Ich rannte ich um mein Leben und hatte Angst, furchtbare Todesangst. Es war ein Spießrutenlauf, den ich nicht gewinnen konnte. Ich hörte die Schreie der Menschen, die um mich herum starben, einer nach dem anderen, alle chancenlos, so wie ich auch. Es war nur eine Frage der Zeit denn sie ließen einem nie eine Chance.
Vor gut fünf Monaten hatte es begonnen, drei Raumschiffe waren über Asien, Nord- und Südamerika aufgetaucht und hatten übergangslos begonnen die Menschen auszurotten. Es gab keine Kommunikation oder irgendeinen anderen Kontakt, der es den Menschen erlaubt hätte, um Verschonung, Rücksicht, oder Gnade zu bitten oder gar zu verhandeln. Schon am Tag ihrer Ankunft war der Independence Day, der einige Jahre zuvor filmisch als heroischer Tag gefeiert wurde, zur bitteren, grausamen Hoffnung geworden, die sich nicht mehr erfüllen würde.
Es waren nicht die großen Megawaffen, die Städte vernichteten, sondern die von den riesigen Schiffen zu zehntausenden ausgeschleusten Miniflugkörper, Drohnen, die die Menschen selbst durch meterdicke Wände orteten und erschossen. Und jede einzelne tat dieses zu tausenden, zu zehntausenden pro Tag. Es gab kein Entkommen, nicht einmal in Kellern oder hinter Bleiplatten, sie durchdrangen mit ihren Laserstrahlen einfach alles.
Offenbar hatten sie nur drei Hauptschiffe, nur deshalb kam Europa vermutlich als letztes dran, von den anderen Kontinenten waren die Menschen inzwischen höchstwahrscheinlich komplett getilgt.
Es hatte viele Versuche gegeben sich zu wehren, und es war sogar gelungen eines der Hauptschiffe so erheblich zu beschädigen, dass es mehr oder weniger abstürzte und einige tausend der Minischiffe hatte man ausschalten können. Mehrere Monate lang hatte es ernsthaften Widerstand gegeben, und vor sechs Wochen war es mit einem großen Teil der Computerkapazität des verbleibenden Internets und ein paar Großrechnerclustern gelungen das Chiffrierungssystem der Aliens vollständig zu knacken. Aber es war zu spät. Die wenigen verbleibenden militärischen Systeme und Menschen reichen einfach nicht mehr aus um dem Feind noch etwas Wirksames entgegenzusetzen. Wir hatten nur ein oder zwei Wochen zu lange gebraucht und äußerst knapp verloren. Mit etwas mehr Zeit hätten vielleicht wenige aber genug Menschen überleben können. So hatten wir nun das Pech, nach und nach komplett von unserem Planeten getilgt zu werden.
Das Knacken der Aliencodes hatte viele Hintergründe offengelegt, ihre Datenbanken konnten fast vollständig ausgelesen werden und wurden in dem erstaunlich lange gut funktionierenden Internet verbreitet. Sie hatten uns vor circa 60 Jahren entdeckt, nachdem sich unsere Radiowellen im All ausbreiteten. Danach hatten die Aliens alles mobilisiert was sie konnten, weil wir uns aus ihrer Sicht so schnell entwickelten, dass sie furchtbare Angst vor uns bekamen. Sie hatten Jahrtausende gebraucht um auf ein technologisches Niveau zu kommen, das wir in ein oder zwei Jahrhunderten erlangt hatten. Sie nutzen also die letzte Chance unser Herr zu werden, bevor wir auch auf die interstellare Raumfahrt kamen. Technisch gesehen waren sie uns zwar noch um die Sternenreisen und ein paar wenige Waffentechniken und eine besondere Energieerzeugungstechnik voraus, darüber hinaus aber in den meisten Dingen vergleichbar weit. Sonst hätten wir es auch sicher nicht geschafft ihre Codes zu knacken. Wir hätten deren Wissen aus den geknackten Datenbanken wahrscheinlich schon in wenigen Monaten in die Praxis umsetzen können.
Aber so rannte ich als einer der letzten Menschen auf Mutter Erde um mein Leben. Ich rannte um die Hoffnung, mich irgendwo ein paar Tage verstecken zu können und noch ein wenig von meinem Leben zu haben bevor es vorbei wäre. Neben mir schrie ein Mann auf und stürzte. Auch meine Zeit war gekommen, das fühlte ich. Vor mir lief eine Frau der Gruppe, mit der ich vor einigen Tagen aus dem Dorf geflohen war, auf einen Hang zu, rief „Hier lang!“. Ich folgte ihr, etwas anderes fiel mir eh nicht ein. Auch sie schrie getroffen und fiel, kurz bevor sie einen kleinen zugenagelten Verschlag an dem Hang erreichte. Ich rannte einfach auf die offensichtlich morschen Bretter zu, es war mir egal ob sie fest waren oder nicht, ich wollte mich einfach nur verstecken, egal wie oder wo, auch wenn es sinnlos war. Ich hörte das Krachen der gammeligen Bretter und paar Meter hinter mir noch einen weiteren Schrei. Erst als ich in die Dunkelheit hinein torkelte wurde mir klar, dass es gar kein Verschlag sondern offenbar ein Eingang in eine Höhle oder ein Bergwerk war. Ein Hauch von Hoffnung keimte in mir und ich rannte weiter in den dunklen Gang hinein ohne etwas sehen zu können. Erwartungsgemäß dauerte es nur Sekunden bis ich stolperte. Beim Stürzen fühlte ich als letztes die sengende Hitze eines Lasers und dann umhüllte mich Dunkelheit.
