darin bildeten."Leyka!", wisperte Brian, doch er wusste, dass sich die Kätzin seiner Existenz nicht bewusst war. Er sah, dass sie schnellen Schrittes durch das Unterholz schritt, vorbei an einigen Katzen, ohne diese eines Blickes zu würdigen. Erst kürzlich hatten Leyka und ihre Mutter sich einer Gruppe von Streunern angeschlossen, welche sich in einer alten Scheune inmitten dichten Waldes angesiedelt hatten.  , doch noch nach fünf vergangenen Vollmonden waren die Trauer sowie die Schuldgefühle der jungen Kätzin nicht in den Hintergrund getreten. "Du konntest doch nichts dafür", miaute er und wandte schließlich den Blick ab, "meinetwegen wären wir beide beinahe Karnickelfutter gewesen!"Langsam drehte er den Kopf und wollte träge einen Schritt nach vorne tun, als ein eisblaues, durchdringendes Augenpaar seinen Blick traf. Einen Moment lang stieg ein Gefühl von Angst in dem Kater auf, doch dann musterte er die vor ihm stehende Gestalt genauer.Der dunkle, ihn unverkennbar überragende Kater starrte Brian mit einer ausdruckslosen Miene an und peitschte ab und an mit dem Schwanz über den Boden."Du brauchst dir keine Sorgen zu machen", murmelte er und presste einen nicht lange anhaltenden Augenblick tröstend seine Schnauze in das braune Fell des ihm gegenüberstehenden Katers."Es geht ihnen gut. Und deine Schwester wird sich auch wieder erholen.""Ich weiß", erwiderte Brian mit einem kurzen Blick auf jenen Teich, welcher den eindrucksvollen, von den Sternen herabsinkenden Glanz reflektierte und in den Augen der Katzen aufleuchten ließ."Aber sie ist nur so niedergeschlagen, weil damals ein viel zu klein geratener Haufen Hasenküttel dachte, er müsste unbedingt diesen Todesstreifen überqueren! Sammy, ich bin es selber Schuld, nicht Leyka." "Du warst damals drei Vollmonde alt, Brian! Jedes Junge würde solche Dinge tun", entgegnete Sammy, unwillkürlich mit dem Schwanz über den Boden peitschend."Du nicht", antwortete Brian kurz angebunden, während er den Blick über jene makellose, von satten Gräsern und wohlgeformten Büschen gesäumte Landschaft schweifen ließ, "du hättest so etwas nicht als Junges gemacht.""Ich war schon immer nicht so wie die meisten anderen. Aber eigentlich..." Er zögerte einen Augenblick und ließ ein tiefes Schnurren in seiner Kehle aufsteigen, "kenne ich auch keine Katze, die so viel Unsinn in ihrem Kopf hat wie du."Wahrscheinlich hast du Recht, dachte Brian, den Blick stets auf den grauen Kater gerichtet, welcher sich nur wenige Sonnenaufgänge nach ihm ins Jenseits begeben hatte. Vor seinem Tod, der durch eine unheilbare Krankheit hervorgerufen wurde, hatte Sammy bei den Menschen gelebt, wo es ihm eine Pfote in den Wald zu setzen nie vergönnt war. Seine Besitzer hatten ihm nie erlaubt, sein Haus zu verlassen, da sie unmmittelbar neben einem breiten Todesstreifen gelebt hatten, der den jungen Kater von einem freien Leben im Wald getrennt hatte."Du musst dein Leben nachholen!", rief Brian plötzlich aus und sprang mit einem spielerischen Ausdruck in den Augen auf die Pfoten."Was?" Sammy neigte leicht verwirrt und mit unüberhörbarer Skepsis in der Stimme den Kopf. "Du warst eine Hauskatze", fuhr Brian fort und peitschte mit dem Schwanz. "Hast du das vergessen? Du durftest garnichts. Noch nicht einmal..." Er zögerte, und tat einen Schritt nach vorne. "Das!"Ohne Vorwarnung stieß er den verwirrten Kater um, welcher zu taumeln begann und schließlich in jenen von gleißendem Mondlicht erhellten Teich fiel, woraufhin winzige Tropfen auf dem grasbedeckten Untergrund zersprangen wie hauchdünnes Glas.Ein schriller Aufschrei drang aus der grauen Kehle des Katers, welcher sich im Drang der Angst auf die Pfoten erhob und einen langen Satz nach vorne tat."Brian!", schrie er, "Was sollte das? Das Wasser ist so kalt, dass man glatt vergisst, einen Pelz zu haben.""Also, ich finde das nicht schlimm.""Natürlich nicht.""Nein, erhlich." Er schnurrte und stieß den reglos auf dem Gras sitzenden Kater mit der Pfote an. "Ich meine, schließlich lag ich nicht im Wasser.""Zum Glück!", wisperte Sammy und gab Brian mit einem Nicken des Kopfes das Zeichen, seinem Blick zu folgen. Dieser tat es Sammy gleich und suchte mit den Augen die sich vor ihnen erstreckende Landschaft ab, bis er schließlich erstarrte: Hinter einigen grasbedeckten Hügeln erhob sich die dunkle Silhouette einer schnell nahenden Katze vom Horizont ab, welche sich stets auf die beiden Kater zubewegte."Delilah", murmelte Brian, ohne den Blick von der ihr Tempo beschleunigenden Kätzin abzuwenden. "Die hat uns gerade noch gefehlt."Seine Stimme war ausdruckslos und ließ nicht auf jene Schuldgefühle deuten, welche in ihm aufstiegen. Er war sich darüber im Klaren, dass Sammy seinetwegen in Schwierigkeiten geraten würde, fände eine Katze heraus, dass das Wasser eines heiligen Teiches den Pelz des grauen Katers befeuchtete. "Wir müssen ihr sagen...", begann dieser, doch Brian schnitt ihm prompt das Wort ab: "Wir werden ihr garnichts sagen. Komm, lass uns einfach abhauen!Was kann sie schon ausrichten, uns töten?"Sein Blick erhellte sich und in dem Smaragdgrün seiner Augen funkelte ein neuer Ausdruck von Freude sowie Entschlossenheit. "Wir sind im Himmel!", rief er aus, "Niemand kann uns etwas antun!" Mit diesen Worten warf er einen letzten, gleichgültigen Blick auf die sich stets nähernde Delilah, bis er herumfuhr und seine schwarzen Pfoten über das weiche Gras preschen lies. Aus dem rhythmischen, beinahe lautlosen Geräusch von auf Gras aufschlagenden Pfoten konnte er schließen, dass Sammy ihm trotz seiner Zweifel folgte."Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?", fragte Sammy keuchend, schaffte es jedoch, dem hohen Tempo des braunen Katers standzuhalten. "Nein", antwortete dieser, den Blick geradeaus gerichtet, "das ist die Idee, die am lustigsten ist!" "Oh, Brian", murmelte Sammy, "Du benimmst dich wie..." Er zögerte und warf einen raschen Seitenblick über die Schulter zurück, um nachzusehen, ob Delilah ihnen gefolgt war, doch noch war nichts von der Kätzin zu sehen."Wie ein Junges!""Ich weiß", antwortete dieser, "das liegt daran, dass ich nur drei Vollmonde lang mein Leben als richtige Katze ausleben konnte!" Er hörte, wie Sammy einen langen Seufzer ausstieß und verlangsamte sein Tempo ein wenig. "Ist sie noch da?", fragte er schließlich, "oder sind wir zu schnell für sie?" Mit diesen Worten kniff er die Augen zusammen, ohne auf eine Antwort Sammys zu warten, welcher gerade den Mund öffnete, um zu antworten, als Brian prompt zum Stehen kam und sich nach allen Seiten umzusehen begann. "Sammy!", knurrte er, konnte jedoch einen freudigen Unterton in der Stimme nicht unterdrücken, als er die fahlen Umrisse der Kätzin hinter einigen, weit entfernten Sträuchern ausmachen konnte. "Sie ist noch da hinten. Und sie kommt näher." Einen nicht lange anhaltenden Augenblick zögerte Brian und blickte zu dem grauen Kater hinüber, welcher seinerseits zum Stehen gekommen war und eine dichte Wolke feinen Staubs aufgewirbelt hatte, welcher nun vom Wind davongetragen wurde."Und...", fuhr er dann fort, "Sie sieht leicht... gereizt aus". "Worauf warten wir dann noch?", fragte Sammy mit ausdrucksloser Stimme, doch das skeptische, auf ein Gefühl von Unbehagen deutende Funkeln in seinen Augen war unverkennbar und sein Blick wanderte von der nahenden Kätzin zu Brian. "Hier kenne ich mich nicht aus!", miaute er verärgert, doch der Blick seines Freundes haftete an einer weit in die Höhe ragenden Birke, deren Stamm an den Schwanz einer schneeweißen Katze erinnerte. Unwillkürlich tauchte in dem braunen Kater das Bild seiner Schwester auf, doch momentan hatte er weitaus ein weitaus größeres Problem."Wir müssen da rauf", stellte er fest und bewegte sich auf den Baum zu, "Delilah wird uns nicht bemerken". Daraufhin setzte er zum Sprung an und grub seine Krallen tief in die weiße Rinde der Birke, welche zunächst unter seinem Gewicht zu bersten drohte, doch dann gelang es Brian, sich an einem dicken, mit sattgrünen Blättern übersäten Ast festzukrallen. Schnell arbeitete er sich höher, die immer größer werdende Entfernung zwischen ihm und dem Boden missachtend. "Mir kann sowieso nichts passieren", murmelte er zu sich selbst, doch scheinbar hatte der Wind seine dennoch sehr leisen Worte an Sammys Ohren getragen, welcher miaute: "Was?" Als Brian dessen Stimme vernahm, blickte er nach unten und ein leiser Anflug von Entsetzen packte ihn: Sammy war nicht mehr als eine Pferdelänge vom Boden entfernt, und in nicht mehr weiter Ferne näherte sich Delilah; Brian konnte das wütende Funkeln ihrer Augen ausmachen, in welchem sich das Licht der aufgehenden Sonne spiegelte. "Sammy, mach schneller, da hinten ist sie schon!", wisperte er, doch er sah, dass die Kraft allmählich aus den Pfoten dessen schwand. "Du bist doch eine Katze! Du schaffst das", ermutigte er seinen Freund, doch dieser verzerrte unter großer Antsrengung das Gesicht. "Ich habe das noch nie gemacht", krächzte er, doch seine Stimme versagte.Schließlich ließ Brian sich an dem Stamm des Baumes hinabsinken, bis seine Pfoten auf der glatten Oberfläche eines Astes von nur geringem Durchmesser Halt fanden, und reckte den Kopf in die Richtung des grauen Katers. "Noch ein kleines Stück", wisperte er mit einem raschen Blick auf die dunkle Gestalt, die sie scheinbar nicht bemerkt hatte, sich jedoch mit jedem verstreichenden Augenblick näherte. Seine Krallen gruben sich tief in das Innere des Astes und er beugte sich weiter nach vorne, bis er schließlich das Nackenfell Sammys zu packen bekam und diesen mit festem Griff nach oben zog. "Das schaffst du doch nicht", miaute Sammy, mit den Krallen wild die Rinde der Birke bearbeitend, doch Brian war es gelungen, den Kater um einiges weiter nach oben zu befördern, bis es diesem schließlich sich an jenem Ast festzukrallen gelang. Mit aller Kraft, die er aufzubringen imstande war, hiefte Brian ihn zu sich nach oben und seufzte erleichtert auf, als der graue Kater mit geweiteten, eisblauen Augen neben ihm auf dem dünnen Ast saß und den Blick auf Delilah gerichtet hielt, welche die beiden Katzen beinahe erreicht hatte. "Ich glaube, sie hat uns nicht gesehen. Sie...", begann Sammy, wurde jedoch von einem geräuschvollen Krachen unterbrochen, welcher an das Aneinanderschlagen zweier harter Stöcke erinnerte. "Sammy", stammelte Brian und blickte dem ihm gegenübersitzenden Kater fest in die Augen. "Ich glaube, wir sind zu schwer!" Kaum hatte er jene Worte ausgesprochen, ertönte das Krachen erneut, dieses Mal um einiges lauter, als plötzlich der die Katzen tragende Ast unter deren Gewicht vom Stamm abriss und zu Boden fiel. Im selben Augenblick gelang es Brian, sich mit den Hinterläufen abzudrücken und mit den Krallen tief in einen weit über ihm wachsenden Ast zu schlagen, Sammy jedoch wurde von dem Ast mitgerissen und landete unüberhörbar auf dem von weichem Moos bedeckten Boden, woraufhin Delilah verstört herumfuhr. Ihre Ohren zuckten nervös und Brian sah, dass sie mit ihren langen Vorderkrallen den weichen Boden bearbeitete, ehe sie mit skeptischer Stimme miaute: "Sammy! Was tust du da? Seit wann setzt du einen Fuß auf einen Baum?" "Ich..." begann dieser, "ich bin Brian gefolgt, er hat mir gezeigt, wie man klettert." Mit einem Nicken des Kopfes wies er auf Brian, welcher sich den Baum hinuntergleiten ließ und schließlich neben den ängstlich dreinblickenden grauen Kater trat. "Ja, ich dachte, er würde klettern mögen, aber das ist ja jetzt wohl..." Er wurde von einem schrillen Krächzen Delilahs unterbrochen, welche Sammy genau gemustert hatte: "Wie kann es sein, dass dein Fell nass ist? Es gibt nur weit entfernt von hier Gewässer, abgesehn von unseren heiligen Teichen. Was hast du getan?"Gerade öffnete Sammy den Mund, um der wütend blickenden Kätzin zu antworten, doch Brian kam ihm zuvor: "Ich habe ihn versehentlich hineingeschubst, als ich dort entlanggelaufen bin. Er war in der Dunkelheit nicht gut zu sehen, und jetzt dachte ich, er könnte auf einen Baum klettern, damit er die Nässe nicht so spürt und schneller wieder trocknet..." Er war sich darüber im Klaren, dass die Kätzin seinen Worten keinen Glauben schenkte, doch würde sie erfahren, dass Brian den grauen Kater absichtlich in jenen Teich hineingestoßen hatte, würde er Schwierigkeiten bekommen, doch zu seinem großen Erstaunen senkte die Kätzin mit einem Funken von Mitleid, so glaubte er jedenfalls, den Kopf und murmelte: "Ich verstehe dich. Wirklich. Du hast dein Leben zu früh hinter dir gelassen und dich uns ageschlossen, da ist es verständlich, dass du dich nach Abenteuern sehnst- mir ist es schon ähnlich ergangen. Du hast recht, wenn du denkst, dass es hier manchmal zu perfekt ist."Woher weiß sie das? , dachte Brian und fragte sich plötzlich, ob die dunkle Kätzin seine Gedanken zu hören in der Lage war. Jede ihrer Aussagen traf auf seine Gedanken und Gefühle zu- war es ihr einst genauso ergangen? Vergeblich, so glaubte er, suchte er sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen, doch aus Delilahs Blick konnte er schließen, dass ihm dies nicht gelungen war. "Irgendwann kommt der Tag, an dem du weißt, wo dein Paradies ist", sagte sie mit hoch erhobenem Kopf.   

 

