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Ich möchte nicht viel von dir,
schenkst du nur deine Freundschaft mir.
Mein Herz würde vor Freude lachen,
so wenig mich glücklich zu machen.




Es war einmal ein Streifenskunk mit einem schwerwiegenden Problem.

Schon jedes Kind weiß, fühlt sich ein Stinktier von uns belästigt, sollten wir schnellstmöglich das Weite suchen. Denn hat ein Skunk das Gefühl, sich verteidigen zu müssen, heißt es Nase zuhalten! Stinktiere können ein widerliches, nach Schwefel und Knoblauch stinkendes Sekret absondern.

Alle Stinktiere können das, bis auf eines!

Rosa war es unglaublich peinlich, aber sie lief lieber weg, als ihren Duft zu verbreiten. Kaum auf der Welt wurde sie ausgelacht und gemieden. Rosas Artgenossen machten einen großen Bogen um sie. Sie war ihnen unheimlich. Und das hatte seinen Grund!

Legte Rosa los, roch es so herrlich wie in einem Rosengarten.

Der Winter war für sie das Schlimmste. Im Bau fand dann Jung und Alt zusammen. Während sich die Eltern über Kindererziehung austauschten, die Alten über ihre Gebrechlichkeiten klagten und die Jungtiere sich fröhlich an erlebten Abenteuer übertrafen, blieb Rosa allein in ihrer Ecke zurück. Sie weinte viel und bitterlich über die abwertenden Blicke, das Getuschel der Kinder und ihre Einsamkeit. Als Rosa noch fast ein Baby war, hatte sie sich, wenn sie sich nach Liebe sehnte, immer schnell an ihre Mutter gekuschelt und den Schmerz vergessen. Längst war sie nun aus diesem Alter raus und auch die tröstenden Worte ihrer Mama und die Aufmunterungsversuche ihres Vaters, konnten Rosa nicht das ersetzen, was sie sich am meisten wünschte. Freunde! Trübsinnig beobachtete sie die anderen, während sie den erwachsenen Skunks Streiche spielten oder sich mit lustigen Spielen die Zeit vertrieben.
„Guck mal, da sitzt sie, unsere Wilde Rosa. Siehst du wie sie sich einigelt? Die denkt bestimmt wieder darüber nach, wie sie uns alle am besten mit ihrem Zauberaroma vergiften kann!“, lästerte Karlchen bewusst lautstark, damit nicht nur Siggi sondern auch Rosa ihn gut verstehen konnte. Sie vermochte sich an solch böse Kommentare leider nicht zu gewöhnen und so rissen sie jedes Mal neue tiefe Wunden bei ihr auf.
Jetzt im Sommer, wenn bei Anbruch der Dämmerung der Bau wie ausgestorben dalag und ein jedes Stinktier sich voller Tatendrang auf Nahrungssuche begab, schlüpfte Rosa gewöhnlich als Schlusslicht missmutig nach draußen.
Schnell war ihr Bedarf an Insekten und Früchten gedeckt und wie der Blitz eilte sie zurück in die schützende Behausung. Sie zitterte am ganzen Körper. Es war wieder gut gegangen. Was hatte sie einem feindlichen Angriff denn schon entgegenzusetzen? Sollte sie einen Kojoten etwa mit einer Note Rosenbukett in die Flucht schlagen?
„Mama, warum muss ausgerechnet ich anders sein als alle anderen? Und kann man denn wirklich gar nichts dagegen tun?“, stellte Rosa flehentlich die stets gleiche Frage, aber auch die Antwort änderte sich nie. „Mein liebes Kind, deine Andersartigkeit ist bloß äußerlich! In deinem Inneren, in deinem Herzen bist du genauso rein und schön, wie alle anderen Lebewesen auch. Wir Stinktiere sind eine große Familie. Du musst Geduld haben.“, versuchte ihre Mutter ihr neue Kraft zu geben. „Sie mögen mich nicht! Ich werde ewig allein sein!“, schluchzte Rosa und zog sich wieder in ihre Ecke zurück.
Sie war keineswegs die geborene Einzelgängerin, die sie vorgab zu sein. Aber die Not macht bekanntlich erfinderisch. Bei einem ihrer Kurzaufenthalte außerhalb des Baus hatte Rosa einen kleinen grauen Stein gefunden. Mit viel Fantasie ähnelte seine Form, der einer kleinen Maus. Der Schwanz fehlte, aber genau deshalb hatte sie beschlossen, dass dieses winzige Steintierchen ihre Freundin Bibi sein sollte. Durch dieses fehlende Körperteil, war sie keine richtige Maus, wie eben Rosa auch kein normales Stinktiermädchen war.
Sie redete und spielte mit Bibi, als wäre sie eine richtige, lebendige Freundin. Die älteren Skunks bedachten sie dann mit besorgten Blicken und die jüngeren tuschelten darüber, dass die Wilde Rosa schon immer nicht ganz richtig im Kopf gewesen sei.
Rosa hatte sich sogar ein Lied für sich und ihre Freundin ausgedacht, dass sie leise vor sich hin summte, damit sie die ständigen Kränkungen nicht hören musste.


