Ganz in Weiß
„Das ist es“
Marion nickte mir begeistert zu. „Du schaust bezaubernd aus, Liebes“
Ich drehte mich vor dem Spiegel und bei jeder Drehung vernahm man das Rascheln des edlen Seidenstoffs.
Dieses Kleid war perfekt. Ein Traum in Weiß aus reiner Seide. Der Schnitt kaschierte die paar Pfündchen zu viel, die meine Waage anzeigte. Ich fühlte mich hübsch und begehrenswert. Fast mädchenhaft erröteten meine Wangen, als ich mich der Verkäuferin zuwandte.
„Ich nehme es“. Ein paar Änderungen mussten noch in der Schneiderei gemacht werden, man sicherte mir jedoch zu, dass ich mein Hochzeitskleid in einer Woche abholen könne. Dieses Kleid kostete zwar mehr als ich eigentlich ausgeben wollte, aber es war die Mehrausgabe wert und ich konnte es mir leisten. Als Unternehmensberaterin verfügte ich über ein großzügiges Gehalt.
Hochzeitskleid. Was für ein Wort. Niemals hätte ich gedacht, dass ich nochmals so ein Kleid tragen würde. Ob Robert es gefallen wird? Bei dem Gedanken an ihn hüpfte mein Herz. Robert hatte ich auf einem etwas ungewöhnlichen Weg kennengelernt.
Als mein geliebter Mann vor zwei Jahren starb, war ich unendlich traurig und verzweifelt. Ich hatte das Gefühl, ebenfalls tot zu sein. Niemand konnte mir helfen und ich dämmerte Monatelang vor mich hin. Wie in Trance verrichtete ich meine Arbeit und den Alltag. Meine Freundin Marion legte mir bei einem ihrer immer seltener werdenden Besuche wortlos eine Visitenkarte auf den Wohnzimmertisch. Auf der Karte stand die Adresse und Telefonnummer einer Trauergruppe für Angehörige. Tagelang beäugte ich die Visitenkarte und dann nahm ich all meinen Mut zusammen und rief dort an.
Es war die beste Entscheidung, die ich zu der damaligen Zeit getroffen hatte. Mit Herzbammeln öffnete ich beim ersten Besuch die Tür und fühlte mich sofort angenommen und sehr wohl. Dank der Hilfe der kompetenten Therapeutin und den anderen Trauernden blühte ich in den nächsten Wochen auf und langsam wurden meine Lebensgeister wieder geweckt.
Robert und ich verstanden uns auf Anhieb. Amüsiert bemerkte ich seine schüchternen Flirtversuche und es vergingen ein paar Wochen, bis er mich zum Abendessen in ein Restaurant einlud. Seine Frau war schon vor etlichen Jahren verstorben, so erklärte sich auch seine etwas linkische Art im Umgang mit Frauen. Robert lebte von einer sehr kleinen Rente, doch das störte mich nicht.
Als wir zusammenzogen, Robert zog in mein großzügiges Haus, war die Welt noch schöner für mich. Der Himmel hing voller Geigen als er mir einen Heiratsantrag machte. Robert kniete vor mir und überreichte mir einen riesigen Strauß Baccararosen. Ich war der glücklichste Mensch auf der Welt.
„Helga, könntest Du mir mit etwas Geld aushelfen?“ Ich sah ihn erstaunt an und fast wäre mir mein Frühstücksei aus der Hand gefallen. Robert bat mich um Geld. Das hatte er zuvor nie getan. Wir hatten getrennte Kassen, auch wenn ich hin und wieder Anschaffungen und Einkäufe bezahlte. Mein Haus war Hypothekenfrei und er brauchte keine Miete zu zahlen.
„An welche Summe hast Du denn gedacht?“
15.000 Euro?“, er senkte den Blick. Ich gab sie ihm, weil ich ihn liebte und wollte nicht wissen, wofür er so viel Geld benötigte. Wir verloren kein Wort mehr über das Geld. Robert machte auch keine Anstalten, mir die Summe zurückzuzahlen. Ich freute mich auf die Hochzeit.
In den nächsten Wochen veränderte Robert sich. Er wurde launisch und manchmal regelrecht boshaft. Wir stritten häufig. Seine Wortkargheit war ich auch nicht gewohnt. Beim Durchsehen meiner Kontoauszüge fielen mir Abhebungen auf, die ich nie getätigt hatte. Es handelte sich zwar um keine sehr großen Summen, doch in der Häufigkeit kamen schon ein paar Tausend Euro zusammen. Ich musste mit Robert reden.
Am Abendbrottisch sprach ich ihn unvermittelt und unverblümt auf die Abhebungen von meinem Konto an. Er bestritt vehement etwas damit zu tun zu haben und schrie mich an, was mir einfallen würde, ihn zu verdächtigen. Dabei sprang er vom Stuhl auf und näherte sich mir bedrohlich mit hoch erhobener Hand, bereit zum Schlag. Vor Angst schreckte ich zurück und lief nach draußen in den Garten.