Als ich zu mir kam hörte ich ein heftiges Knirschen und Rumsen, vielleicht einen Meter über mir sah ich die tödlichen Strahlen willkürlich an verschiedenste Stellen in die Wände und die Decke einschlagen oder in der Dunkelheit des Ganges verschwinden. Unwillkürlich fühlte ich mich in meine Discozeiten versetzt als es Mode war Lasershows zu veranstalten. Jedenfalls versuchte die Drohne mir in den für sie zu kleinen Gang zu folgen, schrammte aber nur im Eingangsbereich herum oder steckte dort fest. Einen Moment später brach alles über der Drohne mit einem gewaltigen Getöse ein und verschloss den Eingangsbereich. Es wurde übergangslos stockduster und ich hatte unglaubliches Glück, das Gepolter endete kurz vor mir. Die Laserstrahlen kamen auch nicht mehr durch das Gestein, es war wohl zu viel eingebrochen als dass sie es noch durchdringen konnten oder die Drohne wurde durch das Gestein sogar beschädigt oder hoffentlich sogar zerquetscht.
Die Tage zuvor hatte ich mit einer kleinen Gruppe Menschen in einem naheliegenden Bergdorf verbracht während die meisten anderen in militärisch gesicherte Bereiche geflüchtet waren. Diese waren hauptsächlich Städte in Europa, um die man das noch verbliebene Militär zusammenziehen und recht lange gute Verteidigungserfolge verbuchen konnte. Am Ende stellten sie sich aber durchweg als grausame Fallen heraus, sobald das Militär die Angreifer nicht mehr in Schach halten konnte.
So hatte ich mit einer Handvoll anderer in Ruhe Notfallrucksäcke packen können, mit denen wir hofften in irgendeinem Versteck eine Weile ein Auskommen zu haben bevor sie uns fanden. Wir hatten also ausreichend Zeit gehabt alles zusammenzusuchen was wir glaubten auf unserer Flucht zu benötigen.
Da lag ich in einer Mulde in dem Eingangsstollen und brauchte lange um wieder normal atmen zu können, ich hatte mehr Staub in den Lungen als gut sein konnte und war völlig von der Flucht erschöpft. Jedenfalls kramte ich eine Taschenlampe heraus und sondierte die Umgebung. Der Gang verschwand in der Dunkelheit, ein paar Meter weiter ging es um die Ecke. Ich begann dorthin zu robben, denn ich musste sehr vorsichtig sein. Es war bekannt, dass die Drohnen durch meterdickes Gestein hinweg Menschen orteten und erschossen. Und sie würden versuchen mir weiter auf den Fersen sein, die gaben nicht auf. Selbst wenn die Drohne aus dem Eingang kaputt sein sollte würden andere folgen.
Hinter der Ecke traute ich mich aufzustehen und folgte dem Gang einige hundert Meter in den Berg hinein und kam an einen Aufzugsschacht. Ich war also tatsächlich in einem stillgelegten Bergwerk. Langsam erlangte ich etwas Zuversicht, so ein unverschämtes Glück konnte es doch nicht geben. Sollte ich wirklich noch ein paar Tage haben, oder sogar länger? Der Aufzug war womöglich schon seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden. Der Versuch damit abwärts zu fahren wom mich wohl ebenso sicher umbringen wie die Drohnen falls ich draußen herumliefe. Ich wandte mich ab ging zurück und erforschte mit mulmigem Gefühl die andere Abzweigung des Ganges kurz nach dem eingestürzten Eingangsbereich. Ihr folgend und nach gefühlt kilometerlangem Weg fand ich einen weiteren zugenagelten Ausgang durch den ich aber keinen Wunsch hegte den Berg wieder zu verlassen. Nein, ich suchte lieber mein Glück hier drinnen. So blieb nur die weitere Abzweigung in den Berg hinein. Nach einiger Suche fand ich so lediglich einen zweiten Schacht mit einem maroden Aufzug.
Enttäuscht setzte ich mich und entschloss mich erst einmal auszuruhen und eine kleine Mahlzeit aus meinem Vorrat zu mir zu nehmen. Nach dem Essen machte ich es mir so weit wie irgend möglich bequem, schaltete das Licht aus. Es gelang mir sogar etwas zu schlafen.
Als ich aufwachte war ich zunächst orientierungslos, es war stockdunkel und ich brauchte eine Weile um mich zu erinnern. Mein Schlaf war unbequem, unruhig und sehr gestresst gewesen.
Ich ertastete meine Taschenlampe und es ereilte mich ein Moment der Panik als mir der Gedanke durch den Kopf schoss ich könnte vergessen haben sie abzuschalten und sie sei leer oder kaputt. Erst das kurz blendend hell erscheinende Licht gaben mir wieder Hoffnung und Zuversicht. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ein so kleines Licht mir so wichtig sein könnte. Erst jetzt fiel mir ein, dass ich noch mehr Batterien im Rucksack hatte. Batterien konnte man immer gebrauchen.
Nachdem meine Augen sich adaptiert hatten begann ich nachzudenken. Draußen wäre ich über kurz oder lang geliefert und würde in ständiger Angst leben. Hier oben im Bergwerk zu bleiben erschien mir auch nicht sicher, ich musste in einen der beiden Schächte, aber die konnten hunderte Meter tief sein. Oder vielleicht sogar tausende? Von Bergwerken hatte ich keine Ahnung. Außerdem war es hier ziemlich eisig, es zog durch die Gänge von einer Seite des Berges zur anderen. Es war später Herbst und lange würde ich hier mit meinen paar Vorräten und der derzeitigen Kälte nicht durchhalten.
