Ist das bissig, oder kann das weg?
Verflixt und zugebissen – Band 5
Allyson Snow
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Lektorat, Korrektorat: Juno Dean, Mathew Snow
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1
Spezialsanierung gefällig?
Die Ehe macht aus zwei Menschen einen. Das funktioniert nicht mit bloßem Handschlag, bedauerlicherweise braucht es eine Menge Brimborium, um die Ehe vor Gottes Augen gültig zu machen. Die Zeremonie inklusive göttlichem Segen durchzuführen, war das Privileg eines Priesters.
Eine Ehre, auf die Frédéric getrost verzichten könnte.
Eheschließungen waren die Hölle. Bislang hatte er lediglich zwei Hochzeiten erlebt, in denen es nicht mindestens einen Weltuntergang gegeben hatte. Brautzillas, die ihren Gästen nicht nur die Kleiderordnung, sondern gleich noch die Konfektionsgrößen vorschrieben. Bräutigame trennten sich während des Wartens vor dem Altar mit Tränen in den Augen von den Nacktbildern auf ihrem Handy, die definitiv nicht die Brüste ihrer zukünftigen Frau zeigten. Schwiegermonster nahmen mit viel zu großen Hüten allen Reihen hinter ihnen vollständig die Sicht. Die Brautjungfern platzten entweder vor Neid oder sie knobelten untereinander aus, wer später mit dem Trauzeugen in der Garderobe herumknutschen durfte. Es grenzte an ein Wunder, dass bisher niemand den Altar entweiht hatte.
Im Fall der heutigen Hochzeit hatte Gott bestimmt nicht eine untote Festgesellschaft und einen enorm bissigen Brautvater in die Freuden einer Eheschließung einkalkuliert.
Frédéric sollte als Priester alle Geschöpfe Gottes lieben, doch bei diesem Vampir fiel es ihm schwer. Wer auch immer Jason Harris erschaffen hatte, musste bekifft gewesen sein. Das würde definitiv dessen eigenen Drogenkonsum erklären. Gerade zündete sich Jason einen Joint an, mit einem Fuß bereits in der kleinen Kirche des Dorfes Ajou.
Frédéric trat ihm entgegen und ja, vielleicht hielt er die Bibel ein wenig vor sich. Weniger als Schutzschild, eher bereit, sie einem ungehorsamen Vampir über den sturen Schädel zu ziehen. »Drogen sind hier nicht gestattet.«
»Abbé Durand, Sie sollten sich eines merken: Drogen sind in Frankreich nirgends erlaubt«, erwiderte Jason gelassen. »Lassen Sie die Hochzeit ins Wasser fallen, und ich schwöre ein Jahrhundert lang Abstinenz.«
»Falls ich mich recht erinnere, hat Ihr zukünftiger Schwiegersohn Sie mal als König der Lügen bezeichnet«, erwiderte Frédéric.
Jason brummte etwas, was verdächtig nach ›klugscheißerischem Mistkerl‹ klang. Frédéric überhörte es großzügig. Wenn er eines nicht wollte, dann der Seelsorger einer Vampirfamilie werden. Mit deren Problemen kannte er sich nicht aus. Worüber stritt man sich da? Wer den letzten Menschen im Umkreis von fünfzig Kilometer ausgetrunken hatte? Weil man somit wieder so ewig weit laufen musste, um Nachschub zu holen?
»Können Sie nicht einfach sagen, die Hochzeit fällt aus, da Sie unbedingt zu einer Beerdigung müssen?«, schlug Jason vor und inhalierte erneut das Kraut mit einem tiefen Zug.
»Tote können warten.« Stoisch versuchte Frédéric, den leicht muffigen Geruch des Joints zu ignorieren.
»Eine Geburt?«
Frédéric warf dem Vampir einen schiefen Blick zu. »Ich bin keine Hebamme und auch kein Gynäkologe.«
»Eine sterbende Gebärende, der Sie unverzüglich die letzte Ölung verpassen müssen?«
»Passen Sie auf, dass Sie von Ihrer Tochter nicht die letzte Ölung bekommen.«
Genau deren Stimme kreischte in diesem Moment über den Vorplatz der Dorfkirche: »Jason!«
Sämtliche Gäste, die sich vor dem Gang in das schattige Innere des Kirchenschiffs in der Sonne aufwärmten, zuckten zusammen. Selbst Jason machte sich kleiner. Einen Mafioso in sich zusammensinken zu sehen, war sicherlich ein Vergnügen, das man nicht alle Tage erlebte.
»Wo ist der verdammte Kerl?«, lamentierte die Braut. »Peppi, such!«
Ein weißes Fellknäuel mit braunen Ohren sprang kläffend vor Jasons Tochter her, blieb für einen Moment mit suchendem Blick stehen und raste dann voller Begeisterung auf sein Herrchen zu.
»Ich muss Peppi abgewöhnen, mich ständig zu verpfeifen«, murmelte Jason und wollte sich an Frédéric vorbeidrücken.
Allerdings stellte sich ihm Frédéric in den Weg und ja, er versuchte gar nicht erst, den Spott in seiner Stimme zu verbergen: »Joint oder Flucht. Sie müssen sich schon entscheiden.«
»Sie sind sich ziemlich sicher, dass ich Sie nicht umbringen werde«, knurrte der Vampir.
»Sie haben zwei Kirchen beinahe vollständig zerstört. Warum sollte ich denken, dass Sie vor Pfarrern haltmachen?«
»Jason!« Paulines Stimme schraubte sich immer höher, und vor allem kam sie beständig näher. Mit dem viel zu breiten Reifrock schrammte sie an ihren Gästen vorbei und schubste ein Kind von den Füßen. Der Junge landete mit der Nase voran auf der Wiese und starrte verdutzt auf die Grashalme.
»Da bist du ja endlich!« Pauline blieb hinter Jason stehen. »Man könnte meinen, du versteckst dich vor mir.«
Jason knirschte mit den Zähnen und drehte sich zu seiner Tochter um. »Würde mir nicht im Traum einfallen.«
»Dafür in jedem erdenklichen Wachzustand«, fauchte Pauline. »Wo ist Gaylord?«
Jason steckte eine Hand in die Hosentasche, und der Joint verbreitete von ihm völlig unbeachtet seinen leicht fauligen Geruch. »Noch beim Junggesellenabschied?«
»Der war vorgestern!«
»Nach meinem war ich auch erst mal ein paar Tage weg.« Jason zuckte die Schultern.
»Dein Junggesellenabschied bestand darin, deinen Tod vorzutäuschen«, blaffte Pauline. »Ich war dabei, schon vergessen?«
»Wie könnte ich? Ihr reibt mir es doch ständig unter die Nase«, murrte Jason. »Wo ist eigentlich meine bezaubernde Frau?«
»Keine Ahnung, gerade war Amélie noch hinter mir.« Pauline drehte sich um und fegte dabei mit ihrem Rock über den steinernen Fußboden. Blätter blieben am Saum hängen, aber Pauline scherte sich nicht darum. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und sah sich um. »Bei den anderen scheint sie nicht zu sein. Vielleicht sucht sie ja beim Friedhof nach der Leiche meines Bräutigams!« Mit einem Mal verengten sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen, und sie trat so dicht an Jason heran, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. »Was mich wieder zurück zu meiner ursprünglichen Frage führt: Wo ist Gaylord?«
Jason seufzte resigniert. »Er sollte lediglich einen kleinen Umweg machen, um mir was zu besorgen.«
»Ich kenne deine kleinen Umwege«, fauchte Pauline. »Diese Abstecher führen ganz schnell mal über Panama. Und rein zufällig stürzt das Flugzeug über dem Suez-Kanal ab.«
»Der Suez-Kanal liegt nicht auf der Strecke zwischen Ajou und Panama.«
Es war erstaunlich, aber Pauline konnte tatsächlich noch blasser werden. Bei jeder anderen Frau könnte man annehmen, dass sie gleich in Ohnmacht fiel. Frédéric wusste es inzwischen besser. Pauline sammelte nur das Blut bei ihren Stimmbändern.
