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Schokohasenersatz

Langsam stehe ich von der harten Sitzbank auf, drehe mich zur Seite und sehe sein fröhliches Gesicht. Er schiebt mich aus der Reihe und wir drängen uns durch die strömenden Menschenmassen bis wir im Innenhof unserer Kirche angekommen sind.

Die Sonne scheint direkt auf unsere Gesichter und seine schöne gebräunte etwas dunklere Haut, seine dunklen Augen und schwarzen Haare sehen wieder einmal perfekt aus. Seine weißen Zähne blitzen durch seinen Mund und seine starken Muskeln zeichnen sich durch sein Oberteil ab.

 Zu gerne würde ich mal von diesen Armen gehalten werden, aber nicht so wie sonst, sondern lange und alles um uns vergessend.

Er grinst mich weiterhin an: „Frohe Ostern, Sam.“

Mein eigentlicher Name ist Samuel, aber wir haben uns schon lange darauf geeinigt, dass dieser Name einfach schrecklich klingt und nicht annährend zu mir passt, weswegen ich nun nur noch Sam genannt werde.

Ich erwidere sein Lächeln: „Frohe Ostern.“

Wir umarmen uns kurz und ich bekomme einen flüchtigen Moment, um  von seinem so betörend gut riechenden Parfüm, das ich für ihn ausgesucht habe, zu riechen.

Wieso muss er auch mit ihr zusammen sein? Warum kann er nicht….aber das wäre unmöglich…wieso muss ich gerade ihn lieben?

Etwas in Gedanken abgeschliffen murmle ich in seine Brust: „Ich liebe dich.“

Er drückt mich hastig von sich und starrt mich mit aufgerissenen Augen an: „Was hast du gerade eben gesagt?“

Ich schlage mir die Hand mit den blau lackierten Fingernägeln auf den Mund.

Ich habe es also gesagt! Ich habe es wirklich gesagt! Ich hätte das nicht sagen sollen! Er ist mein bester Freund! Und er ist IHR Freund! IHR fester Freund! Wieso habe ich das nur gesagt! Wieso muss ich diese verdammt große Klappe haben? Vor allem ICH bin ein JUNGE! UN der ist hetero! Er ist nicht so wie ich! Er wird mich jetzt hassen! Mich abstoßend finden! Ich muss hier weg!

Hastig drehe ich mich um und rase aus der Kirche.

Schnell weg! Einfach nur noch weg hier!

Ich höre noch wie er nach mir ruft, doch ich drehe mich nicht um.

Ich will nicht hören, was er mir sagen wird. Sicher ist er sauer auf mich und will unsere Freundschaft beenden! Wahrscheinlich will er mir auch noch einen angewiderten Blick zu werfen und mir klar machen, dass ich einfach nur Dreck bin.

Ich will nicht, dass er das macht! Nicht ER! Ich brauche ihn  doch! Er ist Samir! Er ist mein Rückenwind, der mich aufbaut, unterstützt, bei meiner Seite ist, mich tröstet, mir Mut zu spricht, einfach alles für mich macht!

Und ich bin Sam! Sam, der einfach nur sein bester Freund ist, versucht ihm unter die Arme zu greifen, tollpatschig ist, oftmals auch sehr selbstsüchtig, meistens ein Lächeln auf den Lippen hat und oft etwas stürmisch ist.

Wieso muss ich nur immer so schnell reden ohne zu denken?

Eine Träne läuft langsam meine Wange hinunter.

Der Wind, der mir ins Gesicht bläst, ist wirklich stark. Dabei war es vorhin doch noch windstill. Will mich nun der Wind verraten? Will er mich dem aussetzen, was mir Samir zu sagen hat? Natürlich ist der Wind mit Samir, Samir bedeutet der Wind, Samir ist so schnell wie der Wind und Samir will es mir sagen, also ist der Wind gegen mich, hält mich zurück, um mich diesen Worten auszusetzen!

Ich biege um die nächste Ecke. Nur noch zwei Straßen, dann habe ich mein Zuhause erreicht.

Sicher ist Layla wieder gerade dabei mit ihren Barbiepuppen zu spielen, während Dad eine wunderschöne Melodie am Klavier spielt und Mum den Tisch deckt und ein köstliches Mal zu bereitet.

