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Was ist Magie?
Ich glaube das weiß kein Mensch so genau. Kann man sie definieren? Sie anfassen? Eher nicht. Aber meist stellt man sie sich als Fantasie kleiner Kinder vor, mit Feen, Elfen Zauberern & Drachen. Doch was wäre, wenn es diese Wesen wirklich gäbe? Würden Wissenschaftler und geldgierige Leute versuchen sie einzufangen und sie solange festhalten, bis diese Kreaturen immer wütender und wütender werden, bis sie auf einen Augenblick warten, an dem sie ausbrechen können und ihre Feinde vernichten können? Alle diese Fragen kann und will man oft nicht beantworten, denn Magie ist wie gesagt nur ein Hirngespinst von kleinen Kinder. Oder doch nicht…?!


Prolog:



1510:



W

ill schlug mit seinem Schwertknauf auf den Schädel des Biestes ein, doch das brachte ihn kein Stück weiter. Schnell sprang er vom Hals des Wesens auf einen Felsvorsprung. Er konnte nichts anderes tun, als zusehen, wie er und seine Freunde immer schwächer wurden und kurz vor der Kapitulation standen.
Die Szene spielte sich an einer großen Schlucht ab, dessen Boden kaum zu erkennen war. Lucy, Quil, Jonathan, Sarah, Mary und auch er kämpften um ihr Leben. Immer wieder versuchten die sechs sich dem Wesen zu nähern, doch immer wehrte sie sich mit seinem Schwanz oder anderen Körperteilen.
Sie ist zu stark, schoss es Will durch den Kopf und leitete es an seine Schwester Sarah weiter. Ich weiß. Aber wir sind die Einzigen, die es beenden können und das sind wir den Leuten im Dorf schuldig, antwortete sie ihm. Doch da ertönte ein markerschütterter Schrei. Quil, war gerade dabei einen Wirbelsturm zu erzeugen, um diesen auf die Bestie loszulassen, wurde er von dieser mit ihrer Schnauze weggestoßen. Langsam rappelte er sich auf und Mary half ihm hoch, während Jonathan den Drachen in der Zwischenzeit von den Beiden ablenkte, indem er einzelne Feuerbälle auf sie warf. Doch daran verlor das Monster schnell die Lust und wandte sich wieder zu den anderen Beiden um. Zuerst erschraken sie und fassten sich aber schnell wieder. Allerdings war es schon zu spät, da im nächsten Augenblick schon der Drache Quils Beine packte, den Jungen zu Boden riss und mit ihren Krallen sein Hemd bis auf das Fleisch durchbohrte. Ein paar Sekunden später lag Quil nur noch in einer einzigen Blutlache und tat seine letzten Atemzüge. Mary rannte zu ihm, wohin er von der Bestie geschleudert worden war, aber sie kam zu spät. Er gab nur noch ein gurgelndes Geräusch von sich, als sein letzter Gedanke die Köpfe der anderen durchzuckte. Viel Glück, das war das Letzte, was sie von ihrem Freund hörten. Dann ging alles sehr schnell. Lucy die aus Zorn auf das Biest zu rannte und ihm nebenbei mit ihrer Gabe die Augen verdunkelte. Doch es war zu spät, denn im gleichen Moment traf sie der Schwanz des Wesens und Lucy wurde gegen einen kantigen Fels geschleudert. Dabei gab es ein knackendes Geräusch und ihr Schädel spaltete sich auf, wobei allerlei Blut und anderes auf den Stein floss. Danach trat Sarah in Aktion und hob einen Felsbrocken in die Luft. Einen Augenblick später schoss dieser gegen das rechte Hinterbein der Bestie und sie knickte ein. Will schaute sich um und sah dort, wo Mary gerade noch gestanden hatte eine Rauchwolke aus der ein Reiher hervorschoss und in Richtung Kopf des Wesens flog. Kurz darauf landete sie zwischen den Augen und stach ihren langen Schnabel in den linken Augapfel und danach in den anderen. Nun war die Kreatur zwar blind, konnte sie aber immer noch riechen. Sofort stieß sich Mary wieder vom Schädel ab, doch da schoss eine Flamme aus der Schnauze des Biestes hervor. Ein letzter Schrei und Marys Federn fingen Flammen, während sie gegen einen Steinbrocken flog und als Aschehaufen zusammenfiel. Jetzt waren nur noch Sarah, Jonathan und Will über. Da wuchs ein großer Feuerring aus Jonathans Hand hervor und schloss sich um das gebrochene Bein der Kreatur. Langsam zog er sich immer enger herum und brannte dann den Hinterlauf bis zum Knie hin ab. Sie stieß ein Brüllen aus, als eine Menge von Blut aus ihrem Körper hervorkam. Nach dieser Attacke schlug sie mit ihrem Schwanz umher, bis sie etwas Festes traf und es unter ihm begrub. Jonathans Arm lugte gerade noch unter dem Schwanz her und zuckte ein letztes Mal.
Voller Wut ließ Will das Wasser einer großen Pfütze zu einer Klinge werden und lies diese durch die Luft sirren, bis sie auf den Körper des schon sehr stark verkrüppelten Drachen hinab fuhr und tiefe Schnitte in sein Fleisch machte. Nebenbei sprang Sarah von einem Steinpodest auf den Rücken, zwischen die zwei Flügel. Danach stellte Will sich auf den breiten Schwanz und hieb mit seinem Schwert die Spitze davon ab. Plötzlich bröckelte die Felskante auf der sie standen und der Drache kam ins Rutschen. Seine Hinterbeine baumelten schon in der Luft und an seinem hin und her baumelndem Schwanzstummel hielt sich Will mit Mühe und Not fest. Sarah, die das sah, ließ einen Felsvorsprung unter Will’s Füßen erscheinen und dieser stütze sich darauf ab. Doch plötzlich und ohne Vorwarnung erhob sich der Drache in die Luft und stieß sich mit seinen Vorderbeinen ab, wobei der ganze Fels anfing zu bröckeln. Da rutschte Will sein Schwert aus der Hand und drehte sich in der Luft. Als es in einen der Flügel stach und hängen blieb, wobei der Drache sein Maul aufriss und ein letztes Mal versuchte sich am Stein festzuhalten. Doch vergebens. Plötzlich rutschte der ganze Felsvorsprung ab und die Kreatur stürzte samt Sarah und Will in die Tiefen der Schlucht. Im Flug traf der Schwanz des Drachens noch mal Sarahs Kopf und diese wurde durch die Wucht ohnmächtig, sodass sie auch mit ihrer Gabe nichts mehr anfangen konnte. Will riss seinen Mund auf und brüllte vor Wut und Angst. Wenige Augenblicke später schlugen alle drei auf dem Boden der Schlucht auf und alle Steine, auf denen sie vorher gestanden und gekämpft hatten, landeten auf ihnen, womit ihr Tod endgültig besiegelt war.
Für’s Erste…


