Cover

Die kleine Hexe Stiefmütterchen

Es war einmal, hinter den sieben Bergen, aber nicht bei den sieben Zwergen, da bin ich in einem Traum gelandet. Doch das Lustigste war, dass ich als eine kleine bemalte Vase auf dem Sims oberhalb des Kamins stand. Folgendes erlebte ich, bis ich vom Klingelton meines Weckers herausgerissen wurde:

Dort saß eine Großmutter in ihrem ehrwürdigen Lehnstuhl. Draußen stürmte es. In der alten Mühle bei dem nahe gelegenen Wasserfall, zerrte eine Sturmböe nach der anderen und ließ die Schindeln des Daches klappern und rüttelte auch gewaltig am Schornstein. Das große Festmahl des Märchenlandes stand bevor, der große Kessel stand bereits auf dem Ofen und die Suppe köchelte vor sich hin. Es klopfte laut an der hölzernen Tür.
„Herein, wenn's kein Schneider ist!“, rief die Großmutter.
„Nein, wir sind es, Hänsel und Gretel, die Kinder aus dem Märchenwald“, antwortete Gretel laut.
„Kommt herein, ihr lieben Kinder, die Tür ist offen."
Voller Stolz zeigte Hänsel ihr seine neue Rechenmaschine, die er vom Vater erhalten hatte. Doch zu seiner Überraschung sagte die Großmutter: „Kopfrechnen ist viel besser und hält dich fit!“
Trotz allem schaute sie sich die Maschine an und legte diese auf den kleinen Tisch, direkt neben die riesengroßen Schere, auf der sich eine Fliege niedergelassen hatte. Unverzüglich schnappte sie sich die Klatsche und schlug voller Rachegelüste zu. Gleichzeitig fragte sie Hänsel: „Wie geht es Thron, meinem lieben treuen Esel?“
„Er ist gut untergebracht in Vaters Stall. Ach bitte, liebe Großmutter, erzähle uns von früher“, bat Hänsel freundlich.
Die Großmutter bat Gretel, ihr die karierte Decke zu holen, legte sich dann die Decke über ihre Beine und fing an zu erzählen.


„Es war vor langer Zeit, da gab es eine kleine Hexe, die Hexe Stiefmütterchen, sie lebte in einem kleinen Häuschen, gar nicht so weit von hier entfernt, sie hatte ein Stäbchen. Wenn sie ihr Stäbchen gebrauchte, konnte sie sich mit allen Tieren und Wesen in unserem Wald unterhalten.
Es war kurz vor dem Nikolaustag, da kam zu der kleinen Hexe Stiefmütterchen der dicke Stiefelknecht, der die Haselnüsse für den Nikolaus sammelte und bat sie:
„Liebe Hexe Stiefmütterchen, kannst du mir bitte mit deiner großen Schere diese Kordel in Stücke schneiden, meine ist so stumpf und der Dachs liegt bereits im Winterschlaf.“
„Aber gerne, komm setze dich und lass uns erst mit einem Stück Maronenkuchen stärken, bevor wir uns an die Arbeit begeben,“ sprach die Hexe Stiefmütterchen.
Dies ließ sich der Stiefelknecht nicht zweimal sagen, denn der Maronenkuchen war im ganzen Finsterwalde bekannt. Kaum dass die Beiden sich an dem herrlichen Maronenkuchen labten, da klopfte es an der Tür. Das Wassermännchen, das hinter dem Wasserfall lebte, stand mit seinem Esel, der mit leichten Säcken mit Mehl beladen war, vor der Tür und bat um Einlass. Die Hexe Stiefmütterchen ließ ihn eintreten und fragte nach seinem Anliegen.
„Liebe Hexe Stiefmütterchen, könntest du mir kurz deine Schere ausleihen, die Schnüre um die Mehlsäcke sind zu lang, mein armer Esel Balduin ist bereits zweimal darüber gestolpert.“
„Aber gerne, doch setze dich erst und iss ein Stück Kuchen mit uns“, erwiderte die kleine Hexe Stiefmütterchen.
Ebenso wie der Stiefelknecht, ließ er sich das nicht zweimal sagen und setzte sich an den großen hölzernen Tisch. Sie erzählten sie sich die neuesten Geschichten aus dem Finsterwalde und vergaßen dabei die Zeit. Auf einmal hörten sie ein lautes Scheppern und ein schimpfendes „Ia, Ia, Ia“.
Ein Sturm hatte sich draußen gebildet und eine Sturmböe hatte eine Schindel vom Dach gerissen und wohl den armen Esel getroffen. Schnell lief das Wassermännchen hinaus, um nach seinem treuen Esel Balduin zu sehen.
„Bring deinen Esel herein“, rief ihm die kleine Hexe Stiefmütterchen hinterher.
Das Wassermännchen kam unverzüglich mit dem Esel Balduin zurück.
Während sie den Sturm abwarteten, kürzten die kleine Hexe Stiefmütterchen, der Stiefelknecht und der Wassermann die Schnüre für die Säcke mit den Haselnüssen, welche der Nikolaus für die braven Kinder brauchte. Ebenso kürzten die Drei die Schnüre der Mehlsäcke, damit der arme Esel Balduin nicht mehr stolperte. Nachdem der Sturm nachgelassen hatte, reparierten der Stiefelknecht und das Wassermännchen, das Dach und gleich noch dazu einige lose Steine am Schornstein. Voller Dankbarkeit, dass die beiden sofort die Schäden vom Sturm beseitigt hatten, packte die kleine Hexe Stiefmütterchen jedem noch ein großes Stück Maronenkuchen ein und gab sie ihnen mit auf den Weg.
„Das ist aber eine schöne Geschichte, gibt es noch mehr Geschichten aus dem Finsterwalde?“ rief Gretel freudig aus. „Später, jetzt muss ich mich erst einmal um meine Suppe auf dem Ofen kümmern“, antwortete die Großmutter.

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Manuela Schauten
Bildmaterialien: Manuela Schauten
Cover: M.Schauten
Lektorat: Gitta Rübsaat
Tag der Veröffentlichung: 05.11.2017

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /