Während dieser Zeit lebte ich mit meinem Vater und meinem zwei Jahre jüngeren Bruder allein. Wir waren wãhrend dieser Zeit ziemlich selbstständig oder mussten dies.
Bereits drei Monate vor unserer Klassenfahrt hatte ich meinen Personalausweis beantragt, da eine Verlängerung des Kinderausweises nicht mehr möglich war. Einen Tag vor unserer Abfahrt erhielt ich endlich die Benachrichtigung, dass der Ausweis abholbereit bei der Stadt vorläge. Leider hatte das Amt im Jahr 1976 nachmittags nicht geöffnet, nur Donnerstagsnachmittag. Wir hatten Montag.
Da mein Vater keinen Urlaub hatte, machte ich mich am Dienstagmorgen sehr früh auf und bereits zehn Minuten vor acht Uhr stand ich vor dem fünf km entfernten Einwohnermeldeamt. Dort erhielt ich meinen Ausweis und radelte in einer Rekordzeit von Dreizehn Minuten zurück. Zuhause angekommen schnappte mir meinen Koffer und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Unterwegs traf ich noch eine Klassenkameradin und wir erreichten die Haltestelle. Pünktlich 8.45 Uhr kam der Reisebus angefahren und der Fahrer verstaute unsere Koffer. Meine Freundinnen waren erfreut mich zu sehen, dass ich es geschafft hatte. Nachdem der Bus die anderen Dörfer abgefahren und restlichen Schüler eingesammelt hatte, ging die Fahrt über die Autobahn Richtung Calais.
Während der Wartezeit, das wir auf die Fähre zu fahren konnten, entdeckten wir ein Hovercraft, drückten uns die Nasen an den Fenstern des Busses platt. Die Überfahrt mit einer Fähre auf dem Meer waren für meine Freundinnen und mich das erste Mal. Während der Überfahrt waren wir auf dem Deck, genossen den Fahrtwind und beobachteten die Möwen und anderen Wasservögel. Die Einreise in England verlief genauso, wie im Unterricht besprochen, der Zollbeamte kam in den Bus und schaute sich jeden Ausweis und die dazugehörige Person genau an. Selbstverständlich ging das Gegacker los. Unsere Lehrer baten uns, diese nicht zu reizen, damit wir unser Ziel ohne Zwischenfälle erreichen.
Nach weiteren zwei Stunden erreichten wir endlich unser Ziel, London. In einem kleinen Hotel in der Nähe des Hydeparks fanden wir unsere Unterkunft. Die Zimmereinteilung ging rasch von statten. Unser Zimmer lag im dritten Stock, zu viert machten wir es uns bequem. Es gab einen Minischrank und so beschlossen wir, unsere Kleidung in den Koffern belassen, den Schrank nutzten wir gemeinsam für unsere Jacken und Blusen. Nachdem wir uns schnell eingerichtet hatten, gingen wir hinunter. Vor dem Gebäude war ein kleiner Platz, auf dem eine Bank unter einem Baum stand. Dort trafen sich die beiden Klassen und gemeinsam gingen wir zu einem Restaurant, in diesen würden wir die nächsten sieben Abende essen.
„Was es wohl zu Essen gibt, hoffentlich können wir wählen?“, fragte Moni auf dem Weg.
„Hoffentlich etwas Vernünftiges“, erwiderte ich. Zu unserem Entsetzen gab es
Fish & Chips, dazu Erbsen und Möhren. Und die nächten Tage gab es jeden Abend Fritten mit seltsamen Fleisch und Gemüse.
Als wir am nächsten Morgen in den Frühstücksraum kamen, und das „tolle“ Frühstück - Büfett sahen, setzten wir uns froh gelaunt in Gruppen nieder. Ich nahm mir Toast und rote Marmelade, Moni und Gabi ebenfalls, allerdings eine gelbliche Marmelade. Gabi biss genüsslich in ihren Toast und nahm einen Schluck Tee, als Moni plötzlich wie von einer Tarantel aufsprang und zu einem Mülleimer raste.
„Was ist denn mit Moni?“ fragte ich Gabi. Sie antwortete nicht und lief so schnell sie konnte zu diesem Mülleimer und spuckte ebenso ihr Frühstück aus. Als beide zurückkamen, wollte ich wissen, was denn sei, antworteten beide im Chor:
„Gelbe Marmelade und der braune Tee ungenießbar! Einfach ekelhaft, schmeckte irgendwie nach Orange mit Peperoni“
„Und der Tee?“, fragte Petti.
