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Prolog
Mit einem leisen Knirschen öffnete sich die Tür und das kleine Mädchen trat mit begeistertem Gesicht ins Haus. Die dunkelbraunen Haare fielen ihr auf das ebenfalls dunkle Gesicht, welches fast die gleiche Farbe wie die leuchtenden, braunen Augen hatte.
Ein breites Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie ausrief: "Susans Katze hat Junge gekriegt! Und ICH war dabei! Die Kleinen sind so süß und sie darf alle drei behalten."
Eine hochgewachsene Frau mit schulterlangen, fast schwarzen Harren schritt auf sie zu und legte dem Mädchen die Hand auf die Schulter. "Das ist wirklich toll, Sammy. Wie will Susan die Kätzchen denn nennen?", erkundigte sie sich, doch das Mädchen- ihre zehnjährige Tochter- schien die Frage überhört zu haben und fuhr mit einem erwartungsvollen Funkeln in den Augen fort: "Ich möchte auch ein Kätzchen! Ich wünsche es mir so sehr! Ich würde mir eins zu Weihnachten wünschen, meinen Wunschzettel habe ich ja noch nicht geschrieben."
"Sammy, ich weiß, du hättest gerne ein Kätzchen. Aber wir haben nicht genügend Geld, um das Futter zu bezahlen. Außerdem macht so eine Katze viel Dreck und wo sollte sie auch schlafen?"
"In der Garage?", schlug Sammy vor, doch die Mutter schüttelte den schmalen Kopf und in ihrem Gesicht bildete sich eine skeptische Falte. "Das wäre zu wenig. Vielleicht in ein paar Jahren."
"Aber...", stammelte Sammy, doch ihre Mutter schnitt ihr das Wort ab: "Sammy, nein." In ihrer Stimme lag ein Ton, der keinen Wiederspruch zuließ.
Mit hängendem Kopf trottete Sammy die Holztreppen hinauf, die unter ihrem Gewicht leicht knirschten, obwohl Sammy eigentlich dünn war.
"Das ist unfair", murmelte sie vor sich hin und rannte in ihr Zimmer.Geräuschvoll knallte sie die Tür hinter sich zu, die von außen mit Bildern, Zeichnungen und Stickern übersäht war. Auch in Sammys Zimmer, dessen Wände hellblau mit intensiv leuchtenden, dunklen Streifen waren, lagen Zeichnungen auf dem Boden, in Regalen oder hingen eingerahmt an der Wand.
Sammy hatte Talent zum Zeichnen, sie hatte es geschafft, einen Zaunkönig detailgetreu auf ein Blatt zu zeichnen, welches jetzt einen Ehrenplatz an ihrem riesigen Hochbett bekommen hatte.
Allerdings konnte Sammy auch sehr gut Geschichten schreiben, sie hatte bereits ein Buch von fast zweihundert Seiten verfasst. Dazu hatte sie zwar ein halbes Jahr gebraucht, die Zeiten, in denen sie nicht zur Schule gehen musste, hatte sie dazu genutzt.
Mit traurigem Blick trottete sie zu ihrem kreisförmigen Fenster, von wo aus sie direkt zum Pferdehof blicken konnte. Dort waren nicht nur die Pferde, die einmal wöchentlich von Sammy geritten wurden, sondern auch Katzen untergebracht. Sammy, die freiwillig immer half, die Pferde zu füttern und die Ställe auszumisten, musste nichts für die Reitstunden bezahlen, nicht nur, weil sie die Pferde pflegte, sondern weil die Leiterin des Hofes über ein paar Ecken mit Sammy verwandt war.
"Ich werde schon noch ein Kätzchen bekommen", murmelte sie und ihre Augen blieben nacheinander an einigen der Katzen hängen.


1.Kapitel

Das grelle Licht der Mondsichel sickerte wie glänzendes Wasser auf den schneebedeckten Boden herab und wurde von dem weißen Schnee reflektiert, sodass es das Dorf fast so stark erhellte wie Sonnenlicht. Lautlos rieselten winzige Flocken vom Himmel herab, bis sich eine dicke Schicht aus sauberem Schnee auf der Straße und den Dächern bildete.
Nur in eine Ecke konnte der Schnee nicht völlig durchdringen: Hinter einer Reihe vollbeladener Mülltonnen und Containern lag eine kleine, graue Gestalt, deren Körper sich gleichmäßig hob und senkte. Das pelzige Wesen zitterte während es schlief und immer wieder zuckte es zusammen,denn selbst das dicke Fell vermochte die beißende Kälte während des Winters nicht aufzuhalten.
Kalter Wind blies durch die Gasse, wo sich das Tier befand und stieß eine der Mülltonnen um, die geräuschvoll auf dem Boden aufschlug und den Müll auf die Straße kullern ließ. Mit geweiteten Augen fuhr der Kater auf und schrie leise. Das Fell kräuselte sich im Sturm, doch der Kater legte die Ohren flach an den Kopf. Die Augen schloss er, als eine kalte Brise Schnee auf ihn zuwehte, dann öffnete er sie wieder zu winzigen Schlitzen, um sich durch den Schnee zu kämpfen. Eine Pfote vor die andere setzend watete er hindurch und jedesmal, wenn eine Pfote den Schnee berührte, durchfuhr ihn ein Zittern.
