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Ich habe die Melodie sofort erkannt. Sie stammt aus der Fernsehserie „Wickie und die starken Männer“.
Das Pfeifen tönt aus einem benachbarten Garten zu uns herüber. Die hellen Töne durchschneiden klar und frisch die flimmernde Hitze, die uns schon seit Tagen wie aus einem geöffneten Backrohr anbläst. Luft aus der afrikanischen Wüste, heißt es.
Bäuchlings liege ich platt auf den Holzbohlen der Terrasse, zu keiner Bewegung kann ich mich aufraffen – doch auf das Pfeifen muss ich antworten.
Das letzte, laute Vibrato des Garten-Pfeifers ist noch nicht verklungen, da setze ich selbstbewusst an, um einen ebensolchen Rückruf zu erwidern.
Aber aus meinen gespitzten Lippen quälen sich nur ein paar viel zu luftige, beinahe gehauchte Pfeifer, die es kraftlos und leer kaum bis zum Gartenzaun geschafft haben dürften.
Ich hatte also gegen dieses virtuose, melodisch und rhythmisch sichere, schwungvolle Pfeifen
ein mieses, erbarmungswürdiges, ausgelaugtes und geradezu beschämendes Pusten gesetzt. Ist es die Hitze, von der meine Lippen eingetrocknet sind und die mich hemmt, die Luft mit Elan aus den Lungen zu drücken?
Wenn man das Pfeifen als eine akustische Reviermarkierung versteht, habe ich verloren. Als Vogel müsste ich mich jetzt schleunigst verziehen und dem unbekannten Gegner kampflos das Feld überlassen. Besser gesagt, alle vorhandenen Single-Vögel, also potentielle Partner.
Aber da ich weiblichen Geschlechts bin, würde mein Pfeifen ja wohl weniger eine Kapfansage darstellen, als vielmehr ein erotisches Signal…
Witzig, erst jetzt fällt mir auf, dass ich mir den pfeifenden Nachbarn als männlich gedacht habe. Meine Vorstellung kreierte zum Klang der Melodie das Bild eines smarten Mitt-Dreißigers, der in grüner Schürze durch seinen frisch gesprengten Rasen marschiert und sein fruchtbares Garten-Territorium bestens bestellt hat.
Warum habe ich sein Pfeifen beantwortet – (wenn auch kläglich)? Nur weil ich „Wickie“ erkannt habe und gerne mir bekannte Melodien pfeife? Oder weil ich ihn anlocken und betören wollte mit den zarten Tönen, die meinen Lippen entströmen?
Unserem Garten würde so ein Nachbar jedenfalls gut tun.
Wenn ich in meiner Flunderhaltung den Kopf hebe, sehe ich Trockensavanne, die durch intensive Sonnenbestrahlung ausgedörrt ist. Durch das Areal streifen kleine Tiger – unsere Katzen – und am Rand liegt eine riesige, tote Schlange: der Gartenschlauch, der leider ein Loch hat.
Mein Süßer lässt sich davon nicht beeindrucken. Er genießt die Sonne wie ein Reptil – bewegungslos, manchmal mit einem Auge blinzelnd. Er ist jetzt wo anders, nicht in der Trockensavanne, geistig zumindest. Ich will ihn nicht mit einem sanften Hinweis auf die dürstende Flora, die mich umgibt, aus seiner wohl verdienten Meditation reißen. Er arbeitet hart – sonst, meine ich – da kann ich ihn doch nicht am Wochenende mit der Forderung belasten, einem Stück Grünland, das man bei Google Earth sowieso kaum sieht, das Leben zu retten.
Wobei ich der Meinung bin, dass so ein Garten auch ein Recht darauf hat, dass seine Bedürfnisse erfüllt werden. Zum Beispiel sehnt sich der Rasen sicher seit Monaten nach einem schicken Kurzhaarschnitt. Der ist nun allerdings sowieso überflüssig, weil sich die grüne Fülle in einen braunen Teppich verwandelt hat. Das könnte am Wassermangel liegen. Ich stelle mir genüsslich vor, wie die trockene, aufgesprungene Erde begierig den kräftigen Strahl aus dem Wasserschlauch des pfeifenden Nachbarn aufsaugen würde, wie sich die wenigen, verbliebenen Blütenstauden dem überflutenden Nass sehnend entgegen recken, wie sich die schlappen, hängenden Stengel langsam aufrichten, während sich der inzwischen in meiner Vorstellung braun gebrannte und muskelbepackte Nachbar mit seinem funktionierenden Gartenschlauch hingebungsvoll auch dem letzten, verborgenen Winkel des Gartens widmet…
Da ist es wieder, das Pfeifen. Diesmal lauter als zuvor. Nun kommt es mir vor wie ein Versprechen, wie ein Ruf, wie ein geheimes Signal, das nur wir beide verstehen. „Ja!“ will ich antworten. „Ich komme!“ Ich will diesem Nachbarn, diesem Helden, entgegen eilen, ihn bitten, mit seinem Gartenschlauch unser sterbendes Biotop zu retten…
Das Pfeifen klingt jetzt ganz nah. Ich öffne die Augen, mein Blick wandert suchend zum Gartenzaun und ich finde IHN. Den Pfeifer. Seine Lippen sind noch gespitzt. Er hat tatsächlich einen Gartenschlauch in der Hand. Einen giftgrünen. Mit diesem Gartenschlauch deutet er jetzt auf mich. Sein weißes Unterhemd sieht verschwitzt aus und wölbt sich über einen stattlichen Bauch. Sein Kopf ist kahl rasiert. Um seine Lippen spielt ein ironisches Lächeln. „Sie sollten mal wieder den Rasen wässern“, spricht er mich an.
„Ja, äh, genau“, antworte ich. „Das haben wir fest vor.“ Ich deute auf meinen schlafenden Adonis und denke an Wickie und die starken M änner.

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Tag der Veröffentlichung: 01.11.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Geschichte allen Vögeln, die singen

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