3. Kapitel
Die dunkle Seite
Die Freude über unsere Entdeckung hielt nur für sehr kurze Zeit, denn wie soll man nach jemandem suchen, der überall absichtlich ausgelassen wird? Bald wurde klar, dass der Stammbaum der Johnsons noch größer war, als ich vorhin gedacht hatte. Desto mehr und desto präzisere Angaben wir machten, umso mehr Schrott kam. Nachdem wir schon auf der Seite eines Modelabels, eines Schwimmbads, einer Fluggesellschaft, einer Schauspielschule, einer Parfümerie und auf noch nutzloseren Seiten gelandet waren, verloren wir langsam die Hoffnung, dass wir ihn jemals finden würden. Die Stunden vor dem Computer taten uns allen nicht gut. Jack und ich lagen uns die ganze Zeit in den Haaren. Ich war so gereizt, dass ich ihn wegen den kleinsten Kleinigkeiten schlug. „Wofür war das jetzt wieder?“, beschwerte er sich und ich antwortete immer: „Dafür, dass du ein Idiot bist!“ Er meinte dann: „Das ist doch kein Grund!“ „Natürlich ist das einer!“, fauchte ich dann immer, weil mir nichts Besseres einfiel. Irgendwann ging das dann so:
„Blödmann.“
„Zicke.“
„Arschloch“
„ Hohle Nuss.“
„Erbsengehirn“
„Matschbirne“
„Blödmann“
„Das hattest du schon.“
„Mir doch egal!“
Auf Jessys Bemerkung, dass wir uns verhielten wie ein altes Ehepaar, wussten wir beide nicht so recht, was wir antworten sollten. Sie war zwischendurch nach Hause gegangen, um etwas zu essen zu holen. Wir hatten Fredericks Namen und den Namen seiner Mutter eingegeben. Ich wies Jack an, auf die Seite einer Zeitung zu klicken. Ein Zeitungsausschnitt mit ziemlich viel Text und dem Foto eines Mannes, war zu sehen. Unter dem Foto stand: Augustin Frederick Johnson (Gestorben 1791, wurde auf 28 Jahre geschätzt.) Ein Mann, auf einem Krankenhausbett sitzend, mit dunklen Augen und Haaren, blickte uns aus dem Bildschirm heraus an. „Er war in einem Irrenhaus?“, fragte Jessy leise von hinten. Es war keine Frage, sie war an niemanden gerichtet, es war eine Feststellung. Es war also kein Krankenhausbett. Erst jetzt fielen mir die, am Kopf und Fuß des Bettes befestigten, Lederschnallen auf und die Gitter vor dem Fenster der Zelle. Mir wurde schlecht, als ich daran dachte, was man damals alles mit solchen Leuten gemacht wurde und immer dringender die Frage, wieso er dort war. Trotzdem guckte Frederick mich mit klugen, wissenden Augen an, nicht mit denen eines Irren. Womöglich war er gar nicht so verrückt, wie die Leute dachten. „Wir haben ihn gefunden, Mädels.“, flüsterte Jack. Das war das Letzte was ich hörte, bevor ich anfing zu lesen. Mein Herz raste wie verrückt.