„Irgendeine Mischung zwischen Minze, Hagebutte und Fenchel, einfach widerlich“, versicherte Gabi und fragte mich: „Wie schmeckt denn die rote Marmelade und der grüne Tee?“
„Erdbeermarmelade und Grüner Tee mit einem Spritzer Zitronensaft", antwortete ich ihr und schmierte mir weitere Toasts.
„Wir müssen irgendwo Nutella besorgen, sicher gibt es das auch hier“, meinte Moni hoffnungsvoll.
Alle schmierten sich Marmeladentoasts und warteten auf den Nächsten, der zum Mülleimer lief, dabei hatten wir unseren Spaß über ihre entsetzten Gesichter.
Nach dem Frühstück begann unsere Stadtführung per Bus mit einem einheimischen Reiseführer. Leider verstanden ihn höchsten die Hälfte, einerseits sprach er zu schnell, dazu mit einem Londoner Slang oder wir waren in unsere eigenen Gespräche vertieft.
So vergingen ein paar Tage, täglich Besichtigungen, davon blieben mir viele in Erinnerung die Wachablösung, natürlich der Versuch einen Wachsoldaten zum Lachen zu bringen, die nicht besichtigten Kronjuwelen, der Buckingham Palast und unvergesslich der Besuch bei Madame Tussauds.
In Gruppen schauten wir uns die Wachsfiguren an, machten unsere Witzchen über die diversen Persönlichkeiten, als wir hinunter zum Gruselkabinett wollten, staunten wir nicht schlecht, dass der dort ausgestellte Hitler hinter einem Panzerglas stand. Unser Klassenlehrer Herr Konn erklärte uns, die Figur wäre bereits einige Mal demoliert worden und die Kosten der Reparatur beziehungsweise Erneuerung sind dem Aussteller auf die Dauer zu kostspielig. So gingen wir die Treppe hinunter und kamen in einen ziemlich abgedunkelten Raum.
„Mann, seht mal, Frankenstein“, rief Petti.
„Der sieht so echt aus, richtig gruselig“, antwortete ihr Gabi.
„Wer ist denn echt und wer ist aus Wachs, man kann es kaum auseinanderhalten“, stellte Moni hinter mir fest.
Einige der Jungen hatten sich ihre Kapuzen übergezogen und sahen im Dunkeln gespenstisch aus. Wir schauten uns verschiedene Gruselmonster an, dabei versank ich ein wenig in Gedanken, als ich Dracula betrachtete. Plötzlich bewegte er sich und ich stieß einen heiseren Schrei aus, drehte mich um und wollte Schutz in den Armen meiner Freundin Moni suchen. Zu meinem Pech stand meine Freundin nicht mehr dort, sondern unser Klassenlehrer, an den ich mich in meiner Panik klammerte.
„Brauchst keine Angst zu haben, war nur einer der Jungen, die sich einen Spaß erlaubten“, versuchte er mich zu trösten. Nachdem ich seine Stimme wahrnahm, löste ich mich augenblicklich.
Zu spät!
Einige Mitschüler hatten alles mitbekommen. Meine Freundinnen versuchten mich zu trösten, aber ihre Schadenfreude konnten sie doch nicht ganz unterdrücken.
„Sei doch froh, das es nicht der Zwirbel war, dieser Kotz….“, meinte Gabi, als die Lehrer ein Stück entfernt waren.
Natürlich machte meine Umarmung die Runde und was für Spötteleien die nächsten Tage über mich hereinbrachen, war teils witzig und anderes halt voll daneben.
Am letzten Abend besuchten wir noch eine Diskothek, als wir im schummrigen Licht eintraten, sagte Moni lachend: „Pass auf das der Konni nicht wieder hinter dir steht“.
„Noch ein Wort und ich kündige dir die Freundschaft“, erwiderte ich leicht bissig.
An diesen Abend stand unser Lehrer nicht irgendwo, sondern blieb die ganze Zeit an der Theke, damit sich niemand etwas Unerlaubtes bestellte.
Am Tag der Rückreise freuten sich alle auf daheim, um endlich wieder etwas Vernünftiges zu essen, obwohl wir in Windsor ein Lokal fanden, in dem es uns gut schmeckte.
Trotz meiner ungewollten Umarmung besitze ich noch viele fröhliche Erinnerungen an diese Fahrt, doch würden diese hier den Rahmen sprengen.
Texte: Schnief
Bildmaterialien: Schnief
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2013
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