»Wenn er nicht auftaucht, mach ich dich dafür verantwortlich«, donnerte sie. »Über einen versuchten Mord an ihm kann ich wegsehen. Bei zweien fang ich an, es persönlich zu nehmen!«
Jason erinnerte sich an seinen Joint und zog sekundenlang daran. »Er wird schon kommen.«
Paulines Blick wandte sich hilfesuchend Frédéric zu, aber der hob die Schultern. Hé, er war bloß der Priester. »Ich brauche eine Frau und einen Mann vor dem Altar, die nicht blutsverwandt sind und artig ›Ja, ich will‹ sagen. Für den Rest bin ich nicht zuständig.«
Die Braut knirschte undamenhaft mit den Zähnen und stieß mit dem Zeigefinger immer wieder gegen Jasons Brust. »Ich warne dich … Wenn er kommt und ein Haar von seinem Scheitel abweicht, ein einziges, dann werde …«
»Pauline!« Der persönliche Dorn im großen Zeh eines Priesters – eine hellsichtige Hexe namens Cecile – kam angeschlendert. »Du kannst nicht einfach aus dem Brautzimmer verschwinden! Die sollen dich doch erst alle zur Trauung sehen!«
»Vielleicht verhindert er die ja.« Pauline rammte ihren aufgeklebten Fingernagel einmal mehr in die Brust ihres Vaters.
»Das würde er nicht tun«, behauptete Cecile und fixierte Jason. »Ich korrigiere mich: Er würde.«
»Euer Misstrauen ehrt mich«, stichelte Jason. »Aber ich sabotiere die Hochzeit tatsächlich nicht.«
»Darauf würde ich ni-«, setzte Frédéric an und wurde prompt von Jason an der Soutane gepackt.
»Was wollten Sie sagen?«, knurrte der Vampir bösartig, und seine Augen glühten rot.
»Nie-nicht-niemals auf die Idee kommen, mir Sorgen zu machen, dass der Bräutigam nicht auftauchen könnte?«
Jasons Lippen kräuselten sich, und mit einem Ruck ließ er Frédéric los. »Sehr gut.«
Pauline warf ihrem Vater einen vernichtenden Blick zu. »Wehe, du hast Gaylord wieder in die Sonne gehängt und wartest ab, wann der Trank nachlässt, der ihn vor dem Verbrennen schützt!«
Jason hob die Hand mit dem qualmenden Joint und legte die andere auf seine Brust. »Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut. Aber wenn ich jemanden umbringe, versuche ich, mich nicht in den Methoden zu wiederholen.«
»Hör auf, Harry Potter zu lesen«, fauchte Pauline. »Und es zu zitieren!«
»Genau genommen ist das der einzige Satz, den ich mir gemerkt habe«, verriet Jason an Frédéric gewandt.
»Das spricht entweder nicht für das Buch oder nicht für Ihr Gedächtnis«, erwiderte Frédéric.
»Er hat noch zehn Minuten. Wenn er dann nicht da ist, werde ich dir einen Vorgeschmack auf die Hölle bereiten«, blaffte Pauline ihren Vater an. »Inzwischen gehe ich Amélie suchen. Ich muss dringend pinkeln, und in diesem vermaledeiten Kleid kann man ja nicht mehr als Stehen!«
Sie rauschte davon, während Jason offenbar meinte, Frédéric in die Genetik seiner Familie einweihen zu müssen. »Das Temperament hat sie von ihrer Mutter.«
»Irgendeiner muss das fehlerhafte Gengut ja ausgleichen«, giftete Frédéric.
»Für einen Priester sind Sie ausgesprochen unhöflich«, beschwerte sich Jason. »Sollten Sie nicht liebevoll gegenüber jedem Lebewesen sein? Mensch, Tier, Vampir, Begonie?«
»Er mag uns nicht«, stellte Cecile lieblich fest.
»In Gottes Haus ist jeder willkommen«, behauptete Frédéric.
Die verflixte Hexe strich sich über die Unterlippe und zwinkerte ihm viel zu lasziv zu. »Trotzdem würden Sie uns lieber vor dem Grundstück stehen sehen.«
»Davor reicht nicht. Es braucht mindestens einen Abstand von drei Kilometern, ach, am besten Landesgrenzen.«
»Ihr Liebreiz ist immer wieder umwerfend«, stichelte Cecile. »Was haben wir Ihnen nur getan?«
»Er hat es geschafft, zwei Kirchen zu zerlegen«, erwiderte Frédéric so stoisch, wie er konnte. Gut möglich, dass sein Finger aber vor Empörung zitterte, als er auf Jason zeigte. »Er hat verflucht noch eins Notre-Dame angezündet!«
»Es war ein Versehen«, protestierte Jason. »Außerdem habe ich mich freigekauft, äh, großzügige Spendengelder aufgewandt.«
»Ich nehme es Ihnen übel, wenn Sie diese Kirche hier ebenfalls dem Erdboden gleichmachen!«
»Ich weiß nicht, wovor Sie Angst haben«, gab Jason zurück. »Ich steigere mich bei jeder Katastrophe. Nach Notre-Dame wäre eine simple Dorfkirche ein ziemlicher Abstieg. Als Nächstes muss schon der Petersdom dran glauben.«
Frédéric stöhnte und rieb sich die Schläfen. Das Schlimmste war, dass er es dem elenden Mistkerl zutraute. Hoffentlich war der Vatikan nicht nur auf Terrorgruppen und Diffamierungen aus den eigenen Reihen, sondern auch auf brandschatzende Vampire vorbereitet.
Wenigstens traf endlich der Bräutigam ein und ersparte Frédéric eine Antwort. Gaylord raste mit bestimmt achtzig Sachen die einzige geteerte Straße Ajous entlang, den Hügel hinauf und auf sie zu. Nein, er hatte kein Auto dabei. Er rannte einfach so schnell, dass Frédéric allein beim Hinsehen übel wurde.
»Ich weiß nicht, welcher seltsamen Laune der Natur solche Fähigkeiten zu verdanken sind«, murmelte er.
»Sie meinen eher, was Gott sich dabei gedacht hat«, verbesserte ihn Cecile.
»Ich denke nicht, dass jemand mit Vernunft so was bei vollem Bewusstsein erfindet.«
Die Hexe grinste schief, und Frédéric drückte den Rücken durch.
»Da wir nun vollzählig sind, können wir endlich mit der Trauung beginnen. Scheuchen Sie die Gäste ins Innere. Wir sehen uns am Altar. Und noch mal …«, Frédéric starrte Jason eindringlich an. »Keine Unterbrechungen, keine Explosionen, keine Prügeleien. Die Zeremonie verläuft reibungslos, sonst buche ich persönlich für Sie eine Fahrt in die Hölle.«
»Sie sind ein Priester. Sie dürfen niemanden töten.«
»Bei der Inquisition hat sich auch niemand beschwert.«
»Er hat eindeutig gewonnen«, behauptete Cecile grinsend, und Jason verdrehte die Augen.
Er schnippte seinen Joint ins Gebüsch und fixierte den Strauch sekundenlang. »Schade, ich hatte gehofft, er fängt an zu brennen.«
»Ein brennender Dornenbusch wird diese Hochzeit nicht verhindern, selbst wenn er sprechen kann«, beharrte Frédéric.
Jason warf ihm einen vernichtenden Blick zu und setzte sich gefolgt von Cecile in Bewegung.
Frédéric hingegen lächelte Gaylord aufmunternd an. »Bitte kommen Sie.«
»Pauline ist doch da, oder?«, fragte Gaylord und zerrte an seinem Hemdkragen. »Ich habe letzte Nacht geträumt, dass sie mich vor dem Altar sitzen ließ.«
»Ihre Zukünftige ist viel weniger ein Problem als der Brautvater.«
Mit einer einladenden Geste bedeutete Frédéric ihm einzutreten, und zögernd setzte sich Gaylord in Bewegung. Gemeinsam traten sie in die Kühle und das Halbdunkel der Dorfkirche. Frédéric bekreuzigte sich lediglich, während Gaylord ein kurzes Gebet murmelte.
Es erstaunte Frédéric immer wieder. Vampire sollten Kirchen nicht betreten können. Kreuze schreckten sie. Weihwasser verhielt sich auf ihrer Haut wie Säure, und in ein Gotteshaus zu gehen, bescherte ihnen üblicherweise die Migräne ihres Lebens. Wenn sie allerdings beim Eintreten zu Gott beteten, wirkte das besser als jedes verdammte Aspirin.
Gaylord durchquerte an Frédérics Seite den Mittelgang, ohne sich vor Schmerzen zu krümmen oder auch nur ein einziges Mal zu jammern. Er sah nicht aus, als würden ihn Kopfschmerzen plagen, sondern vielmehr kalte Füße. Sein Blick huschte unruhig über den steinernen Altar und das riesige Jesuskreuz dahinter, er zerrte immer wieder an seinem Kragen oder zupfte seine Manschetten zurecht.
Der rote Läufer auf dem Boden raschelte bei jedem Schritt. Die Orgel stand an der Seite zwischen dem Altar und der ersten Bankreihe. Langsam füllten unzählige Stimmen die Kirche.
Frédéric wies dem Bräutigam die Stelle, an der er auf die Braut warten sollte, und betrachtete die Gäste, die sich ihre Plätze suchten. Nahezu alle Anwesenden kannte er mittlerweile. Nicht, dass er darum gebeten hatte, dass sie viel zu oft in den von ihm betreuten Kirchen aufkreuzten. Die meisten von ihnen waren Berufsverbrecher, die sich so regelmäßig gegen Gottes Schöpfung versündigten, dass Frédéric hoffte, sie kämen nie zu seiner Beichte. Sie bräuchten mehrere Sitzungen, Zehntausende Ave-Marias und Frédéric eine Menge Beruhigungstabletten, um sämtliche Sünden aufzuzählen.
Robert war der einzige Polizist in der Meute. Soweit Frédéric wusste, versuchte Robert trotz seiner Liaison mit Jasons Assistentin Helen nicht den Zweck seines Berufes zu verfehlen. Seiner permanent schlechten Laune nach zu urteilen, gelang es ihm aber wohl zu selten. Selbst jetzt saß er eher genervt als erfreut an der Seite Helens in der zweiten Reihe.
Diese unsägliche Hexe Cecile setzte sich neben einen Vampir von bulliger, ja fast schon viereckiger Gestalt. An seiner anderen Seite hockte eine zierliche Schwarzhaarige mit einem fünfjährigen Kind auf dem Schoß. Vermutlich war es besser, dass Linett und Jeremy niemals darüber nachgedacht hatten, ihren Sohn taufen zu lassen. Es gab nämlich keinerlei Studien, wie Halbvampire eine Taufe wegsteckten.
Die Rolle des Trauzeugen übernahm Gaylords Butler Albert. Er stellte sich neben seinen Dienstherrn und zwinkerte wiederum kokett einem sehnigen Mann in der dritten Bankreihe zu, der aussah, als wünsche er sich gerade meilenweit weg.
»Lass das«, zischte Gaylord. »Wir sind hier in einer katholischen Kirche. Am Ende fällt uns das Dach auf den Kopf.«
»Ich bezweifle, dass Homosexualität Gott nach den Freveltaten eines Jason Harris noch in den Wahnsinn treiben könnte«, beruhigte Frédéric ihn.
Langsam senkte sich Stille über die Kirche, Frédéric gab dem Organisten ein Zeichen, und die Musik setzte ein. Ein ruhiger Marsch, den Peppi inbrünstig und völlig schief mitjaulte. Linetts Sohn stimmte vergnügt grinsend und klatschend in das zweifelhafte Konzert ein. Am liebsten hätte sich Frédéric den Kopf am Altar aufgeschlagen, um diesem Elend entgehen zu können. Letztendlich beschränkte er sich darauf, für einen Moment seine Stirn zu massieren. Am Ende des Kirchenschiffes trat Amélie in den Gang und schritt ihn mit einem Blumenstrauß in der Hand entlang. Sie stellte sich Albert gegenüber auf und grinste verschmitzt in die Runde.
Nach ihr blieb der Korridor zwischen den Bänken allerdings leer. Himmel noch eins. Jason hatte seine Tochter doch nicht ausgeknockt und weggeschleift? Der bange Moment endete abrupt, als Jason samt seiner Tochter endlich um die Ecke bog und den Mittelgang betrat.
Überraschenderweise musste Pauline ihren Vater nicht hinter sich herschleifen, während der sie in die andere Richtung zu zerren versuchte. Auch wenn Jason nicht die geringste Mühe verschwendete, seinen Widerwillen zu verbergen oder Gaylord nicht mit verächtlichen Blicken zu traktieren.
»Hat er sich bei seiner eigenen Hochzeit genauso angestellt?«, raunte Frédéric Amélie zu.
»Nur unwesentlich schlimmer.«
»Hör auf, mich zu kneifen.« Jason knurrte leise, trotzdem verstand jeder in der kleinen Kirche seine Worte.
»Ich bin nervös«, zischelte Pauline.
»Dann zwick ihm das Fleisch vom Arm!«
»Mach ich einen Fehler?«
Jason nickte heftig. »Ja!«
»Nein!«, platzten hingegen Frédéric und Gaylord heraus.
Jason verdrehte die Augen, als ihm seine Frau einen giftigen Blick zuwarf. »Du machst keinen Fehler. Jeder Vater wünscht sich doch, dass seine Tochter den Mann heiratet, der sie entführt und dann umgebracht hat.«
»Sie hat es freiwillig getan«, warf Gaylord ein. »Ich hatte dagegen Einwände.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass du dich mit Händen und Füßen gewehrt hast.«
»Weil sie zusammengebunden waren!«
»Das ist für einen Vampir eine ziemlich miese Ausrede.«
Frédéric trat vor, bevor Gaylord seinen Schwiegervater ansprang. »Haltet die Klappe und geht auf eure Position, damit ich euch verdammt noch mal Gottes Gnade erteilen kann!«
»Welch liebreizende Einladung«, ätzte Jason. »Ihr hättet wenigstens einen Pfaffen aussuchen können, der so tut, als hätte er Spaß am himmlischen Segen.«
»Möchten Sie vielleicht einen Schluck Weihwasser zur Beruhigung?«, erkundigte sich Frédéric mit einem außerordentlich freundlichen Lächeln.
Jason öffnete den Mund, aber Frédéric redete einfach weiter. »Wenn Sie die Eheschließung länger hinauszögern, streiche ich die Zeremonie auf die Fragen ›Willst du? Und willst du?‹ zusammen, und dann sind wir hier in zwei Minuten fertig!«
»Schon gut«, brummte Jason, schob seine Tochter äußerst liebevoll – genau genommen mit einem lautstarken Knurren – in Gaylords Richtung und stellte sich neben Amélie. »Hör auf, mich mit Blicken abzustechen!«
Mit einem letzten mahnenden ›Ruhe, zum Teufel!‹ schlug Frédéric seine Bibel an der markierten Stelle auf. »Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke«, las Frédéric vor. Blöderweise beging er den Fehler hochzusehen und fing prompt Ceciles Blick auf. Die Hexe grinste ihn an, und Frédéric konnte sich partout nicht erklären warum! Trotzdem hatte er Mühe, sich auf den Text zu konzentrieren. »Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte, wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts.« Einen gestelzten Text vorzulesen war im Übrigen verflucht mühsam, wenn man gleichzeitig die Gemeinschaft im Blick zu behalten versuchte. Sein Plan lautete ursprünglich, Jason zu überwachen, damit er sich bei dem kleinsten falschen Zucken des Vampirs dazwischenwerfen konnte. Aber wie von selbst spähte er immer wieder zu Cecile. Was zum Henker wollte ihm sein Unterbewusstsein mitteilen? »Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf1.«
Dem Himmel sei Dank hatte er sich eine kurze Textstelle ausgesucht. Wer wusste schon, ob nicht doch einer der Gäste bei zu viel biblischem Gerede in Rauch aufging? Die Putzfrau kam schließlich erst am Donnerstag wieder. Und so leitete er nicht sonderlich geschickt zum eigentlichen Punkt der Veranstaltung über: »In der Gemeinschaft ihrer liebenden Familie und Freunde haben wir uns versammelt, um Gaylord und Pauline bei ihrem Bund zu segnen.«
Jetzt musste er nicht mehr auf sein Buch sehen, dafür begann es plötzlich in seinen Beinen gewaltig zu kitzeln.
»Wollen Sie …«, würgte er heraus. Das Kribbeln jagte durch seinen Körper, erfasste jede Faser, jeden Nervenstrang und schnürte ihm schier die Kehle zu. »… Gaylord La Gouette, die hier anwesende Pauline …« Frédéric brach ab, taumelte und presste die Hände gegen seinen Bauch.
»Sagen Sie bloß, Sie können spontan Ihren Blinddarm durchbrechen lassen«, vernahm er Jasons Stimme wie aus der Ferne, durch einen Nebel. Er verstand das Gesagte, auch dessen Sinn. Frédéric wollte antworten, aber wenn er es tatsächlich schaffte, hörte er seine eigenen Worte nicht.
Die Kirche schien sich um ihn zu drehen. Der Raum verdüsterte sich, die Dunkelheit übermannte ihn allerdings nicht gänzlich. Stattdessen tanzte eine Mischung aus grünen und goldenen Funken vor seinen Augen. Merde, das hatte er alles schon mal gehabt. Vor über zwanzig Jahren.
Frédéric krümmte sich, die Bibel fiel mit einem lauten Knall auf den Boden, und er presste die Fäuste gegen seine Oberschenkel, bis sie schmerzten. Er brauchte einen Gegenreiz, etwas, worauf er sich konzentrieren konnte.
