„Wos?! A Hendl wolln`s? Des muaß i ja extra von der Schenk`n holn! Jetzt hol i erst amal des Bier und dann red`ma weida!“
Das war der empörte Ausruf einer strammen Kellnerin. Meine Frage nach einer Maß und einem Hendl war mir bis dato in einem Bierzelt nicht als unüblich aufgefallen, doch nun bekam ich Zweifel. Hatte ich mich missverständlich ausgedrückt? Hatte ich irgendetwas übersehen? Ich fügte mich zunächst erschrocken und widerspruchslos. Das hielt auch Mike, meine neuseeländische Zufallsbekanntschaft angesichts dieser einschüchternden Masse bayerischer Weiblichkeit für das Beste.
Wir beide waren ja schon froh, uns nach der Odyssee der Sitzplatz-Suche nun auf einer klebrigen Bierbank wiederzufinden, von der wir uns alle zwei Minuten wieder erheben mussten, um „Klo-Gänger“ vorbei zu lassen.
Hier draußen auf dem Vorplatz herrschte eine eher nüchterne, sachliche Atmosphäre und wir verdankten es wohl auch diesem Exilplatz unterm Sternenzelt, dass uns die Bedienung nicht als vollwertige Bierzeltbesucher anerkannte. Aber dieser abrupte, bockige Ausbruch auf meine Frage überraschte mich nun doch. Vielleicht lag das ganze Missverständnis irgendwie an der bayerischen Redeweise, die mir doch nicht so geläufig ist… Konnte es sein, dass das „und dann red`ma weida“ der Kellnerin nicht auf eine Fortsetzung unserer Kommunikation über das Hendl schließen lassen sollte, sondern einfach bedeutete ich hätte zu warten?
Jedenfalls schien sie nun nicht mehr mit mir sprechen zu wollen. Ich wurde von der unfreundlichen Dame keines Blickes mehr gewürdigt und es fiel kein Wort mehr, das mein Hendl betraf. Alles, was die Kellnerein noch äußerte, war ein „Is mir doch wurscht!“ in Richtung ihrer Kollegin, als sie die Maß für Mike auf den Tisch knallte. Ich zog den Schluss, dass diese Unmutsbekundung sich eventuell auf meinen Wunsch nach einem Hähnchen beziehen musste, den ich schüchtern versucht hatte, erneut kundzutun.
Nachdem die Bedienung davongerauscht war und uns hungrig zurückließ, beschloss ich zu handeln. Ich griff mir meine Hendl-Marke und marschierte selbst ins Bierzelt, zum „Hendl-Stand“.
Endlich, als ich schwer atmend vom Kampf mit der drängelnden und stoßenden Menge im prall gefüllten Zelt zurückkam und stolz Mike ein Hendl in einer Papiertüte vor die Nase hielt, deutete er grinsend auf ein zweites, oh Wunder, inzwischen serviertes, Teller-Hendl!
Die Kellnerin war nicht mehr in Sicht und hatte auf Mikes schwache Einwände, mit denen er die Situation zu erklären versuchte, nicht reagiert. Wir beschlossen nach eingehender Beratung, das Teller-Hendl zu verzehren und der Kellnerin das Tüten- Hendl wieder mitzugeben.
Nun versuchten wir während des Essens beharrlich, jede dirndlbeschürzte Masskrugträgerin auf das überzählige „poor lonely chicken“ (so Mike), aufmerksam zu machen. Leider ignorierte man uns beharrlich.
Als uns schließlich doch die stramme Bedienung wieder mit ihrer Aufmerksamkeit beehrte und wir ihr statt der Hendl-Marke das Tüten-Hendl präsentierten, keifte sie so laut, dass es dem Streitobjekt Konkurrenz gemacht hätte, wäre es noch am Leben gewesen.
Mike war so entsetzt von der explodierenden Person, die mich am Arm gepackt hielt und immer wieder kreischte: „Wenn sie des Hendl jetzt ned zahln, dann geh`n ma ins Büro!“, dass er ihr das Geld am liebsten sofort gegeben hätte.
Doch nun fühlte ich mich in meiner Ehre gekränkt und stimmte mutig zu: „Gut, gehen wir ins Büro!“ Auf dieses Stichwort hatte die stramme, an mir festgekrallte Furie nur gewartet. Ich fühlte mich wie auf dem Weg zum Schafott, als sie mich durchs ganze Bierzelt schleifte, und jedem zweiten, der ihr im Weg stand, klar machte, ich hätte nicht bezahlt.
Das Tüten-Hendl hatte ich als Beweisstück meiner relativen Unschuld mitgenommen, um notfalls seine Unberührtheit nachweisen zu können.
So standen wir schließlich im Büro. Die Kellnerin an mir festgekrallt und ich das Tüten-Hendl umklammernd. Allmählich schien es ihr zu dämmern, dass ich ein „Gast“ war und ihre Vorgesetzten möglicherweise von ihre eine zumindest nicht handgreifliche Behandlung meiner Person erwarten könnten. Also ließ sie mich wenigstens los.
Dem Herrn im schwarzen Anzug, dem ich jetzt vorgeführt wurde, musste höchster Respekt gezollt werden. Das schloss ich daraus, dass die vorher Keifende jetzt ruhig gestellt war. Doch bei der Frage nach dem Hergang des Geschehens schimpfte sie sofort wieder drauf los.
Ich bemühte mich redlich, meine aus bloßem Hunger verursachte „Tat“ , die ich nicht als vorsätzliches Verbrechen deklariert sehen wollte, ins rechte Licht zu rücken.
Schließlich stellte der Richter im schwarzen Anzug mir die entscheidende Frage:
„Aber warum haben sie denn nicht das andere Hendl gegessen?“ „Ich dachte, ich könnte dieses hier leichter zurückgeben“ erklärte ich und hielt ihm zur anschaulichen Untermalung meiner Worte das noch unversehrte Tüten-Hendl hin, das er seltsamerweise ablehnte.
Da auch die Kellnerin einen Schritt zurückging, als ich ihr das Tüten-Hendl in die Hand drücken wollte, meinte der Schlichter unseres Kampfes endlich salomonisch: „Nehmen sie`s mit heim und machen sie`s warm. Da schmeckt`s doch auch noch.“
Dem wütenden Einspruch der Bedienung machte er mit einer begütigenden Geste ein Ende. Sie warf mir noch einen sauren Blick zu, sah aber wohl ein, dass ich gewonnen hatte.
Und so zog ich denn hocherhobenen Hauptes, aber immer noch schamrot mit einem erbeuteten Tüten-Hendl von dannen. Und mit einem warmen Gefühl dem Anzug-Herren gegenüber, immer eingedenk seiner Abschiedsworte: „Und nächstes Mal überlegen sie vorher, welches Hendl sie essen!“
Tag der Veröffentlichung: 26.10.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Diese wahre Oktoberfestgeschichte widme ich allen Hähnchen, die gegessen werden und allen (Menschen), die das nicht verstehen.