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„Wie geht es dir?“ Der Blick, der nicht mich, sondern vielmehr durch mich hindurch zu sehen scheint, verrät mir alles, was ich wissen muss. Die falsche Wärme im fragenden Tonfall der so bekannten Stimme täuscht mich nicht. Es ist immer das Gleiche.

„Danke, gut!“ Ein routiniertes Heben der Mundwinkeln, und ich pflastere mühelos ein Lächeln auf mein Gesicht. Es ist ein totes Lächeln, leer, inhaltslos und so falsch wie das Lederimitat meiner Aldijacke. Mein Kollege grinst kurz fröhlich zurück, schnappt sich seine eigene Jacke und wendet dann hastig den Blick ab, geht eilig seiner Wege, so viel ist noch zu erledigen, ehe die Läden schließen. Mit dem leisen Klingeln der Türglocke verschwindet er in der gesichtslosen Masse.

Kaum weiß ich mich unbeobachtet, sackt mein Lächeln in sich zusammen, als sei ein Schalter umgelegt worden. Es bereitet mir keine große Mühe mehr, das falsche Lächeln. Es ist mir zur Gewohnheit geworden. Und es ist so einfach, sie zu täuschen. Denn auch wenn das Lächeln meine Augen nicht mehr erreicht, fällt das nicht weiter auf. Weil sich nie jemand wirklich dafür interessiert.

Was soll ich auch auf eine solche Frage antworten? „Im Moment geht es mir ziemlich beschissen, danke der Nachfrage! Das Geld reicht hinten und vorne nicht, ich weiß schon gar nicht mehr, was das Wort Freizeit bedeutet, und vor ein paar Tagen hatte ich meinen ersten Nervenzusammenbruch, weil mir der ganze Stress mit dem Examen und dem Kellnern einfach über den Kopf wächst und ich einfach nicht mehr KANN! Verstehst du? Ich bin am Ende, ich will nur noch, dass es aufhört, ich will endlich wieder wissen, wie es ist, zu leben, doch ich finde einfach keine Zeit dafür, und all das nur, damit ich irgendwann einmal ein Studium beende, um danach arbeitslos zu werden, weil die Chancen, eine Stelle zu bekommen, etwa eins zu fünfzig stehen...“

Nein, das will niemand hören. Und so sage ich: „Danke, gut!“, und lächle mit traurigen Augen. Auf Fragen, die keine sind, folgen Antworten, die keine sind. Immer und immer wieder, bis es zur Routine geworden ist.

Müde ziehe ich die Tür des Cafes hinter mir zu und schleppe ich mich durch die überfüllte Einkaufspassage, ausgelaugt und erschöpft von der langen Schicht. Wieder einmal hat mich die Chefin angeherrscht, dass ich zu langsam sei, wieder hat sich ein Kunde beschwert, dass er nicht schnell genug bedient wurde. Auch bei ihm habe ich mich mit einem falschen Lächeln dafür entschuldigt, dass ich statt der üblichen fünf Minuten ganze sieben für seinen entkoffeinierten Cappuccino gebraucht habe, während das schrille Quäken des Kleinkindes am Tisch daneben an meinen Nerven zerrte. Er hat mich nur mit einem ungnädigen Blick bedacht und mir ganze zehn Cent Trinkgeld gegeben.

Das leise Schlurfen meiner durchgelaufenen Turnschuhe verliert sich in den Geräuschen der hektisch dahineilenden Menschenmasse. Niemand bemerkt mich, eine einsame Gestalt in einer dunkelbraunen Jacke, die mit hängenden Schultern und gesenktem Blick ihres Weges geht.

„Das hat niemand kommen sehen!“, wird es später heißen. „Das konnte ja niemand ahnen! Sie war immer so fröhlich, so ausgeglichen. Ich verstehe das nicht!“ Und es kann auch niemand verstehen. Weil niemand wirklich hingesehen hat. Weil alle nur auf den lächelnden Mund achteten.

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Texte: (c) by Schneeflocke
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2010

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