Vor ein paar Jahren hatte ich einen Kletterurlaub gemacht und allerlei Knoten und Tricks gelernt um mich abzuseilen. Aber an dem Aufzugsseil? Nee, das war zu viel des Guten. Mich umzubringen ging draußen einfacher.
Dementsprechend begann ich in der Nähe des Schachtes alles abzusuchen. Ein marode erscheinender Motorblock, ein paar Kabel, die im Dunkel Richtung Ausgang verschwanden. Ich machte ein paar Tests, suchte Schalter, öffnete den Aufzugskäfig und betätigte von außen heraus nur einen kurzen Moment lang den Schalter in der Kabine. Wie zu erwarten war tat sich nichts. Nach wahrscheinlich Jahrzehnten hätte mich das auch überrascht. Ich suchte weiter, ein Kasten an der Wand mit unleserlicher Schrift, ein Schrank mit etwas kaputtem Werkzeug. Ein Hammer mit abgebrochenem Stil. Alles brauchbare hatte man wahrscheinlich abtransportiert. Ich machte mich an dem verstaubten Kasten zu schaffen, das Vorhängeschloss machte neugierig auf den Inhalt, der aber wegen desselben nicht zu erreichen war. Was auch darin war: Ich wollte es wissen!
Nachdem ich den Schrank gefühlte zwanzig Minuten mit dem Rest des Hammers malträtiert hatte konnte ich die Tür aufbiegen und die Enttäuschung ließ nicht auf sich warten, es war nur ein dämlicher Sicherungskasten. Aber Moment, Sicherungen? Abgeschaltete Sicherungen? Klapp, klapp. Und einen Schalter an der Wand hatte ich schon zuvor gefunden. Ein funzeliges Licht an der Decke und eines in der Fahrstuhlkabine ging an. Ein kurzes Antasten des Schalters im Aufzug ließ mich aufschreien, die Kabine machte einen Ruck!
Ich frohlockte! Tief in der Erde würde es warm sein, alle 30 Meter ein Grad hatte ich in der Schule gelernt. Ich würde in die tiefsten Stollen fahren dorthin wo es warm war. Und wenn ich noch irgendwo Wasser finden würde, dann könnte ich mit etwas Glück und drakonischer Rationierung meiner Vorräte ein paar Wochen durchhalten. Vielleicht wären dann die Drohnen hier in der Gegend abgezogen und ich könnte mir draußen alles Mögliche zusammensuchen und mich in einem Stollen sicher einquartieren. Vielleicht sogar für ein paar Monate oder Jahre bis die Aliens keine Jagd auf Menschen mehr machten oder sie einfach nicht mehr suchten. Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich hatte wieder ein Ziel!
Richtig wohl war mir aber nicht bei dem Gedanken den Fahrstuhl zu benutzen. Sicher, er wird nach damaligen Maßstäben sicher gebaut worden sein, wahrscheinlich fuhren damals täglich Bergleute auf und ab. Ab ich hatte weder eine Ahnung wie lange alles schon stillgelegt war noch aus welchem Grund. Vielleicht führe ich mit ihm direkt in einen Stollen der unter Wasser stand und wenn ich nicht rechtzeitig bremste… nur nicht panisch werden. Hier oben wäre es nur ein Frage der Zeit bis sie mich kriegen würden. Unten könnte ich den Aufzug blockieren und dann sollte einmal ein Drohne probieren den Schacht nach unten zu fliegen. Dafür waren die definitiv zu groß. Und ich hatte bisher noch nie davon gehört, dass die Aliens etwas anderes als Drohnen eingesetzt hätten. Deshalb musste ich in jedem Fall runter und dann würde ich das erste Mal seit Monaten wieder entspannen und etwas Pause machen können. Ich testete ein wenig die Stabilität, ruckelte, stellte mich mit einem Fuß in den Aufzug, stampfte mit einem Bein. Im letzten Moment konnte ich zurück springen, mit einem Knall riss etwas an der Kabine oben ab und die Kabine krachte einen Meter in die Tiefe und verkeilte sich dort schief im Schacht. Der Schreck saß mir in den Knochen, beinahe wäre ich mit der Kabine zusammen eingequetscht worden oder würde jetzt in ihr eingekeilt sein.
Ich keuchte bei dem Gedanken und setzte mich, mein Hoffnung schwand dahin. Aber nur kurz, ja es gab doch noch den zweiten Aufzug! Ich machte mich also wieder auf den Weg zurück durch den Berg und kehrte zu dem ersten Schacht nahe des eingestürzten Eingangs zurück. Dort wusste ich was zu tun war und auch dieser Aufzug ließ sich nach dem Aufbrechen des Sicherungskastens wieder aktivieren. Ich machte wieder meine Stabilitätsprüfungen und dieses Mal gab es keinen Abriss des Kabinendachs.
