Jan war kein glücklicher Mensch nachdem er nach der Pleite seines Arbeitgebers, einem Hotel, vor kurzer Zeit gekündigt wurde und nun Arbeitslosenhilfe bezog.
Ab Januar würde er nur noch das sogenannte ALG II bekommen und dies löste bei Jan keine Begeisterung aus. Der Dezember war in drei Tagen vorbei.
Die sechzehn Formularseiten des Arbeitsamtes hatte Jan mürrisch ausgefüllt und sich damit vor dem Staat finanziell quasi gläsern gemacht. Jetzt wussten die Bürokraten beim Arbeitsamt wie hoch sein Kontostand war, welches nicht vorhandene Vermögen er besaß und was für ein Auto er fuhr.
Noch immer war Jan über diese Wissensgier des Staates zutiefst verärgert und wartete auf die Antwort vom Arbeitsamt, denn mittlerweile waren sechs Wochen seit dem Versand der Hartz IV Unterlagen vergangen.
Heute platzte dem jungen Mann der Kragen, stand in aller Frühe gegen 7 Uhr auf und traf innerhalb einer Stunde mit einigen Papierkram unterm Arm beim Arbeitsamt ein.
Da stand das große vierstöckige Gebäude nun, von außen betongrau und teils mit Graffitis beschmiert, wirkte das Arbeitsamt oder neudeutsch Arbeitsagentur eher unsympathisch und wenig einladend.
Kaum hatte Jan durch die gläserne Automatiktür das Arbeitsamt betreten änderte sich das Bild. Der Eingangsbereich wurde von künstlichen Licht durchflutet und hatte weiße Wände. Das gleißende Licht blendete Jan fast und musste die Augen einen Moment zukneifen.
An Computerterminals saßen einige Arbeitslose die nach Jobs suchten und eher traurig dreinschauten. Er begab sich zu einem freien Computerterminal und schaute seinen Leidensgenossen über die Schulter. Einer der Arbeitslosen reagierte recht unfreundlich.
„Hey, was schnüffelst du hier rum?! Verpiss dich!“, machte ein Mann Mitte Dreißig und seinem Ärger Luft.
„Ist ja schon gut. Jan ist mein Name. Was für einen Job suchst du?“, wollte Jan in Erfahrung bringen, verschränkte seine Arme dabei und schaute auf den flimmernden Bildschirm.
„Ich bin Benedikt und suche seit fast zwei Jahren einen Job in der Baubranche aber finde keinen. Ich habe Polier gelernt.“, erwiderte Benedikt knapp.
„Der Baubranche geht es mies.“, stellte Jan fest.
„Jo aber ich muss jetzt mal weitersuchen. Vielleicht sieht man sich ja noch mal.“, verabschiedete sich Benedikt und klickte sich weiter durch die wenigen Jobanzeigen, die er vorfand.
Jan verabschiedete sich ebenfalls und begab sich zur halbgläsernen Durchgangstür hin zum Treppenhaus. Als er die Treppen zum zweiten Stockwerk betrat, wurde es wieder leicht dunkel, denn die durch zwei kleine Fensterchen herein scheinende Sonne erhellte das Treppenhaus nur sehr spärlich.
Im zweiten Stockwerk angelangt, musste er erst mal zu einem Infoschalter gehen um sich dort zu informieren, in welchen Büro sein Arbeitsvermittler zu finden war.
„Guten Morgen, mein Name ist Jan Walder und suche das Büro von meinem Arbeitsberater, Herrn Schafhorn.“, begrüßte der junge Mann eine mürrisch dreinschauende Angestellte.
„Zimmer 21A. Einfach den Flur entlang und dann dass vorletzte Zimmer.“, antwortete die schwarzhaarige hübsche Frau knapp.
„Danke“, verabschiedete sich Jan und begab sich langsamen Schrittes zum Zimmer21A. Vor der Tür wartete eine Schlange aus einem halben Dutzend arbeitsloser Menschen. Traurige Blicke, genervte und finstere Blicke begrüßten ihn.
„Guten Morgen“, begrüßte Jan seine Leidensgenossen aber bekam nur mürrische traurige Blicke als Antwort. Nur eine junge rothaarige Frau ragte aus den Jobsuchenden heraus und begab sich vom Anfang der Schlange hin zu Jan, der am Ende stand.
