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Dieses Buch widme ich einem Menschen, der mir in bislang zwölf glücklichen Jahren treu zur Seite gestanden ist, der mir geholfen hat, frühere Schicksalsschläge zu verstehen und zu verkraften, und der mir schlussendlich das Schreiben von Büchern wieder möglich gemacht hat. Dieses Buch widme ich meiner wunderbaren Frau, Patricia Sandoval-König.


Ringfalle



Prolog



Es scheint manchmal so, als könne man auch das Falsche tun um Gutes zu erwirken, solange nur die dahinter stehende Absicht die richtige sein mag. Und, tatsächlich, wenn man lange genug beharrlich in die richtige Richtung strebt, dann ordnen sich die Dinge manchmal auf wunder- bare Weise, und das Falsche wird unversehens zum Richtigen.

Ringfalle



Es krachte laut, und jemand schrie. Die kleine Claire schrak aus dem Schlaf. Sie lag lange Momente zitternd auf ihrem Prallfeld und wagte nicht, einen Laut von sich zu geben. Schließlich bemerkte sie, wie jemand ins Kinderzimmer kam. Dieser Jemand keuchte beängstigend. Als der Sensor schließlich die Anwesenheit eines Besuchers registrierte und das Licht aufblenden ließ, erkannte sie Vater. Claire entdeckte Blut an seinen Händen. Starr vor Schreck und Angst ließ sich das Kind aus dem Bett heben und ankleiden. Sie zitterte dabei so sehr, dass ihre Zähne klapperten.
„Wo ist Mama?“
„Vorausgegangen, mein kleiner Engel. Du musst jetzt ganz tapfer sein. Tapfer und leise.“
Das Mädchen ließ sich den Allzweckdress anziehen. Es fragte sich, warum Vater eine Waffe aus dem Wandfach nahm und ins Innenfutteral der Jacke steckte. Schließlich fühlte Claire sich emporgehoben. Und hinaus ging es in den nächtlichen Lärm der Gänge und Rollways der Wohnmaschine.
Vater nahm den Schwebelift. Er hielt Abstand zu den anderen Schwebegästen. Oben angekommen führte er Claire in einen notdürftig erhellten Gang. Es roch nach Staub und altem Öl.
Licht blendete auf. Roter Schein huschte in rascher Folge an den Wänden entlang. Der beängstigend gellende Ton eines Alarmsignals gesellte sich zu den bunten Licht- spielen. Weit hinter ihnen bog ein Magnetfahrzeug in den Korridor und hielt geradeswegs auf sie zu. Das Fahrzeug gehörte nicht der Polizei. Polizeifahrzeuge hatten eine andere Farbe, keine schmutzigbraunen Flecken.
Ein Blitz löste sich von dem heranjagenden Gefährt und schlug dicht neben den Fliehenden ein. Es regnete blausprühende Funken. Claire schrie auf. Vater wandte sich jedoch um und nestelte die Pistole aus der Jacke.
Dann ging alles sehr schnell: Gleißende Lichtnadeln jagten in unvorstellbar schneller Folge aus dem Lauf der Waffe. Es zischelte und krachte. Von den Pranken des Verfolgerfahrzeugs sprühten blendend helle Funken. Das Gerät geriet ins Schlingern, prallte gegen die Gangwand und wurde von dort zur gegenüberliegenden Begrenzung zurückgeschleudert. Bei jedem Aufprall stoben Funken- fontänen aus den Magnettatzen.
Vater tat zwei Schritte rückwärts. Das Fahrzeug raste sich überschlagend auf sie zu. Kein Chance zu entkommen. Doch im letzten Moment verlor es die überwältigende Fahrtenergie. Wie durch ein Wunder blieb es zum anfassen nah vor ihnen liegen, die kaputten Tatzen in die Höhe gereckt. Winzige, blaue Energieschlangen geisterten knisternd über die Metallteile der Trümmer. Es roch säuerlich scharf nach giftigen Ausdünstungen und nach irgendetwas Elektrischem.
Vater wandte sich ab und bemühte sich intensiv, eine der Sicherheitsverschlüsse zur Außenwelt zu öffnen.
„Illegaler Versuch, die Wohnmaschine zu verlassen!“ sagte ein wachsamer Automat. „Die zuständigen Behörden werden benachrichtigt. Bitte bleiben Sie stehen und verhalten Sie sich ruhig.“
Vater richtete die große Pistole auf die Mechanik des Schotts. Die Nadelkette blitzte wieder auf, und es krachte laut. Die metallene Klappe sprang aus dem Riegel und pendelte schräg in den Angeln.
Vater schob die weinende Claire vor sich her durch den entstandenen Spalt, hinaus in die kühle Nacht. Hinter den beiden heulte es erneut auf. Zwei weitere Magnetfahrzeuge bogen in den Korridor.
„Hier!“ sagte der Vater. „Nimm die Chip-Box und laufe bis es hell wird. Lass dich zu einer Station der Purple Cross Leute bringen. Irgendein Lexi-Fun Bär nimmt dir die Box ab und erzählt dir etwas von einer geheimen Gruppierung und von einem unendlich wertvollen Raumschiff, das sich in den falschen Händen befindet.“
Im Korridor hinter den Beiden krachte es erneut. Das aufgebrochene Schott spie Flammen und Rauch. Vater drückte seinem Kind die Box in die Hand.
„Vielleicht kannst du später meinen Kampf fortsetzen! All die vielen Menschen brauchen jemand, der sich ehrlich um sie kümmert. Und jetzt ab wie ein Blitz...!“
Das war das Letzte, das sie von ihm hörte.