Was sollte ich tun? Ich nahm den kaputten Hammer, das einzige mir bisher nützliche Werkzeug, meinen Rucksack, stieg in die Kabine und bestätigte den Steuerhebel. Wer nichts wagt, nicht gewinnt. Knirschend und quietschend fuhr ich im Schneckentempo in die Tiefe, kein Vergleich zu einem normalen Fahrstuhl. Ich schätzte es waren nur Zentimeter pro Sekunde. Dementsprechend lange dauerte die Fahrt, das hatte ich nicht erwartet. Ich stoppte die Zeit zwar nicht, war aber gefühlt eine halbe Stunde unterwegs und schätzte einen Kilometer tief zu sein, als die Kabine stoppte. Ich stellte mir die eng zusammengedrängten Bergleute vor wie sie so lange hierin ausharren mussten. Schon bei dem Gedanken daran wurde ich klaustrophobisch. Schnell verdrängte ich das und war durch den Ruck der anhaltenden Kabine schon abgelenkt. Ich war unten. Und eine Hoffnung hatte sich erfüllte. Es war angenehm warm hier, mollig warm sogar. Frieren bräuchte ich hier sicher nicht.
Einige Zeit suchte ich die umgebenden Bereiche ab und dachte mir „Ein Hoch auf die LED-Taschenlampen“. Sie waren einfach eine geniale Erfindung. Nicht einmal die erste Batterie hatte bei meiner bisherigen Suche geschwächelt. Auch hier unten fand sich ein Sicherungskasten und ich konnte bald ein wenig Licht zu machen, auch wenn mir klar war, dass die Stromversorgung in nicht ferner Zukunft zusammenbrechen würde. Wie sollte sie auch noch lange funktionieren können, wenn es keine Menschen mehr gab, die die Kraftwerke betrieben? Über das Problem dann wieder nach oben zu kommen wollte ich lieber gar nicht erst nachdenken. Jetzt musste ich sowieso erst einmal hier unten bleiben. Auch fand ich eine Menge Dinge, die ich nicht erwartet hatte. Diverse Räume, einen Küchenbereich, Aufenthaltsräume, sogar eine kleine Kapelle. Arbeitsgeräte, Grubenlampen, Werkzeug, Tische, Stühle und vieles mehr. Eine richtige kleine Siedlung unter Tage. Man sah, dass Bergleute viel Zeit hier verbracht und sogar über Tage oder gar Wochen zwischen ihren Schichten hier gelebt hatten. Sicher, schön war es nicht, aber die völlig eingestaubten Betten waren etwas, was einen unwiderstehlichen Reiz auf mich ausübte. Ich suchte mir eines in einem kleinen Seitenraum und schlief mich erst einmal richtig aus.
Nachdem ich aufgestanden war schaute ich mir die Umgebung genauer an. Das Licht brannte noch. Wahrscheinlich hatten ein paar schlaue Leute die Anweisung gegeben die Infrastruktur möglichst lange im Automatikmodus weiter laufen zu lassen bevor alles zu Ende ging. Damit die letzten Menschen wenigstens nicht auch noch auf Strom und Wasser verzichten mussten. Aber vielleicht gab es auch andere Gründe dafür, die ich nicht durchschaute.
Zahlreiche Schächte verliefen von hier aus ins Gestein, wohl überall hin, wo sinnvoll etwas abgebaut werden konnte. Ich stellte mir eine Silbermine vor, in der vielleicht schon vor Jahrhunderten mühevoll der Stein aus den Wänden geklopft wurde. Und in vielen dieser Schächte waren sogar kleine Kanäle mit Wasser! Ich würde hier unten also nicht verdursten, auch wenn es mir davor grauste daraus zu trinken.
Und es sah sogar danach aus, als ob die Kanäle mit schmalen Boote befahrbar sein könnten. Nach diesem Gedanken und etwas Suche fand ich genau solche. Sie waren sogar so gut intakt, dass ich hier unten Boot fahren konnte. Sie hatten Stangen, wie Gondeln in Venedig. Schlau gemacht! Ich hatte ja mit vielen gerechnet, damit aber sicher nicht. Sicher wurde damit das abgebaute Erz transportiert, so brauchte man es nicht zu tragen. Vielleicht gab es noch gar keine Förderbänder oder Bergbaumaschinen als das hier alles entstand.
Zunächst richtete ich mich aber in einer Ecke in der Nähe des Fahrstuhls ein stellte mir alles zusammen, was ich zu brauchen glaubte. Wenn ich jetzt nur noch genug Strom und Nahrung hätte könnte ich hier sehr lange gut leben.
Nachdem ich mich ausgeruht hatte wurde mir schon nach wenigen Stunden langweilig, ich musste irgendetwas tun. Langfristig würde ich von draußen noch verschiedene Dinge holen wollen, zum Beispiel einen Notstromaggregat, Nahrung, Kleidung und so weiter, dafür war es aber definitiv zu früh. Die Drohnen durften nicht mehr überall herumschwirren wie aufgeschuchte Hornissen.
Das unweigerlich aufkommende Grübeln bekam mir jedenfalls nicht. So begann ich einen Plan der Umgebung zu machen und untersuchte die Kanäle und Stollen. Selbstverständlich achtete ich akribisch darauf mich nicht zu verlaufen, das könnte mich sonst mein Leben kosten. Das wäre das Blödeste überhaupt, hier irgendwo zu verdursten oder verhungern, nachdem ich den Aliens entkommen war. Die Stollen waren kilometerweit in den Berg getrieben und es gab massenhaft davon, der ganze Berg war perforiert. Wenn ich einen guten Plan hätte könnte ich mich hier ewig verstecken. Mich verwunderte zudem, dass niemand anderes hier war. Die Menschen hatten offenbar zu sehr auf die militärisch gesicherten Bereiche vertraut. Oder dieses Bergwerk war schlichtweg in Vergessenheit geraten.