Augustin Frederick Johnson stammte aus einer wichtigen Familie dieser Zeit. Er widmete sein Leben der Wissenschaft und galt als großes Talent. Laut Familienberichten, begann er nach und nach immer mehr Zeit in dem Labor zu verbringen und kurz darauf, die Dinge zu erzählen, die Anlass waren, ihn in das Irrenhaus einzuweisen, in dem er schließlich starb. Er sprach von Bahnbrechenden Ergebnissen in der Studie, mit der er sich befasste. Den Aufzeichnungen zufolge, sprach er von dem dunklen Wesen im Menschen, der durch die Verwandlung in ein anderes Wesen, an Stärke gewann. Vor hundert Jahren, sagte er, sei ein heftiger Kampf zwischen diesen Wesen ausgebrochen, der viele Leben forderte. Daraufhin sind die dunklen Wesen in einen Spiegel gebannt worden. Von da an besaß kein Mensch mehr die Fähigkeit, sich in ein dunkles Wesen zu verwandeln. Er ließ sich widerstandslos ins Irrenhaus bringen, doch bekräftigte bis zu seinem Tod, dass seine Theorie der Wahrheit entsprach. In diesen Zeiten, wurden häufig Leute in Irrenhäuser gebracht, doch kein Fall schockierte die Menschen von damals so sehr wie der Fall des begabten Augustin Frederick Johnson. Die Johnson bestreiten bis heute noch, dass er existiert hat, doch warum sollte ein so begabter Wissenschaftler sich eine Geschichte ausdenken und sich einfach so ins Irrenhaus abliefern lassen. Es könnte sein, dass er tatsächlich verrückt war, doch dagegen spricht die Tatsache, dass er nie von seiner Geschichte abwich. Jedoch hat niemand vor oder nach ihm, die Existenz solcher Wesen bestätigt. Es ist auch nicht nachvollziehbar, wie er durch wissenschaftliche Studien zu diesen Ergebnissen kam. Wie bei sehr vielen Ereignissen, Eines schockierender als das Andere, müssen wir uns wieder die Frage stellen: Was, wenn dieser Mann recht hat? Was, wenn in jedem von uns ein dunkles Wesen lauert, dass einmal zum Vorschein treten konnte? Es hieß, als er im Irrenhaus war forschte er noch weiter in diese Richtung und sagte weiter, dass jeder, der in den Spiegel blickt sich als dunkles Wesen sieht. Das heißt also, dass die dunklen Wesen noch immer auf der Erde sind. Er starb, bevor er uns noch andere Fragen beantworten konnte und lässt uns hier zurück mit dem quälenden Gedanken: Was passiert, wenn die Wesen wieder freigelassen werden?
Stille herrschte im Raum. Keiner sagte etwas. Eine seltsame Ruhe hatte sich in mir ausgebreitet, wie die Ruhe nach einem Sturm. Ich hatte den Text mit höchster Konzentration gelesen, trotzdem war das, was ich gelesen hatte, nicht zu mir durchgedrungen. Ich verstand zwar jedes Wort, konnte aber einfach nicht glauben, dass das Gelesene wahr war. Wie absurd, wenn man bedachte, dass der Spiegel, genau dieser, oben im 2. Stock stand. Unter dem Artikel stand, dass er nicht veröffentlicht worden war, der Autor aber daraufbestanden hatte, ihn auf der Homepage abzudrucken. Das wunderte mich nicht im geringsten, denn wer wollte schon so etwas in der Zeitung stehen haben. Vermutlich hätten die Leser angefangen, ihre Spiegel genau zu inspizieren. Allmählich erschienen Fragen in meinem Kopf, wie von einer Flutwelle getragen, waren sie alle auf einmal da. Eine von ihnen sprach ich aus, weil sie dringlicher war als die Anderen: „Wenn es damals wirklich einen so großen Kampf gegeben haben soll, wieso wurde diese Zeit dann aus allen Geschichtsbüchern gestrichen?“ Meine Stimme hörte sich schrecklich an, so als hätte ich geheult. „Sie haben es immerhin auch ziemlich erfolgreich geschafft, Frederick überall rauszustreichen“ Jacks Stimme klang, ganz anders als meine, eher grimmig. Jessy sagte: „Das ist wohl kein Zeitalter, auf das die Menschen besonders stolz waren.