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Gestern hat mir einer an der Straßenbahnhaltestelle erzählt, seine Freundin hätte im August mittags tot auf dem Sofa gesessen und seitdem sei ihm alles egal.

Ich sitze auf der Vorderkante der Blechbank an der Haltestelle. Es ist November. Der Erzähler liegt daneben auf dem Lochblech. Er liegt mehr, als das er sitzt. Bier tröpfelt aus einer Dose. Ich halte Abstand.
Kaffee hätten sie getrunken morgens, sagt der Liegende, dann sei er weg, um elf, dann nach Hause gekommen und da wäre sie tot gewesen.

Ich sehe weg und rutsche noch weiter zur Seite.
An den Drogen habe es nicht gelegen, schließlich sei sie auf Methadon gewesen und daran stirbt man nicht. Hätte wohl eine Thrombose gehabt, Blutgerinnsel und tot.
Ich überlege, warum er mir das erzählt. Es gibt keinen Grund. Ich bin einfach nur da. Zufällig. Aber ich hatte gefragt, vorhin, als er anfing zu brabbeln. Mein Fehler!

Ihm sei jetzt alles egal, auch ob er stirbt und wann und wie und wo. Nur zwei Wünsche habe er noch: Erstens, er wolle sauber sterben, also gewaschen und ordentlich angezogen, damit er nicht stinkt. Damit das nicht auf seinem Grabstein steht, hat er gesagt, damit da nicht auf dem Grabstein steht, der Penner hat gestunken. Und der zweite Wunsch, er lacht, der zweite Wunsch: Er wolle nicht nüchtern sterben, sondern knallebreit. Knallebreit! Da lacht er wieder und trinkt sein Bier.

Die Leute gucken irritiert, ich auch. Es ist kalt an der Haltestelle, die Bahn kommt nicht, der Liegende erzählt. Jetzt meint er uns alle. Wir sind das Publikum. Zeugen seines Lebens, seines Leids.
Seine Freundin sei nüchtern gestorben, sagt er, das habe sie nicht verdient. Kann einem leid tun, nüchtern gestorben.

Zuerst, als ich zur Haltestelle kam, hatte ich versucht an ihm vorbeizusehen. Dann hatte ich mich einfach weggedreht. Dann fing er an zu brabbeln, laut.
„Montag kriege ich Geld, reicht eh nicht, Geld ist Geld, immer gleich alles weg, iss eh nur Geld, iss mir egal, reicht nich, hat noch nie gereicht.“
"Wieso Montag", fragte ich, "ist das der Erste?" Nee, sagte er, „Donnerstag, erster November.“
"Wieso kriegst du Montag Geld", fragte ich weiter und ärgerte mich sofort über meine Neugier und darüber, dass ich mit so einem rede. Mit ihm rede, obwohl ich mich wegdrehe, obwohl ich nichts mir ihm zu tun haben will.

“Ich bin was Besonderes, weil“, dann kam eine Straßenbahn und fuhr vorbei, es war laut, ich verstand nichts von dem was er sagte. Er hat keine Wohnung. "Keine Wohnung", fragte ich, "wo schläft du dann?". Er antwortete nicht, brabbelte aber „Panama, Panama, das geht auch. Die haben Notschlafstellen, da kann man hin, als Mann. Aber als Frau“, sagte er und guckte mich an, „als Frau kannst du das nicht machen, die ganzen Drogensüchtigen und die Besoffenen und dann als Frau, das kannste nicht machen, das ist zu gefährlich. Macht keine Frau, nie wieder, nur einmal.

Das Geld, das reicht nicht“, erzählte er weiter, „ist nach drei Tagen alle, das Geld, sind nur 300 Euro und ein bisschen“.
"Wieso reicht das nicht", fragte ich und ärgerte mich sofort wieder, dass ich mit ihm rede. „Isss zu wenig“, sagte der Liegende und Bier tröpfelte aus seiner Dose, „isss zu wenig. Ich kaufe mir Montag einen Fernseher, 100 Euro und einen Wasserkocher, 100 Euro und eine Radio auch 100 Euro, dann isses weg“. Ich wurde sauer. "Ein Wasserkocher kostet nur 10 Euro". Ich war empört. "10 Euro, nicht 100!" „Dann habe mich halt verrechtet“, sagte der Mann, „verrechnet.“