Seit zwanzig Stunden waren die Kinder nun in der Gewalt einer Gruppe von rund zwei Dutzend Männern. Zwanzig Stunden ohne Schlaf und Nahrung. Es war den Jungs und Mädchen nicht einmal erlaubt, alleine zur Toilette zu gehen. Jedes Mal schaute einer dieser schwer bewaffneten Kerle zu.
Die Männer hatten ein Segment von zwölf Stockwerken unter ihre Gewalt gebracht. Es war sehr schnell gegangen. Sie redeten nicht viel und taten das, was getan werden musste, um einen Nachrichten-Tron der IGPA ins besetzte Areal zu bekommen. Sie hofften damit, die Öffentlichkeit an ihren Ideen zu interessieren. Das Ganze hätte sehr geschäftsmäßig und professionell gewirkt, wenn die Waffen nicht gewesen wären.
Die Verantwortlichen draußen, in der relativen Sicherheit der Wohnmaschine, ließen die gefangen gehaltenen Geiseln natürlich nicht im Stich. Schließlich standen sie alle für Stunden im Blitzgewitter der galaktischen Massen- medien. Nein, sie planten, organisierten und trafen Vorbereitungen.
Der erste Befreiungsversuch einer kurzfristig beauftragten Anti-Terror-Einheit hatte nach sechzehn Stunden leidvollen Wartens stattgefunden. Er war fehlgeschlagen. In der Folge hatte sich ein Terrorist eine der Mentorinnen gegriffen, sie vor die aktivierte Hologrammkonsole des IGPA Trons gezerrt und ihr mit der Laserpistole ein Loch durch den Schädel gebrannt. Die Tunnelung der Media- signale sorgte dafür, dass die Augenblicke der Hinrichtung galaxisweit on demand zu sehen waren.
Somit war das erste Ziel der Geiselnehmer erreicht; sie hatten ein überaus großes Auditorium für ihr Anliegen. Trotzdem ließen sie keineswegs nach in ihren Anstrengungen. Sie schickten sofort neue Drohungen in die Galaktische Vernetzung. Binnen Stundenfrist würde eine weitere Hinrichtung stattfinden. Daraufhin noch eine. Und noch eine. So lange, bis keine Geisel mehr für eine Hinrichtung übrig war.
Im Innern des besetzten Kubus herrschte Panikstimmung. Kein Mentor und kein Schützling, der nicht den Tod vor Augen hatte. Inwieweit die Leute da draußen wirklich an einer Lösung arbeiteten, konnte hier drinnen natürlich nicht festgestellt werden. Eine Zeit lang kam sogar überhaupt keine Meldung mehr durch.
Claire Douphnier befand sich mit unter den hochbegabten Schülern und Schülerinnen. Sie weinte jedoch nicht wie die meisten anderen Kinder. Im Gegensatz zu ihnen verhielt sie sich sogar ungewöhnlich ruhig.
Sie war zwar erst elf Jahre alt, doch sie wusste aus den komprimierten Aufzeichnungen ihres Vaters, dass solche Terroristengruppierungen zu einem Heer hoffnungsloser Idealisten gehörten. Nie und nimmer würde irgendein Machthaber mit ihnen verhandeln. Auch nicht, wenn sie drohten, einen ganzen Ausbildungssektor voller hochbegabter Kinder und Jugendlicher zu opfern. Mit Terroristen verhandelt man nicht.
Diese Gruppe hier verlangte den Abzug imperialer Truppen von irgend welchen verarmten Planeten, da das Argument der Geheimhaltung superwichtiger Technologien längst nicht mehr gegeben sein sollte.
Vermutlich war dies ein berechtigtes Verlangen, dem man sicherlich eine opportune Öffentlichkeit wünschen würde. Und doch hätten die Terroristen sogar die Übergabe der gesamten imperialen Flotte verlangen können. Niemand hätte ihnen jemals Gehör geschenkt. Sie würden aller Voraussicht nach rund Tausend hochbegabte Kinder und Jugendliche und drei Dutzend brillanter Mentoren mit sich in den Untergang reißen.
Mit elf Jahren weiß man noch nicht sehr viel über die grotesken Verschlingungen in der undurchschaubaren Welt der Erwachsenen. Aber man kennt sich im Areal seiner Bildungsstätte aus. Zumindest weiß man, wo die Schlupfwinkel sind, an denen man sich heimlich mit Jungs der höheren Stufen treffen konnte.
Es gab da verwaiste Computerdepos oder nicht mehr gewartete Knotenpunkte Technischer Anlagen. Dort konnte man sich ungestört mit Petting beschäftigen oder gemeinsam nicht freigegebene Links abgrasen. Manchmal konnte man sogar verbotene Narkotika miteinander teilen. Oder man konnte sich bloß vor einer unangenehmen Sache drücken, bis die Wellen sich geglättet hatten.
Claire Douphnier hatte keinen wirklichen Plan. Sie hatte noch nicht einmal eine konkrete Idee, wie sie sich unbemerkt von den anderen Kindern absondern könnte. Ihr einziger Vorteil schien, dass sie weniger paralysiert war als ihre Mitschüler. So kam es, dass sie sich nicht verängstigt in einer Ecke verkroch als die Anti-Terror- Einheit ihren zweiten Befreiungsversuch startete.
Nicht dass die Elfjährige eine wirkliche Chance gehabt hätte. Aber als die erste Explosion die äußere Wand zwischen dem Ausbildungskubus und dem angrenzenden Kaufhaussektor aufriss, rannte sie geistesgegenwärtig in den zentralen Korridor.
Die überraschten Geiselnehmer hatten nicht die Gelegenheit, sich um die davon wieselnde Kleine zu kümmern. Zwei von ihnen wurden durch Projektile der unter Mimikry Tarnung hereinstürmenden Terror-Ranger getötet. Der Rest versuchte sich in den höher und tiefer liegenden Räumlichkeiten in Sicherheit zu bringen. Die durchscheinenden Silhouetten der Angreifer huschten wie losgelöste Lichtbrechungen über die scharfkantigen Bleche der aufgerissenen Wand. Die Ranger folgten den Fliehenden erbarmungslos. Bereits zu diesem Zeitpunkt versprach der zweite Befreiungsversuch ein Medien- spektakel sondergleichen zu werden.
Claire Douphnier wandte sich instinktiv dem Levitations- Lift zu. Aber natürlich war dieser außer Betrieb. Was hatte sie auch anderes erwartet. Einhundertzwanzig Stockwerke tiefer endete der Schacht über einem tritt- sicher versiegelten Metallfundament. Allein der Gedanke an die Tiefe ließ das Kind erschauern. Aber sie musste nach oben.
Für lange Sekunden hatte die Kleine ihre Hand an der seitlich eingelassenen Leiter, ohne sich weiterbewegen zu können. Da riss hinter ihr die Wand der Länge nach auf. Die neue Gefahr lieferte ihr den notwendigen Energieschub. Sprosse für Sprosse hangelte sie sich nach oben, währen die Auswirkungen naher Explosionen den Schacht erschütterten. Sie zitterte unkontrolliert; hundertzwanzig Stockwerke Luft unter sich ergeben kein beruhigendes Gefühl. Zwölf Stockwerke höher krabbelte Claire schließlich hinaus in den leeren Korridor. Erst jetzt begann sie zu weinen.
Mascha und ihre Freundin hatten schon vor ihr den Weg in das Hardware Depot gefunden. Die beiden hielten sich verzweifelt an den Händen. Plötzlich rissen sie entsetzt die Augen auf, aber sie starrten an Claire vorbei. Unwillkürlich fuhr das Mädchen herum. Aus dem Korridor kam einer der bewaffneten Männer. Ein Ausweichen war nicht möglich. Gleich würde er sie haben, und er würde mit ihnen tun können was ihm beliebte.
Aber er beachtete sie gar nicht. Er ließ einfach die Waffe fallen und machte sich stattdessen an einem gefährlich erscheinenden Gerät zu schaffen.
Claire Douphnier nutzte die Gelegenheit und rannte hinaus auf den Korridor und hinein ins nächste Depot. Hastig kletterte sie über die aufgestapelte Hardware zur defekten Klimaanlage hinauf, und hinein in den mannshohen Wärmetauscher. Aus ihrem Versteck heraus konnte sie das eigentliche Geschehen nicht mehr verfolgen. Sie hörte nur den Lärm, die Schüsse und die Schreie. Schluchzend und zitternd vor Angst kauerte sie sich zusammen, jeden Augenblick darauf gefasst, von einem der mitleidlosen Männer aufgespürt zu werden.
Und plötzlich erschütterte eine unvorstellbar heftige Detonation das komplette Segment der Wohnmaschine. Der abgrundtiefe Rumms raubte dem Mädchen den Atem; sie schwebte für eine halbe Sekunde losgelöst in der Luft ehe sie schließlich gegen den stillstehenden Rotor geschleudert wurde.
Die lange Finsternis hellte sich nach und nach wieder auf. Claire Douphnier erwachte. Überall war sie von makellosem Weiß umgeben. Es roch nach Desinfektions- mitteln. Ein weißer Medicon bemerkte die Änderung ihres Zustands und zitierte eine der weißgekleideten Schwestern herbei. Diese wiederum verständigte einen der weißgekleideten Ärzte. Nach einer Stunde wusste Claire Douphnier, dass sie und fünf weitere Mädchen die Einzigen waren, die das blutige Massaker überlebt hatten.
Vater hatte offensichtlich Recht behalten: Die Terroristen hätten ihr Ziel so und so nicht erreicht. Nicht in hundert Jahren. Wie man sehen konnte auch nicht mit der wahnsinnigen und kriminellen Absicht, tausend Kinder zu opfern.
Die größeren und wirklich großen Spiele wurden dem Anschein nach völlig anders gespielt, denn die Geheim- nisse um die unsagbar wertvollen Technologien auf den verarmten Planeten der Erzürnten blieben weiterhin gewahrt, versteckt unter dem unangreifbaren Schutz- mantel wachsamer Geheimdienste.
Als man der Elfjährigen die Gelegenheit bot, das Erlebnis aus ihrem Gedächtnis tilgen zu lassen, lehnte sie ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass ihr Vater dies sicher nicht gewollt hätte.

Noriel war siebzehn. Eigentlich ein netter Kerl. Er wusste wie man seinen Desktop so frisiert, dass man sich alles in den Hologrammkubus holen konnte was man nur wollte. Er konnte auch Medienspeicher reparieren, deshalb vertraute ihm die vierzehnjährige Claire Douphnier ihre Chip-Box an. Er wollte versuchen, so genannte verblasste Segmente zu reaktivieren.
Er schien zunächst auch ziemlich interessiert an dieser Aufgabe, denn er förderte einige Dokumente zum Vorschein, die mit Waffenhandel zu tun hatten. Leider, so meinte er, waren sie recht unvollständig, er könne so leider nichts daraus machen.
Claire Douphnier verriet ihm, dass Ihr Vater Daten über wichtige Erkenntnisse in Bezug auf Xeno Technologien hinterlassen haben musste. Für sie waren diese Daten wichtig. Also restaurierte der Junge den gesamten Datenspeicher und übertrug ihn dann auf ein neues Medium. Danach extrahierte er die bislang unzugänglichen Sektoren, um sie zu untersuchen. Versuchsweise lauschte er hinein. Ein dreidimensional gerenderter Sprecher sagte:
„...außerdem war schon zu Zeiten der Raubbau-Ära das Gebäude der theoretischen Physik ins Wanken geraten. Festgefügte Annahmen über den Aufbau des Universums waren durch neue Erkenntnisse ersetzt worden, während zu gleicher Zeit brillante Geister – Erkenntnis für Erkenntnis - ein neues Weltbild formten.“
„Reiner Trash!“ äußerte der Junge. „Oder bist du an Schulwissen interessiert...!“
„Warte, warte!“ entgegnete sie. „Lass es mich noch ein Stück anschauen!“
„Mit dem Physics Letter A269 schließlich“, sagte das Abbild im Hologrammkubus, „wurden bereits zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts die Grundlagen des Mallett-Petersonschen Lichtwirbel-Generators ver- öffentlicht, dem Vorläufer jenes Temporaltriebwerks, welches der Menschheit schließlich ermöglichte intergalaktische Entfernungen zurückzulegen. Nie war die menschliche Spezies erfolgreicher als in den Jahrhunderten des Goldenen Zeitalters, das daraufhin anbrach.“
„Kindersendungen sind nicht mein Ding!“ äußerte der Junge.
„Unglücklicherweise“, fuhr der virtuelle Sprecher fort, „wendete sich das Blatt. Und das, scheinbar ganz ohne ersichtlichen Grund. Der Drang hinaus in die Freiheit des interstellaren Weltraums wurde ersetzt durch den eskalierenden Wettbewerb etablierter Macht- und Wirtschaftsgruppierungen.“
„Genau das meine ich!“ äußerte Claire. „Ich glaube, man sollte schon wissen, wie all die Probleme entstanden sind und so!“
„Sonst noch was?“
Claire war enttäuscht. Fast schien es, als interessiere sich Noriel allein für seine Hacker Spiele, oder für illegale Inhalte aus der Galaktischen Vernetzung. Mit den eigentlichen Problematiken der Gesellschaft wollte er offenbar überhaupt nicht in Berührung geraten.
„Das Ringen um Geld und Einfluss“, erklärte der Sprecher unerschütterlich weiter, „erreichte seinen Höhepunkt nach dem Bau der Magellanschen Handelsstraße; genau zu jenem Zeitpunkt, als die wachsende, interstellare Terror- szene von sich reden machte. Gewalt, Brutalität und entsprechende Vergeltungsmaßnahmen gehörten fortan zum Tagesbild.“
Sie deutete erregt auf den Kubus.
„Da, siehst du?“ entfuhr es ihr. „Es ist nicht nur mir allein passiert; es kann jedem passieren…!“
Noriel schaute ganz wo anders hin während der Sprecher fortfuhr:
„Die Hauptstädte der Planeten begannen von innen heraus zu kranken. Kriminalität und Drogenexzesse waren die markantesten Anzeichen des gesellschaftlichen Niedergangs.“
„Und das ist nun ein alter Hut!“ brummte Noriel. „Ich habe was Besseres zu tun. Wie lange willst du dir das noch anhören?“
„Noch einen Augenblick...!“
„Die Gründe dafür werden augenscheinlich, wenn man in der Datenvernetzung nach Autoren-Werken wie dem antiquierten `Heuchler Komplott‘ fahndet Es untersuchte schon im Zeitalter der Grossen Verschwendung die Wurzeln der später überhand nehmenden Öko-Piraterie und die Bedeutung der so genannten Geheimbündnisse und deren Auswirkung auf die Gesamtgesellschaft.“
„Das ist doch bloß eine Comic Story!“ stellte Noriel fest. „Und noch eine alte dazu! Verschwörungstheorien sind längst aus der Mode…!“
Claire schaute den Jungen von der Seite her an. Noriel begriff gar nichts! Vater hatte sein Leben für Leute wie ihn geopfert und er verdiente es nicht, von ihm auf das Niveau einer Comic Figur herabgewürdigt zu werden.
„Die Ziele der im Verborgenen agierenden Macht- gruppierungen“, erklärte der Sprecher im Holo- gramm Kubus, „scheinen mit der gewaltsamen Aneignung und dem Missbrauch bislang streng geheim gehaltener Technologien in Greifweite gerückt. Die folgenden Fakten und Beweise legen dar, wie es zu..., wie es zu..., wie es zu...!“
„Scheiß Matrix!“ schimpfte der Junge. „Sie taugt nichts. Sie hat den Hauptfehler mit übernommen...!“
„Warte, warte, warte...!“ Claire ließ die Box aus dem Abspielgerät herausschnappen und schob sie erneut hinein.
„... alle Sterne!“ sagte eine junge Frau im Hologrammkubus. „Und deshalb erzähle ich dir jetzt die Geschichte des Lexi-Fun Bären, der durch seinen Mut die Lebewesen des Gamma Sektors...!“
Ein letzter Versuch brachte nur weißes Rauschen in den Fokus.
„Vielleicht hast du recht“, gab Claire Douphnier schließlich enttäuscht nach und ließ die Box herausschnappen. „Aber kopier's mir noch einmal. Hörst du? Und gib mir auch das Original wieder. Weißt du, es ist eine Erinnerung an meinen Vater.“
„Mach’ ich! Klar doch! Keine Frage ...!“
Es war der letzte Abend, den sie mit ihm zusammen verbrachte. Auf der nächsten Wochenendparty lernte er ein älteres, erfahrenes Mädchen kennen. Darüber vergaß er seine Versprechungen.


