Der Spiegel
1. Kapitel
Der dunkle Engel und der Vampir – meine Freunde
Ich war von Anfang an gegen diese Sache gewesen! Doch das änderte nichts daran, dass ich nun allein im Zug saß. Jeder Versuch, meine Eltern daran zu hindern, mein Leben zu zerstören, war auf die kläglichste Weise gescheitert. Wie so ziemlich alles in meinem Leben. Genau das war ja der Grund, warum das alles so schlimm für mich war. Endlich hatte ich Freunde gefunden, endlich hatte ich mich eingegliedert und da wurde mir alles wieder weggenommen. Aber meine Eltern interessierte das natürlich nicht. Eine verbitterte Mischung aus Frust, Einsamkeit und Trauer stieg in mir hoch und was herauskam waren heiße Tränen, die mir viel zu schnell über die Wangen rannen. Dann sah ich mein Spiegelbild in der Fensterscheibe und mein heulendes Gesicht zu sehen, dieses ovale, gesund aussehende Gesicht, mit den großen, braunen Augen, den blassroten Lippen und der spitzen Nase, war schlimmer als die ganze Fahrt es schon gewesen war. Schlimmer als rauszuschauen, in diese graue Landschaft, die mir Brechreiz verursachte und auch schlimmer, als zu wissen, dass ich meine Freunde, unser Haus und meine Schule, nie wieder sehen würde. Dazu war meine alte Heimat viel zu weit weg. 1845km. Und die legte ich gerade hinter mir zurück.
Ich wischte mir energisch die Tränen weg. „Nein, du wirst nicht weinen, Amy“, befahl ich mir in Gedanken. Als hätte ich das nicht schon längst getan! Wie konnten meine Eltern mich auch einfach so allein in einen Zug setzten? Und dann auch noch in einen, der mich wegbringen sollte, von allem was mir je wichtig gewesen war! Meine Eltern waren einfach zu beschäftigt, um auf meine Gefühle Rücksicht zu nehmen. Ich wollte kein neues Haus, egal wie groß es war! Ich wollte meine Freunde, meine alte Heimat und Eltern, die nicht den ganzen Tag arbeiteten, Eltern, die ihre Tochter nicht bei einem Umzug vorausschickten, weil sie selbst noch viel arbeiten mussten und noch nicht weg konnten. Das war zwar derselbe Text den ich vor 3 Jahren auch benutzt hatte, doch er verlor nicht an Wahrheit. Schon damals war die Rede davon gewesen, dass wir ins letzte Loch ziehen würden. Doch warum wunderte mich das überhaupt? So war es doch schon immer gewesen. In meinen 16 Lebensjahren war es nie anders gewesen. Wir waren endlos oft umgezogen, warum machte es mir gerade jetzt so viel aus? So war das eben, wenn der Vater Manager war und die Mutter seine Assistentin. Wenn die Künstler oder die Leute, die sie managten auf Tour gingen, waren meine Eltern ewig lang weg oder ich reiste mit und verbrachte all die Zeit allein im Hotelzimmer. Wenn meine Eltern davon ausgingen, dass sie irgendwo länger zu tun hätten, zogen wir eben dorthin. Meine Mutter hatte mir schon ewig oft versprochen, dass wir irgendwo bleiben würden, irgendwo sesshaft sein würden. Doch das war nie eingetreten. Und es war mir auch egal, wenn es jetzt eintreten würde, ich wollte nirgendwo anders sein als in London. Dort würde ich hinziehen, wenn ich erwachsen war, da gehörte ich hin. Ich war mir ganz sicher. Dann würde dieses ganze umziehen, Umgebung wechseln und in eine neue Schule kommen aufhören. Ich war immer der Freak gewesen, immer die Neue in der Klasse, mit der niemand etwas zu tun haben wollte. Ich hatte mich schon damit abgefunden, dass ich kein normales Leben führen konnte. Was auch immer ich getan hatte, um das erleiden zu müssen, wusste ich nicht, es war wohl einfach so. Als ich mich noch nicht damit abgefunden hatte, hatte ich meine Eltern oft gefragt, warum wir sooft umzogen, warum mein Kindermädchen mir alles beibrachte, was mir meine Eltern hätten beibringen sollen, warum ich immer die Schule wechseln musste. Jetzt wusste ich, dass sie mir nur keinen Privatunterricht arrangiert hatten, weil sie wollten, dass ich ein halbwegs normales Leben führte. Weil sie nicht wollten, dass ich den Anschluss verlor. Sie hatten mich nur immer mitgenommen, weil sie mich nicht alleine lassen wollten, weil sie mich liebten. Obwohl ich wusste, dass sie mich liebten, fiel es mir zur Zeit schwer das zu glauben, denn in London hatte sich alles verändert: Ich hatte dank meinen Eltern schon alles gesehen. Das hatte ich zumindest gedacht, als wir nach London zogen, doch diese Stadt hatte mich auf mehrere Arten positiv überrascht. Ich war schon in Rom, Madrid, New York, Hong Kong, Berlin und in vielen anderen Städten gewesen, doch keine von ihnen hatte mich so in den Bann gezogen wie das kühle, nebelige London. In Tausender Büchern hatte ich schon von dem River Thames, Big Ben und Scotland Yard gelesen, aber im Grunde hatte ich noch gar nichts über all das gewusst, bevor ich es mit eigenen Augen gesehen hatte. Die düstere Stimmung, die vielen Geschichten und einfach die ganze Stadt verliehen mir ein Gefühl der Zeitlosigkeit, der unbegrenzten Möglichkeiten und der Freiheit, wie ich es zuvor noch nie erlebt hatte. So begeistert, ich auch von der Stadt gewesen war, hatte ich nicht daran geglaubt, dass ich hier Freunde finden würde, dass ich nicht wie sonst überall der Freak sein würde. Ich war an meinem ersten Schultag an der neuen Schule in London überhaupt nicht aufgeregt gewesen, weil ich das alles schon eine Millionen mal durchgemacht hatte. Nachdem ich mich vorgestellt hatte, hatte ich mich neben ein Mädchen namens Sarah gesetzt. Sie zeigte mir die ganze Schule und nahm mich in ihrer Clique auf. Nie war ich so glücklich gewesen, wie in London. Doch mein Glück hielt nur bis zu dem Tag an, an dem meine Eltern überglücklich verkündeten, dass wir umziehen würden. Welch eine Freude. Sie waren so überaus glücklich gewesen, mir zu sagen wie groß das neue Haus war (größer als jedes, dass wir davor hatten, was schon etwas heißen sollte) und mir vorzuschwärmen wie wundervoll die Landschaft war, dass ich nur hatte lächeln können, während sich meine Augen langsam mit Tränen füllten. London war mein Zuhause gewesen, dort hatte ich mein Glück gefunden. Aber da mir so etwas wie „Glück“ eigentlich nie wiederfuhr hätte ich wohl ahnen müssen, dass es nicht von Dauer sein konnte. Nie würde ich einen Ort finden, an dem ich mich so sehr zuhause fühlen würde wie in London. London würde immer mein zuhause bleiben.
