Daniel Schenkel
Verlag Sarturia
ISBN 978-3-940830-40-1
Daniel Schenkel
Muerenberg-Chroniken
ISBN 978-3-940830-40-1
Sarturia® Taschenbuch Nr. 30401
Erste Auflage
Herausgeber: Daniel Schenkel
Lektorat: Autorenteam Sarturia®
Covergestaltung: Dieter König
Copyright © 2014 Sarturia Verlag e.K. Autoren Service
Finkenweg 9, 72669 Unterensingen
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Was uns erwartet
Der Kommissar hieß entweder Brecker oder Brockmann,
ich hatte mir seinen Namen nicht richtig gemerkt.
Brecker oder Brockmann hatte so gut wie keine Haare
mehr auf dem Kopf und tiefe Ringe unter den Augen.
Er fragte, ob ich einen Kaffee wolle, was ich ablehnte.
»Wir haben sie zweifelsfrei identifiziert, mehr oder weniger
«, sagte er. »Sie kann nicht länger als einen Tag tot
gewesen sein.«
»Was meinen Sie mit ›mehr oder weniger‹?«, wollte ich
wissen.
Er mied meinen Blick. »Es war nicht besonders viel
übrig, verstehen Sie? Nicht viel zum Obduzieren. Aber
ihre Handtasche mit Ausweis und Telefon lag in dem
Raum. Um ganz sicher zu gehen, werden wir noch ihre
Blutgruppe abgleichen und die Gebissabdrücke.«
Der Kommissar und ich hatten uns nicht viel zu sagen.
Alles, was ich wusste, hatte ich schon seinen Kollegen
zu Protokoll gegeben. Auf Adelas Nachhauseweg musste
es passiert sein, vermutlich an der Bushaltestelle. Ich
kannte ihre Strecke, sie hatte immer dieselbe genommen,
zwei Stationen mit dem Bus, den Rest mit der UBahn.
»Gibt es Spuren?«, fragte ich. »Zeugen?«
Der Kommissar schüttelte den Kopf, sah mich immer
noch nicht an. »Wir ermitteln in alle Richtungen, das
kann ich Ihnen versichern.«
»Darf ich sie sehen?« Die gleiche Frage hatte ich seinen
Kollegen gestellt, niemand hatte es gestattet, niemand
den Grund genannt.
»Das wollen Sie nicht.« Er sprach so leise, dass ich ihn
kaum verstand.
9
»Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich das will.«
Was bildete dieser aschgraue Mann sich ein?
Der Kommissar griff in eine Schreibtischschublade,
holte ein Foto heraus, legte es auf den Tisch.
»Das ist eines der harmloseren. Nur damit Sie wissen,
dass ich Ihnen keinen Quatsch erzähle.«
Ich beugte mich vor, um das Bild besser sehen zu können.
Der Körper war in der Aufnahme nicht ganz sichtbar,
der Fotograf hatte sich mehr auf den Kellerraum
konzentriert. Aber was ich sah, reichte aus. Genug, um
Schweiß auf meine Stirn treten und meinen Magen revoltieren
zu lassen. Der Stuhl unter mir schien zu
schwanken.
Der Kommissar nahm das Foto wieder an sich und
verstaute es in der Schublade.
»Über dreißig Jahre bin ich jetzt bei der Polizei. Ich habe
wirklich viel gesehen. Tote Babys, verweste Leichen,
sogar mal einen abgehackten Kopf, aber das schlägt alles,
absolut alles.« Zum ersten Mal sah er mich direkt an.
Seine Augen waren blutunterlaufen. »Kein Mensch tut
so etwas«, sagte er. »Ich kennen einen ganzen Haufen
harter Burschen, manche davon richtige Soziopathen,
aber das …«
Wir schüttelten uns noch die Hand und er sagte mir,
dass er sich bei mir melden würde, sollten die Ermittlungen
zu Ergebnissen führen.
Ich ging den Flur zum Aufzug entlang. Alles war
unwirklich, alles verblasst und wie ausgewaschen. Was
waren Adelas letzte Worte zu mir gewesen?
Ich konnte mich nicht erinnern. Bestimmt irgendeine
belanglose Abschiedsfloskel. Sie ging ja nur in die
Abendschule, wie jeden Mittwoch seit einem halben
Jahr.
