Cover

Muerenberg Chroniken

 

 

 

 

 

Daniel Schenkel

 

Verlag Sarturia

 

ISBN 978-3-940830-40-1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Daniel Schenkel

Muerenberg-Chroniken

 

ISBN 978-3-940830-40-1

Sarturia® Taschenbuch Nr. 30401

 

Erste Auflage

Herausgeber: Daniel Schenkel

Lektorat: Autorenteam Sarturia®

Covergestaltung: Dieter König

Copyright © 2014 Sarturia Verlag e.K. Autoren Service

Finkenweg 9, 72669 Unterensingen

 

Die aktuellen Renner unter Sarturia® :

Sarturia® Autorenschule I - ISBN 978-3-940830-03-6

Die Null Matrix – SF-Storys I - ISBN 978-3-948300-00-5

Das Glaskuppelprinzip – SF-Storys II - ISBN 978-3-940830-02-9

Im Urknall war es still – SF-Storys III - ISBN 978-3-940830-04-3

Paradoxon – SF-Storys IV - ISBN 978-3-940830-06-7

Corona Borealis – SF Storys V – ISBN 978-3-940830-26-5

Die Götter der XUS – Sternenhammer I – ISBN 978-3-940830-10-4

Erwachen – Sarturia Macabre 1 – 978-3-940830-13-5

Vanitas– Sarturia Macabre 2 – 978-3-940830-20-3

Wenn Schatten tanzen - Krimi – ISBN 978-3-940830-09-8

Tote sterben einsam - Krimi – ISBN 978-3-940830-09-8

Brutus und der Rotlicht-Kolibri – ISBN 978-3-940830-17-3

 

http://www.sarturia.com/buch-shop/

 

 

 

Was uns erwartet

Der Kommissar hieß entweder Brecker oder Brockmann,

ich hatte mir seinen Namen nicht richtig gemerkt.

Brecker oder Brockmann hatte so gut wie keine Haare

mehr auf dem Kopf und tiefe Ringe unter den Augen.

Er fragte, ob ich einen Kaffee wolle, was ich ablehnte.

»Wir haben sie zweifelsfrei identifiziert, mehr oder weniger

«, sagte er. »Sie kann nicht länger als einen Tag tot

gewesen sein.«

»Was meinen Sie mit ›mehr oder weniger‹?«, wollte ich

wissen.

Er mied meinen Blick. »Es war nicht besonders viel

übrig, verstehen Sie? Nicht viel zum Obduzieren. Aber

ihre Handtasche mit Ausweis und Telefon lag in dem

Raum. Um ganz sicher zu gehen, werden wir noch ihre

Blutgruppe abgleichen und die Gebissabdrücke.«

Der Kommissar und ich hatten uns nicht viel zu sagen.

Alles, was ich wusste, hatte ich schon seinen Kollegen

zu Protokoll gegeben. Auf Adelas Nachhauseweg musste

es passiert sein, vermutlich an der Bushaltestelle. Ich

kannte ihre Strecke, sie hatte immer dieselbe genommen,

zwei Stationen mit dem Bus, den Rest mit der UBahn.

»Gibt es Spuren?«, fragte ich. »Zeugen?«

Der Kommissar schüttelte den Kopf, sah mich immer

noch nicht an. »Wir ermitteln in alle Richtungen, das

kann ich Ihnen versichern.«

»Darf ich sie sehen?« Die gleiche Frage hatte ich seinen

Kollegen gestellt, niemand hatte es gestattet, niemand

den Grund genannt.

»Das wollen Sie nicht.« Er sprach so leise, dass ich ihn

kaum verstand.

9

»Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich das will.«

Was bildete dieser aschgraue Mann sich ein?

Der Kommissar griff in eine Schreibtischschublade,

holte ein Foto heraus, legte es auf den Tisch.

»Das ist eines der harmloseren. Nur damit Sie wissen,

dass ich Ihnen keinen Quatsch erzähle.«

Ich beugte mich vor, um das Bild besser sehen zu können.

Der Körper war in der Aufnahme nicht ganz sichtbar,

der Fotograf hatte sich mehr auf den Kellerraum

konzentriert. Aber was ich sah, reichte aus. Genug, um

Schweiß auf meine Stirn treten und meinen Magen revoltieren

zu lassen. Der Stuhl unter mir schien zu

schwanken.

Der Kommissar nahm das Foto wieder an sich und

verstaute es in der Schublade.

»Über dreißig Jahre bin ich jetzt bei der Polizei. Ich habe

wirklich viel gesehen. Tote Babys, verweste Leichen,

sogar mal einen abgehackten Kopf, aber das schlägt alles,

absolut alles.« Zum ersten Mal sah er mich direkt an.

