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Ten Foot Cops



Missbilligend rümpfte ich meine Nase. Eingepfercht in eine U-Bahn und umgeben von Heimkehrern aller Art, würde ich noch eine gute viertel Stunde mit diesem Menschenauflauf kämpfen müssen und das zu meinem größten Verdruss nicht mal freiwillig. Ausgerechnet heute hatte jemand nämlich die glorreiche Idee seinem Leben ein Ende zu setzen. Wenn man sich schon umbringt, dann doch lieber schmerzfrei, ohne viel Aufsehen und möglichst nicht während der Rush Hour im U-Bahnnetz der größten Stadt der USA. Ich wechselte mein Standbein und versuchte dem Gestank der zugestiegenen Arbeiter so gut es ging zu entgehen, was diese wiederrum ziemlich zu erheitern schien. Nur noch ein paar Minuten, dachte ich genervt und kramte in meiner Handtasche nach dem Handy. Die SMS wegen der ich überhaupt in diese U-Bahn gestiegen war, hatte ich gleich offen gelassen: „Annie, es tut mir Leid. Kannst du mir verzeihen? Bitte lass uns reden. Ich warte um 4 auf dich im Café unserer ersten Begegnung. LD Mark“, las ich erneut und unterdrückte einen leisen Seufzer. Warum war ich überhaupt hier? Ich wollte ihm doch nicht verzeihen, immerhin war er fremdgegangen und das wie es schien sogar mehrmals. Mir war eigentlich klar was gleich passieren würde: Er hätte einen Strauß Tulpen, meine Lieblingsblumen und würde mich umwerben wie am ersten Tag, mich mit Komplimenten eindecken und damit mein Herz erweichen und ich blöde Kuh würde ihn wieder in mein Leben lassen.
Es war so berechenbar und trotzdem konnte ich nicht widerstehen.
Die Ansage der Stationen riss mich aus meinem Gedanken und das quietschende Langsamerwerden der U-Bahn kündigte meine Befreiung aus diesem Blechkasten an. Bereits jetzt begann das Gedränge und Geschiebe Richtung Tür, das ich am allermeisten hasste. Wie durch Zufall rempelte mich dabei einer der Bauarbeiter an und ich konnte förmlich spüren wie der Schweißgestank sich in meine Sommerjacke grub. Angewidert kämpfte ich gegen den Drang ihm meine Absatzspitze in den Fuß zu rammen und begnügte mich mit finsteren Blicken, die ich seinem frechen Grinsen entgegen warf. Heute war wirklich nicht mein Tag, sonst hätte ich ihn bereits mit einigen schlagfertigen Worten zu Brei gehauen. Mit dem Gedanken daran kämpfte ich meinen Zorn nieder und erreichte so auch wieder halbwegs beruhigt den Ausgang. Endlich frische Luft, war mein erster Gedanke und das, obwohl ich mich immer noch im Untergrund befand. Sehnsüchtig nach oben blickend, ordnete ich mich in die Schlange der Rolltreppenfahrer ein, um diesem beklemmendem Gefühl zu entkommen. Besonders in den ersten paar Jahren, hier in New York, hatte mir diese Beengtheit und Kaltherzigkeit der Menschen zu schaffen gemacht. Ellenbogentaktik war mir fremd gewesen und mein Lächeln war sehr schnell einer ernsten Geschäftigkeit gewichen. Karriere ist das Ziel gewesen, es machen wie die Großen und bloß weg aus dem Kaff. Die Rolltreppe endete und ich betrat Manhattan und seine Wolkenkratzer. Zielstrebig überquerte ich mit hunderten anderen Passanten die Straße und lenkte meine Schritte zu dem Café auf der 59. Straße. Zu meiner großen Freude würde ich dazu durch den Central Park laufen, wo es bei diesem schönen Wetter sicher von New Yorkern oder Touristen wimmeln würde. Ich bog um die nächste Ecke und erblickte bereits die ersten Baumwipfel. Eine Kinderstimme: „Mami, da ist ein Pferd!“, erweckte meine Aufmerksamkeit und ich folgte dem Fingerzeig des Mädchens mit meinem Blick. Zwei Polizisten auf ihren Pferden patrouillierten auf der gegenüberliegenden Straßenseite, ein Anblick der mich sehnsüchtig seufzen ließ. Ich war auf einem Reiterhof aufgewachsen, mit vielen Kindern, die dort zu Besuch waren und reiten lernen wollten. Ich liebte diesen Ort, konnte den Hof aber nicht übernehmen. Seit mein Hengst unheilbar erkrankt war und eingeschläfert werden musste, schien ich verflucht was den Umgang mit Pferden betraf. Die Tiere scheuten vor mir und ließen mich nicht näher als ein paar Meter an sich heran. Meine Eltern waren ratlos und ich am Boden zerstört, sodass mein Umzug nach New York wie eine Flucht gewirkt haben musste. Ich hatte mich nicht von meinen alten Freunden verabschiedet und alles im Geheimen geplant und weil es keinen Abschied gegeben hatte, träumte ich oft davon einfach zurück zu kehren.
