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Auf Flockys pelzigem Gesicht schimmerte das eindrucksvolle Glänzen des Schnees, welches die spitzen Nadeln der vom Sonnenlicht beschienenen Tannenbäume bedeckte. Das feuchte Stroh, das in Massen in der zerfallenen Scheune mit dem Wellblechdach angehäuft war, scheuerte unangenehm unter seinem zerzausten Pelz.
Ihm stieg der säuerliche Duft von schon länger toten Mäusen in die verkrustete Nase, als der Kater eines der kalten Tiere mit den Zähnen packte und verschlang. Die Maus schmeckte trocken und alt, doch er war hungrig, wie sein schon seit Stunden knurrender Magen verriet. Acht Monate hauste Flocky nun in der verfallenen Scheune einer Baumschule, und mit jedem Tag wurden auch einige Bäume von Menschen abgeholt. Obwohl Flocky den Grund für das Abholzen der Bäume nicht verstand, hoffte er auf das Kommen seiner Besitzer, die er nun seit acht langen Monaten nicht gesehn hatte. Aufgrund der vielen Umzüge von einem Haus zum anderen war Flocky verwirrt gewesen und er hatte vergebens nach seinem alten Zuhause gesucht, bis er diese ihm Schutz bietende Scheune entdeckt hatte. Nun hatte Flocky die Suche nach seinen Besitzern aufgegeben, er war zu einem Streuner geworden. Das ständige Rieseln der Schneeflocken entfachten Trauer in ihm, als er an die grausamen kalten Nächte in der Scheune dachte. Nie wieder würde es für ihn ein so schönes Heim geben wie er es einst gehabt hatte, dieses riesige Haus mit dem tollen Garten und dem Wald fast direkt vor der Tür. Außerdem vermisste er Moonlight, den jungen, weißen Kater mit den roten Tupfen, den besten Kletterer in der Familie und Flockys besten Freund.
Leise stieß Flocky einen mit Trauer erfüllten Seufzer aus und ließ den Kopf auf die Pfoten fallen. Eine kleine Narbe, die das Fell an seiner Vorderpfote teilte, erinnerte ihn an den gefährlichen Kampf, den ihm einst ein Fuchs von riesiger Größe geliefert hatte.
Neben der kleinen Kuhle, welche Flocky sich in dem Stroh zusammengescharrt hatte, häuften sich einige tote, nach faulem Fleisch stinkende Mäuse, die als Flockys Hauptnahrungsmittel galten. Eigentlich hätte Flocky Vögel, Fische oder normales Katzenfutter vorgezogen, doch die beißende Kälte hatte ihm alle Kräfte weggezehrt. Wie nur war es zu dieser Katastrophe gekommen? Flocky war sich sicher gewesen, den Weg zurückzufinden. Zumindest hatte er eine Bleibe gefunden, die ihn ein wenig vor dem kalten Winter schützte.
An den Wänden der Scheune hallte das laute Pfeifen des Windes wider, als Flocky sich aus der Kuhle erhob und träge zu dem Lichtschimmern am Eingang trottete. Lange, von der Decke hängende Spinnweben zausten sein Haar und Flocky schnaubte verächtlich.
Sofort versanken seine Pfoten tief im Schnee, Flocky schüttelte sich, als er sie wieder hinauszog.
Plötzlich vernahm er zwischen den vielen Tannen ein Knacken, er wusste sofort, dass jemand die Tür zu der Baumschule geöffnet hatte. Schnell versteckte sich Flocky unter einer Art altem "Wohnwagen", der direkt neben der baufälligen Scheune stand. Ein vertrauter Geruch stieg ihm in die Nase und er vernahm näher kommende Schritte, welche allerdings mit der Zeit verklangen.
Er hatte diese Stimmen und den Geruch schon einmal wahrgenommen, doch er vermochte sie nicht zuzuordnen.
Langsam eine Pfote vor die andere setztend kroch Flocky aus seinem Versteck und prüfte die Luft.


