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Summer of Love und ein unvergessenes Schulfest

 

Ein sehr blonder, ein sehr „etwas“ älterer Herr mit sehr komischer Stimme beugte sich über mich. Ich sah in seine wassergetrübten, himmelsblauen Stahlaugen. Unentwegt redete er auf mich ein. Jedes scharf gesprochene S zischte nur so um meine Ohren. „Hömma zu Du Nuss, Du bist ja ganz begabt, aber gibst Dich auch talentiert?“ Die dreckige Lache musste den Untiefen der Hölle entsprungen sein. Demütig hörte ich mich sagen: „Aber Dietör, isch finde disch aber voll fett ok“

Schweißgebadet wachte ich auf und schaute auf den Kalender, der über meinem kleinen Schreibtisch hing. Erleichtert stellte ich fest, dass es keinen rot angestrichenen Tag gab, an dem ich zum offenen Casting in Bremen erscheinen musste. Casting???


Ich schlug meine Bettdecke zurück und freute mich auf den Tag. Das heutige Datum auf meinem Kalender war mit roten Herzchen versehen. Es zeigte den 18. Juni 1972. Ich war fünfzehn Jahre jung und sehr, sehr verliebt. Seit zwei Monaten „gingen wir zusammen“. Er war der tollste, beste und hübscheste Junge in meiner Klasse. In diesem Jahr erlebte ich meinen ersten „Summer of Love“ und ein unvergessenes Schulfest.

Regie…bitte den 8 mm Film zurückspulen. Danke!

 

Ich ging in die 9. Klasse und die Schule machte mir nicht viel Spaß. Dennoch brachte ich ganz ordentliche Noten mit nach Hause. Es gab zum Leidwesen meiner Eltern Aufregenderes zu entdecken als alte Meister, gekrönte Häupter, Feldherren oder OHMsche Gesetze. Ich hasste Physik. Und Mathe. Wer brauchte so etwas Banales, wo es doch Mode, Schminke, Janis Joplin, Pink Floyd und Sex gab. In diesem Sommer erlebte ich ihn zum ersten Mal. Eine wunderschöne Erinnerung, die ich bis heute in meinem Herzen trage. Frank (Name aus Rücksichtnahme etwas verändert :-) ) war meine zweite große Liebe. Meine erste große Liebe lag zerknittert und von der Wand abgerissen hinter meinem Jugendklappbett. Dort, wo meine geliebte Mutti nicht zum Putzen hinkam und ich meine Geheimnisse verstecken konnte. Was hatte Bianca, was ich nicht hatte? Mick Jagger hatte einfach die falsche Wahl getroffen. Ich wäre mit Sicherheit die bessere Frau für ihn gewesen. Nächtelang hatte ich mein Kopfkissen vollgeheult und war zutiefst unglücklich. Doofer Mick. Doch dann stand ER vor mir. Mit seinem umwerfenden, etwas spitzbübischen Lächeln fragte er mich in der Schulpause, ob ich Lust hätte, in einer Band mitzumachen.

 

„Ich?“ ungläubig schaute ich ihn an. „Ja Du“ oder „trauste Dich nicht?“ Am liebsten hätte ich ihn geküsst, aber das traute ich mich nun wirklich nicht. Es war ziemlich blöde schüchtern zu sein. Er merkte es nicht und plapperte und plapperte. „Rainer spielt Schlagzeug, Wolle Gitarre, ich Bass und Du singst.“ Ich lachte laut auf. „Ja klar, ich singe“ Ich zeigte ihm den Vogel. „Ich und singen“.

„Lass es uns probieren“ Franks Stimme hörte sich irgendwie ernst an. Ich überlegte. Lust hätte ich schon und es war DIE Chance, Frank näher zu kommen. Heimlich war ich in ihn verliebt, aber das durfte er natürlich nicht merken. An einem Tag im April 1972 beschloss ich voller Inbrunst und Zuversicht Sängerin zu werden. In Absprache mit der Schulleitung und dem Hausmeister unserer Schule durften wir nach Schulschluss einen Nebenraum der Turnhalle für unsere Proben benutzen.