Ein harter Stoß von der Seite brachte mich unerwartet aus dem Gleichgewicht. Mit einem kurzen Aufschrei landete ich unsanft auf meinem Hintern und konnte mich gerade noch ein wenig mit meinen Händen abfangen. Verwirrt blickte ich mich um und bemerkte dabei das Fehlen meiner Handtasche. Ich sah ebenso wie ein Mann fluchtartig mit meiner Handtasche das Weite suchte, bevor der Tumult losbrach: Eine Frau rief: „Ein Dieb!“ und ein Mann half mir auf die Beine und erkundigte sich nach meinem Befinden. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die Polizisten und ihre Pferde die Verfolgung aufnahmen. Perplex und bewegungsunfähig blickte ich den Reitern hinterher und schrak erst beim lauten Knall einer Waffe aus meiner Starre auf. Angsterfüllt ignorierte ich die Passanten, die sich vorsichtshalber duckten und rannte in die Richtung des Lärms. Schon an der nächsten Biegung erblickte ich die Bilder des Grauens. Überall Blut, Passanten die gaffen und mittendrin das Pferd. Ohne Nachzudenken, die mögliche Gefahr ignorierend, rannte ich auf die Straße, wo sich das Tier im Todeskampf wand. Sein Reiter befreite sich gerade aus dem Sattel und blickte sich suchend nach dem Dieb um. Warum war das wichtig? Sein Pferd starb und er dachte an meine blöde Handtasche! Ich kam vor dem Pferd zum Stehen, es war eine braune Stute die kläglich wiehernd gegen die Schmerzen ankämpfte. Die Kugel hatte das Tier direkt in die Brust und nach der riesigen Menge Blut, die aus seinem Leib strömte wohl eine Hauptarterie getroffen, was jegliche Hoffnung auf Rettung zerstört. Kraftlos sank ich vor dem Tier nieder, ohne auch nur einen Moment an den Fluch, der alle Pferde reiß aus nehmen ließ, zu denken. Wie in Trance legte ich meine Hände auf den Hals des Pferdes, um die letzte Wärme und Kraft dieser majestätischen Kreatur zu spüren und ihr Beistand zu leisten.
Ein zweites Wiehern ließ mich aufblicken. Das andere Polizeipferd, ein schwarzer Hengst, ritt Reiterlos auf uns zu und blieb nur wenige Meter vor mir stehen. Schnuppernd schien er mit sich zu kämpfen, ob es sich mir nähern sollte. Er ließ mich nicht aus den Augen und gerade als ich aufstehen wollte, um ihm so das Abschied nehmen zu ermöglichen, setzte er sich in Bewegung. Er war sehr stolz wie ich feststellen musste, denn er ließ seine aufrechte Haltung trotz der Situation nicht fallen. Ich verharrte reglos und spürte wie der warme Atem des Pferdes über meine Hände strich. Leise wiehernd, knabberte er sanft an dem Hals der Stute und schien sie damit zu beruhigen. Dann ließ er von ihr ab und bäumte sich zu seiner vollen Größe auf. Ich spürte wie die Stute ihre Kräfte verlor und als ich aufblickte begegnete mein Blick dem des Hengstes. Es war, als würde ich die Seele des Tieres berühren, so deutlich konnte ich Stolz und Trauer in seinen Augen erfühlen.