2.Kapitel

Flankiert von Sammy und Delilah, welche schon seit einiger Zeit schweigend neben ihm hertrotteten, bewegte sich Brian über die von klaren Pfützen, von welchen einige die Quellen kleiner Bäche bildeten, übersäte Landschaft. Die graue Kätzin war nicht wegen des Vorfalls mit Sammy und dem Teich wütend gewesen, was ihn sehr erstaunt hatte, doch scheinbar erging es ihr von Zeit zu Zeit ähnlich wie ihm. Nun näherten sie sich dem Ort, wo die übrigen Katzen noch immer versammelt waren und einige von ihnen noch in den schützenden Schatten vereinzelter Bäume schliefen."Du bist schon beinahe trocken", brach Delilah schließlich die Stille, welche sich wie eine unsichtbare Decke über die Landschaft gesenkt hatte, und blickte Sammy an. "Ich werde niemandem etwas sagen, aber ihr müsst dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt." Brian wollte ihr zunächst antworten, doch Sammy kam ihm mit einem Ausdruck von Angst in der Stimme zuvor: "Es wird nicht noch einmal vorkommen. Danke, Delilah." Für einen Moment war jene mystische Stille wieder eingekehrt, bis Delilah ihr Tempo beschleunigte und sich vor dem verstört stehen bleibenden braunen Kater aufbaute. "Das will ich von euch beiden hören!" Brian senkte den Kopf. "Ich denke, ich werde es schaffen, das nicht noch einmal zu tun", murmelte er, konnte jedoch ein leises Lächeln nicht unterdrücken. Selbstverständlich würde er von jetzt an darauf achten, seinen Freund oder eine andere Katze nicht in Schwierigkeiten zu bringen, ob er selbst sich jedoch stets an die von Delilah und den übrigen, älteren Katzen vorgegebenen Regeln halten würde, stand noch nicht fest. "Brian, du kannst es einfach nicht lassen", stellte Delilah plötzlich fest, doch der junge Kater blickte sie mit verwundertem Blick an. "Wieso?" Er versuchte, seine Gefühle zu unterdrücken, doch Delilah schien ihn zu durchschauen in der Lage zu sein. "Du hast wieder dieses... merkwürdige Funkeln in den Augen, als fändest du etwas hier überaus komisch. " Sie zögerte. "Bitte benimm dich ein einziges Mal nicht wie ein Junges. Ich weiß, dass du die letzte Katze bist, welcher das perfekt gelingen kann, aber versuche es wenigstens, in Ordnung?" "In Ordnung", sagte Brian, bevor er sein Tempo beschleunigte und auf die Gruppe von Katzen zupreschte. Diese blickten ihm mit geteilten Gesichtsausdrücken entgegen, einige erhoben sich, um die drei Katzen zu begrüßen. "Wo seid ihr gewesen?", erhob sich die Stimme einer Kätzin aus der Menge, woraufhin sich eine kaum wahrnehmbare, helle Gestalt mühsam ihren Weg durch die unzähligen Katzen bahnte und schließlich vor Brian zum Stehen kam. Die junge Kätzin blickte ihm mit bernsteinfarbenen, vollmondähnlichen Augen entgegen, weshalb dieser schließlich antwortete: "Wir waren nur im Wald. Wieso, hat uns jemand vermisst?""Na ja", fuhr die beige-gescheckte Kätzin fort, deren Fell im rötlichen Glänzen der aufgehenden Sonne in einem goldenen Licht erstrahlte. Sie neigte leicht den Kopf, um zu sehen, wie sich Delilah näherte, Sammy an ihrer Seite hertrabend. "Tao wollte mit ihr sprechen. Außerdem ist gerade eine neue Katze auf dem Weg zu uns. Sie hat einen- wie ich das nenne- grotesken Namen, aber ich glaube, das wird Tao euch dreien gleich berichten." Mit diesen Worten schwang sie den Kopf und deutete mit einer raschen Bewegung des Schwanzes auf einen großen, von zerfurchtem Fell bedeckten Kater, welcher sich etwas abseits der großen Katzengruppe auf einem glatten Stein niedergelassen hatte. Brian musterte den alten Kater und stellte fest, dass seine von verfilztem Fell umgebenen Augen geschlossen waren; er schien zu schlafen. Schließlich wanderte sein Blick zurück auf die vor ihm stehende Kätzin, welche nervös von einer Pfote auf die andere trat und hin und wieder den braunen Kater musterte, in dem Glauben, er würde dies nicht bemerken. Seit sie vor nur wenigen Vollmonden gestorben war, hatte sie stets dessen Nähe gesucht und ihm Dinge erzählt, die sie bisher mit keiner anderen Katze geteilt hatte. Dem Aussehen nach zu urteilen konnte sie nicht älter sein als vier, möglicherweise fünf Vollmonde, doch für eine junge Katze dieses Alters verfügte sie über einen weiten, geistigen Horizont- sie konnte jedes Kraut, jede Beere von einer noch so gleich aussehenden unterscheiden und wusste, welche Mittel sie bei einer kranken oder verletzten Katze anzuwenden hatte. Vor ihrem Tode hatte sie sich allein im Wald zurechtfinden müssen, da ihre Mutter nur wenige Wochen nach ihrer Geburt von einem Menschen gefunden und an einen Ort gebracht wurde, wo diese einige verwahrloste Tiere aufbewahrten und einen Besitzer für sie suchten. Dem Katzenjungen war es damals mit viel Glück gelungen, sich aus jenem Ort hinauszustehlen, war dann jedoch, wie Brian auch, von einem jener riesenhaften, die grauen Todesstreifen bewohnenden Ungetüme getötet worden."Dann werde ich Delilah jetzt hohlen. Danke, Kitty". Er wollte gerade kehrt machen, blickte dann jedoch noch einmal zurück und murmelte an diese gewandt: "Pass am besten auf, dass du später mal nicht so viel Unfug machst wie ich". Mit diesen Worten fuhr er schließlich herum und bahnte sich mühsam einen Weg durch die unzähligen von Katzen, doch hinter sich hörte er, wie Kitty murmelte: "Ich will aber so werden wie du!" Diese Worte missachtend ließ er sich von seinen Pfoten auf Delilah zutragen, welche sich neben Sammy auf dem von glänzenden Gräsern bedeckten Boden niedergelassen hatte und mit einem großen, dunkel getigerten Kater sprach. "Delilah!", rief er und machte ungewollt einige Katzen auf sich aufmerksam. Dem getigerten Kater einen letzten Blick zuwerfend erhob sie sich und tat einen Schritt auf Brian zu, welcher zu sprechen begann: "Kitty hat mir gesagt, dass Tao dir etwas erzählen will. Der faule Sack liegt da hinten auf einem Felsen und schläft." Er schnurrte belustigt und war sich darüber im Klaren, dass Delilah die Ironie aus seiner Stimme heraushörte. "Am besten, wir warten, bis er wach ist", fügte er hinzu, als er sah, wie sich der alte Kater träge im Schlaf zu regen begann. Er erinnerte sich nur schwach daran, wie Delilah ihn geweckt hatte, um ihm den braunen Kater vorzustellen, als dieser dort eingetroffen war. Tao war mit gesträubtem Pelz und gefährlich im Mondlicht blitzenden Krallen aufgesprungen und schien für einen Augenblick lang vergessen zu haben, wo er sich befand. "Ist schon in Ordnung", riss Delilah ihn aus seinen Gedanken, "Dieses Mal werde ich vorsichtiger sein. Willst du mitkommen?" Brian zögerte, willigte jedoch schließlich ein und folgte der grauen Kätzin schweigend. Im Grunde war er nicht sonderlich an dem, was der alte Kater mit Delilah zu besprechen hatte, interessiert, doch als er an Kittys Worte von einer neuen Katze dachte, spürte er, wie Neugier in ihm aufstieg. "Kitty hat gesagt, wir haben einen Neuankömmling, eine Katze mit groteskem Namen, meinte sie. Also, na gut, ich komme mit."Prompt blieb Delilah stehen und in ihren Augen wurde das Licht der Sonne reflektiert, sodass sich darin ihre eigene Trauer spiegelte. "Was ist los?", erkundigte sich der Kater bei ihr und versuchte, so vorsichtig zu sprechen, wie es in seiner Macht stand. "Es ist... Wir haben schon seit einiger Zeit gewusst, dass diese Katze bald sterben würde, durch einen Hund... Wir haben versucht, sie in ihren Träumen zu warnen, ihr ein Zeichen zu schicken... Sie war unerreichbar." Ihre Stimme blieb ausdruckslos, doch in ihren Augen schien eine klarer Fluss, in dessen silbrigem Wasser sich ihre tiefe Trauer spiegelte, zu bilden, aus einer unsichtbaren Quelle der Verzweiflung gespeist.Brian brachte nur ein kurzes Nicken zustande; obgleich er bisher nichts von jener Katze gewusst hatte, empfand er Mitgefühl mit Delilah, welche mit gesenkten Kopf neben dem Kater herschritt. "Tut mir Leid", murmelte er schließlich, doch die im gleißenden Sonnenlicht silbrig glänzende Kätzin schien seine Worte überhört zu haben. "Tao", rief sie nach einigen Augenblicken, in denen zwischen den beiden Katzen ein mystisches Schweigen eingekehrt war, "Tao, ich bin jetzt da!" Mit diesen Worten beschleunigte sie ihr Tempo, was Brian der Kätzin gleichtat, bis sie vor jenem alten Kater zum Stehen kam. Dieser regte sich zunächst nicht, öffnete jedoch nach einigen Rufen Delilahs die in einem gräulichen Ton schimmernden Augen. "Delilah", murmelte er schläfrig, "und... " Er zögerte, woraufhin Brian der neben ihm sitzenden Kätzin einen kurzen Blick von der Seite zuwarf. Tao wandte träge den Kopf und schien sich zunächst in seiner Umgebung orientieren zu wollen, jedoch haftete sein ausdrucksloser Blick auf dem braunen Kater. " Wie auch immer. Ich habe dir etwas zu sagen, es ist wichtig. Kommt mit", sprach er und erhob sich mühsam auf die Pfoten, bevor er langsam einen Schritt nach vorne tat und mit einer raschen Schwanzbewegung den beiden Katzen das Zeichen gab, ihm zu folgen. Brian hörte, dass Delilah etwas Unverständliches murmelte, und schritt hinter dem alten Kater her, von der grauen Kätzin dicht gefolgt. "Dort drüben liegt eine Katze, eine neue. Ehmm... Brian, so heißt du doch, oder?" Dieser nickte kaum wahrnehmbar. "Ich möchte, dass du zu ihr hinübergehst und mit ihr redest, so wie damals Delilah mit dir geredet hat, als du hierhergekommen bist. Versuche, sie zu beruhigen." An Delilah gewandt fuhr er fort: "Dir muss ich etwas Wichtiges mitteilen." Zunächst wollte Brian erfahren, was der alte Kater mit Delilah zu besprechen hatte, fuhr dann jedoch herum und bewegte sich auf die reglos im Gras liegende Katze zu. Als er nicht mehr als wenige Schwanzlängen von dieser entfernt war, verlangsamte er seinen Schritt und setzte lautlos eine Pfote vor die andere. "Hey", wisperte er schließlich und ließ sich neben der sich nicht regenden Kätzin auf den Boden sinken, "kannst du mich hören?" Die Kätzin jedoch antwortete nicht und Brian sah kurz zu Delilah und Tao hinüber, welche sich in den Schatten eines hochgewachsenen Baumes niedergelassen hatten, wandte sich dann wieder der Kätzin zu."Äähm... Du kannst ruhig die Augen öffnen. Ich werde dir nichts tun." Sanft berührte er die Flanke der Kätzin mit der Pfote und wartete einige Augenblicke auf eine Reaktion von dieser, doch noch immer regte sie sich nicht. Ein wenig verwirrt erhob er sich und trat von einer Pfote auf die andere, vergeblich auf jegliche Zeichen der Katze wartend, welche jedoch sich zu bewegen keine Anstalten machte. "Wie macht Delilah das immer?", murmelte er an sich selbst gewandt und blickte abermals zu dieser hinüber, welche in dem Schatten des Baumes beinahe unsichtbar zu sein schien. "Ich weiß, du kannst mich nicht verstehen und ich mache mich gerade zum Vollidioten, weil ich wie ein nervöses Karnickel hier rumhüpfe und mit einer... schlafenden Kätzin rede. Oder Kater. Was auch immer", miaute er und ließ sich schließlich erneut auf den Boden sinken. "Ich kann wohl noch lange warten."Unzählige, ewig anhaltende Augenblicke strichen wie der zarte Hauch eines kühlen Windes an ihm vorbei und ihn drängte das Verlangen, zu Delilah hinüberzulaufen und sie um eine Ablösung zu bitten, jedoch war es ihm keineswegs gestattet, die vor ihm liegende Gestalt hier allein zu lassen. Würde sie dann erwachen, liefe sie womöglich in ihrer Angst davon und könnte nie Vertrauen zu den anderen Katzen gewinnen. Plötzlich sah der junge Kater eine leise Brise über das helle Fell der Kätzin streifen, welches von dunklen, einem mit unendlichen Abzweigungen versehenen Fluss gleichenden Streifen übersät war. Einen Moment lang schien es ihm, als durchfahre ein kaum wahrnehmbares Zucken ihren Körper, dann begannen sich ihre Augen langsam zu öffnen und ihre Pfote strich sanft über die weichen Gewächse, auf welchen sie lag."Wo... Was...", stammelte sie, doch Brian spürte, dass das Sprechen ihr große Anstrengung bereitete. Er wisperte: "Bleib einfach kurz liegen. Das wird schon wieder.""Warum bin ich hier?", erkundigte sie sich, doch ihre Stimme drohte unter ihrer hintergrundlosen Furcht zu versagen. "Weil du ge..." , begann Brian, hielt dann jedoch einen Augenblick inne. Wie konnte er der Kätzin ihren Tod am besten beibringen?"Dieser Hund hat dich... er hat... Du bist tot. Und das hier ist das Paradies, wo du von jetzt an leben... also, nicht wirklich leben, weil du ja... Na ja, du bist jetzt im Paradies. Und dir wird es gleich besser gehen, glaub mir.""Was?", rief die Kätzin aus, und plötzlich schienen jegliche Anzeichen von Anstrengung und Schmerzen verschwunden, in ihren dem Kater zugewandten goldenen Augen spiegelte sich pure Angst. "Das kann nicht sein. Das kann nicht sein! Ich will nicht...""Schon gut", beruhigte er sie, "Hier wird es dir besser gehen. Ich weiß, es fühlt sich schlimm an, wenn man erfährt, dass man gestorben ist, aber hier kannst du ja weiter leben.""Ich will wieder zurück!", flüsterte sie beinahe lautlos und ihre Stimme war von einem verzweifelten Unterton. "Der Hund wird meine Schwester töten!""Nein, wird er nicht, weil du mit dem Hund zusammen gestorben bist. Ihr seid beide einen Felsen hinuntergestürzt."Einen Moment lang herrschte Stille und Brian empfand Mitgefühl für die junge Kätzin, es war selbstverständlich, dass sie verwirrt und ängstlich war."Mir ist es damals genauso gegangen. Ich war noch ein Junges, als ich hierhergekommen bin- und jetzt geht es mir hervorragend. Du brauchst also keine Angst zu haben.""Wo sind die anderen? Und wer bist du?" Sie wollte sich auf die Pfoten erheben, welche jedoch unter dem Gewicht der getigerten Kätzin nachgaben und diese seitlich zu Boden taumelte. Aus ihrer Kehle drang ein leises Stöhnen und sie blieb zunächst unbeweglich liegen, woraufhin der braune Kater schauderte. Ihm war es damals, kurz nach seiner Ankunft, ebenfalls nicht gut gegangen, doch durch eine Berührung Delilahs war er plötzlich ohne die geringsten Beschwerden aufgesprungen."Nicht erschrecken", murmelte er an die Kätzin gewandt.Kurz legte er seine schwarze Pfote auf die ihre und sah, wie die winzigen, seine Pfoten umgebenden Lichter in die Kätzin eindrangen und diese zusammenzucken ließen. Unbeweglich starrte sie auf die unzähligen Funken, welche ihre Pfoten mit jeder Berührung transparenter werden ließen."Geht´s jetzt wieder?", erkundigte sich Brian schließlich, als die Kätzin sich langsam, jedoch mit unverkennbarer Skepsis in den Augen aufrichtete. "Ja. Es ist wieder in Ordnung. Wie hast du...""Von jetzt an kannst du das auch", unterbrach er sie, "das können alle Katzen, die hier sind. Ich denke, wir sollten dich jetzt zu Delilah bringen." Erneut schien ein Gefühl von Unsicherheit in der Kätzin aufzuflammen, welche dies jedoch zu unterdrücken suchte. Daraufhin erklärte Brian: "Das ist die graue Kätzin, die da drüben sitzt. Sie ist nett. Na gut, manchmal ist sie unerträglicher als verdorbene Fische... Aber du wirst sie mögen." Er zögerte einen Augenblick, bevor die beiden Katzen sich Seite an Seite auf Delilah und Tao zubewegten. "Wie heißt du eigentlich?""Ich... glaube nicht, dass du den Namen erfahren willst", entgegnete sie, und Brian erinnerte sich an Kittys Worte, die neue Kätzin habe einen grotesken Namen. "Ach was", miaute er dann, "ich habe schon genügend seltsame Namen gehört. Jetzt sag schon, so schlimm kann es ja wohl nicht sein.""Also schön. Aber meine Mutter hat diesen Namen nicht ausgesucht, das waren meine Menschen. Ich... heiße Frau Kraft.""Frau Kraft?", widerholte Brian, "wie sind deine Menschen denn an so einen Namen gekommen?" "Ich weiß es nicht. Er ist schrecklich, wie ich gesagt habe.""Schrecklich finde ich ihn nicht. Nur ein wenig... Na ja, selten", miaute er, konnte jedoch ein leises Lächeln nicht unterdrücken. Natürlich hatte er bereits einige seltsame Namen gehört, dieser jedoch entsprach keiner seiner bisherigen Erfahrungen. "Ich heiße Brian. Das hat meine Mutter auch von den Menschen, weil ihre Schwester einmal bei Menschen gelebt hat. Jedenfalls...""Warte!", unterbrach ihn Frau Kraft und kam plötzlich zum Stehen, "hast du eine Schwester?"Brian blieb ebenfalls stehen und musterte die helle Kätzin genau, ehe er antwortete. "Ja, ich hatte eine Schwester. Wieso?""Dann kenne ich dich! Deine Schwester heißt Leyka, oder? Und deine Mutter... Sie heißt Lucy, nicht wahr?""Ja! Woher weißt du das? Ich kann mich nicht an dich erinnern." "Ich bin ein wenig älter als du. Unsere Mütter kannten sich und einmal haben sie sich getroffen. Deine Mutter hatte dich und deine Schwester dabei. Wir sind an einen See gegangen und haben dort gespielt, dann ist deine Schwester ins Wasser gefallen, aber du hast sie gerettet. Ich weiß es noch ganz genau! Du warst damals so abenteuerlustig und hast dich wirklich alles getraut!""Hat sich nicht geändert", schnurrte er, "das hat mich letztendlich auch mein Leben gekostet, das ich eigentlich noch ein wenig behalten wollte. Aber ich kann mich an nichts erinnern, und ich denke, deinen Namen hätte ich wohl behalten.""Damals hatte ich noch einen anderen Namen. Ich hieß Kena. Meine Mutter wurde erst später bei den Menschen aufgenommen, welche mich dann... Na ja, du weißt schon, genannt haben. Und daran habe ich mich so sehr gewöhnt, dass mich danach niemand mehr Kena genannt hat, sondern..." "Frau Kraft", schloss Brian, ohne jedoch aufgrund dessen Mitgefühl für die Kätzin zu empfinden. Ein seltsamer Name war im Grunde nichts, was eine Katze unglücklich machen sollte, ebensowenig wie deren Äußeres. Für ihn zählte, dass Frau Kraft einen sympathischen Charakter aufwies und sich nicht ihres Namens entsprechend verhielt. "Denkst du, Delilah wird mich mögen?", wisperte sie schließlich und Brian sah, wie sich ihre Muskeln unter dem hell getigerten Fell anspannten. "Natürlich. Jetzt hör´ damit auf, dir über alles Sorgen zu machen. Du bist hier gut aufgehoben."Mit diesen Worten beschleunigte er sein Tempo, bis die beiden Katzen nur wenige Schwanzlängen von Delilah und dem neben dieser sitzenden Tao entfernt waren, dann rief er aus: "Delilah! Sie ist aufgewacht." Als diese ihm das Gesicht zuwandte, sah er, wie sich in ihren Augen ein leiser Funken von Entsetzen spiegelte, jedoch schien die Kätzin dies unterdrücken zu wollen. "Wie schön."Brian ließ sich auf dem Boden nieder und bedeutete der hellen Kätzin, es ihm gleichzutun, welche sich ein wenig verstört die Pfoten zu lecken begann. "Das hier ist Frau Kraft.""Hallo. Schön, dich zu sehen, Frau Kraft. Ich bin Delilah. Weißt du, tief in meinem Innern hatte ich gehofft, das Schicksal würde eine unerwartete Wendung nehmen und du würdest nicht mit diesem Hund zusammen sterben...""Ihr habt davon schon vorher gewusst?", unterbrach Frau Kraft die graue Kätzin, "wieso...""Hör zu", wies Delilah diese zurecht, "wir haben unzählige Male versucht, es dir irgendwie zu sagen, aber wir konnten dich weder in deinen Träumen noch auf andere Weise erreichen. Es tut mir Leid. Aber jetzt bist du hier und ich weiß, dass es dir gefallen wird."Sie wechselte einen kurzen Blick mit Tao, dessen Miene auf die selbe Art von Entsetzen hindeutete wie der leise, in den tiefblauen Augen Delilahs funkelnde Ausdruck. "Ist irgendetwas...""Ja, es ist etwas", sagte Delilah mit einer unüberhörbaren Kälte in der Stimme, als hätte sie Brians Gedanken gelesen. "Ich muss mit dir sprechen."   