Ich lehnte meinen Kopf gegen die Fensterscheibe und schlug ihn ein paar mal dagegen. Das half, ich konnte endlich damit aufhören, Trübsal zu blasen und konnte mich auf das Vergnügen stürzen, dem Jungen, der mir gegenüber saß, beim Popel fressen zu beobachten. Ich verzog angewidert den Mund und schaute wieder aus dem Fenster. Ich betrachtete die Landschaft, die vorbeizog, nun eindringlicher. Einige Bäume standen einzeln verteilt auf den weiten Getreide- und Rapsfeldern. Weil es Frühling war trugen manche Bäume Blüten, andere hatten schon ein dichtes Gewand von leuchtend grünen Blättern. Über den Horizont verteilt schwebten ein paar Wolken weiß und zart am königsblauen Himmel. Warme Sonnenstrahlen gelangten bis in den Wagon. Gerade hässlich war die Landschaft hier ja nicht, aber sie vermittelte mir ein Gefühl der Kälte, das mir die Kehle heraufkroch und sie gefrieren ließ. Selbst die warme Sonne konnte sie nicht auftauen. Die Kälte gelangte bis in mein Gehirn und betäubte es, so dass ich nicht mehr denken konnte.
Der Zug hielt mit einem lauten Krächzen am Bahnhof, ich packte meinen Koffer und schritt so langsam aus dem Zug, als ob extrem klebrige Kaugummis an meinen Schuhsohlen kleben würden. Der Bahnhof war fast leer, nur ein paar Leute standen gelangweilt herum und warteten auf den Zug, der sie aus diesem Kaff holen würde. Ich atmete einmaltief durch und schloss die Augen. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich nicht an Kings Cross war, nein, denn Kings Cross war unendlich weit weg. Ich drehte mich noch einmal mit einem seltsamen Gefühl zum Zug um und blickte dann rechts und links den Bahnsteig hinab. Außer mir stieg niemand aus und so ich machte mich leicht schlürfend auf den Weg zum Ausgang. Draußen schien die Sonne, die mir in die Augen stach und meiner Ansicht nach viel zu heiß und ungewohnt war. Vor dem heruntergekommenen Bahnhof stand ein Taxi. Ich stieg ein und kramte denn Zettel, auf den meine Mutter mir die Adresse aufgeschrieben hatte aus meiner Jackentasche. Ich nannte dem Taxifahrer die Adresse, worauf sich das Auto in Bewegung setzte und gemächlich die mit Schlaglöchern übersäten Straßen entlang fuhr. Ich fühlte mich wie ein Milchshake, gut geschüttelt, und klammerte mich so gut es ging an dem Sitz fest. So bekam ich nicht fiel von der Gegend mit, außer dass die Häuser ziemlich alt und heruntergekommen aussahen. Wenn unser toller Palast (ein anderes Wort hätte die Beschreibung meiner leicht exzentrischen Mutter nicht getroffen) auch so aussah würde ich meine Mutter anrufen und sofort mit dem Zug zurückfahren, selbst wenn ich am Bahnhof übernachten müsste. Endlich hielt das Taxi und ich reichte dem Taxifahrer einen Zwanzigeuroschein, was eigentlich zu viel war, aber das war mir herzlich egal, denn ich wollte einfach nur raus aus diesem Höllenteil. Ich stürzte aus dem Taxi und sah zum ersten mal unser Haus. Es war absolut nicht vergleichbar mit den anderen Bruchbuden, die ich auf dem Weg hierher gesehen hatte. Es war groß, es war weiß und wunderschön. So würde es zumindest einer normalen Person vorkommen und da ich das offensichtlich nicht war sagte ich nur: „Okay.“ Etwas anderes fiel mir zu diesem viel zu großen, leeren Haus, in dem ich zwei Wochen allein verbringen durfte, nicht ein. Ich stieg aus und schritt, nun neugierig auf das Innere des imposanten Hauses, auf die Eingangstür zu. Ich zog meinen Schlüssel hervor und steckte ihn in das goldene, reichlich mit kleinen Goldrosen verzierte Türschloss, der strahlendweißen Tür. Ohne ein Geräusch ließ sich die Tür öffnen. Drinnen erwartete mich jedoch nur gähnende Leere. Ich fand nichts tröstliches an den kahlen Wänden. Kein Möbelstück war zu sehen. Ich schritt in das Haus. Das „Wohnzimmer“ erinnerte an eine Empfangshalle. Das Fenster an der rechten Seite war das einzige. Links befand sich eine Trennwand, die jedoch nicht ganz nach hinten reichte, sodass, man hindurch gehen konnte. Hinter der Trennwand befand sich wohl die Küche. Vorne war eine Steintreppe, die in den 1. Stock führte. Ich stellte meinen Koffer ab und zog meine Jacke, die nicht für dieses Wetter geeignet war, aus. Dann ging ich die Steintreppe rauf. Oben war ein langer Gang, mit vielen Türen. Ich stieß eine nach der anderen auf, doch in keinem Raum stand, lag oder hing irgendetwas. Die Leere verursachte mir Übelkeit. Irgendetwas musste doch hier sein! Eine weitere Treppe führte in den 2. und letzten Stock. Einen Dachboden gab es nicht, worüber ich froh war. Dort oben fand ich ebenfalls einen langen Gang mit vielen Türen. Es sah alles genauso aus wie im 1. Stock. Doch trotzdem hatte ich hier ein ganz anderes Gefühl, etwas lag in der Luft, dass sich nicht beschreiben ließ. Ich griff nach der Klinke der ersten Tür und drückte sie langsam herunter. Nichts als Leere befand sich in dem Raum, doch das änderte nichts an dem seltsamen Gefühl der Konzentration. Als ich meine Hand auf die Klinke der zweiten Tür legte, durchfuhr mich eine Art Kribbeln. Ich öffnete gespannt die Tür und wurde nicht enttäuscht. Dies war der einzige Raum, in dem etwas stand, doch ich wusste nicht was es war. Zumindest noch nicht. Ich betrat den Raum und steig auf einen Teppich. Der war mir gar nicht aufgefallen. Ich war vermutlich zu sehr von dem Anblick dieses seltsamen, unter einem Tuch versteckten, Gegenstands ganz hinten im Raum gefesselt gewesen. Was verbarg sich nur darunter? Der verborgene Gegenstand verdeckte die Hälfte eines kleinen Fensters. Ehrfürchtig stand ich nun vor dem Ding. Ich zögerte. Dann fasste ich mir ein Herz und zog das Tuch herunter. Staub wirbelte durch den Raum, wegen der Sonne sichtbar, funkelte er in allen Farben des Regenbogens. Aber dafür hatte ich jetzt keinen Blick frei, denn ich stand vor einem wunderschönen, riesigen Spiegel. Der Rahmen war golden und ich hob die Hand um darüber zu streichen. Kleine, goldene Rosen schmückten ihn. Ein ganz gewöhnlicher Spiegel. Ich sah mein Spiegelbild: aufgeregt und neugierig stand ich da, die Augen geweitet. Auf der Rückseite war nur Holz, festes, mahagonifarbenes Holz. Wieso hatte der, der vor uns hier gewohnt hatte alles mitgenommen, alles, außer diesen Spiegel? Ich war mir sicher, dass das Gold echt war. Wieso sollte man so etwas zurücklassen?