Kapitel 1



1990:



A

res hielt seiner Frau die Hand hin, die diese sofort ergriff und so fest drückte, wie es ihr unter der Anstrengung noch möglich war. Er konnte ihr nicht helfen. Damit musste sie jetzt alleine fertig werden. Mit seiner freien Hand versuchte er wenigstens ein Ohr gegen die Schreie seiner Frau zu schützen, doch das war völlig unmöglich zu schaffen. Nach scheinbar unendlich langen Minuten beruhigte sich Isabella und zwei leise, klägliche Schreie drangen zu ihnen. Ares’ Frau breitete schon ihre Arme aus, um ihre neugeborenen Kinder zu umarmen, doch diese wurden auf den Befehl von Erames, eines alten, aber trotzdem sehr weisen Greis, von einer Frau und einem Mann aus dem Raum getragen, weg von ihren Eltern. Erames ging mit seinem Stock voran durch lange, verwinkelte Gänge und stieß eine große, hölzerne Tür auf, die mit Schnitzereien übersät war. Dahinter schlug ihnen eine Eiseskälte entgegen. Der Schneesturm tobte immer noch weiter und der Schnee lag über einen Meter hoch. Ein Schwung von Erames mit seinem Stab ließ einen Weg erscheinen, der bis zu einer überdachten Terrasse führte. Die drei gingen den Pfad entlang und standen kurz darauf vor einem riesigen Glasgefäß, neben dem eine der Bodenplatten hochgehoben war und ein Loch darunter zu sehen war. Der Mann stellte sich vor das Erdloch, die Frau vor den Wasserbehälter. Auf ein Zeichen ließ der Schwarzhaarige das Kind aus seinen Armen hinunter in die Erde gleiten ließ. Danach nahm er sich einen Spaten, der an einem Geländer lehnte und finge an, die zum Glück noch nicht gänzlich gefrorene Erde auf das Kind zu schaufeln. Als der letzte Schrei des Babys verklungen war, ließ die Frau das zweite Kind in das Wasser fallen. Ein paar letzte Luftblasen drangen an die Oberfläche, bevor alles ruhig wurde und Erames mit den anderen beiden den Weg zurück ging und verschwand.


Kapitel 2




„V

ater!“, drang Isabellas Schrei an Erames’ Ohr, „Warum hast du das getan?“ Sie lag immer noch auf der gleichen Liege wie vorher. Ares saß in einem Stuhl daneben und hatte seinen Kopf auf die Hände gestützt. Erames hatte gerade wieder den Raum betreten und stand in dem Türrahmen. Seine Tochter schaute mit schockiertem Blick zu ihm auf und starrte ich fassungslos. „Warum?“, schrie sie abermals und ließ ihre Beine vorsichtig auf den Boden gleiten, während sie vorsichtig versuchte aufzustehen. Das lange Nachthemd fiel um ihre Füße und wärmte sie etwas. Erames richtete nun seine Augen seiner Tochter zu und erwiderte fest ihren Blick. Dann erfüllte den kleinen Raum eine alte, etwas krächzende Stimme. „Ihr werdet es noch irgendwann erfahren.“ Ares stand kopfschüttelnd auf. „Und wenn wir es jetzt erfahren wollen und nicht erst irgendwann?“, knurrte er verbittert. Dann ging er zu Isabella und stützte sie. „Ares, ich weiß, wie ihr euch fühlen müsst. Gerade hat deine Frau eure Kinder zur Welt gebracht und schon werden sie euch weggenommen.“ Erames schaute auf die große, antike Standuhr neben sich und sah, wie sich das Pendel bewegte. Jetzt war es 23:12Uhr.

Um Punkt 00:00Uhr

war er wieder zurückgekommen von draußen. Noch 48min, dachte der Alte und stützte sich auf seinen Stock. Auch für ihn war es nicht einfach gewesen seine Enkelkinder ihrem Schicksal zu überlassen und sie selbst waren nun ihr einziger Schutz vor dem Tod, wenn sie nicht schon längst aufgehört hatten zu atmen. Isabella lehnte sich schluchzend an die Brust ihres Mannes und die Tränen durchnässten dessen Hemd. Er legte einen Arm um sie und versuchte sie zu beruhigen, was ihm allerdings nicht wirklich gelang.
23:24Uhr


„Sind wir heute mal wieder sehr witzig drauf?“, fragte Ares seinen Schwiegervater ironisch. „Beruhige dich mein Junge“, antwortete dieser nur kühl und fing an im Zimmer auf und ab zulaufen. Stille. Keiner sagt etwas. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und zog sich in seinen Kopf zurück.
23:32Uhr


