Dicke schwere Wolken erblickte die siebenjährige Lena, als sie gedankenverloren aus dem Fenster schaute, doch es wollte ihr nichts zu dem Aufsatz, den sie als Hausaufgabe bis zum nächsten Tag schreiben sollte, einfallen.
Aus dem Hintergrund hörte sie leise Geräusche der Waschmaschine, ebenso stieg ihr ein grässlicher Geruch von Bohnerwachs in die Nase, da ihre Mutter beim Bohnern des Fußbodens war.
Sie nahm ihr Glas Milch in die Hand, hielt es hoch und stellte verblüfft fest, dass es nur Siebenachtel gefüllt war. Das Telefon klingelte und Lena wollte schon hinlaufen, doch da vernahm sie bereits die Stimme ihrer Mutter,
„Was, dieser hochtrabende Klient wird sich verspäten, also kannst du nicht pünktlich Feierabend machen? … Lass Dir nicht deine gute Laune vergraulen, er ist es nicht wert. … Du brauchst nicht zu fasten, ich stelle dir, wenn du kommst, dein Essen in die Mikrowelle. … Ach es gibt Sauerkraut, Kartoffelbrei und Mettwürstchen … Das freut mich, bis später. … Ja, ich richte es Ihnen aus.“
Lena trank ein wenig Milch und dachte:
„So, jetzt ist es nur noch halb voll, das bedeutet rechnerisch, es sind jetzt nur noch Vierachtel.“
„Mama, das Glas Milch war Siebenachtel gefüllt und jetzt ist es halb voll, sind das Vierachtel?“, rief sie fragend.
„Ja“, hörte sie ihre Mutter antworten.
„Micky, hör sofort auf!“, vernahm sie ihre Mutter laut befehlend sagen. Lena stellte das Glas auf die Fensterbank ab und rannte aus ihrem Zimmer.
Als sie ins Wohnzimmer kam, sah sie Micky, den kleinen Mischlingshund, wie er beim Umgraben des Erdreichs in dem großen Blumenkübel beschäftigt war, so dass die Erdklümpchen in einen hohen Bogen durchs Zimmer flogen. Unwillkürlich musste sie lachen.
„Lach doch nicht, ich habe jetzt die Arbeit! … Micky, hör sofort auf!“, meckerte ihre Mutter.
Während ihre Mutter die vielen Erdstückchen auffegte, meinte Lena:
„Mama, mir fällt nichts zu meiner Hausaufgabe ein, eine Geschichte von einem Abenteuer einer Schneeflocke“, dabei nahm sie vom Sideboard die kleine Schneekugel, welche ihr die Großmutter aus dem Souvenirshop bei ihrem letzten Urlaub mitgebracht hatte, ohne es zu bemerken in die Hand. Die Mutter schaute sie an, lächelte und meinte: „Lenamaus, sieh mal in deine Hand!“
Lena starrte erst ihre Mutter und dann ihre Hand an. Dann begann sie die Schneekugel zu schütteln, dass nur so die Schneeflocken tanzten und sich wie Puderzucker über die kleine Stadt in der Kugel legten. Fasziniert und gedankenverloren stand Lena plötzlich da.
„Na, fällt dir jetzt eine kleine Geschichte ein?“, wollte ihre Mutter nach einiger Zeit wissen. „Ja!“, erwiderte Lena und lief in ihr Zimmer, setzte sich an ihren Schreibtisch und begann zu schreiben.
Wie so viele tausende Schneeflocken, wurde Mira als Schneeflocke im Himmel geboren, aber nicht wie bei Frau Holle aus den Kissen geschüttelt. Im Himmel oben war es stattdessen sehr kalt und ein eisiger Wind wehte. Die Wolken ballten sich zusammen. Viele kleine Kristalle bildeten sich und plötzlich gab es einen lauten Knall. Da fielen sie einfach vom Himmel.
Mira fing auch zu fallen, musste weinen, doch ihre Tränen waren Freudentränen und trotz allem hatte sie Angst. „Warum weinst du, es ist doch toll wie wir so herum tanzen?“, fragte Milli, ihre Freundin.
„Doch, aber jetzt sind wir alle allein“, erwiderte Mira.
„Nein, schau dich doch um, all deine Freunde tanzen und lachen, komm lach mit uns, wir sind doch bei dir“, rief Milli und tanzte um Mira fröhlich herum. Mira verlor bei dem Gedanken ihre Angst und wirbelte genau wie ihre Freunde herum. Plötzlich gab es eine heftige Windböe und alle Schneeflocken wurden regelrecht herum geschleudert. Als Mira wieder aufblickte, sah sie in zwei helle blaue Augen.
„Wer bist du?“, rief sie ängstlich.
„Ich bin Bibi und du kitzelst mich an der Nase“, antwortete ihr eine helle Stimme.
„Du bist aber keine Schneeflöckchen, du siehst so anders aus“, entsetzt breitete Mira ihre Sternchen aus.
„Nein, ich bin eine kleine Hexe und bin mit meinem Hexenbesen Kartoffelbrei auf dem Weg nach Hause."
„Und wo ist dein zu Hause?“, fragte Mira mutig, dabei tanzte sie weiter auf Bibis Stupsnase und kitzelte sie.
„Da unten und höre bitte auf, mich zu kitzeln“, Bibi streckte den Arm aus und zeigte in die Richtung.
„Super, dorthin will ich auch“, jubelte Mira und hüpfte vor Freude.
„He Du! Hör auf zu kitzeln!“, hörte sie Bibi noch rufen, doch schon wurde sie von einer weiteren Böe hochgehoben und begann wieder herum zu tanzen. Mira befand sich nun wieder zwischen ihren Freunden und als sie Milli erblickte, erzählte sie sofort von Bibi.
„Ich weiß, ich saß wohl auf ihren blonden Haaren und habe eure Unterhaltung gehört.“
Die beiden Freundinnen wurden noch eine ganze Weile hin und her getragen, vorbei an Bäumen und einigen Häusern bis sie schließlich auf einem Fensterbrett landeten. Ein helles Licht schien ihnen entgegen, und als Mira sich umgeschaut hatte, da konnte sie nicht anders als lachen und rief Milli fröhlich zu:
„Schau mal da im hellen Licht, das ist die kleine Hexe Bibi.“
Texte: Schnief
Bildmaterialien: Schnief
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2017
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