»Erzählen Sie mir irgendwas«, schnaufte Frédéric.
»Ich dachte, die geballte Ladung Lügen über meine Freude zu dieser Eheschließung ist erst später dran«, erwiderte Jason. »Na gut, also ich …«
Aber das Gefasel des Vampirs half nicht im Geringsten. Die verdammten Funken hörten nicht auf herumzuwirbeln! Das Kribbeln breitete sich in seinem gesamten Leib aus, verwandelte sich in schmerzhaftes Stechen und raubte ihm schier den Atem. Plötzlich war es, als verließe er mit einem gewaltigen Ruck seinen eigenen Körper, stünde neben jenem und könnte lediglich zusehen, wie der Weltuntergang in die erste Phase ging. Das Licht in der Kirche veränderte sich. Die vereinzelten Sonnenstrahlen wechselten sich nicht mehr mit Kerzenflackern und Dämmerlicht ab, sondern die Luft schien in fahlem Orange zu flirren.
Es polterte fürchterlich, als sich ein Balken aus dem Dach löste und in den Seitengang krachte. Fassungslos starrte Frédéric auf das Holz. Das war Jasons Werk, oder? Der verflixte Vampir brachte seine Kirche zum Einsturz. Wer sollte es auch sonst sein? Frédéric bestimmt nicht! Dass er spürte, wie er regelrecht in dutzende Energieströme zerfloss, bildete er sich nur ein. Genauso wie die Säulen allein in seiner Fantasie gewaltig schwankten, als die Ströme sie erreichten!
»Himmel«, stöhnte Pauline.
Frédéric sah sie im Augenwinkel in die Arme ihres Zukünftigen flüchten, der immer wieder nach oben spähte.
»Ich glaube, uns fällt wirklich noch die Kirche auf den Kopf.« Gaylord brüllte lauthals: »Alle raus hier. Einsturzgefahr!«
Das Rauschen seines eigenen Pulses in Frédérics Ohren wurde lauter. Er meinte, das Kratzen der Bänke über Steinboden zu hören. In diesem Moment konnte er es nicht länger zurückhalten, nicht mehr buchstäblich hinunterschlucken.
Es brach nicht aus ihm selbst heraus, sondern aus der ganzen Umgebung. Aus dem Jesus, der samt seinem Kreuz zu Boden stürzte. Dem Taufbecken, das in tausend Stücke sprang. In dem Beben unter ihren Füßen. Sogar aus den Säulen, die knirschten und sich vom Dach lösten. Sie wankten wie betrunkene Tänzerinnen, bevor eine nach der anderen das Gleichgewicht verlor. Einige fielen gegen die Außenmauer der Kirche. Eine weitere begrub den Altar unter sich.
Schreie gellten über das Getöse hinweg. Er sah, wie Jeremy Linett samt ihrem Kind packte und gerade rechtzeitig unter einem fallenden Pfeiler wegzerrte. Er fasste sie so fest, dass sie aufschrie, und jagte in Vampirgeschwindigkeit den Mittelgang entlang. Die anderen Menschen wurden bestimmt auf gleichem Wege von den Vampiren nach draußen gebracht. Jedenfalls hoffte Frédéric das inbrünstig, denn sehen konnte er es nicht. Sein Blickfeld schien sich mit jeder Sekunde weiter zu verkleinern und zu verdunkeln. Aber er verlor nicht das Bewusstsein. Warum nicht? Es wäre eine gottverdammte Gnade!
»Was immer Sie tun, hören Sie auf damit«, brüllte ihm Jason ins Ohr.
Im Augenblick wünschte sich Frédéric nichts mehr, als genau das tun zu können. Was immer hier momentan geschah, es sollte definitiv aufhören! Er wollte nichts sehnlicher. Er wusste, dass er die Ursache war und er das Chaos irgendwie lenkte. Er hatte bloß keine Ahnung wie. Er konnte ja nicht mal den kleinen Finger rühren. Als hätte ihn jemand in einen Bottich Zement geworfen und ließ ihn aushärten.
Frédéric fühlte sich gepackt und im nächsten Moment schon wieder losgelassen.
»Fuck«, fluchte Jason. »Er ist so heiß wie glühendes Eisen.«
»Lass mich«, schnarrte die heisere Stimme Ceciles. Oh bitte, sie hatte ihm zu seinem Unglück gefehlt. Doch Frédéric hatte keine Kraft, sich gegen sie zu wehren. Ihre Finger schlossen sich um sein Handgelenk, und es war, als hätte ihm jemand einen Eimer Eiswasser darüber gekippt. Es gelang ihm, sich aus dem Strudel zu lösen, der ihn zu völliger Starre verurteilte, und er strauchelte ihr blindlings hinterher. In seinen Ohren dröhnte es. Staub vernebelte seine sowieso schon begrenzte Sicht und ließ ihn noch unsicherer werden. Er musste sich an Cecile festkrallen, als er über Schutt stolperte. Sacrebleu! Ein Stück Steinmauer. Seine arme Kirche! Frédéric wollte stehen bleiben, den Schaden begutachten, aber für eine Frau besaß Cecile erstaunlich viel Kraft. Als er zögerte, kniff sie ihm in die Seite, trieb ihn voran, und mit einem Mal umfing ihn frische Luft. Er hustete sich den Staub aus dem Hals und rang nach Atem. Endlich hörte das panische Kribbeln hinter seiner Stirn auf, und er erkannte erst Jason, dann Pauline und ihren Bräutigam. Sie waren allesamt völlig verdreckt, und Paulines Schleier hing schief auf ihrem Kopf. Peppi drückte sich winselnd an Jasons Bein, irgendwo lachte Linetts Junge und rief: »Noch mal! Das war lustig!«
»Alle sind in Sicherheit«, verkündete Gaylord.
Immerhin etwas. Frédéric könnte es sich niemals verzeihen, wenn wegen seiner Idiotie jemand zu Schaden gekommen wäre. Oder was hieß hier Idiotie? Es war ja nicht mal Dummheit. Es war einfach nur der elende Fluch seiner Familie. In seiner Kindheit hatte ihn die Magie auf Schritt und Tritt verfolgt, in blanke Desaster geritten und war erst von ihm gewichen, als er gelernt hatte, sie zu ignorieren und in seinem Innersten wegzuschließen. Jetzt hatte das Biest offenbar den Schlüssel gefunden. Ausgerechnet heute! Hätte ihm das nicht auf dem Klo passieren können und nicht vor dieser Bande sensationslüsterner Vampire und Verbrecher? Und warum zum Teufel grinste Jason so?
Frédéric strich sich über das Gesicht und raufte sich die Haare. Das konnte alles nicht wahr sein. Das war wie in einem Traum, völlig unrealistisch. Genau! Das war die Lösung! Er lag in seinem Bett und hatte dieses Chaos lediglich geträumt. Wenn es nur so wäre …
»Ich gratuliere, ich hätte die Hochzeit nicht besser sabotieren können«, raunte Jason ihm zu. »Wenn ich gewusst hätte, dass die Kirche doch nicht so wichtig ist, hätte ich den Sprengsatz selbst deponiert.«
»Das war kein Sprengsatz!« Bei seinem himmlischen Vater, er gäbe viel dafür, dass es so wäre.
Aber sogar Frédéric kannte den Unterschied zwischen einer Detonation durch Sprengstoff und Magie. Dynamit kribbelte nicht wie ein Haufen Ameisen in seinem Inneren, die sich dann einer Super-Nova gleich entluden und regelrecht aus ihm herausplatzten.
Seufzend wandte er sich ab und schritt auf den Trümmerhaufen zu, der einst die Dorfkirche Ajous gewesen war.
Die verflixte Hexe stand mit verschränkten Armen davor und warf ihm einen schiefen Blick zu. »Also das können Sie Jason nun wirklich nicht in die Schuhe schieben.«
2
Verleugnung ist sehr wohl eine Lösung
Guter Gott, nichts wäre ihm gerade lieber, als wenn Jason die Kirche in ihre einzelnen Steine zerlegt hätte.
Keine einzige Wand stand mehr aufrecht. Der spitze Kirchturm lag in der Mitte des Trümmerhaufens wie ein achtlos hingeworfenes Streichholz.
Ein Stück Mauer begrub die Bänke, die früher links des Mittelgangs gestanden hatten, und eine einzelne Lehne ragte heraus. Eine Erhöhung im Schutt ließ erahnen, wo das Dach den Altar unter sich begraben hatte.
Grundgütiger. Es grenzte an ein Wunder, dass niemandem etwas passiert war.