„Könnte ich vielleicht etwas zu trinken haben, Vater?“, unterbrach Isabella das Schweigen und sah zu Erames. Dieser hob den Kopf und schaute sie an. Er unterbrach seinen Gang quer durch’ s Zimmer und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Er humpelte durch die Gänge bis zu der großen Tür, durch den sie vorher das Haus verlassen hatten und warf einen blick hinaus zu dem Behälter und dem Loch bei der Terrasse, die am anderen Ende des verschneiten Gartens lag. Danach schloss er die Tür wieder und ging zurück durch das Haus. Als er eine andere Tür aufstieß lag vor ihm eine Küche, die ziemlich modern ausgestattet war. Er schlürfte zur Arbeitsplatte und hielt den Wasserkocher unter den Wasserhahn.
Nach einer endlos andauernden Minute dampfte das Wasser schon so sehr, dass die kleine Scheibe in der Wand neben ihm anfing zu beschlagen. Er nahm den Wasserkocher vom Gestell und goss die heiße Flüssigkeit in eine große Tasse, an dessen Rand er einen vollen Teebeutel hing und wartete. Er überlegte und machte das gleich noch zweimal, eine für sich und eine für seinen Schwiegersohn. Nachdem die Tassen etwas abgekühlt waren nahm er alle drei und ging langsam zurück in das Zimmer, in dem Isabella und Ares ungeduldig warteten. Dort saßen sie wieder. Immer noch schweigend und starrten jeder eine andere Wand an. Erames gab jedem eine Tasse. „Vorsicht, heiß“, murmelte er leise und setzte sich auf einen kleinen Hocker in eine Ecke des Raumes. Vorsichtig begann er seinen Tee zu schlürfen und verbrannte sich dabei ein paar Mal die Lippen.
Er schaute auf die Standuhr.
23:47


Noch dreizehn Minuten, dachte er und trank weiter an seinem Tee, bis die Tasse leer war. Er nahm sie zwischen beide Hände, um sich etwas zu wärmen, da es doch schon ein wenig frisch im Raum war. „Isabella, zieh dir doch was über. Du wirst noch krank“, versuchte ihr Ehemann sie zu beruhigen und vom Thema abzulenken. „Nein. Ich weiß selber am besten, wann mir kalt ist und ich mir was überziehen sollte“, antwortete sie kalt und im barschen Ton. „Kind, hör auf Ares!“, mischte sich ihr Vater mit ruhigem Ton ein. „Sei still Vater! Ich kann dein Gerede nicht mehr am Kopf haben. Dieses ständige Hin und Her, auf und ab reicht langsam mal. Früher, bevor Mutter starb war alles anders. Du warst nicht so herschsüchtig und hast nicht alle herumkommandiert! Aber jetzt… Sieh dich doch mal an“, brüllte Isabella laut und merkte, wie ihr Geschrei zu einem merkwürdigen Piepen wurde. Da sah sie, dass Erames seinen Stab auf sie richtete und schloss augenblicklich den Mund, da sowieso nur noch ein hohes Gefipe heraus gekommen wäre. Der Alte erhob sich, während seine Tochter langsam wieder auf ihre Liege zurücksank von der sie zwischendurch unbemerkt aufgestanden war. Langsam setzte sie wieder ihre Tasse an, die mittlerweile kalt war, genau wie der Tee. Ihr Vater öffnete seinen Mund zum Sprechen schloss ihn aber wieder, um dann erneut anzusetzen. „Isabella. Es tut mir leid, wenn das wirklich zutreffen sollte“, begann er und Ares schnaubte vor Zorn, „Wirklich, es tut mir leid. Seit deine Mutter gestorben ist habe ich mich sehr verändert. Ich wusste aber nicht, wie schlimm ich wirklich geworden bin. Komm her.“, sagte er beruhigend und seine Tochter warf sich in seine Arme, wo sie erneut zu schluchzen begann. „Mir tut es leid Vater!“, heulte sie und löste die Umarmung. Langsam trottete sie zu der Liege und nahm einen dicken Mantel, der dort lag und zog ihn sich an. Den Gürtel der zum Festmachen daran war zog sie stramm und setzte sich abermals. Erames blickte auf die Uhr.
23:59


Gleich war es soweit. „Vater, was genau hast du eigentlich mit unseren Kindern gemacht? Warum hast du sie fortgebracht?“ Erames zögerte und wartete. Dann stand er auf und stellte sich vor Ares. „Es wäre nett, wenn du auch aufstehen würdest.“ „Warum?“, fragte dieser, tat aber trotzdem, um was der Alte ihn bat. „Vater?“, setzte Isabella erneut an, „Warum?“
Er drehte sich um. „Das, mein Kind, werde ich euch nun zeigen“, antwortete er in dem Moment, als die Standuhr anfing Mitternacht zu schlagen und verließ den Raum.


