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Im gegenseitigen Einverständnis erschufen sie sich eine Parallelwelt, in der weder Zeit noch Ort eine Rolle spielten und sie alles sein und haben durften, was ihnen nur gerade einfiel. Oft stellten sie sich vor, einer von beiden könnte sich einfach so ins Auto setzen und trotz der vielen trennenden Kilometer in einer Viertelstunde beim anderen sein, sich auf dessen Schoß setzen, sein Gesicht in die Hände nehmen, seine Stirn küssen und so alle Last des Tages, allen Schmerz, alle Schwere von ihm nehmen. Sie beschworen gemeinsam Bilder herauf, deren perfekte Schönheit ihnen beiden gleichermaßen weh und gut tat und an denen sie sich entlang hangelten wie zwei im Wald verloren gegangene Kinder an einer Brotkrumenspur.

Dann holte sie die wahrhaftige Bitterkeit der Realität ein und jedes der irgendwann einmal gemalten Bilder wurde zu einem Haken, der sich tief ins wunde Fleisch schnitt. Alle die kleinen Geschichten, die sie allein oder zusammen ersonnen hatten, zerschellten an dem, was sie beide lebten, wie sie beide lebten, in jener Welt, in der sie waren, was sie waren und wie sie waren und der verzweifelte Versuch, ihrer Traumwelt eine neue Basis, eine wahrhafte Substanz zu verschaffen, in dem sie sich trafen, Zeit miteinander verbrachten, sich in wilder, zügelloser Leidenschaft liebten, beschleunigte den Zerfall und vergrößerte die Distanz zwischen Sein und Schein in einem Maße, wie sie sich niemals hatten vorstellen können.

Verzweifelt umklammerten sie die Trümmer ihres Luftschlosses. Es kann so nicht enden! Es darf so nicht enden! Es war doch so schön! So ... perfekt...

Sie waren zu feige, herauszufinden, wieviel sich von allen ihren Traumbildern ins echte Leben retten lassen würde und sie waren zu feige, mit einem Peitschenhieb alles Verbindende zwischen sich zu zerschlagen. Sie waren zu feige, sich aneinander auszuprobieren und zu feige, sich loszulassen, denn beides hätte mehr, viel mehr gebraucht, als nur das Färben bunter Bilder und das Flüstern zärtlicher Worte – beides hätte Kraft und Mut und Wahrheiten gefordert. Einsatz. Echten Einsatz und nicht nur dessen Vortäuschung in Pastelltönen.

Sie malten keine Bilder mehr. Träumten nicht mehr. Sie wussten voneinander und litten aneinander. Wie die Katzen schleckten sie die Puddingreste von den Tellerrändern und trauerten dem nach, was sie hatten, von dem sie gerne glauben würden, es gehabt zu haben. In Wahrheit hatten sie nur tausende von „was wäre wenn“. In Wahrheit haben sie nur tausende von „was wäre wenn“. In Wahrheit werden sie niemals mehr haben als tausende von „was wäre wenn“.

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Tag der Veröffentlichung: 08.06.2008

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