Seit langer Zeit hatte er keinen warmen Platz mehr gefunden und hatte schon oft daran gezweifelt, noch einige Tage zu überleben. Er wusste nicht, wieso er kein Zuhause hatte oder keine Familie, er wusste nur, dass er ein Leben lang ums Überleben kämpfen musste.
Mit geschwächten Schritten näherte er sich dem Müllhaufen und schnupperte darin herum. Plötzlich stieg ihm ein wohlriechender Geruch in die Nase, er begann, vollen Herzens den Müll zu durchstöbern, bis sein Blick an einem dicken, nur wenig angebissenen Burger hängen blieb. Dieser schien aus dem Restaurant auf der gegenüberliegenden Straße zu stammen, denn erst gestern hatte er gesehn, wie ein paar junge Menschen sich bis zum Platzen dort vollgegessen hatten. Nur diesen einen, schmackhaften Burger hatten sie wohl nicht mehr geschafft.
"Besser für mich", murmelte der junge Kater durch den dicken Pelz,´packte den Burger mit den Zähnen- dies kostete ihn Kraft, da es nur ein sehr kleines Mäulchen besaß- und biss ein großes Stück heraus.Ein wohliger Seufzer entsprang seiner Kehle, als er die kleinen Zähne in das köstliche Fleich des Burgers schlug.
"Na, du halbe Portion?", ertönte dann eine höhnische Stimme hinter dem Kater. "Bist du so verzweifelt, dass du jetzt schon den Müll frisst?"
Der Kater fuhr herum und blickte direkt in die ihn anfunkelnden Augen von Milly, der zickigen, streitsüchtigen Kätzin, welche zusammen mit ihren Besitzern in einem kleinen Anwesen in der Nachbarschaft lebte.
"Lieber esse ich Müll, statt irgendwelchen Schlabber, der aussieht wie Kotze!" Der Kater wusste zwar, dass er Milly immer wieder um ihr Haus und das tägliche Essen beneidete, natürlich wollte er das vor der Kätzin nur nicht eingestehn.
Das schwarze Fell Millys sträubte sich und sie entblößte ihre spitzen, blitzenden Zähne, als sie angriffslustig fauchte.
"Moonlight, du dummes Kätzchen, ich denke, du überlässt mir diesen Müll da und ich lasse dich dafür am Leben."
Moonlight, der Kater, fauchte zurück: "Auf keinen Fall!"
Er sprang auf eine der Mülltonnen und kletterte von dort aus auf ein steiles Dach, die Krallen schlugen sich tief in die Eisschicht. Schnell zog er seine Hinterläufe nach und rannte quer über die Häuser. In der Luft widerhallende Pfotenschritte und wütende Zischlaute verrieten ihm, dass Milly ihm folgte und er glaubte, ihren heißen Atem in seinem Nacken zu spüren.
"Es hat keinen Zweck, fortzulaufen!", fauchte die Kätzin, "Ich fange dich sowieso."
Den Burger noch immer festhaltend rannte Moonlight weiter und zwängte sich schließlich in eine enge Spalte zwischen zwei Häusern. Es kostete ihn sehr viel Kraft, sich mit allen Vieren an die überstehenden Backsteine der Häuser festzuklammern. Milly sprang geradewegs über die Spalte, blieb dann jedoch stehn und prüfte aufgeregt die Luft. "Ich weiß, dass du hier bist, Moonlight." Lautlos schlenderte sie zu einem Kamin hinüber und spähte um die Ecke, das gab Moonlight genügend Zeit, sich fallen zu lassen und in einer zwischen den zweien Häusern gespannte Wäscheleine zu verfangen.Moonlight hielt sich regungslos mit den Krallen an dem Seil fest, in der Hoffnung, Milly würde ihn nicht bemerken. Doch dann ein lautes Krachen- das Seil löste sich von dem Nagel, mit dem es an der Hauswand befestigt gewesen war, krachte zu Boden und riss den überraschten Moonlight mit sich in die Tiefe. Der junge Kater landete auf dem Rücken im kalten Schnee und blieb vorerst regungslos liegen. Die Luft blieb ihm im Hals stecken und er rang verzweifelt nach Atem. Voller Panik wand er sich auf dem eisigen Untergrund und fand schließlich das Futter neben sich wieder. Das laute Geräusch seines Aufpralls hallte noch einige Male im sternenklaren Himmel wider, dann verklang es schließlich zusammen mit Moonlights panischer Angst. Es gelang ihm wieder, langsam zu atmen und er erhob sich auf die Pfoten. Doch dieses Glück hielt nicht lange an, denn schon spähte Milly zu Moonlight herunter und fauchte: "Was wirst du jetzt tun? Solange flüchten, bis deine winzigen Knochen unter dir nachgeben und dich nicht mehr halten? Und zusammenstürzen?"
"Glaub mir, das wird eher einem Hauskätzchen passieren."
"Und wenn es keinem passiert? Willst du dein ganzes Leben weiterrennen?"
"Hmm.. Du könntest aufgeben!"
Milly kräuselte die Lippen und landete direkt neben Moonlight, dieser weitete unwillkürlich die Augen und rannte weiter, Milly dicht hinter ihm.