„Guten Morgen. Na, bist du auch auf Jobsuche?!“, begrüßte sie ihn.
„Indirekt, das liebe Arbeitsamt hat meine Hartz IV Unterlagen die ich vor sechs Wochen zugeschickt hatte, wohl verbummelt. Die Bürokraten scheinen gar nichts zu peilen.“, antwortete Jan lächelnd.
„Ups, typisch Bürokraten eben. Ich bin übrigens Nadine.“, antwortete die Rothaarige fröhlich und schüttelte Jan zuvorkommend die Hand.
„Wo kommst du her?“, wollte er wissen.
„Aus Olsberg und du?“, sagte Nadine knapp und lächelte dabei wobei sich ihre Lachgrübchen zeigten.
„Meschede“, lautete Jan´s knappe Antwort.
„Ui, da wohnen wir ja in der Nähe.“, freute sich Nadine und drückte Jan unverhofft einen kleinen gelben Notiz-Zettel in die Hand.
„Deine Adresse nehme ich an.“, schätzte Jan und lag richtig. Nadine nickte.
Die Unterhaltung der beiden erfuhr eine plötzliche Unterbrechung, als sich die grüne Tür öffnete und Nadine hereingebeten wurde.
„Dann will ich mal sehen ob mir Herr Schafhorn einen Job anzubieten hat“, hoffte sie und verschwand im Büro. Nach nur rund fünf Minuten kam Nadine leicht lächelnd aus dem Büro heraus.
„Na und einen Job bekommen?“, fragte Jan freundlich.
„Mehr oder weniger. Ich soll als Kellnerin in einem Cafe arbeiten obwohl ich den Beruf der Hauswirtschafterin erlernt habe. Naja was soll´s, es bringt mir 750 Euro netto ein und dass ist mehr als nichts.“, fand sich Nadine mit der Tatsache ab.
„Lieber einen schlechtbezahlten Job als gar keinen“, machte Jan ihr Mut und erntete ein Grinsen.
„Klar, wir können uns ja morgen zu einer Radtour treffen. Ich wünsche dir viel Glück und hoffe dass das Arbeitsamt die Unterlagen wiederfindet.“, antwortete Nadine kurz und verschwand ins Treppenhaus.
Er zählte die Minuten, stand sich die Beine in den Bauch und wurde langsam aber sicher ungeduldig und ging nervös umher.
Dann endlich nach einer geschlagenen Stunde war er endlich an der Reihe und wurde hereingebeten. Das Büro des Fallmanagers war mit einem grauen Schreibtisch, zwei Bürodrehstühlen und einem Rechner sowie einem Ordnerschrank ausgestattet. Durch das große Bürofenster schien die Sonne herein.
„Guten Morgen Herr Walder, setzen sie sich.“, begrüßte der Fallmanager ihn freundlich. Jan setzte sich auf den Bürodrehstuhl vor dem Schreibtisch.
„Guten Morgen, ich bin stinksauer!“, grüßte Jan scharf zurück und holte aus seiner Jackentasche die Kopien der sechszehn Formularseiten hervor, deren Originale er zum Arbeitsamt geschickt hatte und knallte sie auf den Tisch.
„Ja, worum geht es denn?!“, fragte Herr Schafhorn kühl und drehte an seinem grauen Schnurrbart, dessen Enden gekräuselt waren und Jan an einen Starkoch aus dem Fernsehen erinnerten. Er musste kurz schmunzeln.
„Ich habe dem Arbeitsamt vor sechs Wochen diese Hartz IV Unterlagen geschickt aber bis heute habe ich keine Antwort erhalten. Warum?!“, regte sich Jan auf und musste sich zusammenreißen. Denn innerlich kochte er vor Wut aber hielt inne.
„Oh, dass ist aber. Moment.“, stotterte der Fallmanager und schaute sich die ausgefüllten Seiten der Hartz IV Unterlagen an.
„Ich pfeife finanziell aus dem letzten Loch...“, schimpfe Jan gehässig aber der Fallmanager hörte nicht hin sondern las sich die Unterlagen durch und tippe dann auf die Tastatur seines Rechners herum.
