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Leseprobe

 

 

Teufel gesucht,

Katastrophe vorhanden

 

 

Allyson Snow

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

Kapitel 1 Unchristliche Weckzeiten

Kapitel 2 Wer zuerst blinzelt, brennt zuletzt

Kapitel 3 Beam me up!

Kapitel 4 Wahnsinn ist reine Ansichtssache

Kapitel 5 Der höllische Zuhälter

Kapitel 6 Der Teufel braucht Kaffee!

Kapitel 7 Der Teufel gewinnt immer!

Kapitel 8 Oder auch nicht …

Kapitel 9 Shoppinghölle

Kapitel 10 Funken und Brennfackeln

Kapitel 11 Seelenlos durch den Tag

Kapitel 12 Einmal Ellenbogen ausfahren, bitte!

Kapitel 13 Wer einmal versagt, dem traut man nicht

Kapitel 14 Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie den zuständigen Satan

Kapitel 15 Der Teufel im Detail

Kapitel 16 Pfeile fliegen tief

Kapitel 17 Nicht nur der Teufel ist unfair

Kapitel 18 Die Hölle voller Geigen

Kapitel 19 Teufel, bleib bei deinen Leisten

Kapitel 20 Der Teufel, der es versiebte

Kapitel 21 So prüfe, wer sich ewig bindet …

Kapitel 22 … ob sich nicht was Besseres findet!

Kapitel 23 Die Segnungen der Kirche

Kapitel 24 Wenn Wünsche blöderweise wahr werden

Kapitel 25 Leben ist Entscheidungen

Kapitel 26 Potzblitz!

Epilog

Nachwort

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Kapitel 1
Unchristliche Weckzeiten

 

›Satan verstellt sich als Engel des Lichts‹, behauptet die Bibel.

Ganz ehrlich? Satan könnte sich als fliegende Kuh verkleiden, es war Davine völlig egal. Er sollte schließlich keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, sondern ihr helfen.

Ihr Leben lang hatte sie Intoleranz, Inkompetenz und Herablassung ertragen müssen. Irgendwann gewöhnte man sich daran, dass die Dümmsten am lautesten schrien und die Klügeren nachgaben. Doch jetzt war das Maß verdammt noch mal voll! Sie wollte nicht mehr nachgeben, sich verrenken und einschleimen müssen. Vor allem wollte sie nicht mehr zusehen, wie Idioten lauthals falsche Fakten in die Welt hinausposaunten und dafür den Job bekamen, der ihr zustand!

Was blieb demnach? Die Hilfe einer höheren Macht.

Allerdings beschäftigte sich das Karma anscheinend nur mit Serienmördern, und der Himmel ignorierte Davines Gebete einfach. Also hatte Davine wochenlang recherchiert, wie man nicht nur einen Dämon, sondern den Teufel höchstpersönlich beschwor. Sie war vom Leben zu oft enttäuscht worden, um sich mit Angestellten zu befassen. Sie wollte den Chef sprechen.

Deswegen stand sie nun in der Eingangshalle eines verfallenen Herrenhauses und bebte vor Kälte und Nervosität. Unter ihrem Arm klemmte ein halbhoher, verflucht schwerer Spiegel, in der anderen Hand hielt sie einen Jute-Beutel. Er enthielt Kerzen, Kreide und anderen Klimbim, den man brauchte, um das Tor zur Hölle zu öffnen. Aber sie konnte sich partout nicht überwinden, weiter in das Haus hineinzugehen. Es war, als hinge etwas mit seinem gesamten Gewicht an ihrem Rockzipfel und tackere sie damit auf der Stelle fest. Dabei war sie völlig allein, und niemand klammerte sich an ihren Arm. Es blockierte sie lediglich ihre eigene Feigheit.

Angeblich sollte es hier spuken. Blödsinn. Welcher Geist würde sich in dieser Bruchbude schon gern seine Zeit vertreiben? Eine schöne letzte Ruhestätte war die Ruine definitiv nicht. Stürme hatten das halbe Dach abgedeckt. Unter Schutt, Plastikflaschen und illegal entsorgtem Sperrmüll sah man kaum die Fliesen der Eingangshalle. Es roch nach verfaulendem Holz, Staub und Schimmel. Einfach ekelhaft. Andererseits konnte Davine den Teufel kaum in ihrer Wohnung beschwören, während das Kind eine Etage über ihr brüllte, als würde es selbst bei einem okkulten Ritual geopfert. Die blassrosafarbenen Troddeln an Davines Bett trugen auch nicht gerade zu einer satanischen Stimmung bei, genauso wenig die Poster von Wrestlern.

Nein, das hier war der perfekte Platz. Und wenn sie jetzt kniff, war sie genauso ›risikoscheu‹ und ›alternative Lösungswege vermeidend‹, wie in ihrer blöden Beurteilung stand.

Davine gab sich einen Ruck und machte einen Schritt nach vorn. Dann einen zweiten. Sie stieg über den Schutt hinweg und tappte Stück für Stück auf die imposante, geschwungene Treppe zu. Sie führte eine Etage nach oben und bestand aus Holz. Hoffentlich brach die nicht einfach unter ihr durch und sie krachte direkt in die Hölle.

Davines Herz klopfte schnell, als sie endlich den oberen Flur erreichte. Mehrere Türen zweigten in Räume nach rechts ab, und sie trat vorsichtig in den ersten. Wow, hier stand sogar noch ein alter Schreibtisch. Okay, eigentlich lag er in Trümmern auf dem Boden, aber er musste einmal massiv und beeindruckend gewesen sein. Vielleicht war der Mann, der einst dahinter gesessen hatte, auch so imposant gewesen wie Davines Chef. Eindrucksvoll, animalisch, betörend. Und leider nur daran interessiert, sie entweder zu ignorieren oder an ihr herumzumäkeln, anstatt sie über ebenjenen Schreibtisch zu werfen und ihr die vermeintlichen Regelverstöße mit hartem Sex heimzuzahlen. Doch welcher Boss vögelte schon das graue Büromäuschen? Oder gab ihr eine Festanstellung?

Es wurde wirklich Zeit für ein wenig Hilfe. Wenn sie das hier nicht hinbekam, konnte sie gleich ihre Wohnung kündigen und sich den Verpackungskarton eines Kühlschrankes besorgen. Mit diesem neuen, außerordentlich flexiblen Zuhause konnte sie dann unter der Brücke ihrer Wahl wohnen.

Davine legte Spiegel und Beutel auf dem Boden ab. Mit dem Fuß schob sie großräumig Dreck und Staub beiseite, bis die Dielen zum Vorschein kamen. Aus ihrem Beutel holte sie einen billigen Plastik-Kelch, ein Messer und ein Stück Kreide. Schlotternd vor Kälte ein Pentagramm zu zeichnen, war übrigens eine dämliche Idee. Die Linien waren ungerade, aber immerhin konnte man erkennen, was gemeint war. Sie malte es genauso, wie sie es auf Bildern gesehen hatte, stellte schließlich auf jede Spitze eine schwarze Kerze und zündete sie an. Die Flammen flackerten im Wind, der durch die unzähligen Ritzen zog.

Den Spiegel legte sie in die Mitte. Jetzt musste sie sich ausziehen, Blut fließen lassen und ihr nacktes, zitterndes Abbild ansehen.

Es war aber auch kalt hier. Die dicken Mauern hielten jeglichen Sonnenschein ab. Zum Glück war Sommer, sonst wäre sie schon längst ein verdammter Eisklotz. Genau genommen schrieben sie heute den sechsten Juni. Davine warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, sah zu, wie der Zeiger auf 6:06 Uhr rückte. 666 – die Zahl des Teufels, je mehr Sechsen, umso besser, oder? Zugegeben, die Jahreszahl passte nicht ins Bild, aber bis 2066 zu warten, führte eindeutig zu weit. Außerdem war sie so abartig früh aufgestanden, das musste doch auch zählen.

Eilig zog sich Davine aus, warf ihre Klamotten aus dem magischen Kreis und hockte sich im Schneidersitz an den Rand des Spiegels. Was jetzt? Ach ja, das Blut. Sie angelte nach dem Kelch und dem kleinen Taschenmesser.

