Tanz mit dem Teufel
Samstagabend, wummernde Bässe, zuckende Lichter.
Schweißnasse Körper in mehr oder weniger leidenschaftlichen Posen auf der Tanzfläche.
Ich, ein Bier in der Hand, an der Bar.
Wie immer bin ich eher stiller Beobachter, als Teil des Ganzen.
Warum ich trotzdem herkomme?
Es ist interessant, Menschen zu beobachten.
Das merkwürdige Balzverhalten erwachsener Männer. Schwuler, erwachsener Männer, die zum größten Teil nur ein einziges Ziel haben: jemanden flachzulegen oder selbst flachgelegt zu werden.
So ganz kann ich mich davon natürlich nicht ausnehmen, schließlich bin auch ich nur ein Kerl in den besten Jahren. Der Pubertät längst entronnen und gefestigt genug, um zu wissen, was ich will. Die Beute zu sein oder gar selbst zum Jäger zu werden, gehört jedenfalls nicht dazu.
Wenn sich etwas Nettes ergibt, bin ich nicht abgeneigt, aber ein Zwang ist es für mich nicht und auch der Darkroom ist nicht meine Welt. Viel lieber genieße ich die Nähe und Intimität in meinen eigenen vier Wänden und wenn es sich so ergibt, schlafe ich ganz gern in ein paar starken Armen ein.
Neugierig lasse ich meinen Blick schweifen, sehe viele bekannte Gesichter.
Irgendwann kennt man hier wohl fast jeden und freut sich so richtig über das, was die Altbekannten gern Frischfleisch nennen. Sei es auch nur, weil neue Gesichter etwas Abwechslung bringen, sonst wäre ich wohl längst nicht mehr hier.
Für einen gewöhnlichen Samstagabend sind es heute viele neue Besucher und so sind meine Augen und mein Verstand eine ganze Weile mit ihrem Lieblingshobby beschäftigt.
Meine Freunde und Bekannten witzeln ganz gern über meine Art der „Recherche“, aber es ist nun mal so, dass ich mich gerade hier gern inspirieren lasse und schon oft haben es Gäste des Clubs ganz unwissentlich in eins meiner Bücher geschafft.
Okay, das waren wohl hauptsächlich ihre Gesichter oder ihre Körper, denn kennengelernt habe ich keinen von ihnen, aber als Vorlagen für die skurrilsten Charaktere waren sie Gold wert und sind es noch.
Gerade will ich mich zum Barkeeper umwenden, um mir noch ein kühles Blondes zu bestellen, da bleibt mein geschulter Blick an etwas… oder jemandem hängen.
Ein Pärchen, das ich noch nie hier gesehen habe, tanz engumschlungen und ziemlich aufreizend am anderen Ende der Tanzfläche und ich bin sofort Feuer und Flamme, vergesse meinen Durst und konzentriere mich voll und ganz auf diese beiden, deren Lippen aneinander hängen, als würde ihr Leben davon abhängen.
Ihre Bewegungen sind so geschmeidig und lasziv, dass sie glatt einem meiner feuchten Träume entsprungen sein könnten.
Mir wird warm, wärmer, heiß.
Verdammt, ich kann meinen Blick nicht von ihnen lösen, starre sie an wie der letzte Idiot auf Erden und komme mir dabei verdammt erbärmlich vor.
Was ist nur mit mir los?
Irgendwie schaffe ich es doch noch, mich zur Bar umzudrehen und bestelle tief durchatmend ein weiteres Bier.
Loslassen kann ich die Zwei trotzdem nicht, denn kaum sind sie aus meinem Blickfeld verschwunden, drehen sich meine Gedanken nur noch um sie.
Der Größere der beiden, mit dem rabenschwarzen Haar und den ausgeprägten Brustmuskeln, die durch sein enganliegendes Shirt so verdammt gut sichtbar sind, ist wohl eher mein Typ, aber auch sein Partner ist nicht ohne.
Blonde Locken, die so verflucht weich aussehen, dass ich die Hände darin vergraben will, um ihn an mich zu ziehen und…
Halt! Stopp! Die beiden sind offensichtlich nicht zu haben, also was bringt es mir, wenn ich mich ausgerechnet hier und jetzt in solchen Fantasien verrenne?
