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Zuerst dachte ich mir über die Beiden, daß sie einfach nur Arbeitskumpels waren, die sich nach der Nachtschicht an diesem Morgen hier in dieser Bar noch ein paar Gläser genehmigten. Ihrem Gespräch konnte ich nur ansatzweise folgen. Klang nordisch mit englischen Sprachfetzen. Und da ich als deutschsprachiger Zeitgenosse mit zugegebenermaßen recht guten Englisch-Kenntnissen, dann doch etwas Schwierigkeiten hatte, einen Sinn hinter den gelallten und genuschelten halbverschluckten Worten und Sätzen zu finden, widmete ich meine Aufmerksamkeit erst einmal einem großen Glas Bier.
Nach einigen Drinks des Zuhörens, bekam ich schließlich doch noch heraus, daß sie Brüder sein mußten.
Man sagt dem Alkohol ja auch schon mal völkerverbindende Wirkung nach, was ich persönlich denn doch ein wenig übertrieben finde. Dennoch ist es tatsächlich so, daß man nach ein paar Gläsern diverser alkoholischer Leckereien, immerhin etwas mehr von fremden Zungen versteht im Gegensatz zur vollkommen nüchternen Zurechnungsfähigkeit.
So gesehen trank ich mich auf ihren Sprachpegel. Und wie von Zauberhand befördert, saß ich plötzlich inmitten ihrer Unterhaltung. Ich verstand ihre Worte und gab seltsam klingende Antworten, die ich wiederum auf wundersame Weise auch noch verstehen konnte, obschon ich mir sicher war, das ich nicht ein einziges dieser Worte in nüchternem Zustand hätte richtig schreiben können.
Irgendwoher kannte ich einen der Beiden. Doch so sehr ich in meinem vernebeltem Hirn auch kramte, konnte ich sein Gesicht nicht zuordnen. Aber egal!
Wir redeten den Morgen in den Nachmittag. Gespräche machen ja nur dann einen Sinn, wenn sie der Zeit ein Schnippchen schlagen. Wer etwas anderes behauptet, so in der Art, daß doch hinter den Worten, wenn nicht schon große Philosophie, dann doch wenigstens eine klar umrissene, ehrliche Meinung stehen sollte, der hat überhaupt nicht verstanden, warum sich Mittags um halb eins mitten unter der Woche drei Mittdreißiger in einer schäbigen Bar am Stadtrand über Filmdekorationen und drittklassige Pornodarstellerinnen ausließen, während Radiomeldungen das Gespräch immer wieder mit neuen Themen befeuerten.
"Erklär` mir doch mal, warum diese schmierigen Kritiker alle "L.A. without a map" als künstlerischen Road-Movie in den Himmel loben, hää. na!?".
Der kleinere von den Beiden stand auf, wankte kurz und bestimmt mit dem Kopf in meine Richtung, machte auf dem Absatz kehrt, und schlurfte schimpfend nach hinten zu den Toiletten.
"Das macht er immer so.", bemerkte der Große nur lapidar.
"Immer! Immer macht er das!". Er bestellte bei der dicken Barfrau eine weitere Runde Bier.
"Immer macht er Andere schlecht, wenn er mal wieder nich weiß, woher er die Kohle für seinen nächsten Film herbekommen soll!".
Ich stieß mit ihm an, blieb aber höflich stumm. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich war immer noch damit beschäftigt maine Dateien zu durchsuchen. Ich hatte eine vage Ahnung. Aber das konnte eigentlich gar nicht sein!
"Er kann es einfach nicht ertragen...wenn auch mal ein anderer was rafft...tsshhh!"