3.Kapitel

"Lass uns dort drüben hingehen", murmelte Delilah mit einem raschen Blick auf Frau Kraft, welche den braunen Kater verwirrt anstarrte. Diesem war bewusst, dass sich die junge Kätzin, deren Verwirrung ohnehin noch nicht verflogen war, nun noch mehr Sorgen zu machen begann, doch er konnte sich nicht weigern, Delilah zu begleiten. Wenn das, was sie ihm zu sagen hatte, seine Schwester und seine Mutter betraf, spielten die Gefühle der neuen Kätzin eine weniger große Rolle für ihn. "Keine Angst", murmelte er an diese gewandt, "es hat nichts mit dir zu tun." Somit folgte er Delilah wortlos und spürte, wie er mit den mystischen Schatten, welche die vereinzelt wachsenden Bäume auf die weichen Gräser warfen, verschmolz. "Sie ist außer Hörweite", stellte er schließlich klar, "ehe wir eine Wanderung durch das gesamte Gebiet gemacht haben, sag mir es doch einfach gleich hier."Ohne auf eine Antwort Delilahs zu warten, setzte sich Brian unter eine junge Birke und bereitete sich innerlich auf eine schwer zu verarbeitende Nachricht vor, doch das Entsetzen, welches Delilah soeben noch ergriffen hatte, schien beinahe aus deren glänzenden Augen verflogen. Sie ließ sich neben dem jungen Kater nieder und öffnete den Mund, um zunächst den einen Hauch von satten Gräsern mit sich tragenden Wind einzuatmen, bevor sie zu sprechen begann: "Du wünschst dir doch manchmal, du wärst nicht hier, oder?" Brian zögerte einen Augenblick, ehe er die Aussage der Kätzin mit einem leisen Nicken bestätigte. "Tao und ich haben eine Möglichkeit gefunden, wie du wenigstens zeitweise die auf der Erde lebenden Katzen, darunter auch Leyka und Lucy, besuchen kannst.""Was?!", wisperte Brian kaum wahrnehmbar, jene schwer zu glaubenden Worte zunächst zu verarbeiten suchend. Unzählige Male hatte er ewig anhaltende Tage sowie Nächte nur damit verbracht, in tiefer Trauer vor jenem Teich zu sitzen und seine Schwester zu beobachten. Ein unbezwingbares Feuer der Freude flammte in ihm auf und ließ seine smaragdgrünen Augen in einem neuen Glanz erstrahlen, welcher seit seinem Tod nie wieder dagewesen schien. Es war, als bahnte sich ein reißender Fluss allmählich seinen Weg durch die unzähligen von Hindernissen, den auf Trauer errichteten Damm zerstörend und jede völlig ausgetrocknete Fläche mit klarem Wasser bespülend. "Wieso... Wieso konnte ich das nicht schon früher?", erkundigte er sich irgendwann, als es ihm seine Freude zu zügeln gelungen war, doch seine Stimme zitterte noch immer. "Eigentlich gab es bisher keine Katze, die sich hier nicht völlig wohlgefühlt hat, weshalb auch noch keine den Wunsch hatte, zurückzukehren, und ich glaube auch, dass es sehr schwierig wäre, der Seele einer Katze einen neuen Körper zu geben, aber jetzt muss jemand wenigstens für eine Zeit hinunter.""Und wieso?"Delilah zögerte. "Die Katzen, die in der alten Scheune im Wald leben, sind in großer Gefahr. Tao hat gesehen, dass sich in wenigen Vollmonden ein großes Feuer im Wald ausbreiten und alles zerstören wird. Jemand muss sie warnen, anstonsten werden sie alle sterben. Und ich dachte, dass du diese Aufgabe vielleicht übernehmen möchtest und so eine Weile bei ihnen bleiben könntest.""Natürlich will ich das!", rief Brian aus und trat aufgeregt von einer Pfote auf die andere. Er war sichtlich betroffen über das schreckliche Schicksal, welches den Wald bald heimsuchen wurde, doch die Freude, seine Schwester wiederzusehen und für einige Zeit das Leben einer normalen Katze zu führen, gewann schließlich die Oberhand.Delilah lächelte, als hätte sie seine Gedanken gelesen. "Du musst dir ganz sicher sein. Wir müssen alles genau planen und es ist auch nicht so einfach.""Doch, ich bin mir sicher", antwortete er mit vor Entschlossenheit funkelnden Augen und grub unwillkürlich die Krallen in den weichen Boden. "Gut", murmelte Delilah- an dem ausdruckslosen Ton in der Stimme der grauen Kätzin konnte Brian schließen, dass sie seine Antwort nicht sonderlich überraschte. "In diesem Fall werden wir dich morgen losschicken. Aber du darfst keinen Fehler machen. Sobald dich eine Katze sieht, sage ihr, du wärst ein Streuner- lasse nur deine Schwester und deine Mutter die Wahrheit wissen, sonst sorgst du für sehr viel Verwirrung. Wir werden dich wissen lassen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ihnen die Wahrheit zu sagen. Wir..."Sie zögerte und blickte den braunen Kater an, welcher abwesend auf einen unsichtbaren Punkt in der Ferne starrte. "Brian! Hörst du mir zu?""Ähh... Ja, natürlich", stammelte dieser, "Ich soll erst mit der Wahrheit rausrücken, wenn du es mir sagst.""Genau. Und du solltest am besten nicht allzu gute Freundschaften schließen, da du irgendwann wieder zurück musst.""Schon gut. Ich werde das schon schaffen. Sag Tao, dass ich es machen will."Somit fuhr er herum und verfiel in einen gemächlichen Trab. Noch immer waren seine Gedanken verwirrt und es kostete ihn Mühe, sich innerhalb des stellenweise hohen Grases richtig orientieren zu können, doch schließlich konnte er die sich dunkel von der restlichen Landschaft abhebende Gestalt der hellen Kätzin erkennen, welche sich dort niedergelassen hatte, wo Tao soeben noch mit Delilah gesprochen hatte. "Frau Kraft!", rief er und beschleunigte sein Tempo, als die Kätzin sich erhob und langsam auf ihn zuschritt. "Ist etwas passiert? Hat es mit mir zu tun?", erkundigte sie sich und Brian konnte einen unüberhörbaren Ausdruck von Unbehagen in ihrer Stimme ausmachen, welcher jedoch zu verklingen schien, als der Kater den Kopf schüttelnd erklärte: "Nein, es hat garnichts mit dir zu tun. Es ist nur... Ich werde morgen etwas länger weggehen. Also werden wir uns eine Zeit lang nicht sehen." Er zögerte, als er einen von Trauer erfüllten Schatten das Gesicht der Kätzin verdunkeln sah, welche schließlich den Kopf neigte. "Aber, ich kenne hier sonst niemanden!", wisperte sie kaum hörbar und legte sich auf dem Gras nieder, "was ist, wenn die anderen mich nicht mögen?""Blödsinn", entgegnete Brian, "Delilah mag dich. Mit ihr wirst du gut zurecht kommen. Und um die anderen Schnarchnasen da drüben brauchst du dir auch keine Sorgen zu machen. Der Kater, der da sitzt...", fuhr er fort und wies mit der Pfote auf die dunkle Gestalt Sammys, welcher sich etwas abseits von den anderen Katzen niedergelassen hatte und sie zu beobachten schien, "der ist ein guter Freund von mir. Ich werde ihm sagen, dass er auf dich aufpassen soll. Keine Angst. Du schaffst das schon." Er blickte Frau Kraft noch einmal tief in deren hell funkelnde, von einem dunklen Schleier umhüllt scheinende Augen und strich der verwirrten Kätzin kurz tröstend über die Flanke, woraufhin diese zusammenzuckte, den leeren Blick auf einen unsichtbaren Punkt inmitten unzähliger Grashalme gerichtet. Dann fuhr sie die Krallen aus und begann, den grasbedeckten Boden zu bearbeiten, ehe sie mit zitternder Stimme fragte: "Du kommst doch wieder, oder?""Klar!", antwortete Brian und gab ihr einen freundschaftlichen Stups, "ich komme natürlich wieder." Leider, fügte er in Gedanken hinzu, sprach dies jedoch aufgrund seines Mitgefühls für die von leiser Trauer und Angst geplagte Frau Kraft nicht aus, machte stattdessen kehrt und bewegte sich auf Sammy zu, welcher ihm nun mit geweiteten Augen entgegenblickte. Auf seinem dunklen Pelz spürte er sowohl das gleißende, ihn in einem goldenen Glanz aufleuchten lassende Sonnenlicht, als auch den ängstlichen Blick Frau Krafts, deren innere Flamme der Trauer ihn zu verbrennen drohte. Einen nicht lange anhaltenden Augenblick drängte ihn das Verlangen, mit dem Vorsatz jene Flamme zu löschen, umzukehren, doch seine Freude, Leyka wiederzusehen, war stärker als das Mitgefühl für die Kätzin. Außerdem befand sich diese unter vielen Katzen, die sie zweifellos gut behandeln und mit denen sie sich anfreunden könnte.Sammy erhob sich mühsam, so schien es jedenfalls, auf die Pfoten und tat einen schritt auf den braunen Kater, dessen Pelz im rötlichen Sonnenlicht einen flammenähnlichen Ton angenommen hatte, als dieser seinen Namen rief. "Wer ist das da drüben?", erkundigte sich Sammy und deutete mit einer trägen Kopfbewegung auf die reglos im Gras verharrrende, hell getigerte Kätzin. "Das ist die neue Katze", antwortete Brian und folgte dem Blick des grauen Katers, woraufhin ihn abermals ein Funken von Mitgefühl für sie überkam. Er war der einzige, den sie näher kannte, doch er würde Sammy bitten, sich ihrer anzunehmen. "Sie heißt Frau Kraft, und..." Er wollte fortfahren, wurde dann jedoch von einem seltsamen Laut, der aus Sammys Kehle drang, unterbrochen. Der graue Kater senkte den Kopf und seine Schwanzspitze zuckte auf eine seltsame Weise, wie Brian es bei ihm noch nie zuvor gesehen hatte. Er vermutete, dass sein Freund lachte, konnte dies jedoch nicht mit völliger Sicherheit behaupten. Langsam reckte er den Hals, um Sammys Gesichtsausdruck erkennen zu können, doch dieser hatte die Augen auf den Boden gerichtet und gab noch immer seltsame Laute von sich."Sammy? Ist alles klar?", erkundigte er sich vorsichtig und stieß Sammy mit der Schnauze gegen die Wange, sodass dieser den Kopf hob. Sein Mund war zu einem breiten Lächeln verzogen und er kniff die noch immer auf den Boden gerichteten Augen zusammen. "Wie heißt sie?""Frau Kraft", antwortete Brian und konnte ebenfalls ein Lächeln nicht unterdrücken, als er sah, wie sich der graue Kater bemühte, nicht in einem alles übertönenden Lachen auszubrechen. "Wieso? Wieso heißt sie... Frau Kraft? Als ich sie eben zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich, so eine Kätzin kann nur einen Namen wie Olivia oder... du weißt, was ich meine." Er hielt einen Augenblick inne und sah schließlich zu Brian hinüber, welcher ihn mit leicht verwirrtem Blick musterte. "Wie hast du es geschafft, da so ruhig zu bleiben? Gerade DU?""Sie war so traurig", antwortete er, musste sich jedoch eingestehen, dass Sammy im Recht war. Wie nur war es der Kätzin gelungen, einen Funken von Trauer in dem Kater zu entfachen, welcher sich jedoch in jedem anderen Falle aufgrund eines solchen Namens nie wieder beruhigt hätte. "Ich habe ihr versprochen, sie nicht auszulachen. Aber es ist mir nicht gerade leicht gefallen, ich meine, so ein Name ist doch nichts Schlimmes!" Ein leises Schnurren hallte in seinen Worten mit, doch seine Stimme verdunkelte sich, als er fortfuhr. "Aber eigentlich wollte ich dir etwas anderes sagen."Sammy kniff den von Skepsis erfassten Blick zusammen und legte den Kopf schief. "Etwas Schlimmes? War es das, was du gerade mit Delilah besprochen hast?"Brian nickte und blickte den grauen Kater noch einen lange anhaltenden Augenblick an, ehe er fortfuhr: "Also, für mich ist es toll, für dich und für die neue Kätzin nicht. Ich werde morgen zu meiner Schwester und meiner Mutter gehen, und dort wahrscheinlich länger bleiben. Ich komme wieder, aber in der Zeit musst du auf sie aufpassen. Sie kennt hier niemanden und ich glaube, sie hat Angst.""Ich...", murmelte Sammy, "ich werde dich doch wiedersehen, oder?""Natürlich, die gleiche Frage hat Frau Kraft auch gestellt. Außerdem hast du ja auch noch andere Freunde.""Ja, schon, aber ich werde dich trotzdem vermissen."Brian blickte zurück und sah, dass sich Frau Kraft aufgerichtet hatte und sie beobachtete, dann schnurrte er: "Aber du wirst sie dann für dich allein haben und kannst dich mit ihr anfreunden. Das ist fast das Gleiche."Trotz des skeptischen Blicks des grauen Katers schwieg dieser und senkte den Kopf. "Na ja", murmelte er dann, "aufhalten kann ich dich sowieso nicht, auch wenn ich noch so viel jammere.""Stimmt", bestätigte Brian und verzog den Mund zu einem leisen Lächeln, bevor er sich schließlich auf die Pfoten erhob und fortfuhr: "Komm, lass uns gehen." Mit einer raschen Schwanzbewegung wies er auf die in einem goldenen Licht glänzende Frau Kraft. "Vielleicht hat sie Lust auf eine Kletterpartie."Ohne auf eine Reaktion Sammys zu warten, lief er los und hörte, wie dieser etwas Unverständliches murmelte, ihm jedoch schließlich folgte. Plötzlich entflammte ein Funken von Trauer, entsprungen aus dem Gedanken an die Trennung von dem älteren Kater, in ihm, welchen er jedoch zu verdrängen suchte. Zweifellos gab es nichts, was er mehr wollte, als seine Schwester wiederzusehen, doch er würde den ihm schon so lange bekannten Sammy sehr vermissen. "Frau Kraft!", rief er schließlich mit einem leisen Zittern in der Stimme, "Wir gehen jetzt in den Wald klettern. Willst du mitkommen?" Er sah den Mund der Kätzin sich öffnen, doch Sammy nahm ihr prompt das Wort: "Wer sagt, dass ich mitkomme? Erinnerst du dich an das letzte Mal?" Aus dem schneller werdenden Peitschen dessen Schwanzes konnte Brian schließen, dass Sammy kehrtzumachen im Begriff war, doch als er ihm einen bittenden Blick mit seinen smaragdgrünen Augen zuwarf, zögerte der graue Kater und willigte schließlich ein."Ja, wir wollten gerade in den Wald gehen."Frau Kraft legte den Kopf schief und murmelte: "Darf ich das?" In dem braunen Kater stieg ein Funken von Belustigung aufgrund der vielen Sorgen, die sich die Kätzin stets zu machen pflegte, auf, dann beantwortete er deren Frage mit einem Nicken. "Also, dann komme ich mit!", miaute sie und für einen kurzen Moment schien sich ihre soeben noch von Trauer erfüllte Miene zu erhellen, als sie sich mit einem freudigen Glänzen in den Augen erhob. Zu der Überraschung des braunen Katers drängte sie sich mit steil in die Höhe gerichtetem Schwanz an ihm vorbei und übernahm schnellen Schrittes die Führung. "Da hinten ist der Wald, oder?", fragte sie dann, ohne Brian und Sammy eines Blickes zu würdigen. "Ja", bestätigte er, der Kätzin daraufhin schweigend folgend. Als die in einem bläulichen Ton schimmernden Silhouetten des Waldes wie die Flecken dunkler Schatten am Horizont auftauchten, erinnerte sich Brian unwillkürlich an das Ereignis der letzten Nacht. Nie wieder!, wisperte eine kaum wahrnehmbare Stimme in seinem Inneren, und er musste sich im Stillen eingestehen, dass er zu weit gegangen war und somit seinen Freund in große Schwierigkeiten hätte bringen können. Beinahe hätte er diesem eine erneute Entschuldigung zugemurmelt, entsann sich dann jedoch eines Besseren. Womöglich hätte Frau Kraft dies wahrgenommen und ihm sämtliche, besser unbeantwortet bleibende Fragen gestellt. Der braune Kater stellte fest, dass er die helle Kätzin nicht gut genug kannte, um ihre Vertrauenswürdigkeit zu beurteilen in der Lage zu sein. Du wirst sie auch so schnell nicht besser kennen lernen können, dachte er und spürte erneut eine leuchtende Flamme der Freude in sich aufsteigen, welche beinahe jegliche Spuren eines schlechten Gewissens aufgrund jenen Ereignisses sowie Zweifel zu verbrennen drohte."Wer den besten Baum findet, darf zuerst hoch!", rief er aus und beschleunigte sein Tempo. Er spürte das goldene Fell Frau Krafts das seine streifen, als er mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen an dieser vorbeipreschte. "He! Brian, du blödes Elchgesicht!", hörte er Sammy hinter sich rufen und er beschleunigte abermals. Der Stimme des grauen Katers konnte man anhören, dass er weitaus mehr als nur eine Katzenlänge hinter Frau Kraft lief, welche sich abermals hinter dem braunen Kater befand. "Was?", erkundigte sich dieser mit einem fragenden Unterton, ohne jedoch den Blick von den wispernden Schatten des Waldes, welche ihn in seine Unergründlichkeit zu locken suchten, abzuwenden. "Was ist ein Elch?", fragte Frau Kraft ebenfalls, woraufhin Sammy murmelte: "Irgendwelche großen Tiere, die so seltsame Geräusche von sich geben. Eigentlich müsstet ihr beide schon einmal einen zu Gesicht bekommen haben."Brian öffnete den Mund, um zu widersprechen, hielt es jedoch für klüger, sich auf die vor ihm liegende Strecke zu konzentrieren und den ohnehin schon angestrengten älteren Kater nicht mit weiteren Fragen zu überhäufen."Mach´ schon, Sammy!", rief er dann, ohne jedoch sein Tempo zu verringern- der graue Kater schien sich allerdings immer weiter von ihnen zu entfernen, als der leise Widerhall seiner Pfotenschritte schließlich vom Wind davongetragen wurde. "Brian!", keuchte Frau Kraft, "ich glaube, wir sollten auf Sammy warten! Er ist langsam." Der braune Kater machte jedoch keine Anstalten, auf ihre Bitte einzugehen. Seine Pfoten streiften mit jedem weiteren Schritt das weiche, saftige Gras, welches mit das Sonnenlicht reflektierenden Tautropfen bedeckt war, und vor ihm taten sich die dunklen Silhouetten des Waldes auf. Jene von der Natur geschaffenen Bilder ließen ihn schneller laufen und in seinem Kopf taten sich unscharfe Umrisse einer weißen Gestalt auf, deren Pelz kaum merklich vom Wind gezaust wurde. Leyka! Keine Sorge. Morgen kann ich dir selbst sagen, dass es nicht deine Schuld war.Unwillkürlich verringerte er sein Tempo, war jedoch bereits von Unterholz umgeben und blickte an den hoch in den Himmel ragenden Stämmen der von satten Büschen gesäumten Bäumen hinauf. Kaum hörbare, leicht mit dem Rascheln von sich im Wind neigenden Baumwipfeln zu verwechselnde Laute verrieten das Näherkommen Sammys und Frau Krafts, woraufhin er auf den am nächsten gelegenen Baum zulief und sich mit ausgefahrenen Krallen an der glatten Rinde hinaufarbeitete. Einige Male verspürte er das Verlangen, seine Krallen einzuziehen, da diese bei jeder Pfotenlänge, die er sich an dem Baum hinaufzog, nachzugeben drohten, doch der erste Ast des Baumes befand sich nicht mehr als eine Katzenlänge über ihm. Er kniff die Augen zusammen, spannte die Muskeln an und sprang mit gestreckten Vorderpfoten in die Luft; hinter sich vernahm er die Stimmen der anderen Katzen: "Wo ist er hin?", erkundigte sich die Kätzin mit einer zaghaften Überraschung in der Stimme. "Der versteckt sich irgendwo", antwortete Sammy gleichgültig, als wüsste er genau über das Vorhaben des braunen Katers bescheid, "und gleich wird er mit lautem Gekreische aus einem Busch springen. Bereite dich darauf vor." Ohne große Schwierigkeiten zog sich Brian auf jenen Ast und spähte mit zusammengekniffenen Augen auf Sammy und Frau Kraft hinab, welche sich mit unverkennbarer Erschöpfung in den Augen umsahen. Mit belustigt zuckenden Schnurrhaaren ließ sich der Kater, so gut es auf diesem Ast von einer sehr geringen Breite ging, in eine Kauerhaltung sinken und wartete einige Augenblicke, bis sich die beiden Katzen beinahe genau unter ihm befanden. Dann setzte er zum Sprung an, zog die Krallen ein und drückte sich mit einem geräuschvollen Aufschrei von dem Ast ab. "Angriff!", kreischte er, als der graue Kater herumfuhr und Brian direkt in dessen smaragdfarbene Augen blickte. Scheinbar hatte der graue Kater seinen Freund noch nicht identifiziert und warf sich mit flach an den Kopf gelegten Ohren auf diesen, als die Pfoten des Angreifers gerade den Boden berührt hatten. "Sammy!", miaute Brian, wurde jedoch von ihm aus dem Gleichgewicht gebracht und stürzte zu Boden, Sammy landete mit seinem gesamten Gewicht auf ihm und hielt ihn mit den Pfoten gepackt, seine eisblauen, von einem wütenden Schleier verhüllten Augen waren zusammengekniffen. "Lass los!", keuchte Brian und suchte den schwereren Kater mit den Hinterläufen von sich wegzutreten. "Und... bitte geh... von mir runter!" Schließlich lockerte sich der Griff dessen und seine Augen weiteten sich allmählich, als er zu bemerken schien, wer sein Angreifer gewesen war. "Tut mir Leid!", stieß er aus und tat einen Schritt zurück, wo Frau Kraft die beiden Kater mit verwirrtem Ausdruck musterte, sich jedoch zurückhielt. "Verdammter Fellklumpen!", knurrte Brian mit einem spielerischen Funkeln in den Augen, "wenn du dich auf mich setzt, könnte man uns zwei mit einer ausgehungerten Maus und einem viel zu fett geratenen Kaninchen verwechseln!" Er wusste zwar, dass er Sammy in einem richtigen Kampf zweifellos geschlagen hätte, wenn sich der massige Kater jedoch mit seinem gesamten Gewicht auf eine andere Katze warf, hatte diese keinerlei Chancen. "Nein, das ist nicht lustig!", fauchte Sammy und jeder Ausdruck von Freude in seinem Gesicht schwand. "Wenn ich dich nicht im richtigen Moment erkannt hätte, dann hätte ich die Krallen ausgefahren." "Na und? Töten hättest du mich ja sowieso nicht können", schnurrte der braune Kater und versuchte, den aufgebracht mit dem Schwanz peitschenden Sammy zu beruhigen, doch dessen grauer Pelz war gesträubt und in seinen Augen spiegelte sich eine unverkennbare Welle von Angst, die ihn übermannte."Du weißt, dass wir nicht kämpfen dürfen! Sie könnten uns dafür bestrafen! Aber dir ist das ja egal, du gehst sowieso morgen." Brian sah, dass sich die Krallen des Katers in die Erde gruben; er hatte scheinbar enorme Schwierigkeiten, sich nicht auf den ihm gegenüberstehenden Kater zu stürzen. Dieser biss die Zähne zusammen und spürte ebenfalls, wie eine glühende Wut in seine Pfoten aufstieg und seine Krallen den Boden bearbeiten ließ, er schwieg jedoch und senkte den Kopf, den kalten Blick Sammys auf sich ruhen spührend. "Ich hätte wissen sollen, dass du mich wieder in Gefahr bringen wirst!", fauchte dieser und fuhr schließlich herum, woraufhin Brian und Frau Kraft einen verwirrten Blick tauschten. "He, warte mal!", rief er schließlich und tat einen Schritt auf den ihm den Rücken kehrenden Sammy zu, "ich habe überhaupt nichts gemacht! Du hast mich doch angegriffen!" Er zögerte, auf eine Antwort Sammys wartend, welcher jedoch schwieg, und fügte schließlich etwas ruhiger hinzu: "Woher sollte ich denn wissen, dass du mich angreifst? Komm schon, Sammy, es ist doch nichts passiert! Wir sind allein. Selbst, wenn du mich in Stücke gerissen hättest, wären wir drei die einzigen, die davon wüssten." Er blickte noch einmal zu der hellen, verstört die Augen verdrehenden Kätzin hinüber, welche schließlich ebenfalls zu sprechen begann: "Sammy, du benimmst dich wie ein beleidigtes Junges. Hat Brian irgendetwas getan, was er nicht darf? Nein. Und er konnte wirklich nicht wissen, dass du so reagieren würdest, nur weil er von einem Baum springt."Dieser nickte bestätigend und wollte im selben Moment die Ursache für Sammys Wut ergründen, da er wusste, dass dieser sich sonst nie derartig aufgebracht und wütend verhielt. "Es tut mir Leid", murmelte dieser beinahe lautlos, als hätte er die Gedanken des braunen Katers gelesen, "es ist nur... Ich will nicht, dass du gehst. Was soll ich in der Zeit tun?" Er zögerte einen Augenblick und Brian schloss von Mitleid überkommen die Augen, mit dem Gedanken, dass er Sammys Trauer aufgrund seines Weggehens hätte vorraussehen und bemerken müssen."Was, wenn du doch nicht mehr zurückkommst?""Ich komme zurück, Sammy! Ich muss zurück", entgegnete er und presste sich tröstend an den grauen Kater, welcher kurz zusammenzuckte, sich jedoch nicht von seinem Platz wegbewegte und nur ein kurzes Nicken zustande brachte. "Außerdem", fügte der junge Kater hinzu, "mache ich hier oben sowieso nichts als Mist. Da unten bin ich besser zu gebrauchen. In der Zeit, in der ich weg bin, brauchst du dir auch keine Sorgen zu machen, Ärger mit Delilah zu kriegen." Er warf einen raschen Seitenblick auf die goldene Kätzin, deren dichtes Fell sich sanft im Wind neigte. Diese schien noch immer verwirrt aufgrund Sammys merkwürdigen Verhaltens und ihre auf dem Kater ruhenden Augen waren von einem leicht missbilligenden Ausdruck, den sie jedoch zu unterdrücken suchte. Brian seufzte erleichert auf, als ihm auffiel, dass Frau Kraft trotz ihrer momentan schlechten Gedanken über Sammy diesen nicht spüren ließ, was sie empfand, stattdessen auf ihn zuschritt und ihn sanft mit der Pfote anstieß. "Du kannst ihn ja auch jederzeit beobachten. Das geht doch, oder?", fragte sie an den braunen Kater gewandt, welcher mit einem Nicken antwortete. "Also, Sammy", murmelte er und fühlte sich plötzlich seltsam, als er sah, wie Frau Kraft und er den grauen Kater wie ein verängstigtes Junges umringten, "jetzt wirst du dich an ruhigere Tage gewöhnen müssen, bereite dich darauf vor. Morgen früh geht es los."    