Ein paar Tränen fielen auf den Boden und ich wusste, wir trauerten gemeinsam. Ich weiß nicht wie lange unsere Seelen auf diese Weise verbunden waren, aber erst als der Reiter bereits versuchte sein Pferd zum Gehorsam zu bringen, erwachte ich wieder aus meiner Trance.
Jemand hatte einen Krankenwagen gerufen, der fälschlicherweise mich mitnahm und nicht das Tier. Warum versuchte denn niemand der Stute zu helfen? Warum beruhigte niemand den trauernden Hengst? Ich verstand nichts mehr, fühlte kaum wie man mich mit sanfter Gewalt fortzerrte und mir das Blut des Pferdes so gut es ging abwusch.
Später, im Krankenhaus, konnte ich mich nicht mehr erinnern warum ich überhaupt dort war und auch nicht, dass ich beraubt worden war, so tief hatte sich der Anblick der beiden Pferde in meinen Kopf gebrannt. Ich wachte erst wieder auf, als ich daheim war, in meinem kleinen Dorf, im Bett meiner Kindheit auf dem geliebten Reiterhof.
Die Diagnose war klar und einfach gewesen: Schock. Der Anblick hatte mich so schwer getroffen, dass ich vier Wochen nicht ansprechbar gewesen bin. Nun jedoch trank ich gerade den selbstgemachten Tee meiner Mutter und spürte ihre sanfte Hand auf meinem Gesicht, als ich die ersten Worte seit einer gefühlten Ewigkeit sprach.
„Wo ist Dad?“, krächzte ich und kämpfte gegen die Heiserkeit.
Sie lächelte und strich mir liebevoll durchs Haar, als sie antwortete: „Er ist bei den Pferden.“
Ich nickte leicht und trank noch einen Schluck des tröstlichen Tees, in den Augen meiner Mutter konnte ich sehen, dass sie über alle Geschehnisse Bescheid wusste und mich wie so oft verstand. Wahrscheinlich war sie die einzige, die mich je verstehen würde. Denn so merkte sie gleich, dass ich gerne allein sein wollte. Bedächtig stand sie auf und ging in Richtung Tür.
„In einer Stunde gibt es essen“, meinte sie, „komm runter wenn dir danach ist.“
Ich nickte und war wieder allein. Mein Zimmer sah genauso aus, wie vor meinem Auszug vier Jahre zuvor. Seitdem hatte ich nämlich nur telefonischen Kontakt zu meinen Eltern gehabt. Zu Anfang sehr schwer für mich und besonders auch für meine Mutter, aber jetzt war ich 26 und ich bereute die Entscheidung zu gehen nicht. Ich stellte die Tasse auf meinen Nachtschrank und stieg aus dem Bett. Ein wenig wackelig war ich noch auf den Beinen, aber das konnte mich nicht davon abhalten einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Mein Zimmer war direkt unter dem Dach und so war der Ausblick dementsprechend schön, wie Balsam für meine geschundene Seele und ich lächelte dem Landleben fröhlich entgegen.
