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Allein Daheim

 

Nach der Scheidung meiner Eltern suchte mein Vater für seine vier Kinder eine neue Mutter.

Ein Jahr überbrückte er dies mit Verwandten und Bekannten, die auf uns Kinder aufpassen sollten. Eines Tages stellte er uns seine neue Partnerin vor, diese brachte dann ihre beiden Mädchen mit. Die jüngere war drei Jahre jünger als ich und die andere vier Jahre älter. Kurze Zeit nach der Hochzeit wurden wir Kinder getrennt, mein älterer Bruder lebte von nun an bei meiner Oma väterlicherseits und meine kleine Schwester ist zu meiner Mutter, da sie überhaupt nicht mit der neuen Frau meines Vaters zurechtkam. Ich dagegen blieb, um meinen kleinen Bruder zu beschützen.

Diese Verbindung hielt aber nicht lange und scheiterte bereits nach drei Jahren, ausschlaggebend sollte wohl ein Gespräch mit meiner damaligen Klassenlehrerin gewesen sein, dies erzählte mir mein Vater einige Jahre später. Nun begann eine neue Zeit für mich und meinen jüngeren Bruder, die Zeit der Selbstständigkeit.

 

Mit gerade dreizehn Jahren versorgte ich meinen damals elfjährigen Bruder mit Schulbroten und Mittagessen. Nun ja, das Essen brauchte ich nur aufzuwärmen, denn die Mutter meines Vaters kochte für uns vor und am Freitagabend kam sie dann mit meinem Vater zu uns, um das Haus zu reinigen und Wäsche zu waschen, falls ich nicht die Maschine laufen gelassen hatte. Selbstverständlich halfen wir ihr dann.

Mit der Zeit hatten wir es aber heraus und putzen schon mal freitags vor, wie Staubwischen, saugen und im Wohnzimmer den Parkett leicht feucht zu reinigen, ebenso durch die Küche zu wischen, schon allein, um unsere Schandtaten zu verwischen.

So polierten wir auch den Parkettfußboden im Wohnzimmer und die Essecke mit Möbelpolitur.

Wir fanden das wohl sehr toll, denn es ergab sich so eine wunderbare Rutschbahn. In meinem Zimmer Anlauf genommen, der mit Teppichboden ausgelegt war, begann die Rutschpartie von der Zimmertür vorbei an der Sitzecke mit ihren sechs Stühlen, der Wohnzimmertür sowie dem dreisitzigen Sofa bis schließlich an die Wand landeten. Den Spaß, den wir dabei hatten, war jedenfalls einfach grandios.

Normalerweise zog mein Vater ja immer Hausschuhe an, weshalb er eines Tages doch mal auf Socken durch die Wohnzimmertür kam, weiß ich nicht, jedenfalls legte er sich dabei voll auf die Nase. Das Donnerwetter könnt ihr euch sicher vorstellen.

Am Sonntagabend verließen uns dann die Oma, der Opa, mein Bruder und mein Vater, der dann am Dienstagabend wieder kam, um Essen zu bringen und nach dem Rechten zu sehen. Selbstverständlich ging kurz nachdem sie weg waren, sofort  der Fernseher an und wir sahen uns Sendungen an, die wir sicher unter normalen  Bedingungen nicht hätten sehen dürfen. Ich möchte damit nicht sagen, dass wir bis in die Puppen vor dem Fernseher saßen, denn mit der Zeit wurde es ja normaler Alltag. Anmerken möchte ich noch, dass wir niemals zu spät in die Schule gekommen sind.

Freunde besuchten uns nach der Schule oder wir gingen zu ihnen. Auch die Eltern einer meiner Freundinnen, waren beruflich unterwegs, so dass sie oft mit bei uns aß. Besonders wenn es Grünkohl mit Pinkel  gab.

Spätestens um 20 Uhr waren wir zu Hause, auch unsere Freunde , die bei uns zu spielten, gingen dann nach Hause. Dass sogar das Jugendamt herumgeschlichen sei, um die Nachbarn wegen uns zu befragen, habe ich erst viel später erfahren.

Um meinen kleinen Bruder kümmerte sich auch viel der Fußballverein, der besonderen Augenmerk auf die jugendlichen Mitglieder legte, dass seine Schützlinge nicht auf Abwegen gerieten (Folge, nachdem sich ein Junge im Alter von 10 Jahren auf dem Dachboden erhängte).

Jedenfalls spielte mein Bruder und ich gerne mit einen kleinen Ball Fußball in unserem Flur, unsere Tore waren die Küchentür und der Durchgang zur Garderobe, die sich gegenüberlagen. An den Spaß und die Rangelei erinnere ich noch, als wäre es gestern gewesen. Wir wurden älter und unsere gemeinschaftlichen Spiele blieben auf jeden Fall das Fußballspiel. Auch unsere besondere Verbundenheit besteht noch bis zum heutigen Tag.

 

Während mein Bruder auf dem Fußballfeld oder bei seinen Freunden war, verbrachte ich meine Freizeit meist im Reitstall, pflegte die Pferde und mistete die Ställe aus. Dafür durfte ich kostenlosen Reitunterricht nehmen, denn mein Vater finanzierte mein Hobby nicht. Zu Weihnachten erhielt ich von meiner Oma eine Gerte und ich war überglücklich. Ein älteres Mädchen schenkte mir noch ein paar Reitstiefel, die ihr zu klein waren. Meine Freundin Bine war ebenso eine Pferdenärrin und mit Melly habe ich sogar noch das Kutschieren gelernt, wir hatten im Reitstall zeitweise einige Ponys zu stehen. Mein Lieblingspferd hieß Bandy, ein grauschwarzer Wallach. Er war etwas zickig und ließ sich auch nicht von jeden reiten.

