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Der Mann hinter dem Schalter sieht mich entrüstet an.
Ich wünsche mir schon, keine Frage an ihn gerichtet zu haben. Aus seinem Blick spricht Verachtung. "Es ist seit Juni möglich, den Zeitkartenausweis für verbilligte MVV-Tarife zu erneuern. Mit Menschen die das nicht rechtzeitig machen, habe ich kein Mitleid."
Tief getroffen von diesen harten Worten sinke ich in mich zusammen. Ich habe meine Stammkarte nicht rechtzeitig verlängert. Es ist meine Schuld! Ich verdiene nicht einmal das Mitleid eines Stadtbeamten! Mit schuldbewusst gekrümmten Schultern und einer unguten Ahnung ziehe ich ab, zur Zeitkartenstelle der Stadtverwaltung. Hier will ich erneut mein Glück versuchen – oder mein Unglück herausfordern.
Dort angekommen verstehe ich, wieso ich Mitleid bitter nötig gehabt hätte: Hohle Blicke unzählbarer sitzender, stehender und bereits liegender anderer Studenten empfangen mich ausdruckslos und wandern dann durch die riesige Halle nach oben. Mein Blick folgt ihnen hinauf – hinauf zu einer Leuchttafel, die gerade die Nummer 320 anzeigt.
Was das zu bedeuten hat, wird mir erst klar, als mich ein rigoroser Herrscher über das MVV-Zeitkartenkontingent von seinem Schalter verscheucht, an den ich vorurteilslos herangetreten war. Schon wieder eine unwirsche Zurechtweisung: „Haben sie eine Nummer gezogen?“
Oh Verzeihung! Schon wieder! Mein Fehler. Manche Lektionen vergisst man sein Leben lang nie mehr. Meine Nummer ist 390, schlappe 70 Leute vor mir. Ich warte eine Dreiviertelstunde. Studenten haben ja Zeit.

Einen Monat später: Ich habe häufig in München zu tun und brauche die grüne Jugendkarte, um im Stadtinnenraum zum Studententarif die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen zu können. Schalterschauplatz diesmal: die U-Bahn-Unterführung Marienplatz.
„Sie bekommen die Grüne Karte nicht.“ Ich sehe die Schalterbeamte verständnislos an und fühle mich irgendwie diskriminiert. „Wieso nicht?“ „Ihnen fehlen da zwei Nummern. Die sind auf ihrer Stammkarte nicht eingetragen.“
Warum sie selbst nicht imstande ist, zwei Ziffern einzutragen, sagt sie mir nicht. „Da hinten in dem Glasbau.“ Sie deutet auf die MVV-Kundenzentrale. „Gehen sie da hin.“
Wunderbar! Ein neues Ziel!
„Ja, sie hätten schon angeben müssen, dass sie eine Grüne Karte wollen!“ Der Beamte der Kundenzentrale mustert mich vorwurfsvoll. Ich wage gar nicht zu sagen, dass auf dem Formular keine Möglichkeit war, diesen Sachverhalt anzugeben. Das ist jetzt aber wirklich nicht meine Schuld! Oder doch? Ich bewundere den Mut des Mannes vor mir in der Schlange. Er hatte den Namen des Angestellten gefordert, um sich über ihn zu beschweren, woraufhin sich der Mann vor ihm aufgebaut hatte mit den Worten: „Bitteschön. Da ist mein Namensschild. Ich habe vor niemandem Angst.“ Mit dieser Einschätzung hat der Beamte auf Lebenszeit bestimmt Recht und ich nicke nur noch ergeben, als er sagt: „Gehen sie zur Zeitkartenstelle. Nur die können das ändern.“ Dass auch er kein Mitleid hat, erkenne ich an seinem Tonfall.