Dann setzte er zum Sprung an, flog durch die Luft und hielt sich mit den kleinen, aber starken Vorderpfoten an einer Dachrinne fest, das Fressen hielt er fest im Maul. "Jetzt wirst du nicht entkommen." Mit diesen Worten sprang Milly ebenfalls in die Luft, streckte ihre Pfoten nach Moonlights in der Luft baumelnden Beinen aus, und hielt sich daran fest. Der junge Kater schüttelte vergeblich die Hinterläufe, wo sich Milly festhielt,und ritzte mit den spitzen Krallen lange Furchen in das vereiste Dach.
Ein brennender Schmerz fuhr ganz plötzlich durch eines seiner Hinterläufe, als Milly sich hineinkrallte. Doch dann rann ein winziger Tropfen Blut an dem Bein herab, tropfte in eines von Millys Augen und nahm der Kätzin für einen Augenblick die Sicht. Sich panisch hin- und her windend ließ die Kätzin locker und Moonlight gelang es schließlich, sie doch noch abzuschütteln. Leichtfüßig landete die Kätzin auf der Straße und blickte dem hinter einer Reihe von Dächern verschwindenden Moonlight nach.
Dieser stieß einen erleichterten Seufzer aus und presste das verletzte Bein einmal fest in den Schnee. Der Schmerz kühlte sofort ab und Moonlight ging hocherhobenen Hauptes und mit geschwellter Brust weiter, den für ihn riesigen Burger hielt er voller Stolz in die Luft.
Milly fauchte genervt und trottete mit hängendem Schwanz davon, während Moonlight sich auf der Spitze eines Daches niederließ und genüßlich den Burger verspeiste.
"Das war wirklich spitze", sagte er an sich selbst gewandt und blickte von seinem Punkt aus direkt über das weiß glitzernde Dorf.
Er war schon fast zehn Monate alt, doch durch das im Winter dichte Fell wirkte sein Aussehn weitaus jünger.
Seine orangefarbenen Augen blitzten im Mondlicht und in weiter Ferne konnte er die Silhouette einer anderen Katze erkennen, die ihren Kopf in seine Richtung gedreht hatte.
Er vermochte sogar das Glänzen der Augen zu erkennen, die ihn direkt ansahen, schließlich sprang die Katze jedoch auf die Straße und verschwand in den tiefen Weiten des Schnees.
"Vielleicht finde ich ja doch noch eine Familie....", sagte sich Moonlight und sprang mit einem leisen Lächeln auf den Lippen von seinem Dach und suchte sich einen vorm Wind geschützten Platz in einer Mulde unter der dicken Wurzel des Baumes, welcher in der Mitte des Marktplatzes, wo Moonlight sich gerade befand, stand. Mit dem Burger,den er noch immer zwischen den Zähnen hielt, zwängte Moonlight sich in die kleine, enge Mulde, wo er schließlich sein Essen in Ruhe verspeisen konnte. Dichte Spinnweben hingen über Moonlights Kopf und ab und an rieselten harte, gefrorene Erdklümpchen auf sein graues Fell herab.
Trotz der eisigen Kälte unter seinem Pelz versuchte Moonlight vergeblich, sich zum Schlafen niederzulegen,nachdem er seine "Beute" mit genussvollen Bissen komplett verzehrt hatte. Das Pfeifen des kalten Nordwindes und die immer dicker werdende Schneeschicht verrieten, dass ein starker Blizzard herannahte oder schon eingetroffen war. Moonlight seufzte....
Milly würde jetzt wohl gemütlich vorm warmen Kaminfeuer liegen, leckeres Essen genießen und von ihren Menschen verwöhnt werden, während sie sich über sein- Moonlights- Schiksal amüsierte.
"Diese dumme Zicke......:", grummelte er vor sich hin. " ,,Bist du so verzweifelt, dass du Müll essen musst?´´ Sie wollte mir den Müll doch wegnehmen, um ihn für sich zu behalten." Skeptisch betrachtete er den Kratzer an seinem Hinterbein.
Von seinem engen Versteck aus beobachtete Moonlight, wie der Wind zerrissene Zeitungen über die Straße wehte und Müllstücke geräuschvoll über den festgefrorenen Asphalt flogen.
Die von langen, hohen Zäunen umringten Bäume schwankten stark und viele, teils sogar dicke Äste brachen.
"Ich muss morgen in jedem Fall ein paar Mäuse fangen!", sagte sich Moonlight, bevor er den Kopf erschöpft auf die Pfoten fallen ließ und wenige Augenblicke später eingeschlafen war.


2.Kapitel
Über Moonlights Kopf rührte sich etwas, ein dicker, an der "Decke" der Wurzel hängender Erdklumpen bewegte sich und darunter hervor krabbelte ein winziger Käfer, der den Erdklumpen von der Decke stürzen und auf Moonlights Kopf landen ließ.
Der Kater schreckte mit geweiteten Augen auf und schüttelte die Erde, welche in der Nacht auf ihn herabgerieselt war, aus seinem Pelz. Seine Glieder weit streckend erhob er sich und kroch aus seinem Versteck. Sofort versanken seine Pfoten in den tiefen Schichten des Schnees, ihn schauderte. Die Temperatur, so musste Moonlight feststellen, war um einiges gesunken- nicht wie die Höhe des Schnees.
Neben einer Mauer, die den Garten eines kleinen Hauses abgrenzte, lag eine eingeschneite Tonne, daneben der ausgeschüttete Müll.
