Martha, die auf Wunsch ihrer an mehreren Synapsen erkrankten Mutter und deshalb die steile Stiege zum Speicher nicht mehr hinaufklimmen konnte, kletterte Martha hinauf, um die Osterkörbchen zu holen. Auf eine harte Probe wurde Martha gestellt, als sie auf dem Speicher sich durch die vielen Spinngewebe kämpfte. Da ihre Mutter viele Gegenstande unter Planen, wie Kisten mit Kleidung und Gegenstände vor Staub schützen wollte, fand sie die Truhe, in der die Osterkörben zu finden seien, nicht gleich auf Anhieb.
Nachdem sie etliche Spinngewebe entfernt hatte, stand sie endlich vor der Truhe. Rasch wollte sie diese öffnen, aber der Deckel ließ sich einfach nicht hochklappen. „Auch das noch“, dachte Martha, während sie sie Truhe näher betrachtete. Sie lief zur Stiege zurück, dort rief sie:
„Mama, wo ist der der Schlüssel, die Truhe ist verschlossen?“
Es dauert ein wenig, bis ihre Mutter antwortete, aber zu ihrem Leidwesen verstand Martha nur ein Brabelbrabbel und Gesprächsfetzen des mit überdimensionalen Lautstärke eingestellten Fernsehers. Sie schlug die Hände vors Gesicht, gleichzeitigt ratterte es in ihrem Hinterstübchen. „Mein Gott, ich werde alt“, dachte sie in diesem Augenblick, trat eine Schritt nach rechts, dort hing ein kleines Kästen an einem Stützbalken, das sie bereits aus ihrer Kindheit kannte, doch erst in der Jugend lernte sie den Inhalt des Kästchens kennen.
Rasch wollte sie den Schlüssel aus dem Kästchen entnehmen, doch dort befanden sich mehrere. Kurzerhand schnappte sie sich alle und ging hinüber zur Truhe. Der dritte Schlüssel passte. „Welch ein Wunder, normal passt doch der Letzte“, dachte Martha und drehte den Schlüssel. Sekunden später hob sie den Deckel und lauter Tischdecken stachen ihr in die Augen.
„Jetzt fehlt noch, dass ich die falsche Truhe erwischt habe“, sprach sie leise vor Entzückung aus. Sie hob die ersten Tischdecken hoch, doch da erblickte sie die Ränder von den uralten Osterkörbchen ihrer Kindheit. Vorsichtig zog sie die Körbchen heraus, dabei fiel ein bunt bemalter Briefumschlag auf dem Boden. Nachdem sie die Körbchen auf den Boden gestellt und die Tischdecken, die ihr langsam vom Arm rutschten, wieder in die Truhe gelegt hatte, hob sie den Briefumschlag auf. Sie staunte nicht schlecht und bekam große Augen, als sie dem Umschlag umdrehte.
An Martha, erst im Jahr 2019 öffnen!
Martha konnte nicht anders, obwohl es ihr leicht fröstelte, da der Speicher doch unbeheizt war, wurde es ihr warm. Sofort schaute sie sich um und suchte sie etwas, womit sie den Umschlag öffnen konnte. Endlich erblickte sie etwas und steuerte darauf zu. Prompt übersah sie das herrlich gewebte Spinnennetz, das sie sich leicht fluchend aus dem Gesicht und Haaren riss. Schnell fasste sie den Schraubenzieher, der lose neben einer Kiste lag.
Vorsichtig und total neugierig öffnete sie den Briefumschlag und mit etwas zittrigen Finger zog sie den Brief heraus. Hockend begann sie zu lesen.
Meine liebe Martha,
diesen Brief wirst du erst nach 50 Jahren lesen, das hat mir deine liebe Mutter versprochen.
Da unsere Mütter die gleiche der Krabbelgruppe für ihre Kinder aussuchten haben wir uns dort angefreundet. Seitdem sind wir unzertrennlich, im Kindergarten backten wir im Sandkasten die schönsten und größten Sandkuchen, die es auf der Erde gibt. Erinnerst du dich an die Streiche, die wir dort anstellten, wir füllten Limoflaschen mit Toilettenwasser und Brause. Die blöden Jungen Jens und Bernd, die uns immer ärgerten, haben dann genussvoll das getrunken. Wir konnten da nicht mehr vor lauter Kichern. Wir sind ein Gespann, richtige Freundinnen, dass wir dann letzte Woche unserer Lehrerin ein Pupskissen auf den Stuhl legten. Man, was haben wir und die Klasse gelacht. Auch Frau Licht fand es lustig und pupste, was das Zeug hielt.
Deine Mutter habe ich zu meiner Mutter sagen hören, die Zwei sind ein Paar, dass immer die gleichen Interessen an Unsinn zeigen, doch zum Glück sind beide neidlos. Was bedeutet neidlos, ach, egal, irgendwann weiß ich es und kann ja schlecht jetzt fragen.
Ich hoffe, wir werden uns nie aus den Augen verlieren, auch dann nicht, wenn wir verheiratet sind.
Deine Caroline
Martha bekam feuchte Augen, wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Vorsichtig steckte sie den Brief wieder in den Umschlag und schluckte noch einmal, bevor sie aufstand.
Schnell klappte sie noch den Deckel der Truhe zu, schnappte sie sich die auf dem Bodenstehenden Körbchen und ging hinüber zur Stiege. Während sie die Schlüssel in das Kästchen räumte, dachte sie an Caroline. Ja ihre Lebenswege hatten sich in der Jugend getrennt, so dass sie sich aus den Augen verloren hatten.
Von unten drang ein Stimmengewirr herauf. „Dieser laute Fernseher, ich muss dringend mit der Mutter zum Akustiker, sie braucht ein Hörgerät“, dachte Martha, als sie die Stiege hinunterstieg.
Doch als sie die Tür zum Wohnraum öffnete, blieb ihr fast das Herz stehen, da stand doch mit einem Lächeln im Gesicht Caroline.
Tag der Veröffentlichung: 11.03.2019
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