"Denkst du, dass das den richtigen Weihnachtsbaum abgeben wird?", erkundigte ich mich bei meiner Mutter und berührte vorsichtig die bläulichen Nadeln der eindrucksvollen Blautanne. "Gefällt er dir denn?", fragte meine Mutter, dessen Gesicht unter der ihr über den Augen reichenden Mütze verborgen war. Ich brachte nur ein kaum erkennbares Nicken zustande, denn mein Blick war an einer Spur im Schnee hängen geblieben.
Katzenspuren! "Mama", begann ich zögernd, "Hier ist alles voll mit Katzenspuren. Vielleicht ist Flocky hier?!"
Doch meine Mutter schüttelte mit enttäuschtem Gesicht den Kopf. "Du kannst ja mal nachsehn, aber ich denke nicht, dass das Flockys Spuren sind. Er ist schon so lange weg."
"Aber er muss noch leben!", rief ich aus und folgte mit dem Blick den tiefen Spuren im Schnee, welche teilweise in die kleine Scheune führten, andere jedoch führten mich direkt unter eine Art Wohnwagen, dessen grüner Lack mit im Sonnenlicht schimmernden Rostflecken übersät war. "Flocky?", wisperte ich leise und ließ mich auf die Knie sinken. Sofort spürte ich die Kälte, welche sich durch den dünnen Stoff meiner Hose biss, doch ich blieb standhaft und lugte durch die mit schwarzer Dunkelheit erfüllte Spalte. Aus dieser drang das grünliche Funkeln eines weit aufgerissenen Augenpaars, welches mich zu durchbohren schien. Ungläubig erwiderte ich den Blick des Tieres und wisperte ungläubig: "Flocky?"
Ein geräuschvolles Miauen war die Antwort. Sofort erkannte ich den Kater, welcher lautlos aus seinem Versteck kroch. Laut rief ich aus: "Er ist es! Es ist Flocky!" Meine Mutter weitete die braunen Augen: "Ist er es wirklich?"
Langsam streckte ich die Hand aus, um Flocky dann am Nackenfell zu packen. Der Kater wand sich zwar, doch darin lag meine einzige Chance, ihn festzuhalten. Ein riesiger Felsbrocken fiel mir vom Herzen und beinahe wären meine Augen übergeflossen. "Flocky!", wimmerte ich und presste mein Gesicht in das zerzauste Fell des Katers. "Wir alle haben gedacht, du seist tot!"
Doch plötzlich ertönte hinter mir ein lautes Gebell. "Cora!", schrie eine dritte Stimme: Meine Tante. Flocky zappelte, doch ich hatte ihn fest im Griff. Das Letzte, was mir nun passieren könnte, wäre, Flocky noch ein zweites Mal zu verlieren.

"Hilfe! Der Hund!", fauchte Flocky und fuhr die Krallen aus, um sich gegen den schwarzen Hund, welcher hinter einem vom glänzenden Pulverschnee bedeckten Gater bellte, zu wehren.
"Schschschscht...Alles ist gut, Flocky!", murmelte ich dem Kater zu und hielt ihn fester gepackt. Auf dem Weg nach Hause, den wir leider durch das Dorf zurücklegen mussten, hatte sich Flocky oft aus Angst vor heranschnellenden Autos oder kleffenden Hunden loszureißen versucht "Oh bitte, bring mich hier weg!", fauchte der Kater und zog schließlich die Krallen ein, als das laute Bellen verklang. "Ich werde nie mehr weglaufen, das verspreche ich!", schnurrte Flocky zufrieden und legte den Kopf auf meinen Arm, der sein Genick festhielt.
"Ich werde nicht mehr weglaufen."