Kapitel 3



D

er Alte ging mit seinem Stab humpelnd voran. Einen Moment warteten Isabella und Ares noch in dem Raum, bis sie den Gürtel ihres Mantels noch mal festzurrte und ihr Mann einen Arm um sie legte. Dann verließen auch sie das Zimmer und folgten Erames, der am Ende des Ganges wartete und ungeduldig mit seinem Stab auf dem Boden herum klopfte. „Na los! Wir haben nicht mehr die ganze Nacht Zeit!“, rief er schnaubend und seine raue Stimme hallte von den Wänden wider. Die beiden liefen schnell zu dem Greis, während der den gleichen Weg wie vorher nach draußen einschlug. Als er die große, verschnörkelte Tür erneut aufstieß, schlug abermals der Sturm ins Haus und wehte die Sachen der drei hoch. Gegen den Sturm ankämpfend und zitternd gingen sie hinter Erames her zu der überdachten Terrasse. Isabella schrie auf, als sie durch die Glasscheiben des Wasserbehälters ihr Kind sah und wollte es aus dem Wasser ziehen, doch der Stab Erames’ schwang durch die Luft und lies eine unsichtbare Mauer erscheinen, die Isabella den Weg versperrte. Sie sah ihren Vater mit verheulten Augen an und beruhigte sich auf seinen Blick hin wieder. Das Kind im Wasser lag reglos da und bewegte sich kein Stück. Dann ging Erames zum Erdhaufen, dort wo das andere Kind lag und nahm den Spaten. Dann ging er zurück und drückte ihn Ares in die Hände. „Grab!“, befahl der Alte. „Vater? Bist du jetzt völlig verrückt geworden? Du willst doch wohl nicht sagen, dass da unser anderes Kind liegt oder?“, fragte Isabella schluchzend. „Grab!“, befahl Erames wieder in dem gleichen monotonen Tonfall. Wie hypnotisiert ging Ares zu der besagten Stelle und begann die Erde wegzuschaufeln. Nach einer halben Ewigkeit riss sein Schwiegervater ihm die Schaufel weg und zeigte auf Ares’ Hände. „Mach damit weiter“, befahl er erneut und der junge Mann gehorchte. Plötzlich stöhnte Ares, als er etwas weiches, erd verdrecktes etwas aus dem Untergrund zog und im gleichen Augenblick fiel der Bann um den Wasserbehälter. Isabella stürzte vor und streckte die Arme ins eiskalte Wasser. Auf der Oberfläche hatte sich inzwischen schon eine dünne Eisschicht gebildet, die sie nun durchbrach. Gleichzeitig zogen die Eltern ihre Kinder in ihre Arme und schmiegten sie an sich. Doch beide merkten schnell, dass die Kinder tot waren und fingen an zu weinen. „Es tut mir leid, es tut mir leid“, wiederholte Erames immer wieder. Sie sind tot! , schoss es ihm immer wieder durch den Kopf, Sie waren es doch nicht und ich war mir so sicher dabei gewesen! Er beschwor mit seinem Stab zwei große Leinentücher herauf und deutete mit dem Finger darauf. Ares legte das eine Kind darauf, Isabella das andere. Dann wickelte sie behutsam das Tuch um beide und knotete es zusammen. Sie suchten eine passende Stelle im Garten und mit Erames’ Stab wurde schnell aus der harten Erde ein tiefes Loch ausgehoben. Vorsichtig ließen sie das Bündel hinab und schütteten den Graben wieder zu. Schluchzend und Arm in Arm ging das Ehepaar den Weg entlang zurück zum Haus, den Alten hinter sich. Gerade, als sie die Haustür öffnete, vernahmen sie einen Laut. Ein Kreischen und Quietschen. Es dauerte eine zeit, bis sie verstanden, woher es kam. Schnell rannten alle wieder zum Loch und der Alte ließ die erde über dem Bündel sofort zu Staub werden. Das Bündel lag unberührt da. Trotzdem holten sie es rauf und öffneten es hastig. Ihnen bot sich ein komischer Anblick. Die beiden Babys lagen Händchen haltend nebeneinander und um ihre Hände wanden sich orangenfarbene und silberne Fäden. Auf einmal war alles ganz still geworden. Plötzlich verschwanden die Fäden und die Kinder ließen sich los. Da begann ihr Herz zu schlagen und sie atmeten. Sie lebten wieder.


Kapitel 4



S

päter saßen alle drei in einem gemütlichen Wohnzimmer des Hauses und wärmten sich am Kamin. Ares und Isabella hielten ihre Kinder in den Armen und saßen dicht nebeneinander auf einem großen, roten Sofa. Erames ließ sich gerade auf einem alten Schaukelstuhl nieder, nachdem er etwas warme Milch in Flaschen gefüllt hatte und jedem der Eltern eine gab, damit diese ihre Neugeborenen versorgen konnten. Er nahm sich ein Buch, das auf einem Beistelltischchen lag und schlug es auf. Lange hatte er darin nicht mehr gelesen. Er blätterte Seite für Seite um und ging dabei sehr vorsichtig vor, in der Angst, dass er die Blätter aus versehen einreißen könnte. Irgendwann schlug er es zu und setzte sich auf einen Sessel gegenüber dem Sofa, auf dem jedes der Kinder gerade eine Flasche Milch bekam. Ein Lächeln spielte sich um seine Lippen und innerlich freute er sich, dass es endlich geklappt hatte und es die Richtigen waren. Denn dies hier war nur der kleine Anfang einer langen Geschichte. Sie würden noch viel erleben. Doch daran wollte der Alte noch nicht denken, schließlich waren sie gerade erst geboren und dann sofort an den weiteren Verlauf der Dinge denken?! Nein, sagte er sich, Dafür ist es nun wirklich noch zu früh.


