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Leiden

 

Mein Lächeln ist seit Langem erloschen und ich denke nicht, dass ich es wiederbekommen werde. Da können sich alle auf den Kopf stellen wie sie wollen. Mein wahres Lächeln und meine Freude werden nicht mehr zurückkehren. Wahrscheinlich wäre es am besten für mich, mein Leben zu beenden, aber so erbärmlich wie ich bin, bin ich nicht einmal dazu fähig.

 

Das alles hat angefangen, als ich 4 Jahre alt war. Das war auch der Zeitpunkt, an dem ich, denke ich, das letzte Mal Freude empfunden habe. So sicher bin ich mir da zwar nicht, die Erinnerung ist eher verschwommen als klar, aber ich vermute es.

Soweit ich mich erinnere, bin ich brav meinen Eltern zu irgendeinem Laden gefolgt, wie das eben ein kleiner Junge macht, bin ich immer wieder einmal begeistert vor der ein oder anderen „Attraktion“ stehen geblieben und habe mir dies und das näher angesehen.

Meine Mutter, ich denke zu mindestens dass es meine Mutter war, in meiner Erinnerung ist es eine gesichtslose Person mit langen dunkelbraunen Haaren, rief mich zu sich und stellte mir einen dunkelgekleideten und vermummten Mann als „Onkel“ vor und mein gesichtsloser Vater mit den verstrubelten hellbraunen Haaren schob mich zu diesem mit den Worten: „Du wirst für eine Weile bei ihm bleiben.“

Ich erinnere mich noch, dass etwas Nasses auf meine Wange getropft ist und meine Mutter mich noch einmal an sich gedrückt hatte. Wo der Tropfen jetzt genau herkam, kann ich nicht sagen, vielleicht hat es geregnet oder so etwas.

Meine Eltern oder wohl eher die gesichtslosen Personen sind dann gegangen und ich wurde von diesem vermummten „Onkel“ hier her gebracht.

 

Wo dieses hier ist? Ich kann es auch nicht genau sagen, wo ich hier bin.

Ich habe schon lange kein Tageslicht mehr gesehen.

Ich kenne nur noch diese kalten Steinwände und diesen kalten Steinboden, der mit Blut, ein paar vereinzelten Knochen und ein paar Wasserpützen bedeckt ist. Ab und an hört man einen Wassertropfen auf einer der Pfützen aufkommen.

Jeden Tag scheint denselben Ablauf zu haben, seit ich hier bin.

 

In der Früh kommt ein vermummter Mann zu mir, aber nicht derselbe, der mich hergebracht hatte, dann füttert er mich, da ich an Händen und Füßen an die Wand gekettet bin und mich nicht bewegen kann. Er gibt mir allerdings immer nur einen Nahrungsbrei und einen Schluck Wasser, aber für dieses wenige bin ich schon froh, denn es gibt auch manchmal einen Tag, an dem sie mir nichts zu essen geben. Danach kommt ein anderer vermummter Mann, der Gefallen daran gefunden hat, mich leiden zu sehen, deswegen denkt er sich immer neue schmerzhafte Foltermethoden aus, mit denen er mich in die Knie zwingen kann. Es ist einfach nur grausam, aber mittlerweile ertrage ich den Schmerz besser als früher. Ich schätze mein Körper ist schon ein wenig taub an manchen Stellen durch die Schläge mit der Faust, der Peitsche und noch vielen weiteren Folterspielzeugen.

Zu Mittag bringen sie mir meistens wieder so einen Nahrungsbrei und einen Schluck Wasser.

Sie interessieren sich herzlich wenig für mein Wohlergehen.

Nachmittags kommt dann dieser schmierige, ekelige und perverse Typ vorbei, der mich dazu zwingt nur einen Bademantel zu tragen. Dieser Bademantel geht mir allerdings gerade noch so bis unter meinen Allerwertesten und ist mir ansonsten etwas zu groß, was dazu führt, dass viel mehr entblößt wird, als mir wirklich lieb ist.

 

Durch diese wenige Kleidung friere ich auch meistens.

Dieser schmierige Typ scheint das allerdings anders zu deuten und meint, dass ich ja nicht mehr ohne ihn sein könne, weil mir ja seine Wärme und Nähe fehle. Als ob das der Fall wäre.

Der schmierige Typ hat mich schon einige Male vergewaltigt, wie oft er das jetzt schon getan hat, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Ich habe jegliches Zeitgefühl in dieser Hölle verloren und habe auch die letzte Hoffnung aufgegeben jemals hier rauszukommen.

Ich weiß auch nicht wie lange ich schon hier bin. Sind es jetzt schon 5 Jahre oder länger? Oder vielleicht doch kürzer? Ich habe nach 270 Tagen aufgehört zu zählen.

Abends habe ich meistens wieder den Nahrungsbrei bekommen und einen Schluck Milch.

Danach haben sie mich immer in Ruhe gelassen.

 

Allerdings, ob jetzt mein Zeitgefühl mit Früh, Mittag, Abend wirklich stimmt, weiß ich auch nicht. Es kann auch sein, dass das 3 unterschiedliche Tage waren. Die Zeit scheint so langsam zu vergehen und immer ist es dasselbe. Dieselbe Umgebung, derselbe Ablauf. Wie soll ich da noch irgendein Gefühl dafür bekommen? Und es gibt auch kein Fenster in diesem kalten Folterraum. Würde es ein Fenster geben, hätte ich wenigstens einen Ausblick und einen Bezug zur Realität, aber den habe ich schon sehr lange verloren. Ich denke das ist mit das Erste, das ich verloren habe. Kurz danach kam meine Hoffnung auf Rettung, anschließend meine Erinnerungen an ein unbeschwertes und glückliches Leben und schließlich mein Zeitgefühl.

Mittlerweile habe ich wahrscheinlich auch schon meinen Verstand verloren.

Ich schätze das ist nicht verwunderlich.

Die Tatsache, dass ich jede einzelne Einkerbung in den Wänden gezählt habe und jede noch so kleine Veränderung an diesem Raum merke, ist etwas schockierend. Auch für mich, deswegen habe ich mich auch schon selber als Psycho bezeichnet.

Es scheint Mittag zu sein, denn ich bekomme erneut meine ach so köstliche Mahlzeit und kurz darauf kommt mein liebster Geselle.

Wie sehr ich doch seinen Geruch nach Zigaretten, Alkohol und Rasierwasser verabscheue.

Er beugt sich über mich, schiebt sein Bein zwischen meine Beine, befummelt mit seinen Händen meinen Oberkörper, den er von dem ihn störenden Stoff befreit hat und küsst mich an meinem Hals und meinen Oberkörper.

Er macht es schon wieder.

Wie soll man da auch noch psychisch topfit sein?!

Rettung?

Mitten in dieser langwierigen Folter platzen plötzlich 3 Männer in Uniform herein.

Sie: „Hände hoch und auf den Boden legen!“

Ich sehe nur noch verschwommen und spüre wie mein Bewusstsein verschwindet. Meine Fesseln verhindern natürlich wie immer, dass ich auf den harten Boden aufkomme. Bin ich jetzt endlich, nach all dieser Zeit gerettet?

Ich erwache in einem weißen Raum, in einem weichen Bett mit weißen Lacken und habe eine Art Kleid an? Verwirrt sehe ich mich in dem Raum um.

Wo bin ich hier bitte?

Plötzlich kommt ein Mann aus einer Ecke auf mich zu. Er hat strahlende blonde Haare, dunkle Augen und ein freundliches Lächeln. Ich beobachte ihn einfach regungslos und warte darauf, dass er das Wort ergreift.

Er seufzt kurz und setzt sich neben mich auf mein Bett: „Hey. Ich bin Kevin Miller. Ich bin ein Polizist und ermittle in einem ganz bestimmten Fall und du scheinst eines der Opfer zu sein… ich weiß es ist wahrscheinlich noch schwer darüber zu reden, aber falls du vielleicht…“

Ich unterbreche ihn einfach: „Was wollen Sie wissen?“

Er nickt freundlich: „Dein Name wäre ein guter Anfang.“

Ich: „Ich bin Lucian Söldner.“

Kevin zieht die Augenbrauen hoch: „Lucian? Ist das nicht ein Mädchenname?“

Ich zeige keine Regung auf dem Gesicht: „Keine Ahnung. Meine Eltern haben mich ja so genannt.“

Er lächelt entschuldigend. Kann man wirklich auf so viele unterschiedliche Weisen lächeln?

Er: „Entschuldige. Gut. Ehm…die nächste Frage ist dir sicher unangenehm…wie lange bist du jetzt schon gefesselt?“

Ich: „Welches Jahr haben wir?“

Er schaut mich etwas entgeistert an: „2012.“

Ich: „Hm… dann müssten es etwa… 12 Jahre gewesen sein…ja das könnte hinkommen…“

Ihm fällt sein gerade gezückter Kugelschreiber aus der Hand und auch das kleine Notizbuch landet daneben auf dem Boden: „12 Jahre?!“

Ich nicke nur immer noch ausdruckslos. Er schluckt und räuspert sich: „Entschuldige. Nun was ist denn in dieser Zeit alles vorgefallen?“

Ich: „Hm…ich schätze sie wollen die Straftaten wissen, richtig? Ich musste ab und an hungern, da sie mir nichts zu essen gebracht haben, ich wurde geschlagen mit den Händen, aber auch mit Peitschen und anderen Dingen und ich wurde oft vergewaltigt.“

Der Polizist wendet seinen Blick von mir ab und schluckt erneut: „Tut mir leid, dass ich nachgefragt habe. Das müssen schmerzhafte Erinnerungen für dich sein.“

Wann sind wir auf das du umgesprungen?

Ich: „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Wollen Sie noch etwas wissen?“

So zu reden hat mir dieser vermummte Mann beigebracht, der mich in diese Hölle geschleppt hat.

Der Polizist: „Nein ich denke das ist alles. Hier.“

Er reicht mir eine Karte: „Da steht meine Nummer drauf. Falls du irgendwann einmal Hilfe brauchst oder sonst etwas ist, ruf einfach an.“

Ich nehme die Karte entgegen und nicke einfach nur.

Er: „Ich werde natürlich deine Eltern ebenfalls benachrichtigen.“

Ich nicke kurz.

Will ich wirklich zurück zu meinen Eltern?

Waren sie nicht diejenigen, die mich sozusagen durch diesen „Onkel“ dorthin geschickt haben?

Er winkt mir zum Abschied und ich lege mich wieder in die weichen Kissen. Ist es wirklich schon 12 Jahre her, dass ich das letzte Mal etwas Richtiges gegessen habe? Das letzte Mal in einem Bett gelegen habe?

Es scheint mir so unwirklich was hier gerade alles passiert.

Es kommt mir so vor, als würde ich in jedem Moment wieder aufwachen und feststellen, dass ich immer noch in diesem Loch gefangen bin und keinerlei Fluchtmöglichkeiten habe.

Langsam falle ich in einen unruhigen und gehetzten Schlaf, als ich wieder aufwache, stehen ein Mann in weißen Kittel, wahrscheinlich mein Arzt, ein Mann mit hellbraunen Haaren, grünen Augen und einem ernsten Gesicht und eine Frau mit dunkelbraunen Haaren, dunkelbraunen Augen und einen ebenfalls sehr ernsten Gesicht neben meinem Bett. Sie flüstern irgendetwas und der Arzt scheint ihnen etwas zu erklären, denn die andern beiden nicken die ganze Zeit immer wieder. Ich setze mich auf und alle Gesichter werden mir zugewandt mit aufgesetzt freundlichen Ausdrücken. Wie ich solche Gesichter doch hasste.

Der Arzt: „Schön, dass du wach bist. Ich bin dein Arzt Doktor Holler. Ich werde dich gleich noch einmal ein wenig untersuchen. Aber ich will eure Wiedersehensfreude jetzt nicht weiter unterbrechen.“

Er tritt ein wenig beiseite und die Frau umarmt mich stürmisch. Wer ist das bitte?

Und was soll das heißen „Wiedersehensfreude“?! Ich kenne diese Menschen doch noch nicht einmal!

Die Frau: „Oh~ Schatz. Wir haben dich so vermisst! Wir haben sehr lange nach dir gesucht und haben eigentlich schon vor langen die Hoffnung aufgegeben, aber jetzt bist du ja wieder da!“

Sie lehnt sich mit ihrem Oberkörper wieder etwas zurück, nur um mich noch einmal in Augenschein zu nehmen. In ihren Augen glänzen Tränen, die sie hastig wieder wegwischt. Sie drückt mich erneut an sich: „Das ist ja so schön. Jetzt sind wir wieder alle beisammen.“

Der Mann lächelt mich fröhlich an, doch auch an ihn kann ich mich nicht erinnern. Er ergreift plötzlich das Wort und seine Stimme kommt mir bekannt vor. Woher kenne ich diese Stimme?!

Er: „Ja. Wir sind wieder alle beisammen.“

Seine Augen schienen böse zu glitzern und das Lächeln scheint auch eher fies wie ein Verbrecher.

Wer sind diese Leute?

Ich habe bei diesem Mann ein sehr schlechtes Gefühl. Diese Frau macht mir nicht so viel Angst, aber ich mag ihre Umarmung trotzdem nicht. Sie soll mich endlich loslassen! Diese Berührung! Sie erinnert mich an IHN! An das was er getan hat! An SIE ALLE!

Mir wird kotz übel. Ich drücke die Frau etwas grob von mir, die mich entsetzt ansieht, anscheinend denkt sie, dass ich sie nicht mag, was nicht ganz der Fall ist, weil ich das noch nicht ganz beurteilen kann. Ich lehne meinen Kopf über das Bett und übergebe mich.

Der Arzt mustert mich besorgt, drückt auf einen Knopf und beginnt mit den Untersuchungen, als ich meinen Magen entleert habe.

Er: „Es scheint eigentlich alles in Ordnung zu sein.“

Er beginnt ein wenig vor sich hinzumurmeln, während die Frau besorgt in den Armen des Mannes steht: „Hm…könnte es sein? Nein…oder doch…wahrscheinlich.“

Er: „Lucian. Ich würde gerne mit dir ein paar Tests durchführen, wenn das für dich in Ordnung ist?“

Ich nicke einfach nur. Was soll´s.

Der Arzt: „Ich würde sie beide (er sieht den Mann und die Frau an) gerne einmal draußen sprechen.“ Diese nicken und folgen dem Arzt nach draußen.

Ich schaue ihnen hinterher und lehne mich gegen die Tür. OK, ich bin wirklich nicht stolz darauf so zu lauschen, aber ich will wissen, wer die sind!

Ich höre ihre Stimmen. Arzt: „Ich denke er hat eine Art Phobie entwickelt, in der Zeit in der er eingesperrt war. Das ist nun wirklich nicht verwunderlich. Es ist ja schon ein Wunder, dass sein psychischer Zustand so stabil ist. Ich habe mit viel schlimmeren gerechnet. Er kann im Moment seine Gefühle nicht sonderlich gut ausdrücken, was man ihm wirklich nicht verdenken kann, da er ja seine Kindheit gar nicht ausleben konnte. Außerdem scheint er wie gesagt ein paar Phobien entwickelt zu haben. Ich tippe auf Berührungsängste. Man sollte ihn wohl nur so wenig wie möglich in der ersten Zeit berühren bis er sich wieder daran gewöhnt hat. Aber ich werde noch weitere Untersuchungen anstellen, um dies wirklich festzustellen.“

Ich höre ein Wimmern, das wahrscheinlich von der Frau stammte.

Der Mann: „Ist ja gut, Schatz. Alles wir wieder gut. Was denken Sie sollten wir machen, um ihm zu helfen?“

Arzt: „Ich denke es wäre am besten, wenn sie ihn nicht alleine daheim lassen und ihm das Gefühl geben, dass sie immer für ihn da sind. Natürlich ist eine Therapie nur zu empfehlen.“

Na toll jetzt wollen die mich auch noch zum Seelenklempner bringen.

Ok ja ich bin vielleicht nicht mehr ganz normal, aber ich habe sicher keinen Bock darüber zu reden!

Als ob reden irgendetwas verändern oder verbessern könnte! Und wieso entscheiden die das gerade eben ohne mich!

Die Frau: „Natürlich. Wir werden unser Bestes geben. Können Sie uns vielleicht einen Therapeuten empfehlen?“

Der Arzt: „Natürlich. Ich werde Ihnen noch weitere Details nach den Untersuchungen sagen.“

Gott ich muss hier weg! Ich habe keine Lust unter der Beobachtung dieser Leute zu stehen!

Und dieser Mann. Ich weiß nicht warum, aber ich kenne seine Stimme gut. Es kommt mir so vor, als war er derjenige, der mir immer Essen in dieser Qual gebracht hat. Wenn das stimmt, kann ich ihm auf keinen Fall vertrauen!

Was soll ich tun, was soll ich tun???

Ich lege mich hastig wieder in das Bett und die drei betreten wieder mein Krankenzimmer.

Wie gerne würde ich mich jetzt verkriechen oder einfach nur die Flucht ergreifen!

Der Arzt: „So Lucian. Ich habe jetzt mit deinen Eltern ein paar Einzelheiten besprochen und werde jetzt mit den Untersuchungen beginnen.“

Ich nicke nur, als wüsste ich nichts und der Arzt bat mich aufzustehen. Irgendwie fällt mir das Aufstehen schwerer als vorher. Warum?

Ich sehe auf und blicke in einen Spiegel. Beinahe hätte ich angefangen zu schreien. Was ist das?!!!

Bin das wirklich ich? Dieses dürre etwas? Mich sieht ein super dünner Junge an, der ungefähr 1, 70 m groß ist, seine Haare sind hellbraun, aber sie sind matt und total verknotet, seine grünen Augen sind total kalt und leer und sein Gesicht sieht so abweisend aus. Das bin also ich. So sehe ich aus?

Ich bin erbärmlich.

Ich schlucke einmal und folge unter Schmerzen den Doktor. Wieso habe ich diese Schmerzen vorhin nicht gespürt? War das Adrenalin?

Der Arzt macht an meinem Kopf ganz viele Kabel fest, bittet mich, mich hinzusetzen und setzt mir irgendein seltsames Gerät vor die Augen.

Er: „Ok. Ich werde jetzt einige Sachen machen, ok?“ Ich nicke kurz.

Er berührt meinen Arm und wieder will ich ihn einfach abschütteln, aber ich lasse es geschehen und unterdrücke den Drang ihn wegzudrücken. Nun legt er seine andere Hand auf meinen anderen Arm. Langsam fühle ich mich, als würde ich erdrückt werden. Wieder diese Bilder von diesen Schmierigen Typen.

Er: „Du musst dich nicht zwingen ruhig zu halten.“

Ich beiße die Zähne zusammen. Will er mir damit sagen, dass es ok ist, einfach seine Hände wegzuschlagen?

Ich stehe einfach auf, ziehe alle Kabel von meinem Kopf, nehme dieses Brillendingens oder was auch immer ab und sage: „Ich will das nicht.“

Der Arzt nickt kurz und meint: „Gut. Dann fangen wir morgen mit der Behandlung an.“

Er bringt mich zurück in mein Krankenzimmer und bittet meine „Eltern“ zu gehen.

Endlich bin ich wieder allein. Ich sehe aus dem Fenster und entdecke einen Spielplatz, auf dem einige Kinder spielen und lachen. Sie sehen so unbekümmert und schutzlos aus.

Könnte ich jemals wieder so sein? So frei sein?

Niemals werde ich diese Bilder vergessen können, aber werde ich vielleicht mit irgendetwas anderen die Bilder abdecken können?

Eher unwahrscheinlich. Die Krankenschwester, die wenige Stunden später kommt, verwechselt mich anfangs mit einem Bulimie Kranken, weswegen sie mir irgendwelche Medikamente usw. andrehen wollte. Als ein anderer Arzt kommt und ihr dann irgendetwas ins Ohr flüstert, scheint sie geschockt und entschuldigt sich immer wieder bei mir. Sie bringt mir dann Tonnen von Essen. Zu mindestens kommt es mir sehr viel vor und bringt mir ungefähr 7 Mal am Tag Essen.

Naja dank ihren Bemühungen nehme ich zu und mit der Zeit, kann ich mich auch wieder im Spiegel ansehen ohne zu denken, dass ich ein totes Gerippe bin. Die Krankenschwester ist mir mittlerweile auch ein wenig sympathisch. Sie ist zwar etwas schusselig, aber das macht sie irgendwie amüsant.

Sie bringt mich auch zu einem Friseur, der meine Haare wieder in Ordnung bringt und langsam sehe ich wirklich aus wie ein ganz gewöhnlicher, vielleicht etwas mies gelaunter Teenager, was laut der Krankenschwester für einen Teenager ziemlich normal scheint.

Neue Verletzung

Die Krankenschwester strahlt mich an: „Du siehst mit diesen Haarschnitt viel besser aus! Ich muss schon sagen hässlich bist du alle mal nicht.“

Ich sehe sie einfach nur kurz an: „Danke.“

Sie wird rot und meint: „Naja. Jetzt sollten wir dir vielleicht noch ein paar normale Klamotten kaufen.“

Ich sehe an mir runter. Was ist bitte falsch an den Klamotten die ich trage? Aber auch die Blicke, der Leute verraten mir, dass ich anscheinend nicht so ganz normale Kleidung trage. Die Krankenschwester sucht mir ein paar heraus und ist begeistert, als ich diese anprobiere.

Sie zahlt für mich und meint: „Deine Eltern haben mir ein wenig Geld dafür gegeben.“ Ich nicke nur kurz.

Auf den Rückweg sagt sie: „Ich habe gehört, dass du bald entlassen werden wirst.“

Ich: „Hm..“

Sie: „Ich bin ja gespannt wie du dich entwickelst.“

Sie kichert etwas: „Und wage es ja nicht, noch einmal so schnell hier zu landen.“

Ich schätze, wenn ich noch gewusst hätte wie man lächelt hätte ich das jetzt gemacht.

Auf einmal greift jemand von hinten ihre Hand und zieht sie zurück. Sie schreit kurz auf.

