Nachdem ich meine Ausbildung beendet hatte, suchte einen Arbeitsplatz, da mein Ausbilder als Folge der
Hochzinspolitik keine weitere Bauzeichnerin beschäftigen konnte.
Damals gab es noch kein Internet und in den Anzeigen der Tageszeitungen gab es keine Stellenanzeigen. Vom Arbeitsamt erhielt ich Karten mit Stellenangeboten, so das ich mich bei diesen suchenden Architekten vorstellen möge, doch bereits bei der telefonischen Terminvereinbarung musste ich feststellen, dass diese entweder einen Techniker oder einen Bauzeichner mit langjähriger Berufserfahrung suchten.
Toll dachte ich, was nun?
So schnappte ich mir das Branchenbuch, rief einen nach den anderen Architekten an. Nach etlichen Anrufen hatte ich nach Tagen bereits einen Vorstellungstermin.
An den Tag kann ich mich noch genau erinnern, als ich mich in seinem Architekturbüro vorstellte, denn ich hatte einen gemeinen Herpespickel an der Lippe. Selbstverständlich versuchte ich diesen ein wenig mit Kosmetik zu vertuschen und machte mich auf den Weg. Bei meiner Vorstellung stellte ich fest, dass es sich um ein größeres Architekturbüro handelte mit über zwanzig Mitarbeitern. Der Architekt des Ateliers war im Außentermin, so stellte ich mich bei seiner Vertretung vor. Ich legte ihm meine Zeichnungen vor und erzählte ihm meinen Werdegang während meiner Ausbildung, ich besuchte nicht nur die Lehrbaustellen, sondern auch Praktiken. Drei Monate bei einem Bauunternehmer auf der Baustelle, vier Monate in einer Schreinerei und zwei Monate bei einem Ingienier für Heizung und Sanitär.
Bereits am nächsten Tag erhielt ich eine Zusage mit dem Arbeitsvertrag, man würde sich freuen, wenn ich am 1. September 1981 beginnen könne.
Vor lauter Freude machte ich einen Luftsprung und rief sofort meine Freundin an und teilte ihr meine Freude mit.
Seit diesem Tag arbeitete ich mit vielen jungen Menschen, aber auch älteren Mitarbeitern zusammen. Nachdem die Bauherrenmodelle ausliefen und die Ferienparks, welche er plante und die Ausführung überwachte, langsam dem Ende zugingen, wurde unser Büro etwas kleiner. Nicht, dass er deshalb jemanden gekündigt hat.
Entweder verließen diese Mitarbeiter das Büro, weil sie Nachwuchs bekamen und sich ihnen widmen wollten oder anderweitige Herauforderungen suchten. Weitere Angestellte gingen in die Selbständigkeit. Studenten, welche ein Praktikum absolvierten arbeiten mit uns gemeinsam weiter.
Es herrschte ein tolles Betriebsklima und alle nannten ihn Papi, wenn wir von ihm sprachen, denn er war mehr väterlich als sonst was. Das Einzige was ihm total auf die Palme brachte, waren Kleinigkeiten. Eines vergesse ich mein Leben lang nicht. Statt einer 11,5 cm starken Wand habe ich die mal nur 10 cm stark gezeichnet und das im M1:100 . Dafür erhielt ich einen Anschiss, der sich gewaschen hat. Man konnte sonst Fehler machen, das war nicht so schlimm, aber diese Kleinigkeit konnte er einfach nicht vertragen. Vielleicht war auch etwas nicht so gelaufen und dann mein Fehler. Da konnte er explodieren, aber danach war alles wieder in Ordnung und vor allem, er war nicht nachtragend.
Nachdem die Bauherrenmodelle ausgelaufen waren, hat er seine Energie eingesetzt, um seine Ideen in eigene Gebäude zu verwirklichen. Wir brachten seine Ideen in Form von Zeichnungen aufs Papier, wie Mehrfamilienhäuser, Verwaltungsgebäude, Schulungsgebäude, ein Altenheim und ein Pflegeheim.