Kapitel 5



D

as dumpfe Läuten der Standuhr schallte durch’ s ganze Haus, als Erames in dem Sessel erwachte, aus dem er gestern noch seine Enkelkinder beobachtet hatte und aufstand. Er schaute zum Sofa und sah, dass Isabella und Ares in ihr Zimmer gegangen sein mussten, da dort keiner mehr war. Der Alte schlurfte mit seinem Stock in der Hand durch die Flur in die Küche, wo er Wasser aufsetzte und mit einem Schwung seines Stabes den Tisch deckte. Irgendwann wurde die Tür aufgestoßen und das junge Ehepaar Collins betrat den Raum, je ein Kind auf dem Arm. „Guten Morgen“, begrüßte sie Erames und ihnen machte eine Geste sich zu setzten. Die beiden ließen sich nebeneinander nieder und Isabellas Vater sich ihnen gegenüber.
„Und? Haben die beiden Kleinen euch heute Nacht schön auf Trab gehalten?“, fragte der Großvater neugierig. „Erstaunlicherweise nicht“, gähnte Ares verschlafen, „Sie haben genauso tief und fest geschlafen, wie ihre Eltern.“ Der Greis grinste breit. „Haben sie denn schon Namen?“ Diesmal antwortete seine Tochter. „Nein, aber es ist ein Junge und ein Mädchen.“ „Wie wäre es mit Josephine und Rico? Oder Emily und Jasper?“, schlug Erames vor. „Eher nicht, Vater, denn wenn du ihre Namen aussuchen würdest, dann hießen sie nachher Gisela und Horst.“ Ihr Vater runzelte seine Stirn. „Ich weiß gar nicht, was du hast. So hießen doch die Eltern deiner Mutter.“ Dabei merkte er, wie er selber zusammenzuckte, bei dem Gedanken an seine tote Frau. Sie war vor 3 Jahren an einer schweren Grippe gestorben. Damals meinten die Ärzte, sie würde durchkommen, lag dann aber am nächsten Tag tot in ihrem Bett. Seitdem hatten sie eigentlich nicht mehr über sie geredet, da mit ihr ein großer Teil der Familie gegangen war. Elena, seine verstorbene Frau, hatte jeden Tag von Neuem die Stimmung ins Haus gebracht. Wenn sie aufstand herrschte gleich eine andere Luft und man fühlte sich einfach wohl. Doch dieses Gefühl hatte keiner mehr seit dieser Zeit gehabt. Nie mehr, bis jetzt. Mit den Kleinen war eine neue Generation angebrochen und mit ihr ein neuer Funken Hoffnung, den alle dringend brauchten, etwas Schönes im Leben, an das jeder von ihnen sich klammern konnte. Nun saßen sie also alle dort, am Essen. Für die Babys gab es wieder frische Milch, wie in der Nacht. Immer noch waren die beiden ganz ruhig und entspannt, sie hatten noch keinen Ton von sich gebracht, obwohl in der ersten Zeitspanne eines Lebens ein Baby mehr schreit, als in seinem ganzen Leben noch zusammen. Um die Stimmung wieder etwas zu lockern nahm Ares den Gesprächsfetzen wieder auf und begann mit neuen Vorschlägen. „Wie wäre es mit Alexander und Rosalie?“ Dadurch lockerte sich die Stimmung wieder und alle fingen eifrig an eine Liste mit Namen zu erstellen. Hin und wieder wurde ein Name für einen Jungen auf die linke Hälfte der Seite geschrieben oder einer für ein Mädchen nach rechts. Bald war das Blatt voll und sie schrieben auf der Rückseite weiter. Man konnte wirklich sehen, wie viel Spaß es ihnen machte und merkte, dass die ganze Anspannung und der Stress der vergangenen Jahre wie weggeweht waren. Als allerdings auch die Rückseite voll mit Namen war, fingen sie an solche wie: Michelle, Mira, Luka, Yoschko zu streichen, da diese dann doch nicht in Frage kamen. Nachdem sie alle unbeliebten weg gestrichen hatten, standen nachher ’nur’ noch acht Namen, jeweils vier für Jungen und vier für Mädchen zur Auswahl. Sie lauteten: Stephen, Maximilian, Jacob und Enrique für die Jungen. „Meiner Meinung nach ist Jacob der beste Name. Ich finde der passt zu jeder Art von Jungen. Stephen klingt etwas altmodisch, Maximilian erinnert zu sehr an Fußball und Enrique klingt so exotisch, trotzdem mag ich den auch“, warf Ares ein und strich sich leicht über seine minimalen Stoppeln am Kinn, die er sobald wie möglich wieder abrasieren wollte. Daraufhin meldete sich der Alte zu Wort: „Dem kann ich nur zustimmen.“ Isabella runzelte die Stirn und nickte dann ganz kurz und kaum merklich mit dem Kopf, wobei ihre langen, braun-blonden Haare um ihr spitzes Kinn fielen. „Wie wäre es mit einem Doppelnamen?!“ Als Antwort bekam sie nur ein Raunen zurück. „Meinst du etwa so was wie Karl-Heinz oder wie?“, stellte Erames eine rein rhetorische Frage. „Vater, hör mir doch zu. Ich meine, wir mögen ja alle zwei Namen. Wir könnten daraus doch einfach einen machen.“ „Genau“, stimmte ihr, ihr Mann lächelnd zu, „Zum Beispiel Enrique-Jacob.“ Als Antwort schüttelte seine Frau den Kopf. „Ich hatte mir da eigentlich eher Jacob-Enrique vorgestellt. Es hört sich vielleicht etwas besser an, wenn der kürzere Name vorne steht.“ Wie auf ein Zeichen fingen die beiden Männer an zustimmend zu Nicken. Nachdem das geklärt war schaute Isabella nach rechts, wo noch vier Mädchennamen standen. Übrig waren: Josephine, Emily, Jill und Hanna. Doch dann strich sie Josephine schon mal durch. „Der ist zu lang und klingt zu sehr nach Josef, finde ich. Hannah klingt so wie ein aufgedrehtes Kleinkind und Emily weiß ich nicht. Allerdings wäre ich für Jill. Der Name ist kurz und bündig und so wie es aussieht wird dieses kleine Kind mal ein großes, schlaues Mädchen und dazu passt Jill ziemlich gut.“ „Mhm…“, murmelte ihr Vater, „Wenn aber einer einen Doppelnamen bekommt, fände ich es nur gerecht, wenn die andere auch einen bekommt. Ich persönlich mag Jill-Sarah.“ „Warum nicht?“, sagte Ares. „Dann also hätten wir entschieden. Ab heute heißt ihr also Jacob-Enrique und Jill-Sarah Collins. Als sie die Namen nun aussprach sah es so aus, als ob die Kinder breit grinsen würden und gaben das erste Mal seitdem sie im Haus waren ein Geräusch von sich. Beide quäkten zustimmend.


Kapitel 6



2005:



D

ie frühe Morgensonne fiel durch ein großes Panoramafenster im Raum und schien auf das Gesicht des Jungen. Langsam drehte er sich und die hellbraunen Locken fielen ihm ins Gesicht. Er streckte sich und gähnte laut, sodass er ein Klopfen vernahm, das von der Wand am Kopfende des Bettes kam. „Hey, Bruder. Geht das auch leiser? Andere Leute wollen um diese Uhrzeit noch schlafen!“ Ein Lächeln spielte sich um seine Lippen und er musste breit grinsen. „Schon gut“, antwortete er und schaute auf eine alte Uhr auf seinem Nachttisch.
8:35