Der Mann, der ihr nun ein Messer an die Kehle hält, zischt: „Geb mir sofort dein Geld!“

Er sieht mich an. Ich: „Ich habe kein Geld.“

Er drückt das Messer gegen ihre Kehle und schon fließt ein wenig Blut ihren Hals hinunter.

Er: „Rück es schon raus!“

Auf einmal bekomme ich starke Kopfschmerzen. Ich drücke die Hand gegen meine Stirn in der Hoffnung, dass diese Schmerzen dadurch besser werden würden. Doch sie bessern sich nicht. Langsam sinke ich auf die Knie und Bilder schießen in meinen Kopf. Bilder, die ich anscheinend aus meinem Gedächtnis verdrängt hatte. Grausame Bilder, in denen Frauen, Kinder und auch Männer vor meinen Augen erdolcht werden, geschlachtet wie ein Schwein und die Innereien herausgerissen werden.

Ich atme schwer und schwitze stark. Die Stimme des Mannes dringt nur schwach zu mir durch: „Hey! Die Kohle her! Und hör auf mit diesem Theater!“

Ich höre die Krankenschwester: „Er ist ein Patient! Er ist krank!“

Ich krampfe mich zusammen. Diese ganzen Bilder.

Das ist….

 

Ich höre Stimmen und Sirenen. Wo bin ich denn jetzt schon wieder gelandet?

Mein Kopf fühlt sich an, als hätte ihn jemand in zwei Hälften geteilt und dieses grässliche Nerv tötende Sirenengeräusch hilft da kein bisschen.

Ich öffne meine schweren Augenlider und merke, dass ich mich anscheinend in einem Krankenwagen befinde?

Wieso das denn jetzt? Ein Sanitäter schaut ich besorgt an: „Bleib bitte ganz ruhig liegen, das wird schon wieder.“

Was ist denn mit dem los?

Ich: „Was ist denn passiert?“

Er: „Erinnerst du dich denn nicht?“

Ich will mit dem Kopf schütteln, aber das ist zu schmerzhaft.

Er: „Nicht bewegen! Du und die Frau wurdet auf der Straße von einem Dieb angegriffen und dieser hat dir sein Messer in den Kopf gerammt.“

Super jetzt kann ich noch mal ins Krankenhaus. Meine Miene verändert sich natürlich nicht und ich lasse mir auch nichts anmerken. Ich: „Wann sind wir da?“

Er schaut mich überrascht an „Ehm…also…. In ein paar Minuten.“

Ich: „Wie lange schätzen Sie muss ich im Krankenhaus bleiben?“

Er scheint mit dieser Situation etwas überfordert: „Etwa 2 Wochen denke ich. Kommt darauf an wie viel getroffen wurde.“

Ich: „Hm…na toll…“

Ich  starre weiterhin die Decke an. Wenige Sekunden später treffen wir in dem Gebäude ein und es empfangen uns schon zwei mir bekannte Ärzte, die sehr besorgt mich mustern. Sie schieben die Trage schnell durch die Gänge und rufen immer wieder, da Leute in ihrem Weg sind: „Geht bei Seite. Wir haben einen Notfallpatienten.“

Ich erkenne ab und an Mal ein geschocktes Gesicht. Ich muss ja wirklich übel aussehen, wenn die alle so ein Drama machen.

Ich: „Sehe ich wirklich so übel aus?“

Einer der Ärzte lacht: „Naja nicht so schlimm wie vor ein paar Wochen, aber man kann es damit vergleichen.“

Ich: „Hm…“ 

Wir sind nun in einem OP angekommen und mir wird die Narkose verabreicht. 

Phils PoV

Ich mache mich mal wieder auf den Weg aus dem Krankenhaus. Mein kleiner schusseliger Bruder, hat sich den Arm gebrochen und als ob das noch nicht genug wäre hatte er auch eine Blinddarmentzündung.

Ihm geht es aber im Moment gar nicht so schlecht, aber da unsere Eltern arbeiten müssen und ich in der Schule bin, wird er etwas länger als nötig hier bleiben müssen.

Plötzlich höre ich Rufe: „Geht bei Seite. Wir haben einen Notfallpatienten.“

Die Rufe nähern sich mir. Auf einmal sehe ich eine Trage, die von zwei Ärzten auf mich zugeschoben wird. Schnell springe ich auf die Seite. Ich höre eine Stimme: „Sehe ich wirklich so übel aus?“

Der linke Arzt lacht: „Naja nicht so schlimm wie vor ein paar Wochen, aber man kann es damit vergleichen.“

Die Stimme: „Hm…“

Jetzt bin ich aber neugierig. Ein Notfallpatient, der immer noch reden kann und für den das nichts Neues scheint? Das ist sicher irgendein Lebensmüder. Ich erhasche einen Blick auf ihn und ich muss sagen, dass ich zutiefst geschockt bin. Geht das wirklich noch viel schlimmer? Wie kann der überhaupt noch reden?

Oder gar irgendwie denken?!

Mitten in seiner Stirn steckt ein Messer! Und etwas Blut läuft an den Seiten heraus. Ich schätze die Blutung ist nur deswegen noch nicht so stark, weil das Messer noch in ihm steckt.

Er soll wirklich schlimmer ausgesehen haben?

Der ist nicht einmal älter als ich! Bestimmt jünger!

Zwei Krankenschwestern gehen an mir vorbei.

Die eine seufzt: „Der Typ ist wieder da. Dabei hat er das Krankenhaus doch erst heute kurz verlassen.“

Die andere: „Ich weiß. Nicht zu fassen oder? Hast du schon gehört, was mit ihm bis jetzt alles passiert ist?“

Neugierig folge ich den beiden.

Die eine: „Nur Gerüchte… weißt du genaueres?“

Die andere: „Ja. Ich habe einmal ein Gespräch zwischen seinen Eltern und den Oberarzt verfolgt. Es scheint, als ist er mit 4 Jahren entführt worden und wurde von seinen Entführern misshandelt, geschlagen und sogar vergewaltigt. Er scheint erst vor ein paar Wochen von der Polizei gefunden worden zu sein. Ist das nicht grausam?! Er hat 12 Jahre seines Lebens in Gefangenschaft verbracht.“

Die Andere: „Oh Gott. Der Arme. Jetzt tut er mir leid… ich kann verstehen warum er so eine schlechte Persönlichkeit entwickelt hat…“

Die andere nickt: „Ja…da wünschte man, man könnte etwas für ihn tun…er soll nun Berührungsängste haben…“

Die Andere wieder: „Ist ja auch nur nachvollziehbar.“

Oh mein Gott! Ich glaube ich hätte das doch nicht mit anhören sollen…

Neuer Zimmerparnter

Ich erwache wieder in diesem schrecklich weißen Raum. Eine neue Krankenschwester sitzt neben meinem Bett: „Benötigst du irgendetwas?“

Ich schüttle nur den Kopf. Sie lächelt freundlich: „Du wirst wahrscheinlich bald auf eine andere Station verlegt.“

Auf eine andere Station? Warum das denn?

Ich nicke nur wieder kurz. Mir ist nicht so wirklich nach reden zumute.

Wenig später schiebt sie mich auch schon durch verschiedenen Gänge und ich glaube wir sind nun in einem ganz anderen Gebäude?

Sie: „Du wirst für die nächsten 3 Tage besser erst einmal nicht aufstehen. Danach sollte es wieder einigermaßen gehen. Die Operation ist ohne weitere Komplikationen verlaufen. Ich denke du kannst übernächste Woche entlassen werden.“

Sie bringt mich in ein neues Zimmer und lässt mich mit einem anderen Jungen zurück, der ebenfalls im Bett liegt.

Er: „Hey.“ Er sieht aus, als wäre er ungefähr 7 Jahre alt.

Ich: „Hallo.“

Er: „Wie geht es dir?“

Ich: „Könnte besser sein, aber ich denke wenn es mit gut gehen würde, wäre ich ja auch nicht hier.“

Er lacht: „Ja. Ich bin Luke und wie heißt du?“

Ich: „Lucian.“

Er strahlt, das sehe ich auch aus dem Augenwinkel: „Nett deine Bekanntschaft zu machen.“

Redet der immer so viel? Die wollen mich in eine neue Art von Hölle schicken oder?

Genervt verdrehe ich die Augen.

Er beginnt auch schon mir seine gesamt Familiengeschichte zu erzählen, anscheinend ist seine Mum und sein Dad im Moment arbeiten, sein älterer Bruder in der Schule, aber er kommt gleich vorbei und er ist ja so lieb und blah blah blah.

Gott wieso wurde ich mit diesem Knirps in ein Zimmer gesteckt?

Die denken doch nicht etwa, dass mir das irgendwie helfen wird oder?!

Der Knirps erzählt noch, dass er ja hingefallen ist, als er Bauchschmerzen bekommen und sich dann den Arm gebrochen hat. Anscheinend hatte er auch eine Blinddarmentzündung.

Ich will einfach nur meine Ruhe!

Kurz bevor ich wahrscheinlich geplatzt wäre, kommt ein Junge in den Raum. Er hat blonde leuchtende Haare, gelbe Augen, ein paar Piercings an den Ohren  und ein super freundliches Gesicht. Was ist denn das für einer?!

Die Quasseltante neben mir ruft begeistert: „Phil! Du bist gekommen!“

Das ist also der große Bruder?

Ich sehe da ja nicht so viel Ähnlichkeit oder wobei beim näheren Hinsehen ist der Junge nur das Kleinformat seines durchaus attraktiven Bruders.

Das ist jetzt wirklich deprimierend als Junge jemanden als gutaussehend zu bezeichnen.

Ich schüttle kurz meinen Kopf. Der Kleine berichtet auch schon ganz aufgeregt: „Ab heute habe ich einen Zimmergenossen! Und stell dir vor, er ist genauso alt wie du!“

Mein Blick wandert wieder zu den Älteren der beiden. Dieser riesige Kerl ist in meinem Alter?

Er ist sicher schon fast 2 Meter! Naja zu mindestens sieht es aus dem Liegen aus wie 2 Meter.

Phil grinst: „Ach wirklich? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Wie heißt er denn?“

Sein Blick liegt nun auf mir. Ich halte dem Blick einfach ausdruckslos stand.

Luke: „Er heißt Lucian!“

Der Ältere lacht los: „Bist du dir sicher, dass er dir seinen richtigen Namen genannt hat?“

Der kleinere schiebt beleidigt seine Unterlippe vor: „Ja! Warum sollte er lügen? Und die Schwester hat ihn auch so genannt.“

Der Ältere kriegt sich langsam wieder ein und mustert mich neugierig abermals: „Du bist also Lucian. Nett dich kennenzulernen. Solange du hier bist, würdest du mir einen Gefallen tun, wenn du auf dieses Plappermaul hier Acht geben würdest.“

Ich lasse mich nicht dazu herab ihn zu antworten und schenke meine Aufmerksamkeit dem Fenster.

Die beiden unterhalten sich  meiner Meinung nach ewig und als es dann langsam dunkel draußen wird, kommt eine Schwester, die Phil bittet langsam zu gehen. Phil umarmt sein Kleinformat, verspricht ihn morgen wiederzukommen und winkt mir noch einmal ganz kurz mit einem Grinsen zu.

Super dann darf ich das Plappern von heute Morgen gleich wieder ertragen.

Erkenntnis

Der Kleine hat mich noch wie es mir vorkam Ewigkeiten zu gequasselt. Ich habe natürlich nicht wirklich zugehört, aber dieses ständige Hintergrundgeräusch ist wirklich lästig. Ich würde ja etwas anderes machen, aber ich kann nicht lesen und was bleibt dann noch groß übrig?

Er: „Hey, hey! Hörst du mir überhaupt zu?! Hey! Ich rede mit dir!“ 

Er springt neben mich auf mein Bett und wippt leicht: „Hey! Sag doch was!“

Ich: „Kannst du nicht einfach einmal deine Klappe halten?!“

Er schaut mich etwas traurig an: „Wenn du deine Ruhe haben willst, dann sag das doch einfach. Hast du Lust etwas zu lesen?“

Ich: „Nein.“

Er: „Warum denn nicht? Du willst ja schon nicht reden, dann kannst du mir wenigstens ein wenig vorlesen!“

Ich: „Nein.“

Das wird mir irgendwie unangenehm. Ich kann nun einmal nicht lesen! Wann hätte ich das auch lernen sollen?! Ich war doch die letzten 12 Jahre in dieser Hölle und die haben nicht wirklich auf Bildung geachtet. Naja ab und an hat mir da ein Mann ein wenig was beigebracht, aber nicht so viel, dass ich sagen kann, dass ich über den Level der 1. Klasse hinaus bin, wahrscheinlich bin ich auf dem Level eines Vorschulkindes.

Ich schätze ich werde wohl nie ein normales Leben führen können.

Der Kleine: „Jetzt komm schon. Das ist doch keine große Arbeit für dich und mein Bruder meinte, dass das Buch wirklich gut ist.“ Er wippt wieder.

Ich: „Wie oft noch?! Nein! Lass mich einfach in Ruhe!“

Er: „Du machst keinen Spaß.“

Er geht beleidigt zu seinem Bett und beginnt das Buch alleine zu lesen. Eine Krankenschwester betritt auf einmal den Raum: „Lucian, deine Eltern sind zu Besuch.“

Schon kommen der Mann und diese Frau herein. Die Frau umarmt mich wieder und ich versteife mich leicht. Wieso ist diese Frau nur so auf Körperkontakt scharf?!

Der Mann lächelt nur freundlich. Die Frau: „Lucian. Ich habe gerade erst gehört was passiert ist! In was für Sachen gerätst du denn immer? Erst wirst du entführt und jetzt wirst du erstochen? Mein armer kleiner Junge.“

Ich verdrehe nur die Augen und drücke die Frau leicht von mir runter.

Sie soll damit aufhören. Ich mag das nicht hören. Als ob sie eine Ahnung von meinen Gefühlen hätte! Diese Übelkeit steigt wieder in mir auf, aber dieses Mal kann ich sie gerade noch unterdrücken und wieder runterschlucken.

Sie hat doch keine Ahnung! Und dieser Mann! Sie sollen einfach nur gehen!

Die Frau: „Tut dir etwas weh?“

Ich: „Nein alles in Ordnung. Ihr hättet nicht kommen brauchen.“

Die Braunhaarige: „Jetzt hör aber auf! Wir sind deine Eltern!“ Gleich platzt mir der Kragen.

Noch ein solch dummes Gelaber und meine Geduld ist am Ende! Wie soll ich diese Personen als meine Eltern sehen, wenn ich mich nicht an sie erinnern kann oder mich auch nur annähernd wohl in ihrer Nähe fühle?!

Luke mischt sich ein: „Deine Eltern haben Recht! Wie kannst du so etwas sagen? Sie sorgen sich um dich!“

Meine sogenannten Eltern drehen sich zu dem Siebenjährigen überrascht um. Frau: „Oh. Hallo. Wer bist du denn?“

Sie lächelt. Luke erwidert das Lächeln freundlich: „Ich bin Luke. Nett ihre Bekanntschaft zu machen.“

Sie: „Die Freude liegt ganz bei uns. Es ist schön zu sehen, dass Lucian nicht mehr alleine in einem Zimmer ist. Jetzt hat er ein wenig Gesellschaft.“

Luke: „Ihr Sohn scheint nicht sonderlich der gesellige Typ zu sein?“ Wie redet er denn plötzlich?!

Die Frau lacht: „Ja so könnte man das sagen.“

Hallo, ich bin anwesend, könnt ihr euch nicht über mich unterhalten, wenn ich weg bin?!

Es klopft abermals an der Tür und Phil tritt ein. Na super, noch so ein Sonnenschein, das hat mir gerade noch gefehlt. Phil: „Oh. Heute ist hier aber viel los.“

Schon springt Luke wieder schreiend in Phils Arme: „Phil!“

Phil: „Hey, kleiner Bruder. Du bist so energiegeladen wie immer. Hallo, Lucian, wie ich sehe hast du Besuch?“

Mein „Vater“ meldet sich zu Wort: „Hallo. Wir sind seine Eltern. Nett dich kennenzulernen.“

Phil: „Nett Sie kennenzulernen.“

Meine Mutter: „Was für ein gutes Benehmen ihr beiden doch habt. Lucian von ihnen kannst du noch lernen.“

Ich verdrehe wieder die Augen. Fahr zur Hölle, dann siehst du warum ich nicht so sein kann wie sie.

Meine Mutter seufzt nur: „Du könntest uns auch einmal anrufen, weißt du? Wir machen uns Sorgen um dich! Du bist doch gerade erst wieder…“

Ich unterbreche sie: „Ist doch egal. Das ist unwichtig. Vergesst das einfach. Ich hab es auch schon vergessen.“

Sie: „Aber wie könntest du so etwas-“

Ich: „Genug!“

Meine „Mutter“ schaut betreten auf den Boden, mein „Vater“ sieht mich wütend an und die andern beiden sehen einfach nur überrascht aus.

Ich: „Ich habe keine Lust hier noch so lange zu bleiben wie mich die Ärzte hier behalten wollen. Deswegen werde ich euch jetzt etwas bitten. Unterschreibt meine Entlassungspapiere.“

Meine Mutter: „Das geht nicht. Du bist nicht gesund. Du wirst den Ärzten zuhören.“

Ich: „Und was wenn ich das nicht tue?“

Wieso kann das niemand verstehen? Ich will alles, was mich an diese Hölle erinnert verlassen, zurücklassen, vergessen. Ich will nicht immer wieder durch die Blicke von Leuten daran erinnert werden. Ich will ihr Mitgefühl, ihr angebliches Verständnis nicht!

Sie drückt sich ihre Hand auf den Mund und Tränen laufen über ihre Wangen. Das soll also meine Mutter sein? So verletzlich und schwach. Sie hätte die Hölle keinen Tag überlebt.

Nein, sie wäre eingegangen wie eine Blume, die weder gegossen wird noch Sonnenstrahlen abbekommt.

Mein Vater packt mich nun am Arm und drückt fest zu, das hinterlässt sicher einen blauen Fleck: „Wie redest du nur mit deiner Mutter?! Dir muss man wohl erst einmal Manieren beibringen!“

Er schlägt mich mit voller Wucht mit der Handfläche auf die Backe.

Innerlich lache ich gerade in mich hinein. Ich weiß zwar nicht mehr wie Lachen funktionieren soll, doch erinnere ich mich an das Geräusch, dass es verursacht. Mein „Vater“ hat also eine leicht gewalttätige Ader. Ich glaube ich verliere gerade das letzte bisschen Verstand das mir geblieben ist.

Ich spüre wie meine Wunde am Kopf wieder aufgeht, meine Backe pocht leicht. Ich senke den Kopf und halte meine Hand an meine Backe. Doch der Schmerz ist ein Gefühl, dass mir nur allzu bekannt vorkommt. Der Schmerz erschreckt mich nicht. Er ist mir nicht unangenehm, es ist mir nur ein allzu bekanntes Gefühl.

Ich spüre wie die heiße Flüssigkeit nicht mehr von dem Verband zurückgehalten werden kann und langsam über meine Stirn, meine Nase, meine Augen, meinen Mund und meine Backen läuft. Ich hebe meinen Kopf wieder und sehe einfach nur meinen Vater und meine Mutter an. Die Frau fängt an zu wimmern und der Mann schaut erbost auf mich hinab, während er seine Frau tröstend in den Arm nimmt.

Phil stürmt auf mich zu: „Wir müssen dringend eine Krankenschwester rufen!“

Ich: „Ist schon in Ordnung. Das ist nichts weiter. Nur eine kleine Wunde, die wieder aufgegangen ist, nicht wahr, VATER?“

Ich bin mir jetzt absolut sicher. Ich kenne diese Stimme. Dieser Schlag gerade eben. Dieser Mann war einer meiner Peiniger! Doch warum behauptet er, dass er mein Vater sei und warum ist er noch frei?! Hat die Polizei etwa nicht alle Verbrecher erwischt?! Ich werde diesen Polizisten kontaktieren müssen!

Nur weiß er jetzt wahrscheinlich auch, dass ich es weiß.

Der Mann blickt mich nur vernichtend an und Phil schaut verwirrt zwischen uns hin und her: „Das ist auf keinen Fall eine kleine Wunde! Luke, drück den Knopf!“

Luke schaut hektisch zwischen uns allen hin und her: „J-Ja.“

Er drückt den Knopf und wenig später, kommt eine gelangweilte Ärztin herein, die bei unseren Anblick erst einmal erstarrt und dann mit weit aufgerissen Augen sagt: „Was ist denn hier passiert?!“

Phil: „Später. Kümmern sie sich um seine Wunde!“

Die Ärztin eilt auf mich zu, nimmt den Verband ab und sieht sich die Wunde an. Sie murmelt: „Ich werde noch einmal alles nähen müssen. Die Nähte sind aufgesprungen.“

Sie zieht aus ihrer Tasche das anscheinend benötigte Equipment und fängt an meine Wunde wieder zu schließen. Phil hält Luke die Augen  zu, während er dem Spektakel mit angeekelten Augen folgt, meine „Eltern“ haben sich von dem Anblick abgewandt. Tolle „Eltern“ muss ich schon sagen. Sie können ihre Rolle nicht einmal gut spielen.

Die Ärztin: „So. Ich bin fertig. Ich hole dir gleich einen neuen Verband. Du bist ganz schön stark. Selbst Männer schreien bei so etwas meistens.“

Ich: „Schmerzen machen mir nicht so viel aus.“

Die Ärztin wuschelt kurz durch meine Haare: „Oh~ Ein tapferer junger Mann.“

Sie hat doch keine Ahnung.

Sie verlässt den Raum und kommt mit einem neuen Verband zurück, den sie mir wieder anlegt.

Sie: „Pass dieses Mal besser auf. Vielleicht ist es auch besser, wenn du erst einmal keinen Besuch bekommst. Sie verstehen das doch, oder?“

Sie dreht sich zu den Pärchen um, die daraufhin ja auch so verständnisvoll nicken und den Raum verlassen. Die Ärztin verabschiedet sich und verlässt den Raum. 

