Prolog
Im Haus war es finster, doch dank ihrer Abstammung war Kyra dennoch in der Lage etwas zu sehen. Ihre Mutter ging mit großen Schritten neben ihr und zerrte sie an ihrer Hand, damit sie schneller lief. Der feste Griff tat weh, doch sie wagte es nicht sich zu beklagen aus Furcht, was ihre Mutter sonst machen würde. Sie hatte die Wut der Vampirkönigin schon oft genug zu spüren bekommen müssen.
Kyra wusste nicht, warum sie hier war. Als sie am Morgen von ihrer Zofe aus dem Bett gezerrt worden war hatte sie schon gewusst, dass etwas nicht stimmte.
Das hatte sich bestätigt als ihre Mutter Clair mit ihr die Burg verlassen hatte und mit ihr hierher, in diese riesige, fast schon schlossähnliche Villa gefahren war.
Sie zitterte vor Angst, versuchte aber diese verräterische Schwäche zu unterdrücken. Ihre Mutter hielt nichts von Furcht und anderen Gefühlen, die dem gleichkamen.
Es war furchtbar kalt in dem Haus und der Wind pfiff durch die dunklen und düsteren Gänge, und obwohl den Vampiren Kälte nichts ausmachte, bekam Kyra dennoch eine Gänsehaut.
Clair murmelte leise etwas vor sich hin, ihre grauen, kalten Augen starr nach vorne gerichtet. Ihr langes Kleid in der Farbe von Blut wallte königlich hinter ihr her und verlieh ihrem leichten Gang noch mehr Anmut. Wenn man sie sah, bestand kein Zweifel daran, wer sie war. Als Frau des Königs des BloodriverClans war sie die mächtigste Frau dieser Vampirgemeinschaft und gleichgestellt mit der Königin des RedstarClans, mit dem der BloodriverClan eng befreundet war.
Soviel hatte Kyra in ihren 10 Jahren schon mitbekommen, obwohl sie sich in Politik nicht auskannte. Aber ihre Eltern hatten oft über dieses Bündnis geredet und Clair traf sich oft mit der anderen Königin.
Unwillkürlich fragte Kyra sich, ob die Frau auch hier war. Bisher hatte sie sie nur einmal gesehen und sie hatte ihr fürchterliche Angst eingejagt.
Kyra trat auf den weiten Saum ihres schweren Samtkleides und geriet ins Straucheln, konnte sich aber noch fangen, bevor sie auf den Boden fiel.
Clair blieb stehen und drehte sich zu ihrer kleinen Tochter um. „Hör mal zu Kleine, du bist die Prinzessin. Du darfst dir keine solche Blöße geben und stolpern! Ich verbiete es dir! Reiß dich zusammen und sieh zu, dass es dir nie wieder passiert!“
Kyra zuckte ob des strengen und kalten Tons ihrer Mutter zusammen, nickte aber gehorsam. Sie wusste, dass sie von nun an Acht geben musste, denn ihre Mutter warnte sie selten zweimal.
Kyra hörte, wie sie sich Stimmen näherten und sie betraten einen großen Raum, in dem am Kamin ein Feuer brannte. Es sah elegant aus, eine rote Couch stand mitten im Raum, ein paar Schubladen und andere hölzerne Möbel an der Wand.
Vor dem großen vergitterten Fenster standen zwei Personen. Eine davon erkannte Kyra. Das war Annabell Redstar. Den Jungen, er musste ungefähr zwei Jahre älter sein als sie, der neben der unheimlichen Vampirkönigin stand, kannte sie nicht.
Annabell war wunderschön, schöner als die meisten anderen Vampirinnen, ausgenommen Clair, aber es umgab sie eine harte, kalte Aura, die selbst Kyra mit ihren 10 Jahren spüren konnte.
Annabell hatte tiefschwarzes, gelocktes Haar, das ihr bis zur Taille fiel. Ihre Augen waren eisblau, das konnte sie sogar von der Entfernung erkennen. Blutrote Lippen verzogen sich zu einem unheilvollen und berechnenden Lächeln, das Kyra einen Schauder über den Rücken jagte.
