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Vor langer Zeit, kurz nachdem ein schrecklicher Krieg die Welt erschüttert hatte, lebten viele Menschen in Armut und ohne ein Dach über dem Kopf. Sie waren oft hungrig und lebten von dem was ihnen geschenkt wurde oder was sie stahlen. Zu dieser Zeit, während eines besonders harten Winters, geschah es auch das ein junges Mädchen, vom Hunger geplagt und auf der Suche nach ihren Eltern in ein verlassenes Dorf kam. Der Krieg hatte die Bewohner vertrieben und nichts als Ruinen zurückgelassen. Hungrig und verzweifelt suchte sie das Dorf nach etwas Essbarem ab, doch der Winter hatte alles ungenießbar gemacht und jede Pflanze unter einer dicken Schneeschicht verborgen. Zu erschöpft um weiter zu Laufen, lehnte sie sich an einen Baumstamm und ließ sich daran hinabgleiten. Traurig zog sie ihre Beine an den Körper und legte ihren Kopf darauf. Was sollte sie denn jetzt machen?
Eine Träne bahnte sich ihren Weg zur Erde und fiel in den weißen, reinen Schnee, der sie sanft umhüllte, ja schon fast wie die Umarmung ihrer Mutter wirkte. Ihre Eltern hatte sie, auf der Flucht vor den Soldaten, aus den Augen verloren. Sie wünschte sich so sehr, sie wären jetzt hier bei ihr und es wäre alles so wie früher, als sie auf ihrem Hof gelebt und gearbeitet haben. Eine Schneeflocke fiel ihr auf die Stirn und holte sie aus ihren Gedanken. Es hatte angefangen zu schneien und fasziniert beobachtete sie den Flug der Flocken. Früher hatte ihre Mutter immer wieder Geschichten über die kleinen Wesen erzählt die sich hinter diesen Kristallen verbargen. Geschichten, in denen die Flockenmännchen gute Taten vollbrachten und den Menschen wieder Hoffnung gaben. Vielleicht würde sie auch ihr jetzt helfen? Neuen Mutes sprang sie auf die Beine, klopfte ihr Kleid ab und entfernte sich ein bisschen von dem Baum der die meisten Flocken abhielt. Zögerlich streckte sie ihre Handflächen aus, um so viele wie möglich aufzufangen. So stand sie mehrere Minuten, doch nichts geschah. Die Kälte wurde immer unerträglicher und voller Verzweiflung ballte sie ihre Hände zu Fäusten und schlug damit in die Luft und rief die Schneeflocken an: „Warum helft ihr mir nicht! Ihr seid doch lebendig, nicht wahr?“
Als ihr bewusst wurde, was sie tat, ließ sie ihre Schultern sinken und stapfte zu dem Baum zurück. Was dachte sie sich auch dabei, es gab keine Flockenmännchen, so ein Unsinn. Wütend hob sie ihr Bein und trat gegen den verschneiten Stamm.
„Hey, lass das!“
Eine piepsige Stimme hinter ihr, ließ sie erschreckt umblicken. Da stand doch tatsächlich eine kniehohe Schneeflocke. Die Kristallecken empört in die Seiten gestemmt, blickte sie das Mädchen grimmig an. Verwundert beugte dieses sich zu dem Wesen herunter und pikste es leicht an, nur um sicher zu gehen, dass sie nicht träumte.
„Was soll das?“, meinte die Flocke und wedelte mit seinen Ärmchen um sie fernzuhalten,
„Müssen Kinder immer alles anfassen?“
Sie schüttelte belustigt den Kopf. „Tut mir leid, ich habe nur noch nie eine sprechende Schneeflocke gesehen.“
Doch das Wesen schien nicht mehr zu zuhören, es war bereits vollauf damit beschäftigt vor ihr auf und ab zu laufen und dabei unverständliche Worte zu murmeln. Verwirrt beobachtete das Mädchen die Schneeflocke, bis ihr langweilig wurde und die Fragen, die sie zurückhielt, nur so aus ihr heraus sprudelten: „Was machst du da? Bist du hier um mir zu helfen? Weißt du wo meine Eltern sind?“
Die Worte schienen das Schneemännchen jedoch kaum zu interessieren, es hielt nicht einmal inne. Enttäuscht setzte sich das Mädchen wieder an den Baumstamm und wartete ab, was als nächstes Geschehen würde. Da sie jedoch sehr müde war, wurden ihre Lider immer schwerer und obwohl sie wusste, dass sie nicht einschlafen durfte, glitt sie schon bald in die Traumwelt über.