Reden

Phil: „Ich will ja nicht sagen, dass dein Vater Recht hatte, aber warum hast du deine Eltern bitte so behandelt.“

Ich kneife leicht meine Augen zusammen, doch mein Gesichtsausdruck verändert sich kein Stück: „Das geht dich nichts an.“

Ich drehe den beiden meinen Rücken zu und lege meinen Kopf vorsichtig auf mein Kopfkissen.

Er: „Ist es, weil du sie seit 12 Jahren nicht mehr gesehen hast?“

Ich zucke leicht zusammen: „Lass mich einfach in Ruhe.“

Er: „Du verhältst dich wirklich feige.“

Lukes Stimme zittert: „Ich geh mal kurz aufs Klo.“

Er verlässt den Raum und schließt leise die Tür.

Phil: „Du machst meinen Bruder Angst.“

Ich: „Vielleicht kriegt er ja jetzt sein eigenes Zimmer.“

Phil: „Ich nehme dir diese kalte Persönlichkeit nicht ab. Also warum bist du so zu deinen Eltern?“

Er will mich provozieren und ich muss sagen, dass er wirklich gut darin ist, denn ich bin wütend! Zu mindestens denke ich, dass es Wut ist, die ich verspüre.

Ich: „Denk was du willst.“

Er: „Rede mit mir! Vielleicht kann ich dir ja helfen.“

Ich: „Reden bringt nichts.“

Er seufzt: „Es kann sehr wohl helfen. Manchmal fühlt man sich danach freier.“

Ich: „Natürlich. Reden macht einen also freier. Das ich nicht lache.“

Er: „Sei ehrlich zu mir!“

Ich: „Ich kenn dich doch noch nicht einmal!“

Er: „Doch! Du weißt schließlich meinen Namen!“ Dieser Typ ist viel zu hartnäckig, kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen?

Ich: „Wow.“

Er: „OK. Wie ist das. Ich werde hier sowieso jeden Tag vorbeikommen. Dadurch werden wir uns sicher besser kennenlernen. Also raus mit der Sprache.“

Wie kann man nur so penetrant sein?!

Ich seufze kurz: „Ich denke nicht, dass du das wirklich hören willst.“

Er: „Doch will ich. Also?“

Ich: „Ich will kein Mitleid.“

Er: „Dann werde ich dich nicht bemitleiden.“

Er setzt sich neben mich und nimmt meine Hand. Ich will sie eigentlich wieder wegziehen. Doch was ist dieses angenehme warme Gefühl, dass sich von meiner Hand aus in meinen ganzen Körper ausbreitet?

Ich schlucke: „Diese Frau und dieser Mann…ich kenne sie nicht…“

Er: „Aber sie sind doch deine Eltern…“

Ich: „Ich erinnere mich nicht mehr richtig an meine Eltern. Meine letzte Erinnerung ist wie mich meine ach so liebevollen Eltern an diese…diese…Kerle übergeben und sagen „Du wirst für eine Weile bei ihm bleiben.“ Der Mann…seine Stimme…sie ist die Stimme von einen der Männer, die mich gefoltert haben…diese Stimme würde ich nicht so schnell vergessen…“

Ich habe mich verplappert…das war zu viel des Guten oder wohl eher Schlechten. Den letzten Teil hätte ich weglassen sollen, aber es ist plötzlich aus mir rausgekommen.

Phil zieht die Luft ein und drückt meine Hand etwas fester: „Das hört sich übel an. Hast du jemanden davon erzählt.“

Ich schüttle den Kopf: „Ich wurde als psychisch instabil abgestempelt. Ich schätze, dass, wenn ich es den Polizisten erzählen würde, würde er dem zwar nachgehen, aber der Mann dann meint, dass ich mir das sicher nur eingebildet habe. Ich schätze ich werde es trotzdem einmal versuchen.“

Phil: „Du bist klug.“

Ich schaue ihn an: „Was?“

Er: „Naja, du kennst deine Situation und wägst alles ein wenig ab.“

Ich: „Was ist daran bitte klug?“

Er: „Alles. Ich kann das nicht.“

Ich: „Ich bin nicht klug.“

Er: „Jaja. Wie wär´s, wenn du, wenn du wieder entlassen wirst, mit mir zur Schule gehst?“

Ich schaue weg: „Ich denke, dass das geht nicht.“

Er stockt kurz: „Ach ja. Du warst noch nie auf der Schule oder? Wenn du willst kann ich dir alles bis zur zehnten Klasse beibringen. Ich denke zwar nicht, dass ich ein guter Lehrer bin, aber wir bekommen das schon hin.“

Er lächelt mich breit an.

Wie kann man nur so ein sonniges Gemüt haben?!

Ich starre ihn erst einmal perplex an und nicke dann leicht, bevor ich noch etwas sagen oder tun konnte werden wir beide von hinten angesprungen und Luke hängt an uns: „Bin wieder daha~!“

Wie können diese beiden nur die ganze Zeit so schrecklich gut gelaunt sein? Tun ihnen nicht langsam mal die Mundwinkel weh? So wie sie die ganze Zeit grinsen?

Phil: „Wir merken es.“ Er lacht und ich muss auch ein wenig Grinsen.

Irgendwie fühle ich mich bei den beiden richtig wohl.

Unbekannte Gefühle

Luke beginnt wie wild auf dem Bett zu hüpfen und eine Krankenschwester betritt erneut den Raum: „Lucian? Der Arzt will dich sprechen.“

Wie soll das bitte gehen? Meinte gestern nicht noch eine Frau, dass ich 3 Tage lang nicht aufstehen darf?!

Sie: „Könntet ihr beiden bitte von dem Bett runter?...Danke.“

Sie schiebt mein Bett mit mir wieder aus dem Zimmer durch ein paar Gänge und wir kommen in einem Raum an, in dem eigentlich nichts außer eine Liege, ein Schreibtisch, ein paar Pflanzen, ein Drehstuhl und eine Couch sind.

Sie schiebt mein Bett mitten in den Raum und der Doktor stellt sich neben mein Bett: „Sie können wieder gehen. Ich schaffe das auch sehr gut allein.“

Die Krankenschwester verlässt den Raum und lässt mich mit ihm allein zurück.

Dieser: „Na dann. Willst du über irgendetwas reden?“

Reden? Ach das ist also dieser Psychologe, den sie mir aufdrängen wollen.

Ich: „Nein…ich wüsste nicht, was ich Ihnen erzählen sollte.“

Er: „Ist das so?“ Sonst würde ich es ja nicht sagen oder?

Er schnalzt kurz mit der Zunge: „Deine Eltern sehen das aber anders.“

Oh meine ach so tollen Eltern also. Ich bezweifle immer noch, dass ich sie jemals in meinem Leben als diese anerkennen werde, aber gut. Nur noch 2 Jahre, dann darf ich denke ich ausziehen, so wie ich das verstanden habe.

Er: „Kein Kommentar?“

Ich: „Jeder Mensch hat eine andere Sichtweise und seine eigene Meinung. Man sollte diese respektieren und nicht weiter einer Person etwas aufdrängen, dass sie nicht will.“

Er hebt seine Augenbrauen: „Willst du mir damit sagen, dass du nicht reden willst?“

Ich: „Wenn sie das so sehen, dann ja anscheinend.“

Er: „Willst du nicht über dieses grausame Erlebnis hinwegkommen?“

Ich: „Ich denke nicht, dass es hilft alles zu erzählen und ich denke auch nicht, dass ich jemals diesen Wunsch geäußert habe. Dürfte ich nun wieder gehen.“

Er schüttelt den Kopf und zeigt mir ein Bild.

Dieses Bild…es ist von der Hölle….diese Hölle…in der ich so lange war…in die ich nie wieder zurück will….diese Unterkunft der Hölle…

Er: „Denkst du immer noch, dass du nicht darüber reden willst? Was ist, wenn du später mal ein altes Gemäuer oder so etwas besucht oder einen Film ansiehst, in dem so etwas vorkommt? Dann wirst du genau wie jetzt zittern und dich an alles wieder erinnern. Willst du das wirklich?“

Ich: „Und sie wollen mich also durch all das noch einmal durchquälen.“

Er: „Ich würde nicht sagen, dass ich dich durchquälen will…Ich will dir nur helfen darüber hinwegzukommen…du musst nicht unbedingt damit anfangen. Du kannst mir auch einfach etwas von heute erzählen, wenn es dir hilft.“

Ich: „Das wird mir nicht helfen.“

Er seufzt: „Wir reden morgen noch einmal.“

Er ruft wieder die Schwester, die mich zurück in mein Zimmer bringt, in dem Phil geduldig mit Luke auf mich wartet. Er grinst mich breit an: „Na?“

Ich nicke nur und lehne mich im Bett zurück.

Dieser Arzt hat sie doch nicht einmal mehr alle! Als ob ich zu ihm Morgen wieder gehen wollen würde! Ich brauche ihn nicht! Ich brauche nur meine Ruhe vor dieser Hölle! Ich will nicht darüber reden! Ich will nicht noch einmal alles in Gedanken durchgehen, alles noch einmal vor Augen sehen! Ich will das einfach nur abhaken und gut ist es!

Phil setzt sich neben mich und Luke stellt sich auf mein Bett, während er seinen Kopf auf Phils Schulter ablegt.

Luke: „Und was machen wir jetzt? Mir ist langweilig! Lasst uns irgendetwas spielen!“

Irgendwie muss zucken schon wieder meine Mundwinkel, was machen diese beiden nur, dass ich mich bei ihnen so normal fühle? So wie ein ganz normales Kind? Ich brauche diesen dummen Psychiater nicht und auch nicht die Ärzte. Ich brauche einfach nur meine Ruhe…und vielleicht auch Phil…

Phil wuschelt seinen Bruder durch den Kopf: „Was willst du denn spielen, Kleiner?“

Luke legt seinen Kopf leicht schief: „Hm~…ehm…wie wäre es mit Mensch ärgere dich nicht?“

Phil nickt nur: „Hast du das Spiel überhaupt da?“

Luke springt auf: „Jaha!“

Schon stürmt er los und breitet das Brettspiel neben mir auf dem Bett aus.

Ich setze mich langsam auf.

Naja andererseits habe ich mit den beiden definitiv keine Ruhe.

Phil erklärt mir mit einigen Zwischenrufen von Luke das Spiel und wir spielen es.

Es macht wirklich sehr viel Spaß und Luke ist wirklich ein ausgezeichneter Spieler, zu mindestens aus meiner Sicht, ich schaffe es noch nicht einmal einen meiner Spielfiguren in das Ziel zu bringen, während Luke erster wird und Phil es kurz darauf auch schafft.

Luke springt daraufhin stolz im Raum rum und bejubelt sich selbst.

Wenn man ihn so sieht würde man nie im Leben vermuten, dass dieses kleine Energiebündel vor nicht allzu langer Zeit operiert wurde!

Phil lächelt: „Er ist wirklich gut gelaunt heute.“

Ich nicke.

Phil schaut aus dem Fenster: „Luke wird übermorgen entlassen.“

Ein Stich geht durch mein Herz. Die beiden werden also nicht mehr hier sein. Wieso fühle ich mich jetzt so schlecht? So zerrissen? So als würde ein Teil meines Körpers von mir gerissen werden? Stört es mich so sehr, dass die beiden mich zurücklassen? Alleine lassen?

Andererseits kenne ich sie ja auch kaum und wer will hier im Krankenhaus auch schon lange bleiben außer mir? Ich denke, dass ich hier noch geschützt bin vor diesem Mann. Ich weiß nicht, was er vorhat, aber es kann nichts Gutes verheißen. Doch die beiden haben ein schönes Zuhause mit liebevollen Eltern, die sich um die beiden kümmern.

Phil: „Natürlich komme ich dich jeden Tag besuchen! Wir müssen doch weiterüben!“

Er wuschelt mir durch die Haare: „Und vergesse bitte nicht mir deine Adresse mal zu sagen, damit ich dich auch danach besuchen kann.“

Er will wirklich nicht den Kontakt abbrechen? Er will weiterhin mit einer solch „mental instabilen“ Person wie mir zu tun haben? Mein Herz scheint einen kleinen Sprung zu machen.

Was ist dieses Gefühl nur? Es scheint, als würde der Teil meines Körper wieder anwachsen, als würde alles wieder zusammenpassen, als würde die Sonne mit ihren warmen Sonnenstrahlen meinen Körper erwärmen und mir einen Schauder den Körper hinunterjagen. Es ist als wäre alles perfekt.

Phil umarmt mich kurz: „Ich muss dann mal wieder los. Mein Bus fährt gleich. Ich komme aber morgen wieder.“

Er steht auf und geht zu dem immer noch rumrennenden Wirbelwind, umarmt diesen ebenfalls, gibt ihm einen Kuss auf die Stirn und verlässt mein Sichtfeld.

Luke kommt wieder zurück in das Zimmer und schaut noch eine Weile eine Zeichentrickserie, die ich nicht wirklich kenne an, während ich einfach nur aus dem Fenster schaue und über Phil weiter nachdenke.

Was ist dieses Gefühl? Was ist es nur? Es tut nicht weh. Es ist schön und ich glaube ich habe es vor langer Zeit auch schon einmal gespürt, dieses Kribbeln und dieses Zucken in den Mundwinkeln. Es fühlt sich nach einem Déjà-vu an. Doch was bedeutet es?

Meine Augen werden schwer und ich schließe sie.

Was ist es nur?

Bedrohung

Die nächsten zwei Tage verbringt Phil den gesamten Nachmittag mit mir und Luke. Wir spielen unterschiedliche Spiele, die ich alle zuvor noch nie gehört habe, wann denn auch?

Der dumme Arzt hat mich am nächsten Tag wirklich wieder zu sich holen lassen, doch ich habe ihn einfach angeschwiegen, woraufhin er mich wieder gehen hat lassen.

Meine angebliche Erzeugerfraktion sind wirklich nicht mehr gekommen, was ein richtiges Glück ist und ich die Zeit richtig genießen konnte.

Nun ist Luke entlassen worden und von seinen quirligen Schutzbefohlenen angeholt worden, die mich auch herzlich umarmt haben und mir gleich berichtet haben, dass ja Phil so viel von mir erzählt hat und ich ja jederzeit bei ihnen herzlich willkommen sei.

Sie waren so freundlich und genau so strahlend wie Phil und Luke, dass ich einfach nicht anders konnte als sie ebenfalls in die Arme zu schließen. Ich musste dabei auch nicht wie bei der Frau das Übelkeitsgefühl unterdrücken, es kam nicht einmal auf.

Wie kann diese Familie nur so herzlich sein? So ohne Vorurteile? Ohne jegliche Bedenken? So sorglos?

Langsam greife ich in die Schublade im Nachttisch, in dem die Karte des Polizisten steckt. Soll ich ihn endlich mal anrufen? Es wäre wahrscheinlich eine gute Idee…

Unsicher nehme ich die Karte heraus, wähle die Nummer und höre dem Tuten zu.

Eine Stimme meldet sich: „Hier bei Kevin Miller. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

Ich räuspere mich leicht. Habe ich schon einmal telefoniert gehabt?

Ich: „Hallo…Hier ist Lucian…“

Kevin: „Lucian? Ist etwas nicht in Ordnung?“

Ich stocke. Wie soll ich es ihm eigentlich sagen?

Ich: „Ehm… ja…nein…Könnten Sie vielleicht mal vorbeikommen oder ist Ihnen das un-“

Mir wird eine Hand auf den Mund gelegt und diese grausame Stimme wispert in mein Ohr: „Du wirst dieses Gespräch jetzt sofort beenden und ihn nie wieder anrufen!“

Dieser Mundgeruch, diese raue Hand. Wahrlich er IST einer meiner Peiniger!

Ein Kloß bildet sich in meinen Hals, das Übelkeitsgefühl macht sich wieder bemerkbar und ich muss würgen, kann aber noch verhindern mich zu übergeben.

Kevin: „Ist alles in Ordnung?“

Ich räuspere mich, der Mann nimmt seine Hand weg und ich antworte mit heiserer Stimme: „Ja…tut mir leid wegen der Störung. Noch einen schönen Tag.“

Schon hat mein Erziehungsberechtigter das Telefongespräch abgebrochen.

Wieso muss er gerade jetzt, genau in diesem Moment hereinplatzen? Jetzt, wo ich endlich meine Rettung kontaktieren wollte!

Mein ehemaliger Peiniger nimmt die Karte und zündet sie mit seinem Feuerzeug an, während er sie mir demonstrativ vor die Nase hält: „Du denkst doch nicht im Ernst, dass ich dich mit diesem Mann noch einmal sprechen lasse.“

Ich: „Wieso?“

Der Mann lacht gehässig: „Wieso? Du bist nicht einmal  mein leibliches Kind, warum sollte ich mich um dich scheren? Das einzige was du mir gebracht hast, waren Kosten! Ich war heilfroh als ich dich endlich losgeworden war und einen Nutzen für dich gefunden hatte! Und dann musste dieser dumme Undercoveragent dazwischenfunken!“

Seine Augen verengen sich in seiner Rage: „Wie könnte es jemand verstehen? Ich sollte mich wirklich, um ein Kind kümmern, das meine Frau mit einem anderen gezeugt hat? Mit einem anderen Mann! Niemals! Und da habe ich jemanden kennengelernt, der mir versprach diese Last abzunehmen und auch noch gute Entschädigungen für diesen Verlust von dir angeboten hat.“

Für diesen Verlust? Was hatte er denn verloren! Wer von uns beiden sollte wohl einmal zum Psychologen gehen? Wenn doch dieser Arzt das hören könnte. Dann würde er seine Meinung sicher ändern!

Ich schnaube: „Verlust.“

Der Mann lacht wieder höhnisch: „Ja Verlust hat er es genannt. Aber werde ja nicht frech, Junge! Wir werden ja sehen, wer etwas zu lachen hat, wenn du hier wieder draußen bist! Deine liebe Mami ist dann nicht da um die zu Beschützen und auch sonst niemand. Nur du und ich, Kleiner. Na wie gefällt dir das? Denk daran, bevor du noch einmal versucht irgendeinen Polizisten zu kontaktieren.“

Er schenkt mir noch einmal ein übertrieben breites Grinsen, lässt die Asche, die er mit seiner Hand aufgefangen hat, auf meinen Nachtisch rieseln und verlässt anschließend wieder den Raum.

So wird das also ablaufen. Ich wurde von einer Hölle befreit und komme in eine neue. Wer hasst mich nur so, damit er mich so bestrafen muss? Wie können nur Menschen, wie die Leute im Fernsehen, an einen warmherzigen, liebevollen Gott glauben?

Das Telefon neben mir klingelt und ich gehe nach langem Warten ran: „H-hallo?“

Meine Stimme hört sich leicht erstickt an.

Wieso hört sich meine Stimme so merkwürdig an? Habe ich das nicht alles schon einmal durchlebt? Er hat noch nicht einmal etwas gemacht. Da ist mir doch schon viel schlimmeres Wiederfahren. Wieso also zittert meine Stimme so?

Kevin: „Ich bin es noch einmal. Ist bei dir wirklich alles in Ordnung? Ich bin gerade sowieso in deiner Nähe, weil ein Autounfall neben dem Krankenhaus passiert ist, also bin ich in denke ich mal 10 Minuten mal bei dir.“

Ich schrecke hoch: „NEIN!“

Kevin: „Wie? Ist es gerade ungelegen?“

Ich lehne mich wieder zurück.

Das war gerade mehr als ungeschickt. Seit wann habe ich solche Ausbrüche?

Ich räuspere mich: „Ehm…nun eigentlich nicht…aber…“

Was soll ich nun sagen?

Kevin seufzt: „Wir sehen uns dann gleich, ja?“

Ich hauche: „Ja. Bis gleich.“

Ist es die richtige Entscheidung? Er ist meine letzte Hoffnung, doch was, wenn er mich nicht ernst nimmt? Was, wenn er das auf die leicht Schulter nimmt? Er scheint zwar nett zu sein, aber er wird sicher von den Ärzten über meinen „instabilen“ Zustand informiert und wird sich nichts weiter denken. Was ist, wenn ER dann davon erfährt?

Unruhig liege ich in dem Bett.

Was wir ER machen, wenn er erfährt, dass ich Besuch von einem Polizisten hatte?

Aber was könnte er mir schlimmeres antun, als ich schon erlitten habe? Was mache ich mir eigentlich so große Sorgen darum, was er machen könnte? Ich bin nicht mehr gefesselt, ich kann mich nun wehren! Ich bin frei!

Ein Klopfen an der Tür durchbricht die Stille des Zimmers.

Ich: „Herein.“

Der Blondschopf des Polizisten steckt sich durch die Tür und ein freundliches Grinsen mit den warmen dunklen Augen folgt sogleich.

Kevin: „So da bin ich.“

Er betritt nun ganz den Raum, heute ist er sogar in Uniform gekleidet, zieht sich einen Stuhl neben mein Bett und lässt sich auf diesen nieder.

Er fährt ruhig fort: „Wir sind allein. Ich werde alles vertraulich behandeln, was du mir erzählst, also, wer hat vorhin unser Gespräch unterbrochen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass du auf einmal nicht mehr alleine warst.“

Er ist clever.

Ich nicke langsam und beginne mit brüchiger Stimme: „Sie haben nicht alle festnehmen können, oder?“

Betrübt schüttelt er den Kopf: „Ich war extra Undercover und habe versucht so viele wie möglich ausfindig zu machen und festnehmen zu lassen, doch ein paar konnten uns entwischen und da sie immer alle maskiert waren, hatten wir keine Anhaltspunkte.“

Ich nicke betrübt und blicke leicht an ihm vorbei aus dem Fenster.

Ein kleiner Vogelschwarm fliegt gerade vorbei und Wolken ziehen auf, anscheinend wird es bal ein Gewitter geben.

Ich ergreife leise das Wort: „Ich habe einen von ihnen sozusagen ausfindig gemacht.“

Mit leeren Blick wende ich mich dem Polizisten zu, der recht blass wirkt und hörbar die Luft einzieht: „Wo?“

Ich sehe wieder aus dem Fenster. Die Vögel haben sich so weit entfernt, dass man nur noch einzelne Punkte ausmachen kann und die Gewitterwolken kommen bedrohlich näher.