Zu dieser Zeit saß ich auch eines Tages auf einem Pferd und habe es im Schritt trockengeritten. Natürlich machten wir allerlei Verrenkungen und wir alberten rum. Plötzlich donnerte etwas von draußen an die Holzwand, das Pferd scheute!

Ich flog im hohen Bogen durch die Luft und landete unsanft auf dem mit Sägespänen ausgelegten Boden der Reithalle. Sofort stieg ich anschließend wieder aufs Pferd. Wenige Minuten später sattelte ich noch ab, da wurde meine Hand immer dicker, so dass ich mit einer Betreuerin ins Krankenhaus fuhr.

Die Diagnose, Daumen gebrochen, Gipsverband. War mir egal, am nächsten Tag war ich wieder im Stall und durfte mir dann auch noch eine Standpauke anhören. Seitdem steht halt mein linker Daumen etwas ab. Wer es nicht weiß, bemerkt es nicht, kleiner Schönheitsfehler, kann man aber gut mit leben.

 

So zogen die Jahre ins Land und als ich fünfzehn war, lernte mein Vater wieder eine neue Frau kennen. Doch dieses Mal heiratete er sie nicht sofort, sondern nahm sich Zeit. Außerdem sollte erst ihre Tochter ihre Schule beenden. Am Wochenende kam dann immer seltener meine Oma, stattdessen kam Rosi mit ihrem Kind, die ein Jahr älter als ich war, doch genau wie ich noch ein Schuljahr vor sich hatte, um die mittlere Reife zu erlangen.

 

Zu diesem Zeitpunkt begann auch das frostige Verhältnis von meiner Oma mütterlicherseits mit meinem Vater aufzutauen, allerdings kümmerte sie sich auch weiterhin nicht um uns, obwohl sie mit uns in der gleichen Straße bei meiner Tante, die Schwester meiner Mutter, ihrem Mann und den drei Kindern lebte. Aber meine Oma meinte plötzlich, sehr gute Noten mit einem Zehn Markschein belohnen zu müssen. Um mein karges Taschengeld von fünf Mark im Monat aufzupolieren, nutzte ich dies schamlos aus, schließlich schrieben wir in der Woche drei Vokabelteste. Hat leider nicht lange angehalten, wurde ihr wohl zu teuer. Aber ich schaffte es mir, davon eine Reithose zu kaufen.

 

Zur Schule fällt mir noch das ungebührliche Verhalten gegen über einer bestimmten Lehrperson ein. Die ganze Klasse bekam einen blauen Brief bekam nach Hause, weil wir einfach still an unseren Plätzen saßen, ohne dem Lehrer zu antworten oder sonst irgendwie zu reagieren.. Wir haben halt stumm gestreikt und der Lehrer gab nach einigen Minuten auf, setzte sich ans Pult und holte irgendwelche Hefte hervor und begann diese zu korrigieren.

Mein Vater hat den Inhalt dieses Briefes nicht zu sehen bekommen, sicher hätte ich genauso eine geklebt bekommen, wie die meisten meiner Klassenkameraden. Da er ja wesentlich später nach Hause kam, habe ich den Brief an mich genommen. Den unteren Abschnitt abgetrennt, auf dem er das Einverständnis für ein zweistündigen Nachsitzens geben sollte.

Stattdessen legte ich ihm die Einverständniserklärung zum Theaterbesuch vor und erklärte ihm, ich habe es schon mal abgeschnitten. Da war am Dienstag und da er erst wieder freitags zu Hause war, unterschrieb er die Einverständniserklärung noch mal, weil mir angeblich Kakao über den Abschnitt gelaufen ist. Da Peinlichste an der Sache war, dass wir bei den Kleinen nachsitzen mussten und einen Aufsatz über unser Verhalten schreiben mussten.

 

Während des Wochenendes schleppte ich oft die Tochter der neuen Frau mit zu meinen Freunden und sie fand sehr schnell Anschluss, auch bei deren Freunden, so dass sie mit der Zeit ihren eigen Freundeskreis aufbaute. 

Das Schlimmste aber war, als Bine, meine beste Freundin, sich in meinen älteren Bruder verschoss und ich mir ständig ihre Liebesbezeugungen anhören musste. Mein Bruder verliebte sich jedoch in ein anderes Mädchen und dann bekam ich natürlich täglich ihr Gejammere zu hören. 

Im Sommer machten wir Abstecher an die unterschiedlichsten Seen in der Nähe. Ausprobiert haben wir alles, was eben möglich war, es gab auch einen See, der als FKK- Gelände galt, das war uns dann allerdings doch zu riskant.

 

Nachdem ich die Schule abgeschlossen hatte, heirate mein Vater Rosi und sie zogen bei uns ein. Ihre Tochter fand eine Ausbildungsstelle als Bürokauffrau und ich eine als Bauzeichnerin.

 

Noch heute bin ich froh und dankbar, dass ich solch eine Oma hatte, die in diesen Jahren fast jedes Wochenende von der Ruhr zu uns an die Erft kam, sich um uns `arme Würmis`, wie sie uns nannte`, zu kümmern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Schnief
Bildmaterialien: Schnief
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2015

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