Neuen Mutes schlüpfte ich unter die Dusche und stieg dann in legere Freizeitkleidung, ein weites Hemd und eine bequeme Jeans. Wie früher nahm ich beim Heruntergehen gleich zwei Stufen auf einmal und betrat den großen Speisesaal, in dem es nur so von Kindern wimmelte. Meiner Mutter, die gerade den Eintopf ausgeteilt hatte, blickte auf und ich konnte spüren, wie froh sie über meinen Anblick war. Wie immer half ich ihr beim Austeilen und Ordnen des Kinderchaos, fast so als wäre ich nie weggewesen und nur das Pferdewiehern, das der Wind ab und an durch die offenen Fenster in den Raum trug, erinnerte mich schmerzhaft an meinen Weggang und die Abneigung, die diese wunderbaren Geschöpfe gegen mich hegten. Ich konnte nicht bleiben, das wusste ich und so würde ich die schönen Momente, die ich hier haben würde, genießen. Während wir aßen, betraten mein Vater und ein jüngerer Mann, der vermutlich für ihn arbeitete, den Saal. Sogleich stand ich auf um Vater zu begrüßen, zögerlich bremste ich dann jedoch ab, unsicher wie ich es anstellen sollte. Er dagegen dachte gar nicht lange nach, überglücklich umarmte er mich und alle Zweifel ich sei nicht Willkommen schwanden.
„Es ist schön dich wieder zu haben.“, murmelte er in meine Haare.
„Danke, ich freue mich auch wieder hier zu sein.“, meinte ich und trat ein Stück zurück, peinlich berührt von der emotionalen Situation. Meinem Vater schien es da auch nicht besser zu gehen. Wie um ablenken zu wollen, zeigte er auf den Mann der ihn begleitet hatte.
„Kennst du eigentlich Ben noch?“
Verdutzt schaute ich zu dem großen, muskulösen und dazu noch gutaussehenden Typen, der mich nun frech angrinste und mir forsch seine Hand hinhielt. Tatsächlich, ich hatte ihn nicht gleich erkannt, aber das war er: Mein Ben. Hatter er schon immer so gut ausgesehen? Zögerlich ergriff ich seine Hand, nur um nach vorne gezogen und mit einem sanften Schnipsen gegen die Stirn begrüßt zu werden. Ein Ritual, das er schon in unserer Kindheit vollzogen hatte. Missmutig rieb ich mir die Stirn.
„Wie könnte ich das vergessen?“, maulte ich und wand mich zum Gehen.
„Hey Annie, jetzt warte doch mal!“, rief Ben und folgte mir lachend. Ich war ihm nicht böse, wollte mir aber auch nicht die Fragen antun, wo ich denn hin sei und warum ich nichts gesagt hatte. Nachdem er mich erfolgreich eingeholt hatte, keine Schwierigkeit bei meinen kurzen Beinen, schnitt er mir den Weg ab und zwang mich so zum Stehenbleiben.
„Warum läufst du denn weg? Ist das jetzt deine neue Masche oder so?“, er verschränkte die Arme und wirkte mit einem Mal viel ernster als früher. Ich hatte gewusst, dass dieses Verhör kommen musste.
„Ben bitte, das ist meine Sache.“, meinte ich abweisend und wusste, ich würde ihn verletzen. Er wollte nur mein Bestes und das konnte ich nun mal nicht akzeptieren. Immerhin war ich hier die Böse, die einfach gegangen war und er musste es auch nicht verstehen, es war meine Sache.
„Ich will keine Erklärungen und ich weiß, du wirst wieder gehen.“, sagte er und erntete einen überraschten Blick meinerseits. „Ich möchte nur eins: Komm morgen mit zum Pferdefest! So wie früher. Dann lasse ich dich in Ruhe.“ Sprachlos blickte ich ihn an, so kannte ich ihn gar nicht. Bevor ich überhaupt realisieren konnte, was er da sagte, war er schon auf dem Rückweg.
„Ich warte auf dich!“, rief er noch und hob eine Hand zum Gruß bevor er hinterm Haus verschwand. „Oh dieser Typ, dieser Mistkerl!“, murmelte ich zornig und ließ meinen Frust mit ein paar Tritten an einem Baumstamm aus. Er wusste, dass ich kommen würde. Dafür war ich ihm zu viel schuldig und das hatte er eiskalt ausgenutzt. Und dann auch noch das Pferdefest, wie sollte ich denn ohne einem Pferd zu nahe zu kommen auf ein Pferdefest gehen?