4.Kapitel

Flammenfarbenes Licht hatte sich über die von weichen Gräsern sowie klaren Teichen gesäumten Hügel gesenkt und schien diese in einen vom Wind aufgewirbelten, aus unzähligen goldenen Tropfen bestehenden Fluss zu verwandeln, der sich seinen Weg am lachsfarbenen Horizont entlangbahnte. Die dunklen Gestalten der Katzen, welche sich in viele, kleine Gruppen aufgeteilt an einem größeren Teich versammelt hatten, waren nur als schattenhafte, sich nicht zu bewegen scheinende Silhouetten zu erkennen. Das einzig vernehmbare Geräusch war deren ständiges, aufgebrachtes Murmeln, das die geheimnissvolle morgendliche Stille durchschnitt. "Ich kann es nicht glauben", murmelte Delilah an sich selbst gewandt und in ihrer Stimme schwang ein leiser Funken von Stolz mit. Sie hatte sich neben Sammy, Brian und Frau Kraft niedergelassen, welche immer wieder beunruhigt in die gewaltige Menge der Katzen blickten und ungeduldig von einer Pfote auf die andere traten. Brian spürte die Angst, welche die neben ihm sitzenden Katzen durchströmte, doch das einzige Gefühl, das er bei sich selbst ausmachen konnte, war unbändige Freude. "Was soll ich genau machen?", erkundigte er sich noch einmal mit einer beinahe gleichgültigen Stimme bei Delilah, welche zögernd antwortete: "Zuletzt ist Kitty" -sie wies mit einer raschen Kopfbewegung auf jene kleine Kätzin, welche sich inmitten einiger anderer Jungen aufhielt und hin und wieder einen Blick auf die drei Katzen erhaschte- "versehentlich in diesen Teich dort gefallen, und Tao hat beobachtet, wie sie von ihm hinuntergezogen wurde- als wir sie herausgeholt haben, sahen wir, dass ihre Hinterläufe begannen, undurchsichtig und so fest wie bei den lebenden Katzen zu werden. Sie hätte sich beinahe in eine richtige Katze verwandelt! Nun, jedenfalls musst du Anlauf nehmen und, am besten mit dem Kopf zuerst, damit du unten sofort auf den Pfoten landest, in diesen Teich springen." Brian hatte die Ohren gespitzt und sah die Kätzin skeptisch an. "Und... Wenn es nicht klappt? Dann lande ich mit dem Kopf auf dem Boden dieses winzigen Tümpels und bin für mein Leben lang entstellt!""Es klappt, das wissen wir. Tao hat es bereits ausprobiert, er ist aber sofort wieder nach oben gekommen.""Außerdem", fügte Sammy mit belustigter Stimme hinzu, "brauchst du dir um dein Aussehen keine Sorgen zu machen. Da gibt es nichts mehr zu retten", schnurrte er, doch aus seinen eisblauen, zwei funkelnden Diamanten gleichenden Augen war jenes traurige Funkeln noch nicht verschwunden. " Natürlich", höhnte der braune Kater, "du bist doch nur neidisch, du fette Taube!" "Ich werde dich auch vermissen", antwortete Sammy dann und begann, sich die Pfote zu lecken, woraufhin Frau Kraft es ihm gleichtat. Brian war zu sehr in seine Gedanken versunken, um seine Aufmerksamkeit diesen zu widmen, und seine schwarzen Pfoten bearbeiteten unwillkürlich das Gras, welches unter ihm wuchs. Bald würde er Leyka und Lucy wiedersehen- doch wie würden sie darauf reagieren, wenn sie erführen, dass er nicht für immer bei ihnen bleiben könnte? Und wie sollte er sich den übrigen Katzen vorstellen, wenn er sagen muss, er sei ein Streuner? Wenn sie seinen Namen erführen, wüssten sie aufgrund Leykas Erzählungen sicher sofort, wer er war. Aber es könnte ja auch ein Zufall sein, sagte er sich im Stillen, die in ihm aufsteigenden Zweifel zu vertreiben suchend. "Katzen!", hob Delilah neben ihm zu sprechen an, "wie ihr seht, haben wir eine Katze gefunden, die sich freiwillig nach unten begibt, um die dort lebenden Katzen zu warnen." Sie hielt einen Augenblick inne und musterte Brian noch einmal, der sich in der Menge umblickte. "Er wird so lange dort bleiben, bis er die Katzen gewarnt hat, und dann können wir ihn zurückholen. Da seine Schwester dort unten ist, wussten wir sofort, dass er es tun würde, und trotzdem können wir froh sein, eine so mutige, junge Katze unter uns zu haben. Bist du bereit, Brian?" fragte sie an diesen gewandt, woraufhin er mit fester Stimme sprach: "Ich bin soweit.""Dann wünsche ich dir viel Glück." Lautes Jaulen erhob sich aus der Menge, als Brian einen Schritt zurücktat und sich in eine Kauerhaltung sinken ließ, seine smaragdfarbenen, zusammengekniffenen Augen hafteten starr auf jenem Teich. "Viel Glück, Kleiner", hörte er Sammy hinter sich murmeln und konnte deutlich vernehmen, wie die Stimme des grauen Katers unter seiner Trauer versagte. Er blickte sich noch einmal um, dann tat er einen gewaltigen Satz nach vorne und preschte über die niedrigen Hügel, den Blick stets auf den sich nähernden Teich gerichtet. "Lauf, Brian!", hörte er die hohe Stimme Kittys, welche in der Menge ertönte, dann sah er aus den Augenwinkeln, wie sie immer wieder in die Luft sprang und ihr winziger Kopf inmitten unzähliger Katzen auftauchte."Bis bald, Kitty!", rief er, als ihm plötzlich auffiel, dass er sich von der kleinen Kätzin nicht verabschiedet hatte, was dieser allerdings nichts auszumachen schien. Noch ein letztes Mal sog er die frische, kühle Luft ein, bevor er sich vom Boden abdrückte, zunächst mit dem Bild einer verblassenden Mondsichel in den Augen nach oben sauste, sich dann jedoch wieder dem Boden näherte und kopfüber auf jenen Teich zuschoss. Plötzlich war er sich völlig sicher, dass dieses Vorhaben nicht funktionieren würde, doch der im Sonnenlicht golden leuchtende Tümpel schien unaufhörlich auf den Kater zu zu fliegen. "Verdammt!", stieß dieser hervor und schloss die Augen in dem Glauben, er würde bald mit einem lauten Klatschen auf dem harten Boden dieses Teiches aufkommen, und obgleich er sich hier nicht wirklich verletzen oder gar sterben könnte, würde er einen solchen Aufprall zweifellos spüren. Er spürte, wie er in eisiges, seinen Pelz einzufrieren drohendes Wasser eintauchte und biss unter jener unerträglichen Kälte die Zähne zusammen, doch noch immer spürte er nichts als Wasser um sich herum- kein sandiger oder steiniger Untergrund befand sich unter seinen Pfoten, keine Stimmen der Katzen waren über ihm zu vernehmen. Das kann nicht sein!, dachte er und öffnete schließlich die Augen, was er jedoch im gleichen Augenblick ungeschehen wünschte. Die klare, eisblaue Färbung des Wassers, in welches er soeben eingetaucht war, hatte sich in eine undurchdringliche, auch weit unter ihm fortlaufende Schwärze verwandelt. Der braune Kater blickte sich um und wollte Sammys Namen rufen, entsann sich dann jedoch eines Besseren. Würde er für blos einen nicht lange anhaltenden Augenblick den Mund öffnen, müsste er dieses merkwürdige, tiefschwarze Wasser schlucken.Mit dem Gedanken, dass er es nicht ewig in diesem Wasser aushalten würde, versuchte er, nach unten zu schwimmen, doch dann fiel ihm seine Fähigkeit, auch unter Wasser zu atmen auf. Was soll das? Das kann kein normales Wasser sein! Unaufhörlich nach unten schwimmend, schlugen seine Pfoten das Wasser und wirbelten es in mächtigen Wellen auf, welche mit jedem verstreichenden Augenblick größer zu werden schienen. Plötzlich spürte der braune Kater einen gewaltigen Schlag an seiner Seite, dann wurde er von einer gewaltigen, sich dennoch unter Wasser aufbäumenden Welle mitgerissen und seine Pfoten schlugen wild ins Leere. Worauf hast du dich nur eingelassen?, dachte er, wurde jedoch von einer weiteren Welle getroffen. Wasser dröhnte in seinen Ohren, seine Pfoten suchten noch immer das Wasser zu bearbeiten, doch dann wurde alles still, als hätten jene übermäßigen Wellen ein jedes Geräusch mit sich gerissen und in eine unerreichbare Leere gespült. Um den Kater herum schien sich die undurchdringliche Schwärze abermals zu verdunkeln, und er spürte, wie seine Sinne schwächer wurden. Dann fielen seine von einem dunklen Schleier der Angst verhüllten Augen zu.Brian erwachte, und er spürte kalten, vom Wasser in eine schlammähnliche Masse verwandelten Sand unter sich- war er noch oben, bei Sammy, Delilah und den anderen Katzen? Zögernd und mit einem Gefühl von Zweifel und Unsicherheit öffnete er die Augen, doch alles, was er zu erkennen imstande war, waren verschwommene Silhouetten, welche er nicht zu identifizierern vermochte, dann ertönte hinter ihm eine leise Stimme, auf welche näher kommende Pfotenschritte folgten: "Er ist aufgewacht!" Brian hob die Pfote, sackte jedoch bei dem Versuch, aufzustehen, wieder in sich zusammen. "Sammy? Delilah?", stammelte er, erhielt jedoch keine Antwort. "Bin ich noch...", begann er dann, hielt jedoch innne, als er sah, dass seine Pfoten pechschwarz und völlig undurchsichtig geworden waren. "Es hat funktioniert!", rief er aus und spürte, wie die ihn soeben noch erfassende Schwäche langsam zu weichen begann. "Ich glaube, er fantasiert", ertönte eine weitere, dunkle Stimme, woraufhin der braune Kater schließlich den Kopf hob. Vier Katzen hatten sich mit besorgten Blicken über ihn gebeugt und begutachteten den vor ihnen liegenden Kater genau. "Geht es dir gut?", erkundigte sich eine der Katzen; es schien ein schwarzer Kater mit hellblauen Augen zu sein, ähnlich wie die Sammys. Brian zögerte, ehe er nickte und sich schließlich mühsam auf die Pfoten erhob, wobei zwei andere Katzen ihn von der Seite stützten. "Dich habe ich aber auch noch nie hier gesehen", hob eine der beiden an, eine rötliche, junge Kätzin mit einem bernsteinfarbenen Auge, ihr linkes Auge war geschlossen und von eine langen, breiten Narbe überzogen."Nein", antwortete Brian, während er den Blick über die ihm unbekannte Landschaft schweifen ließ. Ein nicht sehr breiter, jedoch reißender Fluss, in dessen Gischt sich das gleißende Licht der Sonne spiegelte und ein Spiel unzähliger Lichtflecken auf die Katzen warf, bahnte sich seinen Weg durch große, karge Gesteinsbrocken, von beinahe weißem, mit Treibholz übersäten Sand gesäumt. "Ich bin auch nicht von hier. Ich komme von..." er zögerte und blickte sich nervös nach allen Seiten hin um. "Na ja, wenn ich wüsste, wo wir wären, könnte ich euch auch sagen, aus welcher Richtung ich komme. Wahrscheinlich von dort oben", fuhr er fort und deutete mit einer raschen Schwanzbewegung auf die graue Gebirgskette, welche sich einem kargen Streifen ähnelnd quer über den Horizont zog. "Dann bin ich wohl in den Fluss gefallen. Und wie ich wieder rausgekommen bin, weiß ich selbst nicht.""Dann wurdest du aber ganz schön weit mitgerissen", begann jene rötliche Kätzin erneut, "du hast Glück, dass du nach diesem langen Weg noch lebst!""Vielleicht ist er unsterblich! Wie die Katze aus Millies Geschichte", miaute ein hellerer Kater, und trotz der Ironie, die in seiner Stimme mitschwang, wurde Brian plötzlich von Entsetzen gepackt. "Ich...", murmelte er, das Zittern in seiner Stimme vergeblich zu unterdrücken suchend. "Ich weiß zwar nicht, was du da brabbelst, aber mir gefällt´s. Schön wäre es." Bei diesen Worten fiel es ihm nicht leicht, ein belustigtes Schnurren zu unterdrücken. "Oder er kommt aus der riesigen Stadt der Menschen, um uns auszuspionieren! Vielleicht haben ihn irgendwelche Streuner geschickt!", meinte der vierte Kater, dessen glattes Fell ebenfalls eine helle Färbung besaß; er war genauso schlank und drahtig wie der neben ihm sitzende Kater.Aus der Kehle des breitschultrigen, massigen Schwarzen drang ein leises Knurren, als er murmelte: "Das glaube ich nicht. Nicht einmal diese Krähen von Streunern würden einen so jungen Kater allein in den Wald schicken." Bei diesen Worten verpürte Brian einen Anflug von Wut. "Heißt das, dass ich nicht auf mich aufpassen kann? Ich kann sehr wohl kämpfen!" Auch wenn ich es noch nie gemacht habe, fügte er im Stillen hinzu. "Jedenfalls bist du in den Fluss gefallen! So gut kannst du wohl nicht auf dich aufpassen", murmelte der schwarze Kater wieder, jedoch in ruhigem, gelassenen Tonfall. Brian kniff die Augen zusammen und hätte ihm beinahe den Grund für sein nasses Fell und sein Auftauchen aus jenem Fluss erklärt, hielt sich jedoch noch rechtzeitig zurück. "Ich bin in den Fluss gefallen, während ich einen Dachs abgewehrt habe, der die hilflosen Jungen eines Fuchses angreifen wollte!" "Du hast Fuchswelpen gerettet?", wiederholte die rote Kätzin, "und das, obwohl sie unsere Feinde sind?""Sie sind nur unsere Feinde, wenn sie sich bedroht fühlen", korrigierte der helle Kater, welcher Brian zu Beginn gestützt hatte. "Oder Hunger haben", fügte dieser beinahe beiläufig hinzu. "Aber die Welpen hätten