Eine geraume Zeit passierte nichts, bis er sich auf die Bettkante setzte und sich mit seinen Händen auf dem Rahmen abstützte. Mühsam quälte er sich hoch, stand auf und schlurfte zum Fenster, von wo er einen Blick quer über das große Grundstück, über die Wiesen, sogar bis zum Dorf hatte. Nachdem er ein paar Minuten so da gestanden war, ging er schlaftrunkend durch eine Tür im Zimmer in sein eigenes Badezimmer. Dort schaute er noch kurz in den Spiegel und sah wie verstrubbelt seine Locken waren, bevor er sein Unterhemd, das er anhatte und seine kurze Sporthose auf einen kleinen Hocker neben der Tür legte. Danach öffnete er die Tür der Dusche und stellte das Wasser ein. Es prasselte ungefähr zehn Minuten auf ihn ein, während er sich wusch und als er fertig war wieder aus der Dusche stieg. Dann nahm er sich ein großes, orangefarbenes Handtuch aus einer Schublade unter dem Waschbecken und wickelte es sich unten herum. Mit einem zweiten um den Hals geschlungen, ging er zurück in sein Zimmer, wo er sich abtrocknete und sich aus seinem Schrank ein paar neue Sachen zum Anziehen nahm. Eine blaugraue Jeans und ein braunes T-Shirt mit V-Ausschnitt. Als er angezogen war, öffnete er die große Scheibe im Fenster und legte die beiden nassen Handtücher über den Rand, wo sie in der Sonne trocknen konnten. Langsam schlich er barfuss durch das große Haus, in dem er mit seinen Eltern seiner Schwester und seinem Großvater wohnte. Mittlerweile kannte er sich in den Fluren und Räumen so gut aus, dass er sie auch im Dunkeln hätte durchqueren können. Irgendwann kam er zu einer von vielen Türen, die er aufstieß und hinter der sich eine geräumige Küche befand, an die ein Ess- und Wohnzimmer angrenzte. Es war noch keiner zu sehen, weshalb er sich etwas Milch in ein Glas goss und sich ein Brötchen mit Marmelade beschmierte. Mit den beiden Sachen lief er zurück auf den Flur und tappte erneut zwischen Türen und Fenstern her, bis er eine sehr große Tür mit einem mit Holz verschnörkeltem Rahmen öffnete und nach draußen, an die frische Luft trat. Ein Pfad führte von der Tür zu einer höher gelegenen überdachte Terrasse, die von einer Reihe von Blumenbeeten, die der ganze Stolz seiner Mutter waren umgeben. Er aber lief quer über das frische Gras und spürte die von der Sonne erwärmte Erde unter seinen Füßen. Der Junge spazierte bis zu einem Fluss, der am Fuße des Hügels lag, auf dem das Haus stand. Schon von weitem erkannte er seinen Großvater, der am Wasser saß und ein offenes Buch auf dem Schoss liegen hatte. Als er ihn erreicht hatte setzte er sich neben ihn und ließ seine Beine genau wie der Alte ins kühle Nass gleiten. „Guten Morgen Jacob“, begrüßte ihn Erames. „Morgen“, erwiderte der Junge nur knapp. Sonst war er immer richtig munter drauf, wenn er bei seinem Großvater war und hatte meistens sogar ein besseres Verhältnis zu ihm, als zu seinen Eltern. Doch wusste er nicht, was heute mit ihm los war. Deshalb saß er einfach nur still da und sah Erames dabei zu, wie er mit einem alten Feder und einem Tintenfässchen Seite um Seite des Buches beschrieb. Es war irgendeine alte Sprache. Jacob wusste zwar nicht, wie sie hieß, doch der Greis brachte ihm regelmäßig neue Wörter bei. Seine Schwester, Jill, lernte mit ihm zusammen bei Erames, sodass sie beide meist auf dem gleichen Stand waren und nicht einer weiter war, als der andere. Oftmals setzten sie sich dann zu dritt auf eine der Wiesen und lehnten sich zurück, da es einfacher war zu lernen, wenn einem die Sonne auf den Körper schien und alles um einen herum in einer angenehmen Atmosphäre war. Jetzt baumelte er mit seinen Füßen im Wasser hin und her und spürte, wie es sich um sie kräuselte. „Ist deine Schwester schon wach?“, wurde Jacob ruhig von seinem Großvater gefragt und er antwortete im gleichen Tonfall: „Keine Ahnung, vorhin war sie mal kurz auf, um mir mitzuteilen, dass ich leiser Gähnen solle, aber dann hab ich nichts mehr von hier gehört, geschweige dennoch gesehen.“ Der Alte nickte nur stumm lächelnd. „Ich schätze, diese Angewohnheit hast du von deinem Vater.“ Da kam plötzlich ein kleiner Schäferhundewelpe den Berg runter auf sie zugelaufen. Genauer gesagt eine Hündin. Sie sprang direkt auf Jacob zu und lief genau in ihn hinein, weswegen der Junge im Wasser landete und das Tier ebenfalls. Jacob fing lauthals an zu lachen, Erames legte das Buch und seine Schreibsachen hinter sich, damit sie nicht noch mehr Wasserspritzer abbekamen und Hope, die Hündin, bellte laut los, während sie versuchten ans Land zu kommen. Jacob war schnell draußen, doch Hope rutschte immer wieder am nassen Erdrand aus. Also musste der Braunhaarige sich zu ihr herunterbeugen und sie herausziehen, da es sonst noch ewig so weitergegangen wäre. Nachdem alle wieder auf dem Trockenen waren legte Jake sich ausgestreckt, mit den Armen im Nacken verschränkt auf den Rücken, zog sein Hemd aus, legte es neben sich und schloss die Augen. Hope schüttelte sich einmal und legte sich dann auf seine Brust. Er hatte sie erst vor kurzem im Wald auf der anderen Seite des Flusses gefunden. Damals lief sie verwirrt und ganz alleine zwischen den Bäumen her und wusste nicht, wo sie hin sollte. Während seine Klamotten trockneten, fragte Erames in Vokabeln in der ’Alten Sprache’, wie Jake sie nannte, da sie von Generation zu Generation weitergegeben wurde, ab. Nachdem seine Jeans und sein Oberteil wenigstens wieder halbwegs trocken waren, stand Jacob auf, krempelte seine Beine hoch und stapfte mit Erames, der sein Buch und seine Feder mit dem Fässchen unter dem Arm trug und seiner Hündin zurück den Hügel hinauf. Als sie an der Tür angekommen waren, hing er sein noch immer nasses Oberteil auf einen Haken an der Wand und ging nur in Jeans ins Haus, da die als einziges Kleidungsstück schon trocken war. In der Küche trafen sie auf Jill, die am Tisch saß und gerade dabei war sich ein Croissant mit Butter zu bestreichen und Jake musterte, als der mit Erames hereinkam. „Hattest du nichts mehr zum Anziehen oder warum läufst du hier mal wieder halbnackt durch die Gegend?“ „Haha. Sehr witzig. Außerdem, hier ist keiner vor dem mir das peinlich wäre, von daher ist es ja wohl egal, ob ich hier mit oder ohne Oberteil herumlaufe. Außerdem, was interessiert dich das?“, fragte er in leicht herablassendem Ton, mit dem sich die beiden fast immer unterhielten. „Lass mich mal scharf nachdenken. Wir müssen den Anblick ertragen?!“, antwortete sie sofort und gehässig. Jacob schaute an sich hinunter. Er war jetzt zwar nicht so athletisch gebaut, aber er war kein bisschen dick, wie er fand. „Ach, hör doch auf. Du bist doch bloß neidisch!“ „Ich und neidisch? Du wiegst ungefähr zehn Kilo mehr als ich. Auf was soll ich denn da neidisch sein?“ „Das kann man nicht vergleichen, erstens, sind Jungen kräftiger gebaut als Mädchen und zweitens, bin ich auch größer als du.“ Jill wollte gerade noch etwas erwidern als ihre Eltern hereinkamen und ihre Diskussion schnell ein Ende fand. Erames hatte dem nur schmunzelnd zuschauen können, hatte aber nichts gesagt.