Ich starrte nun schon seit – wie mir schien – Stunden mein eigenes Spiegelbild an. Das änderte nichts daran, dass ich nach wie vor keine Ahnung hatte, was es mit dem Spiegel auf sich hatte. Plötzlich klingelte es an der Tür. Wer konnte das sein? Ich hastete nach unten und war ganz außer Atem als ich die Tür aufstieß. Eine Frau mit einem Kuchen in der Hand stand vor mir, mit ihrem Mann (wahrscheinlich) und ihrer – nahm ich an – Tochter. „Hallo“, sagte sie freundlich. „Wo sind denn deine Eltern?“, fragte sie nicht weniger freundlich. „Sie sind nicht da.“, antwortete ich verwirrt. „Wo sind sie denn?“, wollte die Frau wissen. Endlich begriff ich das Ganze. Das waren wohl unsere Nachbarn! „Sie kommen nach. Das heißt sie sind noch in London. Sie haben mich vorausgeschickt.“, seufz, „Sie sind also nicht da.“, fügte ich auf den verwirrten Blick der Frau hinzu. Wie konnte man nur so schwer von Begriff sein? Ich musste gerade reden, ich Nullchecker ! War doch klar gewesen, dass das unsere Nachbarn waren! Es waren wahrscheinlich ganz nette Leute, die nur das Pech hatten mich ziemlich schlecht gelaunt zu erwischen. Ich bemühte mich um ein Lächeln. „Du bist hier ganz allein?“ Nun klang sie entsetzt. “Du Glückliche“, mischte sich die Tochter ein. Ich grinste. „Du kannst ja reinkommen, wenn du willst.“, schlug ich vor. Mir fehlte Gesellschaft. Sie lächelte erleichtert, nahm ihrer Mutter den Kuchen aus der Hand und ging einfach ins Haus. Ihre Mutter konnte nur noch, „Aber natürlich darfst du, Schatz.“ sagen, da schlug „Schatz“ auch schon die Tür zu. Sie wandte sich mir zu. „Du hast ja keine Ahnung, wovor du mich gerade gerettet hast.“, vertraute sie mir an und verdrehte genervt die Augen. „Wovor denn?“, fragte ich interessiert. „Vor dem Verschwantschaftstreffen oder eher die Kinderfolter - Irrenanstalt der „Putzi Putzi – Wie groß du geworden bist“ Bande.“ Wir lachten. „Du kommst also aus London?“, fragte sie. „Ja.“, seufzte ich. „Lass mich raten: Du hast eigentlich überhaupt keinen Bock auf das Ganze und wärst jetzt viel lieber noch in London, aber deine Eltern haben dich hier er geschleift.“ Wie recht sie hatte! „Genau so ist es. Woher weißt du das?“ Sie zuckte die Schultern „Ging mir genau so als ich hier her gezogen bin, aber es ist gar nicht so schlimm.“ Irgendwie fiel es schwer daran zu glauben. Wir unterhielten uns weiter und ich fand heraus, dass sie Jessica hieß, dass ihr Lieblingslied „Tik Tok“ von Ke$ha war und dass sie die netteste und lustigste Person war, die ich je getroffen hatte. Sollte ich ihr den Spiegel zeigen? Der Spiegel hatte etwas geheimnisvolles und ich scheute mich, jemandem all meine Gedanken mitzuteilen, da man leicht darauf kommen könnte, dass ich verrückt war. Es war ja schließlich nur ein Spiegel, oder? Aber sie war doch so nett, ich fühlte mich gut mit ihr, ich hatte das Gefühl, wir könnten gute Freunde werden. Und vielleicht wusste sie ja mehr über den Spiegel oder den Vormieter als ich, vielleicht konnte sie mir helfen. Es wäre idiotisch und noch verrückter nichts zu sagen. Das würde ja so aussehen, als wäre der Spiegel streng geheim, höchste Sicherheitsstufe. Was war schon dabei? Ich beschloss, mich ihr anzuvertrauen. „Ihr habt echt ein cooles Haus.“, sagte sie. „Mir ist es ehrlich gesagt zu groß und… leer.“, gestand ich. „War ja klar, dass der alte Knacker alles mitnimmt! Ich habe ihn zwar ziemlich selten gesehen,“, sie zuckte die Schultern,“ aber es war irgendwie schon immer klar, dass mit dem etwas nicht stimmt. Wir haben ja nicht mal so richtig mitgekriegt, als er ausgezogen ist. Möchte gerne wissen was sein Geheimnis war.“, sagte sie. „Wieso ein Geheimnis? Wie kommst du darauf?“, versuchte ich ihr mehr zu entlocken. Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach sein würde sie auf dieses Thema zu bringen.„Na, hör mal! Ein alter Knacker, der immer in seinem Haus bleibt, nie mit jemandem redet und plötzlich auszieht. Der Typ muss mindestens 70 gewesen sein!“, erklärte sie. „Du hast recht. Wer macht sich schon mit 70 die Mühe auszuziehen?“ Da stimmte etwas nicht. „Sag ich ja.“, bekräftigte sie ihre Aussage. Ich atmete tief ein und sagte dann in einem Zug: “Er hat etwas dagelassen. Einen Spiegel.“ Jessicas Augen weiteten sich. „Dem müssen wir nachgehen. Das „Alter Knacker“ Projekt. Kommen sie, Watson“, alberte sie rum. Ich wusste, dass sie das ernst meinte. Ich boxte ihr auf die Schulter. „Wenn schon, bin ich Holmes“ Sie verdrehte die Augen. „Geh schon vor!“, wies sie mich, nun wieder mit normaler Stimme, an.
Sie schnaufte auf dem Weg nach oben übertrieben heftig, um die Länge des Wegs zu demonstrieren. „Findest du es immer noch so cool, dass unser Haus so groß ist?“, neckte ich sie. „Wenn man nicht hier rumlaufen muss, ist es das ja auch.“, verteidigte sie sich. Ich lachte. Ja, und wenn man nicht hier wohnen musste, war es perfekt. Vor der Tür, die Hand auf der Türklinke, fragte ich, als würde hinter der Tür der dreiköpfige Hund aus Harry Potter lauern: “Bist du bereit?“ „Mach schon“, forderte sie ungeduldig. Ich öffnete die Tür. Aufgeregt ging sie mir voran ins Zimmer. „Das ist also...“,fing sie an, dann verschlug ihr etwas die Sprache. Ich starrte sie an. Ihre Augen waren geweitet, ihr Mund geöffnet. „Was ist?“ Das verstand ich nicht. Es war doch nur ein ganz normaler Spiegel. Sie trat ganz nah an den Spiegel heran. „Du sagtest doch, es sei ein ganz normaler Spiegel.“, sagte sie. „Ähm, ja.“, antwortete ich und machte mir langsam sorgen um sie. Natürlich war es ein ganz normaler Spiegel! Was sollte daran, außer natürlich der Tatsache dass er die einzige Hinterlassenschaft des „alten Knackers“ war, besonders sein? „Siehst du das etwa nicht?“, fragte sie entsetzt. Ich blickte auf ihr Spiegelbild. Mein Herz machte einen Sprung. Da stand sie, sie sah genauso aus wie sonst auch, zumindest wenn man die zwei schwarzen Flügel nicht beachtete, die hinter ihr emporragten. Ich stellte mich neben sie. Da stand ich, neben dem dunklen Engel. „Jetzt kennen wir das Geheimnis. Zumindest das, des Spiegels.“ Doch ich hatte nur noch mehr Fragen.