Nun bin ich also mal wieder hier. Diesmal steht die Leuchtanzeige auf 125. Meine Nummer ist 570. Trotzdem sind nur 3 der insgesamt 10 Schalter besetzt. Ich beschließe, dass drei Stunden warten für nur zwei Ziffern mindestens 160 Minuten zuviel sind und dass eine andere Angestellte an einem anderen Schalter ihr Herz erweichen muss. Aber sie demonstriert gerechten Zorn bereits, als ich ihr mein Anliegen erkläre, außerdem eröffnet sie mir eine ganz neue Dimension meines Problems:
„Hier steht Teilstrecke.“
Aber ich habe nie behauptet, dass ich nur einen Teil der Strecke fahren will! Ich möchte eine grüne Karte.“ „Da sollten sie sich dann eben eine teurere Karte kaufen. Oder sie gehen zur Zeitkartenstelle. Das dauert allerdings, es ist Semesterbeginn.“
Aha! Alle Wege führen zur Stadtverwaltung. Nein, heute nicht mehr. Ich muss zur Abwechslung auch mal zu einer Vorlesung in die Uni. Als ich das Gebäude verlasse, zeigt die Tafel 270.
Nächster Tag: Ich bin wieder einmal am Hauptbahnhof. Voraussichtliche Wartezeit an der Zeitkartenstelle: mindestens zwei Stunden. Ich halte mich für besonders schlau und marschiere in die einzigen Bürogebäude auf dem Bahnhofsgelände. „Ich will den Vorgesetzten der Zeitkartenstelle sprechen“, sage ich zu jedem, der in blauer Uniform an mir vorbeiläuft. Nein, ich will mich nicht beschweren, ich will eigentlich nur eine grüne Karte, ohne drei Stunden zu warten.
Die Antworten gehen von „Karte? Nix verstehen.“ (klingt türkisch) bis hin zu naserümpfendem Ignorieren. Endlich: einer weiß bescheid. „Die Beschwerdestelle, ganz abgelegen hinter einem Parkplatz, Zimmer 108. Aber, die Stelle ist am Mittwochnachmittag geschlossen.“
Ich gehe trotzdem hin und spreche die Büroangestellten an, die gerade aus der Toilette kommen oder die Gänge hinunter eilen. Und tatsächlich, eine Auskunft: „Da müssen sie zur Zeitkartenstelle.“ Verdammt, da war ich schon! Schließlich werde ich aufgeklärt.
„Es gibt eine Aufsicht für die Zeitkartenstelle, verlangen sie die, wenn sie Probleme haben.“
Aha. Na gut. Probleme? Ich habe ja eigentlich gar kein Problem, ich will nur endlich eine Fahrkarte haben und muss in die Uni. Aber gut. Diesmal gehe ich direkt zum Schalter in der Zeitkartenstelle: „Ich möchte die Aufsicht sprechen.“ Der Beamte ist auf einmal die Liebenswürdigkeit in Person. „Worum geht es denn?“ Ich erkläre den Sachverhalt. „Da müssen sie sich anstellen, dann können sie die Aufsicht sprechen.“ Nein. Ich habe mich gestern angestellt und heute sehe ich das nicht mehr ein. Ich gebe nicht auf. „Ich habe nie gesagt, dass ich eine Teilstrecke fahren will. Warum steht das dann hier?“ „Ich kann sie jetzt nicht vorziehen, da warten noch 200 Leute.“
Oh, die kriegen Mitleid. Warum ich nicht? Wahrscheinlich, weil sie sich nicht beschweren und nicht sagen, wie unmöglich sie es finden, dass von ihren Steuergeldern Stadtbeamte bezahlt werden, die so unflexibel organisiert sind, dass stundenlange Wartezeiten entstehen. Aber ich werde langsam aufsässig. „Warum schreiben sie nicht einfach die zwei Zahlen da rein? In der Zeit, die sie dazu brauchen mir zu erklären, dass sie das aus Prinzip nicht tun können, hätten sie es schon zehnmal machen können. Ich will nichts geschenkt, ich will etwas kaufen.“ Schließlich soll ich zu Schalter 47 gehen, um mich zu beschweren. Ich will mich doch gar nicht beschweren, ich will doch nur…
Ich beschließe, ganz lieb zu sein, wahrscheinlich ist ja doch alles meine Schuld. Der Beamte ist ein Ossi und arbeitet für die Bahn. „Das macht die Stadt“, erklärt er, „wir sind dazu nicht befugt.“ Und er schimpft mit mir zusammen übers System. Endlich hat einer Mitleid! Ich fange beinahe an zu weinen.
Und ich fange an zu träumen: Service statt Mitleid! Information statt Bürokratie, Flexibilität statt gnadenlose Konsequenz, Effizienz statt… Ich träume weiter und komme morgen wieder.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese wahre Münchner Geschichte allen die sie lesen möchten

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