“ Ich nickte und sagte dann: „In dem ganzen Text wird nicht einmal erwähnt, wie genau die Wesen in den Spiegel gebannt wurden.“ „Stimmt“ Jessy stand auf und holte den Zettel von Frederick Johnson. Sie setzte sich wieder hin. „Wir sollten den Text vervollständigen. Du kannst den Computer ausschalten.“, fügte sie an Jack gewandt hinzu. Er jedoch schüttelte nur den Kopf. „Was willst du denn noch machen?“, fragte ich genervt. Ich hatte genug davon auf den Bildschirm zu starren. „Wir“, als er so anfing, machte mein Herz einen Sprung, „besuchen noch das Irrenhaus, indem er eingeliefert wurde. Hier steht“, weiter unten auf der Seite waren noch genaue Informationen über Ort, Zeit und so weiter, „er wurde in das Puplic - Danger - Person (PDP) Irrenhaus in London eingeliefert. Das war um 1700.“ Er gab diese Daten ein und klickte auf das erste Fenster. Ein paar Fotos erschienen. Folterinstrumente, die Zimmer, Leichen, Leute, die zu unrecht da hin gebracht worden waren. Meine Augen füllten sich mit Tränen, denn ich wusste dass Augustin Frederick Johnson einer von ihnen gewesen war. Wir starrten einige Minuten auf den Bildschirm, bis Jessy sagte, sie hätte schon Kopfweh. Wir machten uns an den Zettel. Wir diskutierten ewig über verschiedene Wörter und taten uns schwer einen Fliestext herauszubekommen. Nach einer Weile kannte ich Fredericks Schriftbild und hatte gelernt, die verschwommene Schrift zu interpretieren. Langsam hatten wir schon die Hälfte des Textes: Das Dunkle im Menschen, ist so stark, dass es durch ein anderes Wesen in der Person hervortritt. Durch Dämonen, Vampire, Engel mit schwarzen Flügeln oder Werwölfen. Diese Wesen bekämpften sich, sodass die Welt bereits in Gefahr war. Vor ein paar Jahren wurden die Wesen und somit auch ein Teil des Menschen für ewige Zeit in einen Spiegel gebannt, denn die Wesen sind der Spiegel des Bösen. Doch niemand weiß, keiner versteht um die Gefahr, die der Spiegel immer noch bringt. Niemand erinnert sich an die Kämpfe. Mehr ließ sich nicht herausfinden. Das wussten wir im Grunde schon alles. Jessys Handy klingelte. Es war klar, dass ihre Mutter sie nach Hause befahl und so packte sie sofort ihre Jacke und ging aus dem Haus. Jack und ich blieben allein zurück. „Ganz schön verrückt das Ganze, oder?“, fragte er nach einer peinlichen Pause. „Ja. So etwas erlebt man nicht mal in London und da sieht man wirklich alles!“, stimmte ich ihm zu. „Du warst nicht glücklich, als du hier hergezogen bist?“ Es war keine Frage, es war eine Feststellung. Ich antwortete: „Nein, aber wenn man sowieso die ganze Zeit umzieht, macht einmal mehr keinen Unterschied“ Auf seinen ungläubigen Blick hin fügte ich hinzu: „Okay, es hat einen Unterschied gemacht! Na ja, ich wusste einfach, dass London mein zu Hause ist und wenn du schon in der ganzen Welt warst, heißt das echt viel.“ Er nickte. Woher wusste er überhaupt, wie unglücklich ich gewesen war? Ich ließ die Frage erst einmal auf sich beruhen, denn er machte schon den Mund auf, um zu sprechen. „Du bist ziemlich arm dran, weißt du das?“ Ich lachte und boxte ihm auf die Schulter. „Dazu sage ich mal nichts!“ „Jetzt bist aber nicht mehr so unglücklich.“, stellte er fest. „Nein“ ich seufzte. „Darf ich erfahren, woran das liegt?“ Nein, darfst du nicht, dachte ich, denn ich wusste, dass es an ihm lag und er schien er irgendwie auch zu wissen.