Einigermaßen frustriert nehme ich einen tiefen Zug aus meinem Bierglas und versuche, nicht mehr an dieses Pärchen zu denken, aber es fühlt sich an, als könnte ich ihre bloße Anwesenheit spüren, als würden sie mich rufen, mir befehlen, mich wieder zu ihnen umzudrehen.
Irgendwann gebe ich nach. Mein Bier in der Hand, drehe ich mich um und lehne mich rückwärts an den Tresen.
Sie sind näher gerückt, tanzen nicht mehr am hinteren Ende der Tanzfläche, sondern direkt in der Mitte. Noch immer eng umschlungen, noch immer so aufreizend, dass ich meine liebe Mühe habe, meine eigene Erregung im Zaum zu halten.
Verfluchte Scheiße, sowas ist mir noch nie passiert! In all den Jahren, die ich nun schon beobachte und Inspiration suche, ist mir noch nie ein Pärchen wie dieses untergekommen.
Ich kann es bereits vor mir sehen. Die Worte sammeln sich von ganz allein in meinem Kopf, sortieren sich zu ganzen Sätzen und schreien förmlich danach, von mir aufgeschrieben zu werden, aber das muss warten, bis ich zu Hause bin.
Für den Moment versuche ich, zu genießen, ohne mich komplett lächerlich zu machen.
Gott sei Dank ist es nicht besonders hell hier und dank meiner stummen Beobachterrolle achtet sowieso niemand auf mich.
Niemand außer dem großen Schwarzhaarigen, der seinen blonden Partner umgedreht hat, so dass beide nun in meine Richtung sehen.
Für einen Augenblick erstarre ich völlig, aber dann…
Der Gegensatz, den diese beiden darstellen ist faszinierend.
Dunkelhaarig und blond. Schwarz und weiß. Dunkle Augen, die mich mit ihren Blicken zu durchbohren scheinen, die mich zu durchschauen scheinen und daneben das unschuldigste Lächeln, das ich jemals gesehen habe.
Blondies helle Augen strahlen regelrecht, scheinen irgendwie zu hell und zu glänzend zu schimmern und ich schüttele verwirrt den Kopf.
Wie hypnotisiert ist mein Blick, kann einfach nicht wegsehen, während dieses ungleiche Paar weiter tanzt.
Blondie räkelt sich so lasziv in den Armen seines Partners, reibt seine Kehrseite an ihm, dass ich meine, das dunkle Stöhnen zu hören, obwohl das bei der lauten Musik eigentlich gar nicht möglich ist.
Zwei Augenpaare fixieren mich, halten meinen Blick gefangen und scheinen mit mir zu kommunizieren.
Beinahe kann ich ihre Stimmen in meinem Kopf hören, die mich zu ihnen rufen, aber das ist doch absurd! Es kann nicht sein!
Wieder schüttele ich mit dem Kopf und diesmal sieht man ihnen die Enttäuschung an.
Kann es vielleicht doch…?
Ich bin verwirrt, versuche, meine flatternden Nerven und meine latente Erregung im Zaum zu halten, indem ich tief durchatme, den Blick auf mein Bierglas lenke und es schließlich in einem einzigen Zug leere.
Für heute habe ich genug. Ich werde nach Hause gehen und sehen, was diese merkwürdige Begegnung an Wortsalat hergibt und anschließend werde ich sie einfach vergessen, so wie es immer ist.
Fest entschlossen stehe ich von meinem Hocker auf, wende mich ab und gehe, ohne noch einmal zurück zu blicken, auch wenn die Versuchung groß ist und jede Faser meines Körpers danach schreit, zu ihnen zu gehen.
Kühle Nachtluft umgibt mich, lässt meine wild durcheinander wirbelnden Gedanken langsam ruhiger werden, als ich mich gemächlichen Schrittes vom Club weg bewege.
Aber so wirklich entspannt bin ich nicht, kann dieses merkwürdige Paar auf der Tanzfläche nicht vergessen und so wähle ich ganz unbewusst einen anderen, längeren Heimweg, der mich durch den spärlich beleuchteten Stadtpark führt.
So wirklich bemerke ich das aber erst, als ich längst auf knirschenden Kieswegen wandele.
