Cover

Erleben der Sinne

 

 

 

 

Es gibt Momente, da erkennen wir
das Besondere beim Erleben der
Sinne.

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

Phil Humor- Macht Sinn

 

Sehen

Roland Schilling - Der Junge braucht ne Brille

Doris Frese - Sehen... Jerusalem und Bethlehem

Matthias März - Irland

Manuela Schauten - Sehen

Klaus-Rainer Martin - Als ich zum ersten Mal in meinem Leben „Neger“ sah

Angela Ewert - Bilder sehen

 

Hören

Margo Wolf - Ohrenschmaus - Ein besonderes Hörerlebnis

Matthias März - Juliane

Klaus-Rainer Martin - Hören, horchen, lauschen

Doris Frese - Hören

Angela Ewert - Radio hören

 

Schmecken

Margo Wolf - Schmeckt nicht...

Matthias März - Oma kocht besser

 

Klaus-Rainer Martin - Kohlrouladen und Germknödel

Anneliese Koch - Einkauf mit Hindernissen

Angela Ewert - Der Geschmack der Kindheit

 

Riechen

Doris Frese - Riechen ... Immer der Nase nach

Matthias März - Der Duft der Kekse

Klaus-Rainer Martin - Stallgeruch

Desperado - Reue

Angela Ewert - Wohlgerüche – Ekeldüfte

 

Fühlen

Klaus-Rainer Martin - Blinde fühlen intensiver

Doris Frese - Fühlen - Der letzte der 5 Sinne ist das „Fühlen“

Angela Ewert - Babys – kleine Wunder

Manuela Schauten - Gefühle

Anneliese Koch - Gefühle einer 80-Jährigen

Margo Wolf - Wie Seide

 

Danke

Autoren und Cover

Anthologien von BookRix - Autoren

Erlös geht an

 

Macht Sinn

 

Phil Humor

 

Den Sinnen käme es nie in den Sinn, von sich aus Sinneseindrücke zu erzeugen, so ganz ohne äußeren Anlass und Startschuss gewissermaßen. Sie sind es gewohnt, dass die Infos da draußen sind, sie sollen sie orten, wie ein guter Spürhund; die Sinne geschärft; was geht da so ab? Sie sind aber mehr als nur Sensoren, die die Umgebung scannen – die Sinne können quasi auch autonom – im Alleingang – für Sinneseindrücke sorgen: Dann sind sie Regisseur, Drehbuchautor und sie besetzen auch die Hauptrollen. Das Bewusstsein ist zuweilen lediglich Regieassistent – es staunt – und betrachtet, was die Sinne heute so im Angebot haben. Visualisieren, mentale Bilder; Bilder aufsteigen lassen, die ziemliche Ähnlichkeit haben mit der Realität. Oder man hört Musik, die gar nicht vorhanden ist – man kann auch eine neue Platte auflegen – quasi ein mentaler Musikautomat. Oder man nimmt Gerüche wahr, die nicht da sind. Zitronenduft. Ist natürlich immer von Vorteil, wenn man das Eingebildete von dem Tatsächlichen noch irgendwie unterscheiden kann. Im Traum glaubt man ja ohnehin, dass das real sei; kann noch so skurril sein; man ist sehr gutgläubig.

 