Nachdem wir, wie mir nun schien, einen winzigen Teil des offensichtlich riesigen Geheimnisses entdeckt hatten, kam es für uns beide nicht mehr in Frage, dass wir uns verabschiedeten. Jessy hatte ihren Schlafsack (wir mussten auf dem Boden schlafen) geholt uns von da an über den Spiegel und das alles unterhalten. Wir hatten nur leider keine Antworten. Wieso zeigte er Jessy als dunklen Engel und mich ganz normal? Wieso tat er das überhaupt? Was hatte es mit dem alten Mann auf sich, der vor uns hier gewohnt hatte? Mit diesen Fragen im Kopf schlief ich ein. Doch es sollte keine ruhige Nacht werden.
Ich riss die Augen auf und alles was ich sah war Dunkelheit. Ein ohrenbetäubendes Scheppern hatte mich geweckt. Ich hörte Schritte. Hier im Haus war jemand. Meine Hände wurden nass vor Schweiß, ich versuchte meinen hastigen Atem unter Kontrolle zu halten, damit mich niemand hörte und versuchte mein verräterisches, rasendes Herz zum Schweigen zu bringen. Ich rüttelte Jessy wach und bedeutete ihr indem ich einen Finger auf meinen Mund legte, sie solle still sein. Sie runzelte die Stirn. Dann ertönten Stimmen und ihre Augen weiteten sich. Sie stand auf. „Komm! Wir schauen wer das ist.“, sagte sie leise. „Wer wohl? Das sind bestimmt Einbrecher!“, flüsterte ich zurück. Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Die in ein Haus einbrechen, dass leer ist?“, sagte sie. Doch dies war kein normales Haus und so leer, wie es sein sollte, war es alle mal nicht. Ich schnappte mir einen Besen. Als Waffe. Jessy ging die Treppe hoch. Dort oben waren sie. Nach den Geräuschen zu urteilen, standen sie am Fenster ganz hinten im Flur. Sie nahm mir den Besen aus der Hand und flüsterte: “Auf drei rennen wir los.“ Ich hatte Panik: “Ich will auch eine Waffe.“ Sie rollte mit den Augen. „Nimm halt deine Fingernägel!“ Als sie meinen skeptischen Blick sah fügte sie hinzu: „Ein Besen ist auch nicht viel besser! Also, auf drei.“ Ich war immer noch nicht überzeugt: “Du hast aber viel längere Fingernägel als ich!“ Sie ignorierte mich. Tz, sie hatte doch auch nur Angst und wollte deshalb ihre Waffe nicht hergeben! „Eins, zwei, drei“ Wir stürzten hinter der Wand hervor, doch abrupt stoppte Jessy. Ich hielt auch inne. Wie ich vermutet hatte, standen hinten am Fenster zwei Jungen im Licht ihrer eigenen Laterne. Ich konnte die Leiter sehen, über die sie raufgekommen waren. Sie waren in unserem Alter. Der Größere von ihnen sah gar nicht mal schlecht aus. Er hatte braunes Haar, eine Surferfrisur und braune Augen. Kannte Jessy die beiden etwa? Selbst wenn, änderte das nichts daran, dass sie hier waren, in meinem Haus. Ich riss Jessy den Besen aus der Hand und richtete ihn drohend auf die beiden Jungs. Der kleinere Junge kicherte. „Was machst du denn hier?“, fragte Jessy den Größeren. „Dasselbe könnte ich dich fragen.“, antwortete der braunhaarige, große Typ. Sie errötete. „Halt doch die Klappe, du Teilzeitschwuchtel.“, fauchte sie. Ich kicherte. Er grinste nur lässig. „Jetzt weiß ich, warum ich dich immer so vermisse.“, sagte er. Das trieb sie zur Weißglut. „Du hast meine Frage nicht beantwortet.“, erinnerte sie ihn. „Ach komm, als würdest du nicht auch wissen wollen, was es mit diesem Haus auf sich hat. Wer ist eigentlich deine Freundin?“, fragte er und betrachtete mich. Ich glaubte seine Augen aufleuchten zu sehen, als er mein Gesicht musterte. „Was geht dich das an?“, sagte sie bissig. Plötzlich wurde mir bewusst, dass wir beide in Unterwäsche (mein Schlafanzug war noch in London) vor den Jungs standen. Unwillkürlich errötete ich. Das war also der Grund, warum der kleinere Junge uns so anglotzte. Ein Glück, dass wir beide lange Tops als Oberteile trugen! Der Größere machte einen Schritt auf mich zu und nahm meine Hand. „Miss. Mein Name ist Jack.“ Er küsste meine Hand. Mein Herz pochte wie wild. Wie peinlich! „Auch bekannt als Teilzeitschwuchtel und Einbrecher, nicht wahr?“, versuchte ich die Situation noch zu retten. Er grinste unwiderstehlich. „Darf ich trotzdem deinen Namen wissen?“, ließ er seinen Charme wieder spielen. „Hm, ich glaube nicht dass ich dem Einbrecher, der über eine Leiter durch das Fenster meines Hauses geklettert ist, weil er denkt, dass es ein Geheimnis zu entdecken gibt, meinen Namen verraten werde.“, sagte ich und war stolz auf einen so vornehmen Klang in meiner Stimme. Ich klatschte Jessy ab, die ihre Hand zum High Five erhoben hatte und fügte noch hinzu:“ Ich denke es ist Zeit, dass ihr geht.“ „Deinen Namen kriege ich schon noch heraus. Aber…seid ihr sicher, dass ihr wollt, dass wir gehen?“ Wie aus einem Mund sagten wir:“ Ganz sicher“ Doch er ließ nicht locker: “Und wenn wir etwas hätten, dass euch helfen würde, das Geheimnis lösen?“ Mist! Er wusste mehr als ich gedacht hatte. „Was schlägst du vor?“, fragte Jessy. „Ihr sagt mir, was ich wissen will, dann zeige ich euch das, was ich habe. Und wir arbeiten von nun an zusammen.“ Ich war misstrauisch: „Was bringt dir das überhaupt?“ Er meinte: „Bin halt neugierig.“ So wie er grinste, glaubte ich ihm.
