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Die Scheibenwischer zuckten vor seinen Augen hin und her. Die Straßen waren so nass, dass es schon aussah als ob sie dampfen würden. Er musste die Scheibenwischer eine Stufe höher stellen damit er überhaupt noch erkennen konnte wohin er fuhr. „Vielleicht,“ dachte er sich, „ist es das Beste, ich fahre erst mal an den Rand und warte bis der Regen nachlässt.“
Trotz diesem Gedanken fuhr er weiter. Die Vorstellung im strömenden Regen am Straßenrand zu stehen, wo man doch schon Zuhause sitzen und gemütlich einen Kaffee trinken konnte, gefiel ihm nicht gerade.


Plötzlich raste irgendetwas an ihm vorbei. Hatte er sich das eben nur eingebildet? War da jemand am Straßenrand gesessen?
Entgegen allen Gedanken, dass das doch absurd war drehte er um und fuhr wieder zurück. Es war tatsächlich nicht so absurd wie es klang, denn am Straßenrand saß wirklich jemand.
Er beugte sich hinüber auf den Beifahrersitz und holte einen kleinen Regenschirm aus dem Handschuhfach.


Dann stieg er aus dem Auto und ging auf die Person zu. Er konnte erkennen dass sie ihn ansah. Bestimmt hätte sie nie damit gerechnet dass tatsächlich jemand anhielt.
„Was machen sie hier draussen? Sie holen sich noch den Tod.“
Es war eine Frau. Ihre Augen waren leuchtend rot, ihre Ohren spitz, ihr langes welliges schwarzes Haar klebte, genau wie ihre Kleidung an ihrem Körper. Sie zitterte ein wenig, aber allzu durchgefroren war sie noch nicht.
„Ich wollte...per Anhalter fahren...“
„In dem Regen?“ Er hielt ihr seine Hand hin um ihr aufzuhelfen. „ Sie hätten sich lieber irgendwo unterstellen sollen.“


Die Frau antwortete nicht. Sie nahm nur seine Hand und hielt den Blick stetig auf den Boden gerichtet. Sesshomaru seufzte. „Kommen sie.“ Er zog sie hoch und legte ihr seinen langen Mantel über. Die Frau reagierte nicht.
„Ganz toll.“ dachte er. „Und was mache ich jetzt mit ihr?“
Er fasste sie sanft an ihrem linken Arm und bugsierte sie erst einmal auf den Beifahrersitz. Insgeheim schalt er sich, weil diese jämmerliche Gestalt jetzt seine teuren Ledersitze ruinierte.


Dann ging er auf die Fahrerseite, stieg ein und ließ den Motor an. „Können sie irgendwo hin heute Nacht? Haben sie Geld?“
Sie sah ihn an und schien zu überlegen. Dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf.
Wieder mal sein verfluchtes Glück. Da hatte er eine aufgegabelt die nirgends hinkonnte, kein Geld hatte und kaum ein Wort mit ihm sprach. Warum hatte er überhaupt angehalten?!
Andererseits, wer hätte sonst angehalten? Man konnte sie doch nicht einfach so am Straßenrand, im strömenden Regen sitzen lassen. Er sah aus dem Augenwinkel zu ihr hinüber. Sie rührte sich nicht, sondern starrte wie gebannt in ihren Schoß, als wäre ihr die ganze Sache furchtbar peinlich. Vielleicht war sie das auch.


„Heute Nacht können sie mit zu mir. Morgen sehen wir weiter.“ meinte er und warf einen kurzen Blick zu ihr hinüber. Sie sagte nichts, aber ihr Kopf machte eine nickende Bewegung, die sah er einfach mal als Zustimmung.
Sie drehte ihren Kopf von ihm weg und sah aus dem Fenster. „Scheisse.“
„Bitte?“
Wieder sagte sie nichts. Aber Alexander war sich sicher dass er sich eben nicht verhört hatte. Diese Frau hatte laut und deutlich „Scheisse“ gesagt.
Tja, anscheinend hatte sie nicht zum Spaß Anhalter gespielt. Aber das konnte man sich ja denken.
„Wenn sie kein Ziel und kein Geld haben, warum wollten sie dann per Anhalter fahren? Wohin?“
„Irgendwohin.“ antwortete sie. „Weg.“
Er beschloss sie nicht weiter zu löchern. Erstens brachte es sowieso nichts, und zweitens interessierte es ihn auch eigentlich nicht. Sie antwortete ohnehin immer in Rätseln.
Also fuhr er wortlos weiter.


Eine halbe Stunde später waren sie bei seinem Haus angekommen. Er öffnete ihr die Tür und wartete darauf dass sie ausstiegt. „Kommen sie.“
Die Frau bewegte sich nicht. Sie starrte ihn an. Genervt packte er ihren Arm und zerrte sie aus dem Auto. „Tu mir einen Gefallen. Stell dich in Gottes Namen nicht dumm.“ Er nahm ihr den Mantel von den Schultern und schloss seine Haustür auf. Während er seinen Mantel an den Haken hängte, beobachtete er die Frau aus seinem Augenwinkel. Sie kam zögerlich ein paar Schritte näher, schien es aber nicht zu wagen, sein Haus zu betreten. Alexander verdrehte die Augen. „Ich werde sie nicht auffressen, wenn sie einen Fuß über die Schwelle setzen.“
Sie trat in seinen Flur. „Kann ich...duschen?“
„Ist ihnen kalt.?“
Sie nickte.
„Gut. Warten sie kurz hier.“ Alexander drehte sich von ihr weg und ging ins Schlafzimmer. Dort durchwühlte er seinen Schrank nach alten Bademänteln. Er fand einen, der zwar noch nicht sehr alt war, aber sie hatten ihn in der falschen Größe angefertigt. So ungefähr musste er dieser Frau passen.


