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Krähenwald

Krähenwald

 

Die illustre Gesellschaft feierte ausgiebig im kleinen Ballsaal des Jagdschlösschens Krähenwald. Hausherr Eugen Graf von Litzenburg hatte geladen und seine Gäste amüsierten sich prächtig.

Wein, Weib und Gesang, alles war im Übermaß vorhanden. Es wurde getanzt, gelacht und sehr viel getrunken. Die eine oder andere Zote wurde hinter vorgehaltenen Händen getauscht und die Damen in ihren rauschenden Ballkleidern kicherten verzückt.

Die riesige goldverzierte Standuhr im Saal schlug zwölfmal und es passierte nichts weiter. Die Gäste berauschten sich und dachten noch lange nicht an das Ende der Feierei.

 

Draußen im Krähenwald wurde es langsam hell. Der Morgen erwachte und zog Nebelschwaden hinter sich her. Die Käuzchen verstummten, die Fledermäuse zog es nach ausgiebiger Nahrungsaufnahme zurück in die geschützten Höhlen.

 

Aus dem Schlösschen drang noch immer laute Musik. Eine Person näherte sich dem Eingangstor des Anwesens. Vor dem Tor blieb die Person stehen und legte etwas auf den Boden. Zaghaft hob der oder die Unbekannte die Hand und berührte den prunkvoll verzierten Türklopfer. In der Mitte des Türklopfers befand sich ein grimmig ausschauender Löwenkopf. Es schien, als möge er sagen „Halt Fremder, bleib stehen!“. Der Löwenkopf war umrahmt von prächtigen barocken Messingornamenten. Unterhalb des Löwenkopfes befanden sich zwei Bernsteine, in deren Mitte jeweils ein schwarzer Hämatit eingefasst war. Sie sahen aus wie geheimnisvolle Katzenaugen. Durch das Maul des Löwen war ein Ring gezogen und diente den Besuchern des Schlosses als Klingel.

 

Der Fremde betätigte mehrmals den Klopfer. Dumpf drangen die Klopfgeräusche in das Innere des Hauses und waren das Zeichen für den in der Eingangshalle sitzenden Hausdiener zur Tür zu eilen. Er zog die schwere Holztür auf. Niemand stand vor der Tür. Der Diener sah sich um und blickte auf den Boden. Er schrak zurück.

 

Vor ihm lag ein abgeholzter Rosenbusch. Mit einem Blick konnte er erkennen, dass es der absolute Lieblingsbusch der Hausherrin war. Die Chastity-Claire Rose war äußerst selten zu bekommen und galt als die teuerste Rose der Welt.

Blutrote Blüten, denen der Lebenssaft entwich und sie begannen zu welken.

 

„Alfons, oh Alfons“.

 

Hinter dem Diener sah man in das völlig verzweifelte Gesicht der Hausherrin Gräfin Eleonore.

„Meine Rosen, wer hat das nur getan?“ Von Weinkrämpfen geschüttelt hielt sie eine sterbende Blüte in der Hand.

Graf von Litzenburg erschien und starrte auf den Boden. Seine Miene verfinsterte sich, als er seiner Gattin beistand. Im Haus hatte es sich herumgesprochen, dass etwas Schreckliches passiert war. Die Gäste versammelten sich in der Eingangshalle und murmelten Beileidsbekundungen.

 

Frau von Hagens-Stettens fiel beim Anblick des massakrierten Rosenbuschs in Ohnmacht.

 

Noch am Nachmittag wurde der Gärtner des Hauses beauftragt, den Rosenbusch zu beerdigen. Er sollte an seinem angestammten Platz im Garten seine letzte Ruhe finden.

Vorsichtig trug der Gärtner den Busch in den Garten. „Verflucht“, drang es aus ihm heraus und er ließ den Busch fallen. Blutrote Tropfen tropften von seiner linken Hand auf den Boden. Die Stacheln waren noch immer äußerst spitz und gefährlich.

Angewidert warf er den Rosenbusch in das zuvor ausgehobene Grabesloch.

 

Die nächsten Tage verbrachten die Gäste des Hauses ruhig und besinnlich. Kaum jemand verspürte Lust auf vergnügliche Dinge wie tanzen, jagen oder lästern. Einige Damen lustwandelten im Garten herum und fast immer zog es sie zu dem Grab mit dem verendeten Rosenbusch. Frau Eleonore telefonierte fieberhaft mit der Welt, um diesen so schmerzlichen Verlust wieder auszugleichen. Doch niemand bot aktuell eine Chastity-Claire Rose an.

 

Langsam wich die Trauer von den Gästen und der Hausherr Graf von Litzenburg lud am Samstagabend erneut in den kleinen Ballsaal. Man freute sich, die trüben Gedanken loszuwerden und warf sich mächtig in Schale. Abermals wurde getanzt und gelacht, getrunken und gegessen. Es herrschte wieder Fröhlichkeit im Schlösschen Krähenwald.

 

Niemand von den Gästen hörte das laute Klopfen an der Eingangstür. Nur Diener Alfons hörte es. Sinnierend, wer noch zu so später Stunde Einlass begehren könnte, öffnete er die schwere Tür. Wieder stand niemand vor der Tür. Alfons wollte gerade die Tür wieder schließen, als er auf der Treppe etwas Weißes liegen sah.

 

Alfons lief ins Schloss und holte eine Laterne aus der Abstellkammer, denn draußen war es stockfinster.

Zurück auf der Treppe leuchtete der Diener den auf einer Stufe liegenden weißen Gegenstand an.

 

„Oh nein“.

 

Vor ihm lag Bruno, der kapitale Ganter des Hauses. Offensichtlich hatte man ihn erwürgt. So schnell ihn seine doch etwas zu kurz geratenen Beine trugen, lief Alfons ins Schloss. Wild um sich wedelnd rannte er in den kleinen Ballsaal. Als die Gäste Alfons so aufgelöst sahen, blieben sie alle regungslos stehen. Die Musik verstummte und der Diener erzählte mit gebrochener Stimme von dem schrecklichen Fund auf der Eingangstreppe.

 

Frau Eleonore brach weinend zusammen. „Nicht Bruno, unser geliebter Bruno“, stammelte sie. Die Gäste waren ebenso wie der Hausherr zutiefst erschüttert. Bruno war der Lieblingsganter des Grafen und der Gräfin und wurde verhätschelt und jeden Tag getätschelt.

„Wer macht denn so etwas Böses?“

Niemand konnte sich vorstellen, wer so eine abscheuliche Tat begehen könnte.

 

Einige Gäste gingen nach draußen, um Bruno die letzte Ehre zu erweisen.

 

Frau von Hagens-Stettens fiel beim Anblick des massakrierten Ganters in Ohnmacht.

 

Als alle Gäste wieder im Schloss versammelt waren, erhielt Diener Alfons von Graf von Litzenburg die Anweisung das ermordete Tier in die Küche zu geben. Als passionierter Jäger war es ihm zuwider Fleisch nutzlos vergammeln zu lassen. So tat Bruno noch etwas Gutes.

 

Am darauffolgenden Mittag wunderten sich die Gäste, dass es ausgerechnet nach dem Tode von Bruno Gänsebrust zum Mittagstisch gab, aber es schmeckte allen ganz vorzüglich.

Der Gärtner saß bei der Köchin in der Küche und wischte sich genüsslich den Mund ab. Auch ihm hatte Bruno, zumindest ein Teil von ihm ebenfalls ganz hervorragend geschmeckt. Mit breitem Grinsen im Gesicht bedankte er sich bei der Köchin für das köstliche Mahl.

 

Schmerzumnebelt waren die Gesichter der Gäste, als sie nach dem Mittagessen einen Verdauungsspaziergang im Krähenwald unternahmen. Sogar die Krähen krächzten andächtig von den Baumwipfeln herunter auf die Trauerschar. Doch das Leben musste weitergehen und man verabredete sich zu einem vergnüglichen Spieleabend im Schloss.

 

Das Kaminfeuer loderte. Die kleinen, geschmackvollen Sitzgruppen in der Bibliothek des Schlosses luden zu gemütlichen Spielerunden ein. Schnell fanden sich die Gäste zu Canasta-Partnerschaften zusammen und die Karten wurden gemischt. Der alte Whisky und die Zigarren schmeckten. Die Damen ließen sich vom Hausmädchen reichlich Sherry aus der antiken Karaffe nachschenken. Die Stimmung war gedämpft, aber entspannt. Hin und wieder vermischte sich herzhaftes Lachen mit dem prasselnden Kaminfeuer.

 

Die Kaminuhr schlug zwölfmal. Mitternacht lag im vom Zigarrenrauch vernebelten Raum.

 

Diener Alfons war schon den ganzen Abend über nervös. Er litt unter Vorahnungen, ganz bösen Vorahnungen.

Er sollte nicht enttäuscht werden.

Alfons wartete förmlich hinter der schweren Eingangstür auf das Klopfen. Und es klopfte lauter als zuvor. Unheilvoll drang es durch die Eingangshalle. Der Diener zuckte zusammen. Vorsichtig öffnete er die Tür.

Es schien, als ob die Katzenaugen unter dem Löwenmaul des Türklopfers ihn eindringlich ansahen. Hatte der Löwe nicht gerade in seine Richtung geblickt? „Nun werden hier auch noch Türklopfer lebendig“, dachte er und schüttelte seinen Kopf.