Der Junge sah der Königin sehr ähnlich, auch er hatte schwarzes Haar, allerdings trug er es um einiges kürzer, sodass es ihm vollkommen zerstrubbelt vom Kopf wegstand. Sein Gesicht konnte Kyra nicht sehen, er hatte es von ihr abgewandt.
„Clair!“ rief Annabell erfreut aus und kam auf ihre Freundin zu. Küsschen links, Küsschen rechts, dann wandte sich die Dunkelhaarige Kyra zu.
„Das ist also deine Tochter, Clair? Sie ist hübsch.“
Ihre Worte fühlten sich nicht an wie ein Kompliment, eher wie eine Drohung.
„Das muss Rhis sein. Er sieht dir sehr ähnlich.“
Annabell nickte knapp. „Deine Tochter dir auch, meine Liebe.“
Clair nahm die Worte mit einem Neigen ihres Kopfes zur Kenntnis.
„Gehen wir in das Arbeitszimmer einen Stock höher uns lass uns dort alles Weitere besprechen.“
„Fass nichts an und verlass diesen Raum nicht!“ Mit diesen Worten an Kyra gerichtet wandte Clair sich um und folgte Annabell aus dem Raum.
Kyra stieß den Atem aus. Ihre Mutter und diese Annabell jagten ihr fürchterliche Angst ein, wie diese Situation im Ganzen.
„Wieso sind wir hier?“ fragte sie und drehte sich zu dem Jungen um, in der Hoffnung, dass er mehr wusste als sie.
Der Junge, Rhys, drehte sich nun endlich zu ihr um und sah sie aus unglaublich blauen Augen an. Auch er schien Angst zu haben.
„Ich weiß es nicht.“
Kapitel 1
Man brachte sie auf ein Zimmer, das vollständig eingerichtet war in einem alten Stil, den Kyra nicht benennen konnte. Aber es sah sehr edel aus und chic, noch schöner als sie es von zu Hause gewohnt war.
Sie wusste immer noch nicht, was sie hier machte, und der Junge, Rhis, hatte es auch nicht gewusst, und das hatte sie mehr beängstigt als alles andere. Er war zwei Jahre älter als sie, 12, hatte er ihr gesagt. Er war ein männlicher Vampir und ein Prinz, dennoch konnte er ihr nicht sagen was vor sich ging. Clair war nur wenige Minuten später zurückgekommen und hatte sie hinter sich her die Treppen hoch in das oberste Stockwerk geschleift.
Jetzt war Kyra hier, allein, in einem Zimmer, das so edel aussah, dass es beängstigend war.
Ihre Mutter jagte ihr Angst ein, auch vor der anderen, Königin Annabell, fürchtete sie sich. Nur Rhis wirkte nicht beunruhigend auf sie und dass auch er nicht wusste, was hier vorging, war zwar beängstigend, trotzdem gab es ihr das Gefühl nicht allein zu sein.
Kyra streifte durch das große Herrenhaus, das den Namen Black Rose trug, auf der Suche nach Rhis. Es war früher Abend, Clair und Annabell würden noch schlafen, also hatte sie noch zeit mit ihm zu reden, ohne Angst haben zu müssen belauscht zu werden.
Sie wusste genau, wohin sie gehen musste, schließlich lebte sie nun schon seit 6 Jahren hier, seit ihre Mutter mit ihr vom Schloss ihrer Eltern mit ihr hierher gezogen war.
Sie war in diesen Jahren mit Rhis aufgewachsen, er war der einzige Freund, den sie hatte und kannte, und neben den Zofen, den anderen Bediensteten und den Königinnen war er der einzige Vampir, das einzige Lebewesen, das sie kannte.
Es war stockdunkel im Haus, aber das machte nichts. Kyra konnte den Weg blind gehen.
Rhis Zimmer war einen Stock tiefer als ihr eigenes und am Anfang des Ganges, der zur Bibliothek führte. Sie wusste, dass er oft tagsüber, wenn er nicht schlafen konnte, dorthin ging und das ein oder andere gute Buch las. Er hatte es ihr erzählt, er erzählte ihr immer alles und sie ihm auch.