Die Sinne sollen einen normalerweise verbinden mit dem Moment, sie sind die Verbindung zur realen Welt; wenn man so will, die Nabelschnur, die uns mit der Realität verbindet. Oder wie ein im All schwebender Raumfahrer, der nur durch ein Seil mit seiner Raumstation verbunden ist. Die Sinne sollen ein verlässliches Band sein; man verlässt sich auf sie. Ist es nun Unfug, wenn man die Sinne dazu nutzt, etwas erscheinen zu lassen, was nicht vorhanden ist? Man zaubert quasi. Verwirrt sie vermutlich. Sie beherrschen das mit der Zeit immer besser: Ihre Vorstellungen werden immer realitätsnäher, -ähnlicher. Man visualisiert zunächst einfache Dinge. Einen Apfel, eine Kerze. Was Simples. Lässt es auf der geistigen Leinwand erscheinen. Kann dann die Gegenstände verändern, vergrößern, verschieben – ihnen eine andere Farbe geben. Im Grunde ist man ein Künstler im Geiste. Man kann mit den verschiedenen Maltechniken witzige Bilder kreieren – Nachteil allerdings: Man kann sie niemandem zeigen. Ein Solo-Programm. Und man erkennt, dass das Gehirn die Welt als Wahrnehmung selbst erzeugt. Die äußere Welt ist Anlass, die Mental-Welt zu erzeugen; aber man lebt im Grunde ständig in dieser Mental-Welt. Man könnte sie auch Welt 2.0 nennen. Man setzt darauf, dass da Entsprechungen mit der Realität sind, aber im Grunde könnte das Gehirn sich alles selbst erdenken; es ist dazu in der Lage; es hat alle Bordmittel. Man merkt es beispielsweise im Traum, dass es da plötzlich tolle Szenen baut, errichtet. Fantasie ist eine Schwester des Traums – oder eine Cousine. Imaginationen – wie in einem mentalen Zirkuszelt. Artisten sind die Gedanken. Sie verbünden sich mit den Sinnen: Man hört, sieht, riecht, schmeckt Realität, obwohl alles nur ausgedacht ist. Nur erdacht. Ein Komplott mit den Sinnen. Ein Streich. Trance hilft dabei. Sich entspannen, der 'Welt der inneren Bühne' Zeit lassen für ihren Auftritt. Man darf das nicht forcieren. Drängen lässt sich die Fantasie nicht. Sie ist da dann wohl ungehalten, vielleicht bekommt sie auch Lampenfieber, weiß gar nicht, was sie heute aufführen soll, was man von ihr erwartet. Suggestibel sein – die Sinne bei ihrer Arbeit nicht stören, ihnen nicht in die Quere kommen. Das Bewusstsein zieht sich diskret zurück. Trance als Möglichkeit, Varianten der normalen Realität mal durchzuspielen. Quasi ein Gedanken-Paralleluniversum.

 

Man kann die Sonne visualisieren – den Helligkeits-Regler hochdrehen –, aber man sollte es nicht übertreiben; es wird dann lästig. Es wird grell; als ob man tatsächlich zu lange und zu intensiv in die Sonne geguckt hat. Schon erstaunlich, dass das Gehirn das alles mitmacht – es akzeptiert das alles als real. Vorstellungen in jeder Realitäts-Schattierung. Das können ganz grobe geometrische Figuren sein – oder ganz detailliert ausgearbeitet. Egal, fürs Gehirn ist das okay – wird alles unter 'Realität' subsumiert und abgelegt.

 

Es ist im Grunde nur eine Steigerung des normalen Vorgangs: Man denkt an etwas – und gibt den Assoziationen dazu die Möglichkeit, ganz präsent zu sein. Ein Bratapfel – der ist im Gehirn auf verschiedenen Sinnes-Etagen verankert: Man kann ihn schmecken, sehen, riechen. Man kann ihn mittels seiner gespeicherten Sinnesdaten in Gedanken auferstehen lassen. Okay, der macht nicht satt. Da sind die Science-Fiction-Raumschiffe mit ihrem Replikator weiter. Auf Knopfdruck produzieren sie, was man so wünscht.

 

Aber die mentale Kopie hat auch was. Meist steigert man sich da nicht so rein, man belässt es bei groben Strichzeichnungen. Modelle, Muster von der Welt genügen üblicherweise. Alles, was darüber hinausgeht, ist für die Realitätsbewältigung nicht unbedingt erforderlich – aber es ist witzig; die Seele als Künstler – sie ist herausgefordert; sie fertigt – nun ein wenig unabhängiger vom 'Vorbild Realität' – Gemälde und 3D-Landschaften an.