 

Erwartungsgemäß stand wieder kein Besucher vor der Tür. Zumindest kein Lebendiger.

Zu Alfons Füßen lag Frau Schüllerode. Er erkannte sie genau. Sie war die Frau des Gärtners und half ab und zu in der Küche aus. Er mochte sie und nun lag sie tot vor ihm. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten ihn an. Sie hatte so ähnliche Katzenaugen wie die in die Tür eingefassten Bernsteinaugen. Alfons wich zurück.

Sein Schrei gellte durch das Schloss bis hinein in die Bibliothek. Die Gäste sahen sich an und ahnten, dass wiederum etwas Schlimmes passiert sein musste. Alfons stammelte etwas von einer Leiche und zeigte mit zittrigem Zeigefinger nach draußen. Die Gäste, allen voran der Graf liefen durch die Eingangshalle und machten jäh vor Frau Schüllerode halt.

 

Eugen Graf von Litzenburg fiel beim Anblick der massakrierten Frau in Ohnmacht.

 

Eiligst rief man die Polizei und einen Notarzt für den Grafen herbei. Der Krähenwald und das Schlösschen wurden durch die vielen Blaulichter der Polizeiwagen gespenstisch angestrahlt. Geschäftig beugten sich die Spurensicherer über die Leiche. Aus einer schwarzen Limousine stieg ein älterer Herr im grauen Trenchcoat aus und ging gemächlich auf die geschockte und trauernde Gästeschar zu. Er stellte sich als Kommissar Bode vor und schien einen kompetenten Eindruck zu machen.

 

Dem Herrn Graf von Litzenburg, der vom Notarzt behandelt wurde, ging es schon viel besser. Er war vernehmungsfähig und beantwortete mit gebrochener Stimme die Fragen des Kommissars. Alle Gäste mussten sich im großen Salon des Schlosses versammeln und wurden der Reihe nach vernommen. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört und alle hatten ein Alibi. Das Canasterspiel erwies sich als Retter in der Not.

 

Ein Leichenwagen fuhr vor die Treppe zum Eingang und Frau Schüllerode wurde abtransportiert. Niemand hatte den Gärtner bemerkt, der von Weinkrämpfen geschüttelt im Garten hin und herlief. „Meine arme Frau, meine arme Frau“, schrie er verzweifelt.

 

Die Gräfin lief zu ihm und versuchte ihn zu trösten.

 

Die nächsten Tage waren Tage der Traurigkeit im Jagdschloss Krähenwald. Kein Lachen drang durch die Räume. Jeder bewegte sich langsam und von Melancholie beseelt durch das Schloss.

Wann immer man dem Gärtner begegnete, verfiel er in lautes Wehklagen. Der arme Mann, auf eine so schreckliche Weise seine geliebte Frau zu verlieren.

Fast täglich stattete Kommissar Bode dem Grafenpaar und ihren Gästen einen Besuch ab. Diensteifrig schnüffelte er überall herum.

Eines Nachmittags kam er triumphierend von einem Spaziergang aus dem Krähenwald zurück. In der rechten Hand schwenkte er ein Blatt Papier.

 

Darauf stand:

15. August

Dieser verdammte Rosenbusch, ich weiß nicht, wie oft er mich mit seinen Stacheln verletzt hat. Zu oft. Heute musste ich mir wieder das Gemecker von der Gräfin anhören, dass ich ihn nicht genug pflegen würde. Schnipp schnapp, ab!

19. August

Endlich hat die Jagd ein Ende. Niemals mehr wird mich dieser bissige Ganter durch den Garten jagen. Zwei Hosen hat er mich gekostet und eine tiefe Bisswunde an der Wade. Nun ist es vorbei mit der Beißerei.

20. August

Bis dass der Tod uns scheidet. Das hat perfekt geklappt. Der feine Herr Graf darf sich eine neue Geliebte suchen. Oh Weibes Lust, Du brachtest Frust. Der Wunderbaum vollbrachte das Wunder und ich trinke auf Dich einen Weißburgunder.

 

Dieses brisante Stück Papier fand er im Krähenwald in einer einsamen Jagdhütte.

 

Die Handschellen klickten.

 

„Was glauben Sie hat zu Ihrer Verhaftung geführt?“ Der Kommissar sah ihn fragend an.

Das ist doch ganz einfach zu beantworten.

 

Der Mörder ist IMMER der Gärtner.

 

 

 

Dieses Motiv diente als Vorlage für den Anthologiewettbewerb im März 2016

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Ute Look
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2016

Alle Rechte vorbehalten

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