mich ja wohl kaum angegriffen.""Wieso?", murmelte die rote Kätzin, "du bist ja selber nicht größer als die!" Brian kniff die Augen zusammen, tunkte unauffällig eine Pfote in den Fluss und schüttelte es auf die Kätzin, welche mit einem schrillen Aufschrei einen Satz zurück tat. "Mach´ dir nichts daraus", sagte einer der hellen Kater, "seit ein Dachs ihr diese Narbe hinzugefügt hat, meint sie, sie müsste jeden beleidigen.""Ich...", begann sie, "ich meine, du bist doch selber noch fast ein Junges!" "Da hat sie recht. Älter als sechs Vollmonde kannst du nicht sein", stellte der schwarze Kater fest und musterte Brian mit seinen funkelnden Augen. "Es sind acht- mit drei Vollmonden bin ich gest... Ähm, ich bin von meiner Mutter getrennt worden und lebe seitdem allein als Streuner im Wald", log er. "Aber, das interessiert hier sowieso keinen. Ich wüsste nur gerne, wer ihr denn seid.""Ah, richtig!", miaute der schwarze Kater und stieß einen langen Seufzer aus. "Wir sind nur ein paar von vielen Katzen, die sich in einer alten Menschenhütte hier im Wald angesiedelt haben. Ich und meine Gefährtin Marina, wir sind mehr oder weniger die Anführer dieser Katzen. Sie ist jetzt nicht dabei, da sie gerade einer unserer Katzen bei der Geburt ihrer Jungen hilft. Ich heiße Rambo. Meine ehemaligen Menschen haben mich so genannt. Diese beiden Kater heißen Sando und Rocko- der Linke ist Sando. Du musst noch lernen, sie auseinanderzuhalten. Und diese rote Kätzin heißt..." "Amira", schloss die Kätzin. "Und wer bist du?", erkundigte sich Rocko bei dem braunen Kater, welcher einen Augenblick zögerte, ehe er antwortete. Sollte er den Katzen seinen richtigen Namen sagen? Sie würden den Zusammenhang zwischen ihm und Leykas Bruder sicher für einen Zufall halten. "Ich heiße Brian." Kaum hatte er jene Worte ausgesprochen, kehrte Schweigen unter den Katzen ein, welche sich mit geweiteten Augen ansahen. Unruhe und Überraschung blitzten zwischen ihnen auf und ließen das Fell des braunen Katers sich sträuben. "Ist er... Nein, das kann nicht sein!", stammelte Amira und brach so die geheimnisvolle Stille als erstes. "Hast du eine Schwester?", fragte Sando, wurde jedoch von Rambo unterbrochen: "Das ist unmöglich. Leykas Bruder ist tot. Es wird nur ein seltsamer Zufall sein." Doch auch in seiner Stimme hallten Skepsis und eine leise Unsicherheit mit. "Ich glaube, ihr haltet mich für irgendetwas, das ich nicht bin", murmelte Brian und versuchte, seiner Stimme eine natürliche Gleichgültigkeit zu geben, obwohl er vermutete, dass seine Augen vor Unbehagen geweitet waren."Ich habe keine Schwester. Wie kommt ihr darauf?" Noch immer blickten sich die Katzen verwirrt an, doch ihre Überraschung schien langsam zu verfliegen. "Vor etwa fünf Vollmonden haben wir zwei Katzen aufgenommen, Leyka und ihre Mutter Lucy. Sie waren sehr schwach und dem Tode nah", berichtete Amira, doch Brian lauschte mit gespitzten Ohren dem melodischen Zwitschern der Vögel, deren prächtiges Flügelschlagen die an den Baumwipfeln wachsenden Blätter aufwirbeln ließ, was Amira nicht zu bemerken schien. Sie erzählte weiter jene Geschichte, die Brian seit seinem Tod mit angesehen und verfolgt hatte, bis sie zu dem Punkt gelangt war, an dem sich die junge Kätzin jetzt befand: Sie saß stets abseits von den anderen Katzen und klagte, von Trauer und Vorwürfen an sich selbst geplagt, still in den Himmel hinein. "Tut mir leid", murmelte er und spürte, wie Wut in ihm aufstieg, welche ihm selbst galt. Hätte er damals nicht so unüberlegt gehandelt, würde Leyka nun nicht unter solch großer Trauer und Vorwürfen leiden. "Arme Kätzin. Wie sieht sie aus?""Sie ist weiß", erklärte Amira, "und sie ist hübsch." Als sie dies sagte, schien ein kaum wahrnehmbarer Ausdruck von Eifersucht ihre Stimme zu übernehmen, doch der Blick, der von ihrem einen Auge ausging, blieb ausdruckslos. "Man könnte fast sagen, sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dir." Brian hob den Kopf und sah ihr in das Auge, worin sich ein geheimnisvolles Funkeln, aber auch ein für den Kater nicht zu deutendes Gefühl spiegelte. "Mach´ dir nichts daraus", sagte er schließlich, schritt zu dem Ufer des reißenden Flusses hinüber und blickte hinein, um sicherzugehen, dass seine Pfoten nicht das einzig Undurchsichtige an ihm waren. "Wenn sie mir ähnlich sieht, kann sie so toll auch nicht sein." Natürlich konnte er dies nicht laut aussprechen, doch obgleich Amiras linkes Auge zerfetzt war und an der Stelle, wo sich die Narbe durch ihr Gesicht zog, das Fell fehlte, fand er die Kätzin um einiges schöner als seine Schwester, doch durfte er keineswegs zugeben, dass er Leyka jemals begegnet war. "Weiße Katzen fand ich noch nie schön", miaute er deswegen und beobachtete, wie sich Amiras Miene aufzuhellen schien und sie die Ohren spitzte. "Aber...", miaute sie dann und erneute Enttäuschung legte sich über sie. "Du hast sie ja noch nicht gesehen. Dann wirst du eine ganz andere Meinung haben." "Ach was", ertönte plötzlich Rockos Stimme, welcher sich nun ebenfalls auf die Pfoten erhob, "Leyka mag aussehen wie eine gepflegte Hauskatze- aber diese ständige Heulerei hält doch niemand aus! Ich meine, wenn dieser Brian tot ist, dann bringt das nervtötende Jammern ihn auch nicht mehr zurück!""Das klingt ja interessant", miaute dieser, "also, wenn das, was ihr da sagt, stimmt, will ich sie unbedingt kennenlernen. Ich kann doch mit euch mitkommen, oder?", fragte er dann, erhielt jedoch zunächst keine Antwort. Die vier Katzen blickten sich an und gaben sich mit unzähligen von Schwanzgesten Zeichen, schließlich antwortete Rambo: "Das, was du gesagt hast, wird stimmen. Also kannst du mitkommen. Sollte sich aber herausstellen, dass du doch von anderen Katzen geschickt wurdest, um uns auszuspionieren, wird das Konsequenzen haben.""Danke! Ich werde mein Bestes geben, euch nicht auf die Nerven zu gehen. Und ihr könnt misstrauisch sein, so lange ihr wollt- ich bin keiner von diesen Streunern", antwortete Brian und konnte die Freude in seiner Stimme kaum unterdrücken. Er hatte zuvor keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, was passiert wäre, hätten sich die Katzen ihn aufzunehmen geweigert. Doch dies war zu seinem Glück nun nicht der Fall. "Also gut", fuhr der schwarze Kater fort, " auf dem Weg zu unserem Verschlag kannst du schon einmal versuchen, dir die Umgebung einzuprägen. Wie lange hattest du vor, bei uns zu bleiben?", fragte er an Brian gewandt, welcher zögernd antwortete: "So lange, wie ihr mich ertragen könnt. Nein, ich weiß nicht. Eigentlich habe ich sowieso kein Ziel, wo ich hingehen muss, also werde ich so lange bleiben, wie es euch recht ist." "Meinetwegen kannst du für immer bleiben!", rief Amira und bewegte sich in gemächlichem Trab neben den braunen Kater, "aber das habe ich ja nicht zu entscheiden." Ihre bernsteinfarbenen Augen wanderten auf dessen Antwort wartend zu Rambo, doch der schwarze Kater musterte Brian nur schweigend und nickte nach einigen verstrichenen Augenblicken schließlich. "Wenn du mir erlaubst, dir das Kämpfen beizubringen, kannst du dich uns für immer anschließen."Brians Augen weiteten sich und er spürte, wie neue, von seinen Pfoten ausgehende Energie ihn durchströmte, obgleich der riesige, kräftig aussehende Kater ihm weit überlegen schien. Bei den toten Katzen war es ihm nie erlaubt gewesen, mit einer anderen Katze zu kämpfen. "Klar! Solange du mich nicht zu Brei verarbeitest...", antwortete er dann und sein Blick fiel auf die langen, sich aufgrund ihrer gewaltigen Größe in die Erde grabenden Vorderkrallen des Katers."Mach´ dir deswegen keine Sorgen", miaute Sando, woraufhin Rocko fortfuhr: "Stimmt, er hat heute schon gegessen." Als niemand auf seine Bemerkung einging und unter den Katzen Schweigen einkehrte, welches nur von dem hin und wieder erklingenden Wispern des einen zarten Hauch von kühler Gischt mit sich tragenden Windes unterbrochen wurde, schwang der sandfarbene Kater den Kopf in die Richtung ihres Weges. "Lasst uns gehen. Brian will die anderen Katzen sicher auch kennenlernen".Dieser nickte bestätigend und folgte Rambo schweigend, als dieser voranschritt und sich ohne Mühe seinen Weg durch das üppige, gleich hinter der den Fluss umgebenden Sandbank wachsende Unterholz bahnte. Flankiert von Amira und Rocko schlich er leichtfüßig über das von dem schwarzen Kater plattgetretene Unterholz, um nicht die unnötige Aufmerksamkeit weiterer Tiere zu erregen. "Wie ist es so bei euch?", erkundigte er sich schließlich bei den neben ihm hertrabenden Katzen. Rocko antwortete ihm als Erster: "Wir sind zu sehr vielen und leben in einer alten, verlassenen Scheune.""Das weiß er doch schon, Spatzenhirn!", warf Amira ein und schleuderte eine Pfote voll modernden Laubs auf den hellen Kater, "außerdem wäre ihm das sowieso früher oder später aufgefallen. Brian ist schließlich nicht so dämlich wie du!" Ihr Ton war scharf, doch der braune Kater hörte deutlich ein leises Schnurren aus ihrer Kehle dringen. "Kätzinnen!", brummte Rocko und schüttelte den Kopf, um die winzigen Stücke von unzähligen Blättern aus seinem Pelz zu schütteln, als Amira mit hoch erhobenem Kopf ihr Tempo beschleunigte und neben den schwarzen Kater trabte. "Immer denken sie, alles bestimmen zu müssen!""Ist sie deine Schwester?", erkundigte sich Brian schließlich, obgleich er die Antwort des hellen Katers bereits ahnte. Dieser riss die Augen auf und blieb prompt stehen, dabei wirbelten seine Vorderpfoten eine gewaltige Welle von Laub auf. "Ich hoffe für dich, dass ich diesen Gedanken schnell wieder verdrängt kriege!""Ich will mich ja nicht einmischen", erklang die Stimme der Kätzin, welche jedoch noch immer starr geradeaus blickte, "aber ich kann euch hören!""Schon gut, schon gut!", murmelte Rocko und schwieg dann, als Amira erneut zu sprechen begann: "Um noch einmal auf deine Frage zurückzukommen: Rambo und Marina sind zwar unsere Anführer, da sie die ersten in unserer Katzengruppe waren, aber im Grunde hat jeder gleich viel zu sagen. Wir leben eigentlich ganz friedlich, aber manchmal kommen die Katzen einer Streunerbande, die sich in der Stadt nicht weit von hier aufhalten, und greifen uns an. Ganz selten verirren sich auch Füchse, die uns dann die Beute stehlen wollen, hierher, die wir dann vertreiben müssen.""Beute?", wiederholte Brian, "ihr jagt also im Wald. Was jagt ihr denn? Nur Mäuse, oder auch Vögel?" Sando, welcher das Schlusslicht der Katzen bildete, antwortete ihm als erster: "Eigentlich fressen wir alles, was wir kriegen- Mäuse, Eichhörnchen, Kaninchen, Ratten... Manchmal auch Vögel, aber die sind nicht so leicht zu fangen.""Ich werde sie schon kriegen", stellte der braune Kater mit einem unüberhörbaren Ausdruck von Entschlossenheit in der Stimme fest. Dies würde das erste Mal sein, dass er die Gelegenheit bekommen würde, gegen andere Katzen zu kämpfen oder zu jagen, doch er durfte sich nicht zu sehr an jenes neue, aufregende Leben gewöhnen. Obgleich er sich hier zweifellos sehr wohl fühlen und einleben würde, käme irgendwann die Zeit, in der er wieder nach Hause müsste. Plötzlich mischte sich ein fremdartiger, jedoch sehr intensiver Geruch mit dem vertrauten des Waldes, welcher von modernden Blättern, sonnendurchglüter Erde sowie unzähliger Waldtiere erzeugt wurde, und ließ den braunen Kater zum Stehen kommen. "Kannst du etwas riechen?", erkundigte sich Rambo an diesen gewandt, welcher zu antworten jedoch nicht zögerte: "Irgendwo liegt ein totes Tier und verwest vor sich hin. Oder hier leben viele Katzen, ich bin mir nicht sicher." Es kostete ihn Mühe, unter jenem sehr starken Geruch nicht das Gesicht zu verziehen, da er es unter so vielen lebendigen Katzen zu sein nicht gewöhnt war."Das Zweite", bestätigte Amira mit ausdrucksloser Stimme, doch beinahe war es ihm, als hätte sich ihr Fell bei seinen Worten für einen kurzen Moment gesträubt."Wobei", korrigierte Rocko, "Sando und ich haben tatsächlich gestern einen toten Hasen gefunden, den man auch nicht unbedingt riechen möchte.""Jedenfalls sind wir jetzt da", murmelte Rambo und schob mit seiner riesenhaften Vorderpfote einen jungen Baum aus einem Wall dichter Birken beiseite, dann zwengte er sich, gefolgt von den anderen Katzen, hindurch. "Wir sind da!", stieß Amira hervor und sah Brian mit glänzenden Augen an, "das hier ist unser Zuhause!" 