Diese Geschichte hat sich wirklich zugetragen, Flocky hat aufgrund eines erneuten Umzugs sein altes Zuhause gesucht und sich dann verirrt. Acht lange Monate blieb er verschwunden und niemand wagte es, noch daran zu denken, dass Flocky zurückkehren würde. Doch am sechsten Dezember, einen Tag nach Nikolausabend, fanden wir ihn beim Aussuchen eines Weihnachtsbaums in einer Baumschonung. Dort befand sich auch eine kleine Scheune und eine Art Wohnwagen, worunter sich Flocky verborgen hielt. Wie in der Geschichte führten mich seine Spuren zu ihm und wir brachten ihn nach Hause, wo Flocky von den anderen Katzen, Moonlight, Marina und Schwäntis, sofort wieder als Familienmitglied anerkannt wurde.
Er hat viele recht bemerkenswerte Dinge getan, ich werde, wenn es euch nichts ausmacht ein paar davon aufzählen:
Er hatte seinen Kopf in eine McDonald´s Tüte gesteckt, um sich an den übrig gebliebenen Pommes Frites, die noch darin lagen zu erfreuen, und als er seinen Kopf schließlich wieder hob, saß ihm das Headset, das als Spielzeug dabei gewesen war, so auf dem Kopf, wie es für Menschen üblich ist zu tragen :)
Einmal hatte er seinen Kopf in eine leere Tüte Chips gesteckt und bekam diese nicht wieder ab, weshalb er dann mit der Tüte auf dem Kopf sitzend durch das Zimmer gelaufen ist. Wir haben ihm natürlich sofort geholfen, weil er sicher Angst hatte, aber es war doch eine lustige Angelegenheit.
Diese Geschichte hat mir meine Mutter nur erzählt, als ich von der Schule nach Hause kam, doch ich wünschte, ich hätte es selbst miterlebt:
Meine Mutter arbeitete gerade mit dem größten Feind, den sich Flocky je angeeignet hatte: Dem Tod bringenden, schrecklichen und bei allen Leuten gefürchteten Staubsauger.
Sie saugte gerade das Zimmer, bis ein gellender, durch das Zimmer hallender Schrei ertönte, der von einem Baby zu sein schien, jedoch dunkler und viel Lauter klang als der Schrei eines Babys. Einige Male ertönte dieses Geräusch, es klang leidend und panikerfüllt. Selbst meine Mutter bekam Angst, bis sie sah, wer den Schrei verursacht hatte: Es war Flocky, der vor der Gartentür saß und scheinbar das Dröhnen des Staubsaugers zu übertönen versuchte, was ihm auch gelang.
Einige Zeit später hörte ich Flocky wieder ähnlich kreischen, jedoch meinte meine Mutter, dass dieses Kreichen längst nicht so laut gewesen wäre wie das Letzte.
Diese Geschichte zählt nicht zu denen, die man sich später mit Freude erzählt, aber ich will sie trotzdem erwähnen: Der Tag, an dem Flocky sich dem Sternenclan anschloss, war selbst für meine Freundinnen, die Flocky zwar gut kannten, aber nie wirklich eine Verbindung zu ihm hatten, schrecklich, doch wir haben ach etwas herausgefunden, als die Tierärztin ihn geröntgt hat. Tief in seinem Bauch steckte die Kugel eines Luftgewehrs, die wohl jemand aus nächster Nähe auf Flocky abgefeuert hatte, was bedeutete, er musste ihn zunächst angelockt haben. Obwohl dies nicht der Grund für Flockys Tod war, ist es eine Schande, auf Tiere zu schießen, zumal diese einem bewaffneten Menschen gegenüber völlig wehrlos sind. Es muss passiert sein, als Flocky sich in der Wildnis herumtrieb, denn die Tierärztin sagte, der Schuss muss vor längerer Zeit hinzugefügt worden sein, da keine Wunde mehr vorhanden war.
Dies alles hat sich ebenfalls zugetragen und wir vermissen Flocky sehr. Auch wenn man bei vier Katzen keine bevorzugen sollte, war Flocky doch die Ungewöhnlichste von allen. Am 13.06.2012 mussten wir uns von ihm verabschieden, auch wenn er erst acht Jahre alt war. Ich habe seine letzten Stunden miterlebt und geholfen, ihn zu begraben. Und ich denke, das ist es, was alle an diesem Tag dachten und für die Ewigkeit denken werden: Flocky wird immer bei uns sein, er existiert, er lebt weiter in unserer Erinnerung. Und wenn es ein Wiedersehen geben wird, dann ist jenes das größte Ziel meines Lebens.

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Tag der Veröffentlichung: 10.01.2012

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