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2. Kapitel
Augustin Frederick Johnson




„Ich hatte Krallen?“, unterbrach mich Jessy. „Bist du dir ganz sicher?“ Ihr Ton verwunderte mich. „Ja, immerhin hast du mich mit ihnen umgebracht.“ „Hm.“, machte sie. „Wieso fragst du?“, wollte ich wissen, denn ich war mir sicher, dass ich die Krallen noch nie bei ihr gesehen hatte. „Weißt du gestern, als wir mit Jack oben waren und er das zu dir gesagt hat, also als ich noch in ihn verliebt war ... ,“, fing sie an, doch ich unterbrach sie:“ Du redest ja so, als wäre das Jahre her.“ Sie ließ sich nicht beirren: “Da ist führ mich eine Welt zusammengebrochen, ich war so wütend und plötzlich hatte ich Krallen. Na ja, im Spiegel meine ich.“ Ich erstarrte. „Weißt du, was das heißt?“, fragte ich und packte sie am Arm. „Nein, nicht wirklich.“, gestand sie. „Der Spiegel hat deine Stimmung gezeigt. Er hat sie... gespürt und dein Spiegelbild verändert.“, Sie atmete zischend ein,“ Und in meinem Traum habe ich etwas gesehen, dass ich gar nicht wissen konnte.“ Ein riesiger Kloß schien in meinem Hals festzustecken. Jessy begriff und sagte: “Der Spiegel ist also mächtiger als wir dachten und noch außergewöhnlicher und du... du weißt mehr als du denkst.“ Ich spürte ihren Blick auf mir. Meine Spannung löste sich. „Ich denke, wir müssen das Treffen vorverlegen.“ Sie nickte.
„Was?“, schrie Jack ins Telefon. Jessy war geradezu vor mir weggelaufen, als ich ihr das Handy geben wollte, nun stand sie schelmisch grinsend vor mir. Jack war wohl, so wie es sich anhörte, im Schwimmbad. Ich stöhnte genervt auf. „Wir haben etwas herausgefunden und das ist so wichtig, dass du sofort herkommen solltest..“, wiederholte ich mich. „Okay, noch mal zusammenfassen. Ich soll mein Training einfach so abbrechen, weil ihr etwas herausgefunden habt, dass sehr wichtig ist, du mir aber nicht verraten willst?“, sagte er. „Ja und weil wir der Sache sofort nachgehen müssen und nicht vorhaben, gegen unsere Abmachungen zu verstoßen, würde ich dir raten, dass du kommst sonst machen wir einfach ohne dich weiter!“, gab ich drohend zurück. „Du bist nicht annähernd so wichtig für die Ermittlungen, wie du denkst!“, setzte ich noch dazu und errötete, weil mir klar wurde, dass er dennoch wichtig für mich war. Er lachte. „Was gibt’s da so dämlich zu lachen?“ Ich erhielt keine Antwort. „Hör auf mit dem Gegrunze, sonst machen wir wirklich ohne dich weiter und dann kannst du` s dir auch abhacken, dass du überhaupt wieder in dieses Haus kommst und... und. Hör auf damit! Du... Kakerlake, du widerliches kleines Insekt!“, Er lachte noch lauter. Mir viel nichts mehr ein, dass ich ihm an den Kopf werfen konnte und da es ihm sowieso nichts ausmachte, war es vermutlich auch besser, es gleich sein zu lassen. Nachdem er sich beruhigt hatte sagte er: “Du bist ja so süß, wenn du dich aufregst, Amy.“ Ich erstarrte. Er hatte schon aufgelegt. Ich ballte vor Wut die Fäuste zusammen. Mein linkes Auge begann zu zucken. “Grr. Ah!“, machte ich. Dann begann ich vor Wut rumzuhüpfen. Jessy hatte gehört was er gesagt hatte und lachte lauthals, jetzt lachte sie noch lauter, als sie sah wie ich mich aufregte. „Du weißt schon was er gesagt hat?