Endlich erreichte sie das Zimmer, in dem Annabell ihn zwang zu leben. Kyra wusste, dass er es hasste, so wie auch sie ihr Zimmer hasste. Es war unpersönlich, kalt und edel, nicht das, worin Teenager und Kinder sich wohl fühlten.
Musik drang auf den Gang, finsterer Rap, den Rhis so liebte, den seine Mutter Annabell jedoch verbot. Deswegen spielte er ihn tagsüber, wenn die anderen schliefen.
So als hätte er sie gehört, öffnete sich gerade in diesem Moment die Tür und Rhis streckte seinen dunklen, verwuschelten Kopf heraus. Als er sie sah hellte sich sein schönes Gesicht auf und er lächelte sie warm an, so wie er es immer tat, wenn er sie sah.
„Kyra“ rief er und schloss sie in seine starken Arme. Auch das tat er jeden Abend, wenn sie zu ihm kam. Als er sie losließ ließ er seinen Blick wachsam über den Gang wandern um zu sehen, ob Annabell und Clair nicht in der Nähe waren, oder einer der Bediensteten, ehe er sie in sein Zimmer und die Tür hinter sich zu zog.
Rhis Zimmer sah so ähnlich aus wie ihr eigenes, alte, fast schon antike Möbel aus dunklem, schwerem Holz und samtene Vorhänge an den Fenstern und am Bett.
Ein alter Perserteppich lag vor dem gigantischen Kamin, der ungemein hässlich, jedoch edel war. Annabell und Clair liebten alles Schöne und Edle, sie waren nahezu besessen davon und verlangten von ihren Kindern auch, dass sie das zu würdigen wussten und damit umzugehen.
Rhis stellte die Musik ab und ließ sich auf sein Bett fallen, da in diesen Zimmern keine Sofas oder andere Sitzgelegenheiten standen – auch das hatten ihre Mütter ihnen verboten.
„Schlafen sie noch?“
Kyra nickte bestätigend und ließ sich an die Wand gelehnt auf den Boden sinken, wobei sich ihr langes Kleid um sie herum raffte.
„Ja, tun sie. Ich habe extra gelauscht, aber weder aus Clairs Zimmer noch aus dem deiner Mutter kamen irgendwelche Geräusche und wenn sie die Treppen hinunter gegangen wären, hätte ich es gehört, ich war wach.“
„Gut, dann haben wir ja noch ein wenig Zeit.“
Das Training, das Rhis jeden Tag mit ihr machte, war erst in den frühen Morgenstunden angesetzt, wie üblich, damit ihre Mütter nichts davon mitbekamen und Erschöpfung war nun einmal nicht leicht zu verbergen.
„Wie lange wird das noch so gehen? Dass wir nur abends und morgens miteinander in Ruhe reden können und sagen können, was wir wollen? Du weißt genau wie sie sind. Wenn sie wüssten, dass ich ohne Aufsicht in deiner Nähe bin… sie würden mich wegsperren, oder vielleicht auch dich. Ganz egal, das muss enden.“
Kyra wusste, dass ihre Stimme verzweifelt klang, aber sie konnte es nicht unterdrücken. Clair und Annabell befürchteten, dass zwischen ihnen etwas passieren könnte, dass sie sich näher kamen als sie durften. Die zwei konnten einfach nicht verstehen, dass Rhis und sie nur gute Freunde waren, füreinander da waren und miteinander lachten. Was war so falsch daran? Es war ja nicht so, als würden sie miteinander schlafen oder sich auch nur küssen.
Bis vor kurzem war es auch immer so gewesen, dass sie nicht mehr wollte als seine Freundschaft, doch in den letzten Wochen und Monaten hatte sie bemerkt, dass sich ihre Gefühle ihm gegenüber veränderten, er mehr für sie wurde als ein guter Freund.
Doch das würde sie nie zugeben. Das würde nicht nur ihre Freundschaft ruinieren, die ihr wichtiger war als alles andere, es würde auch Clair und Annabell auf den Plan rufen.