Seine Augen waren blutunterlaufen. »Kein Mensch tut

so etwas«, sagte er. »Ich kennen einen ganzen Haufen

harter Burschen, manche davon richtige Soziopathen,

aber das …«

Wir schüttelten uns noch die Hand und er sagte mir,

dass er sich bei mir melden würde, sollten die Ermittlungen

zu Ergebnissen führen.

Ich ging den Flur zum Aufzug entlang. Alles war

unwirklich, alles verblasst und wie ausgewaschen. Was

waren Adelas letzte Worte zu mir gewesen?

Ich konnte mich nicht erinnern. Bestimmt irgendeine

belanglose Abschiedsfloskel. Sie ging ja nur in die

Abendschule, wie jeden Mittwoch seit einem halben

Jahr.

Kein Grund zur Besorgnis, kein Grund zur Aufregung.

Eine normale, freundliche Welt.

Bis …

10

Im Aufzug klingelte mein Telefon. Ich ging nicht ran,

mir stand der Sinn nicht nach Gesprächen. Der Anrufer

ließ nicht locker, aber auch ich blieb stur. Nein, ich wollte

nicht reden. Nicht jetzt!

Im Erdgeschoss stieg ich aus und das Telefon verstummte,

nur um wenige Sekunden später wieder den

nervigen Klingelton zu spielen, den ich schon so lange

ändern wollte.

In der Lobby erbarmte ich mich und zog den Apparat

aus der Manteltasche.

»Ja?«

Statisches Rauschen. Pfeifen wie bei atmosphärischen

Störungen.

»Bruno?« Adelas Stimme. »Bruno, kannst du mich hören?

«

Ich keuchte. Fühlte mich, als hätte mir jemand in den

Bauch geschlagen.

Der Beamte hinter seiner verglasten Empfangstheke

warf mir einen misstrauischen Blick zu.

»Adela?« Ich musste an mich halten, um nicht zu

schreien.

Der Kommissar hatte einen Fehler gemacht. Einen irren

Fehler. Krampfhaft unterdrückte ich das aufsteigende,

hysterische Gelächter.

»Adela, wo bist du?«, rief ich.

»Ich… ich weiß es nicht.« Das Rauschen und Fiepen

wurde stärker. »Bruno, es ist so still hier. Überall dieser

Nebel, ich glaube …«

Der Satz brach ab, die Verbindung war beendet. Ein

Blick auf das Display zeigte einen anonymen Anruf. Ohne

zu überlegen, drehte ich mich um und rannte in den

Fahrstuhl. Als die Türen sich wieder öffneten, stürmte

ich hinaus, den Flur hinunter, riss die Bürotür des Kommissars

auf.

Er saß immer noch hinter seinem Schreibtisch, das Foto

in der Hand.

11

Die Worte sprudelten aus mir heraus und es dauerte,

bis ich meinem Gegenüber verständlich machen konnte,

was gerade geschehen war.

Seine Reaktion war enttäuschend. Er runzelte die

Stirn, kniff die Augen zusammen.

War ich mir sicher?, wollte er wissen.

Natürlich war ich mir sicher.

Hatte ich die Stimme eindeutig identifiziert?

Ja doch, verdammt noch mal. Und jetzt musste er gefälligst

seine Spezialisten, seine Sonstwas in Marsch setzen

und herausfinden, woher der Anruf gekommen war.

Adela lebte!

Brecker oder Brockmann ließ sich das Telefon aushändigen.

Die Techniker würden sich darum kümmern. Die

Polizei habe Experten für so etwas, ich bräuchte mir keine

Sorgen zu machen.

Er wollte diesen hysterischen, schweißgebadeten Irren

schleunigst loswerden, das sah ich ihm an. Leider ein

bisschen übergeschnappt, der arme Kerl. Der Schock

und das alles, kann man schon verstehen, muss man entschuldigen.

Mein Furor war verraucht.

Da mir nichts anderes übrig blieb, trottete ich aus dem

Büro und verzichtete darauf, die Tür hinter mir zu

schließen.

Adela hatte mich angerufen. Die tote Adela oder besser:

Die angeblich tote Adela.

Und eine vollkommen unfähige Polizistenkarikatur

weigerte sich, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen.

Nicht zu fassen!