Die meisten Anleitungen beschränkten sich auf Kerzen und einen Spiegel, andere hingegen behaupteten, es bräuchte ein Blutopfer. Das glaubte sie nur zu gern. Schließlich rief sie die Hölle an, und die gaben sich wohl kaum mit halbherzigen Bemühungen zufrieden, oder?

Seufzend setzte sie die Klinge an ihren Handballen. Nein, besser erst die Füße. Auf die Sohlen und die Handinnenflächen musste jeweils ein umgedrehtes Kreuz geschnitten werden, und das Blut sollte in den Kelch. Sie hielt ihren Fuß über den Kelch und ritzte in die Haut.

Fuck, fuck, fuck! Das tat weh! Wer dachte sich einen solchen Mist aus? Vielleicht war das alles eine miese Idee. Es war mit Sicherheit eine verdammt miese Idee. Aber sie würde nicht kneifen. Sie kniff ständig. Jetzt nicht!

Mit zitternder Hand schnitt sie noch einmal quer und biss sich prompt auf die Lippe. Aus der Wunde trat quälend langsam Blut, und ihr Bein wurde schon steif, als es endlich nach einer Ewigkeit in den verflixten Kelch tropfte! Ihr Fuß pochte und nein, dadurch wurde der Schmerz der Schnitte auf der anderen Seite nicht erträglicher. Genauso wenig auf den Händen. Jede einzelne Wunde brannte wie die Hölle, und ihr war ein wenig übel. Trotzdem stellte sie den Kelch mit den spärlichen Blutstropfen zwischen sich und den Spiegel und setzte sich gerade hin. Mit einem tiefen Durchatmen drängte sie die Übelkeit zurück und versuchte, die Schmerzen auszublenden. Das Schlimmste hatte sie hinter sich.

Davine erinnerte sich an die leicht lispelnde Stimme aus dem YouTube-Video, die das Ritual erklärt hatte. ›Seht eurem Spiegelbild tief in die Augen, so lange, bis ihr glaubt, dass es sich in eine komplett fremde Person verwandelt. Denkt daran, nichts darf an euch sein.‹

Hm, das schloss wohl ihre Brille mit ein. Davine setzte sie ab, lehnte sich zur Seite und legte sie außerhalb des Kreises auf den Boden. Toll, nun sah sie in dem Spiegel lediglich einen verschwommenen Fleck, aber vielleicht hatte sie damit auch einen Vorteil. Sie musste nicht ewig lange hineinsehen, bis alles unscharf wurde.

Davine konzentrierte sich auf ihre Silhouette und starrte dorthin, wo sie ihre Augen vermutete.

Wenn jetzt jemand kam, würde das so richtig peinlich werden. Gestern Abend hatte sie sich noch verrückt genannt, weil sie sich die Beine rasiert hatte. Momentan war sie froh darum. Wenn sie jemand so erwischte, war sie wenigstens keine völlige Lachnummer. Dann war sie nur die nackte Irre – nicht die nackte, unrasierte Irre.

 

 

Menschen, die an überirdische Kräfte glauben, sind die Wurzel allen Übels. Die Plage dieser Welt, insbesondere des Reiches der Finsternis. Wer hier durchklingelte, war bei den Faulpelzen im Himmel als unwichtig eingestuft worden. Oder es waren diese grusligen Teufelsanbeter, die ihnen die Füße küssen wollten. Oder Sex mit ihnen haben. Bah! Aber ob gruslig oder nicht – sie verursachen verflucht viel Arbeit! Um sechs Uhr in der Früh!

Welcher Vollidiot betete um diese beschissene Uhrzeit den Teufel an? Merdian gebührten noch vier Stunden Schlaf. Mindestens! Teufel waren Geschöpfe der Nacht, keine verfluchten Vögel. Sie interessierte nicht der frühe Wurm, lediglich der erbärmlichste. Okay, eigentlich nicht mal der.

Das penetrante Klingeln, das immer dann ertönte, wenn einer der schwachköpfigen Erdlinge die Hölle anrief, schrillte nicht nur in Merdians Trommelfell, es tanzte faktisch durch jede seiner Gehirnwindungen. Den Versuch, sich unter dem Kissen zu ersticken, hielt Merdian vielleicht zehn Sekunden lang durch. Das Klingeln wandelte sich in ein schrilles Kreischen. Merdian wurde übel, er hastete aus dem Bett, dem unerträglichen Geräusch entgegen. In dem breiten Steingang schrammte er an der Wand entlang, die Hände auf die Ohren gepresst, bis er in eine große Höhle stolperte. Dort hockte sein Bruder Talan vor einem breiten, schwarzen Pult und hieb wieder und wieder mit der Faust auf den Knopf, der dem elenden Lärm eigentlich ein Ende bereiten sollte.

»Schalt es endlich aus«, brüllte Merdian.

»Denkst du, ich bestelle Nutten?«, fauchte Talan und schlug einmal mehr kräftig auf den Knopf. »Wenn die so kreischten, würde es dich auch nicht stören!«

Da lag Talan falsch, doch mit eingerissenem Trommelfell hatte sogar Merdian keine Lust zu diskutieren. Talan hämmerte unaufhörlich auf das verdammte Gerät ein, während Merdian dem Problem mit Feuer zu Leibe rückte. Flammen loderten aus dem Ärmel seines Pyjamas, drängten sich an Talan vorbei und umschlossen den Kasten. Es stank bis zum Himmel. Und das wollte was heißen, bekanntlich lag zwischen den Wolken und der Hölle noch die Erde. Aber zum Henker! Was verschmorte, konnte nicht mehr funktionieren – eigentlich …

»In drei Teufels Namen«, brüllte Shytan über den Lärm hinweg. »Wer von euch Deppen hat das Ding auf die höchste Lautstärke gedreht?«

Es knallte lautstark, und endlich verstummte auch das schrille Quietschen. Trotzdem fiepte es in Merdians Ohren weiter, als würde sich dort eine Horde Mäuse um einen Käsekrümel balgen.

Durch die Explosion war die Beleuchtung ausgefallen. Dafür spendeten die Flammen, die unaufhaltsam das Steuerpult abfackelten, ein wenig Licht.

Selbst Talans rotes Haar glomm, aber er griff lediglich gelangweilt nach den langen Strähnen und pustete sie aus wie Kerzen auf einer Kindergeburtstagstorte.

»Hübsches Lagerfeuer. Lasst uns ein paar Marshmallows grillen, und dann hüpfen wir zurück in die Federn.«

Merdian wollte seinem Bruder gerade zu diesem grandiosen Plan gratulieren, da knurrte Shytan dazwischen. »Und wer kümmert sich um den Anruf?«

»Kümmern?«, echote Merdian. »Das ist nur so ein Versager, der sein Leben nicht auf die Reihe bekommt und sich ins Hemd macht, wenn tatsächlich einer von uns antwortet.«

»Er hat es immerhin in unsere Leitung geschafft«, gab Shytan zu Bedenken.

Merdian sah, wie Talan hinter Shytans Rücken die Augen verdrehte. Wüsste er nicht, wie ausfallend Shytan werden könnte, wenn man ihn nicht ernst nahm, hätte es Merdian ihm gleichgetan.

»Die Zugangsvoraussetzungen sind ja auch nicht sooo kompliziert«, brummte Merdian. »Bisschen schwarze Magie, ein wenig Geduld. Zack, kommt jeder verdammte Bastard zu uns durch!«

Die Deckenlampen flackerten, und in der Höhle wurde es wieder heller. Bedauerlicherweise sprang zusätzlich flimmernd der Bildschirm an, auf dem diejenigen auftauchten, die es in die höllische Leitung schafften. Leider waren diese meistens nackt und selten ansehnlich. Deswegen legten sich Talan und Merdian schnell die Hände über die Augen.

»Wie sieht er aus?«, rief Talan.

»Guck du doch hin!«, blaffte Merdian. »Ich habe das letzte Mal zuerst hingesehen. Ich sag nur faltige Hautlappen über Knochen und ein Gehänge, das so runzelig ist, dass ich dachte, ein Hase hätte ihm in den Schoß geköttelt.«

»Es ist eine Frau«, sagte ausgerechnet Shytan. »Wenn sie faltige Hoden hat, versteckt sie die jedenfalls gut.«

»Ist sie hübsch?«, fragte Merdian misstrauisch.

