Noch nie hatte sie viele Gefühle gezeigt. Das würde man ihr nur als Schwäche auslegen, dass hatte sie früh gelernt. Und aufgehört, irgendjemandem zu vertrauen. Sie war schon zu oft hintergangen worden.
Sie hatte eigentlich keine Freunde, sprach nur ab und zu mit ihren Klassenkameraden und schützte die ganze Zeit vor, nichts und niemanden zu brauchen. Sie war zwar nicht wirklich glücklich, aber so konnte sie leben. Besser, als jederzeit fürchten zu müssen, wegen einem Streit mit der ‚besten Freundin‘ die eigenen Geheimisse überall in der Schule zu hören.
Glaubte sie zumindest.
Es funktionierte gut, niemand kam ihr zu nahe, und sie war zunehmend gern allein. So, fand sie, war es viel einfacher, zu leben.
Einige Male hatte sie sich zu einem Jungen hingezogen gefühlt, doch sie hatte diese Gefühle niedergekämpft, weil sie den Gedanken nicht ertragen konnte, jemandem zu vertrauen oder ihm sogar zu sagen, wie wichtig er ihr war. Was, wenn er sie nicht liebte? Oder das in der Schule herumerzählte?
Ein unerträglicher Gedanke in ihren Augen.
Also ignorierte sie ihre Gefühle, so gut sie konnte.
Immer war es dieselbe Qual.
Jedes Mal, wenn sie verliebt war – oder zumindest glaubte sie, dass es dieses Gefühl war – und sie aus dem Haus musste (Schule, Einkaufen…) musste sie sich zwingen, nicht in den vorbeigehenden Grüppchen nach dem Gesicht zu gucken, das sie ständig vor Augen hatte.
Ihr Inneres fühlte sich dann immer hohl an, und irgendetwas schien darin gefangen, das schwerer war als Schmetterlinge.
Vielleicht Schlangen.
Am liebsten hätte sie sich zu diesen Zeiten einfach in ihrem Zimmer verkrochen, bis es vorbei war, doch sie musste zur Schule. Und so ertrug sie es, ohne jemandem je davon zu erzählen.
Als sie mit der Schule fertig war, zog sie fort. Sie wollte sich ein neues Leben aufbauen, fernab von jedem menschlichen Wesen, das ihr erneut solch eine Qual bereiten konnte. Der Sturm der so gegensätzlichen Gefühle war zu heftig, als dass sie ihm noch viele Male hätte standhalten können. Sie wollte lieber nichts riskieren.
Das Alleinsein war für sie inzwischen so normal, dass es sich schon fast richtig anfühlte.
Weil sie Angst hatte, jemand könnte sie für die Person, die sie war, verachten, traute sie sich nie, sich irgendjemandem anzuvertrauen.
Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie auf einem abgelegenen Landsitz mit einer Bibliothek. Bücher hatte sie schon immer geliebt. Durch sie konnte sie vergessen, wer sie war. Zumindest eine Zeit lang.
Irgendwann bekam sie ein Buch über Philosophie in die Hände, über Menschen, die nach dem Sinn des Lebens suchten. Sie begann auch, danach zu suchen. Und als sie ihn nicht fand, gab sie auf. Nicht nur die Suche, sondern auch ihr Leben.
Texte: K. S. F.
Tag der Veröffentlichung: 14.09.2012
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