“, fragte sie unnötigerweise. „Natürlich weiß ich was er gesagt hat. Wie sollte ich das auch nicht wissen?“, kreischte ich ihr entgegen. Ich hatte mich einigermaßen abreagiert und setzte mich auf den Boden. „Ich hoffe du drehst nicht schon wieder durch, aber er hat einen Namen gesagt.“ Ich verstand gar nichts. „Ja und?“ Sie verdrehte die Augen. „Du wolltest doch dem Einbrecher, der in dein Haus gekommen ist, nicht deinen Namen verraten.“, erinnerte sie mich. „Stimmt! Das hatte ich schon ganz vergessen. Humpf! Lieg wohl daran, dass ich nach dem Wort“, ich presste es zwischen den Zähnen hervor,“ <süß> nichts mehr gehört habe. Ich war wohl zu sehr damit beschäftigt gewesen, durchzudrehen.“, überlegte ich, immer noch wütend. „Ja, ich meine immerhin hat er gesagt,“, etwas schalkhaftes blitzte in ihren Augen auf,“ dass du süß bist. Er steht wohl doch auf dich.“, sagte sie. Ich warf ein paar Socken nach ihr und fauchte: „Halt einfach die Klappe, ja?“ „Ich weiß nicht, ob ich dem folgen werde.“, sagte sie in vornehmem Tonfall. Dann fuhr sie, im selben Tonfall, fort: “Und ehrlich gesagt weiß ich auch nicht ob ich das kann, darf oder will.“ Sie zog die Augenbrauen herausfordernd hoch. „Du bist ja so was von doof!“, beschwerte ich mich und suchte schon nach etwas zu werfen, als ich meine Socken zurückbekam. Und zwar direkt ins Gesicht. Ich griff mein Kissen, stand auch, ging zu ihr hin und pfefferte es ihr ein paar mal um die Ohren. „Oh nein, das hast du gerade nicht wirklich getan.“, sagte sie drohend. Ich warf mir das Kissen über die Schulter und gab zurück: “Oh, doch. Worauf du wetten kannst!“ Sie stand langsam auf, tat so als würde sie eine Krawatte richten und meinte dann in dem Ton eines Anwalts: “Dann muss ich Ihnen leider mitteilen, dass“, ihre Stimme wurde wieder normal und schwoll an, “Sie gleich tot sind!“ Ich kiekte und rannte die Treppe hoch. Sie rannte mir hinter her, mit den Worten: “Ich hoffe, dieses Quicken stammte nicht von dir.“ Ich riss eine der Türen auf und fluchte, als kein Schlüssel im Türschloss steckte. Ich versteckte mich hinter der Tür und hörte, wie Jessy eine nach der anderen im Gang aufschlug. „Ich kriege dich schon!“, versprach sie mir. Ich schnaubte und hielt sofort die Luft an, denn sie stand nun vor meiner Tür. Sie stieß sie auf und fast wäre mir ein kleiner Schrei entwichen. Noch hatte sie mich nicht entdeckt. Sie ging drei Schritte in den Raum hinein. Das war meine Chance! Ich kam hinter der Tür hervor und schlenderte in den Gang. Sie drehte sich um, doch schon schlug ich die Tür zu. Mit den Worten: „So ganz sicher nicht.“ Sie lachte und sagte: „Guter Trick.“, Dann warf sie sich gegen die Tür, „Aber nicht gut genug!“ Sie lachte wie eine Verrückte und ich murmelte, gut hörbar: „Wer ist hier bitte verrückt?“ Sofort hastete ich die nächste Treppe hoch, denn Jessy war mir wieder auf den Fersen. Sie brüllte mir hinterher: “Na warte!“ Wieder kreischte ich und blieb kurz stehen. In welche Tür sollte ich gehen? Aus Gewohnheit und ohne nachzudenken stieß ich die zweite Tür im Gang auf. Sie sah mich reingehen und stürmte kurz nach mir ins Zimmer. Sie lachte wieder wie eine Verrückte und sagte: „Jetzt bist du dran!