»Käme sie in die Hölle, würdest du sie knallen.«

»Das hast du von dieser Amerikanerin, die früher mal ein Mann gewesen war, auch gesagt!«

»Sie hatte keine Testikel mehr. Und du hast sie flachgelegt. Habe ich folglich gelogen?«

Diesem verfluchten Kerl konnte man nicht trauen, leider wurden Merdian langsam die Arme schwer. Also blinzelte er zwischen seinen Fingern hindurch und warf einen hastigen Blick auf den Bildschirm, bereit, sich blitzschnell abzuwenden und jedem unangenehmen Anblick den Rücken zu kehren.

Teufel waren nun mal ästhetische Wesen. Sie mochten zwar schamlos sein, doch nur, was ihre eigenen Körper betraf. Die natürlich perfekt waren, und wer etwas anderes behauptete, hatte erstens keine Ahnung und landete zweitens im heißesten Fegefeuer! Niemand hatte behauptet, die Hölle wäre fair. Allerdings fand Merdian wirklich keinen Grund zum Lamentieren, egal, wie lange er durch seine Finger auf die Frau sah, die mit einem leicht verträumten Gesichtsausdruck in den Spiegel stierte. Sie war schlank wie eine junge Eiche. Ihre Gestalt war fast ein wenig knabenhaft, aber das relativierten die langen karamellfarbenen Locken.

Merdian nahm die Hände von seinem Gesicht. Sie war tatsächlich hübsch. Und ja, wäre sie eine Kandidatin für das Fegefeuer, würde er ihr mit Freude höchstpersönlich einheizen. Er stupste seinen Bruder an, der noch immer die Hände auf das Gesicht presste. »Du kannst hinsehen.«

Zentimeter für Zentimeter schob Talan die Finger nach unten und ließ sie schließlich sinken. »Der Hölle sei Dank. Endlich mal ein hübsches Ding. Wer hat sich nur den Mist ausgedacht, dass man uns nackt anrufen soll?«

»Das waren wir, schon vergessen?«, brummte Merdian. »Genau genommen war es deine Idee, weil, ich zitiere: ›wir dann hübsche nackte Weiber anstarren können‹. In den vierhundert Jahren hatten wir vielleicht zwei nackte Weiber, die hübsch genug waren, um nicht gleich in den Kaffeebecher zu kotzen.«

Talan kratzte sich am Kopf. »Stimmt. Ich glaube, da war ich ziemlich high gewesen. Das war doch, als jemand diese Koka-Plantage angezündet hatte.« Er lächelte versonnen. »Wir sollten unbedingt noch mal eine abbrennen.«

»Damit das dämliche Zeug hier wieder alles vollmüllt?«, knurrte Shytan. »Du weißt genau, dass die Penner oben das Zeug nicht haben wollen und es deshalb immer bei uns abladen. Ihr habt fünfhundert Jahre gebraucht, um die ätherischen Rückstände des Zeugs wegzuschnupfen. Und es war nicht so, als wärt ihr sparsam damit umgegangen!«

»Die wissen nur nicht, was gut ist.« Talan zuckte die Schultern. »Mit genügend Koks in der Nase könnten die dem alten Tattergreis da oben noch besser lobpreisen, aber wahrscheinlich schwebt der anschließend erst recht über allen Wolken. Trotzdem könnten wir die Regeln zur Jungfrauenopferung zurückändern.«

»Spitzenidee«, ätzte Shytan. »Und Petrus jault mir die Ohren voll, weil sich vor seiner Pforte die heulenden Frauenzimmer stapeln, die erst nach zehn Sitzungen bei den geflügelten Quacksalbern ihre Nervenzusammenbrüche in den Griff bekommen.« Er stockte. »Im Grunde würden mir die Säcke da oben so auf den Keks gehen, dass es schon wieder lustig wäre.«

»Dominus est«, unterbrach eine zarte, aber entschlossene Stimme die Tirade, und die drei Brüder sahen zu dem Bildschirm.

»Dominus est.«

»Die meint es ernst«, stellte Talan überflüssigerweise fest. »Dabei sieht sie eher aus wie ein Reh als wie eine Teufelsbraut.« Er strich sich durch die angekokelten roten Haare und lächelte. »Ein Date mit dem jüngsten Teufelsbruder würde ihr bestimmt gefallen. Ich wette, sie errötet äußerst vornehm unter Komplimenten. Und stöhnt herrlich süß.«

Merdian konnte sich nicht helfen – diese Frau interessierte ihn einen feuchten Gesteinsdreck, und trotzdem würde er seinem Bruder gerade am liebsten das schmierige Grinsen aus dem Gesicht schlagen. »Du wirst nicht antworten«, fauchte Merdian. »Am Ende erzählt sie es herum, und dann herrscht hier Daueralarm.«

»Wenn es ihre hübschen Freundinnen sind, kann ich die alle bedienen«, lachte Talan. »Du würdest mir ohnehin dabei helfen wollen.«

»Nein«, rief Merdian. »Schalt sie weg.«

»Wir können wenigstens anhören, was sie will«, protestierte Talan.

»Aber …«, setzte Merdian an, doch Shytan unterbrach ihn.

»Frag sie, was sie will«, schnarrte er. »Danach können wir ihr immer noch was auf den Kopf fallen lassen und sie in unsere Welt ziehen, damit sie auslosen kann, wen von euch sie am wenigsten abstoßend findet.«

»Klugscheißer«, murmelte Merdian, jedoch so leise, dass ihm Shytan zwar einen schiefen Blick zuwarf, aber scheinbar das Wort akustisch nicht verstanden hatte. Nur Talan hatte es vernommen.

»Du hast so recht«, grummelte er und trat gegen den verschmorten Kasten. »Hoffentlich geht das Ding überhaupt noch. Das letzte Mal, dass wir darüber mit einem Erdling gesprochen haben, ist dreiundfünfzig Jahre her.«

 

Kapitel 2
Wer zuerst blinzelt, brennt zuletzt

 

Wie lange schaute Davine schon in ihre eigenen Augen? Das Bild war immer noch verschwommen, inzwischen bekam sie Migräne. Ihr war so kalt, dass sie ihre Glieder nicht mehr richtig spürte, und ihr Hintern war auch eingeschlafen. Zumindest taten ihre Fußsohlen nicht mehr ganz so weh. Davines Nacken schmerzte, und sie konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. Gerade öffnete sie den Mund und legte den Kopf zurück, als eine Stimme plötzlich donnerte: »Wer wagt es, uns zu rufen?«

Sie schrak zusammen, ihr Blick zuckte zurück zu dem Spiegel, und jetzt sah das verschwommene Abbild irgendwie anders aus. Aber Mist, sie konnte nichts Genaues erkennen. Hastig tastete sie nach ihrer Brille.

»Wer wagt es, unsere Ruhe zu stören?«, dröhnte es wieder.

»Womöglich solltest du auf das gesalbte Gequatsche verzichten und einfach nur nach ihrem Namen fragen!«

Diese Stimme jagte ihr mehr Angst ein als das Gedröhne. Dachte sie bisher, dass die donnernde Stimme aus dem Spiegel kam, schien die andere nun eher von über ihr zu kommen. Sie war weicher und samtiger als die erste.

»Stell du doch die Fragen, wenn du ein Problem mit meiner Vorgehensweise hast.«

»Soll ich vielleicht …?« Diese Stimme klang noch mal anders. Ruhiger, aber auch genervter.

Endlich bekam Davine ihre verflixte Brille zu fassen, setzte sich schnell das Gestell auf die Nase und erstarrte. Wow, der einsetzende Kältetod schickte ihr eine Halluzination, die sich gewaschen hatte. Sie sah nicht etwa in die Fratze des Teufels, sondern in die Gesichter dreier Männer. Der Mittlere war der Größte. Er hielt die Arme vor der Brust verschränkt und verdrehte die Augen, die so blau waren wie die Eisgletscher am Nordpol.

»Also schön – wie heißt du?«

»Davine«, erwiderte sie leise.