Mit Kraft kostenden Schritten watete Moonlight zu dem halb eingeschneiten Haufen hinüber. Bei jedem Schritt schien Moonlight tiefer zu sinken, doch zu seiner Erleichterung hatte er schließlich den Haufen erreicht. "Vielleicht ist ja wieder so ein Prachtstück von Essen dabei", murmelte Moonlight und begann, mit gierigem Blick in dem Haufen zu wühlen. Bananenschalen, schimmelnde Yoghurtbecher und eine fast leere Konservendose fand er. Ein einziger Hering befand sich noch in der Dose, Moonlight stand die Enttäuschung deutlich ins Gesicht geschrieben. Wie lange würde er in diesem Schneesturm, der noch immer tobte, mit nur einem kleinen Fisch überleben?
"Besser als nichts", sagte er sich, wohl bewusst, dass er dies nicht wirklich glaubte, dennoch neigte er den Kopf, um den Fisch zu verspeisen.
"Das hast du dir wohl nur gedacht!" Moonlight fuhr herum und vor ihm baute sich ein riesiger, schwarzer Kater auf, den Moonlight noch nie gesehn hatte. "Los, her mit dem Fressen."
Schützend stellte sich Moonlight vor die Konservendose und bleckte die Zähne.
"Gib es her!", fauchte der Kater erneut und tat einen Schritt auf Moonlight zu, bis sich ihrer beider Nasen fast berührten, dazu musste Moonlight allerdings den Kopf recken.
"Los, mach schon den Weg frei!" Moonlight zuckte unter dem ihn einschüchternden Blick des Katers zusammen, ließ sich seine aufsteigende Angst jedoch nicht anmerken.
"Ich kann auch anders!", fauchte der kräftige Kater und fuhr die dornenscharfen Krallen aus, welche sich sofort in den Schnee bohrten. Drohend hob er die dicke Pfote, doch Moonlight blieb standhaft. Dann holte der Kater aus und versetzte Moonlight einen gewaltigen Hieb, der graue Kater stürzte zu Boden.
Mit einem schadenfrohen Lächeln , das um seinen Mund spielte, trottete der große Kater zur Konservendose hinüber und verschlang deren restlichen Inhalt genüsslich.
"Na, du erbärmlicher, kleiner Streuner?", fauchte er und warf Moonlight, als er fertig war, die leere Dose zu. "Wo ist denn deine Familie, die dich beschützt?" Der Kater bemerkte scheinbar, dass er bei Moonlight eine empfindliche Stelle getroffen hatte, und fuhr fort: "Ah, ich verstehe! Sie sind alle tot, nicht?"
Moonlight antwortete nicht.
"Du hast also niemanden, der dich liebt? Noch nie in deinem armseligen Leben war jemand stolz auf dich und hat dich gelobt. Oder haben sie dich deshalb verlassen, weil sie dich nicht mochten?"
Der Kater stieß einen seltsamen Laut aus, der wohl ein Lachen darstellte, und rannte davon. Moonlight stand die Trauer deutlich ins Gesicht geschrieben. Er blieb eine lange Zeit regungslos liegen. Er gab auf. Es würde für ihn, einen erbärmlichen, armseligen Streuner, kein Glück mehr im Leben geben, warum sollte er also auf etwas warten und hoffen, was nicht existierte? Er würde sowieso bald sterben. Und Moonlight würde nicht versuchen, dies zu ändern, denn aus welchem Grund sollte er dies auch tun?
Ohne jegliches Futter würde Moonlight den herannahenden Blizzard nicht überstehn, auch der restliche Winter würde zu hart für ihn werden.
Warum hat meine Familie mich so im Stich gelassen? fragte sich der graue Kater, Wollten sie etwa, dass es mir irgendwann so ergeht?
Irgendwie hatte Moonlight immer gewusst, dass er niemals im Leben das erreichen würde, welchem er immer hinterherlief- eine Familie zu haben, nicht auf der Straße zu leben und geliebt zu werden.
Es war zu spät für dies alles. Zu spät.
Ein eiskalter Schauer lief Moonlight den Rücken hinunter. Er hörte ein lautes Geräusch und erstarrte vor Angst, als eine dicke Schube Schnee, die wahrscheinlich von den Wipfeln des großen Baumes kam, ihn komplett unter sich begrub. Moonlight hielt den Atem an- er hatte keine andere Wahl, denn der Druck der Schneemassen presste die Luft aus seinem Körper- , und versuchte vergeblich, sich mit den scharfen Krallen durch den Schnee hindurchzugraben. Doch es gelang nicht. Er versuchte, den Schnee von seinem Körper zu kratzen, und die dicke Schneeschicht übte einen pochenden Schmerz in Moonlight aus. Er schrie auf, doch als er den Mund öffnete, drang einiges an Schnee hinein und stopfte sich in Moonlights Hals, dass er noch stärker um Atem rang.
Moonlight spürte, wie seine Sinne plötzlich von tiefer Dunkelheit erfüllt wurden, er konnte nicht sehn, er konnte nichts hören und er konnte sich nicht bewegen. Er sah nicht die weißen Schneemassen vor sich, sondern nur tiefste Schwärze. Ich wollte einmal in meinem Leben etwas leisten.