Tyra Aurelis war ein phantastischer Planet. Vor kurzem erst terraformed wirkte seine Landschaft wie ein ewiges Frühlingsparadies: Blauer Himmel wie aus der Holo- werbung, und Berge so plastisch, dass man versucht war, die Hände nach ihnen auszustrecken.
Bislang waren kaum hundert Stadtzentren auf dem Hauptkontinent errichtet worden doch binnen Jahresfrist würde hier der Geschäfts- und Freizeitverkehr blühen wie auf den zentralen Welten des Imperiums.
Claire Douphnier war mit siebzehn Jahren die jüngste Teilnehmerin am Design Wettbewerb, doch die Fakten aus der Matrix belegten, dass sie die weitaus besten Voraussetzungen mitbrachte.
Welch ein Genuss! Ein Okölogie-Designer konnte Ozeane voller Lebewesen entwerfen. Er konnte sogar eine Konzeption gegen eine bessere austauschen, falls das errechnete ökologische Gleichgewicht die magische Tausend-Jahres-Grenze nicht zu überdauern versprach. Sie war Schöpfer. Ja, sie war Gott. Sie erschuf die Harmonie einer neuen, dauerhaften Welt, allein durch Vorstellungskraft und Kreativität.
An diesem Tag erfuhr das Leben der Siebzehnjährigen jedoch die entscheidende Wende.
Die herrlich stabile Extrapolation im Hologrammkubus ließ für Sekunden ihre Farben verblassen. Ein Mann hatte sich hinter sie gestellt, den sie nicht kommen gehört hatte. Eine gefährliche Situation.
Der Bursche hatte sich hip gekleidet. Sein Outfit schien direkt aus einem antiquierten Kultfilm zu stammen. Lack und Leder, ein Krummesser im Gürtel und ein riesiges Amulett vor der nackten Brust. So etwas trug man auf den Zentralwelten des Imperiums, aber nicht hier draußen. Der Kerl schien seine Rolle förmlich auszukosten.
„So allein, hier draußen?“ erkundigte er sich zynisch. „Ist das nicht eine Einladung zu einem Date?“
„Tut mir leid“, entgegnete Claire Douphnier beherrscht, „aber ich bin weder an einer Unterhaltung interessiert, noch hätte ich Zeit dafür. Also bitte, lassen Sie mich meine Arbeit zu Ende führen.“
Entschieden wandte sie sich zurück zur Konsole.
„Nun komm schon!“ sagte der Bursche in versöhnlich klingendem Tonfall. „Lass uns ein bisschen ficken, und dann kannst du ja ruhig weiterarbeiten!“
Claire Douphnier zuckte bei diesen Worten unwillkürlich zusammen.
„Lassen Sie bloß die Finger von mir!“
Der Bursche grinste.
„Nun mal schön langsam“, er fasste nach ihrer Schulter. „Wir wollen doch nicht…!“
Im nächsten Augenblick schien Claire Douphnier zu explodieren. Die Hand des Laffen flog von ihrer Schulter. Er taumelte unter ihrem Fußtritt. Dann stand sie in Karate- haltung vor ihm. Ihr Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel darüber, dass sie ihn verletzen würde, wenn er sich noch einmal vergaß.
Der Bursche machte jedoch bloß eine Kopfbewegung, und aus den Büschen kamen noch fünf oder sechs weitere Typen. Alle ganz in Lack und Leder gekleidet; die reinste Halloween Parade. Damit schien das Kommende erklärt und besiegelt.
Rasch versuchte die Bedrängte nach ihrem Defensor zu greifen. Ein metallbeschlagener Stiefel stand drauf. Claire Douphniers Blick wanderte vom Stiefel über ein haariges Bein zum Kettengürtel des Rowdys, und von dort aus schließlich über die nackte Brust zum feisten Gesicht. Kein Zweifel, dieser Halunke würde sich an kein Gesetz halten. Nicht hier und nicht jetzt.
Der Anführer gab Zeichen, und einer der Burschen hakte flink sein Handheld vom Gürtel, um sich damit an der Schnittstelle zur Hologrammkonsole einzuklinken. Die Adressen von Ölfeldern und Uranvorkommen materialisierten sich im Kontrollholo. Gesichter zogen vorbei, Firmenlogos und schließlich etwas, das entfernt wie ein Raumschiff aussah aber eigentlich keines sein konnte. Der Anführer der Ratten schnalzte genießerisch mit der Zunge. Offensichtlich hatte die Truppe gefunden was sie suchte.
Claire Douphnier verstand mit einem Mal den Zweck des Überfalls. Die Schweinekerle hatten eine ungesicherte Entwurfskonsole gesucht, um unbemerkt ins System eindringen zu können; zumindest vordergründig. Dies hier war kein Spiel. Dies hier war tödlicher Ernst. Die Burschen waren Handlanger skrupelloser Industrie- und Okö-Piraten und als solche durften sie keinen Zeugen am Leben lassen.
Claire Douphnier war eine Sekunde lang wie paralysiert. Dann aber war es ihr, als fühle sie ihren Vater neben sich stehen, und die akuten Probleme entfernten sich mit einem Ruck. So ähnlich musste sich ein Kung Fu Meister fühlen, in jenem konzentrierten Augenblick wenn er den Angriff seines Gegner pariert. So musste sich Vater gefühlt haben, als er Claire auf ihre lange Reise geschickt hatte, ehe er sich selbst opferte. Sie blickte gefasst auf.
„Okay, Freunde!“ sagte sie leise zu den Ratten. „Damit habt ihr eueren Grenzbereich erreicht, es sei denn, jemand hilft euch weiter!“
Es wurde still. Es schien, als hätte Claire diese kriminellen Rowdys mit ihren Worten tatsächlich erreicht. Allesamt. Sie blickten in die Augen der Siebzehnjährigen, ohne wirklich zu begreifen was da gerade abging.
„Wie hoch“, erkundigte sich Claire Douphnier, „ist die Beteiligung für denjenigen, der euere Gesichter löscht, wenn das Backup dieser Vorgänge hier abgelegt wird?“
Die Hauptratte blinzelte. Für einen Augenblick schien sie Bluff und Wirklichkeit gegeneinander abzuwiegen.
„Naaah…!“ kam es schließlich gedehnt von den Lippen des Burschen. „Das meinst du doch nicht im Ernst?“
Claire Douphnier hob die Schultern.
„Finde es heraus…!“
Sie wandte sich dem feisten Kerl zu, der immer noch vor dem Kontrollpult lehnte und bedeutete ihm mit einer energischen Kopfbewegung, den Platz zu räumen. Er reagierte nicht. Offensichtlich war ihm die subtile Neu- ordnung der Gegebenheiten entgangen. Also, jetzt oder nie!
Keiner der Kerle konnte die Bewegungen von Claire Douphniers Beinen verfolgen. Aber der Fettwanst lag plötzlich im Gras, und die Siebzehnjährige setzte mit zwei Griffen die Notfall Standartmeldung ab. Die Konsole aktivierte das Blaulicht just in dem Moment, als das Mädchen niedergerungen wurde.
„Hört sofort auf damit!“ fauchte die Oberratte. „Lasst sie los! Wenn sie tatsächlich ein Backup am laufen hat, sind wir im Arsch!“
„Und unser Fick?“
„Bis du bescheuert…?“
Die Siebzehnjährige wartete ab, bis die Kraft in den Armen der Ratten erlahmte. Vorsichtig erhob sie sich.
Sie hatte sich eine reale Chance ergaunert, wie knapp es auch immer ausgehen würde. Aber sie schwor sich, dass sie nie wieder so naiv und unbedarft ins Blaue hinein träumen würde wie heute. Nicht solange solche Typen existierten.
Eine Ausbildung zum Öko-Ranger wäre ein guter Anfang. Eine echte Kampfausbildung wäre der nächste Schritt. Ihr Vater sollte stolz auf sie sein, wenn er je Gelegenheit hatte, auf sie herabzublicken…!