»Red lauter, hier kommt nur ein Flüstern an!“

Sie zuckte unwillkürlich über den genervten Tonfall zurück und würgte mit Mühe heraus: »Da-da-davine.«

Der Mann links im Spiegel fuhr sich durch die dichten roten Haare, die über seine Schultern flossen. Sie konnte sich nicht helfen, sie sahen irgendwie angekokelt aus. »Da-da-davine?«, fragte er mit schleppender Stimme. »Komischer Name.«

»Nicht Da-da-davine«, fauchte der Dritte. »Davine!«

»Warum stellt sie sich dann mit Da-da-davine vor?«

»Weil sie gestottert hat!«

»Warum sollte sie stottern?«

»Vielleicht, weil sie nicht wie vorgesehen nur eine teuflische Stimme hört, sondern drei!« Der Dritte gab dem Rothaarigen hinter dem Rücken des Mannes mit den Eisaugen eine Kopfnuss. Seine Haare waren genauso dunkel wie die des Mittleren, aber seine Augen so grün wie das dichte Blätterwerk der saftigsten Eiche in den schottischen Highlands.

»Ähm, wollt ihr mein Blut?«, würgte Davine heraus und deutete vage auf den Kelch.

»Bah, warum sollten wir das wollen? Wer weiß denn, welche Krankheiten du hast?« Der Mann in der Mitte verzog angewidert das Gesicht und rieb sich die Nasenwurzel. »Hast du uns deswegen gestört? Weil du uns unbedingt dein Blut aufdrängen willst? Geh lieber zur Blutspende.«

»Die machen bestimmt um sechs Uhr morgens für dich auf!«, ätzte der rechte Mann.

Toll. Hatte sie sich völlig umsonst die Hände und Füße blutig geschnitten! War sie dafür wenigstens in der Hölle gelandet? Via Videochat?

Davines Blick huschte von einem zum anderen. Die drei waren gutaussehende Männer, ohne Frage. Aber ihr Blick blieb ständig an dem rechten Mann hängen. Die dunklen Haare in Kombination mit den grünen Augen faszinierten sie. Er sah … nett aus.

»Die steht auf dich«, zischte der Rothaarige wahnsinnig unauffällig.

»Sie kann uns sehen?«

»Natürlich kann sie uns sehen«, fauchte der Mittlere. »Irgendein Vollpfosten hat ja unser Steuerpult in Brand gesetzt.«

Als hätte er Davine für einen Moment vergessen, zögerte er, bevor er sich erneut ihr zuwandte und die Arme ausbreitete. »Du hast es geschafft, gleich alle drei Herrscher der Hölle an die Strippe zu bekommen. Talan.« Er zeigte auf den Rothaarigen, der ihr verschmitzt zuzwinkerte. »Merdian.« Jetzt deutete er auf den Mann mit den grünen Augen, und sie konnte nicht einmal den Blick von diesem losreißen, als sich der Sprecher der Bande selbst vorstellte. »Und mein werter Name lautet Shytan. Und nun sprich, Unwürdige. Einige von uns haben noch eine Morgenlatte und brauchen dringend Kaffee.«

Die zwei anderen Herrscher der Hölle stöhnten synchron.

»Es gibt drei Teufel?«, fragte Davine dümmlich.

»Ja«, sagte Shytan ungeduldig. »Einer allein würde niemals mit der Flut der Menschen klarkommen. Ihr vermehrt euch ja wie die Karnickel. Also wurden eben drei Brüder geboren, um über die Hölle und die Geister zu herrschen. Hast du diesen Terror veranstaltet, um uns das zu fragen?«

»Du bist doch nicht eine dieser furchtbar neugierigen Journalistinnen, die uns dann ein Verhältnis mit Amor und seinen nervtötend gefiederten Gesellen andichten?«, erkundigte sich Merdian.

»Amor?«, wiederholte Davine. Es war ihr selbst peinlich, aber sie verlor den verdammten Anschluss. In dem Spiegel standen drei Männer in Seidenpyjamas, wie gerade aus dem Bett gefallen und gleichzeitig so geschniegelt, als wären sie nun bereit für eine Gang-Bang-Orgie. Im Grunde fehlten ihnen lediglich die Haarnetze und ja, Merdian hatte eindeutig noch eine Morgenlatte. Davine spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss, und mit aller Kraft konzentrierte sie sich lieber auf dessen grüne Augen. Nein, davon wurde es auch nicht besser.

»Ich … Ich … Ich sollte besser gehen«, platzte sie heraus. Sie wandte sich zur Seite, wollte nach ihren Kleidern angeln, da fiel ihr etwas Entscheidendes ein. Heiliger Mist, sie war ja nackt. Sie hockte entblößt vor einem Spiegel, aus dem ihr drei Männer fasziniert entgegenstarrten! Okay, es war amtlich. Sie wurde verrückt. Sie hatte zu lange in den Spiegel gesehen, und jetzt drehte sie durch. Irgendwas musste sie bei der Beschwörung falsch gemacht haben, und das war nun die Strafe, vor der sie dieser lispelnde Asteroth in dem Video gewarnt hatte.

»Du bleibst«, schnarrte die Donnerstimme Shytans.

Unwillkürlich erstarrte Davine.

»Du hast uns gerufen, weil du Hilfe brauchst. Oder nicht?«

Sie nickte mit trockenem Mund.

»Grins nicht so«, beschwerte sich Merdian und boxte Shytan gegen den Arm. »Sie betet ja wohl kaum aus Langeweile den Teufel an. Selbst ein Hobbyastrologe kann aus ihrem Geburtsdatum bessere Schlussfolgerungen ziehen!«

»Ach ja?«, knurrte sein Bruder. »Dann hast du sicherlich vorausgesehen, dass du die zweifelhafte Ehre haben wirst, ihr zu helfen.«

»Was

Dieser Aufschrei kam nicht nur von ihr, sondern auch von Merdian. Sie würde ihr Arbeitslosengeld darauf verwetten, dass sie genauso entsetzt aussah wie er.

»Ich soll zu diesem erbärmlichen Wurm?«, platzte Merdian heraus.

»Hey«, protestierte Davine. Sie wollte zwar am liebsten wegrennen, aber sie hörte immer noch zu!

»Genau.« Shytan grinste höhnisch. »Gleich und gleich gesellt sich bekanntlich gern.«

»Arschloch«, blaffte Merdian.

»Du schuldest uns seit Monaten eine Seele«, sagte Shytan.

Davine hatte keine Ahnung, wovon die redeten. Wenn einer der angeblichen Höllenfürsten allerdings puterrot anlief wie ein Heizstab im Ofen kurz vorm Explodieren, dann konnte das kaum gut für sie sein, oder?

Rückwärts schob sie sich über den Boden, aus dem Pentagramm hinaus, in Richtung ihrer Klamotten. Sie bekam sie zu fassen, drückte sie an ihre Brust und robbte Stück für Stück zurück.

»Du hättest gegen diese Furie genauso verloren«, fauchte Merdian in diesem Moment.

»Du hast sie aber verloren!«

Davine war fast schon an der Türschwelle. Wenn sie jetzt aufsprang, war sie mit zwei Schritten an der Treppe und in etwa zehn Sekunden draußen – in der Wärme, in der verdammten Realität!

Was sollte sie hindern? Ihre Halluzination? Die bestimmt nicht. Also schnellte sie nach oben, ignorierte den Schwindel, der sie erfasste, und raste in den stinkenden Flur. Sie stolperte über den Schutt, Steine bohrten sich in ihre Sohlen und die Schnitte ließen sie vor Schmerz zischen, doch sie zwang sich voran. Sie erreichte gerade die Treppe, da hörte sie die leicht schleppende Stimme Talans. »Ähm, unsere Teufelsanbeterin macht sich davon.«

 

Kapitel 3
Beam me up!