Wir hatten keine Wahl und wenn er tatsächlich eine so wichtige Information hatte, mussten wir sie haben. Denn wir hatten keine Ahnung, wie wir weitermachen sollten. „Dann treffen wir uns morgen hier im Haus um 15.00 Uhr. Du zeigst uns deine Information und wir entscheiden, ob sie wichtig genug ist, um dich in die Ermittlungen mit einzubeziehen.“, informierte Jessy geschäftsmäßig. Die beiden kletterten wieder durchs Fenster und wir gingen daraufhin auch runter. Was ist, wenn die Information wirklich so wichtig ist? Wahrscheinlich würde das heißen, dass wir der Lösung des Geheimnisses ein Stück näher kommen, aber es würde auch heißen, dass Jack mit uns ermitteln würde. Diesmal war meine Frage ganz anderer Natur als ich einschlief: Was war, wenn ich mich in Jack verliebt hatte? So etwas ging ganz schnell – das wusste ich aus Erfahrung. Man musste den Typen gar nicht richtig kennen und unter gewissen Umständen flatterten wie auf Kommando tausende kleine Schmetterlinge los. Ein absolut zerstörerisches und ziemlich blödes Verhalten, aber ich hatte schon gelernt dass dies ein Lieblingshobby von Frauen war. Es kam auch vor dass Frauen sich Sachen einredeten. Vielleciht um etwas zu erzählen zu haben oder um dieses beflügelnde Gefühl hervorzurufen? Es ist mir ein Rätsel und irgendwie weiß ich auch, dass das dumm ist, aber man kann es kaum aufhalten. Wir tun die meisten Dinge sowieso eher intuitiv, als dass wir ernsthaft darüber nachdenken, denn dann würden wir vieles einfach seinen lassen. Von diesem Verhalten sind auch männliche Wesen jeder Art nicht ausgeschlossen. Wir denken gar nicht so logisch über alles nach, denn wir fühlen meistens, ob wir etwas wollen oder nicht. Meistens ohne darüber nachzudenken was für Folgen es haben könnte. Männer scheinen im Allgemeinen sogar noch weniger nachzudenken als Frauen. Auch einer meiner Erfahrungen, aber mal ernsthaft – wen wundert das? Wir planen nicht alles so wie einen Schlachtplan oder eine Veranstaltung und deshalb gibt es auch immer wieder Überraschungen. Wie hätte ich wissen können, wie ich auf Jack reagieren würde? Selbst wenn wir alles planen würden, könnten wir Gefühle und Gedanken nicht beeinflussen. Das ist wahrscheinlich die einzige Ausrede für das Verhalten der meisten weiblichen Wesen. Ich hatte einmal beobachtet wie eine Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Mädchen kaputt gegangen war nur weil sie dachte, er würde auf sie stehen und sich Gefühle für ihn eingeredet hatte. Die ganze Stimmung zwischen den beiden hatte sich verändert und als sie ein Paar waren, musste sie sich eingestehen dass sie sich alles nur eingeredet hatte. Also war es wohl das Beste es einfach zu lassen und erst gar nichts heraufzubeschwören, dass nicht da war!
Als ich aufwachte wusste ich zuerst gar nicht, wo ich war, bis ich mich an diese Nacht erinnerte. Ich hatte zwar keine Ahnung wie spät es gewesen war, aber wohl so spät, dass ich begann durchzudrehen. Klar, verknallt in Jack. Bestimmt! Ich schlüpfte aus meinem Schlafsack und stand leicht taumelnd auf. Leise, um Jessy nicht zu wecken, lief ich in die Küche, als mir zwei Dinge einfielen: 1. das Treffen mit Jack und seine Information. und 2. dass wir nichts zu essen hatten. Ich hörte wie Jessy aufwachte und in die Küche geschlendert kam. „Oh, Mann! Ich fühle mich als wäre ich gegen ´nen Laternenpfahl gelaufen.“ Sie maulte und rieb sich die Augen. Dann kicherte sie plötzlich. „Was?“, fragte ich. „Das gestern war ja so peinlich!“, meinte sie. „Und wie.“, sagte ich nur. „Wer war das eigentlich?“, wollte ich wissen. Sie wusste, dass ich nicht den kleinen Typ meinte. „Das war nur so ein bescheuerter Kerl aus der Nachbarschaft. Er wollte schon immer mal in dieses Haus. Der andere war nur sein Freund aus York. Der fliegt aber heute wieder zurück, glaub ich.“, erklärte sie. Ich nickte nur. Sie hatte ja keine Ahnung wie neugierig ich gewesen war und wie wichtig mir diese Information war. „Das war echt gestern, oder?“, fragte ich und hatte ihr Bild im Spiegel vor mir. Wieder wusste sie genau was ich meinte: “Ja. Und wie. Das war echt gruselig. Ich hab Hunger!“ Ich lachte – Probleme das Thema zu wechseln, hatte sie schon mal keine. „Da muss ich dich enttäuschen. Wir haben nur den Kuchen deiner Mutter.“, gestand ich. „Na dann“, sie nahm den Kuchen und stellte ihn auf den Boden. „Bon Appetit!“ Wir aßen mit den Händen. Wir beide hatten überall Kuchenkrümel kleben und Jessy tat die ganze Zeit so, als wäre sie ein Schwein und aß ohne Hände, was ich irrsinnig komisch fand. Wir redeten über dies und das, aber als wir schon über das dümmste Hobby der Welt redeten: Vögel beobachten, wussten wir, dass wir nicht ewig das Thema zurückhalten konnten, dass uns beide beschäftigte. „Was sagen wir ihm?“, fragte ich schließlich. Sie zuckte die Schultern und antwortete dann:“ Ich schätze wir zeigen es ihm einfach.“ Ich nickte und erinnerte mich dann: „Das mit dem Handkuss gestern war aber echt eine schräge Aktion.“ Sie sagte zustimmend:“ Ich dachte mir schon so: <Was will der denn jetzt machen? Will er dir etwa auf die Hand sabbern?> Aber, hey, das war echt voll cool von dir.“ Ich erinnerte mich. Gut, dass es so cool rübergekommen war, denn das war ich eigentlich gar nicht gewesen.
Nach dem “Essen“ sagte ich beschlossen: “Ich will es noch mal sehen. Stell dir vor, am Ende ist es gar nicht mehr da und wir haben uns das alles nur eingebildet.“ Sie nickte nur uns ging nicht auf meinen lockeren Ton ein. Das war gut, aber anders hätte ich es auch nicht von ihr erwartet. Kurz später waren wir auch schon oben. Wir öffneten die Tür und Jessy trat vor den Spiegel. Ich hatte keinen Moment daran gezweifelt, dass es genau so wäre wie gestern und behielt recht. So einfach schien es für sie nicht zu sein. Immer noch entsetzt drehte sie sich im Kreis und betrachtete ihre schwarzen Flügel.