Die orangeglänzenden Augen wurden glasig und Moonlight stieß mit letzter Kraft hervor: "Ich habe nie erreicht, dass jemand stolz auf mich ist." Dann erschlaffte sein Körper und Moonlight blieb regungslos liegen.


"Sammy! Wohin gehst du? Du hast mir nicht einmal Bescheid gegeben, dass du das Haus verlässt."
"Entschuldige, Mama", murmelte Sammy kleinlaut und trat verlegen von einem Fuß auf den andern.
"Also?", hakte ihre Mutter nach und stemmte die Arme in die Hüften.
"Ich gehe zum Bäcker, um Kekse zu kaufen. Für morgen, für Weihnachten. Ich will noch ein paar Kekse mehr haben."
Ihre Mutter brachte ein verständnisvolles Nicken zustande und öffnete Sammy die helle, knirschende hölzerne Tür.
"Hast du genügend Geld bei dir?", erkundigte sie sich noch, in ihrer Stimme lag ein leiser Funken Sorge.
"ich denke doch",murmelte Sammy, "Und du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen." Mit diesen letzten Worten schloss Sammy die knarrende Holztür hinter sich und trat ins Freie. Die eisige Kälte setzte sich unter ihrer dünnen Jacke fest und ihr schauderte.
Es war früher Morgen und die Sonne war vor Kurzem erst aufgegangen, es würde vor Sonnenhoch noch wärmer werden- so hoffte Sammy jedenfalls. Sie liebte den Schnee und den Winter, jedoch solch niedrige Temperaturen entsprachen nicht ihrem Geschmack. "Warum kann es im Winter nicht ein klein wenig wärmer sein?", sagte sie hin und wieder zu sich selbst.
Mit großen Schritten watete Sammy durch den ihr beinahe bis zu den Knien reichenden Schnee.
Dort,wenige hundert Meter von ihr entfernt konnte sie hinter einer Reihe von Häusern die Wipfel des dicken, den Marktplatz kennzeichnenden Baumes erkennen. Ein dicker Eisklumpen drang in ihre hohen, mit Futter gestopften Stiefeln und schmolz mit der Zeit, die Kälte blieb jedoch erhalten.
Kalte Nässe ließ Sammy schaudern, doch sie setzte ihren Weg fort.
Ihre dunkelbraunen, in dicke Handschuhe gepackten Hände steckten in den tiefen, ebenfalls gefütterten Taschen der schneeweißen Jacke, die Sammy trug. Auf der Jacke fielen die dicken, vom Himmel herabrieselnden Schneeflocken nicht allzu sehr auf, doch Sammy spürte die Kälte und war sich der Existenz der Schneeflocken bewusst.
Dann ertönte hinter ihr ein lautes Geräusch. Sammy fuhr mit geweiteten Augen herum, ihr stand die Angst deutlich ins Gesicht geschrieben.
Hinter einem schulterhohen Gatter mit dicken Metallstäben an beiden Seiten kläffte der große, schwarze Hund der Nachbarn mit weit aufgerissenen Augen, die Sammy voller Neugier durchbohrten.
Erleichtert seufzte das Mädchen auf und streckte die Hand aus, um den ihr bekannten Hund zu streicheln. Dieser beschnüffelte sie ausgiebig und ließ sich schließlich mit leisem Wimmern in den Schnee fallen, der, wenn der Hund stand, ihm fast das Bauchfell streifte.
"Tut mir Leid, aber ich habe jetzt keine Zeit", flüsterte Sammy, doch ihre helle Stimme wurde durch das gut hörbare Rieseln des Schnees gedämpft und verklang schließlich komplett in der Luft. Das laute, fast alle Geräusche übertönende Bellen jedoch hallte mehrmals in der dünnen, kalten Luft wider, bis es dann leiser wurde und ebenfalls verklang.


3.Kapitel
In Sammys Stiefeln begann der geschmolzene Schnee, der während ihres Spaziergangs dort hineingeraten war, erneut zu Eisklumpen zu gefrieren. Sogar die Münzen, welche im Inneren von Sammys Tasche lagen, zogen die beißende Kälte des Schnees intensiv genug an, dass diese auf Sammys weiße Jacke überzugehen vermochte.
Der riesige, alte, knorrige Baum in der Mitte des Marktplatzes erstreckte sich hoch über Sammy, welche dennoch weitereilte, den Blick hielt sie auf das Ladenschild der Bäckerei gerichtet. Direkt vor der Tür befand sich ein großer Hubbel, der wie ein klein geratenes Gebirge aus dem Schnee herausragte.
Plötzlich öffnete sich die Tür und eine gedrungene, grauhaarige Fau mit einer mehlbefleckten Schürze trat hervor; das melodische Klingeln des Glöckchens erfüllten Sammy mit Glück. "Sammy?". Die alte Frau setzte sich ihre Brille, die sie zuvor in der Hand gehalten hatte, auf die Knollnase und schob sie zurecht. " Ja, ich bin´s . Ich wollte ein paar Plätzchen für Weihnachten hohlen. Ihre Bäckerei hat doch schon geöffnet, nicht?"