Erschöpfter als beim Einschlafen, stieg ich am nächsten Morgen aus meinem Bett und kämpfte eine geschlagene Stunde gegen meine Augenringe und die verräterische Blässe. Früher war Ben immer der Erste gewesen, der durchschaute wenn mich etwas beschäftigte. Das wollte ich nun möglichst verhindern. So tauschte ich in meine Pumps gegen Reitstiefel, um gut auf der Festwiese voran zu kommen und fuhr mit dem Transporter, den wir normalerweise zum Einkaufen nahmen zum Dorf. Es war Tradition beim Pferdefest auch per Pferd zu kommen, deshalb musste ich mich einigen kritischen Blicken unterziehen als ich mein Auto parkte und zu Ben lief, der schon auf mich wartete.
„Hast du etwa das Reiten verlernt?“, fragte er belustigt und missachtete damit meine Sag-Nichts-Miene. Ihn ignorierend lief ich los in Richtung Festplatz und versuchte dabei den Abstand zu den vorbeilaufenden Pferden so groß wie möglich zu halten. Die Buden und Stände an denen wir vorbei kamen, luden zu den unterschiedlichsten Jahrmarktspielen ein und die Bars und Tische waren voll mit Leuten die das herrliche Wetter in vollen Zügen ausnutzten. Natürlich gab es auf einem Pferdefest auch allerhand fürs Pferd: Ausrüstung, Futter, neumodische Sättel oder einen Hufschmied der live zeigte wies geht. Planlos lief ich voran, bis mich ein lautes Wiehern zum Stehen brachte. Zuerst verwirrt schaute ich ob ich einem der Tiere zu nahe gekommen war. Ben der meinen suchenden Blick merkte tippte mir auf die Schulter und zeigte in die Richtung aus der das laute und zornige Wiehern gekommen war. Es kam vom Pferdemarkt, wo einige Tiere zu oft unverschämten Preisen versteigert wurden. Neugierig geworden stellte ich mich zu den anderen möglichen Käufern und beobachtete das Treiben, ein schwarzer Hengst stand zum Verkauf und wie es schien war er nicht zu bändigen. Ein erneutes lautes Wiehern erklang und schlagartig wurde mir bewusst, welches Tier sich da gegen den Verkauf wehrte. Es war das Polizeipferd aus New York!
„Wie sie sehen können, ist unser nächster Kandidat ein harter Fall!“, rief der Aktionär und untertrieb damit deutlich. Allen hier war klar, ein ungebändigtes Pferd diesen Alters würde sich nicht mehr bändigen lassen und war somit unbrauchbar. „Ich nehme es! 1000 sollten schon fast zu viel sein für den Störenfried.“, rief eine mir nur allzu bekannte Stimme. Ein grober stämmiger Mann trat aus der Menge und ich unterdrückte ein Stöhnen. Er hatte seine Berufung anscheinend zum Beruf gemacht und war Metzger geworden. Ein Mann, bei dem ich dieses wunderschöne Tier nicht sehen wollte. Ohne nachzudenken kämpfte auch ich mich vor.