„Ich weiß was du meinst, Kyra, aber du weißt, dass wir nichts tun können.
Sie sind so viel älter und stärker als wir und sie sind unsere Mütter und Königinnen. Egal was wir tun, wir würden in Ungnade fallen oder getötet werden, und das von unseren eigenen Vätern. Wir können also weder die beiden töten oder ausschalten noch sonst was tun, denn mal im ernst: wir haben nie etwas anderes gesehen als das hier und die Burgen unserer Väter. Wir wüssten nicht, wie man dort draußen überlebt.“
Was er sagte, war wahr, trotzdem war es keine Option zu bleiben. Denn lange würden sie nicht mehr hier leben, so viel stand fest, und dann würde der wahre Albtraum erst beginnen und sie würde Rhis vermutlich nie wieder sehen.
„Ich weiß, aber was sollen wir tun? Du bist 18, du weißt genauso gut wie ich, dass uns nicht mehr allzu viel Zeit bleibt.“
Rhis seufzte und fuhr sich mit seinen langen Fingern durch das Haar und strich eine Strähne zurück, die ihm frech ins Gesicht gefallen war.
„Lass uns nicht mehr darüber reden. Noch haben wir Zeit, immerhin haben sie noch keinen Termin für unser erstes Treffen angesetzt. Bis dahin sollten wir mit unserem Training fertig sein. Ich will dich nicht unvorbereitet da hinaus schicken, also lehre ich dich, was ich nur kann.“
Kyra strich über den weiten Rock des samtenen Kleides, das Clair sie gezwungen hatte zu tragen. Genauer gesagt hatte sie überhaupt noch nie etwas anderes getragen als Kleider. Schließlich war sie die Prinzessin, da schickte es sich doch nicht mit Hosen rum zu laufen.
„Was steht heute bei dir auf dem Programm?“
Kyra stöhnte auf, als sie auch nur daran dachte welche Lektionen ihr diese Nacht wieder bevorstanden. „Essen, Tisch decken, die Gastgeberin spielen. Warum muss ich nur Prinzessin sein? Ich wünschte, ich wäre normal.“
„Tja, Kleines, das wünschte ich auch. Verdammt, und wie. Prinz Rhis, so ein Schwachsinn. Ich will kein Prinz sein und ich will auch kein König werden, aber weißt du was? Uns bleibt überhaupt keine Wahl.
Ich wünschte nur, ich könnte dich vor deinem Schicksal bewahren.“
„Das ist süß von dir, aber du weißt, dass das nicht geht. Niemand kann uns helfen.“
Rhis schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Was sollte er auch sagen? Er wusste, dass sie Recht hatte. Ihr Schicksal war das Schicksal eines jeden Prinzen und einer jeden Prinzessin der Vampire, ihren Müttern war es einst genauso ergangen, und nun konnte man ja sehen, was aus ihnen geworden war. Kalte, berechnende Frauen, die ihren eigenen Kindern Angst einjagte.
Kyra wollte nicht so werden, hatte aber den Verdacht, dass es dazu kommen würde. Zwangsläufig. Es war wohl unausweichlich. Sie würde ihre Kinder ebenfalls hierher schicken, sobald sie alt genug waren, und sie würden ebenso leiden wie sie jetzt. Sie würde es genießen, das zu tun, oder es einfach hinnehmen, weil es eben so sein musste. Sie wäre dabei völlig gefühlskalt und eher eine Aufpasserin und Erzieherin als eine Mutter. Sie wollte nicht so sein, niemals, und sie wollte das ihrem Kind niemals antun.
„Kleines, schau nicht so hoffnungslos, das ertrag ich nicht.“
Überrascht hob Kyra den Kopf und blickte in Rhis Augen, der nun direkt vor ihr saß. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er sich bewegt und zu ihr gegangen war. Nun kniete er eine Armlänge von ihr weg und sah sie besorgt an.
„Tut mir leid, ich war nur gerade in Gedanken, halb so wild.“
Er wusste, dass sie log, und dass es sie mehr beschäftigte als sie zugab. Es war nicht einfach nur „in Gedanken“, es setzte ihr schon eine Zeit lang zu.