“ Sie riss mir das Kissen aus der Hand und schlug gezielt zu. Ich konnte mich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen. „Hast du schon genug?“, fragte sie und lachte selbst. „Ja. Ich ergebe mich. O, mächtige Heerführerin.“, sagte ich. „Das hört sich doch schon gleich viel besser an.“ Ich war unter ihrem schweren Kissenangriff zu Boden gefallen und sie half mir nun auf. Ich blickte auf ihr Spiegelbild. Es war seltsam verschwommen, undeutlich und schwach. „Sieh nur!“ Ich zeigte auf das Spiegelbild. Sie tat es und schrak zurück. „Was ist denn los? Ist es wegen dem Spiegel oder wegen mir? Was glaubst du?“, fragte sie. Wie bei so vielen Dingen, hatte ich keine Ahnung. „Seltsam.“, flüsterte ich nur und schüttelte den Kopf. „Da muss ich dir Recht geben – das wird immer eigenartiger.“, stimmte sie mir zu. Es klingelte unten an der Tür. Wir waren beide erstarrt und taten uns nun schwer, aus der Starre rauszukommen. „Das wird wohl Jack sein.“, meinte sie und ich konnte es nicht verhindern, dass mein Herz bei seinem Namen einen Sprung machte. Das lag nur daran, dass er mich <süß> (meine Nackenhaare stellten sich auf) genannt hatte, nichts weiter. Mir fiel plötzlich auf, dass dem eigentlich immer so war, wenn sein Name fiel, oder er grinste, oder mich berührte. Daran hatte ich jetzt gerade am wenigsten denken wollen, aber da ich die dumme Angewohnheit hatte, mir immer ein bisschen selbst im Weg zu stehen, wunderte mich das nun gar nicht. Das änderte aber nichts daran, dass es mich aufregte. Ich konnte mich einfach nicht selbst belügen, auch wenn es das Beste für mich wäre. Ich führte dann, wenn ich etwas nicht wahr haben wollte oder eben mich selbst belog, weil mir die Sache unangenehm werden könnte, Kämpfe mit mir selbst in meinem Kopf aus und es war immer so, dass die Stimme der Wahrheit, die meistens die unangenehmere von beiden war, gewann. So war das bislang immer gewesen, wenn ich mir einer Sache nicht sicher gewesen war. Immer, außer bei Jack. Bei ihm war alles anders: ich hatte mich noch nie so gefühlt, zumindest nicht so extrem, ich hatte noch nie das schwachsinnige Bedürfnis gehabt, jemanden zu beschützen, der mich töten konnte, ich war mir noch nie so unsicher gewesen. Keine Stimme aus meinem Unterbewusstsein (diese Erklärung für die Stimme mit der Wahrheit, hatte ich mir schon vor Jahren zurechtgelegt) tauchte auf und verriet mir, was die Wahrheit war. Vielleicht würde es mir so unangenehm sein, dass ich mich davor verschonte. Das bezweifelte ich, denn genau das war es ja, was die Stimme ausmachte. Vielleicht aber, wusste ich es wirklich noch nicht. Vielleicht, schoss es mir in den Kopf, konnte ich ihn noch nicht lieben, vielleicht war ich noch nicht bereit dazu, vielleicht musste ich noch etwas bestehen, oder so. Das war wie eine Eingebung aus meinem Unterbewusstsein gewesen. Doch was konnte diese große, persönliche Probe sein? Was konnte es sein, dass ich schaffen musste, bevor ich ihn lieben konnte? Ich wusste es nicht, aber vielleicht kam das ja noch. Ich wollte jedoch nicht so lange warten müssen.