Quirlendes Leben in einer unvorstellbar riesigen Metall- kugel, weit, weit entfernt vom einstigen Mutterplaneten. Abenteuerliche Gesellschaftsstrukturen zauberten das Flair eines antiquierten Las Vegas in die Stockwerke des monströsen Bienenstocks.
In den Geschäftsräumen der ITEKA hatten neue Trons eine temporäre Überwachungszentrale eingerichtet. Geheimnisvolle, mattsilberne Apparaturen setzten Daten und Fakten in Bezug zueinander. Zahlenkolonnen in dreidimensionalen Bildfolien zauberten den Flair einer Raumschiffbrücke in die Unterwelt des so genannten Bunkers. Lässig gekleidete Controller dirigierten mit geübten Befehlen irgendwelche Automatismen.
Über die Qualität der Koordination zwischen Mensch und Tron wachte Lieutenant Commander in Civil, Claire Douphnier; eine blonde Fee mit unbezwingbarem Charme und unbestechlichem Auge. Sie und ihre Crew hielten Kontakt zu einem tiefraumtauglichen Labor, das sich an die Fersen eines der großen Speedliner geheftet hatte.
Die Magellan Route galt derzeit keineswegs als sicher, und so sponsorten die Manager eines imperiumstreuen Unternehmens diesen Auftrag. Das bedeutete unerwartet viel Geld in den Kassen des industriell finanzierten Privatinstituts. Es bedeutete Leben und gute Laune!
Ein junger Mann kam mit zwei dampfenden Keramiktassen in den Raum und ließ sich von Claire Douphnier eine aus der Hand nehmen. Vorsichtig gönnte er sich selbst einen Schluck Kaffee.
„Ah, heiß...!“ stellte er fest.
Die rechte Augenbraue der blonden Fee glitt nach oben.
„Im Nebenraum ist eine Kühlbox“, entgegnete sie leichthin. „Vielleicht brühen Sie den Kaffee dort auf...!“
Der Junge lachte nicht. Stattdessen warf er wie beiläufigen einen Blick auf die Bildfolien an den Wänden. Es war als suche er nach den passenden Worten.
„Unser Schlepper“, begann er schließlich, „hat seine technische Abnahme bekommen. Und es ist noch ein bisschen Geld übrig. Wir könnten damit was Produktives anfangen...!“
Claire Douphnier deutete mit ihrem makellosen Kinn zu den Überwachungsgeräten hinüber.
„Und das da?“ erkundigte sie sich zynisch. „Wer kümmert sich um unsere Crew da draußen während wir uns vollaufen lassen?“
„Bis jetzt“, gab der Junge zurück, „ist ja noch nichts passiert...!“
„...sagte die Maus in den Fängen der Katze...!“
Der Comunicator an Claire Douphniers Handgelenk summte. Sie verengte die Augenbrauen und hob das Gerät ein wenig empor.
„Ja, was ist denn?“ Sie lauschte angestrengt, während sich der Junge mit dem Kaffee entfernte.
„Hör, mal“, sagte Claire Douphnier ins Gerät, und es klang ärgerlich, „ich hab’s dir schon oft genug gesagt: Du sollst hier nicht anrufen. Wir haben hier einen Job zu erledigen, der…“
Sie warf dem Jungen, der stehen geblieben war, einen raschen Blick zu; geflissentlich drehte er sich wieder um und beschäftigte sich mit irgendetwas. Claire Douphnier lauschte erneut.
„Es ist…!“ Sie schien nicht zu Wort zu kommen. „Es ist mir egal, ob es dir leid tut oder nicht…!“
Auch die anderen warfen ihr nun verstohlene Blicke zu.
„Ein für alle Mal!“ fauchte sie in den Kommunikator. „Ich werde diese Beziehung nicht fortsetzen. Und ich bitte dich höflich, aber sehr bestimmt, mich nicht mehr anzurufen, und schon gar nicht hier im Institut. Du hast, nein, las mich ausreden, du hast deine Sieben Sachen und es gibt nichts, das wir noch zu besprechen…!“
Sie reckte die Hand mit der Kaffeetasse weit von sich.
„Und ich lege absolut keinen Wert auf laienhafte Psycho- analysen!“ Es klang eisig. „Ich bin so wie ich bin, und es geht dich überhaupt nichts an, wo ich groß geworden bin, Purple Cross oder nicht.
Und ich werde mein Leben für niemanden ändern. Verstehst du? Für niemanden! Und am allerwenigsten für dich!“
Entschlossen deaktivierte sie den Comunicator und wandte sich den Bildfolien zu. Die Jungs und Mädchen schienen auffallend eifrig bei der Sache. Jeder hatte irgendwelche Werte zu überwachen. Keiner hatte auch nur einen einzigen Blick für die blonde Chefin übrig.
Nur der Junge mit dem Kaffe schien sich nicht vom Anblick des Lieutenant Commanders in Civil abwenden zu können. Nicht wirklich.
Claire Douphnier dagegen schien die Ruhe selbst. Sie wandte sich um und rief an einer der Bildfolien die offizielle To Do Liste ab. Sie verglich die Einträge während sie ihren Kaffee schlürfte.
Der Speedliner befand sich bereits am jenseitigen Rand des Abgrunds zwischen den Galaxien. Es schien alles reibungslos über die Bühne zu gehen. Niemand nahm an, dass etwas Aufregendes geschehen würde. Alles schien bestens. Alles schien reine Routine. Doch für gewöhnlich zeichnet sich das Unerwartete dadurch aus, dass es dann eintritt, wenn man am wenigsten damit rechnet. So wie jetzt!
Die visuellen Darstellungen flackerten unisono. Von einer Sekunde auf die andere war im Bunker nur noch weißes Rauschen zu hören. Unangenehm laut. Die Bildfolien zeigten für ein paar lange Augenblicke zweidimensionale, grauweiße Ameisenstaaten, ehe sie das Logo der Hersteller abbildeten. Das weiße Rauschen brach ab.
„Letzte Position Theta Zwo Punkt Vier Zwo Vier“, berichtete die freundliche Stimme des Trons. „Relative Temporalgeschwindigkeit: Zwei Komm Eins Fünf Lichtjahre pro Sekunde. Tendenz: Fallend…!“
Der Rest der Ansage ging in überraschten Ausrufen der Mannschaft unter. Die Koordinaten konnte unmöglich stimmen. Sie waren so weit von der rechnerischen Position entfernt, dass sie sich keinesfalls auf ihr Labor beziehen konnten. Alles redete durcheinander. Nur der Junge mit dem Kaffee hielt sich schweigend im Hintergrund. Er schien vom Geschehen weniger tangiert.
„Ruhe, bitte!“ verlangte Claire Douphnier. „Das ist bitterer Ernst. Jede zusätzliche Information mag ungeheuer wichtig sein...!“
„Kontakt unterbrochen“, meldete der Tron freundlich. „Wiederaufnahme nicht möglich!“
Ein kräftig wirkender Mann aus der Gruppe fuhr herum. Erst starrte er den Lieutenant Commander an, als suche er nach Worten, dann fasste er die Kameraden ins Auge.
„Die wissen Bescheid...!“ entfuhr es im. „Jemand hat den Schweinen verraten, was wir da tun und wie wir den Liner überwachen...!“
Ein grauhaariger Kollege schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Seit wann haben wir eine Schweinezucht?“
„Du, …Blödmann! Was glaubst du wohl, hinter wem wir her sind? So naiv kannst du doch gar nicht sein.“
„Klär’ mich eben auf…!“
„Kapierst du das nicht?“ der Kräftige schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Die großkotzigen Typen von der Corporation wollen aus sicherer Entfernung mitverfolgen wenn wir gebissen werden. Und danach können sie in aller Ruhe nachsehen, wem die Zähne in unserem Arsch gehören.“
„Das war's!“ unterbrach Claire Douphnier den Ausbruch. „Solange wir nicht über handfeste Daten und Fakten verfügen, verlieren wir uns keinesfalls in haltloser Polemik.“
Die jungen Männer und Frauen sahen sich betreten an. Manchen konnte man anmerken, dass ihnen einiges auf der Zunge lag. Sie hielten es zurück. Der Lieutenant Commander in Civil tat einen Schritt in den Raum hinein.
„Polemik ist fruchtlos und bringt uns nicht weiter! Wir haben eine Aufgabe, und die gilt es zu erfüllen, und darum…!“
„Und was ist mit dem Antikaya-Holo? Ich meine, wir alle haben mitverfolgt, wie sie den imperialen Aufklärer aus dem intergalaktischen Tiefraum bargen. Der Nachrichten- Tron sagte etwas, das mir die Nackenhaare aufrichtete. Ich kann's bloß nicht wörtlich wiedergeben. Ich kann's bloß nicht genau erklären…!“
Er schwieg.
„Sie haben Angst, Burt Howell“, stellte Claire Douphnier ungerührt fest. „Sie haben Angst und wollen es nicht zugeben. Nun, das ist in Ordnung. Dann jedoch sind Sie es, der uns den ersten Vorschlag zur Lösung der Situation machen sollte. Was ist Ihr erster Gedanke?“
Das Minenspiel des jungen Mannes war sehenswert. Sein Ausdruck schwankte zwischen Aufsässigkeit, Angst und Verlegenheit hin und her. Er blickte von einem zum anderen und zurück zum Lieutenant Commander in Civil. Schließlich entspannte er sich.
„Okay“, lenkte er ein, „vielleicht habe ich wirklich Angst. Trotzdem bin ich ohne wenn und aber dabei, wenn wir die Freunde zurückholen. Wissen Sie, Miss Claire, in einem Notfall wie diesem werde ich tun, was von mir erwartet wird. Und ich nehme an, die Anderen tun das auch.“
Wie er so dastand und dem Blick seiner Vorgesetzten standhielt, tat der graubärtige Jacques Renoire einen Schritt vorwärts und trat zu ihm. Nach einer Weile folgten weitere. Sven Odegaard, Wanda Lier, Harry Böttcher, Ayscha Keskin. Sie folgten alle, einer nach dem anderen. Es war, als stellten sie sich geschlossen hinter ihren Kameraden, als bildeten sie eine Mauer gegen all die Verrücktheit im Universum. Verschwunden war der burschikose und nie ganz ernste Ausdruck aus ihren Gesichtern. Er hatte etwas anderem Platz gemacht. Etwas, das einem Gänsehaut über den Rücken jagen konnte.
Nur einer zögerte für lange Augenblicke, ehe er sich schließlich doch zu den anderen gesellte. Es war der Junge, der den Kaffe gebracht hatte, Jonathan Bradley. Claire Douphnier schien es jedoch nicht zu bemerken. Stattdessen blickte sie sich in der Runde um und nickte schließlich kaum merklich.
„Der Tron kennt die letzte Position des Labors“, äußerte sie beherrscht. „Wenn wir es geschickt anstellen...!“
„Der Schlepper im Dock!“ rief Sven Odegaard.
„Ein Teststart...!“
„...bei Nacht und Nebel...!
„Genau...!“
„Moment noch!“ verlangte Burt Howell. „Was ist mit der Crew auf dem Speedliner, mit Miria Reed, Olaf Benson und den anderen? Von den Trons hier hat nämlich keiner verlauten lassen, dass der Liner den gleichen Kurs genommen hätte wie das Labor...!“
Claire Douphnier nickte zustimmend.
„Nachprüfen!“ verlangte sie dann energisch. „Und checkt die Konfiguration des Schleppers für paramilitärische Einsätze. Wir wissen nicht, wer da draußen auf uns wartet und was für ein Süppchen er uns eingebrockt hat. Doch wir wollen es ihm auf jeden Fall gründlich versalzen...!“