Kein Grund zur Besorgnis, kein Grund zur Aufregung.
Eine normale, freundliche Welt.
Bis …
10
Im Aufzug klingelte mein Telefon. Ich ging nicht ran,
mir stand der Sinn nicht nach Gesprächen. Der Anrufer
ließ nicht locker, aber auch ich blieb stur. Nein, ich wollte
nicht reden. Nicht jetzt!
Im Erdgeschoss stieg ich aus und das Telefon verstummte,
nur um wenige Sekunden später wieder den
nervigen Klingelton zu spielen, den ich schon so lange
ändern wollte.
In der Lobby erbarmte ich mich und zog den Apparat
aus der Manteltasche.
»Ja?«
Statisches Rauschen. Pfeifen wie bei atmosphärischen
Störungen.
»Bruno?« Adelas Stimme. »Bruno, kannst du mich hören?
«
Ich keuchte. Fühlte mich, als hätte mir jemand in den
Bauch geschlagen.
Der Beamte hinter seiner verglasten Empfangstheke
warf mir einen misstrauischen Blick zu.
»Adela?« Ich musste an mich halten, um nicht zu
schreien.
Der Kommissar hatte einen Fehler gemacht. Einen irren
Fehler. Krampfhaft unterdrückte ich das aufsteigende,
hysterische Gelächter.
»Adela, wo bist du?«, rief ich.
»Ich… ich weiß es nicht.« Das Rauschen und Fiepen
wurde stärker. »Bruno, es ist so still hier. Überall dieser
Nebel, ich glaube …«
Der Satz brach ab, die Verbindung war beendet. Ein
Blick auf das Display zeigte einen anonymen Anruf. Ohne
zu überlegen, drehte ich mich um und rannte in den
Fahrstuhl. Als die Türen sich wieder öffneten, stürmte
ich hinaus, den Flur hinunter, riss die Bürotür des Kommissars
auf.
Er saß immer noch hinter seinem Schreibtisch, das Foto
in der Hand.
11
Die Worte sprudelten aus mir heraus und es dauerte,
bis ich meinem Gegenüber verständlich machen konnte,
was gerade geschehen war.
Seine Reaktion war enttäuschend. Er runzelte die
Stirn, kniff die Augen zusammen.
War ich mir sicher?, wollte er wissen.
Natürlich war ich mir sicher.
Hatte ich die Stimme eindeutig identifiziert?
Ja doch, verdammt noch mal. Und jetzt musste er gefälligst
seine Spezialisten, seine Sonstwas in Marsch setzen
und herausfinden, woher der Anruf gekommen war.
Adela lebte!
Brecker oder Brockmann ließ sich das Telefon aushändigen.
Die Techniker würden sich darum kümmern. Die
Polizei habe Experten für so etwas, ich bräuchte mir keine
Sorgen zu machen.
Er wollte diesen hysterischen, schweißgebadeten Irren
schleunigst loswerden, das sah ich ihm an. Leider ein
bisschen übergeschnappt, der arme Kerl. Der Schock
und das alles, kann man schon verstehen, muss man entschuldigen.
Mein Furor war verraucht.
Da mir nichts anderes übrig blieb, trottete ich aus dem
Büro und verzichtete darauf, die Tür hinter mir zu
schließen.
Adela hatte mich angerufen. Die tote Adela oder besser:
Die angeblich tote Adela.
Und eine vollkommen unfähige Polizistenkarikatur
weigerte sich, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen.
Nicht zu fassen!
Bis zur U-Bahn blieb ich in jenem halb betäubten Zustand,
in den Menschen verfallen, wenn sie mit etwas
Unfassbarem konfrontiert werden. Und mir waren
gleich zwei unvorstellbare Dinge zugestoßen, die sich
nach den Gesetzen der Logik gegenseitig ausschlossen:
12
Meine Frau war entführt und bestialisch ermordet
worden.
Meine vermeintlich tote Frau hatte mich gerade angerufen.
Bis auf drei schnatternde Jugendliche und einem älteren
Mann mit struppigem Vollbart, wahrscheinlich ein
Obdachloser, war das Abteil leer. Der Berufsverkehr
hatte noch nicht begonnen.