Kapitel 7



S

päter am Tag saßen alle zusammen auf der abfallenden Wiese vor dem Haus und schauten hinunter ins Dorf, wo man die Leute sehen konnte, die auf dem Marktplatz herumliefen, die Kinder, die dort spielten und ein paar Schafe, die anscheinend ausgebrochen waren und sich nun von den Dorfbewohnern füttern ließen. Die Familie saß im Gras mit Kuchen, Kaffee und anderen Sachen, die man zum Picknicken mitnahm. Jacob saß im Schneidersitz in Richtung Sonne, Hope in seinem Schoß. Jill lächelte leicht, als sie sah, dass die kleine Hündin schlief. Ares hatte einen Arm um Isabellas Schulter gelegt und zog sie sanft an sich. Erames saß ebenfalls im Schneidersitz, wieder mit einem Buch in den Händen und las darin kaum entzifferbare Zeichen, die wahrscheinlich nur für ihn einen Sinn ergaben. So verharrten sie beinahe reglos, bis zum Abend. Als die Sonne anfing unter zugehen, rafften sie sich allmählich auf und packten die Sachen zusammen. Dann liefen Jill und Jacob mit einem Bündel Obst und ein paar Flaschen Wasser den Berg rauf. Hinter ihnen kamen ihre Eltern mit dem Rest in den Armen. Erames blieb weiterhin mit dem Buch unten und las ohne einmal auf zublicken weiter. Im Haus legten die Geschwister die Sachen in die Küche und verschwanden dann auf ihre Zimmer. Jill setzte sich auf den Balkon, der an ihr Zimmer grenzte und ein dünnes Metallgeländer hatte und sah sich den rot-orangenfarbenen Sonnenuntergang an. Jacob dagegen legte sich auf sein Bett und streckte sich aus, während Hope sich wieder an ihn schmiegte. Er wusste nicht, wie lange er so dagelegen war und die Decke angestarrt hatte, bis er sich aufsetzte und mit der weißen Schäferhündin auf dem Arm in das Zimmer seiner Schwester ging. Die Schiebetür zwischen dem Raum und dem Balkon stand offen, sodass er einfach durch ging und sich neben seiner Schwester niederließ. Hope wusste mittlerweile, dass sie auf dem Balkon lieber ruhig sein sollte, da sie hätte hinunterfallen können, wenn sie nicht aufpassen würde. „Schöner Sonnenuntergang, findest du nicht?“, fragte Jill ihn und sah ihren Bruder kurz an. „Mhm…“, murmelte der nur und sah nach unten, wo sie Erames sehen konnten, der dort immer noch am Lesen war. Jetzt im Sommer konnte er das ja noch, weil dann die Sonne immer noch lange schien. Wenn es aber Winter gewesen wäre, hätte sich ihr Großvater längst auf sein Zimmer verzogen und dort weiter gelesen. Beide Kinder schmunzelten beide bei dem Gedanken. Früher saßen sie dann bei ihm und tranken mit ihm eine Tasse Tee oder Kaffee und Erames erzählte ihnen alte Märchen und Geschichten, während sie sich am Kamin aufwärmten. „Achja, das waren noch Zeiten. Ich schmecke den Kakao noch förmlich im Mund“, sagte Jill grinsend. Jacob aber wandte sich ihr zu und sah sie fragend an. „Wie bitte? Was meintest du?“, fragte er verwundert. Seine Schwester antwortete wieder. „Ich habe gesagt, dass ich den Kakao noch förmlich schmecken kann, weil du doch gerade von früher erzählt hast, wie Großvater uns im Winter immer vorgelesen hat.“ Jacobs Gesicht verzerrte sich noch mehr zu einer fragenden Miene. „Jill? Ist alles in Ordnung?“ „Ja, warum fragst du?“ „Weil ich das gerade mit Großvater alles nicht gesagt habe.“ „Sicher hast du das“, widersprach sie ihm und nun sah auch sie ihn fragend an. „Nein, Jill. Ich habe es nicht gesagt, sondern im Kopf gedacht.“ In diesem Augenblick betrat ihre Mutter den Raum und kam zu ihnen. „Wollt ihr nicht runter kommen? Wir essen gleich.“ „Wir haben doch gerade erst gepicknickt, Mum“, meinte Jake, „Wir machen uns später etwas“, sagte er noch schnell, als er Jills Blick spürte, der ihn förmlich durchstach. „Ist alles in Ordnung Kinder?“ „Jaja…“, murmelte Jill und ihre Mutter verließ das Zimmer wieder. Die Geschwister sahen sich rat- und wortlos an.