Was war nur mit ihm los? Tränen liefen mir übers Gesicht und ich dachte über eine Trennung nach. Vor einigen Wochen, als ich das Hochzeitskleid anzog war ich doch noch so glücklich.
Als ich das Haus betrat, war Robert nicht mehr da. Auf dem Tisch lag ein Zettel mit dem Hinweis, dass er erst sehr spät heimkommen würde und ich nicht auf ihn warten solle. Ich schenkte mir ein Glas Rotwein ein und legte mich auf die Couch. Einige Zeit später schlief ich auf dem Sofa ein.
Der Griff umklammerte meinen Hals. Ich bekam kaum noch Luft. Wild fuchtelte ich mit meinen Händen und versuchte die großen Männerhände von meinem Hals zu entfernen. Mir wurde schwarz vor Augen. Röchelnd fiel ich von der Couch auf den Teppichboden. Robert stand breitbeinig vor mir. Er half mir hoch und ich schaute ihn entsetzt an.
„Verdächtige mich niemals mehr wieder“, sprach er mit ruhiger, tiefer Tonlage. Dann ging er hinauf in das Schlafzimmer.
Ich lag wie gelähmt auf der Couch. Sollte ich die Polizei rufen? Ich tat es nicht, denn das wäre das Ende unserer Beziehung gewesen.
Am nächsten Tag war Robert wie ausgewechselt. Lustig, fröhlich, gut gelaunt als wäre nichts geschehen. So blieb es. Ich begann, ihm wieder zu vertrauen und liebte ihn wie in den Monaten und Wochen zuvor.
Verschmitzt grinsend schob Robert mir am Morgen einen großen Papierumschlag unter mein Kopfkissen. „Liebling, Du wirst dich freuen, öffne den Umschlag“, lächelte er mich an.
Ich riss den Umschlag auf und vor mir breiteten sich bunte Prospekte und Reiseunterlagen aus.
„Du wolltest doch Sonne, Meer und Strand und ich möchte klettern. Hier haben wir alles und können unsere Flitterwochen genießen.“ Robert strahlte mich an und ich musste ihn einfach küssen. Das Reiseziel las sich wunderbar.
Sagres an der Algarve.
Ganz in Weiß stand ich neben Robert auf dem Standesamt. Geschafft und glücklich.
Wir feierten im engsten Kreis und am nächsten Tag flogen wir nach Portugal.
Unsere Pension war entzückend. Gleich am nächsten Morgen erkundeten wir die Umgebung.
Die Landschaft mit dem blauen Meer, den endlosen Sandstränden war atemberaubend. Hoch über dem Meer erstreckten sich imposante Steilklippen, die in der Sonne rötlich leuchteten. Unsere Reiseleitung empfahl uns einen Ausflug auf eine der höchsten Klippe der Umgebung mit einem sensationellen Ausblick. Für Nicht-Kletterer wie mich versprach der nette Herr von der Reiseleitung eine Wanderung über eine Schotterpiste bis zum höchsten Punkt der Klippe. Er empfahl uns festes Schuhwerk, Proviant und ausreichend Getränke mitzunehmen. Robert und ich planten das Abenteuer für den nächsten Tag.
In der Nacht schlief ich schlecht, wälzte mich im Bett hin und her und hatte Albträume. Ich wurde von Schatten verfolgt, die mich mit großen, schwarzen Armen umklammerten. Aus den Schatten bewegte sich eine imposante Gestalt und ich sah in eine hämisch grinsende Fratze. Die Umrisse ähnelten Roberts Gesicht. Die Gestalt trug mich auf glitschigen, mit Moos bewachsenen Stufen auf eine Anhöhe hinauf. Ich sah in eine Grube, aus der unerträglicher Gestank entwich. Kurz bevor die Gestalt mich in die Grube fallen ließ, wachte ich auf. Kurze Zeit später klingelte der Wecker, denn wir wollten in der Frühe zu unserem Ausflug starten.
Ich fühlte mich wie gerädert, aber ließ mir vor Robert nichts anmerken. Mein Mann saß schon am Frühstückstisch und war auffallend wortkarg. Er grummelte etwas von beeil Dich mal und dass es schon reichlich spät sei. Er sah mich kein einziges Mal an diesem Morgen an. Sein Verhalten erinnerte mich an die schreckliche Zeit vor unserer Hochzeit. Sollte er wieder in alte Muster verfallen? Mir wurde mulmig zumute und ich beeilte mich, mich für den Ausflug fertig zu machen.