5.Kapitel

Der junge Kater lächelte Amira kurz zu, schob sich dann an der Kätzin vorbei und trat auf die von plattgetretenen Grasbüscheln bedeckte Lichtung. In ihrer Mitte stand eine alte, aus dunklen Brettern erbaute Scheune, deren hölzernes, außen mit Sroh verkleidetes Dach sich in einer leichten Schräge geneigt hatte. Die Bretter waren morsch und von einer dunklen, beinahe schwarzen Färbung, welche Brian unwillkürlich an Sammys Pelz erinnnerten. Durch die unzähligen von Lücken, welche sich mit der Zeit in dem Holz aufgetan hatten, konnte er die Umrisse von großen, beigefarbenen Heu- sowie Strohballen erkennen, auf denen sich einige Katzen niedergelassen hatten. "Diese Scheune sieht schon ziemlich alt aus...", murmelte er an sich selbst gewandt, während er mit vor Aufregung zitternden Pfoten den Blick über die Lichtung schweifen ließ. Sonst schienen sich keine weiteren Katzen darauf befinden, doch er konnte ein schwaches Murmeln vernehmen, welches aus dem Inneren der Scheune drang."Findest du nicht, dass diese morschen Bretter sie sehr abenteuerlich aussehen lassen?", fragte er an Rocko gewandt, welcher sich neben ihm niedergelassen hatte. "Ich kenne sie schon sehr lange", antwortete dieser, "aber ich denke, du hast recht. Keine Sorge, sie sieht nur von außen so kaputt aus. Innen ist noch eine Wand aus dicken Balken, die außerdem von Heu und Stroh gestützt wird. ""Ich finde eigentlich nicht, dass sie von außen so kaputt aussieht. Diese kleinen Lücken sind sowieso kaum zu sehen".Noch immer stieg ihm der intensive Geruch unzähliger Katzen in die Nase, welchen er jedoch bereits ignorieren konnte, woraufhin er die Anzahl der sich in der Scheune befindenden Katzen zu schätzen versuchte. "Es scheinen wirklich sehr viele zu sein", stellte er schließlich fest und hob die Pfote, "sollen wir gehen?" Rocko nickte und erhob sich, woraufhin Brian ihm folgte. Sie waren nun, von Sando abgesehen, die einzigen Katzen auf der Lichtung- Rambo und Amira schienen sich bereits in die Scheune hineinbegeben zu haben. "Ich denke, er hat gerade die Katzen zusammengerufen", vermutete Sando, doch Rocko schüttelte den Kopf, als er durch eine kleine Öffnung neben einer alten Kiste spähte. "Er sitzt auf einem Heuballen und vertilgt eine Maus." Mit einem Schnippen des Schwanzes bedeutete er Brian, ihm zu folgen, und zwengte sich schließlich durch die Öffnung. Dieser tat es ihm gleich, dabei spürte er, wie das Holz seinen Pelz streifte und erneut der Geruch vieler Katzen ihn umgab, welcher im Inneren der Scheune jedoch stärker zu sein schien. Dort entsprach beinahe alles seinen Vorstellungen, die er sich nach Rockos und Amiras Erzählungen gemacht hatte: Die Wände waren größtenteils mit großen, ordentich übereinandergestapelten Balken versehen, welche nur an wenigen Stellen unterbrochen waren, und an den Seiten waren gewaltige Haufen von Stroh- und Heuballen aufgetürmt. "Schöner Unterschlupf", murmelte er und trat neben Rocko, welcher sich am Fuß eines Heuberges niedergelassen hatte. Sein Blick wanderte durch die geräumige Scheune, vorbei an alten, vom Staub gebleichten Menschen-Werkzeugen, die an den Wänden aufgereiht waren, und blieb schließlich an den dunklen Umrissen einer Katze haften. Zusammengekauert saß sie auf einem hoch gelegenen Strohballen, sich über etwas für den Kater nicht zu erkennendes beugend, woraus dieser schloss, dass sie eine Maus aß. "Menschen scheint es hier wirklich lange nicht mehr zu geben", murmelte er an sich selbst gewandt, erregte jedoch dennoch Rockos Aufmerksamkeit. "Wir leben hier schon so lange, und seitdem kam nicht einmal ein Mensch. Eigentlich müssen wir hier vor garnichts Angst haben, diese Streuner machen wir doch problemlos fertig!" Kaum wahrnehmbar drang ein leises Schnurren aus der Kehle des sandfarbenen Katers, als er zum Sprung ansetzte und leichtfüßig auf dem utersten Strohballen des Haufens aufkam. "Komm mit! Von oben können wir alles sehen!", rief er und arbeitete sich problemlos an unzähligen von Strohballen hinauf, gefolgt von dem braunen Kater. Er duckte sich und sprang in die Luft, landete jedoch bereits auf dem zweiten Strohballen, welcher nochmals höher und um einiges weiter lag. Er spürte, wie der erstaunte Blick Rockos auf ihm haftete, welcher für diese Entfernung trotz der geringeren Größe des jüngeren Katers mehr Sprünge gebraucht hatte. "Heiliger Mäusedung! Brian, wie hast du das jetzt geschafft?" Dieser blickte nach unten und merkte erst jetzt, dass die Strohballen nicht niedriger als fünf Katzenlängen waren, zudem hatte er noch den ersten, untersten Strohballen überwinden müssen. Wäre er eine dieser lebendigen Katzen, hätte er diesen Sprung ebenfalls schaffen können? Vermutlich lag es ihm schon immer im Blut, sehr hoch und über weite Entfernungen springen zu können, da er als Junges ebenfalls die Äste sehr hoher Bäume zu erreichen imstande gewesen war. "Keine Ahnung", antwortete er schließlich, seine eigene Überraschung nicht verbergen könnend. "Lass uns weiter nach oben gehen.""Gut, aber lass solche Heldentaten lieber sein. Sonst landest du noch...""Ach was, mir passiert schon nichts!", unterbrach Brian den Kater, welcher zuerst widersprechen wollte, sich dann jedoch umdrehte und den nächsten Strohballen erklomm. Mit den Hinterläufen gegen das Stroh tretend, während seine Vorderkrallen sich in den Ballen gruben und den Kater hinaufzuziehen suchten, wirbelte er dem braunen Kater Unmengen von Stroh entgegen, welcher sich hustend schüttelte. "Das Stroh löst sich!", keuchte Rocko und Brian vermutete aufgrund seiner undeutlichen Stimme, dass der sandfarbenen Kater sich selbst das Stroh in sein Gesicht geschleudert hatte. "Besonders weit kannst du nicht fallen!", rief er diesem zu und wollte zunächst abwarten, bis sich Rocko an dem Strohballen hinaufgearbeitet hatte, doch der Abstand zwischen diesem und dem Ballen, auf welchem sich der braune Kater befand, verringerte sich mehr und mehr. "Warte, ich komme!", rief er dann, sprang erneut hinauf und landete prompt neben Rockos Pfoten, welche verzweifelt in dem sich lösenden Stroh Halt suchten. Gerade reckte er den Hals, um Rockos Nackenfell mit den Zähnen zu packen, doch dann ertönte ein schriller Aufschrei dessen, als sich schließlich das seine Pfoten haltende Stroh löste und er zu Boden fiel. Geräuschvoll landete er auf dem Ballen und blieb zunächst regungslos liegen. "Alles in Ordnung?", erkundigte sich Brian und blickte mit geweiteten Augen hinab. "Ich denke... schon", stammelte Rocko und stieß ein verärgertes Fauchen aus. "Ich glaube, ich springe auch lieber." Mit diesen Worten erhob er sich, sprang und landete ebenfalls geräuschlos neben dem braunen Kater, welcher sich auf dem Ballen niedergelassen hatte. "Alle Achtung", murmelte er und erhob sich ebenfalls. "Diesen winzigen Strohballen hätte das kleinste Katzenjunge geschafft", entgegnete der sandfarbene Kater, worauf Brian jedoch nicht einging und problemlos den letzten Strohballen hinaufsprang, welcher so hoch gelegen war, dass er sich bücken musste, um nicht die hölzerne Decke der Scheune zu berühren. "Irgendwie habe ich das Gefühl, diese Scheune wird immer niedriger", brummte Rocko, als er ebenfalls auf dem Strohballen aufgekommen war. "Ich denke eher, du wirst immer größer", entgegnete der braune Kater und ließ sich auf das Stroh sinken, da er nicht andauernd in einer Kauerhaltung auf dem Ballen verharren wollte. Von seinem Platz aus konnte man die gesamte Scheune überblicken- dies schien der höchste Berg von Stroh- oder Heuballen zu sein, da er auch über die Spitzen der anderen höheren Berge hinausblicken konnte. Erst jetzt konnte er in beinahe jeder Ecke ein Augenpaar ausmachen, welches aus der Dunkelheit hinausspähte, auf einigen Strohballen hatten sich Katzen niedergelassen und eine Gruppe sehr junger Kater kämpfte spielerisch auf einem am Boden liegenden Balken, der sich scheinbar vor langer Zeit, wie der schneeweiße Staub vermuten ließ, von der Decke abgelöst hatte. "Das sind die Jungen von Marina und Rambo", erklärte Rocko, als sei er dem Blick des braunen Katers gefolgt, "sie sind Amiras Halbgeschwister, weil sie einen anderen Vater hat. Irgendein Streuner, der sich nur kurz hier niedergelassen hat, dann aber wieder abgehauen ist." "Weiß Amira das?""Natürlich, aber ich denke, ihr ist es ziemlich egal."Gerade wollte sich Brian bei Rocko erkundigen, ob der sandfarbene Kater schon immer hier lebe, wurde jedoch von einem leisen Jaulen, welches außerhalb der Scheune zu ertönen schien, unterbrochen. Wenig später zwengte sich eine Gestalt durch jene Öffnung, welche auch ihm als Eingang gedient hatte, und blieb mit gesenktem Kopf sitzen. Brian spürte, wie seine smaragdfarbenen Augen sich weiteten und seine schwarzen, strohbedeckten Pfoten zu zittern begannen. Jene schneeweiße Gestalt, welche mit vor Trauer verzerrtem Gesicht auf dem staubbedeckten, ihr wunderschönes Fell befleckenden Scheunenboden kauerte, war seine Schwester Leyka. Unbändige Freude flammte in ihm auf und jede Spur von leiser Trauer, die er aufgrund der Trennung von Sammy, Frau Kraft, Delilah und allen anderen empfunden hatte, verwandelte sich in graue Asche, welche schließlich vom Wind davongetragen wurde. Nur schwach konnte er Rocko etwas unverständliches miauen hören, da all seine Sinne auf Leyka gerichtet waren. Plötzlich trat eine weitere Katze durch die Öffnung, welche sich neben Leyka niederließ, und obgleich ihr Pelz dunkel und schlammverkrustet war, erkannte er seine Mutter Lucy sofort. Nur schwer konnte er gegen das Verlangen ankämpfen, ihre Namen zu rufen und in einem Satz zu ihnen hinunterzuspringen, doch durfte er die anderen Katzen nicht wissen lassen, dass er der Kater war, den Leyka so sehr vermisste. Scheinbar waren die riesenhaften, von dem Kater ausgehenden Wellen der Aufregung auf Leyka getroffen, als diese den Kopf hob und in seine Richtung blickte. Er erschrak, als sich ihre eisblauen, den hintergrundlosen Kummer der Kätzin spiegelnden Augen auf ihn richteten und ihre tiefe Trauer ihm das Gleichgewicht zu rauben drohte. Es fiel ihm schwer, den Blick von der Kätzin abzuwenden, doch er durfte nicht zu offensichtlich machen, was er fühlte. "Hast du Leyka schon gesehen?", erkundigte sich Rocko schließlich und riss ihn so aus seinen Gedanken, woraufhin er nur ein zaghaftes Nicken zustande brachte. "Du hättest mal sehen sollen, wie du sie angestarrt hast! Am besten, du vergisst sie gleich wieder, sie lässt nämlich nicht wirklich mit sich reden. Oh, und übrigends: Amira schaut her. Sie guckt dich an... Und sieht irgendwie traurig aus.""Verdammt...", seufzte der Kater und blickte zu Amira hinüber, welche auf einem ihm gegenüberliegenden Heuballen saß und den Blick von ihm abwandte, als er sie ansah. Auch ihr schien aufgefallen zu sein, wie Brian die weiße Kätzin angesehen hatte. Ihr Kopf war gesenkt und von ihrem zusammengekniffenen Auge ging ein Feuer der Enttäuschung aus, welches sich in das Heu bohrte und dieses zu verbrennen suchte. Die rötliche Kätzin schien sich nun sicher, dass er Leyka liebte. Natürlich liebe ich sie!, dachte er, sie ist meine Schwester. Aber das weiß Amira nicht. "Siehst du den fetten Kater da drüben?", fragte Rocko, welcher die Enttäuschung des braunen Katers erst dann zu bemerken schien, als dieser ihm einen traurigen Blick entgegenwarf, statt zu antworten. "Was ist denn? Kaum ein paar Augenblicke hier, und schon musst du dich zwischen zwei Kätzinnen entscheiden?" Die Augen des sandfarbenen Katers blieben ausdruckslos, doch seine Stimme verriet, dass er dies nur zum Spaß gesagt hatte, als er mit den Pfoten das Stroh bearbeitete. "Ja", antwortete Brian ohne den geringsten Funken von Ironie in seinem Blick, dann fuhr er herum und sprang den Strohballen hinunter. Er hörte, wie Rocko ihm etwas hinterherrief, was er jedoch nicht mehr zu verstehen vermochte. Mit gespielter Gleichgültigkeit lief er an Leyka vorbei und spürte noch lange ihre leeren, von Trauer überschatteten Augen auf sich haften, doch er würdigte sie keines Blickes. Es tut mir leid, Leyka!, dachte er, doch er konnte nun nicht mit ihr sprechen. Nicht, wenn unzählige Blicke neugieriger Katzen auf ihm hafteten, zumal der von Amira. Die rote Kätzin saß auf der Kante eines nicht sehr hoch gelegenen Heuballen und blickte ihm mit ihrem bernsteinfarbenen Auge entgegen. "Ich habe es dir doch gesagt!", miaute sie und versuchte vergeblich, ihre Enttäuschung zu unterdrücken, doch ihr eines Auge schien sich mit jedem verstreichenden Augenblick in flüssigen Bernstein zu verwandeln. "War sie das? Leyka?", fragte er und sprang zu Amira hinauf, welche den Kopf schief legte. "Jetzt tu nicht so, Brian! Ich habe doch genau gesehen, wie du sie angestarrt hast.""Ich habe mich nur gefragt, ob sie das ist, aber, als ich ihr trauriges Gesicht gesehen habe, wusste ich es sofort.""Von wegen, du hast dich nur gefragt, ob sie das ist!", zischte Amira und versuchte noch immer, ein leises Lächeln zustande zu bringen, doch ihre Enttäuschung war offensichtlich. "Was soll ich denn sonst gedacht haben? Und würdest du mir jetzt endlich sagen, was an ihr so toll sein soll?", miaute er, wobei ihm diese abschätzigen Worte über seine Schwester sichtlich leid taten."Hör auf, dir selbst etwas vorzumachen. Ich habe doch gesehen, wie du sie angestarrt hast", entgegnete Amira; ihre Stimme war von einem so überzeugten Ton, dass es dem braunen Kater ihr zu widersprechen schwer fiel."Und warum ist dir das so wichtig?", wisperte er, obgleich er sich die Antwort bereits denken konnte. Amira zögerte und scharrte mit der Pfote über das Heu, ehe sie antwortete: "Sie hat einfach so schöne Augen- Zwei schöne Augen! Und ich werde niemals so aussehen wie sie!""Aber...", begann Brian und überlegte, wie er Amira am besten trösten konnte. "Sie ist doch hässlich!", stieß er schließlich hervor, "auf den ersten Blick glänzt ihr Fell und ihre Augen haben eine schöne Farbe, aber sieh´ ihr mal näher ins Gesicht."Amira seufzte. "Sie... Sie sieht aus wie du." "Eben! Siehst du, sie hat zwei... Na ja, einfach zwei blaue Augen. Du hast vielleicht nur ein Auge, aber als ich dich das erste Mal gesehen habe, dachte ich, ein riesiger, glänzender Bernstein-Klumpen stünde vor mir. Komm, dreh´ dich um", wies er sie schließlich an, woraufhin die Kätzin den Kopf so wandte, dass sie seitlich vor ihm saß und ihre zerkratzte Gesichtshälfte dem Kater abgewandt war, welcher schließlich miaute: "So. Und jetzt gibt es nichts, was nicht perfekt wäre! Wenn Leyka jetzt kommen würde, um sich mit dir zu messen, könnte man sie nur auslachen. Du bist... sagen wir, ein Reh, und sie ist eine Unke.""Übertreibe es nicht!", schnurrte Leyka und ihre Enttäuschung schien langsam zu vergehen. "Gut, meinetwegen ist sie eine Ratte. Aber du übertriffst sie um einiges, wirklich. Aber ich verstehe trotzdem nicht, wieso dir das so wichtig ist, ich meine, selbst wenn du den Kopf einer Kröte hättest... Du bist eine nette Kätzin. Ich muss es wissen, ich bin nicht gut darin, mich mit Kätzinnen anzufreunden.""Es sind ja nicht alle wie du. Viele achten zuerst auf das Aussehen, und durch meine Narbe bin ich in den Augen der meisten hässlich. Anscheinend hast du die Gabe, durch die äußere Fassade einer Katze hindurchzublicken", stellte Amira fest und blickte dem Kater tief in die Augen. "Ich habe keine Gabe", miaute dieser, "die anderen sind nur dämlich. Bei diesen oberflächlichen Katzen müsstest du dir Gedanken machen, wenn sie irgendetwas an dir gut fänden."  

"Vielleicht hast du Recht", murmelte Amira und senkte den Kopf, "aber ich bedaure es trotzdem. Dieser Dachsangriff ist nun schon vier Vollmonde her, und ich war genauso alt wie du jetzt. Ich hatte ein großes Glück, dass ich nicht gestorben bin, und als ich zurückkam, haben mich alle nur angestarrt, statt mich zu beglückwünschen."

"Sie auch?", erkundigte sich Brian und wies mit dem Kopf auf Leyka, welche ihre Position noch immer nicht geändert hatte. Amira schüttelte den Kopf und miaute: "Nein. Sie hat die ganze Zeit in einer Ecke gesessen und getrauert, weil..." Sie wollte fortfahren, wurde jedoch von einem geräuschvollen, von einem nahgelegenen Strohballen zu dringen scheinenden Jaulen unterbrochen: "Katzen, versammelt euch bitte alle!" Brian fuhr herum und sah, wie sich die dunklen, von dem durch die winzigen Lücken dringenden Sonnenlicht erhellten Umrisse einer Kätzin von den wispernden Schatten des Strohballens abhoben, als sie auf dessen Kante trat.

Ihr durchdringender Blick glitt lange von einer Seite zur anderen, als sie auf das Versammeln der unzähligen von Katzen wartete, welche mit jedem verstreichenden Augenblick mehr zu werden schienen. "Sind alle versammelt?", erkundigte sie sich schließlich, als sich unter ihr eine gewaltige Menge von Katzen gebildet hatte. Aufgrund des bestätigenden Gemurmels, welches auf ihre Frage hin ertönte, nickte sie und fuhr fort: "Wie einige von euch sicher schon gesehen haben, dürfen wir eine neue Katze bei uns begrüßen". Sie zögerte und ihr Blick wanderte zu dem braunen Kater, der noch immer neben Amira saß. Diese stieß ihn mit der Pfote an und wies auf die riesige, graue Kätzin, dann wisperte sie mit einem Nicken in deren Richtung: "Geh zu ihr!" Brian zögerte einen Augenblick, trat dann jedoch vor und stellte sich neben die Kätzin. Sie war sehr groß, wahrscheinlich nicht viel kleiner als Rambo, und sah mit einem freudigen Funkeln in den Augen auf den braunen Kater herab. "Hallo", miaute sie, ihre Stimme war von einem freundlichen, amüsierten Ton und hallte mehrmals an den dunklen Scheunenwänden wieder.

"Hallo", antwortete Brian mit einem kurzen Blick auf die unzähligen von Katzen, deren neugierige Blicke wie funkelnde Sterne am Horizont auf ihm ruhten. "Dein Name war Brian, nicht wahr?", fragte die Kätzin an diesen gewandt, doch ihre Stimme war nur ein leises Wispern, sodass er die einzige ihre Worte vernommen habende Katze zu sein glaubte, und nickte. "Nun, Rambo hat mir eben berichtet, dass sie dich am Fluss gefunden haben, woher kommst du also? Bist du ein Streuner aus der Stadt?"

Der Kater zögerte einen Augenblick und musste sich die Dinge ins Gedächtnis zurückrufen, welche er soeben Amira erzählt hatte, schließlich antwortete er: "Ich würde sagen, ich bin ein Streuner, aber nicht aus der Stadt. Ich habe immer im Wald gelebt, dort, wo..." "Ja, ein Streuner aus der Stadt bist du jedenfalls nicht!", unterbrach die dunkle Kätzin ihn, "Das hört man. Diese mottenzerfressenen Fellbündel nennen den Wald nur "Die Bäume". Wenn sie überhaupt ein Wort darüber verlieren.

Und du bist hierhergekommen, weil du in diesen Fluss hineingefallen bist", fuhr sie fort, ehe Brian jedoch antworten konnte, öffnete die Kätzin erneut den Mund, um weiterzusprechen: "Du willst also jetzt hier bleiben, richtig?"

"Na ja, ich weiß nicht, ich würde sagen, das liegt an euch."

"Wir sind immer froh, wenn wir neue Katzen bei uns begrüßen dürfen, denn das bedeutet mehr Beutejäger und mehr Kämpfer, falls wir unsere Scheune wieder vor diesen Streunern verteidigen müssen. Und du siehst aus, als wärst du ein ziemlich guter Jäger und Kämpfer."