Auf dem Weg nach unten hatte ich klargestellt, dass ich Jack ignorieren wollte und dass Jessy reden sollte. Sie hätte es vermutlich besser gefunden, wenn ich vorgehabt hätte zur Tür hinzustürmen und ihn abzuknutschen, willigte aber ein. Sie war halt eine richtige Freundin. Bevor sie die Tür öffnete murmelte sie: „Das kann ja heiter werden.“ Ich bereitete mich seelisch darauf vor, peinliche Überreaktionen meines Körpers so gut wie möglich zu unterdrücken und verschränkte die Arme, wild entschlossen mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Als sich die Tür schließlich öffnete, schlug mir sein Anblick wie eine Faust ins Gesicht. Ich musste ein paar mal blinzeln und bemühte mich, meine erstaunten Gesichtszüge wider unter Kontrolle zu bringen. Jack kam anscheinend direkt aus dem Schwimmbad: Sein T – Shirt war feucht, so dass sich seine Muskeln darauf abzeichneten, er hatte nasses Haar und trug den Trageriemen einer Sporttasche auf der Schulter. „Okay, was bitte ist so wichtig, dass ich mein Training abbreche?“, sagte er und stürmte herein. „Tja, das ist ja Pech für dich, aber manchmal muss man Opfer bringen. Und übrigens: Hallo.“, gab Jessy bissig zurück. „Ja, hi, Jessy und hi, Amy.“, Unnötigerweise betonte er das letzte Wort übertrieben. Ich knurrte innerlich. Er beugte sich zu mir hin. Und sagte leise: “Einer aus dem Club hat´ s mir gesagt. Amy ist ein schöner Name.“ Ich war zwar noch immer entschlossen, ihn zu ignorieren, aber trotzdem schoss mir die Röte ins Gesicht. Sein Gesicht war meinem ganz nah. Jessy kicherte. Ich warf ihr einen bösen Blick zu und sie redete weiter: “Also du bist hier, weil ... weil“ Sie blickte mich fragend an. Ich bedeutete ihr, sie solle ihm zuerst das, mit dem Spiegel zeigen. Während wir nach oben gingen, textete Jack mich die ganze Zeit zu, wohl fest entschlossen, mir ein Wort zu entlocken. „Die Eltern von dem Typ, der mir deinen Namen gesagt hat, sind mit dem Bürgermeister befreundet und der ist natürlich total begeistert, dass ihr hier herzieht, immerhin seid ihr ja reich und deshalb hat er mit ihnen über euch geredet. Der Typ war dabei und hat natürlich, ist einfach seine Art, genau nachgefragt, als er hörte, dass ein Mädchen in seinem Alter hier herkommt. Ach ja, ich soll dich von ihm fragen, ob du ihm deine Nummer gibst.“, Ich hörte wie seine Stimme einen feindseligen Klang bekam und lächelte, was er aber nicht sehen konnte, weil ich vor ihm die Treppen hinaufstieg. „Aber ich habe ihm gesagt, dass du wahrscheinlich nicht darauf eingehen wirst. Das würde ich dir auch empfehlen, denn er ist ein ziemlicher Checker.“ Was gab ihm das Recht, für mich zu entscheiden? Langsam machte er mich wütend, obwohl ich genau wusste, dass das verdammt noch mal genau seine Absicht war! , “Wenn du willst, kannst du ja Kontakt aufnehmen. Wie wär´ s, wenn du ihm einen Brief schreibst?“, Er imitierte meine Stimme: „ <Lieber Dan >oder, nein, das ist viel besser: <Geliebtes Danny – Mäuschen, ich kenne dich zwar nicht und habe dich noch nie gesehen, aber ich mag deine schwarzen Haare und deine blauen Äuglein, du bist so stark! Der Pickel auf deiner Nase macht mir nichts aus, ich habe sogar schon einen Namen für ihn: Lord Pickward. Nach deinem 2. Namen Fredward. Küsschen, Küsschen, dein Amylienchen.>“, sinnierte er. Dann setzte er noch hinzu: “Wie wäre das?“ So, das war genug! Während Jessy sich totlachte, stapfte ich mit zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten weiter die Treppe hoch. Bei der reizenden Stelle mit <Lord Pickward> war ich bereits rasend vor Wut gewesen. Ich schnellte herum und tippte mit meinem Finger auf seine Brust, während ich schrie: „Ich möchte nichts über den hirnverbrannten Vollidioten wissen, der dir meinen Namen verraten hat und noch weniger über Lord Pickward! Du bist so eine Nervensäge! Nur weil du denkst, dass du irgendetwas über mich weißt oder irgendeine Berechtigung hast, über mich zu entscheiden, heißt das noch lange nicht, dass du mir hinterherlaufen und mich nerven darfst, bis ich wieder mit dir rede! Das hast du dir selbst eingebrockt, du musstest mich ja aufregen. Ich habe jeden guten Grund der Welt, dich ordentlich zu ignorieren und was machst du? Du hast es geschafft, ich rede wieder mit dir! Bist du jetzt zufrieden?“ „Ja, ziemlich würde ich sagen. Aber nur, weil du wieder mit mir redest.“, fügte er hastig hinzu, als ich wütend schnaubte. Ich hätte mich umdrehen und davon stolzieren können, aber das hätte ich nie fertiggebracht. Nicht, wenn er mich so angesehen hätte. Seine Augen waren weit aufgerissen, vor Erstaunen über meine Worte. Doch auch überraschte Bewunderung lag in seinem Blick. Er grinste breit und in seinem Grinsen lag solch eine kindliche Freunde, dass ich lächeln musste. Er wirkte überglücklich und zugleich erstaunt. Und es tat ihm sichtlich leid, dass er mich in Rage versetzt hatte. Er blickte auf meinen Finger, der nach wie vor auf seiner Brust lag. Ich zog ihn rasch zurück und drehte mich um. Ich war nicht weniger glücklich als er. Jessy pfiff vielsagend vor sich hin und der Blick, den sie mir zuwarf, sagte nichts Anderes aus.