Zu ihr zurückgekehrt, drückte er ihr den Bademantel in die Hände. „Wenn sie fertig sind, können sie mir ihre Klamotten geben. Ich werde sie ihnen trocknen.“
Sie nickte.
„Das Bad ist die Treppe rauf, den Gang entlang, dann rechts, wieder den Gang entlang die hinterste links.“
Sie nickte nochmals, drehte sich um und ging los.
„Einen Moment.“
Sie wandte sich nicht um, blieb nur stehen.
„Ihr Name. Wie heißen sie?“
„Kagu...ra.“
„Kagura. Gut. Na los. Gehen sie sich aufwärmen bevor sie sich noch eine Erkältung holen in den Klamotten.“


Kagura nickte wieder und verschwand die Treppe hinauf. Alexander schüttelte den Kopf. Diese Kagura schien ihm eine sehr merkwürdige Person zu sein. Einmal sprach sie, und dann wieder nicht. Und bedankt hatte sie sich auch noch kein einziges Mal.
Er betrat die Küche und stellte das Licht an, überlegte ob er ihr etwas zu Essen machen sollte. Nein. Das war nicht seine Angelegenheit. Und morgen würde er sie wieder los sein. Dann konnte sie seinetwegen in der Arche essen.
Erschöpft setzte er sich auf einen Stuhl und stützte den Kopf in die Hände. War es nicht richtig sie einfach so wieder abzuschieben? Was wenn sie wirklich kein Zuhause hatte. Nachdenklich starrte er an die Decke. Aber die Klamotten die sie getragen hatte erzählten eine ganz andere Geschichte. Ihr Rock war von einer teuren Marke, das hatte er gleich gesehen. Was wenn sie eine Prostituierte war? Er hasste es, aber er musste sie danach fragen. Wenigstens darüber wollte er noch Bescheid wissen. Was da heute Nacht für eine Person in seinem Gästezimmer übernachten würde. Als sie nach einer halben Stunde immer noch nicht aufgetaucht war, stand er auf und beschloss einmal nachzusehen was sie eigentlich da oben trieb. Das Duschwasser lief immer noch als er oben ankam, was zum Teufel trieb sie da so lange?
„Kagura?!“
Keine Antwort.
„Kagura?!“
Er wartete. Wieder nichts.


„Sie haben es so gewollt. Ich komme jetzt rein.“ Er nahm einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und schloss die Tür auf. Der Schlüsselbund klirrte als er auf den weißen Badfliesen aufschlug. Kagura lag mit dem Kopf noch in der Duschwanne, der Rest befand sich außerhalb. Den Bademantel hatte sie auch noch nicht richtig an. Er kniete sich neben sie und zog sie behutsam hoch. Kagura hatte sich den Kopf an der Duschwanne aufgeschlagen, ihr Blut färbte das Wasser tiefrot.


„Kagura, wachen sie auf.“
Er schlug ihr ein zweimal leicht auf die Wange, dann flatterten ihre Augenlider.
„Was ist passiert?“
„Ich weiß nicht...“ murmelte sie. „Mir war nur schwindelig auf einmal und ich...“
„Schon gut. Können sie aufstehen?“
Kagura nickte nur und machte sich von seinem Griff frei. „Es geht schon wieder. Aber mein Kopf tut...“ Sie nahm die Hand wieder von ihrem Kopf und starrte sie an. „Oh Mann...ich blute.“


Alexander war unterdessen schon dabei den Badezimmerschrank nach einem großen Pflaster zu durchsuchen. Endlich fündig geworden kam er schließlich zurück. Er desinfizierte die Wunde mit einem Taschentuch und klebte das Pflaster darauf. „Es ist nicht so schlimm wie es aussieht.“
Dann stand er wieder auf, hob ihre Klamotten auf und trug in einen kleinen Raum neben dem Bad. Er füllte das Waschmittel ein und stopfte ihre Klamotten in die Waschmaschine. Es war ihm jetzt egal ob das Material irgendwie empfindlich war. Die Sachen würden es schon überleben.


Kagura stand auf dem Gang als er fertig war. „Da drin sieht es aus wie nach einem Massaker.“ meinte sie.
„Ich mache das später sauber. Gehen sie jetzt schlafen. Das Zimmer gegenüber ist ganz und gar ihres.“
„Danke.“ antwortete sie und verschwand in dem Zimmer. Nun, zumindest hatte sie sich jetzt endlich einmal bedankt. Seufzend ging er die Treppe wieder hinunter und verschwand in seinem eigenen Schlafzimmer. Er lag noch eine ganze Weile lang wach und dachte über Kagura nach. Er musste zugeben, vorhin hatte er wirklich Angst um sie gehabt. Im ersten Moment, als er das Blut sah hatte er gedacht sie hätte sich umgebracht. Und er war selbst überrascht, wie erleichtert er war als er erkannte dass sie noch lebte. Sie nach ihrem Job zu fragen, das hatte er jetzt einfach nicht mehr fertiggebracht. Er schloss die Augen, wollte nicht mehr darüber nachdenken. Einige Sekunden später war er eingeschlafen.

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Tag der Veröffentlichung: 28.08.2012

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