„Na und?! Was ist?!“, fragte Jan ungeduldig nach.
„Warten Sie bitte einen Moment, ja?! Kann ihre Lage ja verstehen...“, lautete Herrn Scharfhorns genervte Anwort. Die Zeit zog langsam dahin und stellte Jan auf eine starke Geduldsprobe.
„Tut mir leid, der Computer sagt dass ihre Unterlagen nicht vorhanden sind.“, sprach Herr Schafhorn. Der Gesichtsausdruck von Jan wurde düster und schaute seinen Fallmanager erbost an.
„Packt ihr vom Arbeitsamt denn überhaupt nichts? Die Formulare habe ich alle ausgefüllt und vor sechs Wochen abgeschickt, wie bereits gesagt.“, erklärte Jan und legte die Postquittung vor.
„Ist mir jetzt unendlich peinlich. Ich weiß auch nicht was mit ihren Unterlagen geschehen ist.“, versuchte der Fallmanager das bürokratische Missgeschick zu erklären und begutachtete dabei die Postquittungen.
„Ich stehe ohne Geld da Mensch!!!“, kam es aus Jan bebend herausgeschossen und legte dem Fallmanager ein paar Rechnungen auf den Tisch.
„Warum knallen Sie mir ihre Rechnungen jetzt auf den Tisch?“, fragte der Beamte überrascht.
„Ich muss diese fünf Rechnungen bezahlen. Darunter sind drei Mahnungen und eine Zahlungserinnerung.“, klärte er den Fallmanager auf.
„Okay, ich verstehe. Dass einzige was ich Ihnen anbieten kann ist eine Abschlagszahlung in Höhe von 60 % ihrer letzten Arbeitslosenhilfe.“, versuchte er die Lage in der sich Jan befand zu entschärfen. Zähneknirschend willigte Jan ein.
„Gehen Sie mit diesem Formular zum Kassenbüro im ersten Stock. Ich werde die Kopien ihrer Hartz IV Unterlagen hier behalten und alles einleiten damit Sie ihr Arbeitslosengeld II bekommen.“, versicherte er und überreichte Jan ein einseitiges Formular, welches er unterschreiben musste. Er unterschrieb es hastig.
Jan packte das unterschriebene Formular und seine Rechnungen wieder ein. Sein Weg führte zum Kassenbüro.
Vor dem Kassenbüro war nur wenig los wodurch Jan sofort an der Reihe war und in einem kleinen fensterlosen Büro Platz nahm. Die Angestellte schien im Stress zu sein, denn sie beachtete ihn im ersten Moment gar nicht trotz seiner freundlichen Begrüßung.
„Hallo?“, versuchte Jan sich bemerkbar zu machen und die Angestellte horchte von ihren Akten auf und rückte ihre Lesebrille zurecht.
„Ja? Was kann ich für sie tun?“, fragte die Frau und schaute Jan dabei müde lächelnd an.
„Hier“, sagte Jan knapp und legte ihr das Formular vor die Nase.
Die Angestellte schaute sich das Papier an und holte eine Geldkassette aus einer Schublade ihres Schreibtisches hervor. Mit einem silbernen Schüssel öffnete sie das metallene Ding.
„So, hier sind 189,64 Euro“, sagte die Frau und gab Jan ein paar Geldscheine und Münzen. Er steckte sich das Geld sofort in die Brieftasche, verschwand aus dem muffigen Arbeitsamt und fuhr nach Hause.
Zuhause angekommen konnte er drei der fünf Rechnungen bezahlen und stand danach finanziell wieder nur mit ein paar Euros da.
Jan war frustriert aber da war ja noch der Zettel den er von Nadine bekommen hatte und rief die dortige Rufnummer an. Am anderen Ende klingelte es und nach dem vierten Mal hob jemand ab.
„Nadine Schmidt. Guten Tag.“, begrüßte sie den Anrufenden.
„Hallo Nadine, ich bin es Jan. Hast du nicht jetzt schon Lust auf eine Radtour?“, fragte Jan lächelnd.
„Ach Jan vom Arbeitsamt. Du, ich habe den Job bekommen und muss bis 16 Uhr arbeiten aber ab halb Fünf habe ich Zeit.“, fiel es ihr wie Schuppen aus den Haaren.