Behutsam setzte sich Rhis dicht neben Kyra, ebenfalls an die Wand gelehnt und zog so lange an ihr, bis sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte.
„Ich hasse unser Leben, ich hasse Annabell und meine Mutter und all die anderen Bediensteten auch. Ich hasse alles, außer dich. Du bist das einzig Gute in meinem Leben.“
Rhis sagte nichts, doch er schlang einen Arm um Kyras Schultern. „Bei mir ist es genauso, ich will, dass du das weißt.“
„Ja, das weiß ich.“
Rhis beobachtete Kyra, wie sie sich an seine Schulter kuschelte. Sie wirkte so zart und so zerbrechlich. Sie hatte vom Aussehen her gewisse Ähnlichkeiten mit Clair. Das gleiche scheinend blonde, glatte Haar, die selbe schlanke Figur, doch sie hatte grüne Augen, wunderschöne grüne Augen.
Kyra konnte spüren, das die Sonne nun endgültig untergegangen war, was bedeutete, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, bis Clair und Annabell aufwachten.
Tatsächlich blieb ihnen nur noch eine knappe halbe Stunde, ehe sich Kyra zurück in ihr Zimmer stahl, bevor Clair bemerken konnte dass sie nicht da war. Nur 5 Minuten später kam die blonde, großgewachsene Vampirkönigin hereingestürmt und richtete ihre Habichtsaugen auf ihre Tochter. „Kyra, wie ich sehe hast du dich bereits angekleidet. Dann können wir ja anfangen.“
Ohne ein weiteres Wort rauschte sie hinaus, sie wartete gar nicht ab, ob Kyra ihr folgte, für sie stand außer Frage dass sie das tat. Sie hatte sich ihr noch nie widersetzt, sie hatte es sich nie getraut. Auch jetzt ging sie die Treppen hinab in den ersten Stock, wo sich der Salon und das andere, das zweite Wohnzimmer befanden.
Kyra hatte schon einmal von Fernsehern und Autos gehört und auch darüber gelesen, aber hauptsächlich über das Radio mitbekommen, den Rhis in seinem Zimmer versteckte. Hier, in Black Rose, war jegliche Technik verboten, allerdings hielten Vampire im Allgemeinen nicht sonderlich viel von Fortschritt und dem Modernen.
Kyra hatte sich schon immer für die Musik der Menschen begeistern können, sie wollte auch so leben wie sie. In Freiheit, tun zu können, was sie wollte, ansehen und hören können, was sie wollte.
Annabell war nicht in dem Salon, was bedeutete, dass sie mit Rhis beschäftigt war. Vermutlich in den Kerkern unten oder in der Bibliothek. Später würde er ihr sicher erzählen, was er hatte tun müssen.
„Wir müssen an deinen Umgangsformen arbeiten. Du hast unterwürfig zu sein und zu tun, was dein Gatte von dir verlangt, schließlich ist er ein Mann und weiß besser was du brauchst als du. Du wirst höfliche Konversation machen und ihn nicht mit etwas langweilen, was dich interessiert, denn das wird ihm egal sein. Du wirst ihn nicht fragen, was ihn interessiert und du wirst ihn auch auf sonst keine Weise auf die Nerven fallen, klar?
Nun gut, das haben wir ja nun schon öfter durchbesprochen, also können wir mit der nächsten Lektion beginnen.“
Den ganzen Vormittag verbrachte Kyra damit das zu tun, was ihre Mutter ihr sagte und sich das einzuprägen, was sie ihr beibrachte. Überwiegend langweiliges Zeug, Dinge, die sie nicht brauchte, die sie aber anscheinend als Prinzessin können und wissen musste. Sie hatte nie verstanden, warum ihre Familie und auch die restlichen Königsfamilien so darauf bestanden auf den alten Traditionen zu beharren. Vermutlich lag es daran, dass es ihnen Macht verlieh, und dass Clair Macht über alles liebte stand keine Sekunde außer Frage.