Ich: „Sie haben sicher schon mit meinen Eltern gesprochen…“

Der Polizist nickt.

Ich: „Der Mann….er ist nicht mein leiblicher Vater…das hat er mir selber gerade eben noch erklärt…er war einer von ihnen…“

Mister Miller stockt kurz: „Hast du Beweise?“

Ich schüttle den Kopf. Kevin beißt auf seine Unterlippe und scheint angestrengt nachzudenken.

Ich: „Ich weiß, dass diese Information Ihnen total nutzlos ist, das sie von mir kommt und ich nicht einmal Beweise habe…aber…“

Ich schaue ihn in die Augen.

Es gibt kein Aber, ich habe keine Beweise, meine Aussage ist wertlos, also was sollte es für ein Aber geben?

Der Gesetzesschützer nickt trotzdem: „Ich danke dir für deine Offenheit. Ich schätze es hat dich einige Überwindung gekostet. Ich werde dem nachgehen.“

Er kramt kurz in seiner Tasche herum und zieht ein schwarzes Kästchen heraus: „Hier. Falls er irgendetwas sagt, dass deine Aussage unterstützt. Nehm es einfach hiermit auf. Ich will dich eigentlich nicht in Gefahr bringen und werde sofort veranlassen, dass du Schutz bekommst, aber bis dahin…“

Er sieht traurig zu Boden.

Er scheint es ernst zu meinen. Er ist wirklich ein netter Kerl.

Ich versuche wieder meine Mundwinkel nach oben zu bekommen, wie ich es schon bei Phils Anwesenheit geschafft hatte: „Ich danke Ihnen. Sie sind ein guter Polizist.“

Kevin lächelt irgendwie etwas traurig: „Willst du vielleicht noch über etwas anderes reden? Hast du mittlerweile irgendjemand nettes kennengelernt?“

Phil…. Ich habe Phil kennengelernt. Aber sollte ich dem Polizisten wirklich davon erzählen? Es ist wahrscheinlich für ihn etwas ziemlich belangloses und ich will ihn ja nicht langweilen…

Kevin grinst breit: „Also ist da jemand? Ich wusste es! Irgendwie hast du dich etwas verändert! Wer ist es denn?“

Ich habe mich verändert? Habe ich das wirklich? Mir kommt es nicht im Geringsten so vor.

Wieso wird mir auf einmal so warm?

Kevin lacht: „Du wirst sogar rot! Ok jetzt muss ich es definitiv wissen, wer es ist!“

Ist das wirklich ein Polizist vor mir? Er verhält sich eher wie ein Gleichaltriger, wobei so viel älter als ich ist er sicherlich nicht.

Ich: „Wenn Sie es unbedingt wissen wollen…Ich habe Phil…und Luke kennengelernt.“

Der Polizist grinst schelmisch: „Und wer sind diese beiden? Tut mir leid, ich werde dir später auch von mir etwas erzählen, wenn du möchtest.“

Ich: „Hm…sie sind Brüder. Luke ist 7 Jahre alt und hatte eine Bilddarmentzündung und einen gebrochenen Arm. Er war mit mir in diesem Zimmer… Phil ist sein großer Bruder…er ist genauso alt wie ich. Auch wenn er viel größer ist als ich und irgendwie…wärmer…“

Kevin: „Wärmer?“

Ich spüre wieder diese lästige Wärme. Vielleicht sollte ich mal das Fenster öffnen?

Ich füge hastig hinzu: „Nun…er hat blonde Haare und goldene Augen und ein breites Lächeln…irgendwie warm eben…“

Kevin grinst immer noch: „Hört sich ja ganz danach an als hättest du gefallen an ihm gefunden.“

Gefallen an ihm gefunden, was meint er damit?

Ich: „Wie meinen Sie das?“

Kevin schaut mich etwas verdutzt an: „Na ich mein, dass du dich in ihn verguckt hast, verliebt hast, dein Herz an ihn verloren hast.“

Herz an ihn verloren? Verliebt? Ich denke das kommt oft in diesen seltsamen Filmen vor, die in letzter Zeit zu genüge in der Flimmerkiste drankamen. Aber da haben sich immer nur Mann und Frau in einander verliebt. Ist das normal?

Ich: „Verliebt?...Ist das etwas Normales?“

Der Polizist hält wieder einmal kurz überrascht inne und meint dann freundlich lächelnd: „Ja. Es ist etwas ganz Natürliches und Schönes. Du fühlst dich in der Nähe dieser Person sehr geborgen und wohl, musst oft an die Person denken und dir wird ganz warm ums Herz. Es ist ein wunderschönes Gefühl, vor allem wenn man es teilt. Es ist egal, ob die Person in die du dich verliebst eine Frau oder Mann ist, solange du sie von ganzem Herzen liebst, ist es nicht falsch.“

Es ist also egal, ob es Mann oder Frau ist? Ist es das wirklich? Warum kommen dann im Fernseher nur Filme, in denen sich Mann und Frau verlieben?

Ich: „Warst du schon einmal verliebt?“

Oh. Ich habe ihn gedutzt…

Kevin scheint in Gedanken abzuschweifen: „Ja. Ich bin im Moment sogar verliebt. Aber mit der Liebe ist es manchmal recht schwierig, weißt du?“

Recht schwierig? Das Prinzip hört sich recht leicht zu verstehen an. Man entwickelt warme Gefühle für eine Person und hofft darauf, dass sie eben erwidert werden.

Ich: „Schwierig?“

Kevin nickt traurig: „Manchen ist es eben nicht bestimmt zusammen zu kommen.“

Es scheint wohl nicht ein sonderlich angenehmes Thema für ihn zu sein.

Rothaarige Bekanntschaft

Danach haben wir eine ganze Zeit geschwiegen, bis er einen Anruf von jemandem erhalten hat, der ihn blass werden ließ, er entschuldigte sich bei mir und ging wieder.

Ich habe ihn einfach nur nachgesehen. Gerne hätte ich nachgefragt, was denn mit ihm los sei. Irgendwie ist er mir ganz sympathisch. Zu mindestens glaube ich das…

Allein im Zimmer schaute ich wieder aus dem Fenster, vor dem langsam das Gewitter langsam beginnt zu wüten.

Kevin ist sehr vertrauenswürdig und ich glaube ihm irgendwie, dass er dem nachgeht und niemanden davon etwas erzählt. Doch was, wenn jemand trotzdem von dem Treffen gerade eben erfährt? Was wenn ER es dann ebenfalls erfährt? Was dann? Ich bin nur noch 10 Tage hier, in dieser einigermaßen sicheren Umgebung. Wie kann ich mich gegen IHN wehren? Ich bin nicht sonderlich stark. Wie könnte ich das auch sein?

Ein erneutes Klingeln lässt mich aus meinen trüben Gedanken schrecken. Verwirrt sehe ich mich im Zimmer um, bis mein Blick auf das Telefon fällt, dessen Anzeige leuchtet.

Unsicher nehme ich den Hörer ab: „Ja?“

Die Frau: „Hallo, Eth! Ich wollte dich fragen, ob ich dich einmal besuchen dürfte?“

Die Frau, die so auf Umarmungen steht. Will ich sie sehen? Eigentlich eher nicht. Aber vielleicht lässt mich dieser nervige Psychologe dann weiterhin in Ruhe, wenn ich ihm „Fortschritte“ vortäusche. Vielleicht sieht dann diese Frau ein, dass ich nicht zu diesem „Arzt“ muss und sagt die Termine ab.

Ich antworte: „Gerne.“

Man kann richtig aus ihrer Stimme hören, dass sie ganz aufgekratzt ist: „Das freut mich! Ich bin in einer halben Stunde bei dir, ja?“

Ich: „OK.“

Sie: „Bis gleich.“

Und schon hat sie wieder aufgelegt. Nachdenklich lege ich wieder den Hörer hin.

Jetzt sollte ich mich wappnen. Sie wird mir sicher wieder sofort um den Hals fallen und ich darf unter gar keinen Umständen irgendwelche Würgegeräusche von mit geben, sonst ist der gesamte Plan zum Scheitern verurteilt! Tief durchatmen und einfach vorstellen, als würde dich Phil umarmen.

Phil…wann wird er wohl mich das nächste Mal besuchen kommen? Mir fehlt irgendwie seine Wärme. Mir fehlt sein strahlendes Lächeln, die blonden weichen Haare, diese faszinierend hellen Augen…seine lockere und unkomplizierte Art und seine Nähe…seine Umarmungen…sein Alles! Dabei war er doch erst gestern noch hier. Ist es das was Kevin meinte? Ist das Liebe? Laut Kevins Erklärungen müsste es Liebe sein. Vielleicht sollte ich mit Kevin noch einmal darüber reden?

Nein! Ich kann ihn nicht weiter mit meinen Problemen belästigen! Das wäre nicht richtig und er sah vorhin als er gegangen ist nicht gut aus. Er sah wirklich ungesund aus. Hatte er nicht von einem Autounfall erzählt?

Plötzlich klopft es an der Tür.

Ok, das wird sie sein.

Ich: „Herein.“

Doch wider meiner Erwartungen tritt eine Krankenschwester ein: „Entschuldige, aber können wir in dein Zimmer einen weiteren Patienten schieben? Wir sind im Moment ziemlich voll.“

Ich nicke einfach nur und sie schiebt ein Bett, auf dem ein Mann liegt, der an vielen Geräten angeschlossen ist und recht schwer verletzt aussieht, neben mich.

Ich mustere den Mann. Er sieht jung aus, wahrscheinlich ist er im Alter von dem Polizisten, sonderlich gut kann ich das nicht schätzen. Er hat dunkelrote Haare, einen Bluterguss an seinem rechten Auge, Verbände an seinen Beinen und Armen und wenn mich nicht alles täuscht ebenfalls an seinem Bauch, er hat auch einen drei Tage Bart und wirkt recht schlapp.

Die Krankenschwester: „Könntest du uns bitte rufen, wenn er aufwacht? Das wäre sehr nett. Ich geh dann mal wieder.“

Schon eilt sie wieder aus dem Raum und lässt uns allein.

Ich drehe wieder meinen Kopf zum Fenster und beobachte wie die ersten Tropfen gegen die Fensterscheibe fallen und langsam, dann immer schneller werdend, ihren Weg zum Fensterbrett bahnen. Das erste Donnern ist zu hören und ein greller Blitz erhellt das Zimmer.

Neben mir regt sich auf einmal etwas.

Ich drehe den Kopf hinüber zu dem Bett und erkenne, dass mein neuer Zimmergenosse anscheinend aufgewacht ist. Ich bin schon drauf und dran den Knopf für die Krankenschwester zu drücken, da erreicht meine Ohren eine heisere Stimme: „Bitte nicht. Ich will noch eine Weile meine Ruhe haben.“

Ich sehe zu ihm hinüber und nicke langsam.

Ich kann ihn gut verstehen, wenn die Krankenschwester jetzt kommt, wird sie sicher einige recht sinnlose Fragen stellen „wo tut es denn überall weh“ oder so etwas und danach noch ein paar zusätzliche Tests durchführen.

Ich senke meinen Arm und blicke wieder zum Fenster hinaus. Mittlerweile gießt es richtig und der Donner wird immer lauter.

Der Mann neben mir atmet schwer, aber ruhig und irgendwie ist das recht angenehm.

Dieser: „Wie alt bist du?“

Ich: „16. Und du?“

Wenn er mich schon duzt, werde ich ganz bestimmt nicht mit dem Siezen anfangen.

Er: „20. Wie lange bist du schon hier?“

Gute Frage. Wie lange war das jetzt schon? Wahrscheinlich einen Monat ungefähr.

Ich: „Einen Monat glaube ich…“

Er starrt mich etwas überrascht an. Ich kann seinen Blick schon richtig auf meinen Hinterkopf spüren.

Ich: „Was hast du denn gemacht, um so auszusehen?“

Der Mann lacht humorlos auf: „Mich mit den falschen Leuten angelegt wie es scheint und auf die falschen Menschen vertraut.“

Ich nicke langsam: „Passiert nicht selten.“

Ich nehme meinen Blick nicht von dem Fenster, während ich mit ihm rede.

Er: „Du scheinst mir etwas ungewöhnlich für einen Teenager.“

Ich: „Du scheinst mir etwas ungewöhnlich für einen Zwanzigjährigen.“

Der Mann lacht leicht: „Da könntest du sogar recht haben.“

Wieder klopft es an meiner Zimmertür und dieses Mal tritt meine super gutgelaunte und durchnässte Mutter ein. Sie strahlt mich an, überwindet mit eiligen klackenden Schritten die kurze Entfernung zwischen der Tür und meinen Bett, nimmt meine Hand, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und streicht durch meine Haare, die aus dem Verband hervorstehen.

Sie: „Da bin ich.“

Sie legt ihren komplett durchnässten Regenmantel eilig ab, bindet sich die nassen Haare nach oben und zieht mich in eine feste Umarmung.

Ausdruckslos und mit fest zusammengekniffenen Augen versuche ich mir vorzustellen, dass diese Frau Phil ist. Doch das erweist sich als recht schwer, denn ihre Oberweite drückt eindeutig zu fest gegen meinen Brustkorb.

Sie löst sich langsam von mir, aber hält immer noch meine Hände fest: „Na? Wie geht es dir heute? Tut dein Kopf noch sehr weh?“

Ich schüttle stumm den Kopf.

Sie seufzt erleichtert auf: „Ich habe dir mittlerweile ein schönes Zimmer eingerichtet. Es ist hellgestrichen und hat 3 Fenster, eines davon führt zu einem Balkon hinaus, eines ist ein Dachfenster und das andere ein normales. Deine Möbel sind auch alle hell gehalten und ich habe dir ein extra großes Bett gekauft. Ich wusste leider nicht, was du sonst alles noch willst, deswegen gehen wir, wenn du wieder entlassen wirst, gleich einkaufen, ja?“

Ich nicke langsam: „Danke.“

Bemühe dich etwas mehr! Wie verhält sich ein normaler Sohn in so einer Situation?

Ich versuche meine Mundwinkel nach oben zu ziehen und blicke meinen Vormund an.

Diese schlägt plötzlich ihre Hände auf den Mund und Tränen fließen über ihre Wangen.

Ich blicke sie gespielt besorgt an: „Ist etwas nicht in Ordnung?“

Habe ich etwas falsch gemacht? Sollte ich das nicht mehr machen?

Sie schüttelt heftig den Kopf und schluchzt: „Das ist das erste Mal seit langem, dass du mich anlächelst.“

Ich nehme sie von mir aus in dem Arm, das habe ich bei irgendeinem Film, den die Krankenschwester mit mir zusammen angesehen hat, gesehen und streiche ihr über den Rücken.

Ich verdrehe meine Augen und versuche wieder mir Phil vorzustellen.

Sein warmes Lächeln, das mit dem Sonnenaufgang locker konkurrieren könnte und seine starken feinen Hände.

Nun habe ich mich wieder im Griff. Vorsichtig löse ich mich wieder von der Schniefenden und versuche sie wenigstens etwas auf Abstand zu bekommen.

Zu viel Nähe so lange ist dann doch nicht gut.

Sie: „Wir werden das schon wieder hinkriegen. Du wirst sehen! Es gibt ganz viele nette Menschen auf der Welt, du hast einfach bis jetzt nur die falschen kennengelernt. Dieser Phil ist doch ein ganz netter Kerl oder? Er kann gerne öfter kommen! Ich habe auch einen Privatlehrer für dich gefunden, damit du den ganzen Schulstoff nachholen kannst und nächstes Jahr oder in ein paar Jahren mal in die Schule gehen kannst, wenn du willst oder eben deinen Abschluss machen kannst. Dein Leben wird jetzt wieder ganz normal werden, versprochen!“

Sie verhaspelt sich beim Sprechen immer wieder und sie wirkt irgendwie so nervös, als könnte sie in jedem Moment etwas Falsches sagen oder etwas sagen, dass sie nicht sollte.

Wie kann sie mir so etwas überhaupt versprechen? Ist das nicht Wunschdenken? Wie soll alles wieder normal werden? Ich werde die Ereignisse sicher verdrängen können, aber ich glaube nicht, dass es so viele gute Menschen auf der Welt gibt, wie sie behauptet! Sieht sie denn nicht einmal, dass ihr eigener Mann ein Verbrecher ist? Wie kann sie mir nur sagen, dass  es viele gute Menschen gibt, wenn sie das zugelassen hat? Wenn sie einen Verrückten als Mann hat?

Die Frau kriegt sich langsam wieder ein und schaut mich lächelnd an: „Das wird sicher wieder alles. Wir haben auch sehr nette Nachbarskinder, vielleicht verstehst du dich mit ihnen ja auch gut?“

Ich nicke nur.

Diese Frau hat sich anscheinend schon in eine Wunschwelt gedacht, ihr ist, denke ich, nicht mehr zu helfen.

Sie erzählt mir noch weitere belanglose Dinge und ich höre ihr schon gar nicht mehr zu, nicke nur ab und zu etwas, um ihr zu zeigen, dass ich ihr zuhöre, was eigentlich nicht der Fall ist.

Nachdem sie gemerkt hat, dass es spät wird, hat sie mich erneut kräftig umarmt und ist dann wieder davongehastet.

Die Donnerschläge waren richtig laut, während sie hier war, doch nun zieht das Gewitter wieder langsam weg.

Der Mann neben mir wendet sich grinsend mir zu: „Du magst also gerne ein Kuscheltier haben?“

Ich schaue ihn total irritiert an.

Von was redet er denn da? Das habe ich doch nie gesagt!

Ich: „Was?“

Er sieht mich kurz musternd an: „Hast du ihr überhaupt zugehört?“

Ich wende mich von ihm ab: „Das geht dich gar nichts an.“

Er: „Wer war sie überhaupt.“

Ich: „Meine Erziehungsberechtigte.“ Niemals bringe ich das Wort „Mutter“ über die Lippen.

Er: „Also deine Mutter?“

Ich nicke stumm.

Er seufzt: „Aus dir wird man wirklich nicht schlau.“

Ich entgegne: „Nicht jeder kann offen sein.“

Er lacht auf: „Du solltest ihr aber vielleicht trotzdem zuhören. Ich bin mir sicher, dass du bei der Hälfte der Sachen normalerweise den Kopf schütteln würdest. Aber gut. Warum redet sie überhaupt so merkwürdig mit dir?“

Ich wende mich wieder zu ihm: „Was war an dem Gespräch denn merkwürdig?“

Er: „Es hat sich fast so angehört, als würdet ihr das erste Mal miteinander reden.“

Ich: „Das liegt daran, dass es auch das erste Mal ist.“

Zu mindestens ist es das erste Mal für mich, an das ich mich erinnern kann, das länger als ein paar Worte war. Meine Erinnerungen an meine Kindheit sind immer noch weg.

Er: „Wieso das denn?“

Ich knurre: „Das geht dich nichts an. Ich frage dich doch auch nicht aus, mit welchen Kerlen du dich angelegt hast.“

Er erwidert ruhig: „Ich habe nichts dagegen. Es war eine etwas gewalttätige Gruppe, die auch dazu neigte zu vergewaltigen. Sie nannten sich „Red Attack“ und hatten viele Kinder in ihrer Gewalt… ich habe mich durch ein Versehen ihnen angeschlossen und bin nicht mehr richtig rausgekommen…dann hab ich die Polizei bei der Festnahme unterstützt…nur wurden leider nicht alle gefasst, wie man sieht…“

Mein Magen zieht sich zusammen. „Red Attack“ werden doch wohl nicht sie sein oder? Irgendwie hört es sich nach ihnen an.

Ich: „Und deswegen haben sie dich jetzt verprügelt?“

Er: „Ja das auch, allerdings bin ich danach abgehauen und wollte in dieses Krankenhaus, um mich behandeln zu lassen, doch sie haben mich dann doch noch erwischt. Also falls irgendwann eine seltsame Person in den Raum kommt und versucht mich umzubringen, stell dich einfach schlafend oder versteck dich irgendwie.“

Ich starre ihn einfach an.

Was ist mit diesem Typen falsch? Er erzählt hier gerade ganz locker einen Jungen, den er gerade eben begegnet ist mal einen Teil seiner grausamen Lebensgeschichte und rät ihm einfach zuzusehen wie er ermordet wird. Ist das jetzt wirklich sein Ernst?

Unschuld

Ich starre ihn weiterhin an, während er mich angrinst. Wie kann er dabei lächeln, nachdem er mir so etwas erzählt hat?

Ich: „Aha. Hast du bei dieser Gang auch jemanden verletzt?“

Er: „Dich interessiert das also mehr, als die Tatsache, dass ich vielleicht hier neben dir gekillt werde?“

Interessiert mich das mehr? Ja eigentlich schon. Schließlich muss ich herausfinden, ob dieser Typ nur so freundlich tut! Und noch viel wichtiger ich muss herausfinden, ob diese Gang wirklich SIE sind!

Ich: „Ich kenne dich ja nicht. Also?“

Er sieht mich leicht überrascht an und fängt an zu lachen: „Du bist wirklich einzigartig.“

Ich: „Jeder ist einzigartig.“

Mittlerweile hält er sich schon den Bauch: „Man tut das weh.“

Er räuspert sich: „Nein ich habe niemanden verletzt und wenn dann höchstens so, dass es nicht schwerwiegend ist.“

Ich: „Was ist mit den Kindern passiert?“

Er: „Warum denn auf einmal so wissbegierig? Vorhin kamst du mir passiver vor. Aber gut. Viele haben sich mithilfe ihrer Ketten selbst erhängt oder sich irgendwie anders umgebracht. Ich habe erfahren, dass nur sehr wenige es durchgestanden haben und selbst wenn bezweifle ich, dass jemand von ihnen in ansprechbaren Zustand ist. Wahrscheinlich wurden die 5 überlebenden Kinder in eine Psychiatrie oder so gebracht.“

Es haben nur 5 Kinder überlebt? Wie viele waren es anfangs?

Ich muss mich beruhigen, wenn ich weiterhin so viele Fragen stelle, ist das zu auffällig! Er wird dann ebenfalls beginnen Fragen zu stellen!

