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Abenteurer wie Tom und Huck

 

Fast jeder kennt ihre Abenteuer.

Als im Zweiten Deutschen Fernsehen ein Vierteiler am 1.12.1968 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, gab es für meinem Bruder und mich kein Halten mehr. Wir mussten einfach die Sendung sehen. Heutzutage würde die Sendung im Nachmittagsprogramm laufen, doch 1968 tickten die Uhren noch anders, und die Ausstrahlung begann pünktlich um 20.15 Uhr.

Da mein Bruder bereits lesen konnte, las er meinen kleinen Geschwistern und mir aus dem Buch von Mark Twain vor.

Dass eine tolle Sendung kommen sollte, merkten wir unwillkürlich daran, dass wir überpünktlich ins Bett geschickt wurden und unsere Eltern es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht hatten.

 

„Das muss ich sehen!“, flüsterte mir mein um ein Jahr älterer Bruder Michi zu, dabei glitt er lautlos aus er dem oberen Bett unseres Etagenbettes.

„Was musst du sehen?“, wollte ich von ihm flüsternd wissen.

„Tom und Huck!“, erhielt ich seine begeisterte Antwort.

„Die Beiden aus dem Buch?“

„Ja, kommst du mit?“

„Ja klar“, genauso lautlos glitt ich ebenso aus dem Bett, schaute er noch schnell in die unteren beiden Betten, denn dort schliefen bereits tief und fest unsere jüngeren Geschwister. Er schaute ebenso nach und sein Blick zeigte deutlich, dass sie wie Murmeltiere schliefen.

Auf unseren nackten Füßen huschten wir zur Tür, die Michi lautlos öffnete. Durch einen schmalen Spalt schoben wir uns vorsichtig in den Flur, denn wenn man diese Tür weiter öffnete, begann sie laut zu knarren.

Zu unserem Glück stand die Wohnzimmertürhalb offen, sodass dass wir einen wunderbaren Blick auf den Fernseher hatten. Unsere Eltern saßen wohl auf dem Sofa, denn sehen konnten wir sie nicht, aber wir vernahmen ihr Getuschel.

 

Wenige Augenblicke später begann der Film und wir setzten uns im Schneidersitz auf den Teppichläufer, der im Wohnungsflur ausgelegt war.

Gebannt verfolgten wir den Film, sodass wir nicht bemerkten, dass unsere Mutter aufgestanden war und plötzlich in der Tür stand. Sie sagte kein Wort, legte jedoch den Zeigefinger auf den Mund und ging wortlos ins Bad. Auf dem Rückweg strich sie meinem Bruder liebevoll über den Kopf und verschloss nicht die Tür.

Wir verfolgten weiterhin, wie Tom und Huck den Mord an dem Doc beobachten und wie im Anschluss der Unschuldige verhaftet wurde. Kurz bevor man diesen armen Stadtstreicher mit Federn teerte, sagten die beiden endlich aus. Ich atmete hörbar erleichtert auf und erhielt sogleich einen kräftigen Stoß in die Rippen von meinem Bruder. Er riss seine Augen weit auf und  funkelte mich böse an. Bis zum Ende des Films verhielt ich mich nun mucksmäuschen still.

Während der Abspann lief, schaute ich immer noch gebannt auf den Fernseher, da stupste mich mein Bruder an und wir huschten so schnell wie möglich in unsere Betten zurück. Dort unterhielten wir uns flüsternd, denn vor lauter Aufregung konnten wir noch nicht schlafen.

 

Es dauerte nicht lange und auch unsere Eltern hatten sich zu Bett begeben. Wir warteten noch einige Zeit, dann schlichen wir ins Wohnzimmer und dort spielten wir das gerade Gesehene nach. Eine Pfeife hatten wir nicht, aber auf dem Tisch lagen ja Zigaretten. Michi schnappt sich Eine, diese war halt die Pfeife. Wir kauerten uns hinter einem Sessel.

Unserer Fantasie ließen wir freien Lauf.

Wir krochen über die Sessel und das Sofa. Spielten im Flüsterton, wie Tante Polly sich aufregte und ich bin dann übers Sofa gehangelt, als würde ich durch Fenster aufs Garagendach steigen, um mich mit meinen Freund zu treffen.  Nach einiger Zeit lagen wir auf der Lehne des Sofas und stellten uns vor, dass wir in dieser Scheune auf dem Heuboden lagen. Wir blickten zur Tür, dort erschien plötzlich die Indianer Joe, der Doc und noch ein Cowboy, der seine Munitionskette um quer über den Bauch und Kopf trug. Seine blitzenden Revolver steckten in seinen Colttaschen. Der Doc jedoch in seinem schwarzen Anzug, er hielt eine Schaufel in der Hand. Im Geiste hörten wir, wie Indianer Joe den Doc ansprach: „Wo ist es vergraben?“ Zielstrebig ging der Doc noch ein paar Schritte und begann mit der Schaufel den Boden zu öffnen. Es ging nicht schnell genug, so stieß der Cowboy den Doc zur Seite und machte selbst weiter. Nachdem sie endlich die Kiste fanden und die Dollars herausholten, ging der Streit los. Plötzlich stach Indianer Joe mit seinem Messer zu, der Doc kippte zu Seite. Der Cowboy zog sofort seinen Revolver und ließ sich auf nichts ein. Schließlich teilten sie das Geld und verschwanden.

Mein Bruder, der den Huck spielte, wollte sich gerade auf die Sitzfläche des Sofas herunterlassen um nach dem Doc zuschauen, doch urplötzlich zog er mich von der Lehne hinters Sofa und drückte mir die Hand auf den Mund.

Erst jetzt vernahm ich schlurfendende Schritte aus der Diele in Richtung Bad. Mucksmäuschenstill verharrten wir, bis wir das Schließen der Schlafzimmertür hörten. In unserer Fantasie machten wir uns auf dem Weg zum Mississippi auf einem Bootssteg, der die Lehne des Sofas war, und angelten.

 

Irgendwann wurden wir so müde und schlichen uns ins Kinderzimmer zurück. Über einen Stuhl hangelte ich mich zurück ins Bett. Mein Bruder betrachtete seitdem sein Bett, als Tonne, in der er sich unter seine Decke hinein schob.

Am nächsten Tag verlor meine Mutter kein Wort darüber, sie meinte nur zu Michi: „Lass die Zigaretten aus, sonst haben wir noch einen Brandfleck im Sofa“.

Selbstverständlich sahen wir auch die anderen Teile, die wir ebenso tagsüber, wie auch des Nachts nachspielten oder auch eigene Interpretationen des Romans uns nicht zur Ruhe kommen ließen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Schnief
Bildmaterialien: Kostenloses Bild, bearbeitet mit Fotor
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2015

Alle Rechte vorbehalten

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