Es war so finster, dass selbst die Straßenlaternen sich schwer taten, Licht ins Dunkel zu bringen. Beim Verlassen des Hauses zog mir der eisige Wind einen Schauer über den Rücken. Die Härchen an meinem Körper standen stramm, wie disziplinierte Soldaten. Gedanklich hing ich noch der wohligen Wärme meines flauschigen Bettes nach und kuschelte mich in die Arme meines Freundes. Ich taumelte benommen über die Straße in Richtung Bushaltestelle. Die schlechte Laune lief quer über mein Gesicht, tief gestellte Augenbrauen, fahler, zusammengepresster Mund. Von weitem sah ich schon die graue Traube von Menschen auf den Bus warten. Mittlerweile kannte ich eigentlich alle von ihnen, wenn auch nur vom Sehen, die Menschen, mit denen ich das morgendliche Leid teilte. Bei denen, wie auch bei mir, fiel sofort auf, wie ungern sie um diese Uhrzeit unterwegs waren. Da stach mir auf einmal der Anblick dieser Frau in die Augen. Ich sah sie an diesem Tag zum ersten Mal. Sie stand in der Menschenmenge und lächelte. Ihre weißen Zähne strahlen inmitten ihrer schokoladigen Haut. Als ich an ihr vorbei lief, nickte sie und grüßte. „Guten Morgen.“
Ich war ganz perplex. Ihre Freundlichkeit traf direkt auf mein morgendliches Selbstmitleid. Ich nickte kurz zurück, mein Gesichtsausdruck blieb verkrampft, und ich stellte mich ein Stück weiter von ihr weg. Mein Blick wanderte durch die Menge, bis ich wieder von ihrem Anblick gefangen war. Sie war eine ältere Frau, klein und etwas füllig an den Hüften. Eigentlich unscheinbar, wenn da nicht etwas Außergewöhnliches an ihr gewesen wäre. Ihre Augen glitzerten wie die Sonne im Wasser. Mein verzerrtes Gesicht löste sich langsam auf. Ich betrachtete sie lange, es war schon fast peinlich, aber ich fühlte mich einfach gut, wenn ich sie anschaute. Dann kam der Bus. Wir stiegen einer nach dem anderen ein. Der faltige Fahrer starrte unverwandt durch die Frontscheibe nach draußen. Er schien so desinteressiert zu sein, kontrollierte noch nicht einmal die Fahrausweise. Ich war eine der Letzten, lief durch den Gang und sah, dass neben der Frau noch ein Platz frei war. Ohne zu zögern, setzte ich mich neben sie. Ich wollte mich in ihrer Ausstrahlung sonnen. Sie lächelte mich an. Ich fragte mich, was es war, das ihr diesen bitteren Morgen so sehr versüßte …
Ich klappte mein Buch auf. Immer wieder schaute ich einen verstohlenen Wimpernschlag lang zu ihr rüber, nachdem ich aus dem Fenster blickte. Leere durchzog die Stadt, farblos waren die wenigen Statisten auf den Straßen … Überall im Bus saßen Geister mit Mundwinkeln, die von der Erde angezogen wurden. Nur sie – sie war anders. Ich brachte kein Wort über meine Lippen, obwohl ich so gern an ihren Gedanken teil gehabt hätte.
Texte: © Savanna
Tag der Veröffentlichung: 24.04.2010
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