Er: „Warum denn auf einmal so still?“

Ich schüttle nur den Kopf und blicke wieder nach draußen. Die Wolken haben sich fast ganz verzogen, sodass man schon leicht den Sonnenuntergang erkennen kann.

Phil ist heute nicht gekommen…ob er morgen kommen wird? Die letzten Sonnenstrahlen erreichen mein Gesicht und ein erneutes Klopfen der Tür lässt mich zusammenzucken.

Ich: „Herein?“

Der Rothaarige stellt sich wieder schlafend und die Tür schwingt auf.

Vor uns steht Phil!

Er hebt leicht lächelnd die Hand, kommt auf mich zu und drückt mich kurz: „Wie war dein Tag heute so?“

Ich: „ Hey, Phil. Hm…nichts Aufregendes… ich habe heute einmal mit ihm geredet.“

Phil sieht mich verwirrt an: „Mit wem?“

Ich seufze: Ich habe dir doch erzählt, dass ich mal versuchen werde mit ihm zu reden.“

Phil nickt: „Ach so. Den meinst du. Und wie lief es?“

Ich: „Überraschend gut. Wie war dein Tag so?“

Er lächelt entschuldigend: „Wir haben heute einen Test geschrieben, den ich wohl wahrscheinlich verhauen hab. Dann wurde ich von Luke gezwungen mit ihm die ganze Zeit Videospiele zu spielen. Tut mir leid, dass ich nicht früher da sein konnte.“

Ich: „Ist schon ok.“

Es reicht mir vollkommen einmal kurz dein Gesicht zu sehen und deine Stimme zu hören…

Ich mustere ihn aus den Augenwinkeln.

Er sieht müde aus, wahrscheinlich hat er nicht genügend Schlaf heute Nacht bekommen. Bestimmt hat ihn Luke auf Trapp gehalten.

Ich seufze: „Du solltest mehr schlafen. Hat Luke dich wach gehalten?“

Phils Wangen verfärben sich.

Sehe ich das jetzt gerade richtig? Oder ist das vom Sonnenuntergang?

Wann bekommt man denn rote Wangen? Vielleicht hat er ein Fieber oder so etwas? Ich glaube eine der Krankenschwester einmal darüber reden gehört zu haben, dass ein kleiner Junge die ganze Zeit ein starkes Fieber und knallrote Wangen hat.

Ich strecke meine Hand aus und lege sie auf seine Stirn, sie fühlt sich nicht außergewöhnlich warm an. Seine Haut ist ganz schön weich.

Phil: „W-was machst du denn?“

Ich: „Hm? Ach so. ich dachte du hättest vielleicht ein Fieber, weil du so rot warst.“

Phils Wangen scheinen noch dunkelroter zu werden.

Vielleicht ist es ja wirklich der Sonnenuntergang?

Ich höre vom anderen Bett ein laut und schaue rüber. Mister Rothaar hält sicher gerade den Mund zu und hat schon ein ganz rotes Gesicht.

Phil schaut ihn verwirrt an: „Wer ist denn der Kerl?“

Ich: „Keine Ahnung. Er wurde vor ein paar Minuten hier reingebracht.“

Rothaar kriegt sich endlich wieder ein und meint dann: „Du bist wirklich zu lustig und wirklich kaltherzig. Ich bin Adrian. Nett dich kennenzulernen, Phil~“

Er zieht Phils Namen seltsam in die Länge und grinst ihn etwas schräg an.

Bedeutet das irgendetwas Bestimmtes? Irgendwie sieht das nicht so aus, als wäre das nett gemeint.

Phil dreht sich wieder zu mir um und flüstert: „Pass auf. Dieser Typ ist definitiv gefährlich.“

Ich winke ab: „Mach dir keine Sorgen. Das ist einfach nur ein Erwachsener, der etwas zurückgeblieben ist.“

Phil lächelt mich breit an: „Wenn du das sagst.“

Adiran: „Wer ist hier zurückgeblieben, hä? Wenigstens kann ich Gefühle von anderen Menschen erkennen und bin nicht so ein Eisklotz, der nicht einmal mit seiner Mutter eine normale Unterhaltung führen kann.“

Phil sieht mich scharf an: „Deine Mutter war hier?“

Ich spüre wie meine Hände anfangen zu schwitzen.

Wie fühle ich mich auf einmal so unwohl? Ich habe doch nichts falsch gemacht?

Ich wende meinen Blick zur Seite.

Wieso kann ich auf einmal seinem Blick nicht standhalten?

Ich nicke kurz.

Er nimmt meine Hand und drückt sie leicht: „Geht es dir gut?“

Ich nicke abermals.

Warum fühle ich mich jetzt so schlecht?

Phil legt seine Hand unter mein Kinn und zwingt mich meinen Kopf zu heben.

Er: „Bist du dir sicher, dass es dir gut  geht?“

Wieder nicke ich.

Wieso fühlen sich meine Lippen so schwer an? Wieso fühlt sich mein Hals so rau an? Warum kriege ich meinen Mund nicht auf? Ich muss doch etwas sagen! Sonst macht er sich vielleicht Sorgen?

Er: „Wieso weinst du dann?“

Ich weine? Tue ich das wirklich?

Ich lange auf meine Wange und diese ist wirklich feucht.

Wann habe ich das letzte Mal geweint? Dieses Zittern meiner Lippen. Kommt es vom Weinen? Dieses brennen in den Augen ebenfalls? Was stimmt nicht mit mir? Was macht Phil nur mit mir? Ich wusste doch gar nicht mehr wirklich wie Weinen funktioniert! Ich wusste doch nicht wie lächeln funktioniert! Ich war doch so objektiv! Oder war ich das nicht?

Auf einmal umarmt mich Phil wieder und streicht mir leicht über den Rücken.

Er murmelt: „Ich weiß zwar nicht, was los ist. Aber du weißt, dass du mich jederzeit anrufen kannst. Mir ist es egal welche Uhrzeit es hat. Ich bin für dich da, das weißt du oder?“

Was ist dieses Kribbeln? Es ist ein nerviges Gefühl! Es fühlt sich an als würden ganz viele Hummeln mit ihren feinen Härchen auf mir herumwuseln. Doch irgendwie ist es auch schön?

Adrian: „Ich will ja euer Liebesgesülze nicht unterbrechen, oder doch halt das will ich! Da sind ja manche Mädchendramas besser. Wie könnt ihr euch beiden überhaupt so schnulzige Sätze sagen?“

Dieser Mann. Irgendetwas stört mich jetzt schon an ihm. Ich denke ich werde mit seiner Art ein paar Probleme haben…

Phil lässt mich langsam los, lächelt mich an, wirft einen kalten Blick, den ich bei ihm noch nie zuvor gesehen habe, zu Adrian, der Phil die Zunge bleckt und meint dann: „Ich geh dann mal wieder. Wir sehen uns morgen! Hier ist übrigens meine Handynummer.“

Er zwinkert mir noch kurz zu, legt einen Zettel auf meinen Nachttisch und geht wieder.

Ein kleiner Stich fährt durch mein Herz.

Adrian: „War das dein Lover?“

Ich ignoriere ihn einfach, der soll mich jetzt erst einmal einfach nur in Ruhe lassen!

Irgendwie hätte ich es gerne, dass Phil hier bleiben würde…

Ich schätze es steht fest. Ich bin in Phil verliebt…

Adrian wirst ein Kissen nach mir: „Hey! Ignorier mich nicht!“

Ich schaue ihn an.

Er hebt abwehrend die Arme: „Du musst mich ja nicht gleich mit deinen Blicken töten. Antworte mir einfach!“

Mit Blicken töten? Schaue ich so?

Ich seufze: „Nein ist er nicht.“

Er grinst: „Du hättest es aber gerne oder?“

Ich stutze kurz, war das so offensichtlich?

Ich: „Das geht dich nichts an.“

Er grinst: „Also willst du nicht wissen wie DAS funktioniert?“

Ich: „Wie was funktioniert?“

Er: „Na du weißt schon DAS!“

Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen.

Was zur Hölle meint er jetzt schon wieder? Hat er nie richtig reden gelernt?

Ich: „Na was das?“

Er seufzt: „Du bist 16 und weißt ernsthaft nicht was ich meine? Wo hast du denn bitte dein ganzes Leben verbracht? Auf dem Mond?“

Ich schaue zur Seite: „So ähnlich. Also was ist das jetzt?“

Er: „Na Sex! S-E-X! Verstehst du es jetzt?“

Hm…Sex?

Ich schüttle den Kopf.

Adrian schlägt sich die verbundene Hand gegen die Stirn: „Wirklich? Wie unschuldig  bist du bitte?“

Ich lege meinen Kopf schräg: „Als was ist das nun?“

Er schüttelt den Kopf: „Vergiss es einfach. Ich werde es dir vielleicht mal wann anders erklären. So macht das keinen Spaß.“

Keinen Spaß? Irgendwo habe ich den Begriff „Sex“ schon einmal gehört. Wo war das noch gleich? Ich glaube im Fernsehen. War das nicht bei irgendeinem Film dabei?

Naja ich werde morgen einfach Phil fragen, der weiß das vielleicht.

Aufklärung

Auf einmal klingelt wieder mein Telefon. Überrascht zucke ich erst einmal zusammen und hebe erst nach dem siebten Klingeln ab: „Ja?“

Kevins Stimme spricht mir entgegen: „Hey! Ich bin es noch einmal….Kevin.“

Seine Stimme klingt etwas unsicher und rau.

Ich: „Oh…hallo…was gibt es denn?“

Er: „Ich habe mit meiner Kollegin ein bisschen geredet. Keine Sorge ich habe ihr nicht alles erzählt…also…ehm ja… Sie und ich werden in diesen Monat erst einmal ein wenig auf dich ein Auge haben. Natürlich auch auf deinen Stiefvater.“

Mein Magen zieht sich wieder zusammen. Dieser Mann. Ich mag nicht an ihn denken. Er soll einfach aus meinem Leben verschwinden. Was will er nur noch von mir?

Ich räuspere mich: „Ja…..Danke…“

Ich kann mir richtig vorstellen wie er warm lächelt und seine Augen etwas auf den Boden richtet: „Keine Ursache. Das ist schließlich mein Job. Pass auf dich bitte auf, ja?“

Ich nicke: „Ja.“

Ich schaue etwas abwesend zu Adrian rüber, der natürlich seinen breit grinsenden Kopf in meine Richtung gedreht hat, seine roten Haare fallen etwas in seine Augen, was ihn nicht im geringsten zu stören scheint und seine Zähne schauen frech aus seinem Mund hervor. Warum grinst er immer nur so blöd?

Da fällt mir ein, ich könnte ja auch Kevin fragen, er weiß das bestimmt auch.

Ich: „Kevin?“

Er: „Ja?“

Ich: „Was ist Sex?“

Der Rothaarige reißt seine Augen auf, schüttelt den Kopf, wodurch seine rote Mähne noch einmal wild von einer Seite zur anderen fällt und fängt an lauthals zu Lachen.

Langsam bin ich genervt von dem Typen.

Entschlossen drücke ich den Knopf für die Krankenschwester. Ich schaue zu ihm rüber, während er sein bestes versucht sich wieder einfach nur schlafend zu stellen und sein Grinsen in eine gleichgültige Miene zu verwandeln.

Eine Zeit lang herrscht Stille auf der anderen Seite der Leitung. Man hört nur ein paar Leute im Hintergrund reden, anscheinend ist Kevin gerade irgendwo unterwegs.

Dann räuspert sich Kevin: „Ehm….wo hast du denn das aufgeschnappt?“

Seine Stimme flüstert mir gerade einmal entgegen.

Ist ihm das Thema wirklich so unangenehm?

Ich antworte: „Ich habe einen neuen Mitbewohner sozusagen und der will mir nicht erklären was das ist, obwohl er damit angefangen hat.“

Kevin hüstelt sehr seltsam: „Ist das so?...Nun…ehm..wie erklär ich das am besten?...Also das ist etwas, das man normalerweise nur mit jemanden macht, den man liebt und hm….ja….“

Was genau will er mir damit sagen? Ich verstehe es immer noch nicht…

Naja warum Adrian danach gefragt hat in dem Zusammenhang ist mir jetzt zwar klar, aber ich bin auch nicht wirklich schlauer als vorher.

Ich: „Ja und was macht man?“

Er schweigt eine Weile: „Nun…also…“ Er hustet erneut, ist er etwa krank?: „Hm…weißt du…du hast es eigentlich schon gemacht…nur eben nicht mit der Person mit der es sich normalerweise gehört…weißt du?....erinnerst du mich wie du mir gesagt hast, dass du vergewaltigt wurdest?“

Ich: „Ja.“

Wie könnte ich das vergessen? Er meinte ja auch, dass es mir so gefalle und man das deswegen nicht als Vergewaltigung zählen könnte.

Er: „Woher kanntest du das Wort denn?“

Ich: „Hm…der Mann hat das immer wieder gesagt, bevor er mich anfasste und-“

Kevin fällt mir ins Wort: „Ja schon ok. Theoretisch ist… war genau das Sex. Nur eben nicht leidenschaftlich und nicht mit einer Person, die du liebst.“

Ich: „Aha. Danke.“

Dann will ich das nicht so schnell mehr machen! Das war nicht sonderlich angenehm! Und zum Glück habe ich jetzt Kevin danach gefragt…

Hätte ich Phil gefragt…wie hätte er es mir versucht zu erklären? Wenn Kevin das schon so unangenehm ist, wie unangenehm wäre es dann Phil gewesen? Wieso denke ich nun schon wieder, dass es Phil unangenehmer gewesen wäre? Ich hätte vielleicht ein seltsames Gefühl dabei gehabt, aber ich weiß ja überhaupt nicht, was Phil….

Kevin räuspert sich: „Gern geschehen. Gibt es sonst noch etwas? War Phil heute noch einmal da?“

Woher weiß Kevin schon wieder, das ich an Phil denke? Oder ist das bloßer Zufall? Mich verwirrt das einfach so!

Ich nicke erneut: „Ja, er war hier.“

Kevin: „Das ist ja schön.“

Ich: „Ja…“

Kevin: „Nun ja…bis bald.“

Ich: „Bis bald…“

Ich lege den Hörer wieder ab, endlich öffnet sich die Tür und die Krankenschwester tritt ein: „Du hast gerufen?“

Ich zeige auf Adrian: „Er ist wach.“

Sie schaut zu Adrian, der verzweifelt versucht seinen Lachkrampf zu unterdrücken.

Sofort stellt sich die Schwester zu ihm: „Stimmt etwas nicht? Haben Sie starke Schmerzen?“

Adrian bringt gerade noch schwer atmend hervor: „D-dieser…J…unge…bringt….mich…n…och…u..m“

Verständnislos schüttelt die Krankenschwester den Kopf: „Ich führe am besten mit dir noch einige Tests durch.“

Sie scheint sehr beunruhigt.

Der Rothaarige wird auf einmal ganz ruhig: „Das ist nicht nötig.“

Die Krankenschwester zieht ihre Augenbrauen hoch: „Ich glaube wir fanden mit ihren Kopf an.“

Ohne auf die Proteste von Adrian einzugehen schiebt die Schwester sein Bett mit ein paar Geräten nach draußen und schließt wieder die Tür.

Endlich ist es wieder ruhig. Ich atme einmal tief durch und nehme diese Stille in mich auf.

Bis ich hier raus darf, ist es noch eine Weile. Was passiert danach wohl?

Ein abwesender Blick nach draußen zeigt mir, dass es schon richtig finster ist und man nur noch schemenhaft einige Bäume und eine kaputte Straßenlaterne erkennt.

Wird meine Zukunft so dunkel sein? Oder werde ich Licht haben? Werde ich Phil öfter sehen? Phil….meine Sonne…meine Wärme…oder werde ich wieder an einen steinernen Ort gebracht?...mit dem Blut, den Toten, den Ketten, dem Gefängnis...zu einer neuen, alten Hölle…

Warum habe ich das Gefühl, dass ich mich von Phil und Kevin verabschieden sollte?

Wieso spüre ich ein so bedrückendes Gefühl in meiner Magengegend? Wieso fühle ich mich als hätte ich etwas verdrängt, übersehen, vergessen?

Meine Stimmungen schwanken zu schnell. Etwas stimmt definitiv nicht! Das nennt man wohl Ruhe vor dem Sturm.

Es ist zu still, zu ruhig. Der Mann. Was plant er?

Ich werde es wohl erst in einigen Tagen sehen…Will ich es wissen?

Wahrscheinlich will ich es nicht wissen. Doch habe ich eine andere Wahl als mit ihnen zu gehen? Außerdem ist ja Kevin in der Nähe…er wird nicht zulassen, dass mir etwas passiert, oder?

Aber bräuchte er nicht Beweise, dass der Mann ins Gefängnis gehört?

Dann müsste er mich benutzen…Wird er das tun?

Aber selbst wenn er das tun würde, wird es mir wirklich so sehr schaden?

Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare.

Meine Gedanken kreisen sich immer nur um zwei Themen…und immer wieder denke ich dasselbe. Das ist wirklich schwachsinnig.

Ich seufze.

Ich sollte meine Gefühle besser unter Kontrolle haben und vor allem nicht immer daran denken! Habe ich nicht schon erkannt, dass der Mann mir nicht so viel antun kann? Ich sollte endlich aufhören an ihn zu denken!

Die Tür öffnet sich wieder und Adrian ruft: „Hast du mich schon vermisst, Lucy?“

Lucy? Habe ich das gerade eben richtig gehört?

Ich ignoriere ihn.

Wenn er unbedingt eine Antwort will, soll er wenigstens meinen richtigen Namen sagen, oder es lassen.

Wieso bekomme ich eigentlich immer die nervigsten und energiegeladensten Zimmergenossen?

 

Schmerz zum Durchbruch

Nach der schockierenden Nachricht von Phil, dass er für die nächsten vier Wochen seinen Onkel und seine Tante in einem anderen Land verbringt, um ein wenig an irgendeiner Fremdsprache zu feilen, blieb ich einfach hier zurück. Das einzige, was ich bei diesem Telefongespräch richtig mitbekommen habe, waren die Worte: „Vier Wochen….Tante Onkel….anderes Land….weit weg…keine Zeit für Besuche…“

Und diese Worte haben mir vollkommen ausgereicht, um meine Laune auf den Tiefpunkt zu bekommen, als dann auch noch blöde Bemerkungen von Adrian über die hohe Trennungsrate bei Fernbeziehungen anfing und mir noch ein bisschen auf die Nerven ging, ging meine Laune noch weit in die Minusgrade und erreichte beängstigende Gefriertemperatur.

Die nächsten Tage besuchte mich nur ein einziges Mal Kevin, der allerdings viel zu sehr von Adrians Anwesenheit abgelenkt war und diesem die ganze Zeit traurige Blicke zuwarf. Adrian schwieg während des ganzen Besuchs von Kevin und als ich ihn danach fragte, was los sei, meinte Adrian nur, dass er nicht gut auf diese „Person“ zu sprechen wäre wegen irgendwelchen Vorkommnissen, die nichts für Kinder wären.

Nach diesen wirklich quälend langsam vergehenden Tagen kommt auf einmal die Frau in das Zimmer gehetzt: „Wir können los.“

Ich schaue sie nur eine Weile an, seit dem letzten Mal bei dem sie mich besucht hat, haben wir kein Wort mehr gewechselt.

Sie: „Kommst du?“

Ich lege meinen Kopf nur schief: „Wohin denn?“

Meine „Mutter“ lacht leicht: „Na nach Hause.“

Nach Hause… Hört sich nicht sonderlich toll an.

Adrian grinst: „Tja. Ich schätze, das heißt dann wohl, dass du früher hier weg darfst als ich.“

Ich nicke nur einfach. Dieser Typ soll einfach nur die Klappe halten, vielleicht sollte ich Kevin einfach hier herbestellen und behaupten, dass er hier auf mich warten soll, bis ich von einer Untersuchung wieder zurück komme. Sicher würde Mister Rothaar dann das Lachen vergehen.

Etwas trotzig schleiche ich der Frau nach, die schon meine wenigen Habseligkeiten in eine Tasche gepackt hat und diese etwas hin und herschwingt, während sie auch schon vorausgeht.

Sie führt mich durch einige Gänge und eine relativ große Eingangshalle zu einem Parkplatz, an dem sie mich zu einem kleinen dunkelblauen Auto führt, das kurz an den Seiten aufblinkt und wir beide einsteigen.

Sie legt die Tasche auf den Rücksitz und startet den Wagen, während sie mich wieder breit anlächelt: „Tut mir leid, aber ich werde dich leider nur schnell absetzen können….aber keine Sorge dein Vater ist ja zu Hause. Unter unserer Wohnung ist eine Bar, die uns gehört und er wird wahrscheinlich heute Abend arbeiten müssen….wenn du willst können wir ihn beide begleiten und etwas aushelfen. Vielleicht triffst du ja ein paar Jungen und Mädchen in deinem Alter. Dann kannst du gleich noch ein paar Freunde finden.“

Soll mich das jetzt beruhigen? Soll es mich beruhigen zu wissen, dass dieser Mann, dieser Verbrecher  in ihrem Zuhause sozusagen auf mich wartet? Mich erwartet. Mich dort empfängt?

Soll es mich beruhigen zu wissen, dass wir ganz alleine sein werden? Das niemand außer uns in dieser Wohnung ist? Soll mich das wirklich beruhigen?

Phil…ich glaube ich hätte meine letzten Worte zu dir besser wählen sollen. Warum habe ich überhaupt gesagt „Oh….Na dann bis in vier Wochen…“ und einfach aufgelegt? Wieso musste in dem Moment meine verdammte Stimme versagen? Ich habe doch versucht mich zu überwinden! Aber dann hat mich diese verdammte Realität mit den ganz vielen schrecklichen Dingen, die es eben auf dieser verdammten Welt gibt, eingeholt. Wieso bin ich überhaupt so seltsam? Wieso kann ich nicht einfach immer meine Gedanken aussprechen? Wieso denke ich immer so viel? Und wieso denke ich jetzt schon wieder darüber nach? Ich sollte an etwas Anderes denken!