Ich werde sicher mit meiner jetzigen Laune ihnen das ganze Osterfest versauen, wenn ich jetzt, so wie ich gerade bin reinplatze.

Reiß dich zusammen, Sam! Das ist nicht die Zeit an einem so frohen Fest, schlechte Stimmung zu verbreiten! Du bist ein Junge! Und Jungen weinen nicht!

Ich schniefe noch einmal kurz, ziehe meine Nase hoch, wische die Tränen weg und versuche ein überzeugendes Gesicht zusammenzubekommen.

Nun stehe ich direkt vor dem Gartentor. Zögernd öffne ich es, gehe den schmalen Weg zur Haustür, ziehe meinen Schlüssel aus der Hosentasche, nicke mir selbst noch einmal aufmunternd zu und betrete das Haus.

Sofort werde ich von Dads Klavierspiel, von Mums Brutzeln, sicher hat sie gerade eben etwas Leckeres in die Pfanne gelegt und von Laylas Lachen eingehüllt.

Ich schließe die Tür hinter mir und ziehe meine Schuhe aus, während ich „Ich bin wieder da“ rufe.

Sofort hört das Klavierspiel auf, das Brutzeln wird kurz unterbrochen und kleine schnelle Trippelschritte nähern sich mir.

Schon kommt meine kleine Schwester Layla um die Ecke, die sich sofort an mich schmeißt: „Sam! Spielst du mit mir Barbies?“

Ich lächle sie sanft an, streiche durch ihren Lockenschopf und setze sie wieder auf dem Boden ab: „Gleich ok? Gebe mir kurz ein Moment, ja? Dann bin ich bei dir.“

Layla nickt mit leuchtenden Augen: „Beeil dich!“

Ich gehe durch den Flur und steige die Treppe nach oben.

Ich muss Samir wohl vergessen. Oder nein ich muss ihn nicht vergessen. Nur diese verfluchten unpassenden Gefühle verbannen, wegsperren! Ich darf nicht vor ihm weinen! Ich darf es mir nicht anmerken lassen! Am besten so tun als wäre nie etwas gewesen und ich würde ihn nicht kennen!

Gerade erreiche ich die letzte Stufe, da klingelt es an der Tür.

Aber kann ich das wirklich? Es ist schließlich Samir…

Ich höre Laylas lachende Stimme: „Samir! Frohe Ostern!“

Samir entgegnet fröhlich: „Frohe Ostern, Kleine.“

Layla schmollt: „Ich bin bestimmt ganz schnell groß und dann nenn ich dich Kleiner!“

Sami lacht: „Na dann. Ist Sam schon da?“

Layla antwortet: „Ja. Sie ist gerade abgekommen. Sie ist oben.“

Wieso ist ER hier? Kann er mich nicht wenigstens an Ostern noch vor diesen Worten verschonen? Nur noch heute?

Ich haste in mein Zimmer und sperre sofort ab.

Er darf unter keinen Umständen reinkommen!

Schweratmend lehne ich gegen die Tür. Ich kann schon Schritte hören und ein kurzes Klopfen lässt die Tür etwas wackeln.

Samir versucht die Tür einfach zu öffnen, doch er knallt nur gegen die Tür.

Er knurrt: „Sam! Mach die Tür bitte aus!“

Nach ein paar Minuten wird seine Stimme plötzlich sanfter: „Ich muss mit dir reden. Es ist wichtig, bitte, ja? Ich will es dir sagen, während ich dich ansehe.“

Weitere Tränen, die ich einfach nicht mehr zurückhalten kann laufen über meine Wangen.

Ich kann ihn jetzt aber nicht unter die Augen treten!

Ich sammle mich kurz und bringe dann mit nur leicht zitternder Stimme hervor: „Wenn du etwas zu sagen hast, sag es einfach.“

Ich schließe meine Hände zu Fäusten, ziehe die Knie an und beiße auf meine Unterlippe.

Ich darf auf keinen Fall laut Schluchzen. Er darf es nicht hören!