„Und darf ich erfahren, wieso du das alles weißt?“
„Was – das alles?“
„Dass ich unglücklich war!“
Ich traute meinen Augen nicht, als ich sah wie sich auf seinem Gesicht ein verlegenes Lächeln auftauchte. „Ich habe zuerst gefragt.“, erwiderte er. Ich hatte wohl keine andere Wahl, den egal was es war, dass ihn verlegen machte, ich wollte es wissen! So zuckte ich mit den Schultern und meinte: „Ich habe eine Freundin gefunden und ich mag sie sehr, ich habe ein Geheimnis aufzudecken“, und ich habe dich, fügte ich in Gedanken hinzu,“ und ein riesiges Haus. Wer wäre da nicht glücklich?“ Er nickte wieder. „So und jetzt bist du dran!“, forderte ich ihn auf. Er tat so, als wüsste er nicht was ich meinte. „Genau das, was du denkst!“ „Was denke ich denn?“ „Was weiß ich?“ „Wie willst du dann wissen, dass das woran ich denke, dass ist was du meinst?“ „Ich weiß es halt! Woran hast du denn gedacht?“ „Was, wenn ich an deinen ersten Tag gedacht habe?“ Das verschlug mir die Sprache. Ich hatte das Gefühl, dass das nicht nur die Antwort auf meine Frage von gerade eben war. Er hatte offenbar nicht vor, mehr zu sagen und sagte deshalb: „Ich glaube ich weiß den nächsten Satz.“ Ich verstand nicht was er meinte, denn ich war zu sehr von seinem Anblick gefesselt gewesen. Ich starrte ihn schon die ganze Zeit an. Er hatte nicht gerade dicke Lippen, sie waren normal, aber er hatte eine schöne Hautfarbe, so golden. Ich schüttelte den Kopf, um mich wieder zur Besinnung zu bringen. Er blickte mich fragend an. „Nichts.“, sagte ich schnell. „Was meinst du?“, fragte ich sofort. „Im Text.“, half er mir auf die Sprünge. Ich machte ein verstehendes Geräusch. „Und – wie lautet er?“ „Ich glaube“, er beugte sich so über das Blatt, dass ich mich ebenfalls herunterbeugen musste, um zu sehen, wo im Text er hinzeigte, „er lautet: <Das Dunkle wird eines Tages wieder ausbrechen, wenn> und weiter weiß ich nicht.“ Mein Herz fing wie wild an zu flattern, als er sein Gesicht meinem zuwandte. Ich hatte den Satz kaum gehört. Langsam näherte er sein Gesicht meinem. Der Atem versagte mir. „Ich verstehe nicht, warum London deine Lieblingsstadt ist.“, flüsterte er. „Wieso nicht?“, stieß ich außer Atem hervor, als er sich noch näher zu mir hinbeugte. Nun berührten seine Lippen fast mein Ohr als er flüsterte: „Du bist viel zu schön für das alte London.“ Mein Herz schlug, insofern das möglich war, noch schneller. Ich spürte wie seine Lippen langsam von meinem Ohr zu meinem Kinn wanderten, doch sehen konnte ich nichts mehr. Meine Augen waren weit aufgerissen, meine Kehle war wie verstopft, ich bekam keine Luft und in mein ganzer Körper war angespannt. Plötzlich war mein Kopf nach hinten in meinen Nacken gerissen. Meine Lunge schrie nach Luft, während alles was ich sah, eine Szene war, die sich vor meinen Augen abspielte, als wäre ich dort und als würde ich sehen, was ich jetzt sah und als würde ich hören, was ich jetzt hörte.
Eine Frau stand auf einem Balkon, neben ihr stand ein Spiegel. Doch, dass was wirklich wichtig war, war dass, was über ihr war. Der Himmel war schwarz und er war überschüttet mit Dark Angels, Dämonen und anderen Wesen, die sich bekämpften. Blut und Krallen waren zu sehen, Schreie waren zu hören. Ich roch das Blut und die Leichen, ich spürte den Wind in meinen Haaren, konnte die Kampfgeräusche hören und wusste, dass es mit der Welt zuende sein würde, wenn ich nichts unternahm. Die Frau breitete ihre Arme aus und zog die Wesen an sich heran, umso näher sie sie zu sich ranzog, umso heller wurde ein weißes Licht, bis schließlich alles von dem weißen Licht erfüllt war. Das Letzte was ich sah war die Frau, sie lag auf dem Boden. Sie war tot.