Jenseits der Grenzzone zwischen der Kapwolke und der Heimat-Galaxis geschah etwas außergewöhnliches. Weit hinter dem Kulminationspunkt und nahe dem alles beherrschenden Sternennebel der Großen Magellanschen Wolke begann sich scheinbar die Struktur des Weltraums zu verformen.
Das funkelnde Diamantgeschmeide der Kapwolke verzerrte sich, als befände es sich hinter fließendem Wasser. Ladungen bauten sich auf, welche um ein Vielfaches größer waren als jene in den Kernen heißer Sonnenriesen. Magnetfelder stärker noch, als sie zwischen den Polen sekundenschnell rotierender Neutronensterne herrschten. Kräfte, die gar jenen glichen, die am Ereignishorizont eines Schwarzen Loches die lineare Struktur der Zeit verformten und sogar das ausgesandte Licht wieder in sich zurücksaugten.
Nur die kaskadierten Triebwerksgeneratoren interstellarer Speedliner konnten die Power für Felder dieser Größen- ordnung freisetzen. Nur sie waren in der Lage, die mächtigen Mallett-Petersonschen-Lichtwirbel in der Äquatorzone der Sternenriesen zu erzeugen und gleich- zeitig die Geschwindigkeit ihrer Elektromagnetischen Schwingungen so weit zu drosseln, dass sich der Raum um das gigantische Schiff krümmte. Und nun?
Austritt!
Das gewaltige Kunstwerk des Hochgeschwindigkeits- giganten, mit all seinen Menschen und Maschinen, war mit einem Mal zum Fremdkörper im Translationskontinuum geworden. Der Raum entlang der Straße erbrach sich förmlich wie ein krankes Tier und spie den Fremdkörper aus, und so sauste das Riesenmonster aus hochfestem Berylliumtitan nun in relativistischer Geschwindigkeit auf das gleißende Funkeninferno der Kapwolke zu. Ein Wunderwerk der Technik, verloren in der Stille der Unendlichkeit. Und doch auf erregende Art und Weise lebendig.
Die externen Sektionen erhellten sich nach und nach mit roten, grünen und blauen Lichtern, bis der ganze Sternen- riese von einer Wolke aus Neondunst umgeben war. Schließlich öffneten sich träge die lang gestreckten, äußeren Hangars und gaben den Blick frei auf ungezählte Start- und Landebahnen, an deren Seiten grell zuckende Blitze entlang eilten. Wieder und wieder.
Und auf einmal schrillte das Monster seinen Alarm durch Gänge und Korridore, durch Frachthäfen und Triebwerksparks, durch Computerdecks und Bürofluchten, durch Informationszentren und Aufenthaltsräume, durch die Wartungsdecks und durch die Kommandobrücke, und schließlich durch sämtliche Kabinen der Passagiere und Mannschaften.
Alarm für Mensch und Maschine.
Emsig suchten die Basisroutinen in den Speichern nach Programmen, die gar nicht implementiert waren, und die Techniker an Bord sahen sich ratlos an: Niemand hatte je von einem Fehler gehört, der imstande war, alle Mallett- Petersonsche-Generatoren gleichzeitig lahm zu legen. Und doch waren die Kräfte der Maschinerie erlahmt. Die mächtigen Antimaterie Reaktoren schwiegen. Der Energiefluss aus den ersatzweise eingesprungenen Wasserstoff Helium Meilern reichte kaum aus um die Grundversorgung der Lebenserhaltungssysteme sicher zu stellen. Das als havariesicher geltende Schiff jagte angeschlagen und steuerlos vor dem Glitzergeschmeide der Grossen Magellanschen Wolke durch die ewigen Nacht.
Nicht alle Menschen waren von dem Geschehen überrascht. Unter den Mannschaften befanden sich die Mitglieder des diskreten Sonderkommandos unter dem Oberkommando des Hundertfünfzigtausend Lichtjahre entfernten Lieutenant Commanders in Civil, Claire Douphnier.
Da war Miria Reed. Eine junge Frau. Dunkelblond und sehr ernst. Offiziell hatte sie den Rang eines Technischen Offiziers an Bord. Ihre eigentliche Aufgabe begann mit diesem Notfall. Und da war Olaf Benson, ihr Partner. Er trug nun, wie Miria Reed, die Einsatzuniform der Truppe, in den Farben der imperialen Flagge, mit Gerätetaschen an Ärmeln und Beinen. Das braune Haar kurz und rechts gescheitelt.
Die Augen - ebenfalls in tiefem Braun - jungenhaft und wohl nie ganz ernst.
„Hast du Kontakt zur Crew?“ erkundigte sich Miria Reed. „Zu Needler und Stroke?“
Er verneinte und machte eine vage Bewegung zur Kabinenwand hin.
„Ein Stern steht da draußen, der einem das Fürchten lehren könnte.“
Ein paar Sekunden beklemmende Stille.
„Du willst sagen“, Miria Reed legte ihm behutsam die Hand auf die Brust, „dass das Ganze nicht sehr nach Zufall aussieht, wie...?“
Er schwieg.
„...und dass wir blind in eine Falle gelaufen sind..?“
Er hob die Schultern.
„Keine Ahnung...!“
Der Rest des Satzes ging in einem unheimlichen Grollen unter. Ein Zittern lief durch das Schiff, kam von Achtern, pflanzte sich an den Berylliumwänden fort und verlor sich in den Gängen und Decks in Richtung Bug.
„Was war das...?“ hauchte Miria. „Hatten wir Kollisions- kurs?“
Olaf lauschte dem Geräusch nach.
„Es klang eher“, meinte er gedehnt, „als wollten uns die Triebwerksparks um die Ohren fliegen...!“
Erneutes Beben. Wiederholtes Grollen. Dumpf. Drohend. Es schien von weit her zu kommen, so als befände sich im Bauch des Riesen ein ungeduldiger Vulkan.
„Weg hier! Schnell...!“ Olaf Benson war mit einem Mal sehr lebendig. Er packte das Handgelenk seiner Partnerin, zog sie auf den Korridor hinaus und legte den Arm schützend um ihre Schultern.
Leute hasteten vorbei. Mannschaftsmitglieder in marine- blauen Uniformen. Angestellte in weißen Overalls. Frauen mit knappen Bedienschürzen. Männer mit flatternden Krawatten. Ein Pärchen im Pyjama. Jugendliche in Sport- bekleidung. Mechaniker in verschmierten Overalls. Modegecken mit spitzen Besätzen an den Schultern. Schreiende Kinder. Sie alle drängten zum Levitations-Lift.
Wieder grollte das Ungetüm. Wohl keiner der Hastenden hatte jemals etwas Ähnliches erlebt. Angst stand in ihren Gesichtern.
Nahe dem Lift drängten und stießen sie sich gegenseitig. Jeder wollte der Erste sein. Im Levitations-Feld schließlich eskalierte die Panik.
Olaf Benson nahm die Teamleiterin schützend in den Arm und ließ sich rücklings ins Schwebefeld fallen. So gut es ging wehrte er die außer Kontrolle Geratenen ab. Der Fahrtwind im Schacht zauste in Mirias Haar und verwandelte sie für Sekunden in einen Engel. Und dann waren Sie heraus aus dem Lift und standen im inneren Hangar.
Gleißende Lichter zuckten an den Wänden entlang. Der Alarm gellte überlaut. Trauben von Menschen hingen an den Public-Fähren. Zwei Frauen stürzten von der Gangway. Sie blieben verschwunden; begraben unter tretenden Füßen und wogenden Leibern.
Die Dienstshuttles lagen im angrenzenden Hangar. Energisch drängte sich Olaf Benson mit seiner Team- leiterin durch die Leiber der Fliehenden, hin zur Wendeltreppe. Hinter den Beiden kreischte der Mob. Entschlossen zwängten sie sich durch die Irisschleuse zum Nachbarhangar. Die Segmente der Iris schnurrten hinter ihnen zusammen und sperrten den gellenden Alarm, die Panik und die Schreie der nicht Legitimierten hinaus.
Hier waren sie richtig! Vor ihnen eine akkurate Reihe startbereiter Shuttles: Zwei von ihnen Spezialfahrzeuge. Zwei weitere Wartungstransporter. Vom Rest konnte man nur die Triebwerksparks mit den Kühlflossen ausmachen.
„Welche ist denn unsere...?“
Mirias Frage ging in einem schrillen Laut unter. Ein Gellen war und ein Bersten. Der Berylliumboden begann sich zu wölben und die Wände beulten sich kreischend nach innen. Sturmwind sprang auf. Lose Gegenstände wirbelten auf und wurden den Hangar entlang gesogen; die Schleusen- tore mussten sperrangelweit aufklaffen. Schneeflocken bildeten sich aus und begannen einen irrem Tanz.
Miria Reed wurde vom entstehenden Sog erfasst und von ihrem Partner weggerissen. Sie sah noch wie eines der Shuttles langsam hochgehoben wurde, während unter seinem Fahrgestell der verschneite Hangarboden aufriss. Dann stürzte sie zu Boden, schlug mit dem Gesicht auf und scheuerte mit der Wange über das schneebedeckte Metall. Rote Ringe tanzten vor ihren Augen. Dann wurde es finster um sie.
Startgeräusche übertönten das allgegenwärtige Getöse. Einmal. Zweimal. Miria fühlte sich von festen Händen gepackt und empor gezerrt. In ihren Lungen war ein Stechen. In den Ohren brauste ein Wasserfall.
Ein Stoß am rechten Ellbogen. Eine Shuttleschleuse. Schließlich ein dumpfer Laut. Die Hangargeräusche verstummten. Jemand tupfte Blut aus ihrem Gesicht, und sie stellte fest, dass sie atmen konnte.
Das Shuttle schien Fahrt aufzunehmen. Mit dem unverletzten Auge musterte Miria Reed einen der Mitflüchtlinge nach dem anderen.
„Wo ist Olaf?“ Sie war durch den Lärm der laufenden Motoren kaum zu verstehen. „Olaf Benson?“
Ein einziger hob flüchtig die Schultern. Die anderen kümmerten sich erst gar nicht um sie.
Die Laserprojektoren etablierten ein Abbild der Umgebung. Sie bot zwei Phänomene. Zur rechten Hand das naturgetreue Abbild der bunt schillernden Kapwolke. Zur Linken das Licht jenes Sonnenriesens, der sie vor Stundenfrist aus der Linearphase geholt hatte.
Wie ein mit funkelnden Diamanten bestreuter Asteroid hing der havarierte Speedliner über ihnen. Der Neondunst seiner Lichter verzauberte das Wrack mit dem großartigen Flair einer planetaren Grosstadt zur Nachtzeit.
Nicht allzu weit entfernt rollten traumartig langsam mehrere Begleitshuttles um ihre Längsachse. Vielleicht hatten Olaf Benson es doch noch geschafft, das sterbende Schiff zu verlassen. Vielleicht war die Crew nun dort drüben. Vielleicht auch nicht.
Ein befremdliches Nordlicht schien sich bogenförmig durch den Raum zu spannen. Ein fluoreszierender Saturnring. Ein gewaltiger unterteilter Reif, der das gesamte Sternsystem auf der Ekliptikebene zu umspannen schien. Vielleicht handelte es sich auch bloß um eine optische Täuschung.
Direkt vor dem Shuttle die abgeflachte Sichel eines blausilbernen Riesenmondes. Nein, kein Mond. Eine elliptisch geformten Weltkugel. Deutlich wahrnehmbar: Der fahle Schimmerkranz einer wie auch immer gearteten Atmosphäre.
„Da sausen wir hinein“, konstatierte der Pilot leidenschaftslos. „Und der havarierte Speedliner hinterher!“
Das Shuttle kreuzte die Ekliptikebene des fluoreszierenden Saturnrings. Und plötzlich erloschen die Lichter. Die Hologramme brachen zusammen. Keine Energie mehr. Durch die winzigen Luken an den Flanken des Landers war zu erkennen, dass das havarierte Mutterschiff ebenfalls die Lichter gelöscht hatten. Auf allen künstlichen Welten herrschte finstere Nacht.
„Gott steh’ uns bei…!“
Sie rasten steuerlos auf den Horizont des abgeflachten Planeten zu.
Der Älteste der Shuttlecrew fasste Miria Reed am Arm und schob sie sanft zu einer Landekapsel.
„Sie setzen sich jetzt da hinein!“ befahl er. „Das andere lassen sie unsere Sorge sein! Sie überleben einfach. Haben Sie verstanden?“ Er holte tief Atem und fügte dann hinzu: „Wenn wir eine Chance haben, dann diese eine...!“
Er half Miria in die Konturliege, schnallte sie fest und schloss die Luke.
Stille war und Finsternis.
Tausend Gedanken jagten ihr durch den Kopf und gipfelten in einem Stoßgebet: „Herrgott, bitte, mach, dass es noch nicht vorbei ist...!“ Dann spürte sie, wie die Kapsel in den Weltraum geschossen wurde.