Die Jugendlichen stiegen an der nächsten Haltestelle
aus. Der alte Mann blieb zusammengesunken hocken
und ich meinte, leises Schnarchen aus seiner Richtung zu
hören. Zudem krochen seine Alkoholausdünstungen allmählich
in meine Nase. Ein einziger, weiterer Fahrgast
betrat das Abteil: Ein großgewachsener Mann mit schulterlangem,
blondem Haar. Obwohl reichlich Platz war,
ließ er sich mir gegenüber nieder. Er nickte mir zu, lächelte,
grinste vielmehr und entblößte dabei eine Reihe
von Zähnen, die zu weiß und zu groß waren, als dass ich
den Anblick angenehm gefunden hätte. Er fixierte mich
aus Augen, deren rotviolette Iris mein Unwohlsein noch
verstärkten.
Der Mann wandte sein Gesicht nicht ab. Ich sah ihn
nicht zwinkern. Anscheinend hatte er vor, mich niederzustarren.
Zwei Haltestellen später – nur das Knarren des Wagens
und das Schnarchen des alten Mannes durchbrachen
die Stille – hielt ich es nicht mehr aus. Der Tag war
einfach zuviel für mich gewesen.
»Was wollen Sie?«, fuhr ich mein Gegenüber an.
Der Mann zuckte nicht zurück. Mein Ausbruch veränderte
nicht mal sein enervierendes Grinsen.
»Wartest du auf den nächsten Anruf?« Seine Stimme
war merkwürdig sanft für so einen großen Kerl und
Hohn schwang in jeder Silbe. »Dein Frauchen fühlt sich
bestimmt einsam, da wo es jetzt ist.«
13
Hätte er mir ins Gesicht geschlagen, die Wirkung wäre
kaum anders gewesen.
Ich sank in den Sitz zurück. Starrte den blonden Kerl
nur an, dessen Gesicht mir mehr und mehr wie die Fratze
einer Kasperpuppe erschien.
Der blonde Mann kicherte. »Nur keine Sorge, der
Doktor wird sich um alles kümmern. Sehr bald schon,
kein Problem dann mehr, gar keines.«
Der Wagen kam mit einem Ruck zum Stehen. Ich
sprang auf und taumelte zum Ausgang. Der Blonde in
meinem Rücken lachte, ein abgehacktes, mechanisches
Geräusch, dem jede Fröhlichkeit und Wärme fehlten.
**
Ich war zu früh ausgestiegen und musste den Rest der
Strecke zu Fuß zurücklegen. Durch einen Vorhang aus
eisigem Regen watete ich meinem Ziel entgegen, war
bald bis auf die Haut durchnässt. Die Stadt bestand aus
Autoscheinwerfern, Neonreklamen, trüben Straßenlaternen,
eingebettet in ein Geräuschkonglomerat aus Motorenlärm,
Hupen und undefinierbarer Musik.
Das Telefon läutete, kaum dass ich meine Wohnungstür
aufgeschlossen hatte. Ich riss den Hörer von der
Halterung, wusste instinktiv, wessen Stimme ich hören
würde.
»Irgendwas stimmt hier nicht.« Adela hinter einem
Vorhang aus Rauschen und Fiepen. »Ich kann mich
nicht mal erinnern, wie ich hierher gekommen bin. Es
ist alles so verschwommen, so undeutlich, ergibt keinen
Sinn …«
Ich schrie mehrmals ihren Namen. Wo immer Adela
auch war, sie musste die Polizei rufen!
Vielleicht war sie verletzt, vielleicht musste sie in ein
Krankenhaus.
14
Aber aus der Leitung quoll nur das Nichtgeräusch der
Interferenzen. Der Hörer glitschte mir aus der schweißnassen
Hand; bis ich ihn aufgehoben hatte, war die Leitung
endgültig tot. Wieder zeigte das Display keine
Nummer.
Ich kannte die Durchwahl des Kommissars nicht, aber
ich rief die Leitstelle an, zwang mich trotz Atemnot und
Panik zusammenhängend zu sprechen, zu sagen, wer ich
war und was ich wollte.
