Schneegestöber
Am Vormittag des Heiligen Abends zog es die kleine Gruppe drei Männer und zwei Frauen hinaus in den tief verschneiten Wald. Sie waren Feriengäste in einer kleinen Pension.
Der Wanderweg war gut ausgeschildert und das Ziel mit 9,5 Kilometern Ankunft auf der Bergkuppe schreckte sie nicht ab.
In der vorherigen Nacht hatte es ununterbrochen geschneit und das Wandern wurde mühselig. Doch die Gruppe war gut gerüstet. Genügend Proviant, heißer Tee, warme Bekleidung und gutes Schuhwerk.
Der Weg ging steil hinauf und sie spürten die klirrende Kälte und den eisigen Wind. Jedem Atemzug aus ihren Mündern entwich eine Eiswolke. Still liefen sie nebeneinander her, nur begleitet von dem Knirschen des Schnees unter ihren Füßen. Hin und wieder vernahmen sie das Krächzen der Krähen, die sich versammelten, um zu ihren Schlafplätzen zu gelangen.
Als es anfing zu dämmern, erreichten sie die Kuppe. Der Schnee hatte den Berg in Abermillionen Kristalle verwandelt. Atemberaubend schön glitzerte es um sie herum. Sie waren müde, aber glücklich. Der Anblick dieser wunderschönen in bizarre Eisgebilde „gemalten“ Landschaft entschädigte sie für alle Mühen.
Es fing erneut an zu schneien und es wurde Zeit für den Heimweg. Sie freuten sich auf das gemeinsame Essen an diesem Abend in der Pension und auf die kuschelige Wärme.
Auf dem Hinweg war der Wanderweg hinauf auf die Bergkuppe durch zahlreiche Hinweisschilder gekennzeichnet, die ihnen den Weg wiesen. Sie standen auf der Kuppe, und kein Schild war mehr zu sehen. Der Wind wurde immer eisiger. Kaum noch sichtbar durch den Neuschnee waren ihre Fußspuren zu erkennen, die sie auf dem Hinweg hinterlassen hatten. In der Hoffnung, dass der Aufstiegsweg auch der Abstiegsweg sein würde folgten sie ihren fast von den Schneewehen zugedeckten Spuren. Nach einer halben Stunde sahen sie keine Fußspuren mehr.
Orientierungslos liefen sie in den Wald. Nur der Schnee verriet nicht, dass es stockfinster war. Sie mussten einige Stunden gelaufen sein.
Die Gruppe machte völlig erschöpft halt unter einer Kiefer. Ihr Proviant und der Tee waren aufgebraucht. Zitternd vor Kälte ließen sie sich an dem Baumstamm nieder. Eng aneinander geschmiegt, versuchend sich gegenseitig zu wärmen schmolz ihre Lebenskraft dahin.
Das ununterbrochene Schneegestöber und die eisige Kälte hatte sie in Eisskulpturen verwandelt. Starr waren ihre Blicke. Ihre Körper fast ineinander versunken. Gebrochene Augen. Kalt und leblos. Erfroren.
„Kjaa, kjaa,kjaa „ …über ihnen saß eine Schneeeule auf dem Baum. Wunderschön anzusehen. Weißes Gefieder mit schwarzen Flecken. Sie hüpfte aufgeregt auf dem Ast hin und her und flog dann auf den Boden. Mit ihren befiederten Zehen lief sie über den Schnee ohne einzusinken. Sie tänzelte vor der Gruppe auf und ab.
Es hatte aufgehört zu schneien. Verwundert schauten sie sich an und lächelten sich zu. „Kjaa,kjaa,kjaa“ klang es ihnen entgegen. Die Eule hüpfte ein paar Meter weiter, sich immer wieder umdrehend. Es schien, als ob sie die Männer und Frauen auffordern würde, ihr zu folgen. Wie in Trance erhoben sie sich. Aufgeregt schlug die Eule mit ihren Flügeln und flog ein paar Meter weiter. Die Gruppe folgte ihr. Leichtfüßig und ohne Kälte zu verspüren gingen sie auf dem Wanderweg entlang, begleitet von dem „kjaa,kjaa,kjaa“
Kurz bevor sie den Wald verließen und der Weg sie auf die Landstraße führte, flog die Eule ihre Flügel weit ausschwingend zurück in den Wald. Sie sahen das Schild, welches zu ihrer Pension führte. Nur noch wenige Meter trennten sie von ihrer Unterkunft.
Sie traten ein und wohlige Wärme empfing sie. Das Kaminfeuer loderte und es roch nach Weihnachten im Haus. Am mit goldenen Kugeln geschmückten Christbaum leuchteten die Wachskerzen und der festlich gedeckte Tisch in der Mitte des Zimmers lud zu einem Festschmaus ein.
Sie hatten es noch rechtzeitig bis zur Bescherung geschafft. Ihre Gesichter glänzten vor Freude.
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2010. Fünf gut gelaunte Menschen feierten ihre Büro-Weihnachtsfeier in der Pension. Fröhlich tanzten sie am 23.12. vor dem Plastiktannenbaum und der in China gefertigte Weihnachtsmann sang „Ho, ho, ho„
Niemand beachtete das Bild auf dem Kaminsims.
Die in einem antiken Rahmen fast verblichene Fotografie zeigte drei Männer und zwei Frauen. In stillem Gedenken an unsere lieben Pensionsgäste Weihnachten 1910 stand darunter in makelloser Schnörkelschrift geschrieben
Am Vormittag des Heiligen Abends 2010 zog es die drei Männer und zwei Frauen hinaus in den Wald.
Es fing an zu schneien…aus weiter Ferne hörten sie ein „kjaa,kjaa,kjaa“
© Satura
Tag der Veröffentlichung: 21.12.2011
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