 

»Hast du hervorragend hinbekommen«, blaffte Shytan. »Sie ist weg.«

»Ist doch egal«, behauptete Merdian. »Ich wäre ohnehin nicht zu ihr gegangen. Ich hasse die Erde. Sie besteht nur aus Idioten! Und was noch schlimmer ist – diese Idioten werden von Schutzengeln bewacht, die kapriziöser sind als die Menschen selbst. Was daran liegt, dass diese lästigen Volltrottel früher mal Menschen waren!«

»Ihre Seele wird der Ausgleich für die verlorene Seele des schuldigen Geistes sein«, beharrte Shytan. »Du hast es versaut, und hier ist deine Chance, den Fehler auszubügeln.«

»Ich weiß nicht, von welchem Fehler du redest«, knurrte Merdian. Okay, das war eine Lüge. Er wusste genau, wovon Shytan sprach. Er hatte wegen des dämlichen Regelwerks seines Vaters eine Seele gehen lassen müssen. Verdammte Axt. Ihr Vater war, bevor er sich in den Himmel zum ewigen Ruhestand zurückgezogen hatte, schon recht weich in der Birne gewesen. Er hatte eine Art Gesetzbuch für die Hölle verfasst. Das ja unbedingt eine Juristin in die Finger bekommen musste! Ein einziger, blöder Paragraf, und sie hatte nachgewiesen, dass ihr Geliebter zu Unrecht in der Hölle schmorte. Was einmal mehr bewies, dass es wenig Nervtötenderes gab als Liebe und Gesetze. Als ob in der Hölle Regeln herrschen sollten. Sie waren der Ort, an dem sich Regelbrecher die Klinke in die Hand gaben. Sie sollten höchstens Regeln haben, um diese bei Bedarf brechen zu können. Aber nein, ihr Vater hatte das für eine besonders tolle Idee gehalten. Und jetzt war ihm die Seele durch die Lappen gegangen und erfreute sich nun in seinem untoten Leben als Geist der schamlosesten Flitterwochen aller Zeiten. Merdian hatte einmal vorbeigesehen und geglaubt, er wäre aus Versehen im Fegefeuer Casanovas gelandet.

»Du hast es versaut, eine Wiedergutmachung bekommst du nicht hin, und deshalb wirst du zur Strafe auf der Erde wandeln«, beschloss Shytan unbarmherzig. »So lange, bis du wieder würdig bist, dich als einer der drei Höllenfürsten zu bezeichnen und deine Brüder nicht ständig überlegen müssen, ob der ehrenwerte Merdian nicht einfach gegen eines der drei kleinen Schweinchen eingetauscht worden ist und wir es nicht rechtzeitig gemerkt haben.«

Talan versteckte das halbe Gesicht hinter seinen Händen, und zwischen den zusammengedrückten Fingern drang unterdrücktes Gackern hervor.

Merdian starrte fassungslos von einem zum anderen. Die verarschten ihn doch! »Steck dir dein gesalbtes Gelaber in den tiefsten Schlund deines Darmausgangs! Ich werde nicht auf die Erde gehen.«

»Und wie du das wirst!«

»Nein!«

Zur Sicherheit verschränkte er die Arme vor der Brust und pflanzte sich auf einen Bürosessel. Die hellen Augen seines Bruders verengten sich zu vertikalen Schlitzen. Das allein war gähnend langweilig, allerdings war Shytan nicht nur der älteste und humorloseste der Brüder, sondern blöderweise auch der mächtigste. Wenn der werte Herr Radieschen in seinen Pudding wollte, wurde das so gemacht. Warum? Weil er es konnte. Doch Merdian würde nicht gehen. Und wenn sich sein Bruder auf den Kopf stellte, Lava spuckte und Motten pupste!

»Willst du dich wirklich mit mir anlegen?«, knurrte Shytan. »Dabei bin ich viel zu nett. Wenn du bewiesen hast, dass du der Hölle würdig bist, darfst du zurückkehren.«

»Übertreib’s nicht«, blaffte Merdian. »Angenommen, ich würde überhaupt die Absicht haben, auf der Erde Urlaub einzulegen, werde ich kommen und gehen, wie es mir gefällt!«

»Vergiss es«, erwiderte Shytan kühl. »Penn unter der Brücke oder bei dem zweibeinigen Rehkitz. Hier hast du erst mal nichts mehr zu suchen.«

»Versuch doch, mich aus meiner eigenen Hölle zu werfen«, ätzte Merdian und klammerte sich an die Armlehnen seines Stuhls. Dieser Bastard musste ihn schon persönlich hier rausschaffen, so viel stand fest!

Vielleicht hätte er sich für seinen Protest einen etwas immobileren Sitzplatz aussuchen sollen statt eines gewöhnlichen Chefsessels, aber wer ahnte denn, dass ihn dieser Bruderverräter aus seinem Reich warf! Oder vielmehr rollte. Der Stuhl setzte sich ohne Merdians Zutun in Bewegung, preschte durch den Raum, in völlig überhöhter, für Bürostühle nicht zugelassener Geschwindigkeit! Die rauen Wände aus Stein rauschten an ihm vorbei, kreisten um ihn, als Shytan den Stuhl die Richtung wechseln ließ.

»Lass den Quatsch«, brüllte Merdian, auf diesem verflixten Stuhl hockend. Er schnippte mit den Fingern. Vergebens. Dieser verdammte Mistkerl blockte seine Magie einfach ab. Anstatt diesen verrückt gewordenen Stuhl anzuhalten, schwebten Gänseblümchen durch den Raum. Talan fing eines auf und steckte es sich in das lange rote Haar. Merdian wollte just in diesem Moment einen fiesen Spruch zu Blumenkindern loslassen, doch die Fliehkraft drückte die gemeinen Worte einfach wieder in seine Kehle zurück. Er packte die Stuhllehne mit beiden Händen, kauerte sich auf der Sitzfläche zusammen und warf sich mit seinem gesamten Gewicht zur Seite. Ha, das brachte das wild gewordene Möbel aus dem Gleichgewicht. Der Stuhl änderte die Richtung, drosselte jedoch leider nicht im Geringsten die Geschwindigkeit. Im Gegenteil. Er schien sogar zu beschleunigen. Merdian sah gerade noch, wie er auf seine Brüder zuraste, die vor dem Steuerpult standen.

Talan lachte, Shytan grinste höhnisch, aber beide machten einen Satz zur Seite, bevor sie unter die Räder des durchgeknallten Rollstuhls kamen. Fuck.

Es schepperte fürchterlich, als dieser gegen das Pult krachte. Merdian wurde darüber geschleudert, doch bevor er die Tischplatte berührte, spürte er den Sog tausender Energieströme. Sie zerrten an seiner Existenz, an jedem seiner Atome, rissen ihn aus seinem warmen, herrlichen Reich heraus, dem Inferno, in dem er der Meister war (gut, neben seinen zwei dussligen Brüdern), und katapultierten ihn geradewegs in die verkommene Hütte, aus der ihn Davine angerufen hatte.

»Das größte Fegefeuer soll dir unter dem Hintern gefrieren«, brüllte Merdian voller Wut.

 

 

Davine stolperte und landete mit dem Gesicht voran im Schmutz. Verdammter Mist, sie musste schnellstens hier raus. Sie stützte sich auf dem Schutt ab, wollte sich nach oben stemmen und schrammte sich nur die Haut an den Steinen auf. Verflucht, tat das weh. Vor ihr lag wie zum Hohn ein eingeschweißter Müsliriegel, mit Verfallsdatum 2015. Widerlich. Mühsam rappelte sie sich auf, krallte sich ihre Klamotten und taumelte weiter. Sie konnte sich draußen wieder anziehen. In diesem Haus würde sie keine einzige Sekunde mehr bleiben.

Nur ein paar Schritte trennten sie von der Tür, als sich plötzlich alles um sie herum verdunkelte. Die Erde bebte. Für einen Moment glaubte sie, der Boden gäbe unter ihr nach. Aber sie fiel nicht. Der Aufschrei aus einer männlichen Kehle ließ sie herumfahren, da prallte sie mit etwas Großem, Schwerem zusammen. Sie fiel zu Boden, das Gewicht drückte ihr die Luft aus der Lunge. Fuck, war das restliche Dach auf sie gekracht?

»Höllische Scheiße«, stöhnte das Zentnergewicht auf ihr.

Mist, das war kein Dach! Das war ein Mann! Griff er sie an? Was wollte er? Sie war immer noch völlig nackt! Diese Gedanken schossen ihr wie Raketen durch die Gehirnwindungen und produzierten einen einzigen brauchbaren Lösungshinweis – Gegenwehr bis zum Tod.