Damit wir ein richtiges Mittagessen haben würden, ging Jessy mit mir in den (war ja klar) einzigen Supermarkt des Dorfes. Mir wurde schnell klar, dass es in diesem Dorf ganz anders war, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte es mir nach dem jeder – kennt – jeden Schema vorgestellt, doch spätestens als wir Jessys Exfreund trafen, wurde mir klar, dass es in diesem Dorf von Intrigen, Klatsch und Tratsch nur so wimmelte. Denn Jessy hatte ihn verlassen, als sie rausfand, dass er auf einer Party Extasy geschluckt und sie danach betrogen hatte. Da wir ewig viel trödelten und rumalberten, waren wir erst um 14.23 Uhr wieder zu Hause. Ich war gerade damit beschäftigt alle Sachen (hauptsächlich Fast Food) einzuräumen und Jessy zuzuhören, die gerade die Story erzählte als ein Lehrer einen Schüler in den Fluss gestoßen hatte, weil der Schüler Etwas mit seiner Frau gehabt hatte, als es schon fast überpünktlich (es war 15.00 Uhr) an unserer Haustür klingelte. Ich starrte Jessy, die aufgehört hatte zu reden, an und sie starrte zurück. Mein Herz machte einen Sprung. Es gab keinen Zweifel daran, wer das war. Unsere Köpfe schnellten ein paar mal hin und her. Dann rannten wir beide zur Haustür und machten auf. „Na, Ladies?“, sagte er mit einem breiten Grinsen. Wie aus einem Mund antworteten wir: „Halt die Klappe.“ Er pfiff. „Habt ihr das einstudiert?“, wollte er wissen. Wir drehten uns einfach um und gingen davon. Er folgte uns mit einem erneuten Pfiff, der allerdings dem Haus galt, was mich nicht daran hinderte zu erröten. „Hey, Jessy und - wie heißt du noch mal? – wartet!“ Ich grinste. Er glaubte doch nicht ernsthaft, dass er mir so meinen Namen entlocken würde. „Netter Versuch.“, erwiderte ich nur und er seufzte. Jessy ergriff das Wort: “Du zeigst uns zuerst die Information.“ Er zögerte. „Die Hälfte.“, meinte er dann. Wir sahen uns an und stimmten schließlich zu. Er holte einen Zettel aus der Tasche. Er war dreckig und sah sehr alt aus. Jack verdeckte die untere Hälfte und hielt ihn uns vor die Nase. „Das habe ich entdeckt als ich gestern durchs Fenster gekommen bin.“ ,Es war keine Spur von Verlegenheit in seiner Stimme zu erkennen,“ Der Fensterladen ist halb abgerissen und darunter lag der Zettel. Leider kann man nicht mehr alles lesen.“ Mein Herz begann zu rasen. Er hatte recht, Wasser hatte das Papier schon fast gänzlich zerstört, aber man konnte noch den Titel und ein paar Passagen lesen. Was wohl auf der anderen Hälfte drauf sein musste? Doch der Grund, warum mein Herz raste war ein anderer. Der Titel lautete: Das Geheimnis des Spiegels. Dann zog er den Zettel wieder zurück. "So und jetzt seid ihr dran.", sagte er und wir führten ihn nach oben. Vor der Tür blieben wir stehen." Jetzt bin ich aber mal gespannt. Das ist es, oder?", meinte er. "Kannst du erraten, was dahinter ist?", wollte ich wissen. Jetzt war ich aber mal gespannt. "Nein, aber ich schätze, das wird das Geheimnis in diesem Haus sein.", antwortete er und ich runzelte die Stirn. Trotz des Zettels konnte er nicht erraten, was das Geheimnis des Hauses war? Jessy schien dasselbe zu denken und kicherte. Er blickte zwar ziemlich verwirrt drein, sagte aber weiter nichts. Ich legte meine Hand auf die Türklinke. Erwartungsvolle Spannung erfüllte die Luft. Ich drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. Seine Augen weiteten sich als er den Spiegel erblickte. "Das ist er also.", stieß er hervor. "Das ist noch nicht alles", sagte Jessy und trat vor den Spiegel. Ich folgte dem dunklen Engel. Ich sah durch den Spiegel wie er ebenfalls herantrat. Erst jetzt fiel mir auf, wie gut er eigentlich aussah. Mein Herz pochte wie wild, tausend Schmetterlinge flatterten in meinem Bauch und mein Atem stockte. Doch irgendetwas stimmte nicht. Seine Haut im Spiegel war auf einmal blass, er hatte violette Augenringe und seine Augen... sie waren rot! Er grinste und entblößte lange, spitze Zähne. Die Zähne eines Vampirs. Nun wollte ich nur noch weglaufen, alles in mir sträubte sich dagegen weiter hier stehen zu bleiben, in greifbarer Nähe des Vampirs. Doch ich konnte mich nicht von der Stelle rühren, die Schmetterlinge flatterten weiter. Er hörte auf zu grinsen, als er meine Reaktion sah. Er trat vom Spiegel zurück und fiel zu Boden. Er war außer Atem, dann blickte er auf zu mir. Ich starrte ihn immer noch angsterfüllt an. Er schüttelte den Kopf und sagte zu mir: "Das bin ich nicht." Seine braunen Augen starrten mich gequält und zugleich flehend an. Das war wahr, er hatte keine blasse Haut, keine roten Augen und keine so starke Anziehungskraft auf mich. Doch trotzdem hatte er eine. Das machte mir Angst.
Wieder unten angekommen hatte Jack sich wieder gefasst. Mir ging es da anders. "Jetzt ist es wohl an der Zeit euch den Rest des Zettels zu zeigen." Er zog den Zettel hervor und reichte ihn mir. Ich zitterte als er meine Hand streifte. Jessy blickte auf den Zettel, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er sie persönlich beleidigt. Ich strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und runzelte die Stirn. Ich hatte ein Gefühl, als ob jemand mich beobachtete. Ich blickte auf. Hatte ich es doch gewusst! Jack hatte mich schon die ganze Zeit mit einem schiefen Lächeln und einem, fast verträumten Blick angesehen. "Was?", fragte ich mit einem Lächeln. Er schüttelte nur den Kopf und meinte: "Nichts." Ich lächelte und richtete meinen Blick wieder auf das Blatt. Auch die untere Hälfte war verwischt und fast unlesbar. Nur eine Unterschrift war noch zu erkennen. Sie lautete: Augustin Frederick Johnson. Mit den noch lesbaren Zeilen konnte ich nicht viel anfangen: ...Vor ein paar Jahren,... für ewige Zeit,... niemand weiß, keiner versteht,... das Dunkle,... Menschen. Das war alles was sich entziffern ließ. Mir fiel auf, dass Jessy auf einmal sehr still war. "Was meinst du dazu, Jessy?", fragte ich sie. Sie zuckte nur die Schultern. "Keine Ahnung, aber wir könnten versuchen mehr über den Autor herauszufinden.", sagte sie dann schließlich. Wieso hörte sich ihre Stimme nur so niedergeschlagen an? "Also?", mischte Jack sich wieder ein. "Was also?", fragte ich verwirrt. "Sind wir Partner?", erläuterte er. Ich wandte mich zu Jessy. Ihr Gesichtsausdruck erschien mir leblos und traurig. Warum nur? "Das ist eine ziemlich wichtige Information...", erinnerte ich sie. "Wir haben wohl keine andere Wahl.", meinte sie mit einem Lächeln. Ich war froh, dass sie wieder die Alte war. "Also sind wir jetzt wohl Partner.", frohlockte Jack. Ich lachte über seinen fröhlichen Tonfall. "Wir treffen uns morgen wieder hier, der Zettel bleibt bei uns und keiner arbeitet alleine.", vereinbarte Jessy streng, sie hatte sich ziemlich schnell gefasst. "Morgen, selbe Zeit?", wollte er wissen. "Lieber früher - um 13:00 Uhr.", machte sie aus. Er nickte und ging zur Tür. Dann öffnete er sie und trat heraus. Wobei er es nicht ausließ "Bis dann, My Ladies." zu sagen. Ich funkelte ihn an, doch da war er schon weg.