Und wieso sollte ich andere Freunde neben Phil brauchen? Denkt sie wirklich, dass es so leicht ist, Freunde zu finden? Ich denke ich würde mich nur unwohl fühlen. Ich mag es immer noch nicht, wenn mich Leute einfach anfassen. Warum haben auch so viele Leute diesen Drang einen an der Hand zu nehmen, einen in die Augen zu sehen und meinen zu müssen mit einer ihrer Meinung nach ruhigen Stimme auf mich einreden zu müssen? Mir bringt das rein gar nichts.

Das einzige was das bei mir bewirkt ist ein Übelkeitsgefühl, eine pochenden Kopf und den Drang die Person einfach wegzudrücken und anzuschreien.

Das gilt natürlich nicht für Phil. Phil ist die Ausnahme und Kevin ist mittlerweile auch ganz erträglich.

Hat Kevin wirklich jemanden für mich gefunden, der aufpasst? Ich hoffe es doch.

Die Frau hält den Wagen an und als ich mich ihr zuwende, erkenne ich durch die Fenster hinter dem Auto auch schon meinen lieben Steifvater oder was er auch immer darstellen soll.

Sie drückt mich einmal fest, gibt mir einen eindeutig unnötigen Schmatzer auf die Wange, der mir Kopfschmerzen bereitet, drückt mir meine Tasche in die Hand und verabschiedet sich kurz: „Wir sehen uns dann in 4 Stunden.“

Sie winkt mir aufmunternd zu und ich steige langsam aus mit der Tasche in der Hand.

Ich glaube das werden keine angenehmen 4 Stunden werden. 4 ganze Stunden. Meine letzten Stunden?

Der Mann kommt auf mich zu legt mir seinen Arm um die Schulter, zieht mich an sich und winkt seiner Frau hinterher mit einem breiten Grinsen.

Als der Wagen leider außerhalb unserer Sichtweite war, zieht er mich kräftig und mit einem sehr starken Griff, der sich so anfühlt, als wollte er meine Schulter zerschmettern, in die Wohnung.

Ich gebe mein bestes mich irgendwie gegen ihn zu stemmen, doch das ist einfach hoffnungslos.

Er zischt: „Oh je mein Junge. Bist du so aufgeregt, dass du dich nicht in die Wohnung traust?“

Ich glaube ich sollte dieses Gebäude nicht betreten. Nein das sollte ich nicht. Das Licht der Bar flackert und beginnt gerade, als wir daran vorbeigehen, die Treppe zur Wohnung hochsteigen, auszugehen.

Er sagt in einem beängstigend sanften, aber immer noch wütenden Ton: „Keine Sorge. Ich bringe dich dort schon hin.“

Als die Haustür hinter uns ins Schloss fällt, lässt er meine Schulter los, greift mein Handgelenk mit demselben festen schmerzenden Griff und gibt mir einen so heftigen Ruck, dass ich längs auf den Boden falle.

Er: „Oh. Du bist ja hingefallen. Was machen wir da nur?“

Meine Lunge schmerzt stark und ich fühle mich bei jedem Atemzug dieses Pochen, das meien ganzen Körper durchzieht. Das Atmen ist schmerzhaft und es fühlt sich so an, als hätte mich ein Laster überfahren.

Er kommt bedrohlich auf mich zu und ich versuche mein bestes von ihm wegzurutschen, aber irgendwann stoße ich mit dem Rücke an der Wand an.

Er steht direkt vor mir und sieht mit einem verächtlichen Blick auf mich herab: „Weißt du. Ich hatte vor kurzen eine nette Unterhaltung mit einem gewissen Kevin. Hast du schon einmal von ihm gehört?“

Ich schüttle abrupt mit dem Kopf.

Ich glaube das ist die richtige Entscheidung in einem solchen Moment. Ich bin eindeutig nicht stark genug, um es mit ihm aufzunehmen und das Überleben ist jetzt gerade eindeutig wichtig.

Er grinst schräg: „Ach wirklich? Bist du dir da sicher?“

Plötzlich tritt er kräftig in meine Magengrube: „Oh je. Scheint als wäre ich ausversehen über dich gestolpert. Was machst du auch nur auf dem Boden. Komm ich helfe dir auf.“

Schmerz. Ich spüre Schmerz. Noch stärker als eben. Seit wann kann ich Schmerz so stark verspüren? War der Schmerz nicht ein Gefühl, das mir nur allzu bekannt ist? Wieso bin ich nicht mehr so immun dagegen?

Phil…Hast du das bewirkt? Genau wie die Tränen? Und das halbe Lächeln? Soll mir das helfen normal zu werden?

Mein sogenannter Vater packt mich wieder mit einer Hand am Arm, zieht mich grob nach oben, während ich mich krümme und schlägt mit der freien Hand kräftig auf dieselbe Stelle: „Oh. Tut mir leid. Meine Hand ist mir gerade irgendwie ausgerutscht. War da nicht gerade eben eine Fliege?“

Vor mir tanzen kleine Lichter.

Phil. Willst du mich mit den Lichtern von den Schmerzen ablenken? Als Entschädigung dafür, dass ich Schmerzen mehr verspüre? Als Entschädigung dafür, dass mein Körper nicht mehr ganz so taub ist? Als Entschädigung dafür, dass du jetzt nicht da bist? Als Entschädigung dafür, dass mich niemand beschützen kann?

Ich muss würgen und spüre wie mein Mund sich mit dieser nach Eisen schmeckenden warmen Flüssigkeit füllt. Ich öffne geschockt meinen Mund ein Stück und das rote Wasser tropft leicht aus meinen Mund und läuft ebenfalls an meinen Mundwinkel herunter. Das Atmen durch die Nase reicht nicht mehr.

Mein Vater: „Oh je. Du bist ja verletzt. Komm, Papa, lenkt dich vom Schmerz ab.“

Die Lichter lichten sich wieder, aber stattdessen verschwimmt meine Sicht leicht und ich hechle.

Ich werde von dem Mann in ein helles Zimmer geschleppt und auf ein weiches großes Bett geschmissen. Er greift zu einem Besen und kommt auf mich zu, während er noch ein Tuch, das neben dem Besen lag nimmt und mir um den Mund bindet.

Danach zieht er aus seiner Hosentasche Handschellen, die er mir an den Händen anlegt, nachdem er mir die Hände auf dem Rücken gekreuzt hat.

Er: „Du wirst sicher gleich alles vergessen.“

Phil…wieso sehe ich deine Lichter nicht mehr? Hast du mich nun aufgegeben? Oder war das nur dein kurzer Abschied, um mir zu sagen, dass nun gleich alles vorbei ist? Oder willst du mir eher sagen, dass das nichts mehr ist, was du miterleben willst? Oder willst du mir sagen, dass ich jegliche Hoffnung auf ein normales Leben aufgeben sollte?

Der Mann zieht mir grob meine Hose aus, während ich versuche wieder irgendwie klarer zu werden, um mich vielleicht aus dieser Situation retten zu können.

Grob drückt er meinen Oberkörper auf die Matratze und das Bettlaken, bindet meine Beine nach oben, wodurch sie links und rechts neben meinem Kopf positioniert sind und stößt den Stiel des Besens in mich.

Das grobe Holz dringt in mich ein.

Es fühlt sich an, als würde mein gesamtes Gesäß auseinandergebrochen werden, als würde es zertrümmert werden.

Der harte Besenstiel wird immer tiefer in mich eingeführt und ich habe das Gefühl gleich gesprengt zu werden. Meine inneren Organe scheinen verschoben zu werden und ich kann ein leichtes Wimmern und Zittern nicht mehr unterdrücken.

Phil. Das ist das Ende oder? Oder ist das der Anfang der neuen Hölle? Der alten Hölle?

Mein Vater: „Oh je. Nicht einmal das hältst du mehr aus? Bist du ein Mann oder bist du eine Memme? Du wirst noch viel mehr aushalten müssen, wenn du wirklich von nun an hier leben willst. Schließlich werde ich dich sicher nicht kostenlos wohnen lassen! Das Leben ist kein Wunschkonzert!“

Wie war das „Mutter? Wir kriegen das hin? Alles wird gut?

Phil… Ich schätze ich bin nicht mehr stark. Sicher werde ich diese Hölle nicht überleben, denn jetzt habe ich dich kennengelernt.

Ich bin sicherlich zu schändlich für dich.  

Ich werde diese Hölle nicht noch einmal durchleben können und ich will dir meinen Anblick sicherlich ersparen. Ich will nicht, dass du mich so ausdruckslos, so leblos vorfindest, wenn du zurückkommst.

Ich will, dass du dein Leben genießt in vollen Zügen!

Du, der so hell mit seinem Lächeln strahlt wie die Sonne höchste persönlich.

Du, der Licht selbst einer so in der Dunkelheit verlorenen Person wie mir bringen kannst.

Du, der, der erste warst, der mich zum Lächeln und Weinen brachte.

Du, der einfach so nett ist, das er eine normale nette Person verdient hat.

Eine, die nicht so viele verwirrende seltsame Gedanken hat wie ich.

Eine, die eine normale Familie hat, normal aufgewachsen ist und Gefühle auf Anhieb versteht. Dich auf Anhieb versteht.

Mein Vater: „Antwortest du mir endlich mal! Oder willst du dafür bestraft werden? Man gehorcht seinen Eltern!“

Was mach ich denn nun?

Ich spüre wie etwas langsam aus meiner Tasche rutscht.

Das Aufnahmegerät, das in meiner Pulli Tasche verborgen ist, wird sicher bald hinausfallen. Dann ist alles vorbei, wenn er das Gerät sieht.

Ich strecke meine eine Hand, bis ich irgendwie trotzdem die Tasche erreiche.

Den brennenden Schmerz in meinem Hintern, die Flüssigkeit und das Reiben der Handschellen blende ich vollkommen aus.

Ich muss diese verdammte Bande zur Strecke bringen! Dann kann ich beruhigt sein, dass ein großer Teil der Verbrecher, Phil nichts mehr antun kann. Dann kann niemand von diesen Verbrechern angerührt werden.

Dann kann ich gehen. Fort. Weit weg, Phil. Weiter weg, als das Land in das du gereist bist. An einen Ort, den du wahrscheinlich niemals sehen wirst, denn du bist eine helle Person.

Weißt du, Phil, ich glaube ich kenne jetzt viele verschiedene Gefühle.

Wieder dringt der Stock mit einem weiteren kräftigen Stoß noch tiefer in mich.

Ich kannte nur Schmerz. Nun kenne ich auch anderes.

Entschlossen drücke ich einen Knopf auf dem Aufnahmegerät, doch dieses beginnt auf einmal seltsam zu piepen.

Mein Erzieher lässt den Besen los, doch dieser steckt immer noch tief in mir und packt mich am Kragen: „Was hast du gemacht? Böse Kinder müssen bestraft werden! Du hast nun eine noch größere Strafe verdient!“

Er schüttelt mich kräftig durch und ich kann nur noch spüren, wie immer mehr Blut sich in meinem Mund ansammelt.

Das Ende, Phil? Kann ich doch nichts mehr tun?

Dabei hatte ich doch einen kleinen Durchbruch, dank Kevin und Adrian.

Red Attack… 

Mach es gut Phil

Jemand streicht mir sanft die Haare aus dem Gesicht und sagt liebevoll: „Lucian-Schatz. Wach auf. Wir wollen doch gemeinsam Papa aushelfen. Danach kannst du wieder schlafen, ja?“

Müde reibe ich mir den Schlaf aus den Augen.

War das alles nur ein schrecklicher Traum?

Ich versuche mich aufzusetzen, doch schon spüre ich, dass jeder einzelne Teil meines Körpers stark dagegen rebelliert.

Wie bitte soll ich mich denn da bewegen?

Die Frau lächelt mich freundlich an: „Nun komm schon. Das wird sicher lustig.“

Sie nickt mir noch einmal aufmunternd zu und verlässt anschließend wieder den Raum.

Wenn das so einfach wäre wie sie sagt, dann würde ich das auch so machen.

Aber wie soll ich das bitte in meiner jetzigen Verfassung bewerkstelligen? Kann sie mir das bitte erklären?

Die Zähne fest aufeinander gepresst und die Hände zu Fäusten geballt, versuche ich den Schmerz einfach auszublenden und aufzustehen, wie sie von mir verlangt hat.

Die paar Stunden werde ich überleben und dann lege ich mich sofort wieder hin.

Ich habe schon schlimmeres überlebt, richtig?

Steif gehe ich zur Tür, öffne diese leicht schwankend und mit zitternden Händen.

Schaffe ich das wirklich?

Mit einem Ruck werde ich weitergeschoben: „Wo bleibst du denn so lange? Mama wartet schon auf uns!“

Ich reiße meine Augen auf.

Dieser Mann! Wie kann er? Wieso? Was will er noch?

Die Frau lächelt uns beide strahlend an: „Wartet ich mach ein Foto von euch.“

Hektisch trippelt sie in einen anderen Raum.

Der Mann haucht mir mit scharfer Stimme ins Ohr: „Wenn du dich nicht zusammenreißt, statte ich deinem lieben Freund, seiner Familie und diesem Kevin einen netten Besuch ab.“

ER wird was? Ist das sein Ernst? Aber diese Leute haben doch damit überhaupt nichts zu tun! Cool bleiben!

Ich atme einmal tief durch, was sich als ziemlich dumm erweist, da meine Rippen stark schmerzen und ich beinahe einen Schmerzensschrei ausgestoßen hätte.

Die Frau kommt mit einem Foto zurück und lächelt: „Und lächeln!“

Ich versuche mein bestes, wobei ich bezweifle, dass das etwas geworden ist.

Der Mann: „So jetzt müssen wir aber los. Es wird Zeit die Bar aufzumachen.“

Die Frau nickt angeregt und wir gehen gemeinsam in die Bar nach unten.

Es stehen ziemlich viele kleine Tische herum, dann gibt es noch einen langen Tisch, der circa einen Meter vor der Wand steht. An der Wand sind tausende von Flaschen mit unterschiedlich farbigen Inhalten und unterschiedliche Gläser.

Meine „Mutter“ reicht mir eine Schürze: „Binde dir am besten diese Schürze um. Ach und hier hast du einen Block und einen Stift, um die Bestellungen zu notieren.“

Ganz geschäftig geht sie dann wieder zu dem Mann und redet auf diesen ein.

Ich stehe einfach nur da und weiß nicht wirklich was ich machen soll. Schreiben kann ich noch nicht wirklich. Aber was kann ich dafür?

Es kommt eine Gruppe von ungefähr 7 Männern in die Bar und der Mann begrüßt sie sofort und bedient sie, während ich weiterhin herumstehe.

Ich schätze ich kann froh sein, dass ich nichts machen muss, da ich mich immer noch so fühle, als würde ich in jedem Moment wegen den Schmerzen zusammenklappen und mich am Boden zusammenrollen müssen, aber wenn ich das mache, was macht ER dann? Würde er wirklich gerade diese Leute bedrohen, angreifen und sogar noch schlimmere Dinge machen? Diese Leute, die mir so wichtig sind? Die mir wieder gezeigt haben, dass es vielleicht nicht schlimm ist zu leben? Am Leben zu bleiben? Das Leben zu schätzen und Momente zu genießen?

Abwesend stehe ich mitten in dieser Bar, in die die Leute kommen und recht torkelnd wieder gehen, um einen anderen Ort aufzusuchen. Sie gehen an mir vorbei, um mich herum und beachten mich nicht weiter. Manche werfen mir Blicke zu, die ich nicht einordnen kann, doch niemand spricht mich an, niemand verlangt nach mir, niemand scheint mich für nötig oder wichtig zu halten.

Irgendwann nimmt mich die Frau an die Hand und zieht mich wieder zurück in die Wohnung: „Ich schätze du bist müde? Du siehst heute nicht so gut aus. Vielleicht solltest du erst übermorgen in der Bar helfen und dich erst einmal ausruhen.“

Sie lächelt mich freundlich an, doch warum sehen ihre Augen so rot aus? Warum laufen ihr Tränen über die Wangen? Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt.

Sie streicht mir leicht über den Handrücken und erstarrt auf einmal: „Was hast du denn da?“

Sie schiebt meinen Ärmel hoch und entblößt die Wunden, die die Handschellen verursacht haben, als sie in mein Fleisch geschnitten haben.

Sie schaut mich entsetzt an: „Wer war das? Hast du sonst noch irgendetwas.“

Ich bleibe regungslos stehen und schaue sie einfach nur an. Wie eine Puppe lasse ich es einfach zu, dass sie mein Oberteil hochschiebt den recht blauen Bauch entblößt.

Sie kreischt nun schon fast: „Wer war das?“

Ich schaue einfach nur geradeaus.

Phil, reagieren Mütter immer so? Was macht man in einer solchen Situation? Eigentlich wollte ich ihr ja eine Entwicklung vortäuschen. Doch gibt es dafür noch einen Sinn? Wenn ich weiterhin hier bleibe, werde ich bei IHM sein. Von IHM gequält! Du bist auch nicht hier. Was will ich also hier? Sollte ich dem einfach ein Ende setzen? Genau wie die anderen? Bin ich noch stark genug dafür? Wieso wechseln die ganze Zeit meine Gefühle? Wieso sehe ich ab und an einen Sinn im Leben, an den ich glauben kann und wieso sehe ich jetzt so schwarz? Wieso sehe ich nicht die Sonne? Wieso sehe ich nicht dich Phil? Wieso bist du nur so weit weg? So unerreichbar?

Ich spüre wie mich die Frau am Kragen packt und leicht und vorsichtig durchrüttelt: „Rede doch mit mir! Ich will dir helfen!“

Helfen. Sie will mir helfen, Phil. Hörst du das? Sie, dieses schwache Lebewesen, das nichts erkennt, nichts weiß, nichts versteht, nichts von selbst sieht und nichts hinterfragt. Sie will mir helfen. Kannst du das glauben, Phil?

Ich sehe wie der Mann zur Tür hereinkommt und mich mit einem Mörderblick straft, dem ich einfach standhalte: „Was ist hier los?“

Die Frau wird panisch, wischt die Tränen weg und quiekt: „Nichts. Nichts ist los. Tut mir leid Schatz, aber ich glaube ich gehe besser ins Bett.“

Grob reißt der Mann sie herum: „Hast du deine Medizin genommen?“

Medizin? Welche Medizin? Ist sie krank?

Ängstlich sieht die Frau an dem Mann vorbei und der Mann schleudert sie in eine Ecke: „Nehm deine Medizin!“

Die Frau schluchzt und versucht von ihm wegzukriechen. Tränen laufen ihr wie Bäche über die Wangen.

Sie sieht so erbärmlich aus.

Der Mann greift neben die Tür und zieht einen Baseballschläger, den er einmal kurz in die Luft schwingt und wieder auffängt, dann weit ausholt und auf den Kopf der Frau einschlägt.

Die Frau schreit auf, hält sich den Kopf und versucht weiterzukommen, während sie mit ihren Händen alles mit ihrem Blut beschmiert.

Nach einem weiteren kräftigen Schlag und einem leisen Knacken bleibt sie reglos liegen.

Ihr Gesicht ist zu mir gedreht und ihr Kopf ist seltsam abgewinkelt. Ihre Augen blicken mir teilnahmslos entgegen und eine letzte Träne kämpft ihren Weg zur Blutlache hinunter.

Ich schaue einfach nur auf sie herab: „Warum?“

Ich habe eigentlich keine besonderen Gefühle gegenüber dieser Frau, ich habe sie bis jetzt nie als meine Mutter gesehen. Doch warum? Warum fühle ich mich schlecht? Sie hat den Tod vielleicht nicht ganz verdient. Sie war nett zu mir. Sie hat versucht mich zu verstehen, auch wenn sie natürlich gescheitert ist, da sie nichts weiß. Phil, glaubst du, dass ich sie vielleicht doch noch als Mutter gesehen hätte?

Der Mann lässt den Baseballschläger hinter sich auf den Boden schleifen und kommt langsam mit einem irren Blick im Gesicht auf mich zu, während er laut lacht.

Immer noch lachend schwingt er erneut den Baseballschläger und trifft mich am Kopf. Seine Kraft reißt mich von den Füßen und ich lande wieder auf dem Boden.

Mein Kopf fühlt sich so an als würde er gleich in zwei springen.

Der Mann prustet: „Du hast deine Mutter umgebracht, als du plötzlich dich an etwas erinnert hast und bis ausgetickt. Danach hast du dich wieder beruhigt und dir ist klar geworden, dass du gerade eben deine Mutter umgebracht hast. Damit konntest du nicht leben und du hast dir selber mit dem Baseballschläger eine übergezogen.“

 Was redet er da? Ich habe nichts getan, richtig Phil?

Der Mann schwankt leicht, lässt den Baseballschläger neben mir fallen und stolpert aus der Wohnung.

Ich höre ihn noch flüstern: „Das perfekte Verbrechen. Niemand wird mich finden.“

Ich keuche langsam. Das waren eindeutig zu viele Wunden.

Meine Augenlieder flattern und auf einmal erblicke ich Kevin?

Wieso sehe ich jetzt Kevin? Ich würde lieber Phil sehen. Sein Lächeln, dein Lächeln, Phil. Dieses einzigartige Lächeln, bei dem die Sonne aufgeht. Das wäre ein schöner Abschied gewesen, da ich sicher nun an einen dunklen, grausamen Ort komme. Aber ich schätze eine so im Schatten vergessene Person wie ich, hätte das nicht verdient. Ich liebe dich, Phil. Werde glücklich, wobei ich glaube, dass ich das gar nicht sagen muss. Du bist schließlich warm und hell. Richtig Phil? Mach es gut Phil.

Schuldgefühle

Kevin PoV

Gemütlich lehne ich mich in meinem Bürostuhl zurück und nehme einen Schluck von meinem frisch rausgelassenen Kaffee. Der Tag hat sich heute schon sehr lange gezogen und ich frage mich langsam, wie lange ich schon hier sitze und noch sitzen muss.

Meine gesamten Notizen über diesen einen Fall, der mich einfach verfolgt und nicht mehr loslässt sind auf meinem gesamten Schreibtisch ausgebreitet.