„Okay, ich fahre dann die 15 Kilometer zu dir und können dann eine gemeinsame Radtour rund um Olsberg machen.“, freute sich Jan schon auf die Radtour.
„Einverstanden. Dann bis um 16:30 Uhr.“, verabschiedete sich Nadine und legte auf.
Jan holte die Tageszeitung aus dem Briefkasten, schenkte den Nachrichtenmeldungen kaum Beachtung und widmete sich den Jobanzeigen.
Er ging die Jobanzeigen durch aber fand nur zwei Jobangebote, die für ihn in Frage kämen und rief eines der Unternehmen an.
„Gerhard Hasenwinkel vom Hotel Hasenwinkel am Apparat. Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“, begrüßte eine ältere Stimme am anderen Ende Jan.
„Jan Walder mein Name, ich habe gelesen dass Sie einen Hotelkaufmann suchen und wollte wissen ob die Stelle noch frei ist.“, erfragte Jan.
„Herr Walder, ja die Stelle ist noch frei. Kommen Sie doch am besten gleich mit ihren Unterlagen vorbei.“, lautete die positive Antwort des Hotelchefs.
„Wunderbar, ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen.“, strahlte Jan und der Hotelchef verabschiedete sich hoffnungsvoll. Sogleich packte Jan seine Zeugnisse und sonstigen wichtigen Unterlagen zusammen, verließ seine kleine Wohnung und fuhr mit dem nächsten Bus zum Hotel am Rande seiner Heimatstadt.
Das schmucke mit Fachwerk verkleidete alteingesessene Hotel lag direkt am schönen Hennesee hinter Meschede und war gut besucht. Vor dem Gebäude parkten ein Dutzend Autos. Nachdem er sich an der Rezeption vorgestellt hatte, wurde er zum Büro des Hotelchefs geführt und überstand das Bewerbungsgespräch nach seinem Gefühl meisterhaft.
„Ja, Herr Walder, ihre Berufserfahrung ist zwar nicht sonderlich groß aber ihre Motivation und Interesse ist bemerkenswert.“, zog Herr Hasenwinkel das Fazit und holte gleich ein Blatt Papier aus einer seiner Schubladen.
„Ich habe den Job?“, fragte Jan neugierig und der Hotelchef nickte freundlich.
„Sie haben den Job und werden 1400 Euro netto verdienen. Ihre Arbeitszeit ist Montag bis Samstag von sieben bis achtzehn Uhr und können am morgigen Dienstag gleich anfangen.“, antwortete Herr Hasenwinkel wohlwissend während Jan seine Unterschrift unter den Arbeitsvertrag setzte.
„Dann bedanke ich mich und freue mich schon auf die Arbeit.“, dankte er seinem neuen Arbeitgeber und verabschiedete sich freundlich von ihm.
„Bis morgen dann und auf Pünktlichkeit lege ich größten Wert!“, schärfte er ihn lächelnd ein.
Jan fuhr freudestrahlend nach Hause und von dort aus nach Olsberg aber unterwegs verlor der hintere Reifen dummerweise Luft. Es war schon kurz nach 15:30 Uhr und er beeilte sich den Reifen wieder aufzupumpen.
„Zum Glück kein Platten“, sagte Jan, stieg auf und trat kräftig in die Pedale.
Nach einer dreiviertel Stunde traf der Hotelfachmann in Olsberg ein und stoppte schließlich vor einer Doppelhaushälfte. Er betätigte die Klingel mit Nadine´s Nachnamen. Die Tür öffnete sich.
„Hallo Jan, komm doch rein. Ich bin zu erschöpft für eine Radtour.“, begrüßte sie ihn und Jan schaute etwas enttäuscht.
„Naja, die Gesundheit geht vor.“, sagte Jan, stellte sein Mountainbike ab und folgte Nadine in die Wohnung. Dort aßen die beiden eine Pizza und schauten anschließend den Kinoerfolg „Titanic“ auf DVD. Dabei sprachen die beiden über alle möglichen Dinge und verabredeten sich für Sonntag zu einer Radtour.
© 2005/2009 by Andreas Krämer
Tag der Veröffentlichung: 05.03.2009
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