Alles wurde schwarz, immer noch bekam ich keine Luft. Ich griff mir an die Kehle, doch das half nichts. Ein schreckliches Würggeräusch war zu hören, bevor ich zusammenbrach.
Mein Körper fühlte sich steif und schwer an. Meine Haare hingen mir ins Gesicht. Ich lag auf der Seite, meine Arme schlaff neben meinem Körper. Kein Piepsen, kein Geräusch war zu hören. Die Stille lag schwer und dröhnend in der Luft. Mein Kopf tat weh und mein Atem ging hastig. Ich konnte mich nicht rühren, aber ich fühlte mich nicht wohl. Ich fühlte mich, als ob ein düsteres Omen über mir schweben würde. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war, aber der Boden war weich, wenn auch nicht weich genug dafür, dass ich in einem Bett lag. Schließlich hielt ich meine Unwissenheit und mein seltsames Gefühl nicht mehr aus und öffnete die Augen. Ich erschrak, als ich mein eigenes Spiegelbild sah. Ich wusste zwar nicht, was ich erwartet hatte, zu sehen, aber ganz sicher nicht das. Ich war so blass, wie noch nie und meine Augen waren gerötet, unter ihnen zeichneten sich violette Augenringe ab. Meine Haare wucherten wild durcheinander und meine Lippen waren farblos. Der Spiegel ragte vor mir auf. Plötzlich erinnerte ich mich an meine Vision und schrie. Ich verstand nicht, wie ich hier hin gekommen war und dass ich hier war, war schlimmer als alles andere. Hinter mir stieß jemand die Tür auf und ich schrie wieder. Ich begann zu wimmern, doch es war nur Jack. Von meinem heftigen Schluchzen wurde mir schwindelig, ich hatte solche Angst. Er wandte sich um und schrie: „Hier ist sie!“ Seine Augen waren schmerzerfüllt, als er auf mich zuschritt. Jessy erschien an der Tür und auch ihre Augen erfüllten sich mit Schrecken. „Schaff sie hier raus!“, brüllte sie Jack an. Tränen rannen mir die Wangen herunter, dann hob Jack mich hoch und trug mich aus dem Zimmer. Ich griff nach seinen T – Shirt und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. Seine Arme hielten mich fest. Er stellte keine Fragen, trug mich einfach nur runter ins Wohnzimmer, doch als wir dort ankamen, setzte er mich nicht auf dem kalten Boden, sondern hielt mich weiter sicher im Arm. Ich weinte noch ein wenig, als ich an die Vision dachte und wo ich aufgewacht war. Dann wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte Jack an. „Danke“, flüsterte ich. Ich atmete tief ein, stand auf und griff mir an den Hals. „Was ist passiert?“, fragte ich entschlossen. Ich wusste, ich konnte dem nicht aus dem Weg gehen, das wäre feige. Ich musste das tun und ich würde es zu Ende bringen. Was auch immer „Es“ war. Jessy ergriff das Wort: „Du hast anscheinend plötzlich keine Luft mehr bekommen und bist zusammengekracht.“ Ich nickte, das wusste ich schon. Jack hatte ihr wohl erzählt, was passiert war. Sie fuhr mit ängstlich verwirrter Stimme fort: „Jack hat versucht dich wachzurütteln, aber du bist nicht aufgewacht. Er sagt, dein Puls war ganz schwach. Dann als er aufstand und kurz wegsah, warst du weg.“ Sie war ganz geschockt, so als würde sie sich die Schuld geben. Das Gefühl in meinem Magen wechselte zu Übelkeit, als ich begriff, dass keiner der Beiden mich hochgetragen hatte und dass auch sie nicht wussten wie ich so schnell dort hingekommen war. Ich wusste nur, dass ich nicht aufgestanden und dahin spaziert war. Auch hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlte. “Aber warum ist er überhaupt aufgestanden und hat weggesehen. Und wann bist du dazugekommen?