Ich erzählte meinen Eltern von der Band, aber nichts von Frank. Eine harmlose Schulband. Sie fanden es gut und freuten sich über meine anscheinend neu entdeckte Musikalität. Die ersten Proben verliefen ganz passabel. „In the year 2525, if man is still alive“.  Das Mikrofon samt Ständer stand vor mir und ich übte. „Das wird schon“ Wolle klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Sah ich da nicht einen kleinen, sehr gehässigen Blick in seinem Gesicht? „Bis Morgen“ rief er mir zu. Ach was, ich hatte mich geirrt. Frank schaute mich anders an. Bewundernd und ich schmolz dahin.


Der erste, richtige Kuss war aufregend. Wir hatten bis weit in den Abend hinein geprobt und voller Schrecken sah ich auf meine Armbanduhr. „Mist, ich hätte längst zu Hause sein müssen“. Frank bot mir an, mich auf seinem Fahrrad mitzunehmen. Ich setzte mich auf den Gepäckträger und hielt mich an ihm fest. Er trug eine braune Fransenwildlederjacke und der Geruch des Leders zog im Wind an mir vorbei. Ich atmete tief durch und wäre am liebsten die ganze Nacht mit ihm auf dem Fahrrad gefahren. Als wir vor der Haustür meines Elternhauses standen, zog er mich an sich und zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich Liebe. Seine Zunge glitt so sanft in meinen Mund, ich spürte sie kaum und doch war sie da. Etwas beschämt schaute ich auf den Boden und dann in sein Gesicht. Ich strich über seine braunen Locken und lächelte ihn an. „Bis nachher Kleines“. Ich war glücklich, überglücklich. Mein Herz pochte noch immer, als ich die Eingangstür aufschloss.


Eltern haben manchmal komische Angewohnheiten. Sie verbieten etwas, obwohl das Verbot absolut sinnlos erscheint. Vielleicht müssen Eltern so sein. So garstig. So doof. „So gehst Du aber nicht in die Schule mein Fräulein“ Ich sah an mir herunter. „Ab ins Badezimmer, die Schminke wegwischen und etwas Ordentliches anziehen“ sprach die Feldwebelin in Gestalt meiner Mutter. „Ordentlich“ ich seufzte. Angezogen mit Bluse und Jeans verließ ich mein Elternhaus. In der Schule angekommen flüchtete ich in den WC Raum. Meine Freundin stand schon vor dem Spiegel und ich zog eine Plastiktüte aus meiner Schultasche. Dabei grinste ich meine Busenfreundin an. Zehn Minuten später war ich fertig für meinen großen Auftritt auf dem Klassenzimmerparkett und die anschließende Probe mit der Band. Die goldfarbenen Samt-Hotpants bedeckten so gerade eben noch meinen Allerwertesten. Das Top war hauteng, eigentlich fast unsichtbar und die Schminke war großflächig im Gesicht verteilt. Same procedure as every schul-day, dank Plastiktüte :-) Eltern waren doch so leicht hereinlegbar. In diesem Outfit konnte ich mich auch nach Schulschluss hinter dem Mikrofon sehen lassen. Frank gefiel ich ebenfalls. “Männer halt” grinste ich in mich hinein.


“ She's got it

Yeah, baby, she's got it

Well, I'm your Venus

I'm your fire, what's your desire” trällerte ich ins Mikro. Der Song von Shocking Blue war einer meiner absoluten Lieblingssongs.

Unser Klassenlehrer fragte uns, ob wir nicht Lust hätten, beim diesjährigen Schulfest teilzunehmen. Die Jungs waren begeistert und sagten zu. Ich äußerte leichte Bedenken. Letztendlich fügte ich mich meinem Schicksal und wir probten täglich. Mit jeder Probe stieg mein Selbstbewusstsein und ich sah mich mit einem Helikopter auf eine große Bühne in die USA einfliegen. Ich würde Millionenklicks bei Youtube…..Youtube??? Stimmt ja, wir schreiben das Jahr 1972. Ich legte das Mikrofon beiseite. „Der Song von America ist aber verdammt schwer zu singen“ „Ach was“ Rainer widersprach mir. „Üben, üben, üben. Das haut hin. Du bist toll“ Seine Worte erreichten mich, beflügelten mich. Ich schwebte. Und glaubte an mich. Das Schulfest nahte.