So durchsuchte ich Stück für Stück diese unterirdische Welt und war mir sicher, dass ich niemals alle Stollen kartographieren könnte, es waren einfach zu viele. Mir würde es reichen irgendwo in einem tief reichenden ein zweites Versteck einzurichten, das ich bei Bedarf zuverlässig wiederfinden konnte, nur für den Fall, dass ich mich hier im Hauptbereich nicht mehr sicher fühlte.
In einem besonders tiefen Stollen suchte ich ein nettes Eck, das in der Nähe Wasser hatte. Dorthin brachte ich mit Hilfe eines Bootes allerlei zusammengesuchte Sachen und mein Ausweichdomizil nahm schnell Formen an.
Als ich damit fertig war begann ich auch die dortige Umgebung genau zu untersuchen und folgte einem kleinen Nebenstollen. Dort erlebte ich eine Überraschung: Es zog! Erstaunt folgte ich dem Luftzug. Mir dämmerte so langsam, dass der ganze Abraum aus den Bereichen, die ich bisher entdeckt hatte, niemals über die beiden Fahrstühle hätte abtransportiert werden können. Wahrscheinlich waren das nur die Personenzugänge oder Notausgänge für den Fall, dass es Probleme gäbe. Und entgegen aller Wahrscheinlichkeit und der großen Tiefe in der ich mich befinden musste, schien die sonst überall gleich muffige Luft tatsächlich besser zu werden. Schnell erreichte ich einen vernagelten Ausgang. Aber die Luft war weiterhin warm, draußen gab es schon fast Frost - ich war also noch tief unter der Erde. Das Frischlufträtsel blieb noch zu lösen, aber einen echten Ausgang erwartete ich nicht. Ein Blick durch ein paar Rillen der Bretter verriet nicht viel. Drohnen schienen nicht auf mich zu warten und so war ich nicht zimperlich und trat die Bretter einfach weg. Rumms!
Die Kammer, die mich erwartete, war von deutlich gehobenerer Qualität, mit geraden Wänden und abgehenden Wegen mit Schildern darüber. Die aus dem ich kam hatte nur ein „Betreten Verboten - Nicht gesicherter Bereich“ darüber. Die anderen waren mit „Kern“, „Lager“, „Sohle 4“, „Sohle 5“ und „Schacht 5“ bezeichnet. Ich überlegte nicht lange und ging zum Kern. Nach einer leichten Kurve und ein paar weiteren Metern kam ich durch eine leichte Tür übergangslos in einen riesigen Raum. Deshalb also Kern! Es schien der zentrale Bereich zu sein, und von besonderer Größe. Imponierend war allerdings weniger die Größe als der Aufbau darin. Neunzehn große, liegende Röhren, ich schätzte sie auf jeweils vier Meter Länge mit 1,5 Meter Durchmesser. Sie waren in einem riesigen Gerüst zylindrisch wie eine überdimensionale Revolvertrommel angeordnet. Drumherum schien noch viel mehr Platz für einen weiteren Ring an Röhren vorgesehen zu sein. Und die schon eingebauten Röhren waren mit vielen Kabeln an einen Pult mit einem Computer angeschlossen.
Die Überraschung war jedoch perfekt als ich schräg hinter mir zwei Stimmen hörte: „Es hat sie kurz vor dem Eingang erwischt, die Hauptlieferung wird nicht mehr kommen. Wir beide sind jetzt die letzten und müssen es alleine schaffen. Und wir sind auf weniger als 55 Kilo beschränkt. Keiner von uns beiden kann also noch durch. Für uns war's das also, so ein Scheiß!“
Die beiden hatten mich noch nicht bemerkt und schienen Wissenschaftler oder Laborpersonal zu sein, jedenfalls hinterließen sie bei mir mit ihren Kitteln einen solchen Eindruck.
Meine Freude ließ mich nicht lange nachdenken und anstatt eines dezenten Räusperns sagte ich laut „Hallo, jetzt sind wir wieder zu dritt!“ Die Reaktion der beiden war aber nicht im Geringsten das was ich erwartet hatte. Sie sprinteten in einer erstaunlichen Schnelligkeit hinter irgendwelche Schränke und hatten Sekunden später Maschinenpistolen auf mich gerichtet. Überhaupt nicht der freudige Empfang, den ich erwartet hatte.
„Wer sind Sie und was machen Sie hier?“ rief der Mann.
Irritiert und erschreckt fiel mir natürlich nicht im Traum ein, nicht auf die Fragen zu antworten, erst einmal nahm ich vorsichtshalber langsam die Arme hoch, wohl um unterbewusst etwas die Situation zu entschärfen.
„Ich bin Peter Heinemann, ich bin in die alte Miene nebenan durch einen ziemlich weit entfernten Eingang vor den Drohnen geflohen. In diesen Bereich bin ich nur per Zufall gekommen, ich wusste von beiden Mienen vorher gar nichts. Und ich hatte gar nicht damit gerechnet hier unten Menschen zu finden. Ich dachte schon ich wäre der letzte und würde nie wieder jemanden zu Gesicht kriegen.“
„Wie viel wiegen Sie?“ schrie mir die Frau regelrecht entgegen. Jetzt war ich noch irritierter als schon vorher. Erst diese verrückte Reaktion der beiden, dann diese seltsame Frage. Ich wurde in meinem Leben oft genug gehänselt, weil ich ein Hänfling von 1,54 Metern war. Gerade einmal 51Kg kriegte ich auf die Waage und war dabei noch ein dürr wie trockenes Laub. Aber warum sie diese Frage gerade jetzt stellte war mir schleierhaft.