Davine strampelte, zappelte und schlug blindlings um sich. Mit der Faust erwischte sie seine Schulter, aber es brachte ihr überhaupt nichts. Keinen Millimeter rückte er von ihr herunter. Vermutlich tat es ihr mehr weh als ihm. Er zischte, aber was er sagte, verstand sie nicht. Sie wollte nur weg vom ihm! Er bewegte sich, und sie stöhnte unter seinem Gewicht, da gelang es ihr, die Beine anzuziehen. Sie tat es mit einem Ruck, und sein Jaulen hallte in ihren Ohren.

»Du grausame Ausgeburt einer Schwefelgrube!«

Er packte Davines Handgelenke, zwang sie auf den Boden und legte sich mit seinem vollen Gewicht auf sie. Ihr entfuhr ein Keuchen.

»Ich schwöre dir, wenn du mir in die Eier trittst, werde ich dich im tiefsten Kern der Erde vergraben!«, knurrte er.

Moment, die Stimme kannte sie doch. Oder vielmehr die Augen, die sie von oben wütend anfunkelten. Diese Augen, so grün wie Blätter im schönsten Sonnenschein. Allein seine Pupillen sahen seltsam aus. Nicht rund, sondern schmal wie bei einer Echse. Sie blinzelte, und im nächsten Moment waren sie völlig normal. Toll, ihre Halluzinationen hörten nicht auf. Aber die Kraft, mit der er auf ihre Handgelenke drückte, fühlte sich verdammt echt an. Er verlagerte sein Gewicht, und erneut presste es ihr die Luft aus den Lungen.

»Bist du brav?«, fragte er.

Mit trockenem Mund nickte sie. Schmerz durchzuckte sie, als er sich auf ihren Gelenken abstützte und nach oben stemmte. Endlich wälzte er sich von ihr herunter und setzte sich auf den Boden, die Hand in seinen Schritt gelegt und mit einem mordlustigen Ausdruck im Gesicht.

»Wäre das ein Comic, flögen nun kleine böse Teufelsfratzen um meine Stirn«, beschwerte er sich.

»Du bist der Kerl aus dem Spiegel«, platzte sie heraus.

Er verdrehte die Augen. »Herzlichen Glückwunsch, der Preis für die überflüssigsten Feststellungen ist dir in jedem Fall sicher.«

»Aber …«

»Ich bin durch den Spiegel gekommen, um dir unfähigem …«

»Hey!«

»… Menschenkind bei all deinen Sorgen und Nöten beizustehen.«

Seine Worte mochten nett klingen, allerdings leierte er sie so genervt herunter, als müsste er zum zehnten Mal die Führerscheinprüfung machen, obwohl er längst Formel-1-Rennen fuhr.

»Danke, ich behalte meine Probleme und meinen Verstand«, sagte Davine höflich. Es war schlimm genug, dass drei Männer durch einen verdammten Spiegel mit ihr geredet hatten, sie brauchte nicht auch noch den hübschesten von denen in ihrem Leben. Sie würde über kurz oder lang in der Irrenanstalt landen.

Sie rappelte sich auf, jeder einzelne Knochen in ihrem Leib tat weh. »Hölle«, stöhnte sie.

»Da komm ich gerade her«, brummte Merdian.

Davine versteifte sich. Eigentlich war es nur logisch, dass ihre Halluzination behauptete, was mit der Hölle zu tun zu haben, schließlich hatte sie den leibhaftigen Teufel angerufen und offensichtlich ihren Verstand eingebüßt. »Du bist nicht echt.«

»Man ist so echt, wie man sich fühlt«, gab er patzig zurück. »Und zieh dir was an, ich kann nicht denken, wenn vor meinen Augen nackte Brüste wippen. Obwohl da jetzt nicht so viel wippt.«

Sie sah an sich herunter. Ja, sie war nackt. Daran hatte sich nichts geändert. Leider! Verflucht, warum hatte sie sich nicht oben angezogen? Ach ja, weil sie vor ihrem eigenen Wahn geflüchtet war. Und halt, Moment! Hatte er ihre Brüste beleidigt?

»Und warum gaffst du sie so fasziniert an?« Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust.

Merdian betrachtete ihre Arme. »Weil sie hübsch sind.«

»Ich denke, sie sind zu klein, um ordentlich zu wippen«, fauchte Davine.

»Sie sind auch klein!«

»Dann kannst du erst recht woanders hinstarren!«

Merdian grinste anzüglich. »Ich bin schon anständig genug, nicht auf das Dreieck oberhalb deiner Schenkel zu sehen.«

Unwillkürlich kniff sie die Beine zusammen.

Merdian rieb sich über den … äh … Bauch. »Du hast ohnehin alles an mir, was man beim Sex braucht, kaputt gemacht!«

Sie konnte sich nicht helfen, der Teufel, den sie da zusammenhalluzinierte, klang so quenglig wie ein fünfjähriges Kind. Davine verkniff sich jeden Kommentar und umrundete den immer noch auf dem Boden sitzenden Teufel großzügig. Ihre Jeans und ihr Shirt lagen nämlich hinter ihm verstreut. Sein Blick folgte ihr, sie spürte ihn wie brennende Lava auf sich. Nur wusste sie wirklich nicht, ob sich das gut oder schlecht anfühlte. Es brachte sie ins Schwitzen, ihr Herz klopfte hektisch, und sie bereute, heute früh aufgestanden zu sein.

Mit zitternden Händen griff sie nach ihren Klamotten. Dabei beging sie einen Fehler – sie hob den Blick und sah den Mann an, der inzwischen die Beine überkreuzte und auf dem Boden hockte, wie eine Kreuzung aus Buddha und heißem Männermodel. Der Spalt zwischen dem schimmernden Seidenstoff seines Pyjamas offenbarte dunkles, drahtiges Brusthaar. Keine wilden Locken, sondern dezente Behaarung, so wie sie es mochte. Er betrachtete sie versonnen von oben bis unten, und das ließ sie so nervös werden, dass sie vier Anläufe brauchte, um überhaupt das rechte Bein in die Jeans zu fädeln. Den Slip schien sie oben verloren zu haben, aber der würde ohnehin zu lange dauern. Sie zwängte sich in den Stoff, riss daran und kippte fast um, als sie den zweiten Fuß in das andere Hosenbein schob. Verflucht, taten die Wunden an ihren Füßen und Händen weh. Aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Hektisch zog sie an dem Bund, verwünschte die Enge dieser verdammten Röhrenjeans, und als sie sich den Bund über den Hintern riss und dabei herumtanzen musste wie ein Affe auf Speed, damit sich überhaupt was bewegte, wünschte sie sich, sie wäre tot.

Und bei jeder verfluchten Bewegung sah er ihr zu. Sie merkte die Wärme in ihren Wangen, ihrem Kopf, ja, dem gesamten Körper. So peinlich hatte sie sich das letzte Mal vor ihrem Chef aufgeführt. Vor zwei Tagen. Gott, sie war einfach eine wandelnde Katastrophe. Kein Wunder, dass Mr McGeeh ihr keinerlei Beachtung schenkte. Jetzt hustete Merdian betont kränklich, trotzdem hörte sie das darin versteckte Lachen.

Endlich saß die Hose, und sie schnappte sich schnell das Shirt. Sie zerrte es sich über den Kopf, und ihr war noch heißer als zuvor. Er hatte doch nicht die Hitze der Hölle mit hierhergebracht, oder? Ach, was dachte sie überhaupt darüber nach? Er kam nicht aus der Hölle, sondern aus den verqueren Windungen ihres Gehirns. Man gebe ihr ein paar Tabletten und einen halbwegs kompetenten Psychologen, und der Kerl würde sich in einer Wolke auflösen. Womöglich einer glitzernden, wie bei einem Einhorn. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, allerdings war der Gedanke so verdammt witzig, dass sie gluckste. Und bevor sie sich versah, lachte sie laut los. Viel zu laut, viel zu falsch und viel zu aufgekratzt. Sie war am Ende. Die Prüfungen, die Jobsuche, die nervenzehrende Hoffnung auf diesen Job, das Anhimmeln ihres Chefs – all das forderte jetzt ihren Tribut. Sie wusste selbst nicht, wie sie es hinbekam, aber sie schaffte es, zur Tür zu stolpern. Und kaum berührte ihr nackter Fuß die Schwelle, rannte sie. Sie rannte so schnell wie nie zuvor in ihrem Leben, durch den Wald, den schmalen Trampelpfad entlang, und endlich sah sie zwischen dem Gestrüpp den gelben Lack ihres Wagens. Wenigstens den bildete sie sich nicht ein.