Der Schlepper befand sich auf dem Weg zurück in die Heimat-Galaxis; als ein Blitzstrahl in einer Blase am Rande der Schnittstelle zum Einsteinschen Universums. Ein Energiepaket, das Einhundertfünfzigtausend Lichtjahre binnen Tagesfrist zu überbrücken vermochte. Im Griff seines Hecktraktors das gerettete und doch schrottreife Laborschiff der Kameraden.
Claire Douphnier befand sich auf dem winzigen Kranken- revier und beugte sich über Robert Palmer, einen ihrer Schützlinge. Mit der Rechten streifte sie eine Falte der Decke glatt, die der Tron über den jungen Mann gebreitet hatte.
„Unfassbar!“ äußerte der Liegende mit gepresster Stimme. „Als wir aus der Linearphase fielen, ging eine Menge zu Bruch. Aber wir waren schon irgendwo ganz anders, und da war nichts mehr außer der verfluchten Kapwolke und einer Menge Entfernung zwischen uns und irgendwas das wir kannten.“
„Und die Position des Speedliners?“ Claire Douphnier machte ein hilflose Geste. „Haben wir die Kameraden wirklich verloren?“
„Wir wurden förmlich weggeschnellt, Miss Claire! Der Himmel mag wissen, wo sie abgeblieben sind!“
„Schon gut, schon gut...!“ Der Lieutenant Commander schnitt eine schmerzliche Grimasse. „Ich habe nicht die geringste Idee wie wir uns aus der Sache herausreden könnten! Was soll ich dem Chief erzählen...?“
Sie saß nachdenklich auf dem Feldschemel, die aufregend schlanken Beine neben sich abgewinkelt. Ihr weißer Kostümrock war nicht in der Lage, die in höchstem Maße erotisch wirkenden Knie auch nur andeutungsweise zu verhüllen. Ein Wunder, dass der Verletzte sie noch nicht bemerkt hatte.
„Wie lange wird es denn dauern, “ erkundigte er sich leise, „ein neues Labor auszurüsten?“
„Und das wiederum“, entgegnete Claire Douphnier grimmig, „ist etwas, das mich hundsgemein ärgert! Kein Labor, Robert. Die Aufträge wurden in dem Augenblick zurückgezogen, als wir anfingen, nach euch zu suchen!“
Für zwei Sekunden herrschte verblüffte Stille.
„Was soll das heißen...?“
„Dass wir geradeswegs über den Tisch gezogen worden sind! Was sonst? Die Mittel sind gestrichen. Es wird keine Suche geben, weder nach dem Speedliner noch nach den Passagieren. Sie haben uns eiskalt abserviert.“
Einen Moment herrschte Stille. Schließlich versuchte sich der Angeschlagene aufzurichten, um seiner Ungläubigkeit Ausdruck zu verleihen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fiel er zurück.
Claire Douphnier legte ihm die Hand auf den Arm.
„Der Schlepper bleibt uns noch“, äußerte sie schwach. „Bloß ist kein Geld da, um den Temporalgenerator zu füttern. Ich meine...!“
„Mann...!“ Robert Palmer hatte plötzlich feuchte Augen. „Erst ködern uns die Schweine mit Geld damit sie sich in Szene setzen können, und zum Dank dafür kappen sie unseren Kameraden die Rettungsleine...? Ich fass' es nicht! Sind denn alle verrückt geworden...?“
Es gab darauf keine Antwort, und so war es wieder still in der engen Kabine. Nur die unterschwellig wirksamen Schwingungen des Triebwerksparks waren allgegenwärtig und man konnte sie wahrnehmen wenn man wusste, wie man den Kopf zu halten hatte und worauf man achten musste.
„Miss Claire“, meldete sich der Verletzte zu Wort, „Was mich betrifft: Ich stehe voll hinter Ihnen. Aber Sie müssen sich um Hilfe bemühen. Komme was wolle. Die Kameraden verlassen sich auf uns.“
„Ja, natürlich, klar...!“ Claire Douphnier suchte nach Worten. Der Schmuck an ihrer Halskette funkelte einen Augenblick lang verführerisch.
„Wissen Sie, Robert“, gestand sie dann leise, „da ist noch ein kleines Problem. Ich will nicht schwarz malen, oder so, aber wir könnten auf unserem Rückweg Unannehmlich- keiten bekommen.“
Man hätte eine Nadel fallen hören können.
„Wieso das denn...?“
„Eskalation...!“ berichtete sie. „Terroristische Aktivitäten, als Antwort auf die Rachefeldzüge seitens des Imperiums. Na ja, die ganze verwickelte Geschichte eben. Aber nicht mehr das, was man gewöhnlich in den Nachrichten sieht, sondern exzessive Übergriffe imperialer Truppen auf Reichsverbündete Planeten; irgendwas in der Art.“
„Ein Rachefeldzug…?“
„Die Sternenreiche streiten jegliche Verantwortung ab, doch die Regierungssprecher auf unserer Seite beharren darauf, dass man sich an den Fingern abzählen könne, woher der Wind wehe.“
„Oh verdammt..., ich muss aufstehen!“, Robert Palmer ignorierte seine Verletzungen. „Ich bin eigentlich kerngesund und...!“
Er blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen.
„Ich meine ja bloß…!“ entrang es sich seinen Lippen. „Wir brauchen schließlich jede helfende Hand...!“
Der Lieutenant Commander konnte darüber nicht lachen.
„Wir haben eine Erlebnisaufzeichnung eines IGPA Trons. Er zeigt einen jener Racheakte der Reichsverbündeten Streitkräfte, welcher den Unsrigen ein willkommenes Motiv für einen Vergeltungsschlag lieferte. Deswegen ist jetzt zu Hause die Hölle los!“
„Diese Schweine“, hauchte der Verletzte. „Die haben uns gezielt benutzt! Sie haben genau gewusst, was sie da tun und haben uns mitleidlos über den Tisch gezogen!“
„Sag' ich doch...!“
Der Verletzte schöpfte tief Atem.
„Sie werden das Geld bekommen!“ äußerte er bestimmt. „Sie werden es auftreiben! Wer sonst als Sie, Miss Claire...?“
Sie erhob sich, sagte jedoch nichts. Robert Palmer schlug die Augen nieder.
„Ich würde Ihnen das nie verzeihen, Miss Claire!“
Sie nickte. Mit einer angedeuteten Grußgeste wandte sie sich zum Gehen.
„Bis später, Robert!“ Die Irisschleuse schnurrte hinter ihr zusammen.
Eine Weile blickte ihr der Junge nach, dann stand er vorsichtig auf und aktivierte die Wiedergabe des IGPA Trons. Gedankenverloren sammelte er seine Kleidung ein während sich zwischen ihm und der Wand das Erlebnis des jüngsten Terroranschlags stabilisierte, der ein ganzes Sonnensystem ausradiert hatte.
Auf der Netzhaut des Jungen erglomm in zweifacher Ausführung ein wachsender Stern und wurde zusehends heller. Das Gesicht des Erschrockenen badete erst in gelblichem, dann in weißem und schließlich in bläulichem Widerschein. Bestürzt lauschte er den fassungslosen Kommentaren des Nachrichtensprechers.
„Heilige Scheiße!“ quetschte er durch die Zähne. „Was macht denn die Leute bloß so verrückt...?“
Schließlich raffte er sich auf, deaktivierte das Gerät und machte sich auf den Weg zur Schlepperbrücke.
Wenige Augenblicke, nachdem er die Kabine verlassen hatte, schnurrte das Irisschott erneut auf. Für lange Sekunden war niemand zu sehen. Dann huschte eine Gestalt in den Raum und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Es war Jonathan Bradley, jener Junge, der sich im so genannten Bunker nur zögernd zu den Entschlossenen gesellt hatte. Jetzt lauschte er auf Geräusche vom Gang her.
Als alles ruhig blieb, und die Iris sich hinter ihm geschlossen hatte, entspannte er sich. Mit zwei Schritten war er am Holo-Com, öffnete das Frontpanel und aktivierte das Aufzeichnungsgerät. Die gerenderte Simulation eines weiblichen Kommunikators materialisierte sich im virtuellen Bereich des Hologramm-Kubus.
„Welche Nachricht wünschen Sie zu senden...?“
„Nur eine kurze“, entgegnete der Junge. „Empfänger ist der Anschluss Mantadari Sierra Antikaya Zwölf-Zwölf Vierzehn. Verschlüsselter Text: Die Sache läuft! Verfolgerlabor gefunden. Empfehle jetzt dringend die Ausrüstung eines adäquaten Langstreckenschiffs und die Einweisung eines Kontaktagenten. Ende der Nachricht. Sendezeitpunkt ist der Austritt aus der Linearphase.“
„Gerne, mein Herr!“
„Und schließlich löschen, das Ganze!“
Das gerenderte Abbild des Kommunikators verschwand, und das Frontpanel schloss sich. Der Junge huschte zur aufgleitenden Irisschleuse, lauschte einen Augenblick lang und begab sich schließlich hinaus auf den Gang. Hinter ihm schloss sich die Iris ein letztes Mal.