Die Frau lächelte. "Nun, eigentlich nicht." Sie warf einen leicht amüsierten Blick auf ihre kleine, altmodische Lederuhr und blickte Sammy danach genau in die dunklen Augen. "Normalerweise hätten wir erst in dreizehn Minuten geöffnet. Aber, du kannst trotzdem kommen. Bei dir machen wir eine Ausnahme. "Vielen Dank" , bedankte sich Sammy und brachte ein Lächeln zustande, als sie der alten Frau in die Bäckerei folgte.Vorher klopfte sie sich die Schuhe ab und betrat die kleine Bäckerei. Sie war bereits prächtig geschmückt. Über dem mit Torten überfüllten Schaufenster baumelten einige Engel-, Sterne- und Tannenbaumgirlanden, und in einer Ecke stand eine junge Blautanne, die so sehr mit Weihnachtskugeln übesät war, dass man die bläulichen Nadeln nur mit genauem Hinsehn zu erkennen vemochte. Die Wände waren mit dunklen Backsteinen verklinkert und alle paar Meter hing ein Bild- meistens war die weiße Katze der Bäckerin darauf aubgebildet.
Direkt hinter dem Eingang befand sich die Theke, und an den übrigen Stellen standen Regale mit Gebäcken. Nur eine Lücke befand sich zwischen zwei Regalen, nämlich dort, wo die Tür zum eigentlichen Wohnbereich der Familie erbaut war.
"Findest du nicht, ihr seid etwas spät dran mit euren Plätzchen? Morgen ist es immerhin so weit."
Sammy antwortete nicht, sondern hielt den Blick starr auf die junge Katze der Bäckerin gerichtet, welche gerade hinter der Theke hervorlugte.
"Sammy?", widerholte die Frau und Sammy schüttelte den Kopf. "Äähm, tut mir leid. Ja, wir sind etwas spät dran, aber das macht nichts. " "Also, was darf es sein?", erkundigte sie sich und legte die Schürze ab. " Schwarz-weiß-Gebäck. Oh, und Vanillekipferl. Und habt ihr auch ganz gewöhnliche Butterplätzchen?" Ohne zu antworten drückte die Bäckerin Sammy drei Tüten mit verschiedenen Plätzchen in beide Hände und murmelte: "Du kriegst sie kostenlos."
"Wow! Vielen Dank! Ich könnte auch den Schnee vor eurer Haustür wegschippen, oder die Katze füttern. Oder..." Die pummlige Frau schnitt Sammy das Wort ab: "Du brauchst doch nicht dafür zu arbeiten, Schätzchen!" Ihr Mund bildete ein breites Lächeln.
"Habt ihr nicht eine Spendenbox?", hakte das Mädchen nach und zog mit der freien Hand ihr gesamtes Geld aus der Tasche. " Gott segne dich, Sammy", murmelte die Bäckerin und hielt Sammy die hellblaue Kiste mit der dickgedruckten Aufschrift "Adveniat" hin.
Das klirrende Geräusch , als Münzen auf Münzen trafen, erfüllte Sammys Herz mit Frohsinn. Ihr war nichts lieber, als Menschen und anderen Lebewesen zu helfen, aufgrund dessen spendete sie ihr gesamtes Erspartes an Hilfswerke. Sie hatte nicht viel Geld, für hundert Mark hatte sie beinahe acht Wochen sparen müssen, diese hatte sie dann sofort an das Hilfswerk Adveniat gespendet.
"Ich muss jetzt gehn", murmelte sie und stellte das Kästchen wieder auf der Theke ab. "Sonst macht sich Mama Sorgen."
Mit einem reinweißen Taschentuch winkte die alte Frau ihr hinterher, als Sammy die Bäckerei verließ und die Tür mit dem Klang des Glöckchens hinter sich schloss.
Sofort blieb Sammys Blick wieder an dem Hubbel im Schnee hängen.
"Was ist das?", wisperte Sammy und schritt auf jenen Hubbel zu, der sie sehr mit Neugier erfüllte. Rührte sich dort nicht etwas?
Sammy seufzte. Was sollte sie tun? Ihre Hände begannen, nervös zu zittern und sie schauderte. Mit der freien Hand schob sie vorsichtig eine Schube Schnee zur Seite, doch darunter lag nur noch mehr Schnee. Unter dieser dicken Schicht musste sich irgendetwas befinden, das hatte sie irgendwie im Gefühl.
Langsam arbeitete sie sich durch die Schicht, bis sie plötzlich etwas Weiches spürte. Etwas Graues befand sich unter dem Schnee, Sammy grub weiter. Dann schrie sie auf und machte einen Satz nach hinten. "Oh mein Gott!", rief sie aus und näherte sich vorsichtig wieder dem Hügel. "Das ist eine Katze!" Langsam berührte sie den leblosen Körper und grub den Kopf und die Hinterbeine aus, kalte Tränen liefen ihr über die Wangen.
"Wer hat so etwas getan?" , fragte sie sich noch mit ausdruckslosem Gesicht, doch in ihrer Stimme klang Entsetzen.
Doch plötzlich sah sie, wie sich die Flanke des Tieres mit zackigen Bewegungen hob und senkte. "Sie lebt", stammelte sie völlig ungläubig und hob das eiskalte Tier mit beiden Händen auf, die Plätzchen stellte sie einfach auf der Straße ab und vergaß sie völlig.
"Das arme Tier wird sterben". Mit diesem festsitzenden Gedanken zog sie hastig die Jacke aus und wickelte die scheinbar nur bewusstlose Katze darin ein. Nur einen dünnen, beinahe durchsichtigen Pullover trug sie unter der Jacke, doch das Leben der Katze, das nun von ihr abhing, stand für sie an erster Stelle.
Die weit aufgerissenen, glasigen Augen des Tieres schienen Sammy zu durchbohren, dennoch ließ sie die Augen und die Nase frei. Den restlichen Körper wickelte sie in ihre flauschige Jacke.
"Keine Sorge!", flüsterte sie in das erkaltete Ohr der Katze, "Du wirst nicht sterben. Ich verspreche es."
Sie wusste zwar, dass die Katze sie nicht verstand, auch hätte sie es nicht im wachen Zustand tun können, aber sie fühlte sich bei ihren eigenen Worten unwillkürlich getröstet. Mit schnellen Schritten eilte sie über den Marktplatz und steuerte geradewegs auf ihr Zuhause zu, sie achtete nicht auf Menschen, die sie möglicherweise hätte anrempeln können. Durch ihren Kopf schossen nur vereinzelte Bilder der Katze.
Würde sie überleben? Und wenn, was könnte dann wohl mit ihr geschehn? Sammy ahnte, dass ihre Mutter die Katze verkaufen oder ins Tierheim bringen müsse, doch gäbe es keine Möglichkeit, die Katze zu behalten? Sammy verfluchte insgeheim ihre Probleme mit dem Geld, und es gäbe nichts, was sie nicht tun würde, die Katze behalten zu dürfen. Doch leider wusste sie, dass es keine Möglichkeit gab. Nicht solange sie kein Geld besaß.
Plötzlich erkannte sie in der Ferne einen größer werdenden, grünen Punkt vorm Horizont.
Sie konnte nach einiger Zeit die Silhouette ihrer Mutter ausmachen, die im Eiltempo auf sie zugelaufen kam.
"Sammy!" war von weitem schon ihre Stimme zu vernehmen. "Was ist jetzt schon wieder passiert?", murmelte Sammy zu sich selbst. Fast ahnte sie, ihre Mutter hätte zum wiederholten Male bemerkt, dass Sammy etwas Wichtiges entfallen war, doch dem war dieses Mal nicht so.
"Du wirst mir das,was ich dir jetzt erzähle, nie glauben."
"Ist es schlimm? Sehr schlimm?", stammelte sie schon, doch ihre Mutter schüttelte den Kopf. "Du bist Siegerin von ganz Europa!" "Worin? Doch nicht etwa im Schreibwettbewerb?"
Vor einigen Wochen hatte Sammy ein selbst verfasstes Buch bei einem Europawettbewerb teilnehmen lassen- und tatsächlich gesiegt!
"Was ist der Preis?", fragte sie weiter. "Der Preis sind..." die Mutter stockte und blickte auf den regungslosen Körper der Katze. "Was hast du da?"
"Ach Mama, ich habe dieses arme Tier im Schnee gefunden! Es wird sterben. Wir müssen es sofort in eine Klinik bringen. Wenn wir dazu noch ausreichend Geld haben...."
"Wir werden genügend Geld haben." Fragend blickte Sammy ihre Mutter an und murmelte: "Wieso?"
"Weil du für uns mit deinem Buch fünfzehntausend Mark gewonnen hast."
"Nein..", rief Sammy ungläubig aus. "Das kann nicht sein. Das...Das muss ein Traum sein."
"Ist es nicht".
Unbändige Freude flammte wie ein loderndes Feuer in Sammy auf, sie vermochte nicht zu glauben, was sie soeben gehört hatte. Als sie sah, wie ihre Mutter ein großes dickes Kuvert aus der Manteltasche zog, in welchem sich das Geld befand, wusste sie, dass es tatsächlich der Wahrheit entsprach.
"Wir werden dieses Tier sofort zu einem Tierartzt bringen."
"Aber wo wird die Katze bleiben?"
"Hmm... Ich hätte schon eine Idee!", antwortete die Mutter und nahm ihre Tochter mit einem Lächeln in die Arme.

Klack....Klack....Klack....
Moonlight blinzelte. Er war durch ein lautes Klappern geweckt worden, welches direkt neben ihm ertönt war. Fast ahnte er, wieder die Kälte und den ihn zerschmetternden Druck der auf ihm lastenden Schneemassen zu spüren, doch diese waren verschwunden. Auch unter seinem Pelz war die Kälte herausgekrochen und Moonlight vermochte sich wieder zu bewegen. Doch in seinem Kopf schwirrten seine Gedanken wild durcheinander. Wo befand er sich? Oder war er bereits gestorben und lag nun auf einem Wolkenbett inmitten von Sternen, möglicherweise bei seiner Familie?
Doch dann öffnete er die Augen und erstarrte. Direkt vor ihm loderte ein hohes Feuer. Gerade wollte er aufspringen, doch dann sah er, das sich das Feuer in einer Art aus Backsteinen erbauten "Kasten" befand.
Natürlich! fiel ihm plötzlich ein, dieses Ding muss ein Kamin sein!
Nur, er fragte sich, wie er hierher gelangt sein konnte. An seiner rechten Vorderpfote spürte er einen leichten, pieksenden Schmerz und drehte sich mit trägen Bewegungen um. Dort,auf einem mit floralen Mustern verzierten Teppichoden, stand eine kreisförmige Platte mit einer kleinen Mulde in der Mitte, in welcher ein großer Berg von Futterbröckchen angehäuft war.