 

 

Kapitel 4
Wahnsinn ist reine Ansichtssache

 

Ähm …

Fassungslos sah Merdian der lachenden Frau hinterher, die kaum den Fuß vor der Tür habend Fersengeld gab.

Es war logisch, dass der Teufel keineswegs von Menschen mit einer durchschnittlichen Anzahl funktionierender Gehirnzellen heraufbeschworen wurde. Nein, es waren immer die Durchgeknallten, die mit ihnen Geschäfte machen wollten. Merdian hatte auch schon viele außerordentlich seltsame Persönlichkeiten erlebt, aber das schlug alles. Welche Verrückte weckte die Hölle viel zu früh, brach dem Teufel fast den Penis und ließ ihn dann einfach so stehen? Ungestraft!

Zu seiner Schande musste er gestehen, dass ihm auf die Schnelle ohnehin keine angemessene Bestrafung eingefallen wäre. Hintern versohlen? Die Furie schlug doch bestimmt zurück! Ein bisschen Fegefeuer? Die Bude war dafür zu marode. Das Gerümpel entzündete sich so schnell, dass sie letztendlich in den Flammen umkäme, bevor sie ihre Seele der Hölle verschrieben hatte. Toll. Er brauchte eine Seele, um seinen diktatorischen Bruder zu besänftigen, und die rannte ihm nun innerhalb der ersten fünf Minuten davon. War ja wieder mal eine Spitzenleistung, die er da hingelegt hatte.

Leise seinen Bruder und insbesondere Davine verfluchend, rappelte sich Merdian auf und sah sich um. Er war auf einer Müllkippe gelandet. Warum beschwor sie ihn in einer solchen Bruchbude? Warum nicht in ihrem Wohnzimmer? Dann wüsste er, wo er nach ihr suchen sollte!

Mit angewidertem Gesichtsausdruck stieg er über den Schutt hinweg zur Tür und folgte der Schneise im Gebüsch. Unwillkürlich sog er die Luft ein. Ja, es roch nach ihr. Eine Mischung aus Honig, Papier und dem modrigen Geruch des Hauses, den ihre Klamotten angenommen haben mussten. Es war nicht gerade die coolste Fähigkeit eines Teufels, einen Geruchssinn wie ein Hund zu haben. Wenn es jedoch darum ging, zickende Opfer zu verfolgen, war er doch ganz praktisch. Blöderweise besaß sie anscheinend ein Automobil, denn nach einer Weile fand er frische Reifenspuren, nur keine Davine. Wäre ja zu einfach, wenn sie einfach nur ihre Seele an die Hölle verpfänden und stillhalten würde, dass er ihre Probleme löste. Weiber!

Merdian kehrte zum Haus zurück, durchsuchte das Erdgeschoss und schließlich die oberste Etage. Er fand den Spiegel, die Kerzen … und ihren Slip. Der Spiegel war gleichermaßen gut, sie zu lokalisieren, doch wer wollte schon das verdammte Ding mit sich herumschleppen? Merdian hielt sich lieber an den Slip, hob ihn mit spitzen Fingern hoch und fixierte ihn scharf:

»Septentrio, meridies, oriens, occidens – ubi es?«1

Der herabhängende Stoff bewegte sich und zeigte schließlich ein Stück nach links, zur Tür. Ja, sie war zur Tür raus, so weit war er bereits gekommen! Wenigstens schien ihm Shytan nicht seine magischen Fähigkeiten genommen zu haben.

Merdian marschierte erneut nach draußen, dorthin, wo ihr Wagen gestanden hatte, und folgte den Spuren so weit wie möglich. An dem Teerweg befragte er ein weiteres Mal den Slip. Blieb nur zu hoffen, dass Shytan und Talan nicht in diesem Moment zu ihm sahen. Die mussten sich doch einen Bruch in ihre verräterischen Kreuze lachen. Mit jedem Schritt wurde Merdians Laune unterirdischer. Er latschte durch ein Dorf, und ihm schwante, dass Davine in der Stadt wohnen musste, die sich dort am Himmel abzeichnete. Pah. Selbst, wenn sie sich im letzten Mauseloch versteckte, es würde ihr nichts nutzen. Dieses Weibsbild würde er in die Hölle holen, und dann gnade ihr jeder verdammte Dämon!

Eine Handvoll Autos fuhr an ihm vorbei, und er überlegte gerade, ob er eines nicht einfach explodieren lassen sollte, um sich abzureagieren, da hielt einer der Blechhaufen neben ihm. Ein Cabrio, um genau zu sein, und an dem Steuer saß eine Frau mit einer Sonnenbrille, die an die Augen einer riesigen Fliege erinnerten.

»Na, Schöner, bist du aus dem Sanatorium ausgebrochen?«, fragte sie ihn mit übertrieben rauchiger Stimme und deutete auf seinen Pyjama.

»Nein, der Ehemann meiner Bettgespielin kam zu früh nach Hause.«

»Ich kann dich nach Hause fahren, wenn du dich dafür revanchierst.«

Merdian hielt sich nicht zurück und verdrehte die Augen. Wenn ihm eines zuwider war, dann Frauen, die sich einem ungefragt aufdrängten.

»Fahr weiter«, befahl er ihr. »Du langweilst mich.«

»Pass auf, dass ich nicht die Polizei rufe«, zischte die Fahrerin.

Ein paar Meter zuckelte ihr Wagen wie zum Hohn neben ihm her, bis sie das Gas durchdrückte und die Reifen quietschten. Sie preschte an ihm vorbei, prompt umnebelte ihn eine Wolke widerlich riechender Abgase.

Merdian hustete. Zum Henker, da roch es ja selbst auf dem hinterletzten Klo besser. Oh, dann sollte sie in der stinkenden Schüssel doch ihr Leben lassen!

Wenigstens wurde die Luft frischer, als er die Abgaswolke hinter sich ließ. Wenn er die Hügel nicht ständig hinauf- und hinunterlatschen müsste, würde er sich an den grünen Höhen erfreuen. Aber die Silhouette der Stadt rückte immerhin beharrlich näher. Er hörte das Kreischen der Möwen und, wenn nicht gerade ein Auto an ihm vorbeiraste, auch das entfernte Rauschen des Meeres.

In der Mitte der Stadt stand auf einem hohen Felsen eine Festung. Solche Gebilde gab es nicht oft. Das Straßenschild, an dem er vorbei ging, verriet ihm, dass es noch zehn Kilometer bis Edinburgh wären.

Schottland, also. Nun, ihn hätte es schlimmer treffen können. Sein zufriedenes (und zugegeben leicht schmerzverzerrtes) Grinsen wandelte sich in blanke Schadenfreude, als er am Fuße eines Hügels ein rauchendes Cabrio an einem Baumstamm hängen sah. Wie tragisch, da hatte ihr Schutzengel wohl nicht aufgepasst. Merdian bezweifelte, dass der Sanitäter des heranrasenden Notdienstes noch etwas retten konnte. Wer Merdian sexuell belästigte, den rettete niemand!

Wieder bremste ein Auto neben ihm.

»Du siehst aus, als hättest du eine harte Nacht gehabt, Jüngelchen«, sagte eine hohe, weibliche Stimme. Toll, die Nächste, die ihn mitnehmen wollte. Natürlich für Sex. Als ob ein Teufel zu nichts anderes zu gebrauchen war.

Merdian brummte lediglich und lief einfach weiter. Mittlerweile waren seine Füße so wund, dass er den Schmerz gar nicht mehr so richtig wahrnahm. Okay, nein, das war gelogen! Sie brannten wie Tschernobyls Block 4! Und wenn die jetzt nur eine Anzüglichkeit raushaute, würde es hier gleich eine ordentliche Detonation geben!

»Soll ich dich mitnehmen?«

»Was willst du dafür?«, knurrte Merdian.