“ Das waren zwei der wenigen Fragen, die sie mir beantworten konnten. Jack starrte zu Boden, dann sagte er: „Ich glaube, ich habe etwas am Fenster vorbeihuschen sehen. Es sah aus, wie ein Stück schwarzer Stoff, oder einfach eine Person, die am Fenster vorbeigeht. Doch als ich hin sah, war da nichts.“ Seine Stimme klang steif und geschäftsmäßig, genauso wie ich es wollte. Er würde keine Fragen stellen, wenn ich es nicht wollte, er würde einfach das tun, was für mich am besten war und für mich war es jetzt am besten, alles zu akzeptieren wie es war. Es war, als hätte ich schon gewusst, dass es so kommen würde, seit ich den Spiegel gesehen hatte. So, als wäre ich darauf vorbereitet gewesen und nach dem ersten Schock, konnte wieder klar denken. Ich war mehr als stolz auf mich. Aber ich hatte ja schließlich auch von Anfang an gewusst, dass der Spiegel keine einfache Antiquität war. Jessy war trotz des Schocks besorgt um mich, das sah ich daran, wie sie mich anblickte. Sie war eine wahre Freundin, aber sie hatte keine andere Wahl. Immerhin steckten wir alle gleich tief in dieser Sache drin. Es geschah ja nicht alle tage, dass eine Freundin in Ohnmacht fiel, verschwand und in einem Raum mit mysteriösen Spiegel, in dem alle dunklen Wesen gebannt sind, wieder auftauchte. Sie erzählte: „Ich hatte schon die ganze Zeit so ein seltsames Gefühl, wie die Ruhe vor dem Sturm oder wie im Weltkrieg vor einem Bombenanschlag und habe dauernd aus dem Fenster zu euch rüber geblickt. Und kurz bevor ich ins Bett gehen wollte, habe ich etwas auf dem Dach gesehen. Ich glaube, es war das Gleiche, was Jack gesehen hat und ich glaube es hatte Flügel. Aber ich bin mir nicht mehr sicher. Ich bin sofort zu euch gerannt und habe nur Jack gesehen, der gesagt hat, wir müssen dich suchen und du wärst bewusstlos. Ich wollte sofort die Polizei oder einen Krankenwagen rufen, aber ich hatte kein Netz. Außerdem wollte Jack das nicht.“, Dafür war ich ihm dankbar. Es gab so viele Sachen, wofür ich dankbar sein sollte, aber ich konnte ihn immer noch nicht so lieben, wie er es verdient hätte. Traurig und schuldbewusst blickte ich auf den Boden, auf dem wir saßen. ,“Wir haben dich bestimmt zwei Stunden lang gesucht und jetzt wundere ich mich, warum wir einfach nicht in diesen beschissenen Raum gegangen sind!“ Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte, war sie wieder voll bei der Sache. Ich war eine seltsame Mischung aus entsetzt, verwundert, aufgeregt und verängstigt, anders ließ sich mein Gefühl, als ich ihr zuhörte nicht beschreiben. „Es hatte Flügel?“, fragte ich sie. Sie nickte. „Ich bin mir aber nicht sicher.“ „Könnte auch der, den du gesehen hast, Flügel gehabt haben?“, fragte ich Jack. „Ja.“, sagte er. „Das würde aber heißen, dass die Wesen-„ Jack unterbrach mich: „nicht so sicher eingesperrt sind, wie sie sein sollten.“ Jessy konnte uns nun auch folgen und führte unsere Gedanken fort: „Sie wurden vor über 200 Jahren gebannt. Was ist, wenn“ Ich vollendete ihren Gedanken: „das Siegel nicht für ewig hält?“ Sie nickte. Ich sagte: „Aber wie können sie denn neu gebannt werden?“ Stille herrschte, schließlich meinte Jack: „Sie haben es vor 200 Jahren geschafft, dann werden wir es auch irgendwie schaffen.“ „Aber wie?“ Ich seufzte.