Die Nachrichten in den Holo-Medien überschlugen sich. Die Schreckensbilder der Terroranschläge und der grausame Gegenschlag des Imperiums schienen die Menschen für kurze Zeit aufzurütteln. Schlimm wurde es aber erst, als die Medien die bevorstehende Mobilmachung verkündeten.
Soldaten der Reserve fanden sich unter die Flagge gerufen. Ein halbes Hundert modernster Trägerschiffe, begleitet von Dutzenden voll bewaffneter Fregatten, war galaxis- einwärts unterwegs. Ergänzt wurden das Aufgebot von ebenso vielen Geschwadern schneller Zerstörer und Schwärmen schwer bewaffneter Blitzboote.
Und jenseits der unsichtbaren Grenzen begannen die Sternenreiche Antikaya ebenfalls ihre Flotten zu massieren. An eine Beilegung des Konflikts auf diplomatischem Wege war längst nicht mehr zu denken.
Inmitten des eskalierenden Irrsinns versuchte sich der Lieutenant Commander in Civil, Claire Douphnier, um Gelder zu bemühen, die es irgendwie ermöglichen sollten, nach ihrer verschollenen Crew zu suchen. Ablehnende oder gar hämische Kommentare waren alles was sie auf ihre Bemühungen erntete.
„Ja, wissen Sie, gute Frau“, bekam sie beim einhundert- zwanzigsten Anruf zur Antwort, „wenn Sie eine voll bewaffnete F-2040 anschaffen wollten, um damit diesen Kanaken jenseits der Reichsgrenzen tüchtig einzuheizen, dann hätten sie sicherlich gute Chancen.
Doch mit Beteiligungen an der Reduzierung von Inventur- differenzen locken Sie heutzutage keinen Hund hinter dem Holo-Com hervor...!“
Danach hatte die junge Frau genug für diesen Tag. Mit der rechten Hand wischte sie über den Sensor, und die Projektion im Holo-Comunicator schnurrte in sich zusammen. Keine Gespräche mehr für heute. Kein Betteln um Gelder.
Sie verschränkte ihre Arme auf den Desktop. Erschöpft lauschte sie den allgegenwärtigen Geräuschen der monströsen Weltraumstadt. Draußen in den Trockendocks des Metallsterns wurden riesige Schiffe gewartet. Andere wurden in den Häfen beladen. Sie wünschte sich plötzlich, sie könnte einen dieser Sternenriesen kapern und einfach mit dem Rest der Crew verschwinden; weit hinaus bis ans andere Ende des Intergalaktischen Abgrunds.
Die Eingangsiris öffnete sich leise und Jonathan Bradley schlenderte herein, jener Junge, der ständig neben dem Strom zu schwimmen schien. Der Lieutenant Commander in Civil blickte zu ihm auf.
„Jonathan. Sie noch hier?“
„Ich wollte bloß nach Ihnen sehen. Jacques Renoire meint, Sie würden nicht genug auf sich Acht geben!“
„Wie bitte? Oh nein! Ich meine, es ist alles in Ordnung, Jonathan. Wirklich! Sie brauchen sich nicht um mich zu kümmern.“
„Ja, natürlich.“ Er hob die Schultern. „Aber eigentlich wollte ich Ihnen eher einen Tipp geben.“
„Tipp? Ich glaube, ich brauche etwas mehr als einen Tipp!
Der Junge schob die Hände in die Taschen des Overalls. Es schien, als ringe er nach Worten.
„Wissen Sie“, erklärte er gedehnt, „wir zocken da manchmal so herum im Netzwerk. Ich meine, abends und so. Und da kommen wir hin und wieder auf ganz interessante Knotenserver, die...!
„...illegal, was...?“
„...die uns mehr als - aber nein, Miss Claire, nichts Illegales! Außerdem wäre mir das egal, wenn es um wichtige Sachen ginge!“
„Ach ja?“
„Kann ich mal?“ Jonathan deutete fragend auf das Sensor Board vor ihrem Holo-Projektor.
„Wenn's was bringt...!“
Der Junge beugte sich über das Kommandopanel. Unter seinen Händen bauten sich Verbindungen auf. Linkknoten und Datenbahnhöfe formten sich im Holo-Kubus. Erlebniswelten huschten vorüber, ohne dass man Gelegenheit gehabt hätte, mehr als nur einen Blick darauf zu erhaschen.
„Setzen Sie sich doch!“ Claire Douphnier verbreiterte das Feld der Sitzfläche, so dass sich der Junge darauf niederlassen konnte.
„Da ist einer!“ bekundete Jonathan, während er auf die dreidimensionale Darstellung deutete. „Da ist einer der Knotenserver von einem der reichsverbündeten Planeten.“
„Und...?“
„Man sieht es schon an den Nachrichten...!“
Der Lieutenant Commander verfolgte die Publikation einer Agentur der gegnerischen Seite. Sie berichtete von der jüngsten Selbstmordserie einiger anerkannter Politiker am imperialen Hof und von Untersuchungen, die gefälscht worden seien. Alles individuell gefärbt. Alles Propaganda zugunsten der eigenen Promotion. Einfach nur pure Demagogie.
„Und Sie, Jonathan, Sie geilen sich an dem Gehetze auf...!“
Der Junge hob die Schultern.
„Ich habe eigentlich keine Probleme damit. Aber das hier, das bringt mich schon ein bisschen zum Nachdenken!“
Unter seinen Anweisungen formten sich kurze Berichte über das Erweichen der Inflationsraten und das Senken der Steuersätze für Reichsverbündete Unternehmen. Ein kurzer Bericht besagte, dass die imperialen Währungen in der Folge an Härte verlieren würde. Nun ja, das war bedenklich!
„Jonathan, was bezwecken Sie mit dieser Show?“
Wieder hob der Junge die Schultern.
„Bloß eine Info am Rande“, äußerte er entschuldigend, „ich meine, wenn wir schon mal hier herumsurfen. Aber was ich eigentlich zeigen wollte, ist dies: Hier gibt’s Geld. Echtes Risikokapital. Ich denke, das sollten Sie sich auf jeden Fall einmal ansehen.“
Claire Douphnier sagte nichts sondern überflog die Anzeigen im Holo-Kubus.
Dann blickte sie auf.
„Warum zeigen Sie mir das?“ erkundigte sie sich. „Das sind Angebote für Leute mit Sicherheiten wie etwa Ländereien auf Planeten oder Beteiligungen an Städten wie Intercity und ähnliches. Wir sind nicht das richtige Klientel!“
Verdutzt blickte Jonathan ins Hologramm.
„Oh, sorry, das war die falsche Link...!“
Neue Erlebnisse huschten durch den Holo-Kubus, ehe sich weitere Angebote stabilisierten.
„Das da!“ bestimmter er dann. „Hier gibt’s jede Menge zu holen! Wir könnten zum Beispiel internes Wissen an entsprechende Interessenten verkaufen.“
„Das wäre Hochverrat!“ Claire Douphnier sah in prüfend an. „Ich halte das für keine gute Idee. Noch ein paar Tage, und wir fallen damit sogar unters Kriegsrecht...!“
„Naah, Miss Claire, das hier sind doch nicht die Feinde! Das ist bloß ein Knotenserver. Auf diesem Server finden Sie genug Knoten zu rein imperialen Angeboten. Und außerdem ist es keineswegs illegal, unser Wissen über den Crash des Speedliners und des Labors zu tauschen oder zu verkaufen. Hüben wie drüben. Und wenn schon; denken Sie an die Crew und an die Aussichten, wenn wir den Fall lösen.“
Der Lieutenant Commander in Civil schwieg eine Weile, ehe er den Jungen aus den Augenwinkeln heraus ansah.
„Sie sind auf Provision aus, wie...?“
Der Junge erhob sich langsam und blickte seiner Vorgesetzten direkt in die Augen. Eine lange Weile blieb er so stehen.
„Nein“, antwortete er schließlich leise. „Keine Provision. Eine persönliche Sache. Ja, eine ganz persönliche Sache...!“
Claire Douphnier erhob sich.
„Tut mir leid“, äußerte sie energisch. „Wenn ich gegen das Gesetz verstoße, dann können wir genau so gut auch gleich über die Planke marschieren. Wenn nicht ein Wunder geschieht, dann durchbrechen unsere imperialen Truppen in wenigen Tagen die galaxiseinwärts liegenden Grenzen. Danach werden unsere Handlungen weitaus strenger beurteilt werden als jetzt. Wir dürfen uns keine Fehler erlauben.
„Stimmt!“ sagte der Junge nachdrücklich. „Stimmt ganz genau!“
Er beugte sich nieder und bediente die Sensoren.
„Ich lege Ihnen eine Bookmark zu diesem Knoten hier“, erwähnte er leichthin. „Vielleicht kommt Ihnen eine gute Idee wenn Sie ein wenig surfen. Es schadet nichts, wenn man mal die Meinungen der Anderen überfliegt...!“
Er richtete sich auf und blickte sich nach dem Irisschott um.
„Ich habe Sie lange genug aufgehalten“, bemerkte er, „und ich habe noch eine wichtige Verabredung heute Abend. Wahrscheinlich wissen Sie ohnehin genau, was zu tun ist, und sie brauchen meine Vorschläge nicht. Ich halte Ihnen auf jeden Fall die Daumen.“
„Schon gut...!“
Fast ein wenig übereilt verließ der Junge das Büro.
„Und doch bekommt er Provision“, murmelte der Lieutenant Commander. „Fragt sich bloß von wem...!“
Zögernd streckte sie die Hand nach den Sensortasten aus und begann in den Links des Knotens zu blättern.