Oben angekommen musste ich mich selbst erst einmal aus meiner glückstrunkenen Stimmung holen und mich selbst daran erinnern, warum ich eigentlich hier war. Jack schien das selbe Problem zu haben.
Ich wusste nicht warum mich das so glücklich machte, aber das spielt keine Rolle. Jack stellte sich neben mich und wandte den Kopf in meine Richtung. Das wusste ich, obwohl ich ihn nicht sehen konnte. Reflexartig drehte auch ich mich zu ihm um. Wir blickten uns in die Augen. Jessy räusperte sich. Jack und ich blickten wieder geradeaus. Dann erinnerte ich mich wieder daran, warum ich überhaupt hier war. Mir fiel nach wie vor, kein Grund ein, warum Jessys Spiegelbild so merkwürdig verschwommen gewesen war. Aber das war ja auch kein Wunder. Denn was wusste ich schon? Ich blickte auf ihr Spiegelbild und stutzte. Es sah ganz normal aus, aber wie konnte das sein? Jack meinte zynisch: “Wahnsinn. Das ist ja total spannend. Habt ihr etwa vergessen, dass ihr mir das schon gestern gezeigt habt?“, Ich versetzte ihm einen bösartigen Blick. „Was? Kann doch sein.“, verteidigte er sich. Ich schüttelte den Kopf. Jessy fauchte: “Nein, eigentlich nicht.“ Ich war einfach nur verwirrt. “Vorhin, sah ihr Spiegelbild noch ganz anders aus, da war es so ... verschwommen!“, stammelte ich und Jessy nickte eifrig.
„Aha.“, meinte er nur. „Was – aha?“, fragte Jessy. „Ihr wart also hier oben. Wir hatten doch ausgemacht, dass keiner allein arbeitet.“ Endlich verstand ich. „Nein, so war das gar nicht!“, protestierte ich. „Wir waren nur hier oben, weil...“ Hilfesuchend drehte ich mich zu Jessy um. Wir kicherten kurz, dann richtete sie sich wieder auf und sagte, als wäre nichts passiert: “Wir wollten uns nur noch mal mein Spiegelbild ansehen. Was dagegen?“ Unter ihrem Blick schwand sein Mut. Ich hatte schon früher gemerkt, dass sie so etwas außergewöhnlich gut konnte. Jemanden einschüchtern. Ich bekam Gänsehaut bei ihrem Blick und das wollte schon etwas heißen, ich kam ja schließlich aus London. Ich konnte mir niemanden vorstellen, der einem solchen Blick standhalten konnte. Meine Genugtuung hätte nicht größer sein können, als ich sah, wie er zusammenzuckte. „Mann.“, murmelte er, noch ganz benommen. Nach einer Weile überlegte ich: „Vielleicht haben wir uns das ja nur eingebildet.“ Jessy nickte abwesend. Immerhin war es noch früh gewesen, wir waren die ganze Zeit gerannt und vielleicht war ich wegen des Spiegels – und Jack – auch schon verrückt geworden. Vielleicht war es das Licht gewesen, dass uns einen Streich spielte. Es gab viele mögliche Erklärungen dafür, nur merkte ich, mal wieder typisch, ganz deutlich, dass keine von ihnen zutraf. Ich wusste, was ich gesehen hatte. „Wenn wir jetzt schon mal hier oben sind, können wir dir ja auch gleich erzählen, was wir noch so herausgefunden haben. Oder eher entdeckt.“ Ich riss den Kopf hoch. Jessy blickte in meine Richtung, mit einem fragenden Blick. Sie wusste nicht, wie viel sie sagen durfte. Ich beschloss, das selbst zu übernehmen, denn ich war nicht gerade erpicht darauf, dass Jack erfuhr, dass ich von ihm träumte. Noch schlimmer war nur die Vorstellung, dass er erfuhr was ich fühlte, wenn ich ihn als Vampir sah. „Also letzte Nacht hatte ich einen Traum.“, fing ich mit meiner Erzählung an. Mir durfte nichts herausrutschen. Ich schaute zu Jessy hinüber. Sie würde gar nicht erfreut sein, wenn ich sagte, dass sie in Jack verknallt gewesen war. Was sie dann wohl tun würde? Sie hat einiges gegen mich in der Hand, schoss es mir durch den Kopf. Nein, so etwas würde sie nie tun! Bestimmt würde sie Jack nicht den ganzen Traum erzählen, nein. Sie war eine gute Freundin, zumindest besser als ich. Ich fuhr fort: “Da stand ich auf einer Brücke und Jessy hat mich festgehalten. Von hinten. Ich kann mich nicht mehr so genau daran erinnern,“, So eine Lüge! ,“ aber ich glaube, ich habe sie wütend gemacht und dann hatte sie, also als Engel, auf einmal Krallen.“, schloss ich. Er sah verwirrt aus. „Also war sie schon die ganze Zeit, so wie im Spiegel? Und als sie wütend wurde hat sie Krallen gekriegt?“ Ich nickte. Er wirkte nicht sehr überzeugt. „Ihr verheimlicht mir doch etwas.“, meinte er schließlich. Ich erstarrte. Ich war zwar bemüht gewesen, nur ihn anzusehen, aber immer an den gefährlichen Stellen, war mein Blick zu Jessy gehuscht, um ihre Reaktion zu sehen. Bestimmt hatte er unseren stummen Austausch mitbekommen. Jessy sagte angriffslustig: “Nichts, was du wissen musst. Zumindest ist es nichts, was bei unserer Ermittlung wichtig sein könnte.“ Er schaute von der Einen zur Anderen und meinte schließlich: “Das krieg ich schon noch raus, wartet nur!“ Ich lächelte und machte mich auf den Weg nach unten, während ich murmelte: „Davon träumst du.“ Ich konnte sein Grinsen förmlich hören, als er mir folgte.
Unten angekommen sagte er: „Jetzt bin ich dran.“ Bevor jemand noch etwas sagen konnte, holte er etwas aus seiner Sporttasche. Jessy und ich hatten gerade einmal verwirrte Blicke tauschen können, als er schon wieder zurück war. Er hielt einen Lapp Top umklammert. Jessy begriff: „Wir beginnen nun also mit den Ermittlungen in Sachen Frederick John...“ Sie konnte sich nicht mehr an den Namen erinnern. „Augustin Frederick Johnson.“, ergänzten Jack und ich wie aus einem Mund. „Ja - genau das wollte ich auch sagen.“ Ich kicherte und setzte mich neben Jack auf den Boden, damit ich den Lapp Top sehen konnte. Wir saßen so nah beieinander, dass unsere Hüften sich berührten. Mir schoss sofort die Röte ins Gesicht, doch er blieb ganz gelassen, obwohl ich merkte, dass das nur von Außen so war. Er gab den Namen ein. Leider hatte es ziemlich viele Augustin Johnsons gegeben. Der Stammbaum der Johnsons war riesig. Wir fanden einen Artikel über einen Augustin Philipp Johnson. Ich war so aufgeregt, dass es mir plötzlich nichts mehr ausmachte, so nah neben Jack zu sitzen. Die Seite lud entlos lang und schließlich, leuchtete der Bildschirm auf und das Gesicht eines Mannes war zu sehen. Es war nur gezeichnet, aber eine Jahreszahl verriet mir, dass er 1689 gestorben war. Anscheinend war er ein wichtiger Mann in der Architektur von damals gewesen. Es war nicht verwunderlich, dass nur das Todesdatum bekannt war, da solche Daten noch nicht aufgezeichnet wurden. Es hieß schon viel, dass