Dann kam sein Kumpel und wollte eine Kippe. „Was willst du immer von mir“, schnauzte der Liegende, „du schuldest mir noch zwei Euro und heute habe dir 30 Cent gegeben, dass krieg ich auch nicht wieder, was willst du immer von mir“.
"Du hast doch auch eine Kippe", sagte der Andere, "dann dreh mir wenigstens eine. Wieso kannst du Kippe rauchen und ich habe keine. Du hast doch auch ne Kippe, aber wenn ich eine will. Ich will jetzt auch ne Kippe, nicht immer nur du!" „Das mache ich nicht, von dir kriege ich das nie zurück“ sagte der Liegende.

"Aber du hast doch sogar ein Bier", sagte der Andere, "warum gibst du mir denn nichts? Du trinkst sogar ein Bier und ich, ich habe nicht mal ne Kippe". „Das Bier, das habe ich anschreiben lassen“, sagte der Mann. "Und warum schreibt der mir nicht an", fragte der Andere.
„Ich bin da doch Stammkunde“, sagte der Mann, „vom ersten Tag, ich habe da immer einen Deckel. Man muss bezahlen, dann kriegt man Deckel“.
"Aber ich bin doch auch Stammkunde", jammerte der Andere, ich habe 2,70 Euro Deckel gehabt und dann hat der mir nichts mehr gegeben. Nur 2,70 Euro, da gibt der mir schon nichts mehr! Ich habe doch nur 2,70 Euro Deckel, warum gibt der mir nicht mehr. Du kriegst doch auch!"

„Du hast da Geld in der Hand, dass sind doch 10 Cent“, sagte der Mann, „gib mir die, dann gebe ich dir eine Kippe“.
"Aber die kann ich dir nicht geben", jammerte der Andere, "gib mir trotzdem eine Kippe".
Ganz weinerlich. Guckt mich dabei vorwurfsvoll an. Hat mich plötzlich entdeckt, wie ich da sitze und auf die Bahn warte. Sieht mich plötzlich. Nimmt mich wahr.

„Was willst du denn mit den 10 Cent, warum bezahlst du deine Schulden nicht, du kommst immer schnorren“, klagt der Liegende. „Und zahlst nie zurück“.
"Dass du jetzt so Theater machst, dass ist doch Scheiße", sagte der Andere, "wegen 10 Cent, dass du Theater machst, dass merke ich mir".
„Was willst du mit dem Geld da“, fragte der Mann.
"Das sammle ich mir für ein Bier", sagte der Andere, "da muss ich sparen, dass kriegst du nicht von mir. Du hast doch auch ein Bier und mir schreibt der nicht an. Dabei schreibt der dir doch auch an". Weinerlich. Vorwurfsvoll. Sieht mich dabei an!

“Wohnst du noch am Hallenbad“, fragte der Mann. Der Andere weinte fast in meine Richtung: "600 Euro Miete soll ich bezahlen, dass kann ich doch nicht, ich habe doch kein Geld". "Ach du Scheiße, 600 Euro", sage ich und verstehe es nicht. In so einer ärmlichen Gegend sind die Mieten nicht so hoch. Längst nicht. Das Geld würde in der Gegend für ein Haus reichen. Mit Garten. Oder ein Loft in der Fabrik. Aber für eine Wohnung?

"Meine Mitbewohnerin ist doch ausgezogen, wie soll ich denn jetzt das Geld kriegen, das muss mir doch jemand geben, das habe ich doch nicht", sagt der Andere. Sehr weinerlich.
"Das muss mir jemand geben. Ich brauche Geld. Mein Arzt wohnt da. Methadon, jeden Tag. Und ich muss zum Arzt und der wohnt da und deshalb muss ich doch da wohnen. Ich muss da wohnen! Das Geld muss mir jemand geben!"

Vorwurfvoll in meine Richtung gewandt! "Das muss mir doch jemand geben!" Sieht mich direkt an, weint fast. Kommt näher. Ich rücke weg. Kommt noch näher. Er berührt mich fast. "Ich brauch doch das Geld", schluchzt der Andere.

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Tag der Veröffentlichung: 13.01.2009

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