„Ich nehme es – 2000!“, rief ich, schwerlich bemüht gegen die Männerstimmen anzukommen. Die Umstehenden wurden schlagartig ruhig, nur der Hengst schien davon unberührt und wütete kräftig weiter. „Mädchen, das Tier schlägt dich tot!“, rief der Metzger und löste die Anspannung. „Zu deinem eigenen Schutz biete ich 3000!“ Zornig bemühte ich mich ruhig zu bleiben und mich nicht provozieren zu lassen. „4000!“, rief ich und rechnete im Kopf noch einmal mein Erspartes zusammen, es wurde eng. Doch auch dem Metzger wurde es langsam zu viel, wütend blickte er zu mir. „Du kannst dieses Tier nicht zähmen, gib auf!“ Er trat ein Stück weiter zur Koppel, was den schwarzen Hengst anscheinend noch rasender machte und er begann die Umzäunung zu zertreten. Sogar ich hatte langsam Zweifel wie ich dieses Tier bändigen sollte. Der Metzger war bei dem Wutausbruch des Tieres zu Boden gestürzt, was seine Entschlossenheit dieses Pferd zur Schlachtbank zu führen anscheinend noch wachsen ließ. „6000 und keinen Dollar mehr!“, brüllte er außer sich und entschied damit die Auktion, denn ich war bei weitem nicht in der Lage so viel Geld aufzutreiben. Ich schwieg und in meinem Kopf arbeitete es. Wie sollte ich diesem majestätischen Tier nur helfen? Es hatte sich so tapfer gegen seinen Besitzer gewehrt um seiner Partnerin beizustehen und niemand schien das anzuerkennen. Ratlos schaute ich zu dem Hengst, der, als ahnte er sein Schicksal, ruhig geworden war. Hoffnungslos bewegte ich mich, soweit es möglich war auf ihn zu, um mich zu entschuldigen und um vielleicht auszudrücken was für ein Held dieses Tier für mich war.
Das Pferd schien meine Schritte zu hören und wandte sich mir zu, was ein ängstliches Raunen der Menge zur Folge hatte. Unsere Blicke begegneten sich und ich wusste, er erkannte mich und verstand mich und die Situation. Der Zweite in meinem Leben, der mich jemals verstanden hatte. Ich hob meine Hand und wie selbstverständlich legte der Hengst seinen Kopf in diese.
Ein Räuspern brach die Stille und mir wurde klar, dass es vorbei war. „Nun, falls niemand mehr bieten will. Zum ersten…zum zweiten…“, er machte eine dramatische Pause und ich schloss hoffnungslos die Augen. „7000!“, rief Ben und ich schaute überrascht zu ihm. Ich hatte schon fast vergessen, dass er da war. „Und jeden Preis den ich zahlen muss, um Annie dieses Pferd zu kaufen!“
Fassungslos schaute ich zu ihm, die anderen dagegen zu mir. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass mich gar niemand erkannt hatte. „Aber das kann ich dir nie zurückzahlen!“, zischte ich ihm zu. Er dagegen winkte lässig ab. „Lass mich nur machen!“ Der Verkäufer schien ratlos, begann dann jedoch von neuem herunter zu zählen. Niemand schien sich Ben in den Weg stellen zu wollen, immerhin war er aus reichem Hause. Als das „Verkauft!“ erklang konnte ich es gar nicht so richtig fassen. Er hatte das für mich getan und das, obwohl ich ihn einfach sitzen gelassen habe.
„Ben ich…“, begann ich und wurde sogleich von seinen Lippen auf meinen unterbrochen. Perplex schaute ich zu ihm. Er schien verlegen, grinste aber dennoch frech. „Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte, du warst so plötzlich weg!“ Ich verstand und konnte nicht anders als weinen. Er hatte solange auf mich gewartet und ich hatte ihm nur die kalte Schulter gezeigt. Überfordert mit meiner Reaktion zog er mich in seine Arme. „Wie soll ich dir das nur zurückzahlen?“, schluchzte ich und drückte mein Gesicht an seine Brust. Er strich über mein Haar und hielt mich ein Stück weit von sich, um mich anschauen zu können. „Abarbeiten! Es wäre mir eine Ehre, dich als Pferdepflegerin auf unserem Gestüt begrüßen zu dürfen.“, meinte er hoffnungsvoll und ich wusste er würde alles tun, um mich nie mehr hergeben zu müssen. Mein Blick wanderte zu dem schwarzen Hengst, der uns zu beobachten schien. Ich strich ihm leicht über die Stirn:
„Wo sollte ich auch hingehen, das hier ist meine Heimat!“

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Bildmaterialien: by ~somethingstupid
Lektorat: Maximilian Sonntag
Tag der Veröffentlichung: 08.05.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meinen Maxi

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