Bis zur U-Bahn blieb ich in jenem halb betäubten Zustand,

in den Menschen verfallen, wenn sie mit etwas

Unfassbarem konfrontiert werden. Und mir waren

gleich zwei unvorstellbare Dinge zugestoßen, die sich

nach den Gesetzen der Logik gegenseitig ausschlossen:

12

Meine Frau war entführt und bestialisch ermordet

worden.

Meine vermeintlich tote Frau hatte mich gerade angerufen.

Bis auf drei schnatternde Jugendliche und einem älteren

Mann mit struppigem Vollbart, wahrscheinlich ein

Obdachloser, war das Abteil leer. Der Berufsverkehr

hatte noch nicht begonnen.

Die Jugendlichen stiegen an der nächsten Haltestelle

aus. Der alte Mann blieb zusammengesunken hocken

und ich meinte, leises Schnarchen aus seiner Richtung zu

hören. Zudem krochen seine Alkoholausdünstungen allmählich

in meine Nase. Ein einziger, weiterer Fahrgast

betrat das Abteil: Ein großgewachsener Mann mit schulterlangem,

blondem Haar. Obwohl reichlich Platz war,

ließ er sich mir gegenüber nieder. Er nickte mir zu, lächelte,

grinste vielmehr und entblößte dabei eine Reihe

von Zähnen, die zu weiß und zu groß waren, als dass ich

den Anblick angenehm gefunden hätte. Er fixierte mich

aus Augen, deren rotviolette Iris mein Unwohlsein noch

verstärkten.

Der Mann wandte sein Gesicht nicht ab. Ich sah ihn

nicht zwinkern. Anscheinend hatte er vor, mich niederzustarren.

Zwei Haltestellen später – nur das Knarren des Wagens

und das Schnarchen des alten Mannes durchbrachen

die Stille – hielt ich es nicht mehr aus. Der Tag war

einfach zuviel für mich gewesen.

»Was wollen Sie?«, fuhr ich mein Gegenüber an.

Der Mann zuckte nicht zurück. Mein Ausbruch veränderte

nicht mal sein enervierendes Grinsen.

»Wartest du auf den nächsten Anruf?« Seine Stimme

war merkwürdig sanft für so einen großen Kerl und

Hohn schwang in jeder Silbe. »Dein Frauchen fühlt sich

bestimmt einsam, da wo es jetzt ist.«

13

Hätte er mir ins Gesicht geschlagen, die Wirkung wäre

kaum anders gewesen.

Ich sank in den Sitz zurück. Starrte den blonden Kerl

nur an, dessen Gesicht mir mehr und mehr wie die Fratze

einer Kasperpuppe erschien.

Der blonde Mann kicherte. »Nur keine Sorge, der

Doktor wird sich um alles kümmern. Sehr bald schon,

kein Problem dann mehr, gar keines.«

Der Wagen kam mit einem Ruck zum Stehen. Ich

sprang auf und taumelte zum Ausgang. Der Blonde in

meinem Rücken lachte, ein abgehacktes, mechanisches

Geräusch, dem jede Fröhlichkeit und Wärme fehlten.

**

Ich war zu früh ausgestiegen und musste den Rest der

Strecke zu Fuß zurücklegen. Durch einen Vorhang aus

eisigem Regen watete ich meinem Ziel entgegen, war

bald bis auf die Haut durchnässt. Die Stadt bestand aus

Autoscheinwerfern, Neonreklamen, trüben Straßenlaternen,

eingebettet in ein Geräuschkonglomerat aus Motorenlärm,

Hupen und undefinierbarer Musik.

Das Telefon läutete, kaum dass ich meine Wohnungstür

aufgeschlossen hatte. Ich riss den Hörer von der

Halterung, wusste instinktiv, wessen Stimme ich hören

würde.

»Irgendwas stimmt hier nicht.« Adela hinter einem

Vorhang aus Rauschen und Fiepen. »Ich kann mich

nicht mal erinnern, wie ich hierher gekommen bin. Es

ist alles so verschwommen, so undeutlich, ergibt keinen

Sinn …«

Ich schrie mehrmals ihren Namen. Wo immer Adela

auch war, sie musste die Polizei rufen!

Vielleicht war sie verletzt, vielleicht musste sie in ein

Krankenhaus.

14

Aber aus der Leitung quoll nur das Nichtgeräusch der

Interferenzen. Der Hörer glitschte mir aus der schweißnassen

Hand; bis ich ihn aufgehoben hatte, war die Leitung

endgültig tot. Wieder zeigte das Display keine

Nummer.

Ich kannte die Durchwahl des Kommissars nicht, aber

ich rief die Leitstelle an, zwang mich trotz Atemnot und

Panik zusammenhängend zu sprechen, zu sagen, wer ich

war und was ich wollte.