 

Kann aber schon etwas lästig sein: Wenn man nur an Salz denkt, auch tatsächlich Salz auf der Zunge zu schmecken. Ich finde es faszinierend, dass das Gehirn von sich aus Bilder anbietet; okay, eine gewisse innere Bereitschaft sollte man schon haben. Man muss quasi ins Kino gehen, um auch den Film sehen zu können. Das Reale ein wenig ausblenden. 'Wer Ohren hat zu hören, der höre.' Könnte sich ja auch auf die Welt 2.0 beziehen – wenn die Sinne von sich aus mal wieder was beisteuern wollen. Mal zuhören, sich die Zeit nehmen. Das Bewusstsein soll zwar Kapitän sein – aber es weiß, dass es eine kompetente Mannschaft benötigt, deren Vorschläge sind auch gefragt, die sollen sich mit einbringen. Bewusstsein sollte sich allerdings nicht sagen: "Wenn man etwas richtig gemacht haben will, dann muss man es selber machen." Das wirkt dann doch etwas arrogant. Ich finde diesen Prozess des Dazulernens sehr interessant: Wie das Gehirn sich seiner eigentlichen Programme wieder bewusst wird: dass es weitaus mehr kann, als ein Spiegel der Realität zu sein. Allerdings sollten die Sinne mitspielen, zur Kooperation bereit.

 

Wobei sich die Frage stellt, wo genau denn nun die Grenze zwischen Realem und Erdachtem liegt. Oft ist das ein Gemisch. Oder ist das immer eine Mischung, ein Mix? Ein Mixtape? Jeder steuert da was bei? Wie objektiv kann man im besten Fall, im Extremfall sein? Nüchtern Daten abchecken. Aber es muss ja alles interpretiert werden, man ist auf die Zusammenhänge angewiesen. Man gewichtet – man kann nicht alles so ungeordnet nebeneinander stehen lassen. Erstens wäre die Datenmenge zu groß – und zweitens stehen Entscheidungen an. Kapitän Bewusstsein ist auf relevante Infos angewiesen. Man behilft sich mit Vereinfachung – darf aber letztlich nicht auf die Muster reinfallen, die man selbst über die Realität gestülpt hat.

 

Vielleicht wollen das die Sinne: Dass man sich ihnen zuweilen ganz widmet, sie stehen im Fokus. Totale Würdigung ihrer Arbeit. Rekapitulieren, was sie für einen getan haben. Man hat Erinnerungen abrufbereit – kann sie sich in unterschiedlichen Intensitäts-Stufen auf den mentalen Schirm holen. Wie bei einem Raumschiff auf der Brücke, wo der Blick nicht auf die Sterne gerichtet ist, sondern auf das innere Universum. Vielleicht ist man ja tatsächlich wie Captain Kirk ... Die Seele als viel größere Galaxie als vermutet. Als ich mit dem Autogenen Training begonnen habe, war die Entdeckung der Trance tatsächlich wie ein Tor zu einer anderen Welt. Die Sinne begleiten einen bei dieser Reise, sie sind wichtige Mitglieder der Crew. Man kann beinahe fotorealistische Bilder, Filme erzeugen bzw. entstehen lassen. Je nach Einflussnahme des Bewusstseins; wie viel steuert es? Überlässt es zuweilen den Kurs dem Unterbewusstsein?

 

Wenn man so will, kann man den anfangs visualisierten Apfel als Apfel der Erkenntnis bezeichnen. Okay, man kann sich Farben in echt angucken; aber es hat was Faszinierendes, wenn man mit der mentalen Palette als Künstler tätig ist: Farben stehen einem zu Diensten, sie fragen, wohin sie sollen, man arrangiert, man ist Zeremonienmeister. Imagination zur bloßen Unterhaltung – oder, weil man wieder Fragen ans Universum hat, die es aber vermutlich vorerst wieder nur zu den Akten legt. Wenn die Sinne die Erlaubnis haben, auch ohne Realität herumzutollen, treiben sie es dann zu toll? Oder könnte man in diesem Modus zumindest einen Sinneswandel schaffen? Einstellung zu Dingen ändern. Sich selbst überreden, gelassener zu sein? Oder sollte man das lieber lassen?

 

In der realen Welt sind die Sinne ein guter Ratgeber, sehr zuverlässig, man kann sich auf sie verlassen – sie wurden in Millionen Jahren Evolution getestet, auf den Prüfstand gestellt, verbessert. Check – Übereinstimmung mit der Realität? Denn es wäre schon fatal, wenn man den Löwen mit 'nem Sitzsack verwechselt. Der mag gar nicht kuscheln. Dennoch ist Welt 2.0 sehenswert, erlebenswert. Trance, Entspannung ist irgendwie das Portal. Realität – bzw. Welt 1.0 – etwas runterfahren, dimmen. Dem geistigen Auge eine Chance geben; bezieht sich aber auch auf die anderen Sinne – wie ihnen so ist, sollen sie mitmachen, sich beteiligen an dieser Mental-Party. Ein weiches Tuch, der weiche Sand ... man benötigt nicht unbedingt die unmittelbare Realität für Tast-Sinneseindrücke. Wie ein Schauspieler, der auf seine Erinnerungen zurückgreifen kann, bietet sich den Sinnen plötzlich die Chance zur Schauspielerei. Sie improvisieren, sie vermengen das mit zuvor Erlebtem, sind aber in Bezug auf Gestaltung der Zukunft frei ... was sie sich so vorstellen.

 

Wenn man innerlich einen Song hört – und der hat das Charakteristische eines bestimmten Sängers – dann verblüfft das einen schon zunächst. Es ist nicht irgendeine Version – das Gehirn kann eine ziemlich gute Kopie laufen lassen; eine Kopie, ein Ausschnitt der Realität. Veränderbar ... Man ist Baumeister – zumindest mit so etwas wie mentalen Lego-Bausteinen. Vielleicht nutzen Imitatoren diese Technik: Den man kopieren will, so sehr verinnerlichen, dass die mentale Kopie so gut gelingt wie die Wachsfiguren bei Madame Tussauds? Feinarbeit. Aber lohnt sich der Aufwand? Konzentration auf die Sinne macht die Welt eventuell ein bisschen weniger sinnlos, auch wenn es zunächst nicht wirklich sinnvoll erscheint. Oder ist so ein mentaler Workshop nicht im Sinne des Erfinders? Mir selber erscheint es, als würde die Welt größer – als wenn angebaut würde ... Jeder bekommt sein Zusatz-Universum dazu; der Erweiterungs-Baukasten. Gewissermaßen ein Upgrade zum klassischen Modell. Sinnend rasen wir durch die Gassen – oder aber, man nimmt ein bisschen Tempo raus. Das soll durchaus eine Einladung zum Autogenen Training sein – oder eine andere Form der Trance. Eine witzige Erfindung des Universums.

 

 

 

Der Junge braucht ne Brille

 Roland Schilling

 

Ich war inzwischen in der 2. Klasse.

Dass mit mir etwas nicht stimmt, nicht so war, wie bei anderen Kindern, ahnte ich bereits.

Während alle anderen vorlesen konnten, was der Lehrer an die Tafel schrieb, sogar aus der hintersten Reihe, kam mir schon etwas seltsam vor. Ich kannte zwar die Buchstaben und konnte sie auch lesen, wenn sie vor mir in einem Buch waren, Doch in der Entfernung zur Tafel, hatte ich meine Schwierigkeiten, diese zu unterscheiden. Besonderes wenn der Lehrer sie ziemlich eng aneinander schrieb.
Wenn ich die Augen zusammenkniff und mich konzentrierte, Einige Buchstaben einfach erriet, die sinnvoll in das Wort passen konnten, ging es einigermaßen. Aber ein flüssiges Lesen war so nicht möglich.
Mit der Zeit wurde es immer schlimmer. Auch die Worte in den Büchern schienen ineinander über zu gehen. Beim Lesen musste ich immer näher ran. Wenn ich etwas schrieb, lag ich quasi mit dem Kopf auf der Tischplatte.
Das entging natürlich weder meinem Lehrer, noch meinen Eltern.
Es war an einem Elternabend, als der Satz gefallen sein muss: „Der Junge braucht ne Brille!“

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Alle Rechte liegen bei den Autoren
Bildmaterialien: Manuela Schauten
Cover: M. Schauten
Tag der Veröffentlichung: 15.03.2020
ISBN: 978-3-7487-4293-7

Alle Rechte vorbehalten

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