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Die im Verborgenen

Sonntagmorgen, während ich den Frühstückstisch noch im Halbschlaf zu decken begann, klingelte das Telefon. "Mann, wo liegt denn das Telefon wieder", dachte ich suchend und ging dem Klingelton nach. Beim vierten Klingeln fand ich es endlich und hob ab.

„Hallo, wer stört den Sonntagmorgen, wenn alles noch schläft“, fragte ich in einem leicht witzigen Tonfall. Dabei schaute ich auf die Wanduhr und stellte fest, dass es bereits fast halb elf Uhr war.

„Hat Tina dich schon erreicht?“, antwortete mir eine bekannte Stimme, es war die Frau meines Vaters. „Nee Rita, ich denke sie ist in Dänemark und macht Ferien“, erwiderte ich, „Weshalb sollte sie mich anrufen?“ „Deine Mutter ist gestern gestorben! Könntest du Mike es sagen, dort nimmt niemand ab“, sagte sie tonlos und legte auf. Entsetzt über das eben vernommene, setzte ich mich auf einen Küchenstuhl um die Nachricht erst einmal zu verdauen. Kaum, dass ich saß, klingelte wiederum das Telefon. Ich nahm ab und sagte nur noch „Hallo“.

„Hallo, ich hätte gerne Manu gesprochen, hier ist Chanell“, entgegnete mir eine verweinte Stimme.

„Ich bin am Apparat“, erwiderte ich,

„Es tut mir leid, aber Mama ist heute Morgen eingeschlafen“, versuchte sie mir unter Tränen mitzuteilen, „Wann ist sie denn eingeschlafen?“, fragte ich sie.

„So zwischen viertel nach Neun und halb Zehn heute morgen. Sei mir nicht böse,aber ich melde mich wieder, wenn ich weiß, wann die Beerdigung stattfindet. Könntest du bitte den Anderen Bescheid geben, ich habe nicht alle Nummern“, bat sie mich. Nachdem ich dies bejahte, legte sie auf.

In diesem Moment betrat mein Mann die Küche, sah und fragte mich „Ist etwas passiert? Du siehst so kreidebleich aus.“ „Ja, meine Mutter ist eingeschlafen!“, erwiderte ich tonlos. Er nahm mich in seine Arme und sprach in einem mitfühlenden Ton. „Jetzt hat sie wenigstens keine Schmerzen mehr und ist sicher in Ruhe eingeschlafen.“ Wir unterhielten uns noch eine Weile, schließlich begann er zu frühstücken. Ich nahm den Hörer wieder in die Hand und wählte die Nummer meines Bruders. Freizeichen, aber niemand ging an den Apparat.

„Sind sicher mit den Hunden unterwegs“, sagte ich zu meinem Mann, der sich inzwischen die Sonntagszeitung geschnappt hatte. Darauf hin versuchte ich ihn übers Handy zu erreichen und  hinterließ schließlich auf der Mailbox eine Nachricht, mit der Bitte um Rückruf.

„Warum hast du ihm nicht die Nachricht von deiner Mutter auf Band gesprochen?“, fragte mich mein Mann. „Du bist echt blöd, so was spricht man nicht auf Band, stell dir mal vor, er sitzt im Auto und hört das Band ab, Männer!", zickte ich ihn an. „Tschuldigung, war nicht so gemeint“, erwiderte er beschwichtigend. Anschließend nötigte er mich etwas zu essen und blieb so lange sitzen, bis ich mir ein Brötchen schmierte. Nachdem ich gegessen  hatte, sagte ich zu meinem Mann, jetzt werde ich erst einmal mit Michi und Tina telefonieren.

Ich verzog mich auf die Terrasse in einen bequemen Gartenstuhl, da ich dort den besten Empfang mit dem Handy besaß. Da Tina  einen guten Draht zu Chanell besaß, würde ich sicher Details von ihr erfahren haben. So erzählte sie mir von den letzten Stunden unserer Mutter, auch das sie sich mit Mutter vor circa zwei Wochen ausgesprochen habe. Es ging ihr den Umständen entsprechen gut, deshalb sei sie auch beruhigt in Urlaub gefahren. Unser Gespräch dauerte fast eine dreiviertel Stunde, als Tina meinte - Die Rechnung wird aber saftig ausfallen, sie sei schließlich in Dänemark. Ich verneinte, da ihre Handynummer ja in Deutschland angemeldet sei und ich eine Flat für alle Handynetze besitze.