Ich glotzte ihn dumm an, nickte verhalten und trank. Ehrfürchtig versank mein Blick im perlenden Bierschaum. Denn gerade erkannte ich in den Tresenbekanntschaften Mika(der, der gerade mit mir redete) und Aki(der Kleinere, der gerade auf dem Klo war) Kaurismäki, Filmemacher aus Finnland, Legenden des europäischen Independent-Kinos, und passionierte Kneipenrabauken. Kleinlaut beobachtete ich, wie Aki von seinen Geschäften zurückkehrte, und weiter lautstark über die Ungerechtigkeiten internationaler Filmkritiken herzog, die sein Bruder mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck an seinem Bier nuckelnd ignorierte.
Dann wurde es still. Die Beiden saßen bewegungslos am Tresen. Mika spitzte die Lippen und erinnerte sich ohne Töne an eine Melodie. Aki glotzte böse in sein Glas.
"Aber...Kritiker darf man doch eh` nich` ernst nehmen!"
Ich hätte besser nichts gesagt. Wäre besser gewesen weiter zuzuhören. Denn nun begann Aki mit einer außerordentlich beredten Schimpfkanonade über die verbrecherischen Machenschaften eben jener Schmierfinken, in die er mich zu meinem Leidwesen einbezog. Im Verlauf seiner Tirade gerieten wir ein wenig in Streit über das Für und Wider der Notwendigkeit konstruktiver Kritikerarbeit. Schließlich war ich in ein ruppiges Handgenenge verwickelt. Kurzum, Aki bekam von Mika den Inhalt eines großen Glases Bier in`s wütend, plärrende Gesicht gekippt, versummte augenblicklich, prustete sich mit der Hand den Schaum aus dem Gesicht, während er mit der anderen den Hals seines großen Bruders würgend schüttelte.
Zaghaft versuchte ich die Beiden zu tennen. Dafür bekam ich eine trockene Ohrfeige von Mika, der mir mit düsterem Blick zu verstehen gab, daß mich das hier nun wirklich gar nichts angehen würde, was mich veranlaßte mich kleinlaut ein paar Barhocker weiter weg zu setzen, um in sicherer Entfernung dem international ausgezeichnetem Brüderpaar zuzusehen, wie sie sich ein wenig prügelten.
Nach ein paar Minuten war der Spuk vorbei. Sie saßen wieder einträchtig und stumm nebeneinander. Ein wenig ramponiert zwar, aber wieder friedlich trinkend. Und Aki redete weiterhin unabläßllich auf den Bruder ein.
Ich bezahlte meine Zeche. Erinnerte mich daran, daß ich noch ein paar Besorgungen für das bevorstehende Weihnachtsfest zu erledigen hatte.
Ich ging in den kalten, sonnigen Nachmittag hinaus. Immerhin hatte ich ein paar Freunde eingeladen, und außer ein paar Flaschen Rotwein nichts im Haus, was an normalen Tagen ausgereicht hätte um einen gesprächigen Abend zu verbringen. Aber an Weihnachten?
Im Supermarkt um die Ecke irrte ich vorsichtig durch die hektisch umherwimmelnde Weihnachtsdeppen, die nach einer zweiten Kasse brüllten. Hausfrauen, die sich an der Kühltheke um die letzten Festtagsgänse prügelten, Omas mit Lebensmittelbergen in quietschenden Einkaufswägen, und allerlei anderweitigen Suchtkranken, die sich für die bevorstehenden dunklen Tage des Jahres eindeckten.
Mit einer Tüte Eßbarem schlurfte ich zu meiner Wohnung zurück. Im Vorbeigehen sah ich Mika und Aki durch die große Panoramascheibe der Kneipe immer noch am Tresen sitzen und reden. Zu Hause angekommen legte ich eine CD der Leningrad-Cowboys ein, und lachte über diese seltsame Begegnung.
Und überhaupt...warum wäre es denn so abwegig, daß berühmte finnische Regisseure nicht auch einfach nur normale Verrückte sein dürfen, dort unten in den Kneipen, am Rande eines Arbeiterkneipennachmittags? So wie wir Alle eben?!

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Tag der Veröffentlichung: 10.01.2009

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