Ich wurde verbunden. Eine weitere Frauenstimme
stellte mir Fragen, dann landete ich erneut in einer Warteschleife.
Ich lief auf und ab, während die Fahrstuhlmusik
aus dem Hörer meine Nerven zersägte.
Ich wollte das Telefon quer durch den Raum schleudern.
Gegen die Wände treten. Kleinholz aus den
Bücherregalen machen.
Adela saß irgendwo fest. Verwirrt, vielleicht verletzt.
Und die Herren und Damen Gesetzeshüter hockten auf
ihren Hintern und warteten auf die Beamtenpension.
Die Musik verstummte. Knacken in der Leitung.
»Ja?« Die Stimme des Kommissars.
Ich schilderte ihm, was gerade passiert war. Seine Reaktion
war nicht, was ich erwartet hatte:
»Jetzt hören Sie mir mal zu, guter Mann: Nehmen Sie
eine Tablette, legen Sie sich ins Bett und schlafen Sie
sich aus. Ich weiß, dass das jetzt schwer für Sie ist, aber
mit solchen Aktionen helfen Sie uns auch nicht.«
»Was meinen Sie?«, stammelte ich.
»Ich habe Ihr Telefon überprüfen lassen.« Der Kommissar
klang mit jedem Wort ungehaltener. »Für unsere
Techniker ist das kein großes Problem, wissen Sie.«
»Ja und?«
»Ja nichts und…« Der Kommissar schrie jetzt fast ins
Telefon. »Sie haben keinen Anruf bekommen. Jedenfalls
nicht in den letzten zwei Stunden bevor sie in mein Büro
gestürmt sind.«
15
Das Gefühl der Irrealität kehrte zurück, der Eindruck,
mich nicht mehr ganz in der vertrauten, bestehenden
Welt zu befinden. »Sind Sie sicher. Ich meine, gibt es da
keine Fehler?«
»Und ob ich mir verdammt noch mal sicher bin, verdammte
Scheiße.« Jetzt schrie der Kommissar tatsächlich.
»Und verschonen Sie mich mit ihrem Schwachsinn
und lassen Sie mich arbeiten! Sie halten unseren Betrieb
nur auf.«
Knacken. Tuten. Der Kommissar hatte aufgelegt.
Eine Weile saß ich auf der Couch, den Hörer in der
Hand, unfähig, irgendetwas zu tun. Adela hatte mit mir
gesprochen. Zweimal.
Ich hatte mir das nicht eingebildet. Ich hatte keinen
Nervenzusammenbruch. Ich war nicht verrückt.
Bei der Polizei hatten sie einen Fehler gemacht. Das
war es. Genau. Überlastet, überarbeitet, kein Wunder bei
dem Stellenabbau, konnte man ja überall lesen.
Aber was konnte ich tun?
Den Kommissar noch einmal anrufen, würde nichts
bringen. Sollte ich hier herumsitzen und warten, dass
Adela sich noch einmal meldete? Vernünftig war es
wohl. Dann war da noch der blonde Mann mit dem
Dauergrinsen und den unheimlichen Augen.
Ich hatte ihn gegenüber dem Kommissar nicht erwähnt.
Warum? Im Vergleich zu Adelas Anruf war es
mir wohl nicht wichtig erschienen.
Die Stille der Wohnung dröhnte mir in den Ohren.
Wie konnte ich es hier noch aushalten? Ich schaltete
den Fernseher ein, nur um ihn gleich wieder auszumachen.
Ich ließ Musik spielen, ertrug jedoch auch das
nicht.
Vielleicht ein Buch? Ich ging zum Regal, nahm wahllos
einen Schmöker heraus, blätterte die Seiten durch, ohne
auch nur ein Wort zu erfassen.
16
Sinnlos. Ablenkung unmöglich. Wenn ich so weiter
machte, würde ich tatsächlich verrückt werden.
Der Kommissar hatte mein Mobiltelefon und ich
wusste nicht, ob mein Heimapparat außerhalb der Wohnung
funktionierte. Trotzdem steckte ich ihn ein. Ich
brauchte Bewegung, brauchte Luft und wusste schon,
wohin mich mein Weg führen würde.
Ende der Leseprobe
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Lektorat: Autorenteam Sarturia
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2014
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