Ich lasse meinen Blick schweifen und bin froh, dass wenigstens vereinzelte Straßenlampen die Wege erhellen. Die Büsche und Bäume um mich herum sind trotzdem verdammt finster, aber das stört mich nicht wirklich. Ich gehöre nicht zur schreckhaften Sorte Mensch und so genieße ich die nächtliche Stille, atme tief die klare Luft ein, die zwar erfrischend, aber nicht wirklich kalt ist und lasse meinen Gedanken freien Lauf.
Natürlich taucht sofort ein bestimmtes Bild in meinem Kopf auf.
Hell und dunkel. Lieblich und gefährlich. Lächelnd und hungrig.
Und dabei so verflucht anziehend, so erregend, dass sich erneut ein Prickeln in meinem ganzen Körper ausbreitet.
Was ist das nur? Was haben diese beiden mit mir gemacht? So schwanzgesteuert war ich nie, aber jetzt bereue ich meine Flucht aus dem Club schon fast und frage mich, wie es wohl gewesen wäre, mit ihnen zu tanzen? In ihrer Mitte, ganz dicht an beide gepresst und…
Was ist das für ein Geräusch?
Knackendes Geäst, raschelnde Blätter und ein leises Knurren.
Völlig erstarrt bleibe ich stehen, obwohl in meinem Kopf die Alarmsirenen schrillen und eine panische Stimme mir sagt, dass ich verschwinden sollte, dass ich die Beine in die Hand nehmen sollte und so weit weg wie möglich laufen sollte.
Aber nichts dergleichen passiert.
Das Knurren wandelt sich, wird zu einem tiefen, kehligen Stöhnen, das mir sofort in den Unterleib schießt und meine Erregung von neuem entfacht.
Ich kenne diese Stimme, habe sie vor nicht allzu langer Zeit schon einmal gehört, wenn auch nur in meinem Kopf.
Kann es sein…?
Meine Füße bewegen sich von ganz allein und ohne dass ich dagegen etwas tun könnte, verlasse ich den Kiesweg, gehe langsam über nachtfeuchtes Gras, schiebe Äste beiseite und trete durch dichtes Gebüsch.
Im Halbdunkel erkenne ich ihre Umrisse, weiß sofort, dass sie es sind, so merkwürdig fremd und doch vertraut sind sie mir.
Wieder hängen ihre Lippen aneinander und das leise Stöhnen ist jetzt zweistimmig.
Fasziniert sehe ich ihnen zu, kann nicht wegsehen, habe regelrecht Angst, sie könnten einfach verschwinden, nur eine Ausgeburt meiner Fantasie sein.
Dunkle Augen sehen mich plötzlich an, ein schiefes Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit, scheint mir zuzuflüstern, dass er auf mich gewartet hat, dass er wusste, dass ich hier sein würde.
Angst verspüre ich keine mehr, als auch das helle Augenpaar mich freudig funkelnd begrüßt.
Ich will etwas sagen, öffne den Mund, aber es kommt kein einziger Ton über meine Lippen.
„Schhh…“, macht der blondgelockte Engel und ich muss grinsen über meine eigene Wortwahl.
Aber ja, genau so sieht er aus. Wie ein Engel, wie die personifizierte Unschuld. Selbst seine helle Haut scheint irgendwie von innen heraus zu leuchten und steht im krassen Gegensatz zu der bedrohlichen Dunkelheit seines Partners, der mich mit einem einzigen Fingerzeig heran lockt.
Ohne den geringsten Zweifel an meinem Handeln oder meinem Verstand zu spüren, trete ich langsam näher, bis ich schließlich vor ihnen stehe.
Eine kleine, kühle Hand legt sich auf meine Wange, helle Augen zwinkern mir zu, bevor seine Lippen sich auf meine legen.
Süß, so süß schmeckt er, ist die pure Versuchung und ich kann gar nicht genug von ihm kriegen, lasse mich in diesen Kuss fallen und vergesse die Welt um mich herum.
Nur am Rande spüre ich warme Hände unter meiner Jacke, unter meinem Shirt, die mich streicheln und meine Klamotten langsam abstreifen.
Ich wehre mich nicht, sehe keinen Grund darin, will alles, was hier und jetzt geschieht, alles, was sie mir geben können und das scheint eine ganze Menge zu sein.