Ich drehte mich zu Jessy um und plapperte einfach mal drauf los: "Ich kann kaum glauben, dass er jetzt jeden Tag herkommen wird. Eine schreckliche Vorstellung. Oh, Mann!" Sie ging nicht darauf ein und schien wieder so traurig zu sein wie vorhin. "Ist irgendetwas?", fragte ich schließlich besorgt. "Nein, nichts." Sie schüttelte den Kopf. Sie glaubte doch nicht ernsthaft, dass ich ihr das abkaufte. Ich sagte nichts, sondern schaute sie nur besorgt an. Schließlich sagte sie: "Du hast doch gesehen, wie er dich anschaut." Ich verstand gar nichts. Sie musste es mir angesehen haben und redete dann weiter: "Schon als er dich zum ersten Mal sah und als er dann oben das zu dir gesagt hat, nur zu dir..." Ich begriff. Aber das konnte doch nicht sein! Nein, nicht Jessy. "Bist du etwa in ihn..." Ich konnte den Satz nicht beenden. "Ich glaube schon.", sagte sie. "Aber er ist in dich verliebt. Liebst du ihn auch?" Sie hatte mir zwischen den zwei Sätzen keine Zeit gelassen, zu wiedersprechen. Ich sagte nichts. Ich wusste nicht ob ich diesen Vampir liebte. Natürlich war er nicht wirklich ein Vampir, nur im Spiegel. Jessys Handy klingelte und nach allem was ich hörte, war es ihre Mutter, die wollte, dass sie nach Hause kam." Ich gehe dann mal. Ciau.", sagte sie noch, bevor sie aus der Tür schritt. Mit einem schwachen "Tschüss." verabschiedete ich mich. Scheiße! Die erste richtige Freundin und dann kam dieser Typ und machte alles kaputt. Dabei wusste ich nicht mal, ob ich ihn liebte, und ob er mich liebt? So sicher war ich mir ja nicht. Vielleicht übertrieb Jessy es einfach, vielleicht sah das für sie nur so aus, weil ihre Gefühle ihr die Sicht vernebelten. Aber das Schlimmste war, dass ich nicht wusste, ob eine Freundschaft unter solchen Bedingungen überleben konnte.
Da wir nicht alleine arbeiten durften und ich nicht über Jack oder Jessy nachdenken wollte, holte ich das einzige Buch, dass ich mitgenommen hatte hervor und begann zu lesen. „Flightless Bird“ war mein Lieblingsbuch, ich las es bestimmt schon zum zehnten mal. Ich hatte es in London gekauft. London, seufzt. Aber eins musste man sagen, und zwar, dass es hier nicht annähert so schlimm und vor allem langweilig war, wie ich gedacht hatte. Ich früh ins Bett und war überrascht, dass ich so schnell einschlief. Doch mit dem Schlaf kam auch ein Traum:
Ich stand auf einer Klippe, unter mir lag schwarzes Wasser. Vor mir stand ein Vampir, doch es war nicht irgendein Vampir, es war Jack. Er hatte die spitzen Zähne gebleckt, seine Haltung war Angriffslustig und sein Blick war der eines Jägers, der mit seiner Beute spielte, bevor er sie umbrachte. Plötzlich spürte ich Arme, die mich umfassten und ich wusste, dass es Jessicas Arme waren. „Komm, wir müssen fliehen, weg von hier, komm schon Amy. Es ist zu gefährlich.“ ,drängte sie mich, doch ich wollte und konnte mich nicht von der Stelle rühren. Ich wollte zu Jack. Mir war es egal, wenn er mich töten würde, ich wollte ihm helfen, ihn sogar beschützen, bei ihm sein. Ich drehte mich um, um Jessy das zu sagen und blickte in die schwarzen Augen eines dunklen Engels. Ich sah ihre schwarzen Flügel und bemerkte, dass sie lange Krallen an ihren Händen hatte. Sie ließ mich nicht los. Ich drückte mich von ihr weg, so fest ich konnte, doch sie ließ mich immer noch nicht los. Dann lachte sie und bohrte ihre Krallen tief in meinen Rücken. Ich schrie: „Jack!“ und wusste, es würde mein letzter Schrei sein.
„Jack!“ Ich fuhr hoch. Ich atmete hastig durch den Mund ein und aus, mein Herz pochte, als wolle es aus meiner Brust springen. Ich tastete an meinen Rücken, wo Jessy zugestochen hatte. Ich fühlte etwas nasses. Meine Augen traten hervor. Ich stürzte aus dem Schlafsack, die Treppe hoch in den 2. Stock und stieß die 2. Tür im Gang auf. Ich rannte in das einzige Zimmer mit Spiegel, in das Zimmer mit dem Spiegel und stellte mich mit dem Rücken vor ihn. Mein blaues Top war schweißdurchnässt. Ich atmete erleichtert auf. „Kein Blut, kein Blut. Es war nur ein Traum!“ Ich legte mich immer noch außer Atem auf den Teppich und ließ das Mondlicht auf mich scheinen. „Nur ein Traum.“ Doch er fühlte sich so real an, wenn man neben dem Spiegel lag. Neben dem Beweis dafür, dass es übernatürlich Dinge gab. <niemand weiß, keiner versteht>. Ich lächelte. In diesem Raum fühlte ich etwas, dass ich in keinem anderen Raum in diesem Haus fühlte. Ich fühlte mich zuhause.