Aber schon nach kurzer Zeit, wie ihr vorkam, weckten sie mehrere aufgeregte Stimmen wieder. Langsam blickte sie auf und rieb sich die Augen, da standen doch tatsächlich etliche dieser Flockenmännchen um sie herum und berieten sich was zu tun sei.
„Ein so junges Mädchen, wir müssen ihr helfen!“
„Warum gerade ihr? Sie ist auch nicht besser als die Anderen.“
„Sie hat doch niemanden mehr.“
„Wir können sie nicht erfrieren lassen.“
„Sie hat aber doch den Baum getreten!“
„Jetzt seid doch mal leise, ihr weckt sie noch auf“, meinte eine besonders kleine Schneeflocke, während sich das kleine Mädchen aufsetzte. „Ich bin schon wach.“
Überrascht drehten sich die diskutierenden Flocken zu ihr, nur um dann lärmend auseinander zu rennen und sich zu verstecken.
„Sie hat uns gesehen!“, meinte die eine, währende eine andere sich mit den Worten: „Jetzt ist alles zu spät.“, unter seinen kleinen Kristallärmchen zu verstecken versuchte.
„Aber ich tue euch doch nichts!“, rief das kleine Mädchen und sprang mit diesen Worten auf die Beine. „Bitte, wenn ihr könnt, helft mir!“
Verwirrt schauten sich die kleinen Schneeflocken an. „Wie sollen wir dir denn helfen?“
„Könnt ihr mir nicht sagen wo meine Eltern sind? Seit ihr nicht die Zauberschneeflocken, die so gute Taten vollbringen?“, fragte das Mädchen verzweifelt. Das einheitliche Kopfschütteln der kleinen Wesen nahm dem Mädchen allen Mut. „Aber was soll ich denn jetzt nur tun?“ Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und sank niedergeschlagen zu Boden.
Die Schneeflocken kamen vorsichtig näher, sie hatten großes Mitleid, wussten jedoch auch nicht was zu tun sei.
Da hatte jedoch eine Schneeflockenfrau eine gute Idee: „Ich könnte meine Tante fragen, vielleicht hat sie deine Eltern gesehen!“
„Und ich könnte meine Schwester fragen“, meinte eine andere Schneeflocke. Die anderen nickten zustimmend und gleich darauf vernahm das Mädchen ein Raunen im Schnee. Überrascht blickte es auf und wischte sich die Tränen weg. So ein Stimmen-Getöse hatte sie noch nie gehört. Der Schnee nahm dabei eigenartige Formen an und kräuselte sich wie die Wellen im Meer. Einige Zeit verging und das Gemurmel und Geraune wurde leiser, bis sich dann plötzlich die ihr bereits bekannten Flocken aus der Schneemasse lösten und mit aufgeregten Stimmen auf sie zu liefen.
„Mein Urururenkel hat deine Eltern gesehen!“, rief die eine und eine andere meinte: „Und bei mir sogar eine Großtante 5.Grades“
Die eigenartigen Familienverhältnisse, verwunderten das Mädchen kaum, so froh war sie endlich eine gute Nachricht zu hören. „Oh bitte“, rief sie, „bitte bringt mich zu ihnen!“.
Das ließen sich die Flocken kein zweites Mal sagen. Sie führte das Mädchen ein paar Stunden bis in ein nahe gelegenes Dorf. Dort hatten sich einige Flüchtlinge zusammen gefunden und teilten sich eine warme Suppe. Die Schneewesen wollten sich den Menschen jedoch nicht zeigen und so verabschiedeten sie sich von dem Mädchen schon am Rande der kleinen Siedlung.
„Ich danke euch von ganzen Herzen!“, rief das Mädchen glücklich und schloss sogar eine der nahe stehenden Schneeflocken in den Arm. Entzückt und gutmütig wünschten sie ihm viel Glück und verschwanden dann so spurlos wie sie gekommen waren.
Das kleine Mädchen aber rannte überglücklich und voller Sehnsucht zu der Menschenmenge, aus der sich auch schon bald zwei vertraute Gestalten, ihre Eltern, lösten und sie in die Arme schlossen.
„Du lebst, wir sind so froh! Aber wie hast du uns bloß gefunden, wir haben überall nach dir gesucht?“, fragte ihre Mutter und strich ihr fürsorglich über die Haare. Es lächelte wissend und entgegnete nur: „Ihr würdet es mir sowieso nicht glauben!“
Und dabei beließen sie es auch, sodass auch dieses Mal das Geheimnis der Schneeflockenmännchen nicht bekannt wurde.

Ende

Impressum

Texte: Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Maximilian Sonntag
Tag der Veröffentlichung: 21.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meinen Maxi

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