„Okay, ich halte es nicht mehr aus! Wieso bist du eigentlich in Ohnmacht gefallen?“, fragte sie und Jack blickte mich neugierig an. Plötzlich viel mir wieder ein was eigentlich passiert war, bevor ich die Vision hatte. Wahrscheinlich dachte er, es wäre seine Schuld gewesen. Wenn es so war, war es echt peinlich. Natürlich errötete ich, denn das war nicht auszuschließen. „Okay, das was passiert ist, ist absolut verrückt, aber ich versichere euch, dass ich nicht lüge. Wieso sollte ich?“ ,Ich lachte auf. Die beiden starrten mich wie gebannt an. Regen prasselte gegen die Fensterscheibe, das hatte ich noch gar nicht bemerkt. ,„Ich habe zuerst keine Luft mehr bekommen, aber dann konnte ich auch nichts mehr sehen. Doch, ich habe etwas gesehen. Ich hatte, glaube ich, so etwas wie eine Vision. Ich war dort, wo die dunklen Wesen noch gelebt haben oder eher noch frei waren.“, Es war nicht auszuschließen, dass sie immer noch, oder wieder, frei waren, „In der Zeit, als sie noch nicht gebannt waren. Ich sah eine Frau auf einem Balkon, sie stand mit dem Rücken zu mir, neben ihr ein Spiegel und über ihr diese Wesen, die sich bekämpft haben. Ich konnte nicht nur alles sehen, ich konnte auch alles riechen und hören. Es war, als ob ich dort wäre. Es war schrecklich. Die Frau hat die Arme ausgebreitet und die Wesen sind immer weiter zu ihr hin gekommen, dann wurde alles weiß, aber ich bin mir sicher, dass ich gesehen habe wie die Wesen damals gebannt wurden.“ Das wusste ich einfach, es gab keinen Zweifel. Sie starrten mich an. Dann sagte Jessy: „Amy, du hast ... du hast. Was für eine Rolle spielst du da eigentlich?“ „Wenn ich das nur wüsste!“ Jack holte den Zettel hervor und sagte: „Finden wir´ s heraus.“ Ich strahlte ich an und beugte mich über den Zettel. „Ich glaube ich kenne jetzt den ganzen Text.“ „Na ja es sind immerhin nur noch zwei Sätze.“, sagte ich. Er grinste. „Wollt ihr sie jetzt hören, oder nicht?“ Jessy fauchte: „Sag schon!“ „Na gut, na gut. Also: <Das Dunkle wird eines Tages wieder ausbrechen, wenn nicht jemand mit reinem Herzen und Wissen kommt. Doch die Menschen wissen es nicht und so werden sie untergehen.>“ „Gute Arbeit.“, lobte ich wiederstrebend. Er grinste. „Was wissen die Menschen nicht?“, fragte Jessy. „Ich glaube, damit ist gemeint, dass niemand das Geheimnis des Spiegels kennt und er sagt ja auch früher, dass die Menschen alles vergessen haben.“, meinte Jack. Ja, das war der Schluss, der einem zuerst in den Sinn kam, weil es der logischste war, aber wie so oft, fühlte ich, dass das nicht die Wahrheit war. „Nein, so hört es sich vielleicht zuerst an, aber alleine die Satzstellung ist schon komisch. „Das Andere“, sagte ich, „das hört sich seltsam an. Jemand reinen Herzens. Ich meine, wie soll man das wissen?“ Jack und Jessy starrten mich an und mal wieder hatte ich keine Ahnung wieso. „Aber natürlich!“ Sie schlug sich mit der Handfläche auf den Kopf. „Amy, verstehst du etwa nicht?“, fragte mich Jack. „Los mich überlegen...sieht das etwa so aus?“, fuhr ich ihn an. Konnten sie es mir nicht einfach sagen? „Im Spiegel wird das Böse eines Menschen gezeigt. Und du siehst dich ganz normal.“, half er mir auf die Sprünge. Ich begriff und mein Herz begann zu rasen.
Tag der Veröffentlichung: 24.06.2010
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