"Klar!", antwortete er mit einer derartigen Entschlossenheit in der Stimme, dass es ihn selbst ein wenig ängstigte. Schnell verdrehte er verlegen die Augen und trat unter den Blicken der gewaltigen Menge an Katzen von einer Pfote auf die andere. Obgleich ihm dies nie etwas ausgemacht hatte, musste er den anderen Katzen weismachen, noch nie in die Gesichter so vieler Katzen geblickt zu haben, denn wie sollte er bei einem einsamen Leben im Wald einmal einer solch großen Katzengruppe begegnet sein? 

"Also dann", hob die Kätzin erneut an, diesmal so laut, dass der braune Kater einen Schritt zur Seite tun musste, "Brian ist jetzt einer von uns!" Auf ihre langsam verhallenden Worte folgte ein zustimmendes, fröhliches Miauen und er wollte gerade kehrtmachen, doch dann spürte er einen entsetzten, von unzähligen traurigen Erinnerungen verdunkelten Blick auf sich ruhen. Obwohl er das ihm bevorstehende Bild bereits erahnte, drehte er den Kopf und blickte in ein einem dunklen, von hell funkelnden Sternen der Hoffnung beleuchteten Meer gleichendes Augenpaar. Leyka... Sie hat meinen Namen gehört. Wahrscheinlich hatten die übrigen Katzen den Zusammenhang zwischen ihm und der verstorbenen Katze, die der Grund für Leykas ewige Trauer war, nur für einen Zufall gehalten oder nicht einmal bemerkt, doch seine Schwester hatte ihm zuvor schon einmal einen langen, traurigen Blick geschenkt. Ich gleiche mir einfach zu sehr, dachte er und fuhr schließlich herum, obwohl der verzweifelte Ausdruck in den Augen seiner Schwester Mitleid in ihm aufflammen ließ, doch er durfte nun nicht zu offensichtlich machen, dass er sie kannte, nicht, wenn die Gesichter aller Katzen auf ihm ruhten. Zumal die ohnehin bereits eifersüchtige Amira sollte ihn nicht mit seiner Schwester zusammen sehen. Im Grunde interessierte es ihn nicht, was die rote Kätzin über das Verhältnis zwischen ihm und Leyka dachte, doch er wollte ihre Trauer aufgrund jener Narbe in ihrem Gesicht nicht vergrößern und sprang somit zu ihr hinüber, als wäre ihm Leykas Blick soeben völlig entgangen. Amira erhob sich und kam mit einem belustigten Funkeln in den Augen entgegen, dann miaute sie mit unüberhörbarem Hohn in der Stimme: "Du hast noch nie so viele Katzen auf einmal gesehen, nicht wahr?" Beinahe hätte der braune Kater ihr widersprochen, konnte sich jedoch rechtzeitig zurückhalten und schüttelte den Kopf. "Ich habe mein ganzes Leben lang im Wald gelebt, also, nein. Nicht wirklich." "Das merkt man!", blaffte Amira, " du bist herumgehüpft wie ein aufgeregtes Kaninchen!""Ich weiß", antwortete Brian und freute sich im Stillen über den Erfolg seiner gespielten Nervosität, "ist ja auch kein Wunder, so wie sie mich angestarrt haben!""Du hast sie angestarrt. Ehrlich, wenn ich dich sehe sträubt sich mein Pelz.""Das sehe ich ganz anders", schnurrte er und sprang spielerisch vor Amira, als diese kehrtmachen wollte. "Wie auch immer!", knurrte diese und sprang mit ausgestreckten Pfoten auf den Kater zu, doch dieser tat einen Satz zur Seite und sah, wie die weiße Kätzin geräuschvoll gegen einen Strohballen prallte und zu Boden sank. "So ein Mist", miaute sie und erhob sich auf die Pfoten, "Du bist ziemlich schnell. Wie auch immer,soll ich dir die Gegend zeigen? Wir könnten Rocko und Sando mitnehmen- sie wurden ja eben durch einen kleinen Zwischenfall vom Jagen abgehalten. Ich meine, hier kannst du dich immer noch heute Nacht umsehen. Wenn du nicht mitkommst, gehe ich trotzdem."

"Klar komme ich mit!", miaute der Kater sofort und fuhr die Krallen aus, das Verlangen, sofort mit wie vom Wind getragenen Pfoten durch den Wald zu preschen, zurückzudrängen. Die verblassten Erinnerungen an seine letzte Jagd in einem richtigen, von Mäusen, Vögeln und unzähligen anderen Tieren bewohnten Wald schienen nun deutlicher und realistischer zu werden.

"Was ist mit dir los?", erkundigte sich Amira mit skeptischem Blick, "du führst dich auf, als wärst du noch nie im Wald gewesen!" Brian erstarrte und sprang schnell an der Kätzin vorbei, damit diese seinen aufgeregten Gesichtsausdruck nicht zu erkennen in der Lage war. "Nein, ich finde es nur immer spannend, neue Gegenden zu erkunden", sagte er dann, bevor er von dem Heuballen hinuntersprang.

"Also dann, lass uns gehen, bevor du noch durch die Wand hindurchrennst," murmelte Amira hinter ihm und tat es dem braunen Kater gleich, der leichtfüßig in einem Haufen herabgerieselten Heus gelandet war und sich mit zusammengekniffenen Augen nach Rocko und Sando umblickte. Die sandfarbenen Kater waren nur als schattenhafte Silhouetten inmitten eines Spiels heller Lichtflecken zu erkennen und Brian war nicht imstande, sie voneinander zu unterscheiden, woraufhin er den gegenüberliegenden Strohberg zu erklimmen beschloss.

"Rocko , Sando!", rief er und übersprang wiederum mit einem Satz gleich zwei Strohballen, woraufhin sich die Augen des einen Katers weiteten; Brian vermutete, dass es Sando war, da Rocko seinen gewaltigen Sprung bereits gesehen hatte. Die Ohren der beiden stellten sich auf, als er leichtfüßig vor ihnen landete und den erstaunten Gesichtsausdruck Sandos nicht weiter beachtete. "Kommt ihr mit Amira und mir jagen? Sie will mir in einem die Gegend zeigen", miaute er mit fröhlicher, aufgeregter Stimme.

"Wollt ihr zwei nicht alleine gehen?", fragte Sando, doch ehe der braune Kater zu antworten imstande war, hatte Rocko seinem Bruder einen Stoß in die Seite versetzt und miaut: "Ich glaube kaum, dass zwei Katzen zum Jagen reichen werden, du faules Fellknäuel. Also, ich komme mit!"

"Ich wollte auch mit!", warf Sando ein,"ich dachte nur, sie wollten..." Er brach ab, als die beiden Kater sich nacheinander an dem Strohballen hinunterarbeiteten und schließlich kaum hörbar auf dem Boden aufkamen.

"In welche Richtung gehen wir?", hörte Brian Rockos Stimme hinter sich, doch als der Kater mit auf Amira gerichtetem Blick an ihm vorbeischritt, konnte er daraus schließen, dass dessen Frage der Kätzin galt. Diese zögerte einen Augenblick, während sie den braunen Kater mit abwesend leuchtenden Augen musterte. "Wo willst du hin, Brian? Wir könnten die Gegend beim Fluss erkunden, oder wir gehen in den Tannenwald."

"Den ehemaligen Tannenwald", warf Sando ein, "seit dem Sturm vor ein paar Vollmonden stehen dort nur ein paar Bäume."

"Das stimmt", bestätigte Amira schließlich, "dort musst du ein geübter Kletterer und Springer sein, denn die Bäume liegen alle irgendwie übereinander, dafür bieten sie auch sehr gute Verstecke." Bei diesen Worten gruben sich die Krallen des Katers unwillkürlich in den staubbedeckten Boden und in dem Glanz seiner grünen Augen schien sich ein gewaltiges Feuer der Freude, entflammt aus einem Funken der Entschlossenheit zu spiegeln, einem winzigen, schon lange vertrocknet geglaubten Wassertropfen ähnelnd. Nie hatte er es für möglich gehalten, noch einmal ein wirkliches Abenteuer erleben zu können, doch das Bild, dass sich während Amiras Erzählungen in seinem Kopf aufgetan hatte, zeigte eine Katze, die über unzählige von Hindernissen springend und mit dem Wind in ihrem Pelz eine schnelle Maus jagte. "Klingt doch super! Lasst uns dort hingehen!", rief er aus und konnte das Verlangen, sogleich davonzupreschen, nur schwer unterdrücken. "Na gut, dann können wir ihm gleich die Sümpfe zeigen", murmelte Rocko, der die unverkennbare Aufregung des braunen Katers als einziger nicht wahrzunehmen schien. "Oh ja, die hatte ich ganz vergessen!", rief Amira aus, bevor sie sich diesem zuwandte, "gleich hinter diesem Tannenwald ist ein schmaler Streifen Moorgebiet. Es ist von Gras und anderen Kräutern überwuchert, sodass du die Sumpfpfützen nicht erkennen kannst. Wenn du dich also aus irgendwelchen Gründen hinüberwagen solltest, taste vorher mit den Pfoten gründlich den Boden ab, sonst versinkst du. Und ich weiß nicht, wie tief die Pfützen sind, aber ich denke, du könntest Schwierigkeiten haben, wieder herauszukommen."

"Besser, als noch einmal in diesen Fluss zu fallen. Dann setze ich mich lieber in stinkenden Schlamm, als fast zu ertrinken."

"Wie du willst", miaute Rocko, "also dann, lasst uns gehen. Ich will auch noch einmal über diese Bäume klettern." Mit diesen Worten schwang er den von zerrupftem Fell bedeckten Kopf und zog die Pfoten dichter an seinen Bauch heran, um sich durch die kleine Öffnung in der Wand zu zwängen, doch Amira überholte ihn schnellen Schrittes und stürzte hindurch, wobei der buschige Schwanz der roten Kätzin das Gesicht des sandfarbenen Katers streifte. "He!", knurrte dieser und folgte ihr den Kopf schüttelnd. "Immer muss sie die Führung übernehmen."

"Ich bin schließlich auch die Tochter unserer Anführerin!", ertönte deren Stimme von außerhalb, woraufhin der braune Kater ein leises Schnurren ausstieß. Obgleich er die Kätzin wirklich mochte, musste er ihren ständigen Willen, das Kommando über jegliche Katzen haben zu wollen, zugeben.

Gerade wollte sich Brian ebenfalls durch die Lücke hindurchzwängen, wurde jedoch von einem seltsamen, sich langsam in ihm auftuenden Gefühl zurückgehalten, und als er sich umblickte, sah er nur wenige Katzenlängen neben sich die zusammengekauerte Gestalt einer weißen Kätzin, deren von einem dunklen Schatten verhüllten Augen auf den Kater gerichtet waren. Zunächst wollte er den Blick seiner Schwester nicht beachten und kehrtmachen, entsann sich dann jedoch eines anderen und trat auf sie zu, da Rocko und Amira ohnehin bereits aus der Scheune hinausgegangen waren.

Leyka blickte ihm mit sich nicht veränderndem Blick entgegen, und auch ihre Stimme blieb ausdruckslos, als sie sprach: "Hallo. Du bist neu hier, nicht wahr?" Brian konnte deutlich hören, dass die Gleichgültigkeit ihm gegenüber nur gespielt war und die Kätzin ihre tiefe Trauer sowie das Interesse für den Kater zu unterdrücken versuchte, doch er kannte seine Schwester zu gut, um dies nicht zu bemerken.

"Na ja, eigentlich war ich schon hier in der Nähe", antwortete er dann und blickte sich noch einmal um, um sich zuvergewissern, dass Rocko und Amira die Scheune nicht wieder betreten hatten. "Hör zu, ich weiß, du kennst mich nicht, und ich will nicht, dass ich dich jetzt auf seltsame Gedanken bringe, aber du musst mir einfach vertrauen. Können wir uns heute Nacht draußen treffen? Ich muss mit dir reden."

In den tiefblauen Augen seiner Schwester sah er Überraschung aufsteigen, doch sie schien weder Angst noch Misstrauen oder Skepsis zu empfinden, woraufhin sich der Kater plötzlich sicher war, dass sie ihn erkannt hatte. "Ja, ich komme", antwortete sie mit einer Entschlossenheit, welche die seit Brians Tod in ihr lodernde Trauer völlig zu verdrängen schien. Nicht einmal hinter dem vorgetäuschten Ausdruck von Gleichgültigkeit in ihrem Gesicht schien sich noch der leiseste Funken von negativen Gedanken zu befinden.

"Lu... Also, deine Mutter kann auch kommen, aber sonst niemand, in Ordnung? Es ist wirklich wichtig."

"Gut, also dann, bis heute Nacht, Brian", hauchte sie und drehte sich schließlich herum, doch ihre blauen, warmen Augen schienen ihm noch immer zu folgen. "Bis heute Nacht, Leyka", wisperte er, obgleich die Kätzin dies nicht mehr verstanden haben konnte.

Mit einem letzten Blick auf sie machte er kehrt und trat schließlich mit einem Gefühl der Erleichterung durch das Loch in der Wand, um Amira und Rocko in den Wald zu folgen.

     

 

 

 

        

 

 

6.Kapitel

 

"Dort drüben! Da ist etwas", wisperte Rocko und deutete mit der Schwanzspitze auf einen niedrig gewachsenen Farnbusch, dessen Wedel sich kaum wahrnehmbar im Rhythmus des Windes neigten. "Mit Sicherheit ein fettes Kaninchen!"

Brian spürte die Luft, welche einen vertrauten Geruch mit sich tragend an ihm vorüberstrich, doch sein Instinkt sagte ihm, dass der sandfarbene Kater im Unrecht war. "Das ist ein Vogel", miaute er dann, "aber fett scheint er wirklich zu sein, diesem Krach nach zu urteilen." Auf ein Zeichen Rockos, der ihm den Vogel zu überlassen beschlossen hatte, ließ sich der braune Kater in eine Kauerhaltung sinken, sodass sein Fell den Boden streifte, und konzentrierte sich auf die von aneinanderschlagenden Farnwedeln erzeugten Laute. Aus deren unüberhörbarem Lärm konnte er schließen, dass sich das Tier direkt dahinter zu befinden schien, woraufhin er sich mit den Hinterläufen abdrückte und leise fauchend auf den Vogel zusprang. Dieser wandte ihm den Kopf zu und erhob sich mit nervösen Flügelschlägen in die Lüfte, doch kaum hatten die Pfoten des Katers erneut den Boden berührt, tat dieser erneut einen Satz in die Luft, mit ausgestreckten Pfoten den Vogel schnappend.

"Alle Achtung, Brian!", rief Amira aus, als dieser mit einem leisen Funken von Stolz in den Augen auf sie zutrat, den toten Vogel fest mit den Zähnen haltend. "Wo soll ich den ablegen?", murmelte er, obgleich er es nicht für möglich hielt, dass die beiden Katzen seine durch die Federn hindurch gesprochenen Worte wahrgenommen hatten.

"Du kannst ihn hier ablegen und dir die Stelle merken", antwortete Rocko, dessen Augen erneut einen Ausdruck von Erstaunen in sich bargen, "oder du nimmst ihn mit."

"Vergiss es!", fauchte Brian sofort und schüttelte den Kopf, "die Federn kann der Vogel mit in die ewigen Jagdgründe nehmen, schön weit weg von mir."

"Tja, Brian, da muss man als Katze nunmal mit leben können. Kannst du es?"

"Nein", antwortete dieser, " un deswegen bekommt das Federvieh jetzt einen schönen Platz in dem Farn, wo es seine letzten Augenblicke verbracht hat." Mit diesen Worten fuhr er herum und legte den großen, beinahe schwarzen Vogel mit einem leisen Fauchen in jenem Farnbusch ab.

"Also, Amira. Jetzt will ich sehen, was unsere zukünftige Anführerin so drauf hat", miaute er dann und trat an deren Seite, als die Kätzin miaute: "Denkst du, so etwas hätte ich etwa nicht geschafft?"

"Nie im Leben!" Das Funkeln in dem klaren Blick des Katers glänzte spielerisch, doch seine Stimme war von einem herausfordernden Ton, und er fragte sich, wie gut die Fähigkeit des Jagens und des Kämpfens bei jenen Katzen funktionierte.

"Ich weiß nicht, ob ich das geschafft hätte", gab Sando zu und fuhr mit einer Pfote verlegen über den von moderndem Laub bedeckten Boden, "aber du, Amira, wärst froh, wenn du überhaupt so hoch springen könntest, und dabei noch einen Vogel zu fangen...."

"Ja, ich habe es verstanden!", fauchte Amira ohne jeglichen Ausdruck von Freude in der Stimme. Scheinbar war die Kätzin sehr leicht reizbar und besaß nicht die Fähigkeit, den Ausdruck von Spaß sowie den von Ernst in der Stimme einer Katze zu unterscheiden, woraufhin der braune Kater sie nicht weiterhin herauszufordern beschloss.

"Wir sind gleich drüben", stellte Sando schließlich fest und beschleunigte sein Tempo, woraufhin sein sandfarbener Pelz den Amiras streifte, welche jedoch zurückwich.

Brian folgte diesem und konnte nach nur wenigen Pfotenschritten die Umrisse unzähliger, übereinanderliegender Bäume erkennen, deren Nadeln bereits vom Wind davongetragen worden waren und ihre kahlen Zweige ragten unheilvoll vor dem Horizont auf.

"Bevor ein Sturm im Wald gewütet hat", begann Sando, während seine Gedanken eine viele Vollmonde zurückliegende Zeit aufzusuchen schienen, "war hier ein schöner Tannenwald mit Felsen zwischen den Bäumen, aber die liegen jetzt unter den Bäumen begraben."

"Mir tun die Tiere leid, die damals in diesem Wald waren", stellte Brian fest und verdrängte den Gedanken daran, von einem jener riesenhaften Tannen erschlagen zu werden. "Sogar die Vögel."

"Jetzt gibt es ja keine Bäume mehr, die herunterfallen können", miaute Amira und schritt an den drei Katern vorüber, welche sich vor dem sich unendlich zu erstrecken scheinenden Feld gestürzter Bäume niedergelassen hatten. "Also kommt endlich."

"Ist dieser Sumpf direkt hinter dem Wald? Also, dem ehemaligen Wald?", erkundigte sich Brian und folgte der Kätzin, wobei er jedoch Rocko und Sando ansah. "Ja, so könnte man es sagen", antwortete Rocko, den er aufgrund des zerfetzten linken Ohrs von seinem Bruder Sando unterscheiden konnte. "Der letzte Baum bildet sozusagen die Grenze zwischen dem Sumpf und dem Wald. Aber keine Sorge, am Rand ist er nicht tief."

"He!", wisperte Brian und verlangsamte sein Tempo, bis er aus der Hörweite Amiras zu sein glaubte, "kommt, wir lassen sie vorgehen und schubsen sie dann hinein!"

Gerade öffnete Sando den Mund, um mit amüsiert gespitzten Ohren zu antworten, doch die rötliche Kätzin war auf einem niedrig gelegenen Baum zum Stehen gekommen und wandte den Kopf: "Wollt ihr drei denn den restlichen Tag damit verbringen, mir beim Säubern meines Fells zu helfen? Also wirklich, Brian, du führst dich auf wie ein Junges. Und ihr anderen ebenfalls, aber das ist ja nichts Neues."