Wir brachen zu der Wanderung auf. Ich lächelte Robert an, doch er erwiderte das Lächeln nicht. Sachkundig besprach er mit der Reiseleitung die Route. Vor uns lagen mehrere Stunden in sengender Hitze. Zunächst war der Weg einfach. Fast wie bei einem Waldspaziergang mit kleinen Anhöhen erklommen wir Meter um Meter hinauf. Als die Mittagshitze unerträglich wurde, machten wie eine kleine Rast. Ein paar Zedern spendeten Schatten. Wir waren schon auf einer beachtlichen Höhe, das Meer unter uns wurde kleiner und kleiner.
Robert sprach kein Wort mit mir. Von ihm ging etwas Bedrohliches aus, ich konnte es nicht einschätzen. Trotz der Hitze fröstelte ich.
In kurzen Sätzen erklärte Robert mir, dass wir unser Ziel bald erreicht hätten. Es ging steil hinauf. Noch eine kleine Holztreppe und rechts hinter der Treppe befand sich der Zielort. Für Touristen hatte man Stufen aus Holzplanken in das Geröll verlegt. Hier und da waren die Planken lose und bei jedem Tritt lösten sich größere Kiesel und krachten, kleine Staubwolken hinter sich lassend in die Tiefe hinunter. Ich mochte fast nicht hinunterschauen. Robert war einige Schritte vor mir.
„Komm, noch eine große Stufe und wir sind angekommen“. Er streckte mir eine Hand entgegen und lächelte mich kühl und abweisend an. Ich griff nach seiner Hand und er zog mich auf die Aussichtsplattform. Wir waren am höchsten Klippenpunkt angekommen. Einen Fußbreit entfernt steil nach unten befand sich fast neunzig Meter unter uns das Meer. Es glitzerte und funkelte und es schien, als riefe es uns zu:
„Kommt zu mir nach unten“
Robert hielt noch immer meine Hand fest. Der Blick über die Felsenlandschaft war unbeschreiblich. Atemberaubend schön.
Etwas in mir begann zu flehen und zu säuseln. Unstillbare Gier umfasste mich.
Ich ließ Roberts Hand los und stieß ihn mit voller Wucht von der Plattform.
Mein Mann hatte seinen Bestimmungsort erreicht.
Sein erstauntes Gesicht und der gellende Schrei aus seinem Mund erregten mich zutiefst.
Der Aufprall des Körpers wurde von der tosenden Brandung des Meeres erstickt.
Mein Körper setzte sämtliche Glückshormone frei, die es gibt. Innerlich war ich befreit. Mein Ich befand sich im „feel-good“ Modus. Mich schüttelte es förmlich hin und her vor Glückseligkeit.
Ich warf einen letzten Blick nach unten zum Strand auf den leblosen Körper und machte mich „Ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß“ summend auf den beschwerlichen Heimweg zurück in die Pension.
Tränenüberströmt und am ganzen Körper zitternd benachrichtigte ich die örtliche Polizei. Nach meinem Bericht und der Untersuchung der Leiche ging man von einem sehr bedauerlichen Unfall aus. Man gab den Leichnam frei. Zusammen mit den Behörden kümmerte ich mich um die Rückführung nach Deutschland.
Zuhause bedauerte man mich zutiefst. So ein schwerer Schicksalsschlag und das ausgerechnet in den Flitterwochen. Ich spielte die perfekte Witwe.
Mein Hochzeitskleid lag noch auf dem Bett. Ich hatte es, bevor wir das Haus verließen auf der Tagesdecke ausgebreitet, damit es nicht verknittert. Während ich das Kleid in eine Plastikhülle steckte, umfing mich abermals ein ungeheuerliches Glücksgefühl. Ich öffnete meinen Kleiderschrank und hing das Kleid behutsam zu den anderen vier Hochzeitsroben.
Befreit und erleichtert lebte ich die folgenden Monate wieder alleine in meinem Haus. Ich trällerte und sang ständig heitere Lieder. Der Garten erblühte und in mir machte sich Sehnsucht breit. Diese Begierde wuchs und wuchs. Mein Verlangen musste erneut gestillt werden.
Ich zog ein schwarzes, unauffälliges Kleid an und stieg in meinen PKW. Etwas schüchtern öffnete ich die Tür von der Selbsthilfe-Trauergruppe. Im Halbkreis saßen ein paar Frauen und Männer. Ich spürte den Blick eines Mannes und sah in ein paar blaue Augen. Während der Sitzung sah er mich unentwegt an. In mir begann etwas aufzuflammen. Ich war erleichtert, dass die zwei Gruppenstunden beendet waren.
Der Mann kam auf mich zu.
„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Norbert. Hätten Sie Lust, einen Kaffee mit mir zu trinken“, lächelte er mich an.
Ich hatte Lust.
Mordslust!
Texte: Ute Look
Tag der Veröffentlichung: 03.05.2015
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