Meine Kollegen wuseln immer wieder hin und her tragen Akten von Regal zu Schreibtisch und wieder zurück, führen Telefongespräche, legen kurze Pausen ein und unterhalten sich über ein paar Details von irgendwelchen Fällen.

Während ich natürlich hier hocke und ständig an diese roten Haare denken muss.

Seine Worte kurz vor dem Unfall gehen mir nicht mehr aus den Kopf.

Er: „Du hast mir keineswegs geholfen. Ich habe dir alles ganz genau gesagt, gemacht was du mir gesagt hast. Und was ist jetzt? Es sind immer noch sehr viele frei! Weißt du was das heißt? Warum zur Hölle hast du dich nicht an den Plan gehalten? Warum hast du sie schon zu früh geholt?“

Ja. Warum habe ich das getan?

Ich habe es einfach nicht mehr ertragen diese ganzen Kinder leiden zu sehen, sterben zu sehen, sich selbst töten zu sehen oder getötet werden zu sehen.

Ich konnte nur zusehen und gehorchen. Ich musste immer nur das Essen bringen, da ich eine Blutphobie vorgetäuscht habe.

Ich habe versucht den Kindern, denen ich ihre Mahlzeit oder wohl eher die Abfälle, die diese Menschen Nahrung nannten, brachte, gut zuzureden. Doch die meisten von ihnen überlebten es trotzdem nicht. Ich konnte es wirklich nicht mehr ertragen.

Deswegen habe ich meinen Kollegen schon früher Bescheid gegeben.

Nur ein einziges Kind hat überlebt. Ein einziger Junge. Kann man das glauben?

Sie haben bevor wir alle Opfer beschützen konnten die meisten noch kurz abgeschlachtet.

Nur einen einzigen konnten wir retten.

Einen. Einen unschuldigen Jungen, der traumatisiert ist, aber erschreckend gut bei Verstand ist.

Ich hoffe es wird für ihn alles gut.

Aber das er mir erzählt hat, dass sein Vater etwas damit zu tun haben könnte. Es beschäftigt mich. Meine Kollegen haben mich ziemlich schräg angeschaut als ich sie dort zur Überwachung hingeschickt habe, aber ich denke, dass es die richtige Entscheidung war.

Nur habe ich trotzdem dieses schlechte Gefühl.

Gedanken verloren nehme ich einen großen Schluck des heißen Getränks und verspüre sofort den Schmerz in der Zunge. Hastig lasse ich den Becher los, der die braune Flüssigkeit sofort auf dem Boden verteilt.

Meine Zunge fühlt sich pelzig und fehl am Platz an.

So etwas kann auch nur mir passieren.

Seufzend nehme ich Tücher, wische die braune Brühe auf und entsorge die Tücher und den Pappbecher. Danach setze ich mich wieder auf meinen Stuhl und starre wieder auf meine Notizen.

Etwa 25 Kinder sind umgekommen. Das Ganze hat vor 12 Jahren begonnen. Die Kinder haben keine Gemeinsamkeiten. Das Kind, das überlebt hat, ist auch derjenige, der am längsten dort war.

Mach das Sinn?

Nicht wirklich.

Lucian Söldner. Was ist so besonders an genau diesem Jungen?

Ist sein Stiefvater wirklich, wie Lucian sagt, ein Mitglied von Red Attack? Oder ist das wirklich nur, wie die Ärzte sagen, seine Fantasie, die mit ihm durchgeht?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er lügt.

Was für einen Grund hätte er dazu?

 Ein seltsames Übelkeitsgefühl macht sich in meinem Magen breit und ich fühle mich etwas hibbelig.

Vielleicht sollte ich noch einmal bei Lucian vorbeifahren.

Das beruhigt hoffentlich meine Nerven.

Entschlossen schnappe ich mir meine Autoschlüssel, die unter den ganzen Notizen begraben waren und haste zu meinem Dienstwagen, den ich auf dem Parkplatz ordentlich abgestellt hatte. Mit einem kurzen Klicken und Blinken gibt mir der Wagen zu verstehen, dass er nun nicht mehr abgesperrt ist und ich steige schwungvoll ein.

Schnell stecke ich den Schlüssen in das Loch, mache die Tür zu, schnalle mich an und fahre los.

Die Wohnung der Familie Söldner ist nicht weit entfernt, aber mein Gefühl sagt mir, dass ich schnell dorthin muss und definitiv das Auto nehmen muss.

Sicherlich ist nichts passiert, aber sicher ist sicher.

Den Wagen habe ich nun schon ein paar Tage nicht mehr benutzt.

Der Grund dafür ist ER.

ER, der wegen IHNEN, einen Autounfall hatte.

Er ist derjenige, der seine Kameraden verraten hat und uns auf Red Attack aufmerksam gemacht hat. Er ist derjenige in den ich mich leider verliebt habe und der ebenfalls für eine Weile mit mir zusammen war. Oder naja waren wir wirklich zusammen gewesen? Ich kann es nicht richtig beurteilen. Wir mussten ständig aufpassen, dass wir von keinen von ihnen erwischt wurden und hatten eigentlich keine Zweisamkeit.

Außerdem hasst er mich jetzt. Sicher fühlt er sich von mir hintergangen. Wir hatten alles besprochen, doch ich konnte einfach nicht mehr abwarten. Ich musste handeln.

Leider ist das nicht so gut ausgegangen…

Ich biege in die Straße ein und parke gleich vor der Bar, die sich unter der Wohnung der Söldner befindet.

Hier bin ich.

Ich steige aus dem Wagen, schließe die Tür, sperre ihn ab und klingle kurzerhand bei Söldner.

Keine Reaktion.

Ich probiere es noch einmal und dieses Mal, erklingt ein Surren, das mir den Zugang zum Gebäude verschafft. Ich drücke die Tür auf, nehme zwei Stufen jeweils immer auf einmal und komme schon vor der Wohnungstür an, mit demselben Surren bekomme ich auch diese auf und stehe im Flur.

Ich will schon etwas sagen, da erkenne ich, dass dort auf dem Flurboden etwas kauert.

Langsam gehe ich im Halbdunkel auf den Haufen zu.

Ich vernehme ein schweres Atmen und Keuchen.

Nach einer Weile erkenne ich Lucian, der mich mit halbgeschlossenen Augen ansieht und versucht etwas über seine Lippen zu bekommen.

Sein Zustand scheint nicht allzu gut.

Vorsichtig lege ich meine Hand auf seinen Kopf und will ihm einfach nur durch die Haare wuscheln, doch seine Haare fühlen sich nass, seltsam lauwarm, aber auch etwas kalt an.

Vorsichtig ziehe ich meine Hand wieder zurück und starre auf dieses Rot.

Dieses Rot.

Was ist passiert?

Ich schaue mich weiter um und entdecke, einen Baseballschläger, der direkt neben Lucian liegt.

Eine Blutspur zieht sich vom Flur zu einer anderen Tür, die auf mit verschmierten Handabdrücken verziert ist.

Vorsichtig gehe ich auf die Tür zu und öffne sie. Auf der anderen Seite erkenne ich eine Frau, Lucians Mutter, die am Boden liegt. Ihr Kopf ist unnatürlich stark nach links abgeknickt, ihre Augen scheinen leer und glanzlos, ihre Haut blass und leblos und eine kleine Blutlache ziert den Boden um ihren Kopf.

Was ist hier nur passiert?

Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und benachrichtige meine Kollegen, die eigentlich hätten beobachten sollen.

Was haben sie nur die ganze Zeit gemacht?

Ich versuche den Puls bei einem der beiden zu fühlen und spüre nur einen sehr schwachen Puls bei Lucian.

Bitte halte durch.

Bitte lass mich nicht noch für einen weiteren solchen Unfall verantwortlich sein. Bitte! Ich kann es doch schon nicht ertragen, dass Adrian diesen Unfall hatte, der kein Unfall war.

Bitte lebe, Lucian! 

Schöne Momente

Wieder wache ich auf. Der Raum ist seltsam hell. Bin ich nicht in der Hölle angekommen? Bin ich nicht beim Teufel? Bin ich nicht tot? Oder bin ich tatsächlich in den Himmel gekommen? Nein in den Himmel kann ich nie im Leben kommen! Also bin ich nicht tot?

Meine Augen wandern über den Raum und bleiben an einer Person mit blonden Haaren hängen, die mit dem Kopf auf meinem Bett liegt.

Auf einmal öffnet sich die Tür und Adrian betritt den Raum mit zwei Tassen Kaffee. Er grinst: „Oh. Du bist wach. Sei dankbar. Dieser Idiot wollte dich einfach keine Sekunde alleine lassen.“

Er seufzt: „Naja. Ich schätze du wirst dich an uns gewöhnen müssen. So wie ich das einschätze wirst du wohl bei uns wohnen müssen.“

Verwirrt sehe ich ihn an. Er seufzt erneut: „Kevin hat dich und deine Mutter gefunden und einen Krankenwagen gerufen. Du bist gerade so noch durchgekommen. Du hast übrigens ganze 2 ein halb Wochen geschlafen. Ein Wunder, dass Kevin nicht an Schlafmangel gestorben ist.“

Adrian lacht wieder und streicht sanft über die Wange von Kevin.

Ich bringe nur heraus: „Ihr beiden?“

Adrian lacht wieder: „Ja, Kleiner. Wir sind ein Paar. Nicht zu fassen eigentlich, aber naja. Ich schätze du hast uns wieder zusammengeschweißt.“

Er zwinkert mir zu: „Ich habe dafür gesorgt, dass dein Zimmer bestens ausgestattet ist. Mach am besten gleich als erstes, wenn du ankommst den Fernseher an. Ich habe dir etwas Hübsches eingelegt. Natürlich lernst du dadurch nur.“

Will ich wirklich wissen was das ist?

Aber was geht hier vor? Ich bin also wirklich nicht gestorben? Ich bin am Leben? Und ich werde bei diesen beiden leben? Das ist doch eindeutig zu schön? Ist das ein Traum? Wenn ja muss ich nicht unbedingt aufwachen.

Ich: „Was ist mit der Frau passiert?“

Adrian sieht mich traurig an: „Sie hat es nicht mehr geschafft. Sie ist noch in der Wohnung gestorben. Es gab noch keine Beerdigung. Ich dachte, dass du dabei sein solltest und mitentscheiden solltest.“

Er räuspert sich und ich nicke einfach nur.

Sie ist also tot. Ich schaue auf die weiße Bettdecke, mein Kopf ist wie leer gefegt.

Was sollte ich nun empfinden? Bin ich traurig? Bin ich froh?

Sie ist tot. Meine einzige Verwandte. Tot. Alle Fesseln, die mich in der Vergangenheit gehalten haben, sind weg. Aber bin ich wirklich frei?

Adrian legt mir eine Hand auf die Schulter: „Wir sind für dich da. Die Kerle wurden übrigens gefasst. Dank dir. Du hast den Rekorder wirklich perfekt in den Klamotten des Kerls untergebracht. Wie ihm das nicht auffallen konnte ist mir ein Rätsel, aber dadurch haben wir alle finden können.“

Ich nicke.

Es hat also geholfen. Ich habe etwas erreicht.

Doch warum freue ich mich nicht? Warum spüre ich dieses angenehme Kribbeln nicht, von dem ich glaube, dass es Freude ist? Ist es wirklich wegen dieser Frau?

Adrian: „Du wirst sicher bald entlassen. Entweder morgen oder heute noch.“

Ich nicke wieder.

Adrian lässt von der Wange von Kevin ab und blickt wieder zu mir: „Mach dir keine Vorwürfe, ja? Die Frau stand anscheinend meistens unter einer speziellen Droge. Wahrscheinlich wollte sie ihn verraten, aber durch die Droge war sie sozusagen unter einer Art Gehirnwäsche.“

Sie war also gar nicht so dumm, so schwach, so erbärmlich gewesen. Sie ist es nur geworden durch ihn. Sie hatte also nicht nichts gewusst, erkannt, verstanden. Doch es hat ihr nichts gebracht. Sie ist vor ihm zu Boden gegangen und verwelkt.

Adrian grinst mich wieder schief an: „Dein Lover hat angerufen. Er komm in 5 Tagen wieder.“

Phil. Kann ich dir gegenübertreten?

5 Tage. 5 Tage werden sie lang werden? Kurz? Was soll ich machen, wenn ich ihn wiedersehe? Soll ich ihm vielleicht sagen, dass ich ihn liebe? Zu verlieren habe ich nichts. Da gibt es nichts, was sich noch verschlechtern könnte. Oder doch. Das Wissen, dass du nicht mehr an meiner Seite sein wirst. Das Wissen, dass ich meine Sonne verlieren werde. Mein Lächeln verlieren werde, meine neu gewonnen Gefühle verlieren werde. Doch was soll ich dann tun? Was soll ich sagen? Wie soll ich ihn begrüßen?

Adrian reißt mich aus meinen negativen Gedanken, indem er mich anstupst: „Na~ Freust du dich? Soll ich dich dann zum Flughafen fahren? Sicher wollt ihr beiden wieder ein Schnulzgespräch führen.“

Ich verdrehe die Augen. Adrian ist wirklich einfach nicht zu helfen. Er ist nur ein kleines Kind, das zu schnell gealtert ist und sich nicht von seinen kindischen Gedanken verabschieden kann.

Kevin ist kurz darauf aufgewacht und wir durften sogar schon nach Hause gehen, da die Ärzte meinten, dass ich ja in den besten Händen sei und das meiste eigentlich schon verheilt ist.

Ich  musste nicht einmal mehr untersucht werden! Eine große Erleichterung für mich. Ich kann diese Leute im weißen Kittel nicht sonderlich leiden. Ich weiß ich sollte ihnen dankbar sein und sie sind ja auch Lebensretter. Aber sie kommen mir so verdammt arrogant, selbstsüchtig und unsensibel vor, dass ich einfach so wenig wie möglich mit ihnen zu tun haben will. Und anfassen brauchen die mich nun wirklich nicht!

In meinem neuen Zuhause angekommen schickt mich Adrian sofort verschwörerisch zwinkernd und grinsend auf mein Zimmer und meint, dass ich nur das schauen soll. Kevin hat total verwirrt zwischen uns hin und her geguckt und ich bin aufs Zimmer gegangen.

Eine Weile bin ich einfach nur rumgesessen und habe überlegt, was ich nun machen könnte, aber am Ende habe ich wirklich den Fernseher eingeschaltet.

Böser Fehler! So etwas wollte ich gar nicht sehen! Er hat mir doch ernsthaft einen Porno eingelegt! Die zwei Männer auf dem Bildschirm machten Dinge, die ich nicht wirklich sehen oder wissen wollte! Natürlich habe ich fast gleich danach wieder den TV ausgeschalten! Auch wenn mir diese Dinge schon wiederfahren sind…

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug.

Adrian und Kevin sind wirklich verdammt lieb. Zwar ist Adrian mit seiner zurückgebliebenen Art etwas gewöhnungsbedürftig und sehr oft, nein eigentlich immer, nervig, aber irgendwie ist er mir trotzdem ans Herz gewachsen in dieser kurzen Zeit. Kevin ist wie ein Seelenverwandter, dank ihm habe ich sehr viel gelernt. Ich kann nun schon, obwohl es ja eigentlich nur 5 Tage waren, schreiben, lesen und rechnen. Dank ihm verstehe ich nun auch viele Dinge und ich denke, dass er wirklich ein Seelenverwandter von mir ist. Er versteht mich. Er muss mich nichts fragen, denn er weiß ohne, dass ich ein Wort von mir gebe, was ich fühle.

Die Beiden geben wirklich ihr Bestes, damit ich mich wohl fühle. Sie wären sicher super Eltern und irgendwie sehe ich sie auch so. Naja, ok nicht wirklich. Kevin ist so eine Art Mutter für mich und natürlich eben mein Seelenverwandter und Adrian, der ist eben Adrian, so eine Art kleiner, egoistischer, trotziger Bruder, der immer will, dass es nach seinem Kopf geht.

Nun ist endlich der Tag gekommen. Es ist ein Samstag. Trotz der eigentlich schlechten Wettervorhersage, scheint die Sonne und die Wolken, die schon seit Tagen über unserer Kleinstadt hängen haben sich verzogen. Morgen würde die Beerdigung meiner leiblichen Mutter stattfinden.

Ich weiß nicht wirklich, was ich tun soll.

Doch heute ist erst einmal etwas anderes wichtiger. Heute kommt Phil zurück! Sicher scheint wegen Phil die Sonne. Ich bin etwas hin und her gerissen, da ich mir nicht sicher bin, ob ich zum Flughafen fahren soll oder nicht. Will ich ihn sehen?

Ja, ich will ihn sehen. Aber will er mich auch sehen?

Ich liege mit geschlossenen Augen in der Sonne mitten im Garten auf dem Gras.

Phil hätte sicher nicht angerufen, um mir Bescheid zu geben, wann er zurückkommt, wenn er mich nicht hätte sehen wollen. Ich sollte hingehen.

Aber… wieso sind meine Hände so kalt? Wieso habe ich eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass ich ihm wieder gegenüber trete? Sein Gesicht hat sich in meine Gedanken gebrannt und beherrscht mein Inneres, aber die Person direkt vor mir zu haben, ist einfach etwas ganz anderes.

Auf einmal legen sich Hände auf meine Schultern: „Zerbrech dir über solche Dinge nicht den Kopf. Komm ich fahr dich.“

Einmal kurz die Augen aufgeschlagen und schon sehe ich Kevin vor mir, der mich breit und wissend angrinst. Wie gesagt ein richtiger Seelenverwandter eben.

Ich lächle ihn ebenfalls an und lasse mich von ihm hochziehen. Er klopft mir kurz auf die Schulter und schon machen wir uns auf zu seinem Wagen.

Nach einer kurzen Fahrt kommen wir auch schon am Flughafen an.

Nervös reibe ich meine nassen Hände immer wieder an meiner Hose ab.

Irgendwie bringt das nichts!

Kevin lacht: „Wieso so nervös?“

Ich schüttle einfach nur den Kopf und schlucke.

Meine Stimme ist weg! Ich bringe kein Wort raus! Was ist nur mit mir los? Bin ich irgendwie krank? Oder habe ich wirklich meine Stimme verloren?

Kevin prustet: „Sag bloß dir hat es die Sprache verschlagen?“

Ich schaue ihn kur etwas böse an und er schlägt sich ein paar Mal auf sein Bein: „Ich hab Recht!“

Was ist daran bitte lustig? Ich bin verzweifelt! Was soll ich denn jetzt machen?

Eine Stimme ruft hinter uns: „Lucian! Hier sind wir!“

Das ist doch?

Ich drehe mich um und sehe Phils kleinen Klon.

Ich lächle ihn freundlich an: „Hey, Luke.“

Der kleine hängt sich an meine Beine und lacht: „Phil sollte gleich da sein.“

Phil! Oh Gott! Meine Stimme hat sich wieder verabschiedet!

Ich krächze: „Ach wirklich?“

Luke sieht mich schräg an: „Hast du Halsschmerzen?“

Ich schüttle den Kopf. Er runzelt die Stirn: „Warum hört sich denn dann deine Stimme so seltsam an?“

Ich räuspere mich, was allerdings nicht wirklich hilft: „Ehm…das…naja…also…“

Auf einmal werde ich von hinten umarmt und Phil jubelt: „Ich bin wieder da!“

Phil! Mein Herz schlägt sofort schneller, ist eindeutig zu laut und pocht viel zu stark! Sicher spürt Phil meinen Herzschlag! Nein!

Luke hüpft nun fröhlich herum: „Willkommen! Mum und Dad sind gerade dabei Kuchen zu kaufen.“

Phil lacht und hängt immer noch an mir: „Sicher behaupten sie dann wieder, dass sie ihn ja selbst gebacken hätten.“

Luke grinst: „Das war ihr Plan.“

Schon kommt Phils Mutter herbeigeeilt mit einem Kuchen in der Hand: „Luke! Musst du immer alles ausplaudern? Hier, Philspatz, ein Kuchen. Oh Lucian du bist ja auch hier! Was für eine Überraschung! Lass dich doch einmal drücken!“

Diese Familie ist einfach unglaublich.

Nachdem Phil auf Wunsch von seiner Mutter jedes noch so winzige Detail von seiner Reise berichtet hat, verabschiedet er sich von seiner Familie, die recht enttäuscht davon ist und wendet sich wieder mir zu: „So und was machen wir jetzt?“

Von was redet er denn? Wie was machen wir jetzt? Ich glaube meine Knie geben gleich unter mir nach, wenn er nicht gleich loslässt! Mein Herz ist sicher bald viel zu erschöpft und ich werde zusammensacken wie ein Mehlsack.

Kevin: „Wie wäre es denn, wenn ich euch beide zu uns fahr? Lucian du kannst ihm dann gleich dein Zuhause zeigen und dann könnt ihr euch ja immer noch etwas einfallen lassen.“

Ich nicke nur langsam.

Phil lässt mich endlich los und zieht mich hinter Kevin her, der uns zum Wagen bringt und nach Hause fährt.

Dort angekommen sieht sich Phil genauestens um. Irgendwie macht mich das ganz wuschig und hibbelig.

Er nickt anerkennend und wir gehen auf mein Zimmer.

Hier komme ich mir irgendwie so vor, als würde er jedes kleinste Detail in diesem Raum aufsaugen. Was ist denn hier so besonders? Es ist ein ganz normales Zimmer, das nicht einmal irgendwelche speziellen Dinge enthält.

Phil: „Ein schönes Zimmer.“

Ich nicke nur wieder und lehne mich leicht an die Wand.

Meine Beine zittern viel zu stark! Wieso musste er mich vorhin auch so umarmen? Und warum denke ich jetzt schon wieder so seltsam? Er macht mich fertig!

Phil grinst und kommt langsam auf mich zu: „Ich weiß das kommt jetzt etwas überraschend, aber ich muss dir etwas sagen.“

Was sagen? Was will er mir denn sagen? Will er mir sagen, dass er mich nie wieder sehen will? Dass ich seltsam bin? Oh Gott! Ich will es nicht hören! Nein! Mach den Mund nicht auf! Bitte Phil tu mir das nicht an! Nein!

Phil räuspert sich: „Also, weißt du als ich in Amerika war-“

Oh Gott! Du hast jemanden kennengelernt! Nein ich will nicht hören, dass du eine Freundin hast! Ok, Lucian, da musst du jetzt durch! Solange Phil glücklich ist, ist doch alles schön und gut! Du darfst nicht selbstsüchtig sein! Es ist Phil!

Ich schlucke und balle meine Fäuste.

Phil: „da habe ich dich vermisst.“

Ich wusste er hat eine Freundin ge- warte was hat er da gerade gesagt?

Ich: „Hah?“

Eine sehr intelligente Äußerung. Ich bin eindeutig nicht in der Verfassung eine Unterhaltung zu führen.

Phil: „Ich habe dich vermisst.“

Ich zwinkere ein paar Mal. Ist das real?

Phil: „Ich…ich weiß das sollte man vielleicht nicht sagen-“

Ich schüttle den Kopf: „Ich habe dich auch vermisst.“

Er: „Hah?“

Ich glaube wir sind beide in keiner guten Verfassung für eine Unterhaltung.

Bei diesem Gedanken muss ich lachen und Phil sieht mich einfach nur verwirrt an.

Phil: „Was ist denn so lustig?“

Ich winke ab und pruste: „Schon gut. Es ist nur… wir beide sind irgendwie nicht so gut in solchen Situationen.“

Phil grinst: „Da könntest du recht haben. Lass uns doch ein bisschen Fernsehen.“

Ich nicke einfach nur.

Phil drückt auf den roten Knopf und erst jetzt fällt es mir wieder ein.

Sofort werfe ich mich auf Phil, reiße ihm die Fernbedienung aus der Hand und will schon wieder die rote Taste drücken, doch es ist schon zu spät. Schon sieht man den Porno am Bildschirm.

Ich spüre wie mein Gesicht sich erhitzt.

Adrian! Jedes Mal in solchen Momenten versaust du es!

Ich linse vorsichtig zu Phil hoch, auf dem ich immer noch liege, während er sitzt.

Er ist puterrot um die Ohren und stottert: „Ehm…du….schaust solche Sachen?“

Ich schüttle den Kopf: „Adrian…also…er…“

Phil nickt nur langsam und starrt wie gebannt auf den Bildschirm.

Das ist wirklich peinlich! Eigentlich dachte ich ja, dass mir nichts so schnell peinlich wäre, aber das ist definitiv peinlich und eine wirklich seltsame Situation!

Ich richte mich auf und will wieder nach der Fernbedienung greifen, doch Phil legt diese beiseite, zieht mich wieder an sich heran, schaut mir fest in die Augen und kommt mir sehr nahe.

Seine Nasenspitze berührt die Meine und ich kann seinen warmen Atem auf den Lippen spüren.

Ich: „Was-“

Schon hat Phil seine Lippen auf meine gelegt.

Ich spanne meinen Körper an und schließe die Augen.

Ist das ein Traum? Das ist doch eindeutig zu schön?

Vorsichtig versuche ich mein bestes den Kuss irgendwie zu erwidern oder zu mindestens zu zeigen, dass mir das gefällt, wobei ich immer noch irgendwie daran zweifle, ob das real ist.

Langsam löst sich Phil wieder von mir sieht mir in die Augen und meint: „Mach das mit niemand anderen! Vor allem nicht mit Adrian!“

Wie kommt er denn jetzt auf Adrian? Was will ich denn mit einem solchen Kindskopf?

Ich: „Als ob ich-“

Phil sieht mich flehentlich an: „Bitte.“

Ich nicke: „Das würde ich nicht tun.“

Auf einmal knallt die Tür auf und Adrian steht im Zimmer: „Also euer Schnulzgelaber ist wirklich unerträglich! Oh ihr schaut zusammen einen Porno? Wollt ihr das wohl nach machen? Ich würde euch den dritten Teil empfehlen, der-“

Weiter kommt er gar nicht, denn Kevin hat ihm schon den Mund zu gehalten, aus dem Raum gezogen und die Tür wieder geschlossen: „Tut mir Leid wegen der Störung.“

Phil zuckt mit den Schultern, sieht mich wieder an und küsst mich erneut leidenschaftlich.

Zaghaft schlinge ich meine Arme um seinen Nacken.

Dieser Moment soll einfach nicht vergehen!

Abschied

Nach einer Weile müssen wir uns doch wieder lösen, um nicht zu ersticken, doch nach kurzem Luftholen vermisse ich schon wieder seine Lippen.

Wieso muss sich das auch so verdammt gut anfühlen? Ist das normal? Oder abnormal?

Ohne groß Zeit zu verschwenden kehrt Phil wieder zu meinen Lippen zurück.

Sofort stellt mein Körper sich von dem Gefühl, das etwas fehlt, auf Begierde und Verlangen um.

Es ist eindeutig etwas falsch mit mir.

Phil Hand legt sich auf meinen Bauch und schiebt leicht das T-Shirt hoch, um richtig an meine Haut zu kommen. Ein unangenehmes Kribbeln, das mich erschaudern lässt durchfährt mich und ich schlage Phils Hand weg.

Die letzte Hand die dort hin gefasst hat, hat keine guten Erinnerungen hinterlassen.

Mein Körper hat von ganz allein gehandelt. Ich weiß doch, dass Phil niemals mir wehtun würde…

Phil sieht mir kurz tief in die Augen und ich versuche verzweifelt seinem Blick auszuweichen -aber warum müssen diese gelben Augen nur so scharfsinnig und anziehend sein?

Phil murmelt: „Wir müssen nicht weitergehen, wenn du willst.“

Schweigend nicke ich. Ich schätze es ist besser jetzt zu schweigen, wenn er meine wahrscheinlich zitternde Stimme hört, wird es ihn verletzen.

Phil setzt an etwas zu sagen, doch ein Klingeln aus seiner Hosentasche unterbricht ihn sofort wieder: „Entschuldige.“

Er nimmt ab und unterhält sich genervt mit anscheinend seiner Mutter -so wie sich das anhört-, die sichtlich auf ihn einredet.

Phil sieht mich entschuldigend an: „Tut mir leid. Ich muss los. Aber wir sehen uns sicher morgen, ja?“

Er steht hastig auf, haucht mir einen Kuss auf die Stirn, wuschelt mir kurz durch die Haare und verlässt eilig den Raum.

Durch meine Stirn und meinen Kopf jagen klitzekleine Blitze, die sich immer mehr verzweigen und ein aufregendes Kribbeln verursachen.

Geistesabwesend streiche ich mir über die Lippen und die Stirn.

Wir werden uns morgen wieder treffen. Das er gerade eben gegangen ist, hat nichts damit zu tun, dass ich ihm die Hand weggeschlagen habe.

Trotzdem bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Vielleicht hätte ich doch etwas sagen sollen. Wer weiß was Phil jetzt denkt!

Auf einmal schlingt Kevin seine Arme um meinen Oberkörper: „Ich weiß zwar nicht, was los ist, aber mach dir keine Sorgen. Für morgen ist auch schon alles vorbereitet.“

Morgen. Die Beerdigung. Ich habe Phil noch nicht einmal davon erzählt. Wie soll ich mich dort nun verhalten? Sollte ich eine kleine Rede halten?

Aber, wenn ich eine halten würde, über was? Über was sollte ich die Leute teilhaben lassen? Darüber, dass ich von diesen beiden einfach abgeschoben wurde, die Frau zwar keine Ahnung davon hatte, oder zu mindestens keine bewusste, und ich dadurch einfach nur Horrorerinnerungen in meinem Hirn habe?

Nein. Das kann ich nun wirklich nicht breittreten. Das wäre wirklich nicht nett.

Wahrscheinlich ist es das Beste einfach stumm die Prozedur auf mich wirken zu lassen und einfach zu hoffen, dass es schnell vorbei geht!

Kevin streichelt mir sanft über den Rücken und ich bin ihm gerade mehr als dankbar dafür, auch wenn ich mit Berührungen immer noch so meine Probleme habe, weiß ich seine Geste zu schätzen.

Vorsichtig tippe ich ihm auf die Schulter und ohne zu murren lässt er mich wieder los.

Er versteht, dass ich einfach noch nicht so gut mit Körperkontakt umgehen kann.

Natürlich ist Phil eine Ausnahme, aber ich kann einfach noch nicht über manche Dinge hinausgehen. Es geht einfach nicht.

Den Rest des Tages bin ich einfach nur rumgehockt, um habe Löcher in die Wände gestarrt. Kevin und Adrian haben verzweifelt versucht mir irgendwelche Nahrung einzuflößen, sind aber dabei kläglich gescheitert.

Ich habe das Gefühl zu platzen, wenn ich etwas gegessen hätte.

Das schlechte Gewissen wegen Phil und dann auch noch diese Beerdigung. Wieso kann ich nicht wieder diese „Mir-ist-alles-egal“ Gedanken bekommen? Die waren ein guter Schutz vor solchen Gefühlschaos.

Irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein und entweder Adrian oder Kevin muss mich wohl in mein Bett gelegt haben, denn ich kann mich nicht erinnern mich dort hingelegt zu haben.

Es zeigt mir schon ein kurzes Blinzeln aus den Fenstern, dass der Himmel mit dunklen grauen Regenwolken behangen ist und es wahrscheinlich regnen wird.

Adrian kommt mit einer undurchsichtigen Miene in mein Zimmer und überreicht mir einen schwarzen Anzug mit schwarzem Hemd.

Ich nehme dies einfach entgegen und ziehe es mir über.

Alles kommt mir vor wie ein Traum, als wäre dies alles nicht real.

Langsam gehe ich fertig zu den beiden, die einfach nur nicken und wir in den Wagen steigen, bevor wir auch schon an dem Friedhof ankommen.

Ich gehe langsam hinter den beiden her ohne wirklich jemanden wahrzunehmen.

Alles zieht an mir vorbei und ich schaue einfach nur gerade aus.

Als mich die ersten Regentropfen erreichen, ist die ganze Zeremonie schon fast vorüber.

Nichts von dem gesagten habe ich mitbekommen und nichts davon hätte mich auch nur ansatzweise interessiert.

Langsam wird ihr Sarg, den Kevin für mich ausgesucht hat, in die Erde nach unten gelassen.

Der Sarg ist schwarz und sehr schlicht  gehalten. Ich wollte nichts Aufwendiges. Es sollte ein schlichter und einfacher Sarg sein, nichts Besonderes.

Ich starre das Pechschwarz an, das mich wieder in einige Zeit zurückreißt. In diese Dunkelheit.

Ich wende meinen Blick etwas ab und er schweift zu den Steinmauern, die den Friedhof umgeben. Sie sind schon ziemlich mit irgendwelchen Grünzeug überwachsen, doch ab und an blitzen doch noch Steine hindurch, die wahrscheinlich schon seit ewigen Zeiten über diesen Friedhof wachen, über diese Toten wachen und passiv dabei an ihrem Fleck bleiben.

Ich beginne die sichtbaren Steine zu zählen. Es sind ganz genau 56. In meinem Gefängnis waren es 273, alle unterschiedlich groß, genau wie diese Friedhofsteine.

Ein Schauder durchzieht erneut meinen Körper und ich wende mich wieder dem Sarg zu, der mittlerweile am Boden des Loches angekommen ist und begonnen wird Erde darüber zu schaufeln.

Hier wird es vergraben. Hier wird die Zeugin vergraben. Hier wird sie vergraben. Hier wird alles vergraben, was mich daran erinnert. Hiermit werde ich einen Neuanfang wagen.

Es kann nicht nur schlechte Menschen geben in einer Welt, in der Phil lebt. Ich muss abschließen und nach vorne sehen, auch wenn es wohl eher mit verdrängen und wegrennen zu vergleichen ist. Wahrscheinlich ist es auch feige. Doch darüber kann ich mir noch Gedanken machen, wenn ich bereit dafür bin.

Jetzt muss ich erst lernen. Lernen, was es heißt normal zu leben und normal zu sein, wie jeder andere in die Schule zu gehen, mit Freunden zu lachen, etwas zu unternehmen und sich an Kleinigkeiten zu erfreuen.

Immer mehr Regentropfen nässen meinen neuen Anzug und laufen mein Gesicht herunter.

Die Menschen gehen. Sie haben für ihr Gewissen genug getan, sie haben an der Beerdigung teilgenommen und ihr Beileid ausgerichtet. Sie haben ihre Trauer zum Ausdruck gebracht und lassen sie nun zurück, um voranzugehen.

Ich lege eine einzelne Rose auf das noch nicht fertiggestellte Grab.

Der Regen lässt langsam wieder nach und die Wolken ziehen weiter.

Ich spüre wie jemand meine Hand in seine nimmt und schaue überrascht zur Seite. Phil lächelt mich schief an, gibt mir einen kurzen Kuss auf die Backe und drückt mich kurz an sich: „Du hast nichts gesagt.“

Ich lächle nur leicht und schüttle den Kopf.

Jetzt beginnt mein Neuanfang. Ich werde nicht mehr zurückblicken, nur noch voranschreiten und mein Bestes geben, um Phil gerecht zu werden.

 

Ein paar Monate später: 

Mit den Lernstunden mit Kevin bin ich wirklich weit gekommen und bin nun auf den Weg in die Schule. Phil hat gemeint, dass ich nicht zu viel erwarten sollte, da es eben die Schule sei.

Doch was zur Hölle meint er denn damit? Was sollte so schlimm an einem Ort sein, an dem du gemeinsam mit Gleichaltrigen, die vielleicht sogar deine Freunde sind, etwas lernst, dass du sicher später noch im Leben oder sogar jetzt brauchst?

Ich kann es einfach nicht nachvollziehen?

Zuversichtlich betrete ich gemeinsam mit Kevin und Adrian, die darauf bestanden haben, mich am ersten Tag herzufahren und zu begleiten, das schon etwas ältere Schulgebäude.

Viele Schüler wuseln schon ganz nervös, freudig und aufgeregt in den Fluren und in der großen Aula herum. Zwischen freudigen Wiedersehensumarmungen, Tränen und starken Gemotze und Gefluche über irgendwelche Lehrer, Fächer oder einfach allgemein das Ende der Ferien ist alles an diesem Ort vorzufinden. So viele Emotionen auf einen Haufen beamen mich schon fast um.

Kevin und Adrian schreiten quer durch die Aula zu einem Flur, eine Treppe hinauf und wenig später erreichen wir einen Raum, in dem schon sehr viele alte und etwas jüngere Erwachsene lachen.

Sie nicken uns zu und eine junge Frau mit riesiger dunkelbrauner Brille und zusammengewurschtelten dunkelblonden Haaren kommt auf uns zu: „Sie müssen Lucian sein, richtig?“

Sie sieht mich an, sieht kurz zu Adrian und Kevin und errötet: „Und sie müssen seine älteren Brüder sein?“

Kevin schüttelt kurz den Kopf: „Wir sind seine Erziehungsberechtigten.“

Etwas verwirrt schiebt sie ihre Brille zu Recht, obwohl diese schon perfekt sitzt: „Oh. Ok. Ich bin Frau Niels. Ich bin deine Klassenlehrerin. Ich habe mir die Tests, die du gemacht hast gut angesehen. Du scheinst keine Lücken oder dergleichen zu haben. Ich bin mir sicher, dass du gut mit dem Stoff klarkommen wirst.“

Sie nickt mir zuversichtlich zu und fährt fort: „Nun, dann gehen wir mal zur Klasse.“

Ich nicke kurz und schaue zu Kevin, der mir durch die Haare wuschelt und mich breit angrinst, während er mir zuflüstert: „Ich kann es gar nicht fassen, dass du so schnell so groß geworden bist.“

Was soll das nun schon wieder? Ich bin gerade einmal 2 Millimeter gewachsen, seitdem ich bei den beiden eingezogen bin.

Er lacht kurz: „Naja von hier an, beginnt es erst. Viel Glück.“

Mit diesen Worten zieht Kevin mit Adrian im Schlepptau davon.

Jetzt bin ich definitiv nervös. Ich schlucke und schleiche Frau Niels hinterher, die ein ganz schönes Tempo vorgibt.

Sie hält plötzlich vor einer Tür an und ich muss mich wirklich bemühen, um zu verhindern, dass ich einfach in sie hineinrenne: „So wir sind da.“

Sie öffnet die Tür und wir betreten den Raum.

Es herrscht bloßes Chaos. Schreiende, lachende, kreischende Schüler und Schülerinnen sind über das gesamte Klassenzimmer verteilt und schmeißen nebenher Papierfetzen durch die Gegend.

Sie schenken Frau Niels nicht ansatzweise einen Funken von Aufmerksamkeit und reagieren auch nicht auf deren Räuspern oder Ermahnungen.

Irgendwie kann sie einem schon leidtun wie sie hier so mit mir vorne steht.

Als sie an ihre Nervengrenze kommt, brüllt sie auf einmal: „VERDAMMT JETZT IST ES ABER EINMAL GUT! WIR HABEN EINEN NEUEN SCHÜLER ALSO REIßT EUCH EINMAL ZUSAMMEN!“

Auf einmal herrscht Stille, bevor das Geschrei auch schon wieder losgeht und jeder sich seiner vorherigen Beschäftigung widmet. Sie scheinen ja großen Respekt vor dieser Lehrerin zu haben.

Frau Niels sieht mich hilfesuchend an.

Ist diese Frau so unfähig?

Ich sage einfach ohne mit jemanden bestimmten zu reden: „Hey. Ich bin Lucian.“

Auf einmal sind alle Augenpaare auf mich gerichtet.

Sehe ich irgendwie seltsam aus? Habe ich etwas im Gesicht? Oh Gott! Oder habe ich etwas Seltsames an? Oder ein Loch in der Hose?

Frau Niels: „Setz dich doch bitte irgendwo hin, damit wir ein paar Dinge besprechen können.“

Ich nicke und setze mich einfach in die zweite Reihe am Fenster.

Die anderen setzen sich nun auch ordentlich hin. Leises Gemurmel ist zwar noch zu hören, doch der Lärmpegel ist immens gesunken.

Nachdem Frau Niels den Stundenplan mit uns durchgegangen, uns unsere Lehrer gesagt hat, eine Liste mit Angaben zu unserer Religion und vielen weiteren Dingen ausgefüllt hat, meint sie, dass wir uns doch besser kennenlernen sollten und wir uns doch unterhalten sollten, während sie noch kurz ein paar Elternbriefe mit verschiedenen Informationen kopieren geht.

Ich bleibe einfach ruhig sitzen.

Schule ist vielleicht doch nicht so schön wie ich dachte. Phil hatte Recht! Phil hatte definitiv Recht! Er hat zwar nicht gesagt, dass es ein schlimmer Ort ist, aber seine Stimme hat sich so angehört!

Und diese Blicke, die ich die ganze Zeit auf mir spüre! Gruselig!

Ein Mädchen mit blonden langen Haaren dunkelbraunen Augen und sehr langen getuschten Wimpern reißt sich den Stuhl neben mir unter den Nagel und starrt mich an.

Das ist schon irgendwie unangenehm.

Nach gefühlten Stunden meint sie: „Du bist Lucian.“

Ich schaue sie an: „Ja.“

Sie zieht die Augenbrauen zusammen: „DER Lucian?“

Verwirrt hebe ich meine Augenbrauen.

Was meint sie mit DER Lucian? Habe ich irgendetwas gemacht? Weiß sie etwa etwas über mich? Nein das wurde doch nicht bekannt gegeben! Das kann sie nicht wissen! Aber wenn doch?

Sie: „Bist du DER Lucian, der mit Phil zusammen ist.“

Mit Phil zusammen ist? Diese Wortwahl. Oh Gott! Sie meint, ob wir ein Paar sind? Sind wir das? Aber woher weiß sie von uns?

Sie: „Was ist jetzt? Bist du DER Lucian?“

Ich: „Gibt es noch einen anderen mit diesem Namen?“

Sie zuckt mit den Schultern: „Woher soll ich denn das wissen. Ich weiß allerdings nicht, was Phil in dir sieht.“

Irgendwie kann ich diese Blondi nicht leiden. Ja, ich glaube ich erkläre Kevin, dass sein Unterricht vollkommen genügt!

Sie wendet sich wieder von mir ab und geht auf eine Gruppe Mädchen zu, die wild auf sie einreden.

Ich glaube nicht, dass ich damit zu Recht kommen werde.

Nein das werde ich garantiert nicht.

Die restliche Zeit verfliegt allerdings schnell, was vor allem an Frau Niels liegt, die versucht hat uns irgendwelche Sachen ans Herz zu liegen und wir hatten auch schon recht früh aus, schon um 10.15 Uhr.

Als ich gerade dabei bin mir dem Weg nach draußen zu suchen, umarmt mich jemand von hinten und hebt mich hoch. Während ich zapple und etwas Ähnliches wie „WHAAAAAA“ ausstoße, höre ich ein nur zu bekanntes Lachen.

Phil.

Ich muss nun auch grinsen: „Lass mich runter.“

Er lässt mich runter, aber immer noch nicht los.

Die Schülermenge strömt um uns herum und ich höre nicht nur ein oder zwei Flüche.

Ich: „Was hast du eigentlich gemacht, dass irgendwie jeder meinen Namen kennt?“

Er knuddelt mich fest durch: „Ach nichts Besonderes. Ich habe ihnen nur klargemacht, dass du meins bist.“

Ich: „Was?“

Er lacht nur wieder und meint: „Naja ich muss doch darauf Acht geben, dass dich niemand anfasst.“

Niemand anfasst? Was denkt er denn?

Er: „Lust auf ein Date?“

Ohne auf eine Antwort von mir zu warten schiebt er mich auch schon aus dem Gebäude und wir stehen mitten unter der Sonne.

Die warmen Strahlen kribbeln angenehm auf meiner Haut.

Ja, es ist eindeutig ein Neuanfang, ein warmer und wundervoller Neuanfang mit der liebenswertesten Person, die es auf dieser graublauen Erde gibt. 

 

Ende

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.03.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die es lesen wollen;3

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