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Hier geht es dir gut, Ellie
, haben sie gesagt. Das vergesse ich nicht. Sie- Die großen, in Schildkrötenpanzerformat aufgestellten, Männer haben meine Koffer mitgenommen und mich dann in das schwarze Auto verfrachtet. Noch komme ich nicht raus. Noch starre ich leer aus dem Fenster durch die abgedunkelten Scheiben und denke dass ich nichts verpasst habe. Alles ist grau, alles schneit noch, obwohl der Frühlingsanfang bereits vor drei Tagen war. Aber so ist es immer.
"Wohin fahren wir?", frage ich. Niemand antwortet.
Ich merke dass wir in einer Straße einbiegen in der mehrere Häuser eng aneinander liegen wie eine Kette von Gebäuden. Alle sind gleich beige oder braun. Wir halten vor einem karamell-farbenen.
Eine kleine, typisch deutsche, Familie steht vor der Tür. Die Eltern haben die Hände auf die Schultern ihres Sohnes gelegt, der geschätzte 16 Jahre alt und einen halben Kopf kleiner als sein Vater ist. Das Gesicht der Frau schockt mich.
Ihre Augen huschen wie ein Sensor über meinen Körper. Was will sie von mir? Ich begreife das sie mich abcheckt. Bin ich in Ordnung? Kein Parasit von weit her? Doch genau das bin ich.
Die Schildkröten-Kerle nehmen mein Gepäck und tragen es neben mir her. Ich habe nicht wie gedacht einen Koffer gebraucht, sondern gleich ein ganzes Kofferset, als Leute vom Jugendamt neue Kleidung für mich besorgt hatten. Die Alte war einfach schmutzig von dem Hausstaub und den Spülmittelflecken.
Hier geht es dir gut, Ellie
, denke ich. Sie sehen normal aus, sie sind Menschen. Sie sind wie du.
Sie sind nicht ganz wie ich aber ich lächle trotzdem und nehme den Mann der Familie Measter in den Arm als er strahlend auf mich zu geht. Meine Sorgen sind auf einmal wie weg geblasen als er mir herzlich auf die Schulter klopft als würde er einen alten Schulfreund begrüßen.
Johannes Measter, durch und durch bleicher Deutscher so wie der Rest seiner Familie, setzt ein gehetztes Lächeln auf und lässt seiner Frau den Vortritt. Mir scheint sie ist der wahre Mann im Haus, denn sie gibt mir nur hochachtungsvoll die Hand. Entweder sie ist ein wenig eingebildet oder sie checkt mich immer noch ab.
Die Begrüßung mit dem Jungen fällt nicht sehr Überschwänglich aus. Er steht nur stumm da und glotzt mich an wie ein Ungeziefer. Vielleicht bin ich das ja auch. Ich habe lange in keinen Spiegel mehr gesehen und weiß nicht mehr genau welche Farbe meine Augen haben.
Ich, Ellie Drosslers, hebe mir meine Worte für später auf. Es macht keinen Sinn einen stillen Konflikt mit dem Jungen anzufangen, also lasse ich mir von Johannes erklären wer wer ist. In der Anschrift vom Jungendamt standen zwar ein paar Namen, aber diese konnte ich mir nicht behalten. Für mich stellt sich raus; Der Sohn heißt Chester, ganz untypisch für einen Deutschen, und die Frau Melanie. Ich denke, das es vielleicht weniger Stumme auf der Welt geben würde, wenn jeder seine Worte sparen würde.
Chester stellt meine vier Metallkoffer auf die Holzdielen und schnaubt. "So", sagt er und schlingt seine Hände um die Türklinke. "Wenn du noch etwas brauchst... frag auf keinen Fall mich." Chester geht.
Ich setze mich achtlos auf mein Gastbett und starre auf die skurrilen Fotos an den Zimmerwänden.
Auf dem Bild ganz rechts sehe ich ein kleines Mädchen und einen etwas älteren Jungen am Strand. Das Mädchen hat braune Augen wie große Cookies und winzige Sommersprossen im Gesicht, während gegen der Junge ein kleiner Mini-Chester ist. Die gleichen braunen Haare, der gleiche fragende Augenblick im Gesicht. Er fragt: Darf ich das? Darf ich leben?
Und das Lachen des Mädchens antwortet: Das darfst du immer. Lass dich nur nicht erwischen, Schlingel!
In den nächsten Rahmen ist eine selbst gemalte Skizze gespannt. Ein großes Strichmenschen mit großer Nase und einem Partyhütchen auf dem Kopf. Daneben eine Fee ohne Krone und Zauberstab, wie Kleinkinder sie gerne Zeichnen, sondern mit Herzchen und Sternchen in der Hand. Tausenden. Ohne dass ich nachzähle weiß ich das.
Das letzte Bild ist ein ungefähr zwölf jähriges Mädchen dass sich selbst in einem Spiegel fotografiert hat. Ich wünsche mir, dass ich zu ihr ins Bild springen und in den Spiegel sehen kann. Aber nichts passiert- die Fee aus Rahmen zwei wird nicht lebendig.
Texte: (c) by M.D. Dlugosch &'nd picnik.com -Fotobearbeitung,Covergestaltung et cetera
Tag der Veröffentlichung: 09.11.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Sonne, weil sie scheint
und Lea
weil sie gewittert