Nicht traurig sein,
du bist nicht allein.
Ich bin für dich da,
wir sind Freunde wunderbar.
Versprochen habe ich es dir,
du gehörst zu mir.
Die anderen sollen gehen,
sie werden es alle sehen.
Wir sind stärker als die,
vergiss das nie!




Die oft in sich gekehrte und sensible Rosa wurde gewiss nicht ihres Charakters wegen von vorlauten Kindermündern auf „Wilde Rosa“ getauft, der Spottname war vielmehr eine Anspielung auf die prächtigen Wildrosen.

Karlchen hatte verschlafen. Alle seine Spielkameraden hatten bereits den Bau verlassen, während er wahrscheinlich noch von neuen aufregenden Ausflügen träumte. Rosa beobachtete ihn missbilligend und amüsierte sich darüber, dass sein Näschen lustig zuckte, wenn der Traum vermutlich doch zu aufreibend wurde. Verschlafen rieb er sich seine Äuglein und sah sich verwundert um. Als er Rosa entdeckte, streckte er sich betont lässig und wandte sich dann ungerührt ab, um die anderen einzuholen.

Rosa liebte Bibi, aber den leicht bitteren Beigeschmack ihrer Freundschaft konnte sie nicht verleugnen. Ihre Steinfreundin widersprach nie und hatte auch keine eigenen Ideen für neue schöne Spiele.
Irgendwie hatte ein relativ großes, saftig grünes Blatt seinen Weg in den Skunkbau gefunden und dieses wickelte sie Bibi um ihren kalten grauen Körper. So holte sie sich wenigstens keinen Zug und schick schaute das Blattgewand auch noch aus. Rosa schnupperte. Die Luft roch schwer und muffig. Sie rang schwer mit sich. Ihr Bauch brummelte zwar nachdrücklich, dennoch hatte sie recht wenig Lust sich aufzurappeln. Sie wollte den Sommer spüren und die laue Brise, die bei Anbruch der Dämmerung meistens aufzog. Beim Ausgang angelangt, versteifte sie sich kurz und gab sich einen Moment später einen Ruck.
Wachsam prüfte Rosa die Umgebung. Da war ein Flügelschlag zu hören, hier das Zirpen einer Grille, dort ein Knurren eines Kojoten.

Ein Knurren! Ein Kojote!