"Mama, er ist wach!", vernahm er plötzlich eine von Fröhlichkeit erfüllte Stimme hinter sich, als leise Schritte ertönten, die in seine Richtung kamen. Nach wenigen Augenblicken spürte er eine zärtliche, warme Berührung auf seinem Kopf und er seufzte wohlig. Bei wem immer er sich befand- der jenige hatte ihm das Leben gerettet, wohl aus Liebe zu ihm. "Das habe ich mir immer gewünscht", schnurrte Moonlight und presste den Kopf gegen die Hand, die ihn streichelte. "Pass auf, Sammy, dass du nicht das Pflaster berührst."
Und wessen Stimme war das jetzt? Was war denn ein Pflaster? Moonlight schossen Bilder durch den Kopf und er überlegte, wer ihn bei sich zu Hause aufgenommen haben könnte. Dann betrachtete er seine rechte Vorderpfote. Dort befanden sich zwei weiße, über Kreuz gelegene Streifen und er spürte wieder dieses eigenartige Stechen.


4.Kapitel
"Du bist nun ein Teil unserer Famillie", flüsterte ihm das kleine Mädchen ins Ohr, sodass er ihren warmen Atem auf seinem Ohr spürte. An ihre Mutter gewandt fügte sie hinzu: "Wie lange wird es dauern, bis er sich völlig von seinem Besuch beim Tierarzt erholt hat?"
Dieses Wort "Tierarzt" schien Moonlight vertraut. Milly hatte davon erzählt- sie hatte ihm davon während eines Kampfs zwischen ihnen beiden berichtet.
Sie hatte erzählt, mit einem spitzen, dünnen Gegenstand gepiekst worden zu sein, ihr wäre dann ganz schwindlig geworden und sie hätte das Bewusstsein verloren. Danach hatte sie an der Schulter ebenfalls diese weißen, überkreuzten Streifen getragen, die sich wohl Pflaster nannten.
Auch Moonlight konnte sich nicht erinnern, wo er sich vor Kurzem aufgehalten hatte. Er wusste nur, dass er unter Schneemassen begraben gewesen war.
"Er hat nur eine kleine Spritze hinter sich. In ein paar Stunden hat er sich erholt. Denkst du, er hat Besitzer?" erklang die Stimme der Mutter, und daraufhin antwortete das Mädchen: "Nein, sonst besäße er eine Steuermarke."
Jede Katze, die in einem Haus mit Menschen zusammenlebte, war dazu verpflichtet, eine Steuermarke zu tragen, sonst hätte ein Tierfänger die Erlaubnis gehabt, eine Katze
zu entführen.
"Jetzt haben wir genug Geld, die Katze zu behalten. Wir können in einer Woche sofort eine Steuermarke für ihn besorgen. Hast du dir schon einen Namen überlegt?", erkundigte sich die Mutter.
Das kleine Mädchen grübelte und setzte eine nachdenkliche Miene auf.
"Ich nenne ihn.... Sam. Ich heiße Sammy, und mein Kater heißt Sam. Das passt doch."
Moonlight war mit seinem neuen Namen zufrieden. Zwar hatte er es nicht erwartet, innerhalb zwei Sekunden einen neuen Namen zu erhalten, er gab sich trotzdem damit zufrieden .
" Willst du ihm vielleicht dein Zimmer zeigen?", schlug die Mutter vor und hob Sam in die Arme, um ihn die Treppe hinaufzutragen. "Wow!", schnurrte Sam und seufzte wohlig. "Dies ist das Leben, wie ich es mir immer gewünscht habe."
Er spürte das leichte Klackern der Schuhe der Frau, als diese ihn die Holztreppe hinauftrug, eine mit seltsamen, kleinen Bildern übersäte Tür öffnete , um ihn auf der aus altem Backstein erbauten Fensterbank abzustellen.
"Dies ist Sammys und dein Zimmer", erklärte sie der Katze, welche wie auf ein stilles Kommando zu schnurren begann.
Sammy schritt zu ihrem Kater hinüber und küsste ihn auf den pelzigen Kopf. "Du kannst jetzt das Zimmer erkunden, wenn du möchtest."
Erschöpft trottete sie zu ihrem Hochbett hinüber und kletterte an den Seitenstreben hinauf, sie war um einiges stärker als ihr Anblick verriet.
Doch dann wandte Sam den Blick wieder von dem Mädchen ab und blickte in die weiße , mit Weihnachtsglanz erfüllte Landschaft. Dort drüben, hinter ein paar dicken Birken, blieb Sams Blick an dem Ponyhof hängen. Auf dem Dach des Hauptgebäudes, in dem einige Pferde ihre Ställe hatten, saß eine kleine, hübsche Katze mit einem weißen Pelz, der von rötlichen Tupfen übersät war. Ihre braunen, von einem geheimnisvollen Leuchten erfüllten Augen blickten zu Sam hinüber, der ihren neugierigen Blick erwiederte.
Ja, er würde jetzt sein Glück, welches er bisher nicht gekannt hatte, nachholen. Er würde ein Leben leben, das er sich in seinen fantastischsten Träumen nicht hätte vorstellen können.
Er würde beginnen, zu leben.

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Tag der Veröffentlichung: 21.12.2011

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