sein Todesdatum überhaupt bekannt war. Auch ein Stammbaum war auf der Seite. Seine Mutter war nicht darauf abgebildet, wahrscheinlich wusste man ihren Namen nicht (Jessy schnaubte missbilligend, als sie die Unbedeutsamkeit der Frauen von damals erfasste) Doch sein Vater hieß Augustin Peter Johnson. „Ich glaube nicht, dass unser Frederick noch später geboren worden ist, aber seine Familie haben wir schon mal gefunden. Diese Margret, die könnte seine Mutter oder so sein.“, meinte Jessy. Marie Margret Johnson war die einzige Tochter von Augustin Philipp Johnson. Ich starrte wie gebannt auf den Bildschirm. Die beiden diskutierten noch weiter, doch das hörte ich nicht mehr. Ich hatte ein eigenartiges, aufgeregtes Kribbeln im Bauch. Ich stimmte ihr zu: langsam kamen wir unserem Frederick näher. Ich hatte mich noch nie so gefühlt. Marie Margret hatte einen Mann Namens Ferdinand Roger Mistepel geheiratet. Die beiden hatten sechs Kinder gehabt. Wir saßen stundenlang am Computer und suchten nach den Kindern dieser Kinder, doch nirgendwo tauchte der Name Augustin Frederick auf. Das Seltsame war, dass die Kinder von Margret und Roger alle Johnson mit Nachnamen hießen. Doch anscheinend war Johnson ein so guter Name gewesen, dass die Kinder alle nach der Mutter benannt worden waren. Ich begann schon daran zweifeln, dass die Informationen auf dieser Seite glaubwürdig waren, als ich plötzlich auf etwas stieß. Über dem Stammbaum der Johnsons war ein kleiner Text geschrieben: ... Die Bedingungen für eine Geburt von damals, sind heute für uns unvorstellbar. Insgesamt gebar Marie Margret Johnson elf Kinder, doch vier von ihnen starben bei der Geburt. Trotzdem ist die Zahl von sechs Kindern, ein echtes Wunder, denn ...
Zuerst wusste ich gar nicht, was mich daran störte, dann fiel es mir ein. „Seht mal. Im Text da oben!“, forderte ich die Beiden auf und sie lasen sich den Text durch. „Was ist damit?“, wollte Jessy wissen. „Da steht, sie hatte elf Kinder, aber vier starben.“, half ich ihnen auf die Sprünge. „Na und?“, blaffte Jack. Jessy hingegen, hatte begriffen und hielt die Luft an. „Kannst du nicht zählen? Elf minus vier ist sieben. Sieben, nicht sechs.“ Er war nicht überzeugt: „Das ist doch nur ein Druckfehler!“ Jessy und ich tauschten Blicke. Wir waren nicht seiner Meinung. „Nein, ich glaube, dass das siebte Kind absichtlich ausgelassen wurde. In diesen ganzen Texten über die Johnsons, wird ziemlich viel geschleimt. Der Autor ist wahrscheinlich ein Nachkomme. Er wusste von seiner Existenz, doch aus irgendeinem Grund, hat er ihn weggelassen. Dieser Frederick war wahrscheinlich das schwarze Schaf in der Familie und deshalb wollte der Autor nicht, dass jemand von ihm weiß!“, sprudelte es aus mir heraus. Die beiden starrten mich an. “Aber natürlich. So wird es gewesen sein!“ Sie schlug sich mit der Handfläche auf die Stirn. Auch Jack war nun überzeugt. „Gute Arbeit, Agent Amy!“, lobte er mich und ich schlug ihm auf seinen Kopf. „Du Idiot!“, stöhnte ich.


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Tag der Veröffentlichung: 17.06.2010

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