Minutenlang starrte er auf die Trümmer. In seinem Gehirn arbeitete es, und doch kam er zu keinem Schluss. Nur zu dem, dass er sich wünschte, Cecile würde endlich weggehen. Er brauchte sie nicht mal ansehen, um zu wissen, dass sie an einem besonders giftigen Spruch feilte.
Er stöhnte innerlich, als sie wirklich den Mund öffnete.
»Ein magischer Priester also.« Die Feststellung brachte sie so genüsslich heraus, als spräche sie über ein köstliches Essen.
Frédéric starrte sie trotzig an. »Ich verbitte mir solche Behauptungen. Das war ich nicht.«
»Das waren eindeutig Sie.«
»Ich bin Priester.«
»Na und? Geistliche sind deswegen nicht weniger Menschen … Oder Hexer.«
»Ich bin kein Hexer«, fauchte Frédéric.
»Ein Muggel sind Sie aber auch nicht«, mischte sich Jason ein.
»Genau«, stimmte ihm Cecile zu. »Kommen Sie. Sie können es ruhig zugeben. Heute kommt dafür niemand mehr auf den Scheiterhaufen.«
»Es sei denn, Sie bestehen drauf.« Jason stellte sich neben sie und klopfte sich demonstrativ den Staub von seinem Anzug. »Ihr Engagement ist wirklich bemerkenswert. Eine Hochzeit kann man kaum gründlicher vermasseln. Mein Dank wird sich auf dem Bankkonto der Gemeinde einfinden. Von der Spende können Sie die Bruchbude zweimal wieder aufbauen.«
Frédéric hörte wohl nicht richtig. »Es war eine Kirche und keine Bruchbude.«
»Sie haben sie zerstört. Nennen Sie es, wie Sie wollen.«
Frédéric rieb sich die Schläfen. Das hielt doch kein normaler Mensch im Kopf aus!
Eilig drehte er sich weg, wandte dem Ergebnis dieses Desasters den Rücken zu und marschierte auf das Brautpaar zu. Gaylord duckte sich unter Alberts Griff weg, der mit betrübter Miene die Risse im Anzug seines Herrn untersuchte, und Pauline schüttelte ihren Zopf, aus dem unaufhörlich kleine Steine fielen.
»Ich fürchte, wir müssen die Hochzeit verschieben«, seufzte Frédéric. »Es sei denn, Sie möchten vor den Trümmern und inmitten von verstörten Gästen von einem griesgrämigen Pfarrer getraut werden.«
»Suchen wir uns lieber einen neuen Termin. In einer anderen Kirche und am besten noch mit einem anderen Pastor«, stimmte ihm Pauline zu, und er kniff die Lippen zusammen. Aber davon ließ sie sich nicht beirren. Sie musterte ihn zweifelnd von oben bis unten. »Ich habe Angst, dass uns beim zweiten Versuch ein Meteorit erschlägt. Sie sollten schleunigst Ihre Kräfte in den Griff bekommen.«
»Ich habe keine Kräfte!«, brüllte Frédéric.
»Das sagen Sie mal dem rauchenden Schutthaufen«, tönte Cecile hinter ihm.
»Es waren eindeutig Sie«, beharrte Pauline. »Sie haben geleuchtet wie ein Weihnachtsstern.«
»Dabei ist erst Juni«, steuerte Jason völlig unnötig bei.
Frédéric schloss gepeinigt die Augen. Wenn er sich nur lang genug einredete, dass er an dem Fiasko keineswegs beteiligt war, glaubte er es vielleicht irgendwann. »Sind Sie sicher?« Bitte, bitte, sagt Nein! Vielleicht hatten sie ja die gleiche Halluzination gehabt? Gruppenwahnsinn war medizinisch gesehen durchaus möglich!
Aber Pauline, Gaylord, Cecile und Jason nickten völlig synchron und vor allem außerordentlich überzeugt.
»Absolut«, schob Pauline noch hinterher.
Gaylord hüstelte. »So ziemlich jeder hat es gesehen. Die Magie strahlte eindeutig von Ihnen aus. Tatsächlich habe ich nie etwas Vergleichbares erlebt oder davon gehört.«
»Oh, es ist auch sehr selten«, mischte sich Cecile vergnügt ein. Warum zum Henker grinste sie, als hätte sie einen Preis gewonnen? »Solches Leuchten kann auftreten, wenn sich Magie unfreiwillig ihren Weg bahnt.«
»Unfreiwillig?«, fragte Gaylord verdutzt. »Ich dachte, Hexen und Magier hätten ihre Kräfte unter Kontrolle.«
Frédéric knirschte unweigerlich mit den Zähnen. Ja! Eigentlich konnte das magische Gesindel seine Fähigkeiten im Zaum halten. Wenn sie nicht gerade Frédéric Durand hießen und alles dafür taten, jener dämlichen angeborenen Begabung die kalte Schulter zu zeigen.
Offenbar wollte sie sich aber ausgerechnet heute nicht mehr ignorieren lassen.
»Wir telefonieren nächste Woche wegen eines neuen Termins«, sagte Frédéric brüsk. »Ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten.« Die versammelte Gesellschaft, die musternden Blicke und die unterschwelligen Vorwürfe gingen ihm auf die Nerven. Er benötigte Ruhe, und vor allem brauchte er die Gewissheit, dass es ein einmaliger Vorfall war. Allerdings hatte er noch keine Ahnung, wie er die bekommen sollte. Aber ein Schritt nach dem anderen: Erst mit wehendem Talar die Flucht ergreifen, dann sich den Kopf zerbrechen.
Frédéric wandte sich ab und marschierte an den Trümmern der Dorfkirche vorbei, auf sein Fahrrad zu. Es lehnte an der Mauer zum angrenzenden Friedhof. Er wischte gerade den Staub vom Sattel, als sich Jason vor ihm aufbaute und mit einem breiten Grinsen die Arme vor der Brust verschränkte.
»Fahren Sie nach Notre-Dame?«, fragte der Vampir leutselig.
Misstrauisch kniff Frédéric die Augen zusammen. »Wieso?«
»Weil Sie dann mit Cecile den gleichen Weg haben.«
Gott bewahre ihn. Er wollte doch bloß ein wenig Stille und Zeit zum Nachdenken. Nichts davon bekam er in der Nähe dieser verflixten Hexe. »Ich bin mit dem Fahrrad gekommen.«
»Und Cecile mit dem Wagen, binden Sie das Rad hintendran.« Über Frédérics finsteren Blick grinste Jason noch breiter. »Ihre Ausreden taugen nichts.«
»Ich brauche keine Ausreden«, sagte Frédéric so hoheitsvoll wie möglich. »Ich weiß nur nicht, warum ich sie mitnehmen soll. Oder sie mich.«
»Weil sie bei der Restaurierung von Notre-Dame hilft.«
»Fegt sie Schutt zusammen?« Den bissigen Kommentar konnte er sich nicht verkneifen. Der Tag war schon katastrophal genug gewesen, er wollte endlich seine Ruhe!
»Nein, sie erneuert die Zauber, die das Gebäude bisher geschützt haben.«
»Ich bezweifle, dass das der Vatikan gern sieht.«
»Oh, ich habe eine Bestätigung aus Rom«, erwiderte Jason.
Ähm, wie bitte?
Zu Frédérics eigenem Leidwesen spürte er, wie seine Kinnlade gen Boden sackte. Fassungslos starrte er auf das Schreiben, das Jason aus der Innentasche seines Sakkos holte und ihm unter die Nase hielt. Das Siegel des Vatikans würde er noch blind wie ein Maulwurf auf zehn Meilen Entfernung erkennen. Er riss dem Vampir das Papier aus der Hand, und sein Blick huschte über die italienischen Worte. Sie dankten einem Berufsverbrecher für die Großzügigkeit seiner illegal beschafften und durch die Geldwäsche gejagten Spendengelder. Das schrieben sie natürlich nicht in diesem Wortlaut, im Grunde hieß es aber genau das! Herrgott, hatten die im Vatikan kein Verzeichnis über notorische Straftäter, von denen man sich nicht kaufen lassen durfte? Jason Harris war nun wirklich kein unbeschriebenes Blatt! Als schlüge das nicht bereits dem Fass den Boden aus, nahmen sie seine magische Hilfe auch noch dankend an.
Gut möglich, dass er sich wiederholte: Bitte was?
Der Vatikan bedankte sich für übernatürliche Unterstützung? Hatte Frédéric einen Stein auf den Kopf bekommen, das Bewusstsein verloren und war jetzt in einer Parallelwelt aufgewacht?