„Wie viel ich wiege? Wieso ist das denn jetzt von Bedeutung? Ich will Ihnen doch nichts tun, warum zielen Sie denn mit den Dingern auf mich?“
„Antworten Sie!“ rief der Mann.
„51 Kilo. Ist das denn wichtig? Ich esse Ihnen schon nichts weg, keine Angst, ich habe selbst ein paar Vorräte“.
'Lebensmittel haben wir hier genug für Monate, aber das wird uns nichts nutzen.“ Die Frau stand auf, ließ die Waffe sinken und kam langsam auf mich zu. Langsam ließ ich meine Arme sinken, schließlich hatte ich ja wirklich nicht vor den beiden etwas zu tun.
„Margo, nicht!“ rief der Mann.
„Ist doch egal, Raimund, entweder er oder die Sache ist endgültig erledigt.“. Sie sagte
„Hallo, ich bin Margo, herzlich willkommen in unserer etwas seltsamen Unterkunft. Möchten Sie etwas essen oder trinken? Wie ich eben schon erwähnte, wir haben genug davon. Vielleicht hätten Sie auch Lust sich ein Anliegen von uns anzuhören, Sie könnten uns unter Umständen behilflich sein. Wir stecken nämlich in einem kleinen Malheur.“
Der besagte Raimund war inzwischen auch aufgestanden und schien noch skeptisch zu sein. Er blieb mit seiner Waffe im Hintergrund.
Bei meinen knappen Vorräten konnte ich natürlich entgegen meiner Aussage eine Mahlzeit und etwas Vernünftiges zu trinken mehr als nur gut gebrauchen. Jede Mahlzeit konnte für mich unter Umständen ein ein oder mehrere Tage längeres Leben bedeuten.
Wir gingen durch ein paar Gänge in einen Raum, der als Küche ausgelegt war. Dieser Teil des Bergwerkes war anscheinend für anderes als Bergbau genutzt und ausgebaut worden. Wir setzten uns alle und aßen gemeinsam zwar ein Fertiggericht aber es war deutlich besser als das was ich noch in meinen Rucksack zur Verfügung hatte.
Raimund und Margo hatten ihre Befürchtungen schneller zur Seite gelegt als es anfangs den Anschein hatte und waren nun dabei mir eine ziemlich verrückte Geschichte zu erzählen.
Es begann mit dem Knacken der Aliendatenbanken und dem Herunterladen von dem was am ehesten vergleichbar mit unserem Wikipedia war, einer mächtig großen Sammlung von Wissen. Die Aliens hatten zwar eine deutlich längere gesellschaftliche und technologische Entwicklung hinter sich als wir Menschen, waren offenkundig aber weniger intelligent. Das schlug sich besonders darin nieder, dass die Sprache der Aliens sehr einfach strukturiert war und in etwa zwei Wochen nahezu vollständig automatisch übersetzt werden konnte. Es kam dabei zwar keine Prosa heraus aber doch einigermaßen verständliches Zeug. Insbesondere deren wissenschaftliche Artikel waren nahezu fehlerfrei zu übersetzen. So hatte man in kürzester Zeit herausbekommen, wie deren Waffen und Energietechnologie funktionierten.
Das Besondere war aber die Energieerzeugung. Sie hatten in den Jahrtausenden ihrer Entwicklung zwar nur wenige bahnbrechende Erfindungen gemacht, aber eine war wirklich erstaunlich. Mit ihr versorgten sie sowohl ihre Laser als auch ihre Antriebsaggregate und die Raumschiffantriebe.
Und sie war eigentlich sehr einfach. Die Aliens hatten herausgefunden wie die Zeit in einem kleinen beschränkten Raum beliebig beschleunigt werden kann, quasi die Zeitreise in die Zukunft. Auf den ersten Blick scheint das zwar interessant zu sein aber nicht besonders hilfreich. Wenn aber die Beschleunigung um den unvorstellbar großen Faktor Milliarden oder gar Billionen ausgeführt wird, dann passieren besondere Effekte. Die Aliens stellten fest dass Materie altert. Sehr, sehr, sehr langsam, aber sie altert. Und das Altern stellt sich so dar, dass sie in reine Energie zerfällt, und das ohne dass man etwas dafür tun muss.
Die Menschen hatten das bisher nur noch nicht bemerkt, weil es sehr wenige Atome von Billiarden sind, die in Tagen oder Wochen zerfallen. Wenn man aber die Zeit beschleunigt, beispielsweise um den Faktor eine Trilliarde, dann zerfällt sehr viel der Materie in Energie, denn für sie vergehen dann Jahrmilliarden während es für einen außenstehenden Beobachter nur Sekunden sind.
Wer Einsteins Formeln kannte, wusste wie viel Energie auch nur in einem Gramm Materie steckt. Nämlich sehr viel, sogar extrem viel. Genug um mit einem Zuckerwürfel Großstädte dem Erdboden gleich zu machen oder alternativ Tage oder Monate mit Energie zu versorgen.
Diese Lösung der Energieprobleme der Erde mit dem einfachen Verfahren der Aliens interessierte aber tatsächlich nur sekundär, denn da die Menschheit gerade ausgerottet wurde hatte sie schlichtweg nichts mehr davon. Und das war inzwischen ein unumkehrbares Faktum. Hier und da gab es noch welche, die sich verkrochen hatten, aber es war nur noch eine Frage der Zeit bis auch sie erwischt wurden.