Rosa hielt den Atem an. Galt die Drohung ihr? Still und leise wollte sie sich davonschleichen. Aus dem Augenwinkel nahm sie jedoch etwas Vertrautes war. Hinter einem kleinen Steinhügel nicht weit von ihr entfernt, lugte ein schwarz-weiß gemusterter Schwanz hervor. Rosa hatte die anderen viel beobachtet. Sie hatte mehr Zeit dazu gehabt, als ihr lieb gewesen war. Karlchen schwebte in Lebensgefahr. Und Rosa bald auch, wenn sie sich nicht schleunigst in Sicherheit brachte. Ihr Herz raste mit ihren Gedanken um die Wette. Warum verteidigte sich Karlchen nicht? Eine Stinkwolke und der Kojote würde garantiert zurückweichen! Was war denn mit seinen bestandenen Abenteuern? Wo war sein Mut geblieben? Er war der Rädelsführer, ging es darum sich als der mutigste Skunk weit und breit aufzuspielen oder über Rosa herzuziehen. Und nun? Schlotterten ihm die Knie!
Rosas kurze Beinchen wackelten gefährlich und waren nur unweit davon entfernt, einfach wegzuknicken. Karlchen war nicht ihr Freund. Sie konnte ihn nicht leiden und wäre sie in dieser brenzligen Situation, würde er sicher nicht das Gleiche für sie tun. Die Stinktierfamilie war auf Nahrungssuche, niemand außer ihr, war da, um Karlchen zu helfen. Sie, die verrückte Wilde Rosa, war die einzige Hoffnung, die dieser Angeber noch hatte. Also war er faktisch verloren.
Rosa konnte versuchen, den Kojoten abzulenken. Würde sie auch schnell genug rennen können?
Flink huschte sie hinter den nächsten Baum und machte sich bereit. Sie musste verrückt geworden sein. Der Entschluss war gefasst. Es gab keinen Weg zurück.
Sie wünschte, Bibi wäre bei ihr. Was würde das nützen? Rosa hätte höchstens versuchen können, mit ihr den Kojoten abzuwerfen, aber unter Freunden tut man so was nicht!
Die Angst ging über ihre Kräfte hinaus. Rosa hatte es gar nicht gewollt. Wie ein flüchtiger Pups war es passiert. Sie schauderte. Ausgerechnet jetzt blies eine milde Sommerbrise. Wehte und ergriff den Duft der Königin der Blumen und trug ihn hin zu dem Kojoten.
Dieser hatte sich völlig auf Karlchen fixiert, als er von dem mächtigen Odeur eingefangen wurde. Betört wandte er sich zu Rosa um. Sie wollte zum Sprint ansetzen. Dann fiel ihr auf, dass der Kojote leichtfüßig hin und her tänzelte. Er schien vor Glück zu schweben. Harmonie lag in der Luft. Rosa war verdutzt und zugleich konnte sie sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
Karlchen drückte sich immer noch benommen an den kühlen Stein in seinem Rücken. Der Kojote näherte sich Rosa und machte ihr auf eine Art und Weise Avancen, dass es ihr doch Angst und Bange wurde. Bevor er ihr seine Liebe gestehen konnte, war sie bei Karlchen angelangt und knappte ihm in sein linkes Ohr. Er quiekte schmerzerfüllt auf und blickte Rosa entgeistert an. Gemeinsam hasteten sie zurück zum schützenden Skunkbau und sackten erschöpft zusammen.

Als der Rest der Familie heim kam, saßen die beiden immer noch fix und fertig dicht beieinander. Karlchen bekam kein Wort heraus. Rosa erzählte mit einem merklichen Flattern in der Stimme, was geschehen war. Sie glaubten ihr nicht. Einzig ihre Eltern standen zu ihr. Ihre Mutter drückte sie fest an sich und ihr Vater ermahnte die anderen Stinktiere zur Ruhe. Siggi forderte Karlchen auf, endlich von seiner Heldentat zu berichten. Er hatte Rosa beschützt, selbstverständlich konnte es nicht anders sein.
Alle warteten gespannt darauf, was der Abenteurer zu sagen hatte. Karlchen räusperte sich und flüsterte: „Rosa war es. Sie hat mir das Leben gerettet.“ Ungläubiges Raunen. „Wiederhol das noch mal!“, verlangte Siggi ärgerlich.

„Rosa hat mich gerettet. Sie ist meine Freundin!“, antwortete Karlchen mit gefestigter Stimme, so dass es alle hören konnten.

Von da an war zwar leider nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, dennoch, wer nicht Rosas Freund sein wollte, behandelte sie jetzt zumindest mit Respekt. Niemand hätte gedacht, dass der seltsame Duftstoff der Wilden Rosa pure Harmonie verbreitete. Rosa freute sich nun über ihren Spitznamen. Es war der Name einer Königin. Einer Königin der Blumen auf der einen und einer Königin des Herzens auf der anderen. Für Karlchen war sie jedenfalls eine Königin. Seine Königin, der er unendlich dankbar war und die er vor allem und jedem beschützen würde. Er plusterte sich augenblicklich bedrohlich auf, wagte es jemand, bloß ein falsches Wort über Rosa auszusprechen.

Rosa war überglücklich. Sie hatte einen besten Freund. Mehr hatte sie nie gewollt. Schlief sie allerdings, um von all den tollen Dingen zu träumen, die noch vor ihr und Karlchen lagen, ruhte Bibi jedes Mal, in ein neues, frisches Blatt gekleidet, neben ihr.
Schließlich lässt mein seine beste Freundin nicht fallen wie eine heiße Kartoffel, wenn man zudem halt auch noch einen besten Freund hat.


Impressum

Texte: Veröffentlicht in der Anthologie "Zauberhafte Herzen" im Sperling-Verlag
Tag der Veröffentlichung: 20.07.2009

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