»Nichts.«

Das war neu. Merdian blieb unwillkürlich stehen und wandte sich dem verbeulten Wagen zu. Er beugte sich sogar hinunter, um die Fahrerin besser sehen zu können. Eine Schiebermütze thronte keck auf einem Wust silberner Locken. Aus dem faltigen Gesicht blitzten ihn zwei dunkle Augen an.

»Nichts?«, fragte Merdian misstrauisch. »Was soll das heißen?«

»Was willst du mir denn geben, Jüngelchen? Deinen Pyjama? Ich habe selbst einen hübschen zu Hause. Sehr weich, mit süßen Hunden bedruckt.«

Bah, wer trug denn solche Schlafanzüge? Gleich übergab er sich. Sie wollte ihm nur etwas Gutes tun. Seine Übelkeit wurde stärker, als hätte ihm jemand die Faust in den Magen gerammt. Gute Taten bescherten ihm immer Magenschmerzen, erst recht, wenn sie an ihm verübt wurden. Verfluchte Hölle. Merdian wirbelte herum, stürzte ins Gebüsch und würgte.

Er hörte die Wagentür klappen, und im nächsten Moment klopfte ihm jemand auf den Rücken. »In meiner Jugend bin ich auch in so manch desolatem Zustand nach Hause gekommen«, kicherte die alte Frau. Merdian würgte noch stärker.

»Muss ja eine spitzenmäßige Party gewesen sein«, vermutete die Alte. »Hast du kein hübsches Mädchen gefunden, das dich mit nach Hause genommen hat?«

»Nein«, ächzte Merdian.

»Dann beim nächsten Mal. Du bist doch ein ansehnlicher Kerl.«

»Hör auf, so nett zu sein«, stöhnte Merdian. Er ging fast in die Knie, und sein Magen hing faktisch schon an seinem Kehlkopf!

Die alte Frau kicherte und tätschelte ihn einmal mitfühlend (Sein Magen baumelte mittlerweile am Gaumen!). »Ein bisschen Freundlichkeit kann der heutigen Welt nicht schaden, mein Junge.«

Okay, jetzt hatte sie es geschafft. Er kotzte alles in seinem Inneren heraus.

»Sieht ein bisschen ungesund aus, Junge. Du solltest mal zum Arzt«, empfahl sie ihm. »Außergewöhnlich dunkel.«

Kein Wunder, es handelte sich schließlich um blanke Lava! Sie qualmte sogar ein bisschen, zum Glück schien ihr das nicht aufzufallen.

Mit jedem Mal, das sie ihm über den Rücken strich, musste er wie bei Sodbrennen aufstoßen. Wenigstens gab sie nicht mehr unerträgliche Nettigkeiten von sich. Oder sein Magen war leer. Auch wenn er abermals so seltsam rülpste, als sie ihn nach einer Weile am Arm zu ihrem Wagen führte.

»Solltest du dich noch mal übergeben müssen, in der Tür ist ein Beutel.«

»Sei einfach weniger nett«, stöhnte Merdian gequält. Er öffnete die Tür und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Herrlich … Seine Füße seufzten selig, und das Drücken in seinem Magen ließ nach.

Die alte Frau setzte sich hinter das Lenkrad und startete den Wagen. Der tuckerte wie ein uralter Benziner mit verrostetem Motor und machte schließlich einen Satz nach vorn.

»Hups«, kicherte die Alte. »Wir wollen deinen Magen ja nicht zusätzlich strapazieren.«

Behutsam startete sie den Wagen erneut, und diesmal fuhr er sanft an.

Merdian seufzte und lehnte sich zurück. »Solltest du jemals in der Hölle landen, werde ich es dir vergelten.«

»Dort soll es nett sein«, lachte die Fahrerin.

Sie waren alles andere als nett! Oh Gott, allein bei dem Wort wurde ihm schon wieder übel. Immerhin lenkte sie ihn ab, indem sie angestrengt über das Lenkrad spähte und ihn trotzdem ansprach.

»Ich heiße übrigens Agnes. Wo musst du hin?«

»Warte«, bat Merdian und zog den Slip aus der Hosentasche.

»Tsss«, machte die Alte. »Die heutige Jugend ist seltsam. Ich dachte, ihr teilt euch eure Adressen mittlerweile per Telefon mit.« Sie lachte vergnügt. »Die Adresse auf einen Slip zu schreiben, ist ein ganz alter Hut.«

Davine war zwar eine widerspenstige Furie, aber er bezweifelte, dass sie sich jemals so abschoss. Und genau genommen wollte er gar nicht darüber nachdenken, wie oft diese alte Frau hier früher jemandem so ihre Adresse verraten hatte!

Merdian murmelte die Worte für den Ortungszauber, und wieder zeigte das Ding die Straße entlang.

»Immer der Straße folgen«, kommandierte Merdian und starrte in Agnes‘ skeptisches Gesicht.

»Neue Technik?«, versuchte es Merdian, und der Hölle sei Dank, sie zuckte die Schultern, murmelte etwas und trat schließlich weiter auf das Gaspedal.

 

 

Davine warf die Tür hinter sich zu und lehnte sich keuchend gegen das Holz. Ihr Herz raste, sie schwitzte, ihre Füße taten verflucht weh und ihr war ein wenig schwindlig. Sie war mindestens zehn Kilometer Umweg gefahren – völliger Schwachsinn. Wie sollte dieser Kerl sie verfolgen können, wenn er nicht gerade selbst einen Wagen hatte? Und außer ihrem gelben Kia hatte dort kein Auto gestanden.

Nein, sie war ihn los. Für alle Mal, und sie würde so etwas niemals wiederholen! Diese ganzen Teufelsanbeter hatten doch keine Ahnung, was sie da taten! Oder hatten sie einfach mehr Mut als Davine? Ach, es war ihr egal. Sie würde den Rest des Tages ihre Wohnung nicht mehr verlassen, ihre Wunden verarzten, sich mit einem Buch auf das Sofa fläzen und diesen ganzen Unfug vergessen! Am besten funktionierte das mit Tee. Sie tappte in die Küche, setzte Wasser auf und sah gedankenverloren zu, wie das Wasser in dem Kocher langsam zu sprudeln begann. Ständig tauchte vor ihrem inneren Auge das Gesicht Merdians auf. Als er auf ihr gelegen hatte, hatte sie ihn für einen winzigen Moment auch gerochen. Ein wenig nach verbranntem Holz, wie von einem Kaminfeuer, dazu der Ausdruck von Wärme, Sicherheit, Geborgenheit.

Ja ja, sie hatte eine Halluzination gerochen und sich den Geruch damit nur eingebildet!

Davine hängte einen Teebeutel in ihre Tasse und füllte sie mit kochendem Wasser. Sie konnte sich zwar keinen Kamin leisten, wenigstens hieß die Teesorte ›Kaminfeuer‹. Sie mochte das unterschwellige Aroma von Zimt.

Mit der vollen Tasse in der Hand schlurfte sie zu ihrer Couch, da hämmerte es an ihre Wohnungstür. Unweigerlich begann ihr Herz erneut heftiger zu schlagen und ihre Hände so zu zittern, dass heißer Tee auf den Boden schwappte. ›Bitte, bitte, lass es nicht ihn sein‹, betete sie leise. Sie war doch gerade so schön wieder vernünftig geworden, hatte ihr Hirngespinst hinter sich gelassen. Vielleicht war es nur ihr Vermieter, der die überfällige Miete vom letzten Monat einfordern wollte.

Sie atmete tief durch. Ja, es war auf jeden Fall Collins. Niemand sonst. Kein Teufel, keine Halluzination.

Davine gab sich einen Ruck, ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt.

Nein, es war nicht Collins. Und ja, es war ihre Halluzination.

Diese grinste sie verschmitzt an und streckte ihr ein Stück Stoff hin. »Ich glaube, das ist deiner.«

Davine blinzelte und riss die Augen auf. Das war ihr Slip!

»Auf das Mädchen bin ich ja sehr gespannt«, sagte eine hohe, weibliche Stimme. »Ist sie schüchtern?«

»Kannst du nicht einfach gehen?«, fauchte Merdian.

»Du bist zwar ein hübscher Kerl, aber ungehobelt. Lässt sie dich deswegen nicht rein?«

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 16.01.2023
ISBN: 978-3-7554-2989-0

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