Die Kirche hasste Magie! Die Bibel fand harte Worte dafür. Wer Hexerei betrieb, war dem Herrn ein Gräuel. Okay, Vampire waren das angeblich ebenfalls, trotzdem gingen Jason und seine Familie in Kirchen ein und aus. Himmel, wenn das der Vatikan mitbekam, schickten sie Frédéric bestimmt keine Glückwunschkarte. Trotzdem erlaubten sie einer Hexe, an einer heiligen Kathedrale, einem Kulturdenkmal, herumzupfuschen? Das wollte ihm nicht in den Kopf.
»Sie sollten den Mund zumachen, sonst sabbern Sie noch auf das Papier«, erklang die Stimme Ceciles. Ihr Tonfall war warm, Frédéric konnte sie jedoch nicht täuschen. Sie amüsierte sich gerade nicht weniger als der dauergrinsende Blutsauger!
Frédéric schloss den Mund, kniff die Lippen zusammen und gab Jason das Schreiben zurück. Es war eine Ungeheuerlichkeit! Jason war die Personifizierung Satans auf der Erde und … Moment mal!
»Wer sagt mir, dass das nicht gefälscht ist?«, blaffte er. »Ich habe keine Benachrichtigung erhalten.«
»Ich finde es erstaunlich, welche Schandtaten Sie mir zutrauen«, erwiderte der Vampir und kratzte sich über den Dreitagebart. »Doch warum sollte ich mir die Mühe machen, Sherlock Holmes?«
»In Notre-Dame befinden sich immer noch wertvolle Reliquien.«
»Reliquien interessieren mich nicht. Im schlimmsten Fall bekomme ich davon nur Migräne«, gab Jason gelangweilt zurück. »Jahrzehntelang konnte ich nicht mal eine Kirche betreten, ohne dass gefühlt mein Schädel explodierte.«
»Und trotzdem haben Sie einen Weg gefunden«, brummte Frédéric. »Religiöse Gegenstände erzielen bei gewissenlosen Sammlern ordentliche Preise.«
Er meinte, in Jasons Augen Interesse aufflammen zu sehen. Hatte er jetzt etwa dem Obermafiosi von Paris etwas Neues erzählt? Ihm gar ein weiteres lukratives Geschäftsfeld eröffnet?
»Sollte in der nächsten Zeit auch nur ein Nagel aus Notre-Dame verschwinden, ziehe ich Sie zur Rechenschaft«, drohte Frédéric. »Ein bisschen Exorzismus dürfte sogar einem Vampir schaden!«
»Wenn er mit einem Pflock im Herzen endet, dann bestimmt«, stichelte Jason. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ihre Freundschaft ist wichtiger.«
Na toll. Wie ungemein tröstlich.
Das letzte, was Frédéric wollte, war die Kumpanei mit einem Berufsverbrecher oder gar zu der Bande, die er mitbrachte. Allerdings war das für seine Nerven besser, als sich im Vatikan für gestohlene Reliquien verantworten zu müssen.
»Fahren Sie mit Cecile«, sagte Jason sanft. »Aus der Nummer kommen Sie heute nicht mehr raus.«
»Meinetwegen«, brummte Frédéric. Was blieb ihm anderes übrig? Jason würde ihm persönlich das Fahrrad verbiegen, wenn er sich weigerte. Für einen Fußmarsch fehlte ihm eindeutig die Kraft. Nach dem Desaster brauchte er jedes Fitzelchen Nervenstärke, das er aufbringen konnte. Sobald er Cecile losgeworden war, würde er bei Bischof Pierlot anrufen und sich diesen Unfug bestätigen lassen. Frédéric wandte sich der Hexe zu, die auf den Zehenspitzen wippte. Deren Kleid saß im Übrigen wie angegossen. Jedenfalls die mickrigen Stücke Stoff, die sie sich gegönnt hatte. Noch weniger Textilien und es wäre ein Body.
»Haben Sie vor, danach ein Freudenhaus aufzusuchen?«, platzte Frédéric heraus.
Cecile hörte auf zu wippen und legte den Kopf schief. »Um zu vermeiden, dass ich es gleich als Beleidigung auffasse, frage ich lieber nach: Was meinen Sie damit?«
»Ihr Kleid bedeckt gerade mal die wesentlichen Stellen.«
»Somit sollte Ihre Tugend außer Gefahr sein«, gab Cecile schnippisch zurück.
Ach, was regte er sich auf? Ein Mann der Kirche hatte keine Gelüste mehr. Schön, das war falsch. Sie waren nur talentiert darin, sie zu ignorieren. Seit seiner ersten Begegnung mit Cecile hatte er die Hexe außerordentlich gut ignoriert. Warum sollte er diese Kunst nicht heute perfektionieren?
»Wollen Sie sich nicht vorher etwas Wärmeres anziehen?«, schlug er wider besseres Wissen vor. »In Notre-Dame ist es kühl. Und wenn Sie niesen, fallen vielleicht die letzten Dachbalken herunter.«
»Überlassen Sie das ruhig mir«, sagte die Hexe eisig.
Sie wirbelte auf dem Absatz herum und marschierte vor ihm zum Wagen. Jason krallte sich das Fahrrad, legte es in den Kofferraum, und weil es herausstand, befestigte er es mit Gurten. Frédéric zerrte sich die Soutane über den Kopf, faltete sie zusammen und klemmte sich das Bündel unter den Arm. Jetzt wiesen ihn nur noch das Kollar und die schwarze Kleidung als Priester aus. Was sollte er sagen? Auch die Männer Gottes mochten es eben bequem.
Er öffnete die Tür von Ceciles Fahrzeug und setzte sich auf den Beifahrersitz. Der Wagen war verflucht klein und besaß nicht mal eine anständige Rückbank, aber das Display über dem Autoradio war beinahe so groß wie ein Seitenfenster.
Es zeigte die Route von Paris nach Ajou an, bis Cecile die Rückfahrt antippte. Sie startete den Motor und lenkte das Gefährt vom Vorplatz der Kirche herunter. Während sie die löchrige Dorfstraße entlangpolterten, folgten ihnen weitere Autos, einige schlugen wie sie die Straße nach Paris ein.
Frédéric sah auf die vorbeiziehenden Häuser von Ajou, die schnell hinter ihnen zurückblieben und weitläufigen Feldern Platz machten. Er rieb sich über die Stirn. Außer der Eheschließung von Gaylord und Pauline hatte er in diesem Monat drei weitere Trauungstermine. Von seinen vier Kirchen war lediglich die St-Pierre de Montrouge betretbar und nicht einsturzgefährdet! Wenn er die auch noch demolierte, war er geliefert. Seit er mit der Überwachung des Wiederaufbaus von Notre-Dame betraut worden war, lagen viel weniger Gotteshäuser und Gemeinden in seiner Betreuung.
Cecile nahm ein besonders tiefes Schlagloch mit Anlauf und quietschte, als sie auf den Sitzen nach oben hüpften. »Vielleicht sollte der nächste Versuch der Hochzeit auf einem Hügel stattfinden. Oder an einem Strand. Hauptsache, es gibt keine schweren Dinge in der Nähe, die uns auf den Kopf fallen können.«
Frédéric brummte nur etwas, von dem er selbst nicht wusste, ob es überhaupt Worte darstellen sollte.
»In welcher Magierichtung sind Sie besonders begabt?«, bohrte Cecile.
»Ich bin nicht magisch begabt!«, beharrte Frédéric. Jedenfalls würde er es vor ihr nicht zugeben!
»Beifahrer eins erscheint schlecht gelaunt«, tönte eine mechanische Stimme aus dem Armaturenbrett.
»Beifahrer eins hat eine Kirche einstürzen lassen«, flötete Cecile.
»Soll die Feuerwehr alarmiert werden?«
»Nein«, rief Cecile aus. »Das fehlte noch.«
»Tatortreiniger wird angefordert.«
Cecile krümmte sich vor Lachen. Sie kam der Hupe mit der Stirn gefährlich nahe, und für einen Moment verriss sie das Lenkrad. Frédéric krallte sich an den Panikgriff über dem Seitenfenster, bis Cecile den Wagen wieder geradeaus lenkte, ohne ständig in Schlangenlinien zu fahren und an einem Feldzaun entlangzuschrammen.
»Beifahrer eins muss ein wenig lockerer werden«, kicherte sie.
Wie schön, dass sie das lustig fand! Er hatte das Eigentum der katholischen Kirche zerlegt – während einer Hochzeit in seiner Verantwortung –, und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er das seinen Vorgesetzten erklären sollte. Spontanes Erdbeben? Tsunamis konnten auch unvermittelt auftreten, warum sollte das nicht bei Beben ebenfalls möglich sein? Vielleicht war die Spurenbeseitigung keine so schlechte Idee.
Genau das wollte er zu dem Wagen sagen, da tönte dieser: »Suche Stripclubs im Umkreis von fünfzig Kilometern.«
»Ich bin Priester«, fauchte Frédéric.
