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Es ist kalt hier. Die leeren Wände wispern von vergangenen Zeiten, sie erinnern sich an die Wärme, die einst in diesem Haus wohnte. In vergangenen Tagen. Glückliche Tage waren das, unvergessene Tage. Und doch sind sie vergangen. Nichts ist mehr wie früher, und alles, was noch zu tun bleibt, ist, diese Tage in Erinnerung zu behalten. Sie nicht zu vergessen. Eine Aufgabe, die mir einst so simpel erschien.

Ich fürchtete die Erinnerung, zu Anfang zumindest. Ich fürchtete sie, weil sie mir vor Augen führte, was ich verloren hatte, was nie wieder sein würde. Ich fürchtete sie, weil sie so sehr schmerzte.
Heute weiß ich es besser.
Nichts ist Schlimmer, als das Vergangene zu vergessen. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es. Das stimmt nicht. Die Wunde ist immer noch da, der Riß in meinem Herzen, der nie wieder heilen wird. Die Erinnerung verblasst, die Erinnerung an bessere Zeiten, sie blättert ab wie der rußgeschwärzte Putz der Wände, löst sich auf, vergilbt wie eine alte Fotographie. Ausradiert, ausgelöscht, weil mein Gedächtnis löchrig ist wie ein altes Sieb. Wie Sand rinnen mir die Bilder durch die Finger. Zurück bleibt nur das Gefühl der Einsamkeit, dass um so stärker ist, da ich weiß, dass es eine Zeit gab, in der ich nicht allein war, sondern Teil eines Ganzen.

„Bis dass der Tod uns scheidet“, das hatten wir uns geschworen, und in meiner Naivität war ich mir sicher, dass uns noch viele Jahre bleiben würden. Jahre, in denen wir unser gemeinsames Leben aufbauen konnten. Ich hatte nie große Träume. Meine Wünsche waren so simpel und doch so bedeutsam. Ich wollte eine Familie. Ein Leben in Frieden und Glück, an der Seite des Mannes, den ich liebte. Mehr habe ich nie verlangt. Das Wie und das Wo war mir nie wichtig, so lange ich nur bei ihm sein konnte. Anscheinend war Gott dennoch der Meinung, dass das mehr war, als mir zustand. Ich hätte es wissen müssen. Es war zu schön, um wahr zu sein. Wenn so viele Menschen auf der Welt litten, warum sollte dann ausgerechnet mir ein glückliches Leben vergönnt sein? „Zu schön, um wahr zu sein“ – ich hätte es wissen müssen.

Nachdenklich streiche ich über die verkohlten Überreste seiner Jacke, die noch immer über dem Stuhl hängt. Ein schwarzer Fetzen angesengten Stoffes. Das Lächeln in seinen Augen, als er sie mir fürsorglich über die Schultern legte, damals, vor einem Jahr, als wir vom Kino zurückliefen und es plötzlich anfing zu regnen. Wir waren bis auf die Haut durchnässt, als wir endlich hier ankamen, und doch...was haben wir gelacht. Wie ein Gentleman hat er mir stets in die Jacke geholfen, mir die seine geborgt, wenn mir kalt war...
Es ist so kalt hier. Der Wind pfeift durch die zerschlagenen Fensterscheiben, ein unheimlicher, hoher Pfeifton, der mir einen eisigen Schauer den Rücken hinunter jagt. Ich sollte nicht hier sein. Und doch konnte ich einfach nicht anders.
Irgendjemand muss es schließlich tun. Irgendjemand muss sich erinnern, und außer mir gibt es niemanden. Die anderen haben weiter gemacht. Sie leben ihr Leben, nach wie vor. Sie bauen ihre Zukunft auf, schauen nach vorn. Als hätte es ihn niemals gegeben. Als hätte es uns niemals gegeben. Deswegen komme ich hierher. Um mich zu vergewissern, dass es kein Traum war, dass das Glück genauso echt war wie der Schmerz. Und an seinem Grab will es mir nicht so recht gelingen, ihn vor mir zu sehen. Es ist nur ein Stein, ein grauer, kalter Stein auf dem Friedhof.

Das Haus jedoch, das Haus erinnert sich an uns. Ich kann ihn vor mir sehen, wenn ich das Wohnzimmer betrete, ein einziges Chaos aus Ruß, Staub und zerbrochenen Möbeln. Hier haben wir auf der Couch gesessen, deren Füllung nun wie weißes Blut durch die Brandlöcher hervorquillt. Hier haben wir gesessen und uns gestritten, uns wieder versöhnt, hier haben wir gelacht, geweint und geträumt.
Ich kann die Trauer spüren, die das ganze Zimmer auszuströmen scheint. Hier bin ich nicht allein. Die Wände trauern mit mir. Das Haus hat uns nicht vergessen. Ich umarme die Kälte, die mit eisigen Fingern meine Hose hinaufkriecht, ich atme tief den bekannten, bitteren Geruch nach längst verflogenem Rauch ein. Und dann wappne ich mich.

Sehe hinüber an die Stelle, an der sie mit weißem Klebeband seine Umrisse nachgezeichnet haben. Wenn ich genau hinsehe, glaube ich noch immer, einen dunklen Fleck auf dem geschwärzten Laminat zu erkennen. Eine einzelne Träne rinnt meine Wange hinab.
„Du wusstest es“, flüstere ich verzweifelt in die Schatten hinein. Die Sonne geht unter, und die letzten, blutroten Strahlen tauchen das Zimmer in ein gespenstisches Licht.
„Du wusstest es! Wie konntest du nur so dumm sein! Du hast alles kaputt gemacht!“
Wie konnte er auch glauben, dass ich es dulden würde, einfach hinzunehmen, was er mir angetan hatte! Sie war meine beste Freundin, und ich hatte ihn gewarnt. Niemand wagt es, mich zu betrügen! Niemand!

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Texte: (c) by Schneeflocke
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2010

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