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Ein trostloser Anblick bot sich den Erdbewohnern. Der Kalender zeigte den 23.12. an, doch, wo blieb das Weihnachten? Die weiße Schneedecke, die im Licht der schwachen Sonne immer so geglänzt und geglitzert hatte? Die hellen, bunten Lichter, die die dunklen Straßen abends erhellten? Die fröhliche und heilige Stimmung?
All dies war heute, einen Tag vor Weihnachten, nicht zufinden. Die schwache Sonne versuchte mit letzter Kraft sich durch die dicke Wolkendecke zu kämpfen, doch scheiterte sie. Der Rauch, der aus den Kaminen kam flog einige Meter durch die windstille Luft, bevor sie sich mit dem Nebel, der dicht über den Häusern hing, vermischte. Wenn man sich dieser Szenerie besah, kamen einem viele Fragen auf. Was würde mit dem Rauch geschehen, wohin würde seine merkwürdige Reise ihn führen, würde er nie verwehen? Eine sehr gute Frage, wenn man mal so drüber nachdachte. Der Rauch war das einzigste, das sich in dieser trostlosen, kalten Landschaft bewegte, doch auch dieser verebbte so langsam.
Es war so nebelig, dass man nicht einmal mehr die Häuser in der Ferne erkennen konnte. Der Boden war nass und matschig und kein Wanderer hatte heute die Motivation nach draußen in den Wald spazieren zu gehen. Denn alle Bäume, die sonst so viel Wärme und Kraft ausstrahlten, waren kahl und tot. Alles war schläfrig. Kein Vogelgezwitscher, kein plätscherndes Wasser . In den Zeitungen keine Meldungen von Glück und Frieden, sondern von Hass, Krieg und Zerstörung. Fensterläden waren geschlossen und die Fenster, die nicht von grauen Jalousien verschlossen wurden, wurden von Vorhängen verdeckt, ganz so, als wollten sie das Elend draußen nicht mit ansehen.
Doch weit weg, irgendwo im dichten weißen Nebel, flackerte ein orangenes Licht auf. Es war klein, geradezu winzig, doch es flackerte unermüdlich, als würde es versuchen, die Welt mit seinem Schein zu erhellen. Die kleine Kerze stand Meilenweit entfernt auf dem Sockel eines Kruzifixes. Das Kreuz war nass und vom Gesicht der Figur perlten kleine Tropfen, die wie Tränen über die Wange der Jesusstaue flossen. Doch die kleine Kerze brannte weiter, schien gar nicht daran zu denken, zu erlöschen. Und das tat sie auch nicht. Sie brannte und brannte, immer weiter und die Menschen, die aus ihren Fenstern schauten, begannen zu lächeln, als sie das Licht der Kerze erblickten. Das orangene Licht wand sich und wurde größer, brachte mit seinem Schein noch mehr Leute zum lächeln. Es schien wie ein Geschenk Christus zu sein, ein Zeichen dafür, dass die wahre Weihnacht doch noch kam, und die Menschen die Hoffnung daran noch nicht aufgeben sollen.
Doch dann erlosch das kleine Licht der Kerze mit einem letzten Aufflackern. Vorbei mit der Wärme und dem Geschenk Christi. Denn eine kleine Schneeflocke lag nun auf dem Docht des Teelichts, welche den Schein zum erlöschen gebracht hatte. Eine zweite Schneeflocke fiel vom Himmel. Eine dritte und eine vierte folgten zugleich, gefolgt von tausend anderen. Sie rieselten leise auf die Erde hinab, legten sich dort zur Ruh, wurden aber auch schon gleich von anderen Flocken überhäuft. „Mama, es schneit!“, hörte man ein Kind rufen und es zündete eine Kerze am Fenster an. Die Nachbarn taten es ihm gleich, beleuchteten ihren weihnachtlichen Fensterschmuck beim Anblick des weißen Schnees, der langsam auf die Erde prasselte. Wie ein Feuer verbreitete sich die Nachricht der weißen Flocken und somit auch das Licht an den Fenstern der Häuser. Vielleicht wurde dieses Jahr ja doch noch Weihnachten.

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Tag der Veröffentlichung: 25.12.2010

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