Ich spürte die Wärme der Sonne auf meiner Haut liegen, wie ein warmes Tuch. Der Teppich, auf dem ich lag war weich, doch trotzdem tat mein Nacken etwas weh, da ich ja fast die ganze Nacht darauf geschlafen hatte. Ich öffnete langsam die Augen und sah mein Spiegelbild. Schlagartig erinnerte ich mich an den Grund, warum ich hier war und kniff die Augen zu, als könnte ich die Erinnerung so verscheuchen. Das klappte natürlich nicht und so blieb mir nichts anderes übrig, als über den Traum nachzudenken. Ich wusste über alles in meinem Traum genau bescheid: Ich stand auf einer Klippe, genauso wie Kim aus „Flightless Bird“ in ihren Träumen. Jack war im Begriff mich zu töten, weil genau das, das war was ich am meisten fürchtete, weil eben auch diese seltsamen Gefühle, dass ich beschützen wollte und so, damit zusammenhingen. Jessy hatte mich umgebracht, weil ich wirklich irgendwo schon Angst hatte, sie könnte wütend auf mich sein. Im Grunde war alles in meinem Traum vollkommen logisch, doch das änderte nichts daran, dass die Erinnerung an den Traum mich erschaudern ließ. Er spiegelte all meine tiefen Ängste wieder und war deshalb so schlimm, dass ich mich nicht einmal damit trösten konnte, dass ich (anders als bei Kim) genau wusste, wie er entstanden war. Ich setzte mich auf und in meinem Kopf drehte sich alles. Ein paar Minuten lang starrte ich noch mein Spiegelbild an, dann erhob ich mich und ging runter um mich anzuziehen. Gerade dachte ich: “Mal sehen, was heute noch so alles passieren wird.“, als mein Handy klingelte. „Hallo?“, fragte ich verwundert, doch der Anrufer hatte schon wieder aufgelegt. Wie seltsam. Ich war gerade damit beschäftigt mir Essen aufzuwärmen (wir hatten auch eine Mikrowelle gekauft), als mein Handy erneut klingelte. Jetzt war ich aber neugierig. „Hallo?“, sagte ich wieder in den Hörer und ein Rauschen war zu hören. „Schatz, bist du dran?“, hörte ich die Stimme meiner Mutter. Nein, wenn sie auf meinem Handy anrief gingen natürlich die Nachbarn ran. „Natürlich bin ich das Mum! Wo bist du?“, antwortete ich. Den Geräuschen nach zu urteilen, befand sie sich am Flughafen.
„Ich bin jetzt am Flughafen. Aber sag mal, bist du gut angekommen? Gefällt dir das Haus?“
Ha, war ich nicht gut? „Ja, das Haus ist spitze.“, log ich, „Die Leute hier sind total nett. Jessy, unsere Nachbarin hat mir den Supermarkt und so gezeigt. Sie ist echt nett.“ Ja, Jessy. Seufz. „Aha“, machte meine Mutter. Ich war mir sicher, dass sie mir nun mit halbem Ohr zugehört hatte. Plötzlich klang sie gehetzt: “Schön, Schatz und ist sonst noch irgendetwas interessantes passiert?“ Ich grinste. „Nein, nichts interessantes.“ Sie hatte ja keine Ahnung. „Ich muss jetzt Schluss machen. Aber wir haben nur noch einen Zwischenstopp in Boston, dann kommen wir zu dir. Hab dich lieb, Schatz! Tschüss.“ Meine Mutter legte auf, bevor ich noch etwas sagen konnte. Jetzt hatte ich sie gar nicht gefragt, ob sie vorhin angerufen hatte, aber vermutlich. Immerhin war sie ja auf einem Flughafen, da war das mit dem Empfang so eine Sache. Dieses Dorf befand sich kurz vor der Grenze zu Schottland. Wenn meine Eltern ungefähr vier Tage in Boston blieben und danach sofort hier her kamen, was ich bezweifelte, würden sie in etwas mehr als einer Woche ungefähr hier in dem Dörfchen Dayton sein. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Es klingelte an der Tür. Ich lief hin und öffnete sie, dann stutzte ich. „Jessy! Was machst du denn hier? Ich meine wollten wir uns nicht erst um 13.00 Uhr treffen?“ Ich hoffte sie hatte meine erste Bemerkung nicht falsch verstanden, aber sie grinste und kam rein. „Ich hab vorher schon mal angerufen, dachte dann aber, es wäre besser, wenn ich es dir selbst sagen würde.“, vertraute sie mir an. Ach, Jessy war das also! „Dann schieß mal los.“, ermutigte ich sie vergnügt. Doch das täuschte, in Wirklichkeit war ich angespannt vor Erwartung. Sie begann zu erzählen: “Also, gestern bin ich erst mal nach Hause gegangen und hab mich ein bisschen ausgeheult.“, sie verdrehte die Augen. Ich hatte das Gefühl, sie würde mir die Schnellversion erzählen,“ Dann meinte meine Muter, ich solle doch ausgehen und das habe ich dann auch gemacht.“, jetzt kam wohl der interessante Teil,“ Und in dieser Bar habe ich dann so einen Typen kennen gelernt. Wir haben uns unterhalten und irgendwann sind wir dann auf dieses Thema gekommen. Als ich so mit ihm geredet haben, ist mir klar geworden, wie sinnlos und dumm das alles ist und auf einmal waren alle Gefühle weg.“ Ich hätte einen Luftsprung machen können, so froh war ich. Ich warf mich ihr um den Hals und sagte: “Ich hatte schon voll Angst wegen unserer Freundschaft.“, gestand ich ihr und sie meinte grimmig: “So leicht wirst du mich nicht los.“ Wir lösten uns voneinander. „Und du bist wirklich überhaupt nicht mehr in ihn verliebt?“, wollte ich wissen. „Nein.“ Und ihr Blick verriet mir: “Ich ahne etwas. Oho. Okay, wie sieht er aus?“ Sie wusste wen ich meine: “Er ist blond.“ Ich rollte mit den Augen. „Lass mich nicht verhungern!“ „Schon gut. Er hat grünblaue Augen und ist etwas größer als ich. Und er ist Surfer aus Kalifornien.“, schwärmte sie. „Das Beste ist: ich hab seine Nummer.“ Ich freute mich für sie. „Das ist ja so cool!“ „Nicht?“ Ich war unendlich glücklich darüber, dass bei uns beiden wieder alles okay war. Ich war fest davon überzeugt, dass das eine Prüfung war – so blöd das auch klingen mag - , die unsere Freundschaft bewältigen musste und meiner Ansicht nach, hatten wir sie mit Bravur bestanden. Nach einer Weile sagte sie: “Jetzt bist du dran.“ Ich verstand nicht. „Was meinst du?“ Sie stöhnte. „Bist du in Jack verknallt?“ Ich konnte ihr nur dieselbe Antwort geben wie gestern, denn mein Traum hatte sich wie ein dunkler Schatten über Jack und mich gelegt: “Ich weiß es nicht.“ Außerdem wollte ich mir da ja nichts einreden und mit dem Spiegel gab es sowieso viel Wichtigeres als ihn. Tja, das war eine glatte Lüge an mich selbst, den er interessierte mich zugegeben mehr als dieses Metallteil da oben. Das würde sich aber bald ändern. „Ach, komm schon! Natürlich weißt du es.“ Ich musste ihr als Freundin von dem Traum erzählen: “Ich hatte gestern ziemliche Angst vor ihm, aber nicht weil er ein Vampir war, sondern, weil ich mich so sehr zu ihm hingezogen gefühlt habe.“, Sie machte einen vielversprechenden Gesichtsausdruck, “Hör schon auf! Nein, ich hatte diese Nacht einen Traum...“
Tag der Veröffentlichung: 16.06.2010
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