Nachdem unser Bauleiter schwer erkrankt war, warf mich Papi ins kalte Wasser, denn ab sofort durfte ich diese Aufgaben übernehmen. Es handelte sich um vier Zweifamilienhäuser, wobei sich jede Wohnung über zwei Etagen erstreckten. Allerdings konnte man aus jeder Etage auch eine separate Wohnung ohne größere Umbaumaßnahmen bewerkstelligen. Im Anschluss bauten wir noch ein größeres Gebäude mit sechszehn Wohnungen inklusive Tiefgarage.
Als wir das nächste Gebäude planten, überredete er mich, dort auch einzuziehen und aus einer Zweizimmerwohnung wurde eine Dreizimmerwohnung für mich.
Zu dieser Zeit machte er endlich etwas längeren Urlaub um auszuspannen. Jedes Mal wenn er zurück kam sprudelte er nur so vor Ideen und Tatendrang. Einmal erzählte er, dass er gerne Hundert werden wolle, um zu sehen, wie sich die Welt weiter entwickele.
Mein Chef wurde älter und eines Tages erlitt er einen Schlaganfall. Eines seiner Kinder übernahm die vorübergehende Leitung seines Büros. Er war aber ein Stehauf Männchen, erholte sich einigermaßen. Schweren Herzens gab er sein Büro auf, dieses wurde umgewandelt in eine Verwaltungsgesellschaft, um die Liegenschaften zu verwalten.
Nun begann er von daheim aus zu planen und ich machte neben meiner Arbeit diverse Pläne dazu. Er blühte immer auf, wenn er mit mir seine Ideen besprach und ich diese umgesetzt hatte. In seinem Wohnhaus war ein kleines Arbeitszimmer eingerichtet, in dem er einige Stunden am Tag verbrachte.
Nach einem halben Jahr stand er vor mir, dabei lachte er mir fröhlich ins Gesicht und meinte, bald schaffe ich es wieder ins Büro, dann ist die Schonzeit vorbei. Ich freute mich unheimlich mit ihm und sagte noch: „Ich freue mich, wenn Sie wieder ins Büro kommen und dann legen wir los.“
Er machte seine Übungen und Fortschritte zeigten sich. An seinem achtzigsten Geburtstag, schaffte er sogar ein kleines Tänzchen mit seiner Frau.
So verging die Zeit und ich pendelte oft zwischen dem Büro und seinem Wohnhaus.
Handwerker waren an seinem Haus zugange, sie machten eine Betonsanierung und erstatteten ihm immer Bericht. Man merkte, wie er sich freute, dass er an Ort und Stelle Entscheidungen treffen und Anordnungen persönlich geben konnte.
Einige Tage später bekam er plötzlich hohes Fieber und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Dort erlitt er einen weiteren Schlaganfall. Er fiel ins Koma, aus dem er zwar erwachte, aber sich nicht mehr erholte. Leider wurde er zu einem schweren Pflegefall und da in seinem Haus diese Pflege nicht möglich war, wurde er in dem vom ihm gebauten sehr familiär geführten Pflegeheim verlegt.
Dort besuchte ich ihn, ob er mich erkannt hat, weiß ich nicht, auf meine Fragen und kurzen Erzählungen antwortete er nicht und konnte sich auch nicht mehr durch Gesten bemerkbar machen.
Wegen eines Organversagens wurde er schließlich ins Krankenhaus eingewiesen, dort ist er nach einigigenTagen verstorben.
Leider hat er nach seinem Schlaganfall das Büro nicht wieder betreten können, welches wir zwischenzeitlich umgebaut hatten und ihm mit Freuden gezeigt hätten.
Über dreißig Jahre habe ich viele Stunden meines Lebens mit ihm verbracht und noch heute vermisse ich seine Fröhlichkeit, Menschlichkeit, seinen Ideenreichtum und vor allem seine Herzlichkeit.
Texte: schnief Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin
Bildmaterialien: Schnief
Tag der Veröffentlichung: 10.05.2014
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Widmung:
In Gedenken an Papi