Ein Wissenschaftler hatte jedoch in den letzten Wochen etwas getan, worauf die Aliens offensichtlich nie gekommen waren, oder es war ihnen egal: Er hatte die Formeln quasi umgedreht und so herausgefunden, dass Zeitreisen in beide Richtungen möglich sind, also auch in die Vergangenheit. Dabei wurde allerdings auch der Haken klar, warum es die Aliens nicht interessierte oder warum sie diese Idee nicht weiter verfolgten: Um Materie aus dem Raumzeitkontinuum zu lösen und es damit nahezu beliebig in Raum und Zeit verschieben zu können, musste man das Energieäquivalent der zu verschiebenden Materie aufwenden. Kurz gesagt: Um beispielsweise ein Kilo in der Zeit zu verschieben brauchte man Energie in der Größenordnung einer Wasserstoffbombe. Und damit verging so ziemlich allen Wissenschaftlern die Lust daran so etwas ernsthaft in die Tat umzusetzen.
Nichtsdestotrotz war ein Mechanismus der so etwas tut verhältnismäßig einfach zu bauen. Und als klar wurde, dass die Menschen nichts mehr zu verlieren hatten, und Bomben der nuklearen Abschreckung noch in reichlichen Mengen in den Lagern der Nato und der Ostblockstaaten vorhanden waren, schmiedete man in den tiefen Bunkern Moskaus und Washingtons einen verwegenen Plan: Jemanden im wahrsten Sinne des Wortes in der Zeit zurück zu bomben um die Menschen in der Vergangenheit zu warnen und ihnen die Informationen zu geben, die sie brauchten, um vorbereitet zu sein und die Codes und Systeme der Aliens von Anfang an knacken und infiltrieren zu können. Oder noch besser: Die Aliens von Anfang an mit geeigneten Mitteln sofort wieder vertreiben zu können. Fatalerweise hatte man es aber nicht mehr geschafft genügend Bomben hinreichender Sprengkraft an einen Platz zu bringen, damit auch nur ein einziger Mensch in der Zeit transportiert werden könnte. Europa war der am längsten gehaltene Kontinent und es wurde versucht Bomben dort hinzubringen, sprich in dieses Bergwerk. Ein paar Lieferungen waren schon verbaut, die letzte war nach Aussage von Margo kurz vor meiner Ankunft im Labor von den Aliens aufgebracht und vermutlich vor der Einfahrt in das Bergwerk zerstört worden.
So hatten sie nur 19 große Wasserstoffbomben zusammen gebracht. Und das würde für 54 Kilogramm Materie reichen. Die Wissenschaftlerin sagte frei heraus, dass sie 74 Kilo wöge. Wenn sie gewusst hätte was ihr blüht, dann hätte sie das Essen nicht so locker gesehen und vor ein paar Monaten mit einer strikten Diät begonnen ergänzte sie grinsend mit einer Portion Galgenhumor. Und der Wissenschaftler lag sogar bei stattlichen 90 Kilogramm. Selbst wenn sie sich ein Bein abschnitten würden sie noch zu viel wiegen um die verrückte Reise antreten zu können.
Denn es passten nur 54 Kilo sicher durch, sagten sie. 54 Kg. 54!
Im ersten Moment dachte ich ernsthaft an einen Scherz aber so langsam dämmerte mir was die großen zylindrischen Röhren in dem Raum waren, in dem ich die beiden getroffen hatte und warum die beiden bei meinem Auftauchen so nervös geworden wurden. Ein paar Meter weitere lagen also 19 große zusammengeschaltete Wasserstoffbomben. Und jetzt erinnerte ich mich an eine Kugel aus Metallgitter zwischen den Röhren. Als ich überlegte was bald passieren würde und welche Rolle ich dabei spielte, wurde mir ganz schlecht. Sie brauchten es mir nicht zu erklären. Das was sie mir zu sagen versuchten war also, dass ich mich in die winzige Metallgitterkugel zwischen den Wasserstoffbomben quetschen sollte, die beiden würden nur wenige Meter weiter über den Computer und die Kabel die Bomben synchronisieren und dann den Knopf drücken. Und dann würde es Bumm machen. So viel Bumm wie noch nie zuvor auf unserem Planeten. Ein großer Teil Deutschlands, vielleicht sogar Europas würde dem Erdboden gleich gemacht. Und ich mitten drin. Und zwar ganz in der Mitte. Das konnte doch nur ein Witz sein!
Margo schaute noch auf einen nahe stehenden Bildschirm. Sie guckte mich an und sagte: „Die Aliens hatten wohl eine Ahnung und haben daher die letzte Bombenlieferung ein paar hundert Meter vor dem Eingang erledigt. Über unsere Außenkameras können wir sehen, dass sie gerade hunderte, vielleicht sogar tausende von Drohnen zusammenziehen und anfangen den Berg zu zerschießen. Wir haben wahrscheinlich nur noch wenige Minuten. Glücklicherweise haben wir schon alles vorbereitet: Hier ein leichtes Notebook, ein paar Handys und reichlich Memorysticks. Auf allen findest Du das wichtigste Wissen der Menschheit, alles über die Aliens und diverse Sicherheitskopien falls ein paar Teile während des Transportes kaputt gehen. Wir können nicht genau sagen wo oder wann Du herauskommen wirst, die Verschiebung in der Zeit ist extrem schwer zu berechnen. Wir versuchen Dich ans Ende der 80er schicken als der Kalte Krieg abflaute und eine Chance bestand, dass Nato und Ostblock miteinander reden können würden. Es kann auch sein, dass der Übergang ziemlich rumpelt, es heiß wird „ (ha, nur ein paar Millionen Grad und etwas Sonnenbrand oder so, dachte ich mir), „und Du nicht genau auf dem Erdboden herauskommst. Wir müssen genau berechnen wo die Erde stand, wie weit sie gedreht war usw. damit Du nicht im Himmel oder einen Kilometer unter der Erde herauskommst. Wäre doch doof wenn die letzte Hoffnung vom Himmel fällt und dann tot ist oder?