Am Ende war Kyra völlig erschöpft und ließ sich in den breiten Sessel vor dem Kamin sinken. Nachdenklich starrte sie in die Flammen, die sich um das Holz züngelten und Holzscheite knistern ließen. Feuer konnte Vampire töten, ebenso wie Tageslicht und ein Holzpflock ins Herz und eine Enthauptung. Na gut, es musste kein Holzpfahl sein und es reichte nicht einfach eine Waffe in das Herz zu rammen. Das Organ musste zerstört werden, sodass es sich nicht schnell genug wieder regenerieren konnte. Doch egal wie brutal die Wunden auch waren – ein Stich ins Herz war nur äußerst selten tödlich, man müsste das Herz schon förmlich zerfetzen und selbst dann, wenn man genug Blut bekam, hieß das noch nicht das Ende.
Kyra hatte noch nie darüber nachgedacht, dass es die Pflicht der Königin und des Königs war Todesurteile zu verhängen und diese auch ausführen zu lassen. Dafür hatte sie zu wenig Kontakt zur Außenwelt und zu wenige Erinnerungen an die Zeit vor Black Rose. Doch Clair hatte es ihr heute erzählt, ihr erzählt dass auch sie eines Tages Urteile verhängen und vollstrecken würde müssen und angekündigt, ihr noch jedes Mitgefühl und Mitleid auszutreiben. Kyra hoffte, dass es ihr nicht gelingen würde, denn dann wäre sie nicht besser als die, die gerichtet wurden. Eine Mörderin. Auch wenn nicht sie selbst die Axt oder das Schwert schwang, so hatte sie es doch in Auftrag gegeben.
Aber sie wollte es nicht einmal dazu kommen lassen, dass sie in so eine Situation geriet. Sie wollte keine Königin sein und sie wusste, dass Clair das auch wusste. Dennoch – es gab keinen Ausweg, vor allem da sie gerade einmal 16 war und damit praktisch noch ein Kind. Die meisten anderen Vampire in dem Herrenhaus waren weit über 100 Jahre alt und ihr und Rhis weit überlegen.
„Kyra, ich muss kurz mit dir reden.“ Überrascht blickte sie auf zu ihrer Mutter, die direkt vor ihr stand.
„Was ist, Mutter?“ „Annabell und ich werden für einen Monat zurück auf die Burg gehen. Unsere Ehemänner haben uns zurückbeordert, damit wir ihnen über den Stand der Dinge berichten. Ich erwarte von dir, dass du dich von Rhis fern hältst, hast du das verstanden?
Wobei… eventuell habe ich da eine andere Lösung, um zu verhindern dass du etwas tust, was du später bereuen wirst. Ich werde das noch mit Annabell diskutieren und beraten, du wirst morgen Abend erfahren, was du zu tun hast.“
Mit diesen Worten verschwand Clair wieder. Was sollte das bedeuten, was sie gesagt hatte? Einen Monat lang würde sie allein mit Rhis sein? Was war mit den anderen Vampiren hier auf Black Rose? Blieben die hier? Aber was für eine Lösung hielt ihre Mutter für überlegenswert? Es konnte nichts Gutes sein.
Clairs Ideen waren für sie nie gut, und sie schien fest entschlossen sie und Rhis voneinander zu trennen.
Kyra wartete ab, bis Clair sicher in ihrem Zimmer verschwunden war, wahrscheinlich bereitete sie sich auf die Abreise vor, auch Annabell schien nirgendwo unterwegs zu sein. Die frühen Morgenstunden waren angebrochen, was bedeutete, dass ihre Trainingsstunde mit Rhis beginnen konnte. Vermutlich wartete er schon unten im Erdgeschoss auf sie.
Kapitel 2
Nach zwei Jahren in Black Rose begann Rhis Kyra das kämpfen beizubringen. Ihre Mutter wusste nichts von den geheimen Trainingsstunden. Es war die erste Art Rebellion, die sie machten, bisher hatte Kyra es nie gewagt sich ihrer Mutter zu widersetzen, die der Meinung war, Frauen brauchten nicht kämpfen zu können. Doch Kyra wollte es können, sie wollte sich verteidigen wollen, nicht schutzlos sein. Außerdem machte es Spaß.