 

Erinnert ihr Euch? Ich hatte in der Nacht zum 18. Juni 1972 einen bösen Albtraum und wachte dennoch an diesem Morgen des Schulfestes ziemlich verliebt auf. Zwischenzeitlich hatte ich mein "erstes Mal" mit Frank erlebt. Ich sehe jetzt in die enttäuschten Gesichter meiner verehrten Leserschaft, aber hattet ihr wirklich geglaubt, dass ihr von mir jetzt Sexszenen zu lesen bekommt? Ich bitte Euch, was denkt ihr denn von mir? :-) Nur so viel: Es war unbeschreiblich schön, aufregend und unvergessen!

 

Ich war die Ruhe selbst an diesem Sommertag im Juni. Um mich herum herrschte Hektik. Ein riesiges Gebrabbel zog wabernd durch die Schulaula. Stühle rücken. Die Kostüme für das Theaterstück der 6 - Klässler wurden anprobiert. Eltern, Lehrer, Schüler flitzten hin und her. Applaus für die Kleinen und dann waren wir dran.


Der Saal wurde verdunkelt. Eine riesige Discokugel verschönerte die Saalmitte. Sie drehte sich langsam um ihre Achse. Die Bühne war spärlich beleuchtet. Wolle stand neben mir, Frank etwas abseits und dann erklang die Musik. Ganz zart und sanft. Wolle beherrschte sein Instrument. Ich stand einfach nur da. Die Trompetenärmel meiner dunkelroten Bluse wippten im Takt zu meinem rechten Fuß.

 

Ich begann zu singen…

 

On the first part of the journey,

I was looking at all the life.

There were plants and birds and rocks and things,

There was sand and hills and rings.

The first thing I met, was a fly with a buzz,

And the sky, with no clouds.

The heat was hot, and the ground was dry,

But the air was full of sound.


I've been through the desert on a horse with no name,

It felt good to be out of the rain.

In the desert you can remember your name,

'Cause there ain't no one for to give you no pain.

La, la, la la la la, la la la, la, la

La, la, la la la la, la la la, la, la


Mein Herz vibrierte. Rauschgefühle überkamen mich. Das Publikum vor der Bühne verblasste. Es war für mich nur noch schemenhaft zu erkennen. Ich schloss meine Augen und hörte nur noch die Musik. Unsere Musik, meine Musik.


„Lauter, lauter, lauter“ Wo kamen die Rufe her? Ich öffnete meine Augen und sah auf die ersten Stuhlreihen hinunter. „Lauter, lauter, lauter, lauter, lauter“ Was wollten sie? Mein Gesang war laut genug. „Wir hören Dich nicht. Sing lauter“ Ich war irritiert und verhaspelte mich. Der Text des Songs war weg. Einfach ausgelöscht in meinem Kopf.

„A horse with no name“ kam es gepresst durch meine Lippen.

„Aufhören, aufhören“ Ich sah die ersten Daumen nach unten zeigen und kämpfte mit meinen Tränen. Die Welt um mich herum begann sich zu drehen. „Bloß nicht heulen, nicht heulen“ dachte ich und dann schossen mir die Tränen die Wange herunter.

„AUFHÖREN…..“ Die wabernde Masse vor mir schrie mich an. Wo war die große Hand, die mich sanft aufnahm und behutsam von der Bühne holte und mich an einen paradiesischen und friedlichen Ort absetzte. Einen Ort, der mich mochte und das Wort „Aufhören“ nicht kannte. Diese Hand kam leider nicht.


Heulend lief ich von der Bühne, begleitet durch hämisches Gelächter.


Die Beziehung mit Frank endete ein Jahr später. Niemals mehr in meinem Leben betrat ich eine öffentliche Bühne. Das ich einfach nicht singen kann, wurde mir später auch unter der Dusche klar. Fröhlich vor mich hin trällernd vernahm ich laute Geräusche „Platsch, platsch, platsch“ Meine Qietscheentchen ließen sich in selbstmörderischer Absicht wie die Lemminge vom Badewannenrand ins Wasser fallen, um dem fürchterlichen Gesang zu entkommen. Ich kann sie verstehen :-)



Impressum

Texte: Ute Look
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2014

Alle Rechte vorbehalten

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