»Welche Konfession?«, erkundigte sich die mechanische Stimme.
»Katholisch.«
»Stripclubs mit minderjährigen Callboys werden gesucht.«
Glück für das Auto, dass es auf dem Bildschirm keinerlei Ergebnisse anzeigte!
»Das ist eines der Autos, die Jason persönlich umgebaut und ausgestattet hat. Also besitzt es zwangsläufig seinen Humor.« Cecile zuckte die Schultern und warf ihm einen entschuldigenden Blick zu.
»Ich schätze den Witz im Leben, aber ich muss mich doch sehr allzu kranker Vorurteile verwehren.«
»Sie können ja wohl kaum leugnen, dass …«
»Jeder Dieb ist nicht automatisch ein Vergewaltiger«, blaffte Frédéric. »Oder jeder Vampir ein gewissenloser Mörder. Verflucht, streichen Sie das. Gott besitzt sehr viel Liebe, sonst hätte er die Menschheit schon aussterben lassen. Ach was, vielmehr verfügt er über ein hohes Maß Humor.«
»Grenzt das nicht an Blasphemie?«
»Ich würde es Realitätssinn nennen.«
Cecile grinste erneut. Immerhin hielt sie den Mund, bis sie endlich Notre-Dame erreichten. Sie parkte an der Seite des Gebäudes, neben einem stählernen Bauzaun, und Frédéric stieg aus. Notre-Dame war schon vor dem Brand eine Baustelle gewesen, jetzt würde sie es noch sehr viel länger sein.
Das Feuer hatte die alte Dame empfindlich beschädigt, aber es hatte sie nicht umgebracht. Die meisten Reliquien hatten die Katastrophe heil überstanden und lagerten nun in der Krypta. Sogar die bemalten Fenster waren erstaunlich gut davongekommen. Nur eines war zerbrochen. Das Hauptportal und ein paar Ölgemälde hatten dafür umso mehr gelitten, doch die Experten beteuerten, sie restaurieren zu können.
Es grenzte an ein Wunder, dass nicht mehr passiert war. Ein Wunder, dass man vielleicht sogar Cecile zu verdanken hatte.
»Ihre Magie hat sicher einige schlimme Zerstörungen verhindert«, gab er widerwillig zu.
»Sagen Sie jetzt nur noch, Hexerei kann auch nützlich sein.«
»Ich habe nichts gegen Übernatürliches, solange es sich von mir fernhält.«
Cecile blinzelte in den Himmel und sah die Strebebögen hinauf zu den kastenförmigen Türmen. »Sie Witzbold. Sie sind ein Magier, das Übernatürliche hält sich nicht von Ihnen fern. Es ist ein Teil von Ihnen. Ein Geschenk.«
»Danke, aber ich hatte schon immer was dagegen, Geschenke aufs Auge gedrückt zu bekommen, die man nicht umtauschen kann.«
»Haben Sie solche Ausbrüche öfter?«
»Mon dieu, nein. Ich bin von dieser ›Gabe‹ seit gut zwanzig Jahren nicht mehr behelligt worden.«
Cecile trat um den Wagen herum und lehnte sich gegen die Motorhaube. »Sie verdrängen seit zwei Jahrzehnten einen wesentlichen Teil Ihres Lebens?«
»So kann man es sagen«, erwiderte Frédéric. »Bisher war es sogar recht einfach.«
»Sie haben am Ende nur eine Kirche in Schutt und Asche gelegt.«
»Immerhin habe ich zwanzig Jahre lang nichts anderes zerstört.«
»Aber auch niemandem geholfen.«
»Wollen Sie mir sagen, ich würde meinen Job schlecht machen?«, stichelte Frédéric und ging auf den Bauzaun zu, um das Tor aufzuschließen. Dabei schienen sich Ceciles Blicke in seinen Rücken zu bohren. Elender Mist. Er wusste selbst, worauf sie hinauswollte, und Cecile wusste es ebenfalls. Sie verdrehte die Augen, stieß sich von der Motorhaube ab und baute sich vor ihm auf. »Ich rede von Ihrer Magie. Was für ein Hexer sind Sie? Wo liegt Ihre besondere Stärke?«
»Ich würde sagen im Ignorieren. Und da wir gerade dabei sind – wenn Sie mir aus dem Weg gehen, könnte ich Sie gleichermaßen ignorieren.«
Er wollte sich an ihr vorbeischieben, aber Cecile machte sich einfach größer und vor allem breiter. Sie stemmte die Arme in die Luft, und bedauerlicherweise gab es an Notre-Dame nichts Loses mehr, das er ihr auf den Kopf fallen lassen könnte.
Cecile stieß mit dem Zeigefinger gegen seine Brust. »Warum zum Teufel können Sie mich nicht leiden?«
»Sie sind eine Hexe.«
»Ha!«, rief Cecile aus. »Ein Psychologe hätte jetzt bestimmt ein paar nette Theorien. Sie haben Angst vor der Magie und damit auch vor mir.«
»Dem muss ich widersprechen. Ich mag Magie nicht, und Sie finde ich aufdringlich. Wenn Sie mir noch näher kommen, schmieren Sie Ihr Make-up an mein Hemd.«
»Ein wenig Farbe könnte Ihnen nicht schaden«, zischte Cecile.
»Und Ihnen ein bisschen weniger, aber wir haben Arbeit vor uns.«
Er griff nach ihrem Arm und sehr schön, sie zuckte überrascht zurück. Das bot ihm genau die Ablenkung, die er brauchte, um sich an ihr vorbei zu schieben. Er schlüpfte durch das Tor des Bauzauns und hechtete zum Nebeneingang. Leider war er zu langsam, um die schwere Holztür vor Ceciles Nase zufallen zu lassen, oder besser noch gegen ihre Nase.
»Ich weiß genau, was Sie vorhaben«, murrte Cecile. »Ich bin eine Hexe der Voraussicht.«
»Dann haben Sie das mit dem Einsturz der Dorfkirche vorausgeahnt und mich nicht gewarnt?«
»Da wäre mir doch der Spaß entgangen, Sie völlig bedröppelt vor den Trümmern zu sehen.«
»Und Sie fragen sich, warum ich Sie nicht leiden kann«, fauchte Frédéric. Er ließ die Tür einfach los. Sie fiel tatsächlich gegen Cecile, aber nicht in deren Gesicht, sondern erwischte nur ihre Schulter.
Sie ächzte, verfluchte ihn als einen stocksteifen Penner und stemmte sich gegen das schwere Holz, das in den Scharnieren quietschte. Frédéric schritt an den Gerüsten vorbei und sog die kühle Luft ein, die trotz des fehlenden Daches zwischen den Mauern herrschte. Der Schutt des verbrannten Dachstuhls war mittlerweile weggeräumt worden. Die Bänke, die noch verwendbar waren, stapelten sich neben dem bronzenen Volksaltar.
Hinter ihm krachte die Tür ins Schloss, und er hörte das schnelle Klappern ihrer Absätze auf den steinernen Bodenfliesen, und ein weiteres Geräusch erklang. Ein Klopfen. Es drang aus der Apsis. Frédéric durchquerte den Seitengang, ging am Altar, der marmornen Maria und dem glänzenden Kreuz vorbei und warf einen Blick in den abgeteilten, halbrunden Raum. Er vernahm das Rascheln von Ceciles Kleid, aber sie hatte die Schuhe ausgezogen und folgte ihm auf leisen Sohlen.
In der Nische klopfte ein Mann mit den Handknöcheln gegen die Wände. Zentimeter für Zentimeter schien er abzusuchen. Er wandte ihnen den Rücken zu, doch als er sich ein Stück zur Seite drehte, erkannte Frédéric die y-förmige Narbe auf der Wange des Mannes.
Das war … der Erzbischof von Paris!
»Monseigneur Pierlot!«, rief Frédéric verblüfft und trat in die Apsis. »Kann ich Ihnen behilflich sein? Suchen Sie etwas?«
Der Erzbischof fuhr herum. »Suchen? Ich? Nein«, stammelte er. Er zerrte an seinem Kragen, als wäre er viel zu eng. »Also … ich … ich wollte nur überprüfen, wie die Bauarbeiten vorangehen.«
»Haben Sie mit dem Abklopfen die Standfestigkeit des Gebäudes überprüft?«, fragte Cecile zweifelnd.
Sie stand nahe bei Frédéric, und Monseigneur Pierlots Blick zuckte zu ihr. »Wer sind Sie?«
»Ich bin die Sachverständige für die Statik«, grinste Cecile.