Rhis wartete in der Eingangshalle bereits auf sie, je ein Schwert in der Hand. Woher er die hatte, wusste Kyra nicht und sie hatte ihn nie danach gefragt.
„Da bist du ja!“ rief er mit einem schelmischen Lächeln. Kyra fühlte, wie Wärme sich in ihr ausbreitete. Es war eine lange, harte Nacht gewesen. Sie hatte die ganze Zeit die paar Minuten, oder die Stunde, herbeizusehnen, die sie mit Rhis verbringen konnte.
„Bereit für deine nächste Lektion?“ fragte er sie und warf ihr lässig ein Schwert zu. Geschickt fing Kyra es auf, stolz dass sie das konnte, ohne sich dabei zu verletzen.
Ohne Vorwarnung stürzte sich Rhis auf sie, Kyra konnte das Schwert jedoch gerade noch hochreißen und den Schlag parieren. Es folgte ein rascher Schlagabtausch, den Rhis beinahe gewann. Doch Kyra dachte gar nicht daran ihn gewinnen zu lassen und aufzugeben und stürzte nach vorne um ihm das Schwert aus der Hand zu schlagen. Ihre Bewegungen waren so schnell, dass er erst mitbekam dass sie ihn besiegt hatte, als sein Schwert am Boden und ihres gegen seine Kehle gedrückt war.
Und das alles im Kleid, dachte Kyra schmunzelnd. Keuchend stieß Rhis die Klinge von sich und betrachtete seine Kampfgegenerin lachend.
„Du bist verdammt gut geworden.“ „Ich hatte einen verdammt guten Lehrer.“
Kyra ließ das Schwert sinken und sah ihren besten Freund mit leuchtenden Augen an. Er machte ihr oft Komplimente und er sagte nie etwas, was er nicht so meinte, deswegen wusste sie, dass er es immer ernst meinte. Es freute sie jedes Mal, wenn er ihr ein Kompliment machte. Er war der einzige, der es tat.
Rhis winkte ab. „Ach was. Du wärst bei jedem so gut geworden. Du hast Talent, Kleines, ob du es sehen willst oder mich. Dafür brauchst du mich nicht.“
„Und ob ich dich brauche, Rhis. Täusche dich nicht. Ich brauchte dich.“
Rhis lächelte, sie wusste, dass ihre Worte ihn erfreuten, obwohl er das nie zugeben würde. „Ach, Kleines, du bist viel zu gut für die alle hier. Deine Mutter hat dich nicht als Tochter verdient.“
Warum musste er immer so nette Dinge sagen? Denn jedes Mal, wenn er sie so ansah und so mit ihr sprach, flog ihr Herz ihm ein Stück mehr zu.
Kyra schlang ihre Arme um Rhis schmalen aber kräftigen Körper und wünschte sich, sie würden nicht hier leben müssen und nicht eines Tages getrennte Wege gehen mussten, ob sie nun wollten oder nicht. Sie wusste, dass sie, waren sie erst einmal hier draußen und erfüllten das, wozu sie erzogen wurden, würde sie ihn kaum noch sehen. Dieser Gedanke stimmte sie traurig und sie musste sich zusammenreißen, um die Tränen zurück zu halten.
Rhis schien ihre Traurigkeit zu spüren, denn er drückte sie fest an seine warme, harte Brust und strich ihr sanft über das lange Haar. „Hey, Kleines, ist alles okay?“
Kyra biss sich auf die Lippen um ein Schluchzen zu unterdrücken. Das war doch lächerlich. Er war noch bei ihr und noch gab es keine Aussicht, dass es sich bald ändern würde. Sie sollte nicht jetzt schon über ihre eher trostlose Zukunft nachdenken. Das konnte sie in ein paar Monaten oder hoffentlich Jahren immer noch.
„Alles gut, Rhis. Ich war nur grad in einer sentimentalen Stimmung. Ist schon wieder vorbei.“
Kyra hob den Kopf und lächelte ihn an, doch er schien ihr nicht ganz zu glauben. Er spürte immer mehr, als sie ihn wissen lassen wollte.
Texte: alle Rechte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2011
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