"Wir sind auch schließlich jünger als du, Amira!", warf Rocko ein, woraufhin diese kaum wahrnehmbar murmelte: "Was man unschwer merkt." Brian vermutete jedoch, dass weder Rocko noch Sando dies vernommen hatten.

"Sie kann auch seltsam sein", wisperte Sando und drängte sich zwischen den braunen Kater und seinen Bruder. "Einmal hatte sie Angst, weil eigentlich Vollmond sein sollte, der Himmel dann aber schwarz und ohne Sterne war."

Brian legte den Kopf schief und blickte den sandfarbenen Kater skeptisch an, als schenkte er den Worten dessen keinen Glauben. "Hat ihr niemand erklärt, dass es damals einfach bewölkt war? Solche dunklen Nächte sieht man ständig, wenn es regnet!"

"Wir haben ihr das schon gesagt", antwortete Sando, "aber sie hat es mit dem Gewitter in Verbindung gebracht, das einen Baum durch einen Blitz zu Fall gebracht hat."

"In dem Fall wird es noch interessanter, sie in den Sumpf zu werfen!", schnurrte Brian und bedeutete den neben ihm stehenden Katern mit einem Winken der Pfote, der bereits zwischen den Stämmen verschwundenen Amira zu folgen. Unter seinen Pfoten spürte er die von tiefen Rissen sowie Furchen durchzogenen Baumstämme, deren dunkle Rinde sich an einigen Stellen gelöst hatte, und grub die Krallen tief in das von der lange anhaltenden Hitze, welche nun bereits einige Wochen im Wald herrschte, getrocknete Holz.

Jene von der gewaltigen, unaufhaltsamen Zerstörnugswut eines Sturmes geschaffene Lichtung schien sich so weit zu erstrecken, dass er um die dahinterliegenden Bäume erkennen zu können die Augen zusammenkneifen musste, und mit jedem vorüberstreichenden Hauch des Windes schien die Frage, welche sich in dem Kater aufgetan hatte, mehr und mehr unerklärlich zu werden. Wie war es dem Wind gelungen, eine solche Masse an gewaltigen, starken Bäumen zu zerstören, während jedoch die nicht weit von hier gelegene Scheune dem Sturm Widerstand zu leisten vermochte?

Zunächst wollte er sich aufgrund dessen bei Rocko und Sando erkundigen, vermutete jedoch, dass auch die Kater nichts dergleichen wussten, und folgte schließlich schweigend Amiras Geruchsspur.

"He, Amira!", rief er wenig später aus, als die rötliche Gestalt der Kätzin hinter einem von trockenen Nadeln bedeckten Stamm auftauchte, "Wetten, dass ich als Erster beim Sumpf bin?"

"Wetten, dass du als Erster im Sumpf bist?", entgegnete die Kätzin, woraufhin sie auf einen höher gelegenen Baumstamm sprang und zu Brians Überraschung die hölzernen Hindernisse zu überqueren begann, so schnell es in ihrer Macht stand.

Beinahe hatte er vermutet, die momentan nicht sehr fröhlich gestimmte Kätzin würde seine Herausforderung ignorieren, doch als diese sich langsam von ihm entfernte, preschte auch der braune Kater los und hatte sie nach nur wenigen Überwindungen von Stämmen eingeholt. "Verdammt, du bist so...", fauchte die Kätzin, als Brian schließlich mit einem höhnischen Lächeln an ihr vorüberschoss. Jede Bewegung seiner Pfoten, welche ihn sicher und mit einer gewaltigen Schnelligkeit über die rauen Stämme führten, schienen von selbst auf die Umgebung angepasst zu sein. Sobald ein zum Überspringen zu hoch gelegener Baumstamm seinen Weg kreuzte, fuhr er ruckartig herum und suchte sich unwillkürlich seinen Weg an jenem unüberwindbaren Hinderniss vorüber.

"Brian, warte auf mich!", ertönte die von einem erschöpften Keuchen durchzogene Stimme der Kätzin, welche aufgrund ihrer großen Entfernung zu dem braunen Kater kaum wahrnehmbar schien. "Ich... Ich kann nicht mehr!"

"Ist mir doch egal", murmelte er, wobei er sein Tempo beschleunigte und die Kante des letzten Baumes zu erkennen glaubte. Hinter dem kargen Wall aus dorren Zweigen

tat sich das Sumpfgebiet auf, dessen Pfützen eine derartige Menge an Schlamm in sich bargen, dass sich kein Sonnenstrahl darin zu spiegeln vermochte.

Nur wenige Krallenlängen vor dem Rand des Baumes kam der Kater zum Stehen und wandte den Kopf, woraufhin ihm die weiße Gestalt der sich langsam nähernden Amira ins Auge fiel. "Du hast verloren!", rief er an diese gewandt und sah ihre Ohren verärgert zucken. "Was du nicht sagst", zischte sie und beschleunigte ihr Tempo ebenfalls, bis sie ihre Pfoten in das Holz des Baumes grub, um prompt anzuhalten.

"Beinahe hättest du das Gleichgewicht verloren", stellte Brian dann fest und vernahm die sich nähernden Pfotenschritte der beiden sandfarbenen Kater. "Habe ich nicht. Ich...", rief die Kätzin mit unüberhörbarer Empörung in der Stimme aus, wurde jedoch von ihm unterbrochen: "Jetzt schon!" Nur sanft stieß er sie mit der Pfote an, woraufhin Amira den Halt verlor und mit einem schrillen Aufschrei in den dickflüssigen Sumpf hineinfiel. Jene braune Masse ergoss sich über ihren rötlichen Pelz und ihre Augen vermochten sich unter dem Gewicht des Schlamms nicht mehr zu öffnen, als ihre Pfoten abermals unter ihr nachgaben und sie noch tiefer in den Sumpf hinabsank. "Brian!", fauchte sie und suchte sich verzweifelt den Schlamm aus dem Gesicht zu schütteln, doch mit jeder Bewegung floss dieser nur mehr in ihr Gesicht.

"Wo ist Amira?", rief Rocko aus und beschleunigte sein Tempo, als der braune Kater mit einer Bewegung des Schwanzes auf die Kätzin wies. "Sie hatte Lust auf ein Schlammbad!", krächzte er und war kaum imstande, ein amüsiertes Aufjaulen zu unterdrücken. "Das ist nicht wahr, oder?", schnurrte Sando und trabte an Brians Seite, welcher der wütend fauchenden Kätzin ein kurzes Lächeln schenkte. "Und wie es wahr ist!", rief diese, "das spüre ich zu gut!"

"So gefälltst du mir noch besser als vorher, Amira!", schnurrte der braune Kater, von dieser zu Rocko und Sando blickend, welche seine Meinung zu teilen schienen.

"Schön, dann weiß ich ja, wer meinen Pelz wieder saubermachen wird, nicht wahr, Brian?" Für einen nicht lange anhaltenden Moment glaubte er, auch in ihrem Gesicht einen Ausdruck von Freude erkennen zu können.

"Du meinst, ich soll... Vergiss es! Ich werde dir ganz sicher nicht den Pelz sauber lecken!", entgegnete Brian sofort und kniff bei dem Gedanken an jenen übel riechenden, braunen Schlamm angewidert die Augen zusammen.

"Und ob du das wirst. Deine Freunde werden dir sicher helfen."

Von hinten hörte er ein leises Schnauben, und als er sich zu Rocko und Sando herumdrehte, gaben ihm die sandfarbenen Kater mit den Schwänzen das Zeichen, davonzulaufen. "Los jetzt!", wisperte Rocko und fuhr schlagartig herum, woraufhin Sando und Brian es ihm gleichtaten. Dieser vernahm ein kaum hörbares, verärgertes Fauchen hinter sich, blickte sich jedoch nicht nach Amira um. Sie erinnerte ihn sehr an seine Schwester, jedoch war die rote Kätzin noch leichter zu verärgern als Leyka.

Schnell über die Bäume springend, dachte er daran, dass er bald mit seiner Schwester alleine würde sprechen können.

 

7.Kapitel

Brian schlug die Augen auf und musste zunächst einige Augenblicke verharren, ehe er sich erinnerte, wo er sich befand. Das von silbrigem Mondlicht beleuchtete Stroh raschelte kaum wahrnehmbar, als er sich auf die Pfoten erhob und zu Boden sprang. Obgleich er sich einen Schlafplatz abseits von den übrigen Katzen gesucht hatte, könnten diese dennoch von seinen Pfotenschritten geweckt werden und ihn fragen, wohin er ging.

Langsam ließ er den Blick über die Scheune schweifen und erblickte den rötlichen Pelz Amiras, welche sich bei Rocko und Sando niedergelassen hatte. Scheinbar hatten die Kätzinnen, mit welchen sie sich sonst ihren Schlafplatz teilte- dies hatte sie dem braunen Kater erzählt- den noch immer in ihrem Pelz haftenden Schlammgeruch nicht ertragen können und sie somit zu den beiden sandfarbenen Katern geschickt.

Mit einem leisen Schnurren trat er schließlich aus der Scheune hinaus und blickte sich nach dem vertrauten Glänzen in den Augen seiner Schwester um, welche er wenig später hinter einem hochgewachsenen Grasbüschel erblickte.

"Warum versteckst du dich?", miaute er und trabte auf die weiße Gestalt zu, welche sich dann erhob und das Mondlicht in ihrem Pelz ließ diesen grell erleuchten.

"Ich... Ich dachte, du wärst einer von den anderen." Sie blickte sich noch einmal nach allen Seiten um, ehe sie fortfuhr: "Meine Mutter schläft und ich wollte sie nicht aufwecken. Also, warum wolltest du mit mir sprechen?"

"Ich dachte irgendwie, das wüsstest du schon", antwortete Brian und blickte auf das Gras unter seinen Pfoten hinab.

"Nein, du hast es mir nicht gesagt."

"Leyka", wisperte er und sah plötzlich erneute Überraschung in den Augen der weißen Kätzin aufsteigen, als diese murmelte: "Habe ich... dir schon meinen Namen gesagt?"

"Nein, aber die anderen haben es mir schon erzählt. Weißt du, ich bin ziemlich neugierig."

"Ich glaube, die anderen halten nicht besonders viel von mir. Ist ja auch kein Wunder. Ehrlich gesagt habe ich bisher nicht viel mit irgendeiner Katze gesprochen."

"Du sitzst ja wirklich in der Ecke und ziehst ein Gesicht, als hätte dir jemand auf den Schwanz getreten."

"Es ist, weil... Vor einigen Vollmonden ist mein Bruder gestorben, und ich bin schuld daran." Sie wollte weitersprechen, doch die Trauer in ihrer Stimme ließ sie schweigen, woraufhin Brian antwortete: "Wieso, wenn er so dämlich war, über die Straße zu laufen und dich dann noch zu provozieren? Das ist wirklich mehr als fuchshirnig."

Er unterdrückte ein Lächeln, als er sah, wie sich die von einem Ausdruck des Erstaunens erfülllten Augen der Kätzin weiteten und sie weiterzusprechen kaum imstande war. "Woher..."

"Woher ich das weiß? Meine Pfoten haben noch lange genug gebrannt wie Feuer. Ich schätze, so ein Erlebnis vergisst man nicht. Zumal hat Lucy mir früher schon oft gesagt, dass ich zu unvorsichtig sei."

"Hör zu!", fauchte Leyka, ihr vor Trauer verzerrtes Gesicht abwendend, "wenn dir meine Mutter davon erzählt hat, dann kann ich sie nicht verstehen! Beinahe hätte ich dir geglaubt!" Sie zögerte und fuhr herum, doch aufgrund ihres gesträubten Pelzes war sich Brian über ihre Wut sowie ihre Enttäuschung im Klaren. "Er ist eben tot. Ich kann es nicht ändern. Und du bist ein verdammter Lügner."

"Leyka, dreh dich um. "

"Nein. Ich gehe jetzt in den Wald und..."

Sie zögerte. Brian scharrte mit den Pfoten und suchte sich die Augenblicke vor seinem Tod ins Gedächtnis zu rufen. Was hatte er zu seiner Schwester gesagt, bevor Lucy aufgetaucht war und was er demzufolge nicht von dieser wissen konnte?

"Im Wald ist es aber dunkel", murmelte er schließlich und versuchte, seiner Stimme einen herausfordernden Ton zu geben, da er seine Schwester als Junges oft herausgefordert hatte. 

"Denkst du, ich habe Angst vor der Dunkelheit? Ich werde gehen."

Sie erhob sich auf die Pfoten und wollte gerade einen Schritt auf die von wispernden Schatten umgebenen Bäume zutun, doch dann sagte der braune Kater: "Lass es lieber. Schließlich bist du eine Kätzin." Er sah deutlich die Erinnerungen, welche bei jenen Worten in Leyka aufflammten, als diese schließlich zögerte und beinahe lautlos wisperte: "Und du bist tatsächlich ein Fuchshirn!"

Ihre blauen Augen wurden von einer Welle der Freude erleuchtet, welche die Trauer der Kätzin innerhalb weniger Augenblicke verglühen ließ, als diese herumfuhr und auf Brian zustürmte.

"Ich habe immer gewusst, dass ich dich wiedersehen würde!", rief sie aus und grub ihre Schnauze tief in den Pelz ihres Bruders, woraufhin dieser zu schnurren begann. "Ich habe dich vermisst", wisperte er und sie verharrten noch einige Augenblicke mit ineinander verschlungenen Schwänzen im hohen Gras, bis Leyka schließlich aufblickte und dem braunen Kater in die smaragdfarbenen Augen sah. "Wie ist das möglich? Ich habe gesehen, dass du gestorben bist."

Brian zögerte für einen Moment und blickte hinauf in den Himmel, als könnte er die richtige Antwort in den Sternen lesen. 

"Hör zu, es wird schwer zu verstehen sein", begann er dann mit einem unüberhörbaren Zittern in der Stimme, "und du solltest es niemanden wissen lassen, außer Lucy. Ich bin von diesem Auto getötet worden, und... Dann bin ich aufgewacht, in einem fremden Wald, dort, wo viele tote Katzen leben."

"So wie das Paradies, von dem unsere Mutter immer erzählt hat?", fragte Leyka, und zu Brians Überraschung schien sie seinen Worten völligen Glauben zu schenken.

"Ja, so ähnlich. Nur, dass wir dort nicht kämpfen und nicht jagen dürfen. Ich fand es ziemlich langweilig und habe viel Unsinn veranstaltet. Wahrscheinlich sind alle froh, dass ich weg bin."

"Hört sich ganz nach dem Brian an, den ich kenne", schnurrte die weiße Kätzin.

"Jedenfalls wollten die Katzen euch etwas mitteilen, wozu eine der toten Katzen für einige Zeit in die echte Welt zurückkehren musste. Und das habe ich dann freiwillig übernommen, weil ich dich unbedingt wiedersehen wollte."

"Sie wollten uns etwas mitteilen? Und haben ausgerechnet dich geschickt?"

"Ja", miaute der Kater und lächelte, weil er die Entscheidung der Katzen nun selbst nicht verstehen konnte. Natürlich würde er seinen Auftrag erfüllen, jedoch musste er in den Augen der übrigen Katzen nicht sonderlich verlässlich wirken.

"Ich soll euch mitteilen, dass bald die Scheune brennen wird. Ich weiß nicht, woher sie das wissen, und wieso sie es nicht verhindern können... Aber du musst es für dich behalten! Ich werde es den anderen sagen, wenn der richtige Moment kommt, wann auch immer das sein soll. So wurde es mir von Delilah aufgetragen."

"Delilah? Wer ist...", miaute Leyka, in deren Augen nunmehr Entsetzen loderte.

"Sie ist eine leicht kratzbürstige, tote Kätzin", antwortete Brian und blickte in den Himmel, beinahe eine scharfe Bemerkung oder eine Nachricht inform einer vom Himmel fallenden Fuchslosung der alten Kätzin vermutend.  "Spielt aber keine Rolle, wer sie ist. Du sagst es doch nicht, oder?"

"Natürlich nicht", versprach Leyka und rieb ihren Kopf noch einmal an der Wange ihres Bruders, ehe sie mit einem leicht vestohlenen Lächeln ihren Weg in die schützenden Wände der Scheune zurück antrat.

"Dieses Gespräch hat nie stattgefunden!", wisperte sie, woraufhin der Kater bestätigend nickte und noch einige Zeit im Gras verharrte, den klaren Blick in den von funkelnden Sternen übersäten Himmel gerichtet.

 

Das sanft rosige, durch die Lücken der modernden Wände dringende Sonnenlicht wärmte das Gesicht des Katers, woraufhin dieser blinzelte und ein leises Gähnen nicht unterdrücken konnte. Langsam erhob er sich und stellte mit einem Anflug von Überraschung fest, dass sich einige Katzen bereits außerhalb der Scheune zu befinden schienen, andere sprangen die hoch aufragenden Haufen von Stroh herab und sammelten sich in einigen kleinen Gruppen.

Beinahe glaubte Brian, einen Ausdruck der Unruhe, welcher sich über die geräumige Scheune gelegt zu haben schien, unter ihnen wahrzunehmen, woraufhin er zu dem auf einem ihm gegenüberliegenden Strohballen sitzenden Sando hinüberzuspringen beschloss. Dieser hob bei seinem Anblick den Kopf und rief, ebenfalls mit einem leisen Funken der Aufregung in der Stimme: "Oh, Brian! Wie kannst du nur so lange schlafen?"

Als er den leicht skeptisch wirkenden Ausdruck in dem Blick des sandfarbenen Katers bemerkte, versuchte er, seiner Stimme einen möglichst gleichgültigen Klang zu verleihen: "Ach, ich schlafe oft lange, weißt du..."

"Hast du denn nichts mitgekriegt?"

"Was soll ich mitgekriegt haben?"

"Dort ist ein...", begann Sando, wurde jedoch von einer weiteren Stimme unterbrochen: "Das Einzige, was Brian mitbekommen hat", miaute die die Strohballen hinaufspringende Amira und ließ sich mit einem scheinbar höhnischen Funkeln in den Augen neben den beiden Katern nieder, "ist Leyka."

"Was?", rief dieser mit einem derartigen Entsetzen aus, dass er es nicht zu unterdrücken vermochte.

"Du hast dich doch heute Nacht mit ihr getroffen. Denkst du, das hat niemand bemerkt?"

"Ich bin nur kurz in den Wald gegangen, weil ich nicht schlafen konnte, und dann war sie auch da!", suchte sich Brian zu verteidigen, doch er wusste, dass er Amira nicht anzulügen imstande war.

"Ja, das sagen sie alle", murmelte diese nur, drehte sich mit einem enttäuschten Seufzen herum und sprang schließlich mit einem eleganten Satz von dem Strohballen hinunter.

Einen nicht lange anhaltenden Augenblick blickte Sando ihr nach, ehe er an Brian gewandt sagte: "Ich will mich ja nicht einmischen, und es geht mich ja auch garnichts an, was du nachts so machst... Aber ich würde mich vielleicht eher an Amira halten, als diese Verrückte..."

"Leyka ist nicht verrückt!", fauchte er, versuchte jedoch dann, seine Wut zu unterdrücken, als er weitersprach: "Sie hat viel auszuhalten. Und ich habe sie wirklich nur zufällig draußen getroffen!"

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle Katzen bzw. Katzenfans, die sich nicht gut Titel ausdenken können :)

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