Noch immer klammere ich mich an blonden Engel fest, lasse endlich meine Hände durch sein Haar gleiten und fühle, wie verflucht weich es ist. Fast wie Wolken an einem strahlend blauen Sommerhimmel.
Irgendwann steht er nackt vor mir und ich habe keine Ahnung, wie und wann das passiert ist, aber es ist mir völlig egal.
Seine kühle Haut legt sich auf meine, während die nackte Brust an meinem Rücken von Sekunde zu Sekunde heißer zu werden scheint.
Hell und dunkel. Heiß und kalt. Ich will sie beide und das scheinen sie zu wissen.
Süße Reibung, heiß und kalt, ist nicht genug.
Mein Stöhnen hallt durch kühle Nachtluft, mein Atem sichtbar in kleinen, weißen Wölkchen.
Den einzigen, weißen Wölkchen, aber mein Verstand ist zu umnebelt um das so wirklich zu registrieren.
Ich will sie! Heiß und kalt! Beide!
Meine Hose verschwindet, entlässt meine pralle Erektion in die Freiheit. Dankbares Stöhnen ist die Antwort, aber kaum hat es meine Lippen verlassen, spüre ich einen heißen Finger, der sich langsam in mein Inneres schiebt.
So gut! Kühle Lippen lenken mich ab, spielen mit mir, knabbern an meinem Hals und ich bin kurz davor, zu betteln.
Meine stummen Gebete werden erhört. Heiß schiebt er sich in mich, während eine kühle Hand meinen Schwanz reibt und ich bin schon fast soweit.
Noch einmal greife ich in blonde Locken, fühle sie seidig zwischen meinen Fingern, schließe die Augen, als seine Lippen über meinen Hals wandern.
Seine Zunge ist kalt, aber ein plötzlicher Schmerz lenkt mich auch davon ab.
Zähne auf meiner Haut, in meiner Haut.
Ich spüre es deutlich, aber es ist egal. Alles ist egal, solange ich sie nur beide spüren kann.
Je länger er saugt, desto geiler werde ich. Eine wahre Flut an Empfindungen rauscht über mich hinweg und durch mich hindurch, treibt mich voran, bis es kein Zurück mehr gibt.
Ein heiserer Schrei, heiß und kalt wird mir zugleich und ich bin verloren, sinke in tiefe Schwärze, die meinen Geist umnebelt und will nie mehr auftauchen.
***
Helles Tageslicht kitzelt meine Nase und scheint rötlich durch meine Augenlider.
Nur langsam komme ich zu mir, fühle mich so wunderbar müde und schläfrig, aber irgendetwas ist anders als sonst und ich zwinge meine Augen, sich zu öffnen.
In meinem Bett liege ich, aber… wie bin ich hierhergekommen?
Ich war im Club, gestern Abend…
Habe Bier getrunken und dann… da ist nichts als Dunkelheit, ein riesiger schwarzer Fleck in meiner Erinnerung.
Unruhig stehe ich auf, tigere durch mein Schlafzimmer, auf der Suche nach Antworten, aber ich finde keine.
Irgendwann gebe ich auf, will in meine Küche gehen und Kaffee kochen, als mein Blick auf meine Schuhe fällt.
Braune Erde und Laubblätter kleben daran.
Ein Gedankenblitz. Hell und dunkel. Zwei Körper. Heiß und kalt.
Und während der Kaffee durchläuft, tauchen ein paar merkwürdige Szenen in meinem Kopf auf.
Was für ein merkwürdiger Traum!
Aber woher stammt dann der Dreck an meinen Schuhen?
Okay, es wird langsam Herbst, da ist das nichts Ungewöhnliches…
Das merkwürdige Gefühl, das ich seit dem Aufwachen habe, lässt sich aber nicht so einfach abschütteln und so fahre ich meinen Laptop hoch. Mein Schreibprogramm ist meine Art der Therapie, wann immer ich nicht weiter weiß.
Und während die vielen kleinen Symbole auf dem Monitor auftauchen, wandert meine Hand über meinen Hals und findet zwei kleine Erhebungen…
Ein weiterer Gedankenblitz. Kühle Lippen auf meiner Haut…
What the fuck???
Texte: schokischlecki
Bildmaterialien: Bookrix
Tag der Veröffentlichung: 20.09.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Meiner Muse, die mich diesmal nicht im Stich gelassen hat.