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Lächeln

Lächeln

 

Die kleine Steinbüste lächelt auf meinem Balkon. Die blauen und weißen Blumen, die sie umrahmen stehen ihr gut und passen wunderbar zu ihrem blauen Kleid. Eine vorwitzige Efeuranke umschlingt ihr Haar, welches zu einem riesigen Knoten am Hinterkopf gebunden ist. Ein paar sorgfältig gedrehte Locken umspielen ihr feines Gesicht.

 

Die Sonne strahlt und mein Blick schweift immer wieder zu ihr hinüber.

 

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Mein Name ist Agnes.

 

Ich lebe in einem kleinen Dorf.

Mit meinen Eltern, meiner Großmutter und fünf Geschwistern bewohne ich ein winziges karges Steinhaus.

Unser Haus und die Strohsäcke teilen wir mit drei Ziegen, zwei Gänsen und fünf Hühnern.

 

Mein Vater und meine Brüder arbeiten treulich für unseren Brotherrn auf dem Feld. Ich sehe sie selten, denn sie arbeiten 16 Stunden am Tag. Fünfundneunzig Groschen beträgt der Monatslohn.

 

Meine Mutter und ich arbeiten in einer der Werkstätten unserer Herrschaft. Es ist eine Flachsspinnerei. Von sechs Uhr in der Früh` bis zum Abend stehe ich an einer Nass-Spinnmaschine knöcheltief im Wasser. Ein ohrenbetäubender Lärm und heiße, feuchte Luft umgibt mich. Überall verteilt sich Staub und dringt in meine Lunge ein. Die Kleider an meinem Leib sind klebrig und schmutzig. Mein Brotherr ist großzügig und gibt mir zwanzig Groschen für die harte Arbeit. Es reicht für ein Brot mehr in unserer Speisekammer.

Wenn ich nachts auf meinem Strohsack liege, muss ich oft husten.

 

Manchmal reicht der Lohn nicht, um uns alle satt zu machen. Wenn die Rüben und Linsen nicht bis zum Monatsende reichen, sammelt meine Großmutter Nesseln für eine einfache, aber geschmackvolle Suppe.

 

Im Sommer nach dem sonntäglichen Kirchgang stehle ich mich manchmal heimlich davon. Dann laufe ich barfuß durch unseren Wald hinauf zu einer kleinen Lichtung. Dort befindet sich ganz versteckt ein kleiner Weiher. Die Mücken tanzen auf dem Wasser. Ich lege mich ins hohe Gras und genieße die Stille, die nur durch das laute Brummen von Libellen und Hummeln unterbrochen wird. Tief atme ich die reine Luft ein. Gelbe Schwertlilien wiegen sich am Uferrand leise im Wind.

 

ich schaue zum Himmel hinauf und ein wenig beneide ich die Vögel in der Luft, die frei und unbekümmert umher fliegen können.

 

Die Sonne malt glitzernde Kreise auf das Wasser. Ich beobachte einen winzigen Frosch, der auf einem großen Seerosenblatt die Sonnenstrahlen genießt.

 

Meine Seele rekelt sich im Sommerrausch.

 

Aus weiter Ferne höre ich einen gar lieblichen Gesang. Am gegenüberliegenden Ufer schwingen leuchtend gelbe Sonnenhüte ihre Köpfe hin und her. Sie singen mir ein sommerliches Lied.

 

Ich denke, dass niemand außer mir diesen freundlichen Erdflecken jemals besucht hat.

Dieser Ort ist mein königliches Sommerreich und ich bin dankbar für jede gestohlene Minute, die ich an diesem wunderschönen Platz verweilen darf.

 

Mich deucht, es wär wohl mählich an der Zeit...

 

aber ich werde zurückkehren. Ich winke den Lilien, Mücken, Hummeln und Libellen noch einmal zu.

 

Auf dem Rückweg durch den Wald sammele ich Kräuter. Mein Vater wird mich schon vermissen. Mit dem Bündel Kraut im Arm war mein Fernbleiben keine nutzlos verschwendete Zeit.

Meine Großmutter wird daraus einen Tee brauen, gegen die Gliederschmerzen meines Vaters.

 

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Im Wohnzimmer schlägt die alte Standuhr sieben Mal. Der laute Gong reißt mich jäh aus meinem Tagtraum.

 

Die Sonne auf meinem Balkon ist verschwunden und mich fröstelt es ein wenig. Es wird Zeit zum Abendessen.

 

Noch einmal wandert mein Blick zu ihr.

 

„Bis morgen meine Schöne“ und Agnes lächelt mich an.

 

 

Impressum

Texte: Ute Look
Bildmaterialien: Ute Look
Tag der Veröffentlichung: 28.08.2015

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