Beim Abendessen verlor kaum einer ein Wort, bis alle fertig waren. Jacob schob Hope zwischendurch immer wieder unbemerkt ein Stückchen vom Speckrand unter den Tisch, da er es überhaupt nicht mochte, auf einem labberigem Fetzen Knorpel und Fett rum zukauen, was Hope natürlich im Gegenzug am liebsten tat. Als Isabella dann als Erste aufstand, um das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen, liefen Jill und Jake schnell auf ihre Zimmer, damit sie nicht mithelfen mussten und Erames und Ares halfen nur kurz, bevor auch sie verschwanden und sich auf die Terrasse, Richtung Sonnenuntergang setzten. Jacob lag wieder auf seinem Bett und schaltete den Fernsehe ein, der auf einer Kommode in der Ecke stand und zappte durch die Pogramme, bis er einen guten Film fand. Jill lag ebenfalls schon im Bett, allerdings mit einem Buch in der Hand und blätterte Seite für Seite um. Eine gute Stunde später schlug sie ihr Buch zu, machte ihre Nachttischlampe aus und legte sich Schlafen. Fast im gleichen Augenblick fing der Abspann in Jacobs Fernseher an zu laufen und er schaltete aus.


Kapitel 8



F

rüh am nächsten Morgen standen die Zwillinge auf und machten sich bereit für den ersten Schultag nach den Sommerferien. Schnell packten sie ihre Bücher, Hefte und Stifte in ihre Taschen und liefen hinunter in die Küche. „Guten Morgen, Kinder“, begrüßte Isabella die beiden herzlich und legte ihnen jeweils ein Brot hin. Nachdem alle saßen nahmen sich Jill und Jacob jeder eine Schüssel voll mit Müsli und begannen hastig zu essen. „Schläft Opa noch?“, fragte Jake, während er sich wieder einen Löffel in den Mund schob. „Ja“, antwortete seine Mutter, „Aber es reicht doch auch, wenn ich euch wecke. Schließlich braucht man in seinem Alter auch noch ein bisschen mehr Schlaf, als die jüngeren Generationen. War irgendwas Bestimmtes oder warum hast du gefragt?“ „Nein, nichts Besonderes“, meinte ihr Sohn darauf. Jacob wollte seinen Großvater darauf ansprechen, was gestern mit sich und seiner Schwester los war, denn wenn einer aus ihrer Familie das wüsste, dann war es Erames und kein anderer, da war er sich absolut sicher. Kurze Zeit später zogen die beiden sich an und warfen sich ihre Schultaschen über die Schultern. Dann verließen sie das Haus, winkten ihrer Mutter zurück und machten sich daran, den Berg, auf dem sie wohnten, hinab zu steigen. Als sie zum Dorf kamen sahen sie, wie viele andere Kinder ebenfalls auf dem Weg zur Schule waren. Hier und da begrüßten sich welche und gingen zusammen weiter. Ohne ein weiteres Wort trennten sich die beiden Zwillinge und gingen ihren eigenen Weg. Jill lief auf eine Gruppe von gleichaltrigen Mädchen zu, während ihr Bruder auf eine Gruppe von Jungen zu steuerte. Beide begrüßten ihre Freunde, die sie nur mal zwischendurch in den Ferien gesehen hatten. Einige kamen auch von etwas außerhalb und fuhren deshalb mit Fahrrad, Bus oder wurden von ihren Eltern gebracht. Es war eigentlich eine ganz normale Schule, wie jede andere auch. Die ersten Stunden liefen ganz normal ab. Danach hatten sie Geschichte. Als alle Schüler den Raum betreten hatten, begann der Unterricht. Zuerst gingen sie den Stoff aus den letzten Stunden vor den Ferien durch, bis sie mit einem neuen Thema anfingen: Geschichte der Stadt Nightfall City. Es hörte eigentlich keiner wirklich zu, obwohl man über die Historik der eigenen Wohnstadt bescheid wissen sollte, doch keiner interessierte sich dafür, was der Lehrer sagte. So gingen also auch die nächsten Schulstunden vorüber und zogen sich ziemlich lange hin. Als es dann aber doch zum Schluss läutete, rannten alle Schüler hinaus auf den Gang, wo Gedrängel und Geschubse herrschte. Nur mit Glück hatte man den Ausgang erreicht, bevor man in eine Prügelei verwickelt wurde oder in irgendeiner Ecke der Schule Schutz vor den Menschenmassen gesucht hatte. Nachdem sich die Zwillinge wieder gefunden hatten, blieben sie so dicht wie möglich aneinander, um nicht getrennt zu werden. Nach einiger Zeit löste sich der Trubel auf dem Schulhof und man konnte wieder ganz normal gehen. Zusammen liefen sie den Weg zu ihrem Zuhause entlang und schwitzten in der brühend heißen Sommersonne. Jacob ging noch mal den Vormittag in Gedanken durch und musste schmunzeln. In der ersten Pause hatten er und seine Freunde beim Fußball gegen eine Gruppe von Viertklässlern gewonnen und in der zweiten hatte einer seiner Kumpels, Rico, einen Jungen namens Sid in einen flachen Brunnen geschubst, sodass dieser pitschnass war und von allen anderen Schülern ausgelacht wurde. „Ich finde so was ziemlich gemein“, meinte Jill, die neben ihrem Bruder herlief. „Was meinst du?“, fragte dieser misstrauisch. „Na, dass ihr Sid immer so behandelt und heute in den Brunnen gestoßen habt.“ „Hä?“, fragte Jacob wieder, damit Jill dachte, sie hätte sich auf dem Schulhof getäuscht und jemand anderes hätte den Jungen nass gemacht. „Was wird das denn jetzt?“, begann Jill, „Willst du mir jetzt etwa weismachen, ich stelle mir schon vor, wie du mir etwas erzählst und dann sagst du, du wüsstest nichts davon?“ Ihr Bruder stutzte und überlegte kurz, ehe er dann doch beschloss, ihr zu sagen was los war. „Jill, also na gut, wir waren es. Aber woher weißt du das? Hast du uns gesehen?“ Seine Schwester legte einen verständnislosen Gesichtsausdruck auf. „Hallo? Ich wiederhole mich nur ungerne, aber wie schon gesagt, hast du mir das gerade alles selber erzählt!“ Nun verstand Jake gar nichts mehr. „Schwesterherz, das habe ich dir nicht gesagt“, beharrte er. „Sicher hast du das!“, widersprach Jill und beide blieben stehen. „Jill, ich habe es nicht gesagt. Ich habe es gedacht!“

-folgt-

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Tag der Veröffentlichung: 22.07.2011

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