Na komm, wir müssen 'rübergehen, die Drohnen schießen sich erschreckend schnell in den Berg voran. Wir müssen Dich wiegen, damit wir Dir nicht zu viel mitgeben, die 54 Kg darfst Du auf keinen Fall überschreiten.“
Ich brachte, nachdem ich überzeugt wurde mich einiger Kleidungsstücke zu entledigen, mit T-Shirt, einem leichten Shorts, Strümpfen und Schuhen satte 50,8 Kg auf die Waage. Die beiden guckten sich an, sagten „Schuhe weg.“ Dann klebten sie mir diverse Speicherkarten, ein paar Handys, passende Ladegeräte und ein leichtes Notebook sowie ein Tablet mit Klebeband an meinen Oberkörper. Darüber durfte ich noch ein leichtes T-Shirt anbehalten. Ich konnte mir auch nicht den trockenen Kommentar verkneifen, dass ich auch nicht erwartete zu frieren wenn sie den Knopf drückten.
Ein Blick auf den Bildschirm machte Raimund nervös – „Keine Zeit mehr, schnell, rein in die Kugel, Peter!“ Ich zwängte mich so schnell wie es ging in die furchtbar enge Kugel und hakte das Verschlussgitter mit drei kleinen Metallhäkchen fest. Dann rannte Margo zum Computer, stellte die völlig nutzlose Frage „Bereit?“ und in dem Moment schon brach ein Drohne durch eine Seitenwand der Halle. Im gleichen Moment als ein Laserstrahl durch Margos Brust fuhr drückte sie die alles entscheidende Taste auf dem Computer. Ich hatte bis dahin noch keine Zeit gehabt irgendetwas wirklich zu verstehen oder zu erfragen, ich hatte auch keine Ahnung was nun passieren würde. Und es passierte eigentlich erst einmal gar nichts, und das im wahren Sinne des Wortes.
Der Moment wurde vor meinen Augen eingefroren. Alles blieb stehen, nichts bewegte sich mehr, weder der Laser, noch die Drohne, noch Margo. Sie sah ihrem Tod ins Auge, wusste dass sie starb, aber auch, dass sie den Knopf noch rechtzeitig gedrückt hatte. Trotz des Strahles durch ihre Brust sah man den Triumph in ihren Augen. Ich hatte nie wirklich geglaubt, dass ein Mensch glücklich sterben könnte, aber Margo sah man es an. Sie meinte die Menschheit gerettet zu haben. Ich dagegen sah nur ein Standbild in dem sich nichts tat– kein psychedelischer Rausch von Farben, kein Wurmloch oder ein Zeittunnel wie oft in Science Fiction Filmen gezeigt. Hatten sie sich verrechnet oder war ich schon längst tot? Ich meine 19 Wasserstoffbomben und ich mitten drin? Wer's glaubt das überleben zu können... würde ich jetzt bis in alle Ewigkeit aus der engen Gitterkugel heraus den Moment meines, Margos und Raimunds Todes sehen müssen?
Ich spielte schon mit dem Gedanken wieder aus der doch sehr engen Kugel herauszuklettern, ich war beileibe nicht frei von Klaustrophobie, aber sollte ich das wirklich tun? Nur das Innere der Kugel sollte schließlich durch die Zeit gehen, vermutete ich. So nahm mich zusammen und wartete so lange wie ich es aushielt. Nach einer Weile begann das Standbild zu verblassen. Genau genommen wurde es nicht blasser sondern eher heller, andere Konturen schienen sich mit dem Standbild zu mischen. Das Bild von Margo wurde ganz langsam von einem großen dunklen Kasten ersetzt, unter ihr erschien ein langgezogener grauer Streifen. Nein, es war kein Streifen, es war, ja es war eine Straße! Und der Kasten nahm nun auch klarere Formen an. Eine Kutsche!
Dann gab es nur ein lautes Krachen und ich rollte mitsamt meines Metallkäfigs über die besagte Straße. Ich wurde mehrfach herumgewirbelt und knallte gegen die Kutsche, was mir völlig überflüssigerweise diverse Blessuren verpasste. Mir wurde ganz schlecht, viel schlechter als eh schon. Ich wollte nur noch 'raus, suchte panisch die drei Metallhäkchen, machte die Klappe auf, kletterte heraus und kam wackelig auf die Beine. Ich schaute mich kurz um und sah, dass ich einen Verkaufsstand mit Kartoffeln umgerollt hatte und sich um mich herum ein Markt mit Gemüse-, Geflügel-, Fisch- und anderen Verkaufsständen erstreckte. Eine Frau stand vor mir und guckte mich entgeistert an. Sie fragte. „Wo kommen Sie denn her?“
Völlig durcheinander fiel mir einfach nichts anderes ein: „Ich komme aus der Zukunft und muss die Menschheit retten. Welches Datum und welches Jahr haben wir bitte?“
Tag der Veröffentlichung: 10.04.2022
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