Er seufzt: „Aber…Na gut. Meintest du das vorhin ernst?....du weißt schon als du sagtest, dass du mich liebst…“

Was soll ich jetzt antworten? Vielleicht kann ich mich ja noch irgendwie rausreden? Vielleicht können wir dann einfach wieder beste Freunde sein wie vorher? Dann kann ich wenigstens bei seiner Seite sein…

Er seufze erneut: „Weißt du….Emilia ist wirklich klasse…“

Ich will das nicht hören! Ich will nicht hören wie er über SIE spricht! Vor allem nicht jetzt, da ich sicherlich unsere Freundschaft verloren habe! Ihn verloren habe! Alles verloren habe!

Er fährt fort: „Aber sie ist eben dir nur ähnlich…und eben nicht du….verstehst du….wie wäre es, wenn wir das mit der Freundschaft lassen.“

Ich wusste es! Er kündigt mir die Freundschaft! Er hasst mich! Er findet mich abartig!

Er fragt: „Was meinst du dazu?“

Ich schlucke: „Wenn es das ist was du willst.“

Meine Stimme bebt leicht und ich hasse mich dafür gerade so schwach zu sein. Gerade jetzt ihm Schwäche zu zeigen!

Er meint: „Kann ich jetzt endlich reinkommen?“

Wieso fragt er das jetzt denn bitte? Ist es nicht offensichtlich, dass ich ihn jetzt erst recht nicht sehen will? Kennt er mich etwa so schlecht?

Ein erneutes Seufzen  erreicht meine Ohren, kurze Zeit später, fällt mein Schlüssel aus dem Schlüsselloch, ich höre ein kurzes Knarzen und ich falle nach hinten auf etwas Weiches.

Während des Fallens habe ich meine Augen fest zugekniffen.

Vorsichtig öffne ich diese wieder und blicke zu einem überraschten Samir auf.

Warum ist er nun so überrascht? Sollte das nicht ich sein!

Er lächelt mich an: „Wieso weinst du denn? Du bist doch jetzt mein Freund?“

Freund? Aber er hat mir doch die Freundschaft gekündigt!

Ich stottere: „Aber du willst doch nicht mehr mit mir befreundet sein.“

Er lacht und fährt ich durch die Haare, während er nach vorne an die Tür starrt: „Hast du es denn nicht verstanden?“

Er zieht mich mit einem Ruck nach oben, dreht mich herum, nimmt mich in einen festen Griff und nähert sich langsam meinem Gesicht mit seinem.

Seine Augen schließen sich langsam und verdecken mir den Blick auf diese Schokoladenversuchungen. Vorsichtig legen sich seine Lippen auf meine und ich kann es einfach nicht fassen.

Er küsst mich! ER KÜSST MICH! Nicht sie! Er küsst MICH!

Ich drücke ihn sanft etwas weg, sehe zu Boden und frage leise: „Was ist…mit ihr?“

Er sagt ruhig: „Ich habe mit ihr vor ein paar Minuten Schluss gemacht, deswegen hat es so lange gedauert bis ich hier war. Aber darüber müssen wir doch jetzt wirklich nicht reden oder?“

Ich schüttle den Kopf und schmiege mich in seine starken, sicheren, kraftgebenden Arme, die mich sicher noch öfter halten werden.

Meine kleine Schwester klatscht begeistert in ihre Hände: „Samir? Du bist doch Sam´s Ken, Ritter und Prinz oder?“

Samir lacht: „Ja.“

Mit großen Augen sieht meine Schwester zu ihm auf: „Ich will auch einen Samir!“

Samir lacht noch lauter: „Tut mir leid, Layla, aber ich gehöre schon Sam. Aber ich bin mir sicher du findest noch deinen Samir.“

Layla zieht uns beide mit begeistert leuchtenden Augen nach draußen in den Garten und hüpft durch das Gras: „Wir müssen noch unsere Osternester suchen! Ich wette ich finde meines als erstes!“

Ich lächle Layla  an, während ich mit Samir Händchenhaltend durch den Garten spaziere, um unsere Nester zu suchen.

Eine Brise streicht sanft durch meine Haare und schiebt ein paar Blätter eines Busches zur Seite, die die Sicht auf ein buntes Nest freigeben.

Anscheinend ist der Wind nun wieder bei meiner Seite, genau wie Samir.

Lächelnd sehe ich ihn an und verliere mich in seinen Augen. Diese Augen, die eindeutig noch verlockender sind als jeder Schokoosterhase der Welt für mich je sein könnte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 31.03.2013

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