»Es gibt ein Schreiben aus dem Büro des Papstes, dass sie den Wiederaufbau unterstützen soll«, warf Frédéric ein. Magisch unterstützen. Doch diese Worte wollten ihm einfach nicht über die Lippen. Außerdem schien der Erzbischof nicht den geringsten Schimmer von einem solchen Schriftstück zu haben. Er starrte Frédéric völlig verständnislos an. Wenn Jason es gefälscht hatte, würde er ihn im Weihwasser ertränken!
»Nun … ich werde das prüfen.« Monseigneur Pierlot richtete sich auf und atmete tief durch. »Genau, ich überprüfe es und melde mich bei Ihnen.« Er ging auf sie zu, und Frédéric trat zur Seite, um ihn zurück in das Kirchenschiff zu lassen. Cecile tat jedoch nichts dergleichen. Sie stand am Eingang der Apsis und starrte den Erzbischof an, als hätte sie nicht weniger vor, seine Seele zu ergründen.
Das diffuse Licht spiegelte sich in den Schweißtropfen auf Monseigneur Pierlots Stirn. »Hier wird nichts angerührt. Weder durch Sie noch durch Madame äh wie auch immer Sie heißen!«, sagte er plötzlich schärfer und fixierte Frédéric. »Es wäre sehr bedauerlich, wenn Ihr Posten als betreuender Priester für Notre-Dame so schnell wieder infrage zu stellen sein müsste. Sie haben die Verantwortung für diese Kathedrale!«
Mit einem Ruck drehte er sich herum und schritt davon. Genau genommen rannte er fast.
»Ist er immer so seltsam?«, fragte Cecile zweifelnd.
»Nein.« Frédéric schüttelte den Kopf. »Normalerweise ist er sehr besonnen.« Er wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Andererseits hatte Monseigneur Pierlot vielleicht einen ähnlich miesen Tag wie Frédéric gehabt. Wer könnte ihm dann seine ungewöhnliche Laune verdenken?
3
Magie abzugeben, nur wenig gebraucht
Er wollte sich gerade abwenden, da stieß Cecile ein hohes, kieksendes ›Oh‹ aus und zupfte an seinem Ärmel.
»Sehen Sie mal.« Die Hexe deutete auf die Fliese eines Seitenschiffes, aus der ein goldener Zapfen herausragte. Er bildete die einzige Unregelmäßigkeit im Muster der hellen und dunklen Steine, die den Boden Notre-Dames in ein flaches, kaum auffälliges Labyrinth verwandelten. Heute leuchtete der Zapfen im Schein eines einzelnen Lichtstrahls.
»Ja, es ist der 21. Juni«, stellte Frédéric fest.
Cecile sah ihn fragend an.
»Immer zur Mittagszeit des 21. Juni scheint die Sonne durch die einzige unbemalte Scheibe auf jenen Zacken.« Er deutete auf das Glasfenster, durch das es ein einzelner Sonnenstrahl geschafft hatte, während die anderen sich an dem Buntglas brachen.
»Warum eigentlich?«
»Das wissen allein Gott und die Erbauer.« Frédéric hob die Schultern. »In der Kathedrale von Chartres gibt es so was auch. Bisher hat niemand herausgefunden, welche Funktion die goldenen Nadeln haben.«
»Niemand mit Magie«, erwiderte Cecile listig.
»Das Gebäude ist ohnehin schon instabil. Ich denke nicht, dass Hexerei eine gute Idee ist.«
»Ihre womöglich nicht. Sie neigen zu roher Gewalt.« Das Grinsen, mit dem sie das sagte, gefiel ihm irgendwie nicht. Es war … anzüglich. »Aber mit meiner vielleicht.«
»Wie soll das gehen? Sie sind Wahrsagerin.«
»Hellseherin.«
»Wo ist der Unterschied?«
»Ich kann Ihnen mit Bestimmtheit sagen, dass Sie sich von mir bedroht fühlen und sich deswegen so unmöglich verhalten.«
»Dann sind Sie eine miserable Wahrsagerin«, gab Frédéric zurück.
»Nein«, schnappte Cecile. »Sie sind nur ein schlechter Lügner und ein unbelehrbarer Sturkopf!«
Sie kniff die Lippen zusammen, und Wut blitzte in ihren Augen auf. Es war so einfach, sie zu provozieren. Wusste sie das nicht? War ihr nicht klar, dass er das manchmal mit Absicht tat? Weil … Ja, warum? Er sollte die Menschen behüten, ihnen beistehen und ihnen Gottes wunderbare Liebe zeigen. Diese Hexe machte ihn allerdings wahnsinnig! Sie verkörperte alles, was er nicht sein wollte!
Aber bevor er ihr derartiges an den Kopf werfen konnte, wandte ihm Cecile den Rücken zu, ging zu dem golden leuchtenden Zacken und ließ sich auf die Knie sinken. Sie beugte sich nach vorn, und er schwor bei allem, was ihm heilig war, dass sie ihm mit Absicht ihren Hintern entgegenstreckte.
Gott prüfte ihn. So und nicht anders war es! Nur war sich Frédéric noch nicht so richtig einig, ob Gott seine Standhaftigkeit in Bezug auf das Zölibat oder einfach das Durchhaltevermögen seiner Nerven prüfen wollte. Er traute dem Höchsten alles zu. Vermutlich lief da wieder eine Wette mit dem Teufel persönlich. Genau jener flüsterte ihm in diesem Moment ein, dass Ceciles Hintern wie ein reifer Pfirsich aussah. Leider musste er Luzifer recht geben. Natürlich sah er so aus. Sie trug ja auch ein Kleid von der gleichen Farbe wie die Frucht! Es passte überhaupt nicht zu ihrem Teint! Und hé, er wäre nicht der einzige Priester der katholischen Kirche, dem das auffallen würde. Und warum bekam er gerade solche Kopfschmerzen?
»Was ist los?«, weckte ihn Ceciles Stimme aus seinem heimlichen Leiden. Sie hockte noch immer auf den Knien und hatte sich ihm zugedreht. »Sie sehen aus, als kotzten Sie hier gleich die verbliebenen Trümmer voll.«
»Ich fürchte, ich bekomme Migräne«, seufzte Frédéric.
»Das ist nicht ungewöhnlich, wenn die Magie sich mit Gewalt Bahnen bricht«, erwiderte Cecile. »Es wundert mich, dass Sie vorhin nicht in Ohnmacht gefallen sind.«
»Müssen Sie immer von Neuem damit anfangen? Wenn ich jetzt von Spatzen rede, lenken Sie das Thema auch nur wieder auf diesen unglücklichen Zwischenfall mit dem Erdbeben.«
»Erdbeben?«, echote Cecile. Sie hievte sich auf die Füße und streckte dabei ihren Hintern noch weiter raus.
Gott bewahre, und er hatte ernsthaft gedacht, mit knapp vierzig Jahren wäre er endlich über die kritischste Phase hinaus.
»Das war kein Erdbeben«, rief Cecile. »Im Leben nicht und egal, wie oft Sie es sich einreden. Sehen Sie es ein: Sie sind und bleiben ein Hexer!«
»Shhht«, machte Frédéric, packte Cecile und legte ihr die Hand auf den Mund. Merde, sie könnte genauso gut eine Anzeige bei der hiesigen Tageszeitung rausgeben. Am besten als Schlagzeile auf dem Titelblatt, damit es ja jeder mitbekam! Was, wenn der Erzbischof noch hier war und sie hörte? Dann war er geliefert!
»Hören Sie auf, davon zu reden«, zischte Frédéric. »Hier laufen gern Mitglieder der Kirche herum, und die meisten wissen wahrscheinlich nicht mal, dass ihr existiert!«
Cecile trat ihm gegen den Fuß, und stöhnend lockerte er seinen Griff.
»Ihr solltet wirklich mal toleranter werden.«
»Daran besteht kein Bedarf.«
»Daran besteht jede Menge Bedarf«, fauchte Cecile. »Sonst sind Sie bald ausgeschlossen.«
»Was?«
»Sie glauben doch wohl nicht, dass Ihre Magie sich jetzt hübsch wieder ins stille Kämmerlein zurückzieht?«
Nicht? Gerade darauf hatte er spekuliert …
Cecile verdrehte die Augen, und ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. »Irgendwas in Ihnen ist heute zum Vorschein gekommen, und es kam nicht einfach so. Also wird es sich auch nicht einfach wieder legen.«
Verlag: Zeilenfluss
Texte: Allyson Snow
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Cover: © T.K.A-CoverDesign / t.k.alice@web.de
Lektorat: Juno Dean, Mathew Snow
Satz: Zeilenfluss
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2020
ISBN: 978-3-96714-085-9
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