   Nach der Beendigung des Gesprächs saß ich erst einmal so da und versank in Gedanken.

Alles Mögliche schwirrte mir durch den Kopf, als ich plötzlich die Stimme meines Mannes wahrnahm. „Möchtest du etwas trinken, Wasser oder etwas Anderes?“ „Gerne, ein Glas Wasser, bitte“, antwortete ich ihm. Er brachte mir das Gewünschte und meinte noch, er ginge mal hinüber, um zu sehen, ob alles drüben bei seiner Mutter in Ordnung wäre. Daraufhin klingelte das Telefon und Michi war am anderen Ende. Wir unterhielten uns sehr lange über die Vergangenheit.

Da wir (meine Brüder und ich) nach der Scheidung unserer Eltern beim Vater aufgewuchsen, damals war Michi zehn Jahre, Mike sechs Jahre und ich acht Jahre alt  (Tina mit ihren damaligen 6 Jahren ist zur Mutter), bestand viele Jahre fast gar kein Kontakt zur Mutter. Erst als wir älter waren, hielten wir einen losen Kontakt. In den letzten 40 Jahren traf ich meine Mutter vielleicht fünfzehn Mal, auch telefonisch nicht öfter. Jederzeit waren wir herzlich willkommen bei meiner Mutter und ihren Mann, mit dem sie weitere drei Kinder bekam. Sie besuchte uns aber nie. Nach dem überstanden Brustkrebs, der erfolgreich gewesen sein soll,  aber vor circa drei Jahren hatten sich Metastasen am Knochenmark gebildet. Niemals hat sie bei meinen Brüdern oder mir eine Bemerkung über ihre Erkrankung fallen  oder hat sich etwas anmerken lassen. Wenn wir nicht unsere Tina hätten, wären wir absolut ahnungslos gewesen. Am späten Nachmittag rief dann mein jüngerer Bruder zurück.

Trotz allem war mir total seltsam zumute, weinen konnte ich nicht, aber ich weiß nicht wie soll ich mich ausdrücken.

 So beschloss ich ein wenig auf BX und MS zu lesen, um auf andere Gedanken zu kommen. Auf mS wurde gerade ein neues Battle veranstaltet und ich las die ersten Beiträge.

In der kommenden Nacht träumte ich total wirres Zeug, konnte mich aber am nächsten Morgen noch an diese Wirren erinnern und schrieb dieses Battle dazu.

Platz.

Immer tiefer versank ich in meinen Gedanken und lächelte in mich hinein.

Als sich dann plötzlich laut eine Stimme erhob.

 

Die im Verborgenen

In der Morgendämmerung gingen wir langsamen Schrittes, vorbei an den heruntergefallenen Tannenzapfen und über vertrocknetes Laub schweigend und in stiller Trauer zu deiner letzten Ruhestätte durch den Wald.

Ich versank in Gedanken und Erinnerungen kamen hoch.

Ich sah, wie du mich als kleines Kind an der Hand hieltest. Zusammen liefen wir durch eine große Stadt, dabei faszinierte mich die Lichtreklame und mit weit aufgerissenen Augen staunte ich über das große blinkende Krokodil auf dem Dach eines Geschäftes. Du lachtest, nahmst mich zärtlich auf deinen Arm und wir tänzelten mit dem vom Sonnenwind zerborstenem Wasser des Springbrunnens, welches durch den Feuerball der Sonne in sämtlichen Regenbogenfarben glänzte, über einen gepflasterten rschrak und stolperte ich über eine Wurzel, machte dann auch noch einen Kniefall direkt vor der Stelle, welche du dir für deinen letzen Ort erwähltest. Da erblickte ich sie, deine geliebten Walderdbeeren in voller Blüte. Beim Aufstehen beobachtete ich während der Verwandlung des Morgenlichtes, wie du mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht auf die im verborgenen wachsenden Beeren schautest.

Voller Demut begann ich zu verstehen, warum du dir diesen herrlichen Platz für die Ewigkeit aussuchtest.

Während der Beisetzung achtete ich auch auf meine Schritte, ich hatte keine Lust auf den Kniefall, aber danach schaute ich mich noch mal um, und da entdeckte ich in unmittelbarer Nähe die Verborgenen.

 

Impressum

Texte: Schnief
Tag der Veröffentlichung: 03.08.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Mutter

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