Die United Holo Ltd. sendete ihre Programme weder von einer interstellaren City noch von einer Planetenbasis aus. Man munkelte, es handle sich um einen ehemaligen Piratensender. Das Trägerschiff der Sendestation kreiste im stellaren Orbit um Merlin; einer Sonne, bemerkenswert nahe an den Grenzen zu den Sternenreichen Antikaya. Doch das musste nicht unbedingt etwas bedeuten.
Claire Douphnier hatte sich ein Personentaxi gerufen. Es war unerwartet schnell gekommen. Dieser Umstand irritierte sie ein wenig. Der Pilot schien auch keineswegs überrascht, als sie Merlin als Zielsonne angab. Ohne weitere Fragen programmierte er den Kurs zum ehemaligen Piratensender und aktivierte den Mallett- Petersonschen Lichtwirbel-Generator.
Die Hologrammprojektion, welche die Umgebung visualisierte, begann eine beeindruckende Darstellung des mächtigen Lichtrings zu rendern, den der Triebwerkspark um die Äquatorzone des Taxis produzierte. Fast konnte man die Macht der Felder erahnen, die notwendig waren, um die elektromagnetischen Wellen aus dem Generator auf eng begrenztem Raum zu krümmen und gleichzeitig ihre Geschwindigkeit zu vermindern. Gleichwohl beschleunigten sie das kleine Gefährt relativ geräuscharm innerhalb weniger Augenblicke auf relativistische Geschwindigkeit, symbolisiert durch den blaugeränderten Doppler Tunnel im Bug-Holo.
Während des Transits verhielt sich der Pilot schweigsam. Für Claire gab es ebenfalls keinen Grund zu einer Unterhaltung. Aber als schließlich der Lichtwirbel in der Äquatorzone erlosch und den Blick auf ihr Ziel freigab, entrang sich ihr doch ein überraschter Ausruf. Der Pilot honorierte ihn mit einem raschen Seitenblick.
Das Trägerschiff der United Holo Ltd. vermittelte absolut keinen vertrauenserweckenden Eindruck. Es schien direkt vom Schrottplatz hierher in den Orbit geschleppt worden zu sein. Die einst grellen und mittlerweile verblassenden Slogans auf der Außenhaut änderte nichts an diesem Eindruck. Neben der breiten Hammerhainase schwebte eine hypermoderne Speedyacht. Vielleicht war sie einfach nur zu groß für den Bughangar. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls stellte sie einen krassen Gegensatz zum Schrotthaufeneindruck des gesamten Senderträgers dar.
„Ich bleibe in Startbereitschaft...!“ knurrte der Taxipilot. „Das sind Neureiche, da drüben! Sie sollten besser eine Waffe mitnehmen, wenn Sie wirklich da hinein wollen...!“
„Danke“, entgegnete der Lieutenant Commander. „Ich habe die notwendigen Waffen...!“
Der Bursche sagte nichts mehr, aber sein Blick verursachte, dass die Teamleiterin plötzlich fröstelte.
Das Fährtaxi wurde inzwischen von den Traktorfeldern des Trägers erfasst und langsam unter dem Kielbereich bugwärts gezogen. Eine kreisrunde Schleuse kam in Sicht, glitt auf sie zu und kam über ihnen zum Stillstand. Träge öffnete sich die Hangariris und ließ grelles Licht herab- fluten. Das komplette Raumschiff schien auf sie nieder- zusinken. Dann befanden sie sich im Innern einer Schleuse.
„Das nun“, bemerkte der Pilot zynisch, „war allerdings Maßarbeit...!“
Claire Douphnier musterte ihn von der Seite. „In ein, zwei Stunden“, sagte sie forsch, „gedenke ich zurück zu sein. Sie können hier warten, wenn sie wollen, oder den Sender besichtigen, ganz nach Belieben.“
Eine Weile sah der Typ sie von unten her an. Eine lange Weile. Dann griff er in die Ablage unter der Steuerkonsole und förderte einen schweren Fokuslaser zutage. Er legte die entsicherte Schusswaffe vor sich auf den Hologrammprojektor des Armaturenbretts, ehe er sich erneut der blonden Claire zuwandte.
„In Ordnung!“ sagte er bestimmt. „Ich werde hier auf Sie warten...!“
Das Ganze war grotesk. Der Typ schien mehr mit einem altgedienten Bodyguard gemeinsam zu haben, als mit einem Taxipiloten. Nein, es war nicht die Pistole, die er da auf dem Armaturenbrett liegen hatte. Viele hatten so was. Es war die Person selbst, die ihr Schauer über den Rücken jagte. Etwas hastig durchquerte Claire Douphnier die geflutete Schleuse. Sie wolle schleunigst aus der Nähe des Typen gelangen. Je eher, desto besser.
In einem düsteren Korridor, im Inneren des Schrottraumers, fand sie sich wieder. Ihr Blick verlor sich heckwärts im Dunkeln und traf bugwärts auf eine blinde Projektionsfolie. Die Wände des alten Kastens mussten einmal rostbraun beschichtet gewesen sein. Inzwischen hatten sie hässliche Korrosionsflecken und sahen im Allgemeinen reichlich verwittert und verkommen aus. Es roch nach Rost, Schmieröl und faulem Wasser. Die Akustik erinnerte an eine der Riesenhöhlen auf Archernar III. Nur klang es hier unheimlicher. Viel unheimlicher.
Entschlossen aktivierte Claire Douphnier das Aufzeichnungsgerät im Ohrclip. Der Miniatursender aktivierte den Tunnelungseffekt und hackte sich zeitgleich in sein viele Lichtjahre entferntes Gegenstück in Intercity ein. Jacques Renoire und zwei weitere Mitglieder des Teams würden nun mitverfolgen können, was sich hier ereignete.
Behutsam setzte die Besucherin einen Fuß vor den anderen. Sie passierte zwei Irisschleusen, die ihrem Verständnis nach zu den Wartungsdocks führen mussten. Zwei weitere Schleusen mochten in gegenüberliegende Lagerhallen führen. Auffallend waren die unterschied- lichen Gebrauchspuren an den Irissegmenten. Die Schotts zu den Lagerhallen schienen deutlich öfter benutzt worden zu sein, als jene der Wartungsdocks. Was mochten Hologramm-Producer hier wohl zwischenlagern? Magnetblasenspeicher voller Drehbücher? Oder Tonnen an Gebrauchsanleitungen als Ersatz für eine funktionierende Wartungseinheit?
Achtsam blickte sich die Besucherin um. Sie schien ungestört. Keine Menschenseele weit und breit. Mit ein paar raschen Schritten war sie am Noteinstieg neben der Lagerraumiris. Aus ihrem Armband zauberte sie einen winzigen Magnetdecoder und klebte ihn auf die Schutz- kappe über der Sicherheitsluke. Das Tool begann mit der Analyse des Codes.
Mit einem Mal erklangen hallende Schritte hinter ihr. Erschrocken fuhr sie herum. Der Gang verlor sich nach Achtern in der Dunkelheit und die Holo-Folie am anderen Ende glotzte stumpfsilbern von der Wand. Kein Beobachter. Kein Passant. Nur die Schritte. Sie kamen näher und verhielten an der Decke über ihr. Längere Stille. Dann erneute Trittgeräusche. Sie entfernten sich. Vermutlich hatte bloß jemand in der nächsten Etage zu tun und das Geräusch seiner Schritte drang durch das nackte Metall der Decke zu ihr herab.
Erleichtert wandte sie sich ihrem kleinen Helfer am Notfallschott zu. Die Maschine klickte leise und öffnete die Blende über dem gewölbten Bullauge. Claire konnte nun einen Blick ins Innere erhaschen. Sie presste ihre Stirn gegen das kalte Kunstglas.
Leider war alles dunkel da drin. Keine Chance, die Lagerbeleuchtung zu aktivieren. Allein ihr Armbanddepot bot eine winzige Diodenlampe für solche Notfälle. Sie leuchtete hinein. Im diffusen Schein des Halbleiters gewahrte sie zwei Schwebeplattformen, beladen mit länglichen Apparaturen. Ganz in der Nähe eine Truhe aus Berylliumtitan neben einem unbekannten Gerät mit Schüsselantenne. Dahinter stapelten sich längliche Zylinder. Röhrenförmige Gebilde mit Leitflächen an den Enden...!
Claires Blick huschte zurück von den geflügelten Zylindern zur Schüsselantenne und noch weiter zurück zu den Schwebeplattformen. Ein heißer Strom schien durch ihren Körper zu fließen. Das da drin waren eindeutig Waffen. Illegale Waffen. Ölgekühlte Lasergewehre, Ortoga Raketen, ein tragbarer Mikrowellen Werfer und eine Menge anderes militärisches Gerät.
Ein Geräusch.
Erschrocken fuhr sie zurück und lehnte sich rücklings an den Noteinstieg, als könne sie damit verbergen was sie gesehen hatte. Ihr Atem ging heftig. Doch sie war immer noch allein. Der heruntergekommene Zustand des Schrottraumers hatte sie abermals genarrt; niemand hatte sie bemerkt.
Hastig verstaute sie ihr Werkzeug im Armband und machte sich auf den Weg zur Verabredung.

Fortsetzung unter:



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Von Dieter König erschienen sind bisher:

In der Reihe Heyne Science Fiction & Fantasy:

Feuerblumen – 06/3947 – ISBN 3-453-30875-1

Betondschungel – 06/4216 – ISBN 3-453-31193-0

In der Reihe Möwe Wirtschaft und Finanzen:

Verkaufserfolge durch den Computer ISBN 3-925127-56-9
Neue Computerlösungen für die Finanzdienstleistungs- branche.
ISBN 3-925127-58-5

Abenteuerliche Leben – ISBN 3-925127-64-

Darüber hinaus war Dieter König lange Jahre als Ghost- writer für eine Reihe von Autoren spannender Wirtschaftsbücher über Finanzen und Management engagiert, deren Bücher im Wirtschaftsverlag Möwe, Idstein, erschienen sind.


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Impressum

Texte: Sarturia Verlag e.K. Autoren Service ISBN: 978-3940830012
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2010

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