Ich wurde verbunden. Eine weitere Frauenstimme

stellte mir Fragen, dann landete ich erneut in einer Warteschleife.

Ich lief auf und ab, während die Fahrstuhlmusik

aus dem Hörer meine Nerven zersägte.

Ich wollte das Telefon quer durch den Raum schleudern.

Gegen die Wände treten. Kleinholz aus den

Bücherregalen machen.

Adela saß irgendwo fest. Verwirrt, vielleicht verletzt.

Und die Herren und Damen Gesetzeshüter hockten auf

ihren Hintern und warteten auf die Beamtenpension.

Die Musik verstummte. Knacken in der Leitung.

»Ja?« Die Stimme des Kommissars.

Ich schilderte ihm, was gerade passiert war. Seine Reaktion

war nicht, was ich erwartet hatte:

»Jetzt hören Sie mir mal zu, guter Mann: Nehmen Sie

eine Tablette, legen Sie sich ins Bett und schlafen Sie

sich aus. Ich weiß, dass das jetzt schwer für Sie ist, aber

mit solchen Aktionen helfen Sie uns auch nicht.«

»Was meinen Sie?«, stammelte ich.

»Ich habe Ihr Telefon überprüfen lassen.« Der Kommissar

klang mit jedem Wort ungehaltener. »Für unsere

Techniker ist das kein großes Problem, wissen Sie.«

»Ja und?«

»Ja nichts und…« Der Kommissar schrie jetzt fast ins

Telefon. »Sie haben keinen Anruf bekommen. Jedenfalls

nicht in den letzten zwei Stunden bevor sie in mein Büro

gestürmt sind.«

15

Das Gefühl der Irrealität kehrte zurück, der Eindruck,

mich nicht mehr ganz in der vertrauten, bestehenden

Welt zu befinden. »Sind Sie sicher. Ich meine, gibt es da

keine Fehler?«

»Und ob ich mir verdammt noch mal sicher bin, verdammte

Scheiße.« Jetzt schrie der Kommissar tatsächlich.

»Und verschonen Sie mich mit ihrem Schwachsinn

und lassen Sie mich arbeiten! Sie halten unseren Betrieb

nur auf.«

Knacken. Tuten. Der Kommissar hatte aufgelegt.

Eine Weile saß ich auf der Couch, den Hörer in der

Hand, unfähig, irgendetwas zu tun. Adela hatte mit mir

gesprochen. Zweimal.

Ich hatte mir das nicht eingebildet. Ich hatte keinen

Nervenzusammenbruch. Ich war nicht verrückt.

Bei der Polizei hatten sie einen Fehler gemacht. Das

war es. Genau. Überlastet, überarbeitet, kein Wunder bei

dem Stellenabbau, konnte man ja überall lesen.

Aber was konnte ich tun?

Den Kommissar noch einmal anrufen, würde nichts

bringen. Sollte ich hier herumsitzen und warten, dass

Adela sich noch einmal meldete? Vernünftig war es

wohl. Dann war da noch der blonde Mann mit dem

Dauergrinsen und den unheimlichen Augen.

Ich hatte ihn gegenüber dem Kommissar nicht erwähnt.

Warum? Im Vergleich zu Adelas Anruf war es

mir wohl nicht wichtig erschienen.

Die Stille der Wohnung dröhnte mir in den Ohren.

Wie konnte ich es hier noch aushalten? Ich schaltete

den Fernseher ein, nur um ihn gleich wieder auszumachen.

Ich ließ Musik spielen, ertrug jedoch auch das

nicht.

Vielleicht ein Buch? Ich ging zum Regal, nahm wahllos

einen Schmöker heraus, blätterte die Seiten durch, ohne

auch nur ein Wort zu erfassen.

16

Sinnlos. Ablenkung unmöglich. Wenn ich so weiter

machte, würde ich tatsächlich verrückt werden.

Der Kommissar hatte mein Mobiltelefon und ich

wusste nicht, ob mein Heimapparat außerhalb der Wohnung

funktionierte. Trotzdem steckte ich ihn ein. Ich

brauchte Bewegung, brauchte Luft und wusste schon,

wohin mich mein Weg führen würde.

 

 

 

Ende der Leseprobe

Die Muerenberg-Chroniken sind erhältlich bei Amazon (auch als E-Book) und im Saturia Buchshop

Impressum

Texte: Copyright Verlag Sarturia e.K. Autoren Service
Bildmaterialien: Copyright Verlag Sarturia e.K. Autoren Service
Lektorat: Autorenteam Sarturia
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /